Erste Einblicke in das neue Parlament
Es ist ein herbstlich kühler Tag. Am Bauzaun tummeln sich an diesem späten Vormittag rund 80 Vertreter:innen österreichischer Medien und der Auslandspresse. Auch Arbeit&Wirtschaft. Die Neugier ist groß. Mitarbeiter:innen einer Sicherheitsfirma haken Namen von Angemeldeten ab und fügen jene handschriftlich hinzu, die sich zu spät angemeldet haben. Es sind Redakteur:innen, Fotograf:innen und Kameraleute. Ihr Weg führt den Schmerling-Platz entlang bis zur Rampe des Parlaments. Hier stapeln sich zahlreiche Paletten. Ausgemusterte Feuerlöscher stehen da aufgereiht wie Zinnsoldaten.
Der Tross bewegt sich die Rampe hinauf zum großen Haupteingang des Hohen Hauses. Drinnen, im Vorraum der Säulenhalle, warten alle zusammen. Jene, die Überbekleidung ablegen möchten, werden in den großen neuen Empfangsraum geleitet. Hier sind jetzt Garderoben – ohne Garderobieren, alles hat noch die Anmutung des Improvisierten. Dann werden die Besucher:innen in zwei Gruppen geteilt. Die kleinere Gruppe wird von Rudolf Gollia, Pressesprecher des Parlaments, und Alexander Gardavsky, Leiter der örtlichen Bauaufsicht, durchs Haus geführt.
Es geht zunächst einen Stock tiefer ins ehemalige Besucher:innenzentrum, den künftigen Eingangsbereich des Hohen Hauses. Weiter drunter ist das neue ORF-Stadtstudio untergebracht. Noch tiefer sind abhörsichere „Lokale“, wie es im Parlamentssprech heißt. In diesen Räumen sollen Lauschangriffe nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen sein.
Für Mitarbeiter:innen gibt es im neuen Parlament eine Überholspur
Von hier geht es zur neuen Sicherheitskontrolle. „Drei Scannerstraßen stehen bereit, die Flughafenstandard haben“, wie Gollia erläutert, der Hauptmann im Innenministerium war, ehe er ins Parlament wechselte. Er weiß, wovon er spricht. Die Besucher:innen werden heute allerdings nicht auf Waffen und Sprengstoff untersucht. Für Mitarbeiter:innen des Parlaments, Abgeordnete und deren parlamentarische Mitarbeiter:innen ist eine Überholspur eingerichtet, die Gollia „Fast Lane“ nennt. Die Mandatar:innen sollen von einer Gesichtserkennung identifiziert und automatisch durchgelassen werden.
Die Medienvertreter:innen gelangen nun in das neue Besucher:innenzentrum des Hauses, die „Agora“ getauft wurde. Sie hat die Struktur eines dreischiffigen Kirchenbaus, der exakt unter der Säulenhalle liegt. Das Wort „Agora“ kommt aus dem Griechischen uns heißt so viel wie „Marktplatz“. Im Hauptschiff des „Marktplatzes“ befindet sich ab sofort die Anmeldung für Besucher:innen. An den Wänden der beiden Seitenschiffe hängen Schautafeln, die vom Werden und der Geschichte der österreichischen Demokratie berichten – gleich gegenüber wartet eine Dauerausstellung über die Werte der österreichischen Demokratie. Eine Lautsprecherdurchsage unterbricht Gollias Vortrag.
Jede Menge Technik
Im ganzen Gebäude sind die roten Läufer mit weißer Folie abgedeckt, damit das Rot bei der Eröffnung kräftig erstrahlen kann. Und in sehr vielen Räumen befinden sich sogenannte Stelen, weil auf den historischen Wänden weder gestemmt noch gebohrt werden darf: „Der Erhalt der historischen Substanz war eine technische Meisterleistung“, erklärt Gardavsky. Daher die vielen Stelen. Das Wort „Stele“ kommt aus dem Griechischen und meint im konkreten Fall „Säule“. Es sind frei stehende monolithische Pfeiler, die mit allerhand Technik ausgestattet sind: Notruf, Nothalt für elektrische Türen, Tastatur, Feuermelder, Warnlampe und so weiter.
Wieder zu den Seitenschiffen: Von hier geht es zu den Garderoben, den Nassräumen, Aufzügen und Stiegenhäusern. Die wuchtigen Säulen tragen die Last der Säulenhalle oberhalb – „16 Tonnen wiegt eine Säule in der repräsentativen Halle darüber“, sagt Gardavsky. Für die neue Tragekonstruktion mussten eine Tischlerei und ein Lager weichen, wo früher Toilettenpapier gebunkert wurde. An ihrer Stelle sind jetzt vier baugleiche Stiegenhäuser. Beton und Glas dominieren – was vorher nicht schon mit Beton versiegelt war, ist es jetzt. Insgesamt wurden 10.000 Kubikmeter Ziegelschutt aus dem Hohen Haus entfernt und noch einmal so viel Erdreich.
Hightech-Säle im neuen Parlament
Neu ist ein Mehrzwecksaal für Veranstaltungen – etwa für Kinder oder Medienvertreter:innen. Hier werden Hausarbeiter:innen viel zu tun haben, um das Mobiliar der hübschen Sitzbänke regelmäßig gegen die Klassenzimmerbestuhlung für Journalist:innen zu tauschen. Der Saal ist mit einer fast 20 Quadratmeter großen Videowand ausgestattet. Hinter der Wand liegt der Ein- bzw. Ausgang, sodass Zaungäste Pressetermine unerkannt mitverfolgen können. Durch einen elektronischen Spion können sie beispielsweise sehen, wie viele Teilnehmer:innen sie erwarten.
Ein paar Türen und Brandabschnitte weiter: ein neuer Raum. Er befindet sich direkt unterhalb des Plenarsaals: Das sogenannte „Lokal 1“ ist der Saal, der zukünftig Untersuchungsausschüsse beherbergen wird – er ist großzügig, hell, schwarzes Leder, furniertes Holz, modernste Ausstattung. Wirklich edel, die neue parlamentarische Anklagebank. Hier werden also künftig bestehende Missstände politisch untersucht werden – das ist wohl eine der wichtigsten Aufgaben, um den abgesplitterten Lack der Bundespolitik auszubessern und die angekratzte Politik wieder in ein Fahrwasser zu bringen, auf das wir stolz sein wollen.
Arbeit im neuen Parlament: „Respekt und Augenhöhe“
Manche sehen das Ansehen der Politik indes weniger angepatzt – Wolfgang Sobotka etwa, erster Nationalratspräsident. Auf die Frage, wie fit die Demokratie in Österreich sei, antwortet er: „Die österreichische Demokratie ist mehr als ,fit‘, sonst hätte sie die großen Herausforderungen der vergangenen Jahre nicht so gut meistern können.“ Doris Bures, zweite Nationalratspräsidentin, sieht das differenzierter: „Was sich leider in den letzten Jahren bei der Regierung des zurückgetretenen Bundeskanzlers eingebürgert hat, ist ein despektierlicher Umgang mit dem Parlament. Für eine funktionierende Demokratie ist es aber unerlässlich, dass alle verfassungsmäßigen Akteur:innen mit Respekt und auf Augenhöhe kooperieren. Dahin müssen wir wieder zurückkehren.“
Duft nach frischem Leder
Einen Stock höher befindet sich der Plenarsaal, unmittelbar über dem „Lokal 1“: Der generalsanierte Raum ist eine Mischung aus Alt und Neu. Hier duftet es nach frischem Leder – es ist mattes schwarzes Rindsleder für die Überzüge der neuen Bestuhlung. Davor die schmalen Pulte der Abgeordneten mit Einlässen für Bildschirme. Jeder Platz verfügt über eine Stromsteckdose und diverse Netzwerkkabel, damit Parlamentarier:innen stets online sein können. Mit der neuen Technik sollen auch elektronische Abstimmungen möglich werden – ein in Österreich immer wieder heiß diskutiertes Thema.
Baulich hat der Plenarsaal einen neuen Boden bekommen und ist entsprechend flacher geworden. Er ist somit rollstuhl- und auch behindertengerecht. Apropos behindertengerecht: Zur besseren Orientierung wurden im ganzen Haus für blinde und sehbehinderte Menschen Bodengravuren und die Brailleschrift in Aufzügen angebracht. Und die Aufzüge können jetzt sprechen, wie das schon in vielen anderen öffentlichen Gebäuden der Fall ist. Ob die wohlvertraute ÖBB-Stimme die Etagen ansagen wird, lässt sich beim Besuch der Medien nicht ermitteln. Und natürlich gibt es im rundumerneuerten Haus sehr viel mehr Aufzüge als früher, womit auch Besucher:innen mit Kinderwagen oder Rollstuhl besser an ihr Ziel kommen sollten. Außerdem wurden Hebe- und Treppenlifte eingebaut.
Ein Blick in den Plenarsaal
Zurück zum Plenarsaal. Ein Novum ist im Hohen Haus, dass Redner:innen nun am Pult des modernisierten Plenarsaals in der Mitte der Regierungsbank stehen – genauso wie es schon jetzt im Ausweichquartier, dem Containerdorf auf dem Heldenplatz, der Fall ist. Seine Tage sind übrigens gezählt. Und die letzten Tage vor der Übersiedlung werden genützt, um Baufalten auszubügeln – etwa die Akustik im Plenarsaal: Rund 50 Tage vor dem Neustart wurde nun endlich auch dieses Problem gelöst; es war eine Probesitzung mit 183 Komparsen nötig, um das Flatterecho zu beseitigen.
Der ganze Raum wurde wirklich aufwendig modernisiert. Hier blieb für einige Zeit im übertragenen Sinn fast kein Stein auf dem anderen. Sogar alle Nussholzlatten, die die Innenwände seit den 1950er-Jahren verzieren, wurden nummeriert, entfernt und nach der Revitalisierung wieder an der ursprünglichen Stelle angeschraubt – ebenso der Bundesadler, der in einer Schmiede in Oberösterreich überholt wurde. Alte Luster wurden gereinigt, generalüberholt und neu verkabelt.
Schutz vor Erdbeben, Feuer und Journalist:innen
Ebenfalls erhalten geblieben sind neben den alten Telefonzellen die Loge des Bundespräsidenten und jene der Diplomat:innen sowie die Sprechzimmer – Erstere aus Denkmalschutzgründen, Letztere, damit sich Abgeordnete zwischendurch weiterhin besprechen können. Beratungen haben sichtlich auch während der Bauarbeiten stattgefunden, denn in einem der Sprechzimmer finden sich Reste von Brötchen. Die Reinigungstrupps im Parlament haben ihre Betriebstemperatur noch nicht ganz erreicht. Die neue verglaste Kuppel dämpft mit ihren Akustiksegeln nicht nur den Schall. Durch sie können Bauarbeiter, Tagesgäste und ab Jänner die Abgeordneten in den Himmel schauen. Sie können sich nicht nur den Reden, sondern auch dem Spiel der Wolken, dem Flug von Flugzeugen und dem Glitzern von Sternen hingeben.
Das revitalisierte Hohe Haus ist selbstverständlich erdbebensicher – alte Dippelbaumdecken wurden mit Beton ausgegossen. Und auch der Brandschutz wurde enorm verbessert: „Da das Parlament in der Vergangenheit ein einziger Brandabschnitt war, wäre es wohl 2021 behördlich geschlossen worden“, mutmaßt der Leiter der örtlichen Bauaufsicht, Gardavsky. Im revitalisierten Gebäude gibt es nun viele neue Brandabschnitte – mit weitreichenden Auswirkungen: Während sich Medienvertreter:innen vor dem Umbau im Hohen Haus weitgehend frei bewegen konnten, „ist unsere Bewegungsfreiheit ab 12. Jänner stark eingeschränkt“, beklagt sich ein Schweizer Journalist beim Presserundgang. Die Treppe von der ersten Etage der Galerie zum Plenum ist schlichtweg abgerissen worden. Der kürzeste Weg zu den Madatar:innen ist damit Geschichte.
Das neue Parlament mit Wow-Effekt
Die neuen Stiegenhäuser und Aufzüge führen hinauf bis unters Dach. Durch all die baulichen Maßnahmen hat das Haus am Ring jetzt 10.000 Quadratmeter mehr Nutzfläche – „in Summe stehen jetzt mehr als 50.000 Quadratmeter zur Verfügung“, sagt Gardavsky. Anstelle der verstaubten Dachböden sind hier jetzt ein Restaurant, eine Kantine und ein Bistro.
Zeichen f Demokratie, Meinungsbildung & Medienfreiheit. Dank an: Heinz Fischer, Renate Anderl, Walter Hämmerle, Eike-Clemens Kullmann, Doris Bures, Martina Zandonella, Wolfgang Katzian, Theresa Hager, Wolfgang Sobotka, Stephan Pühringer, Florian Wenninger. https://t.co/4Qx47yuWNv pic.twitter.com/R8Q7vTwLOL
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) December 8, 2022
Ebenfalls neu: das „Plenarium“ – ein seitlich und nach oben hin verglaster Besucher:innenbereich mit einem atemberaubenden Blick in den Plenarsaal, die Galerien und in den Himmel. Schon allein, um diesen Wow-Effekt zu erleben, lohnt sich der Besuch im Parlament. Unmittelbar daneben befindet sich die Demokratiewerkstatt für Kinder: „Sie sollen es einmal besser machen“, sagt eine Journalistin. Der Parlamentspräsident sieht in dem sanierten Parlamentsgebäude „eine Vielzahl an Möglichkeiten, Demokratie für die Menschen noch erlebbarer zu machen“. 200.000 Menschen sollen das Hohe Haus künftig jedes Jahr besuchen – so der ambitionierte Plan. Bleibt zu hoffen, dass sich noch irgendwo auch ein Raum für eine Reparaturwerkstatt findet, damit sich auch das politische System einem Service unterziehen kann, wenn das nötig ist.