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Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770832665 Coverstory: Kollektiv für das Kollektiv Der KV: Diese gerne verwendete Abkürzung bezeichnet überbetriebliche Vereinbarungen, die zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgeschlossen werden, am häufigsten auf Branchenebene (siehe auch „Gut zu wissen“). In Österreich gelten 800 Kollektivverträge, jährlich werden über 450 verhandelt. Für welches Unternehmen welcher KV gilt, ist in der Gewerbeordnung und dem Wirtschaftskammergesetz geregelt. Kurz zusammengefasst: Es kommt nicht darauf an, welchen Beruf die ArbeitnehmerInnen ausüben, sondern vielmehr darauf, in welcher Branche der Betrieb tätig ist. Die VerhandlerInnen auf Seite der ArbeitnehmerInnen sind gewählt und setzen sich aus BetriebsrätInnen zusammen. Diese wählen den Bundesausschuss, der das Forderungsprogramm erstellt und die Verhandlungen führt (siehe Grafiken). Im Herbst starten die Lohnrunden, traditionell machen die MetallerInnen den Anfang. Die Verhandlungen selbst finden in der Regel in der Wirtschaftskammer Österreich im vierten Wiener Bezirk statt (siehe auch „Reportage: Ein Weg mit vielen Windungen“).
Das Verhandlungsprozedere und die Dauer unterscheiden sich von Branche zu Branche und hängen von Tradition und Mitgliederzahl der jeweiligen Gewerkschaft ab. Die Bandbreite reicht von bilateralen Gesprächen, die innerhalb weniger Stunden abgeschlossen sind, bis hin zu wochenlangen Verhandlungen in großen Gremien. Im Falle der Handelsbeschäftigten geht es um über 400.000 Beschäftigte, bei der Maschinen- und Metallbauindustrie um immerhin 120.000 Arbeitskräfte.

Kühnste Träume
Die Verhandlungsteams der ArbeitnehmerInnen vor Ort teilen sich in das große und das kleine Verhandlungsteam, das sich mit dem jeweiligen Gegenpart auf Arbeitgeberseite zusammensetzt. KV-Verhandlungen erinnern an ein Pingpongspiel: Vorschlag – Gegenvorschlag – Abstimmung mit dem gesamten Team – neuerliche Verhandlungen. „Dass uns die Arbeitgeber sagen: ,Sagt, was ihr haben wollt, wir unterschreiben gleich!‘ gibt es nur in den kühnsten Träumen“, bringt es KV-Experte Peter Schleinbach von der PRO-GE auf den Punkt. Der Vorteil der großen Runde: Gibt es keine Einigung, kann die Gewerkschaft rascher Kampfmaßnahmen beschließen, immerhin repräsentiert das große Team einen Querschnitt der Branche mit den wichtigsten Betrieben.
Von Betriebsversammlungen bis zum Streik ist es aber ein weiter Weg, vor allem Streiks sind in Österreich eher selten: „Wir informieren unsere Mitglieder, was uns angeboten wurde, erklären, wie weit das von unseren Vorstellungen entfernt ist, und fragen, ob sie uns unterstützen“, schildert Schleinbach das Vorgehen der Gewerkschaft. Das sei dann eine Ansage an die Arbeitgebervertreter, „die nicht mehr sagen können, es interessiert keinen“.
Vor den Verhandlungsrunden gilt es wirtschaftliche Rahmenbedingungen abzustecken. „In Österreich werden die KV-Verhandlungen zwar auf Branchenebene geführt, die VerhandlerInnen orientieren sich aber an gesamtwirtschaftlichen Daten und Fakten“, erklärt Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien.

Dunkle Wolken und junge Erfolge
Dazu zählen Inflation, Konjunkturentwicklung, Produktivität und Wirtschaftswachstum. Die AK erstellt zudem Branchenberichte, welche die Verhandlungsteams als Grundlage nutzen. Darin sind etwa Gewinnlagen, Produktivität und Dividenden enthalten. Verhandelt wird stets über das abgelaufene Wirtschaftsjahr. „Die Wirtschaftsvertreter sprechen oft davon, wie schlecht die Lage ist. Sie zeigen Folien mit dunklen Wolken am Horizont, alle Prognosen sind negativ“, berichtet Sascha Ernszt, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). Ein Chefverhandler habe einmal einen familiären Vergleich gezogen: „Er hat erzählt, dass seine Kinder auch hart verhandeln müssen, wenn sie eine Taschengelderhöhung wollen“, so Ernszt. Den düsteren Prognosen der Arbeitgeber stellt die ArbeitnehmerInnen-Seite ein positiveres, aber realistisches Bild entgegen.
Bei den Lehrlingen lag der Fokus heuer auf dem Fahrtkostenersatz in Bezug auf Berufsschulinternate. „Drei Viertel der Jugendlichen besuchen eine Berufsschule in einem anderen Bundesland. Sie mussten die Fahrtkosten oft selbst tragen“, schildert Ernszt die Lage. Nun regelt der KV, dass Unternehmen in Branchen wie der Metall- und Elektro- oder der Bekleidungsindustrie diese Kosten jetzt erstatten. Das passiert je nach Betrieb in Form von Kilometergeld oder Bahnkarten. Viele Betriebe beklagen einen Mangel an Lehrlingen: Das stärkt die Verhandlungsposition der Gewerkschaft. „Wer die Lehre attraktiver machen will, muss den Jugendlichen etwas bieten“, betont Sascha Ernszt.

Lohnschere schließen
Von einem „Meilenstein in der beruflichen Gleichstellung“ spricht PRO-GE-Bundesfrauenvorsitzende Klaudia Frieben und meint damit die volle Anrechnung der Karenzzeiten in der Maschinen- und Metallwarenindustrie sowie dem Metallgewerbe. Bisher wurden nur 22 Monate der Karenzzeiten angerechnet, unabhängig davon, ob die Frau ein oder mehrere Kinder hat. Nun sind es maximal 44 Monate bei zwei Kindern.
Gleiches gilt für Krankenentgelt und Krankengeldzuschuss. „Frauen waren bisher benachteiligt, was das Erreichen der sechsten Urlaubswoche betrifft, ebenso bei Jubiläumsgeldern“, so Frieben. Das habe nun ein Ende. Zudem könnten jene, die sich noch in der Abfertigung alt befinden, mit einem höheren Auszahlungsbetrag rechnen. „Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Lohnschere zu schließen“, betont die PRO-GE-Bundesfrauenvorsitzende (siehe auch Interview zum Thema). Die Karenzzeitenanrechnung soll auch ein Anreiz für Männer sein, länger in Karenz zu gehen. Der Rechtsanspruch auf den Papamonat hingegen bleibt in vielen Branchen weiterhin auf der KV-Wunschliste. Ein Vorreiter in diesem Punkt sind übrigens die Österreichischen Bundesforste: Der Papamonat ist bereits seit drei Jahren im Kollektivvertrag verankert – wenngleich unbezahlt.

Österreich „abgesandelt“?
Im Jahr 2013 sorgte Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl mit der Aussage für Aufregung, der Standort Österreich sei seit 2007 abgesandelt. AK-Chefvolkswirt Markus Marterbauer hält nichts davon, den Standort Österreich schlechtzureden: „Das Lamentieren von Unternehmerverbänden und einzelner Unternehmen ist nicht nur kontraproduktiv, sondern gefährlich. Österreich steht im EU-Vergleich gut da.“ Marterbauer warnt vor einer selbsterfüllenden Prophezeiung: „Wenn man glaubt, der Standort ist schlecht, investiert man nicht in ihn, und dann wird er wirklich schlecht.“ Die Unternehmer würden sich aber ohnehin nicht an das halten, was ihre FunktionärInnen glauben, denn sie investieren „ganz vernünftig“. Das Kollektivvertrags-Wesen sei ein Grundpfeiler für eine erfolgreiche Wirtschaft.
Wirtschaftskammer-Experte Rolf Gleißner hält dem naturgemäß entgegen, dass die angeblich hohe Abgabenquote in Österreich ein Problem sei sowie ein Rückstau an Reformen und mangelnde Investitionsbereitschaft. „Es muss mehr Anstöße geben.“ Somit ist man auch schon mitten in der politischen Auseinandersetzung, die sich auch bei den Kollektivvertragsverhandlungen selbst abspielt.
Es gibt allerdings immer wieder Bestrebungen von Unternehmen, aus dem KV auszusteigen. Kürzlich hat sich etwa der Verband Druck & Medientechnik aus dem System verabschiedet – seine Verbandsbetriebe beschäftigen hierzulande immerhin 8.600 MitarbeiterInnen. Positiv am bestehenden System: Der bestehende KV behält für die ArbeitnehmerInnen seine Gültigkeit. Markus Marterbauer hält es für eine Gefahr, dass Arbeitgeber zunehmend vergessen, dass sie „die großen Profiteure“ des KV-Wesens sind. Was er damit meint? Weil sie aus dem Lohn-Wettkampf herausgenommen sind. Er illustriert den Vorteil folgendermaßen: „Ich weiß, der Konkurrent zahlt den gleichen Lohn, und ich muss mich nicht erkundigen, ob er mich unterbieten kann oder wie die Arbeitsbedingungen in anderen Branchen sind.“ Das spare den Unternehmen viel Zeit und erlaube es ihnen, sich auf Produktion und Innovation zu konzentrieren. Dem gewinnt auch die Gegenseite etwas ab. „Der Wettbewerb wird in Österreich nicht über Löhne ausgetragen, weil es die KV-Untergrenze gibt“, gesteht WK-Experte Gleißner ein.
Gerade für die ArbeitnehmerInnen ist der KV eine wichtige Errungenschaft. „Wenn die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen alle einzeln verhandeln würden, würden viele ihr jetziges Lohnniveau gar nicht erreichen“, betont Marterbauer. „Der Kollektivvertrag hat wesentlich dazu beigetragen, dass Österreich wirtschaftlich so gut dasteht“, ist Marterbauer überzeugt. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist die Streitkultur in Österreich nicht allzu ausgeprägt. Das müsse aber kein Nachteil sein, meint Marterbauer: Hierzulande trage man Konflikte „am grünen Tisch und nicht in der Kampfarena“ aus: „Es wird auf Solidarität in der Gruppe vertraut.“

Langjährige Forderung erfüllt
Im Handel gab es heuer drei Verhandlungsrunden. Dabei wurde eine durchschnittliche Gehaltserhöhung von 1,33 Prozent erzielt. Anita Palkovich war Verhandlerin aufseiten der ArbeitnehmerInnen. Eine langjährige Forderung der Gewerkschaft wurde beim heurigen Abschluss erfüllt: Künftig betragen die Lehrlingsentschädigungen österreichweit im ersten Lehrjahr 570 Euro, im zweiten 720, im dritten 1.020 Euro und im vierten Lehrjahr 1.070 Euro. Das bedeutet ein Plus von bis zu neun Prozent. „Es gab bereits bisher Betriebe, die freiwillig mehr bezahlt haben. Nun gilt überall das Gleiche“, betont Palkovich. Ein weiterer Etappenerfolg: Die Zuschläge für belastende Arbeitszeiten am Abend oder am Wochenende, die als Freizeit abgegolten werden, bleiben erhalten. Wie bei jeder KV-Verhandlung gibt es Forderungen, die in Evidenz für die nächsten Verhandlungen gehalten werden. So bleiben im Handel die volle Karenzzeitenanrechnung, die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche und ein Mindestgehalt von 1.700 Euro Ziele. „Das Mindestentgelt muss rasch auf diesen Wert erhöht werden“, fordert Anita Palkovich. Das bedeutet auch eine (finanzielle) Aufwertung von Teilzeitjobs, die häufig von Frauen ausgeübt werden.

Kampf für höheren Mindestlohn
Man sei auf einem guten Weg: Das Mindestgehalt wird 2017 rund 1.546 Euro betragen. Seit 2010 ist das Minimum-Entgelt im Handel um 22,4 Prozent gestiegen. „Wir tragen bei den Verhandlungen die Verantwortung für über 400.000 Beschäftigte“, meint Palkovich. Eine Erhöhung des Gehalts könne sich auch gesellschaftlich auswirken: „Gibt es in einer derart großen Branche mit einem derart hohen Frauenanteil Fortschritte, so befeuert das unser Anliegen – gleiches Geld für gleiche Arbeit.“
Auch in anderen Branchen kämpfen GewerkschafterInnen um eine Anhebung des Mindestlohns. Canan Aytekin unterschiedliche Fachbereiche wie Tourismus, Eisenbahn, Straße, Gesundheit, Soziale Dienste, Dienstleistung, Gebäudemanagement, Luft und Schiffsverkehr. „Ziel von vida ist die Anhebung des Mindestlohns auf 1.500 Euro in allen Bereichen. Das haben wir bald erreicht, aber es geht leider nicht gleich“ Derzeit liege ein Drittel der KV unter dieser Summe. „Vor Kurzem haben wir bei der Bewachung einen Abschluss erreicht, wo wir noch sieben Euro davon entfernt sind. Da ist leider nicht mehr gegangen“, bedauert sie.
Auch bei der Reinigung liegt man noch ein paar Euro darunter. Sobald die 1.500 Euro in allen Branchen erreicht sind, strebt vida mit 1.700 Euro ein neues Ziel bei den Verhandlungen an. Auch AK-Experte Markus Marterbauer betont die Bedeutung steigender Mindestlöhne: „Beim unteren Einkommensdrittel wandern 80 Prozent der zusätzlichen Einkünfte sofort in den Konsum.“ Das wiederum kurbelt die Wirtschaft an. Bei Kollektivverträgen werden nicht nur die Mindestlöhne und die KV-Löhne erhöht, sondern auch der sogenannte Ist-Lohn. Denn der KV-Lohn ist die Untergrenze, Unternehmen können freiwillig mehr bezahlen. Auch diejenigen, die überbezahlt werden, haben somit eine Gehaltserhöhung.

Rigoros gegen den Schein
Eine Besonderheit im österreichischen KV-System: Auch ArbeitnehmerInnen, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, profitieren davon. Der Hintergrund: Eine Gewerkschaft ist umso stärker, je mehr Mitglieder sie hat. Den IT-Kollektivvertrag, der ArbeitnehmerInnen aus der Datenverarbeitung sowie der Herstellung und dem Datenverkauf umfasst, gibt es seit knapp sechzehn Jahren.
Der KV umfasst rund 5.000 ArbeitnehmerInnen. Charakteristisch für die Branche sind die vielen EinzelunternehmerInnen, die abseits davon stehen – nicht alle freiwillig. „Die sind in vielen Bereichen versteckte Arbeitnehmer“, meint Bernhard Hirnschrodt von der GPA-djp. Die Gewerkschaft gehe gegen Scheinselbstständigkeit rigoros vor.
„Wenn ein Arbeitnehmer nur für einen Auftraggeber arbeitet, Weisungen erhält und eine Art Dienstvertrag hat, ist er kein EPU, sondern ein ganz normaler Angestellter“, hält er fest. Eine Errungenschaft des IT-KV seien flexible Arbeitszeiten und ein Arbeitszeitkonto. Dort können ArbeitnehmerInnen 154 Stunden im Monat ansammeln. Wird diese Marke erreicht, werden die Stunden ausbezahlt oder in Freizeit umgewandelt.

Für die sechste Urlaubswoche
Eine allgemeine Forderung der Gewerkschaften lautet: eine leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche. Zurzeit steht diese jenen zu, die seit 25 Jahren im selben Unternehmen beschäftigt sind. Doch Erwerbsbiografien verändern sich, inzwischen würden laut der GPA-djp weniger als zehn Prozent der Beschäftigten in den Genuss davon kommen.
Auch bei den heurigen Abschlüssen hat es nicht geklappt, sich mit dieser Forderung durchzusetzen. vida-Expertin Canan Aytekin macht mehrere Gründe dafür verantwortlich, an erster Stelle, dass davon eine Signalwirkung für andere Branchen ausgeht. „Wir haben bereits andere Lösungen wie im KV der Sozialwirtschaft, so dass wir das weiter fordern werden.“ Ein Erfolg bei der Verkürzung der Arbeitszeit war die Freizeitoption, ausgehend von der Elektroindustrie im Jahr 2013. 

Bis zu fünf Tage mehr Urlaub
Bei einer Lohnerhöhung von knapp einem Prozent können fünf Urlaubstage mehr herausspringen. Je nach Vereinbarung mit dem Betrieb können die freien Tage einzeln oder für längere Urlaube eingesetzt werden. Eine weitere Option: diese Tage für die Pension anzusparen. Die Arbeitszeitverkürzung steht für die Gewerkschaft weit oben auf der Tagesordnung. Dafür gibt es viele Gründe, nicht zuletzt weil die ArbeitnehmerInnen weniger arbeiten wollen und sich mehr Zeit mit der Familie wünschen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udo.seelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Knopp & Udo Seelhofer Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831694 Kollektivvertragsverhandlungen ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831708 ... Diesen abstrakten Begriff füllen jene mit Leben, die in den Verhandlungsteams sitzen. Eine von ihnen ist Klaudia Frieben, Frauenvorsitzende der PRO-GE. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831716 Canan Aytekin (oben) leitet bei vida die Fachbereiche Tourismus, Eisenbahn, Straße, Gesundheit, Soziale Dienste, Dienstleistung, Gebäudemanagement, Luft- und Schiffverkehr. Anita Palkovich ist Verhandlerin im Handel (GPA-djp). http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770832017 Gut zu wissen Außenseiterwirkung:
Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass Kollektivverträge nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten, sondern für alle Beschäftigten, die in einer Branche arbeiten. Hintergrund dafür ist, dass es sonst für die Unternehmen billiger wäre, Menschen einzustellen, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind 
(siehe auch „Fragen an den Experten“).

Betriebs(teil)übergang:
Wenn ein Unternehmen von einem neuen Eigentümer übernommen wird und dieser eine andere Gewerbeberechtigung hat als der bisherige, wechselt auch der KV für die Beschäftigten. Löhne und Gehälter der Beschäftigten dürfen dadurch allerdings nicht verschlechtert werden. Wenn der/die neue EigentümerIn keinem Kollektivvertrag unterliegt – was in Österreich durch die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern sehr selten vorkommt –, bleibt der bestehende KV aufrecht.

Betriebsvereinbarung (BV):
Schriftliche Vereinbarung, die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossen wird. Darin werden Fragen geregelt, die das Gesetz oder der Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung überträgt. Es gibt verschiedene Typen von Betriebsvereinbarungen,  die Bandbreite reicht von notwendigen bis zu freien Vereinbarungen. In den freien Betriebsvereinbarungen können beispielsweise folgende Themen geregelt werden:

  • Gesundheitsschutz und Schutz vor 
Arbeitsunfällen
  • Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • Urlaubsordnung
  • Betriebliche Pensionsregelungen

Freiwillige Vereinbarungen kommen nur zustande, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat einigen. Erzwingbare Betriebsvereinbarungen wiederum können auch mittels Schlichtungsstelle durchgesetzt werden. In diesen können beispielsweise folgende Aspekte geregelt werden:

  • Verhaltensregeln im Betrieb
  • Regelungen über Leiharbeitskräfte
  • Arbeitszeitregeln
  • Auszahlung der Löhne: wann und für welchen Zeitraum
  • Benützung von Betriebsmitteln

Bei der Einführung von bestimmten Maßnahmen muss der Betriebsrat unbedingt zustimmen. Daher nennt man diese Zustimmung auch notwendige Betriebsvereinbarungen. Bei folgenden Themen ist dies vorgesehen:

  • Betriebliche Disziplinarordnung
  • Leistungslohnsysteme
  • Maßnahmen und Systeme zur Kontrolle der ArbeitnehmerInnen, sofern diese die Menschenwürde berühren

Mehr: tinyurl.com/za78xvt  

Bundeseinigungsamt:
Zu den Aufgaben dieser Behörde zählen die Festsetzung von Mindestlohntarifen, Heimarbeitstarifen und Lehrlingsentschädigungen sowie die Erklärung von Kollektivverträgen zur Satzung. Das Bundeseinigungsamt entscheidet darüber, ob freiwilligen Berufsvereinigungen und Vereinen die „Kollektivvertragsfähigkeit“ zu- oder aberkannt wird. Sollte es zu Streitigkeiten über die Auslegung eines KV kommen, kann das Bundeseinigungsamt schlichtend eingreifen. Wird im Zuge der Schlichtung eine Vereinbarung erzielt, so gilt diese als Kollektivvertrag. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass beide Parteien vorher schriftlich erklären, sich dem Schiedsspruch zu unterwerfen. Das Bundeseinigungsamt ist beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz eingerichtet.

Dienstzettel:
Im Dienstzettel werden die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag festgehalten. Da ein Arbeitsvertrag nicht schriftlich abgeschlossen werden muss, ist das Recht auf Ausstellung eines Dienstzettels besonders wichtig. Arbeitgeber sind zur Ausstellung eines Dienstzettels verpflichtet, der Mindestinhalt ist gesetzlich vorgeschrieben, unter anderem muss die Kollektivvertragszugehörigkeit angeführt sein. Um zu überprüfen, ob man dem richtigen KV zugeordnet ist, kann man auch einen Blick in den Lohn- oder Gehaltszettel werfen.
Mehr: tinyurl.com/jjgbosz,
www.derlohnzettel.at

Gegnerunabhängigkeit:
Dabei handelt es sich um eine wesentliche Voraussetzung, um die Kollektivvertragsfähigkeit erreichen zu können. Gegnerunabhängigkeit bedeutet, dass die betreffende Organisation eindeutig der Seite der Arbeitgeber oder der ArbeitnehmerInnen zuzuordnen sein muss und in der Willensbildung von der anderen Seite unabhängig ist.

Geltungsbereich:
Hier wird unterschieden zwischen fachlichem, räumlichem und persönlichem Geltungsbereich. Der fachliche Geltungsbereich bestimmt die Branche, für die der Kollektivvertrag abgeschlossen wurde. Der räumliche Geltungsbereich legt fest, in welchen Bundesländern der KV gilt, und der persönliche Geltungsbereich beschreibt die Personengruppe, für die der KV anzuwenden ist.

Geltungsdauer:
Ein Kollektivvertrag kann sowohl für eine bestimmte Zeit als auch unbefristet abgeschlossen werden. Enthält der KV keine Vorschriften zum Beginn der Wirksamkeit (dieser ist auch rückwirkend möglich), so beginnt seine Wirkung mit dem auf die Kundmachung im Amtsblatt der „Wiener Zeitung“ folgenden Tag. Unbefristete Verträge können nach einem Jahr von jedem Vertragspartner innerhalb einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Für ArbeitnehmerInnen gilt der alte Kollektivvertrag so lange, bis ein neuer KV oder eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird (= Nachwirkung).

Generalkollektivvertrag:
Ein solcher KV wird vom ÖGB als Dachverband aller Gewerkschaften und der Wirtschaftskammer Österreich abgeschlossen. Er gilt österreichweit für die überwiegende Anzahl der Wirtschaftszweige in Österreich. Generalkollektivverträge beschränken sich immer auf die Regelung einzelner Arbeitsbedingungen. So wurde etwa für die Entgeltfortzahlung bei Krankheit ein Generalkollektivvertrag abgeschlossen, der für alle Betriebe der gesamten gewerblichen Wirtschaft und deren ArbeitnehmerInnen gilt. Ein weiteres Beispiel ist der Generalkollektivvertrag für die Berechnung des Urlaubsentgeltes, der anlässlich der Einführung des Urlaubsgesetzes abgeschlossen wurde. Auch die letzte Arbeitszeitverkürzung, also die etappenweise Einführung der 40-Stunden-Woche in Österreich, wurde per General-KV umgesetzt.
 
Günstigkeitsprinzip:
Vom Kollektivvertrag abweichende Betriebsvereinbarungen und individuelle Vereinbarungen sind nur dann gültig, wenn sie für die oder den Beschäftigte/n günstiger sind als Regelungen im entsprechenden Kollektivvertrag.

Kampfmaßnahmen:
Um den Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen – sollte sich diese bei den KV-Verhandlungen wichtigen Forderungen verschließen –, kann die ArbeitnehmerInnen-Seite Kampfmaßnahmen beschließen. Die Bandbreite dieser Maßnahmen reicht von der Information der Belegschaft bis hin zu Streiks.

Kollektivvertragsfähigkeit:
Im Gesetz sind keine genauen Kriterien, wie etwa Mitgliederzahlen, angeführt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Interessenvertretung auch Kollektivverträge für ihre Mitglieder verhandeln kann. Es definiert aber Rahmenbedingungen: Entscheidend ist etwa „die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung“ der Einrichtung, die durch eine entsprechende Mitgliederzahl erreicht wird. Außerdem muss das Prinzip der Gegnerunabhängigkeit gewahrt sein. Und der Umfang der Tätigkeiten der Interessenvertretung muss in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich stattfinden. Durch diese Voraussetzungen soll eine einheitliche Lohn- und KV-Politik gewahrt werden, indem Splitterorganisationen und sogenannte „gelbe“ Organisationen verhindert werden. Gesetzliche Interessenvertretungen wie die Kammern sind per Gesetz kollektivvertragsfähig. Das heißt aber nicht automatisch, dass sie auch in der Praxis Verhandlungspartner sind. Aufseiten der ArbeitnehmerInnen verhandeln traditionell die Gewerkschaften und nicht die Arbeiterkammer. Dem ÖGB und seinen Teilgewerkschaften wurde im Jahr 1947 die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt.

Kollision von Kollektivverträgen:
Davon spricht man, wenn für ein und dasselbe Arbeitsverhältnis zwei oder mehrere Kollektivverträge angewendet werden könnten. Dies kann dann der Fall sein, wenn ein Arbeitgeber mehrere Gewerbeberechtigungen hat. Es gibt aber auch Fälle, wo ArbeitnehmerInnen in zwei oder mehr Betrieben eines Unternehmens oder in organisatorisch abgegrenzten Betriebsabteilungen beschäftigt sind, für die unterschiedliche Kollektivverträge gelten.
Mehr: tinyurl.com/zbfgggb

Lohnleitlinie:
Für die Forderungen bei Kollektivvertragsverhandlungen orientiert man sich an der sogenannten Benya-Formel: (Prognostizierte) Inflationsrate plus Arbeitsproduktivität, also das mittelfristige Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion pro ArbeitnehmerIn. Im Jahr 2000 empfahl der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) seinen Mitgliedern, sich bei Lohnverhandlungen an der nach dem 2001 verstorbenen, langjährigen ÖGB-Präsidenten Anton Benya benannten Formel zu orientieren.
Mehr: tinyurl.com/judyqc2

Mindestlohntarif:
Durch Mindestlohntarife soll für Beschäftigte, deren Löhne und Gehälter nicht per Kollektivvertrag geregelt werden können, der erforderliche sozialpolitische Schutz gewährleistet werden. Davon betroffen sind: Haus- und AnlagenbetreuerInnen und HausbesorgerInnen, HausgehilfInnen und Hausangestellte, ArbeitnehmerInnen in privaten Bildungseinrichtungen, Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Privatkindergärten und Au-Pair-Kräfte. Mindestlohntarife werden auf Antrag einer kollektivvertragsfähigen AN-Körperschaft durch das Bundeseinigungsamt festgesetzt. Die Behörde ersetzt damit sozusagen den fehlenden KV-Partner auf der Arbeitge­berseite.
Mehr: tinyurl.com/gl2vasr

Normwirkung:
Die Bestimmungen eines Kollektivvertrages/einer Satzung sind für alle Arbeitsverhältnisse innerhalb des fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereiches des KV unmittelbar rechtsverbindlich, haben also die gleiche Geltung wie Gesetze. Davon ausgenommen sind nur KV-Bestimmungen zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien.

Satzung:
Verordnung zur Erweiterung des Geltungsbereiches eines Kollektivvertrages. Mit der Satzung soll sichergestellt werden, dass Arbeitgeber derselben Branche, die nicht vom Kollektivvertrag erfasst sind, ihren Arbeitskräften die gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen bieten, wie es im KV vorgesehen wäre. Zuständig für die Satzung ist das Bundes­einigungsamt. Soll eine Satzung vorgenommen werden, muss eine Kollektivvertragspartei einen entsprechenden Antrag stellen.
 
Tarifeinheit:
Grundsatz, dass für ein Arbeitsverhältnis und für jeden Betrieb nur ein KV angewendet werden soll.

Unabdingbarkeit:
KV-Bestimmungen können weder durch Betriebsvereinbarungen noch durch einen Arbeitsvertrag abgeschwächt oder beschränkt werden. Sollte eine BV oder ein Einzelarbeitsvertrag zwingenden KV-Vorschriften widersprechen, so gilt das Günstigkeitsprinzip. Anders ausgedrückt: Die Rechte aus dem KV können nicht „abbedungen“ werden, man kann sich Rechte aus dem KV also nicht „abkaufen“ lassen.

Linktipp:
www.kollektivvertrag.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen afadler@aon.at und martin.mueller@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin</br>Martin Müller, ÖGB Sozialpolitik Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770832011 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770832003 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831989 Die Spaltung der Lohnabhängigen Wozu eigentlich Kollektivverträge, wo sich doch alles viel besser auf individueller Ebene oder im Betrieb lösen ließe? Immer wieder geistert diese Forderung durch die Medien, mal von Konservativen aufgestellt, mal von Liberalen, mal von Freiheitlichen. Den Hintergrund dieser Vorschläge bildet die in den letzten Jahren autoritär durchgesetzte Vertiefung des Neoliberalismus in Europa. Gerne wird das Abgehen von branchenweiten Kollektivverträgen damit begründet, dass „das Klassendenken von früher“ nicht mehr zeitgemäß sei. Es ist jedoch so aktuell wie eh und je.

Ungleiche Machtverhältnisse
Bevor sich die Lohnabhängigen dieses Recht erkämpften, standen sie in Lohnverhandlungen ungeschützt der Macht der Unternehmen gegenüber. Denn unter kapitalistischen Verhältnissen sind die einen gezwungen, ihre Arbeit zu verkaufen, um sich das Leben leisten zu können (daher auch Lohnabhängige), während die Unternehmer über die betriebliche Infrastruktur und damit auch über die Bedingungen der Arbeit (Lohn, Arbeitszeit …) verfügen.
Genau dieser ungleichen Spielanordnung wirken branchenweite Kollektivverträge entgegen. Durch die im Kollektivertrag gebündelte Handlungsmacht der vielen können Lohnerhöhungen verhandelt und notfalls durch Arbeitskampf durchgesetzt werden. Auch abseits des Lohnes stellen die organisierten Lohnabhängigen in diesem Wege einen Interessenausgleich sicher, der innerbetrieblich oft nicht möglich wäre. So werden Erleichterungen für die Unternehmer wie etwa die Flexibilisierung der Arbeitszeit und die damit verbundenen Belastungen für die Arbeitenden durch Maßnahmen wie Zuschläge und Arbeitszeitverkürzung ausgeglichen.
Auf sich allein gestellt oder auf Ebene des Betriebes (man denke nur an die Drohung der Standortverlegung) hingegen haben die Lohnabhängigen kaum eine Gegenwehr zur Macht der Unternehmen. Es sind also jene, welche die Einschränkung der Kollektivverträge fordern, die Klassenkampf betreiben – und zwar von oben.

Tariföffnung? Nein danke!
Österreich hat trotz starker Tendenz zur Ausweitung unsicherer Arbeitsverhältnisse mit rund 98 Prozent innerhalb Europas noch die mit Abstand größte Kollektivvertragsabdeckung. Der Grund dafür ist vor allem die verpflichtende Mitgliedschaft des Großteils der Unternehmer in der Wirtschaftskammer, welche einen Gutteil der Kollektivverträge verbindlich für ihre Mitglieder abschließt. Nach dem deutschen Vorbild wird in den letzten Jahren von manchen eine sogenannte „Tariföffnung“ gefordert, die es Betrieben ermöglichen soll, den Kollektivvertrag zu unterlaufen und weniger als darin vorgesehen zu zahlen – wenig überraschend das Eintrittstor zu einem Wettbewerb nach unten und ein klarer Vorstoß zur Schwächung der Gewerkschaften.

Sinkende KV-Abdeckung
Modell dafür ist die im Wege der europäischen Krisenpolitik autoritär durchgesetzte Vertiefung neoliberaler Politik: Waren etwa 2008 in Portugal noch 1,9 Millionen durch einen Kollektivvertrag geschützt, sind es heute weniger als dreihunderttausend. In Spanien führte die Dezentralisierung der Lohnverhandlungen dazu, dass 7,4 Millionen Menschen nicht mehr kollektiv, sondern auf Betriebsebene allein der Macht der Unternehmen gegenüberstehen. Die dadurch gestiegenen Profite der Unternehmer drücken sich überall in massiven Gehaltseinbußen der Lohnabhängigen aus – in Griechenland verloren die Arbeitenden gar ein Viertel ihres Einkommens. Dass dieser lohnpolitische Interventionismus ausdrücklich das Ziel der Krisenpolitik war, beschrieb die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen (das „Finanzministerium“ der EU-Kommission) selbst mit den Worten, dass es in den „Reformen“ der letzten Jahre „darum geht, die Lohnsetzungsmacht der Gewerkschaften zu schwächen“.
Solche tiefen Einschnitte lassen sich demokratisch kaum durchsetzen. Es überrascht daher nicht, dass die Instrumente dieser Politik großteils abseits der Rechtsstaatlichkeit errichtet wurden: Wie Studien zeigen, verstießen die Auflagen der Troika gegen gewerkschaftliche Grundrechte und gegen Menschenrechte. Die neue Wirtschaftsregierung der EU (New Economic Governance), die seit ihrer Einrichtung Druck zur Verlagerung der Lohnverhandlungen auf die Betriebsebene macht, findet keine Grundlage in den europäischen Verträgen. Dank eines durchgesickerten Briefes wissen wir heute, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Gegenzug für die Unterstützung Spaniens und Italiens die „Reform der Arbeitsmärkte“ im Verordnungswege verlangte.
Das jüngste Beispiel für eine autoritär durchgesetzte Verlagerung der Lohnverhandlungen auf die Betriebsebene und eine Verlängerung der Arbeitszeit bildet Frankreich: Den eigentlich wegen der Terrorattentate verhängten Ausnahmezustand nutzte die Regierung zu Demonstrationsverboten und Hausarresten gegen GewerkschaftsaktivistInnen. Letztlich wurde das neue Arbeitsgesetz im Wege eines Notparagraphen durch das Parlament gelotst.

Starker Gegenwind
Es ist dieser durch die Krisenpolitik verstärkte Wind im Rücken der Unternehmerverbände, der zunehmend auch für ein raues Klima in den überbetrieblichen Kollektivvertragsverhandlungen in Österreich sorgt. Dies ist umso erstaunlicher, als gerade das österreichische Kollektivvertragsmodell ein halbwegs stabiles Durchstehen des ersten Krisenschubes ermöglichte. Entsprechende Vorstöße von der FPÖ, die sich selbst gern als Partei des kleinen Mannes verkauft, und die Wortmeldungen von Teilen der ÖVP und der Industriellenvereinigung müssen daher als Versuch gelesen werden, auch in Österreich ein neoliberales Reformbündnis zu schmieden. Der Wunsch, die Profite der Unternehmen durch schlechtere Arbeitsbedingungen zu steigern, lässt sich allerdings nur erreichen, wenn die kollektive Macht der Lohnabhängigen geschwächt wird.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass in letzter Zeit wieder verstärkt eingefordert wird, die Kernbereiche Zeit und Geld vom Kollektivvertrag auszunehmen. Dieses Ziel fand sich im Übrigen bereits im Jahr 2000 im schwarz-blauen Regierungsprogramm, erwies sich aber letztlich als nicht durchsetzbar. Die Hoffnung dahinter: dass auf betrieblicher Ebene eine schnellere Zustimmung des Betriebsrats oder gar des/der einzelnen Lohnabhängigen zu einem „geringeren Preis“ erzwungen werden kann.

Nicht spalten lassen!
Ein solches „Reformbündnis“ kann nur dann erfolgreich sein, wenn es ihm gelingt, die Lohnabhängigen zu spalten. Derzeit lassen sich grob drei Linien ausmachen: erstens Forderungen nach einer Dezentralisierung der Lohnverhandlungen fordern. Zweitens die in den letzten Jahren erzwungenen „Arbeitsmarktreformen“ in den EU-Mitgliedstaaten. Denn sie setzen die Lohnabhängigen der verschiedenen Länder zueinander in einen verschärften Wettbewerb. In ähnlicher Weise funktionieren drittens auch Vorschläge wie die Reduzierung der Mindestsicherung und der Zwang zur Annahme von Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte. Indem die Lohnabhängigen auf Basis ihrer Herkunft gegeneinander ausgespielt werden, sollen letztlich soziale Einschnitte für alle vorbereitet und Lohndumping betrieben werden. Dagegen gilt es das, was im Kern des Wortes Kollektivvertrag steckt, zu verteidigen und immer wieder neu herzustellen: Solidarität und demokratische Organisierung aller Lohnabhängigen zur Schaffung von gemeinsamer Handlungsmacht.

Linktipps:
Europaweite Stärkung der KV-Systeme gefragt:
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IG Metall: „Wie durch europäischen Druck nationale Tarifvertragssysteme zerstört werden“
tinyurl.com/znubz3x
Lukas Oberndorfer: „A New Economic Governance through Secondary Legislation?“, in: Bruun, Lörcher, Schömann (Eds)
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Susanne Haslinger, Rechtsschutzsekretärin PRO-GE</br>Lukas Oberndorfer, Abteilung EU & Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831983 Zum Vergrößern auf die Abbildung klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831969 Optimismus und Kampfgeist Man könnte in diesen Tagen ja der Ansicht sein, der Neoliberalismus habe langsam, aber sicher ausgedient. Man könnte darauf hoffen, dass die Regierenden in Europa verstanden hätten, dass die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, die Deregulierung der Wirtschaft und die Prekarisierung der Arbeitswelt die gespenstischen Erfolge der neurechten Demagogen von Hofer bis Trump mit ermöglicht haben. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass mithin deren weiterer Rückbau eine schlechte Idee ist.
Denkt man dagegen an die Angriffe auf den 8-Stunden-Tag oder die Auseinandersetzungen um die Tarifeinheit zurück, die in Deutschland allein in den vergangenen zwei Jahren zu beobachten waren, so wird schnell deutlich, dass die Hegemonie marktliberalen Denkens keineswegs gebrochen ist. Von den Plänen der rechtsradikalen „AfD“, die davon träumt, den Mindestlohn wieder abzuschaffen und den Arbeitsmarkt weiter zu deregulieren, gar nicht zu reden.

Dramatische Einbrüche
Auch beim Vergleich von Tarifbindung oder Mitgliederzahlen der 1990er-Jahre mit der Gegenwart wird die dramatische Entwicklung der deutschen Arbeitsbeziehungen im Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich. So haben die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vertretenen Mitgliedsgewerkschaften zwischen 1991 und 2012 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Auch die Tarifbindung brach dramatisch ein, Flächentarifverträge erfassen gegenwärtig keine 20 Prozent der Beschäftigten mehr. Jüngst erst wurde vermeldet, die Gesamtzahl der Beschäftigten habe mit über 43 Millionen einen Rekordstand erreicht. Zugleich ist der Anteil sogenannter atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf rund 40 Prozent angestiegen.

Druck auf Nachbarländer
Das Fundament des „deutschen Jobwunders“ – das regelmäßig als Beleg dafür herhalten muss, dass die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder sinnvoll gewesen sei – ist also eine drastische Schwächung der Gewerkschaften. Sie hatte eine weitgehende Fragmentierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes zur Folge, verbunden mit der Schaffung des größten Niedriglohnsektors in Europa. Und dies wiederum übt massiven Druck auf die Nachbarländer, darunter auch Österreich, aus.
So weit, so schlecht, jedenfalls aus Sicht des DGB und der Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland und Europa. Und doch gibt es Gründe zu vorsichtigem Optimismus, und das nicht nur, weil die größte Volkswirtschaft Europas es nach jahrelanger Knochenarbeit der DGB-Gewerkschaften endlich geschafft hat, einen Mindestlohn einzuführen, auch wenn dieser kaum genügend Geld zum Leben lässt. Vielmehr haben die deutschen Gewerkschaften in den vergangenen Jahren den Abwärtstrend deutlich gebremst und zu neuem Selbstbewusstsein gefunden – und zwar nicht nur die betont selbstbewusst auftretende IG Metall.
Davon zeugen die zahlreichen Arbeitskämpfe etwa bei den Sozial- und Erziehungsdiensten, bei der Post oder im Flugverkehr. Davon zeugt ein stetiger Anstieg der Streiktage in den letzten Jahren auf allein zwei Millionen Arbeitstage in 2015. Davon zeugen aber auch verstärkte Bemühungen um die Erneuerung der eigenen Organisationstrukturen und neue Plattformen zum innergewerkschaftlichen Austausch wie etwa die Konferenz „Gemeinsam gewinnen – Erneuerung durch Streik“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Ende September bereits zum dritten Mal in Frankfurt am Main stattfand.

Wirksame Solidaritätsaktionen
Wie können Gewerkschaften wieder durchsetzungsfähiger werden? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Konferenz. So haben Streiks in Öffentlichkeit und Politik immer öfter ein negatives Image. Dazu kommt, dass den Arbeitgebern meistens kaum noch wirtschaftlicher Schaden durch die Arbeitsniederlegung zugefügt werden kann. Das ist nicht zuletzt eine Folge von Deregulierung und Fragmentierung, durch die es leichter wird, Beschäftigte gegeneinander auszuspielen. Hier kommt ein anderer Aspekt zum Tragen, der immer wieder als wichtiges und zentrales Mittel in Arbeitskämpfen betont wurde: die Solidarität der Beschäftigten untereinander. Carsten Becker von der Berliner Charité machte etwa darauf aufmerksam, wie wichtig Solidarität und Zuspruch von anderen ArbeitnehmerInnen für Streikende sind. Er wies auf die einfache, aber wirksame Methode hin, Fotos oder Videos zu Solidaritätsaktionen zu machen und diese den Streikenden zu schicken. Das hatte schon den Charité-Streikenden viel Kraft gegeben.
In vielen Veranstaltungen der Konferenz wurde ein Grundgedanke erkennbar, der maßgeblich zum neuen Selbstbewusstsein beigetragen hat und der dem sogenannten Organizing entlehnt ist. Dahinter verbirgt sich ein in den Ghettos amerikanischer Großstädte entwickelter Baukasten verschiedener Empowerment-Werkzeuge, die zunächst von US-Gewerkschaften und seit einigen Jahren auch von den deutschen Kollegen übernommen wurden. Das durchgehende Prinzip beim „Organizing“ wird treffend mit der Parole auf den Punkt gebracht: „Never do for a worker what he can do for himself“.
Schlagkräftig werden

So erhalten die Beschäftigten, die sich beim Online-Giganten Amazon gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen wehren, ebenso logistische und moralische Unterstützung wie die Hamburger Wachleute, die höhere Löhne forderten. Den eigentlichen Arbeitskampf aber müssen und sollen sie selbst führen, auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber, während die Funktionäre aus der Zentrale im Hintergrund bleiben. Auf diese Weise wandeln sich Gewerkschaften von großen, trägen Stellvertreter-Organisationen zu schlagkräftigen, basisdemokratischen Organisationen, die effektive Unterstützung dort bieten, wo sie gebraucht wird – und die wie nebenbei die Demokratie von innen heraus erneuern.
Der Streik als der Kristallisationspunkt gewerkschaftlicher Machtausübung steht im Zentrum dieser Strategie, denn: „Streik stellt immer die Macht­frage“, so der langjährige Organizing-Theoretiker und Aktivist Juri Hälker. „Streik hat immer einen emanzipatorischen Charakter“, ergänzte der stellvertretende Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Thomas Händel.
Wie relevant diese Machtfrage heute nicht nur in Deutschland ist, zeigte auch der Vortrag von André Hemmerle, Vorstandsmitglied der französischen Nahrungsmittelgewerkschaft CGT-FNAF, der von den Streiks und Aktionen gegen die geplante Arbeitsgesetzgebung in Frankreich berichtete. Diese wird nebenbei bemerkt häufig mit der rot-grünen Agenda-Politik verglichen, deren Folgen für Gewerkschaften und Arbeitswelt eingangs beschrieben wurden.
Dass sich Gewerkschaften in Europa gegen Versuche wehren müssen, die oft ohnehin eingeschränkten Spielräume weiter zu beschneiden, das wurde auch an anderen Stellen der Tagung deutlich. So erinnerte Thomas Händel daran, dass die von den EU-Institutionen erzwungene antigewerkschaftliche Gesetzgebung der letzten Jahre in Griechenland fatale Auswirkungen auf ganz Europa haben dürfte, so sie ohne koordinierte gewerkschaftliche Gegenwehr bliebe: „Das macht nicht halt vor den Grenzen in Europa, das schwappt zu uns zurück.“

Vor dem Hintergrund des massiven Rechtsrucks in Europa und den USA machte die Frankfurter Konferenz fast schon ungewollt deutlich, wie eng wirtschaftlicher Ausgleich und Demokratie verbunden sind und warum die Beschneidung gewerkschaftlicher Macht und gewerkschaftlicher Rechte stets ein Alarmsignal für die politische Entwicklung einer Gesellschaft ist. In Ungarn etwa lässt sich seit Jahren beobachten, wie rechtsautoritäre Machthaber mit ArbeitnehmervertreterInnen umspringen, in den USA dürften in dieser Hinsicht finstere Zeiten anbrechen.

Stürmische Zeiten
Der autoritäre Kapitalismus, wie er mit Figuren wie Donald Trump, Marine Le Pen oder auch Norbert Hofer aufzieht, fordert gegenwärtig die Demokratie heraus. PolitikerInnen und Parteien scheinen häufig zu schwach, um den Aufwärtstrend der Rassisten und Antidemokraten zu stoppen. Gewerkschaften können hier eine wichtige Aufgabe übernehmen, die weit über die Verteidigung ihrer ureigenen Rechte hinausgeht. Sie könnten ein weiteres Mal in ihrer Geschichte Avantgarde in stürmischen Zeiten sein.

Linktipp:
Dokumentation der Streikkonferenz 
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Lukas Franke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831963 Die dritte Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung schaute auf Arbeitskämpfe in Deutschland zurück und fragte nach den Möglichkeiten organisierter Gegenwehr gegen die Zumutungen einer fragmentierten Arbeitswelt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831949 Zeit ist Geld Im Arbeitsverhältnis gibt es zwei wesentliche Interessenbereiche: Zeit und Geld. Beide sind Kernelemente der Kollektivverträge – wenig überraschend, dass genau diese zunehmend unter Beschuss geraten. Gleichzeitig wird gebetsmühlenartig eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit gefordert, selbstredend unter Ausdehnung der Höchstarbeitszeit. Auch an der vermeintlichen Inflexibilität sollen die Kollektivverträge schuld sein. Tatsächlich aber gibt es in Österreich bereits mannigfaltige Möglichkeiten einer Arbeitszeitflexibilisierung – doch sie haben ihren Preis. Und das ist gut so.

Gehörige Ausnahmen
Unser Arbeitszeitrecht kennt zwei relativ simple Grundregeln: Acht Stunden am Tag/40 Stunden in der Woche – jede Arbeitsleistung, die darüber hinausgeht, stellt eine zuschlagspflichtige Überstunde dar. In der Tat, sehr flexibel klingt das nicht. Doch arbeitet in der Realität kaum jemand nach diesem starren Schema. Keine Regel ohne gehörige Ausnahmen: Schichtarbeit, Gleitzeit, „lange Woche – kurze Woche“, Freitag-Frühschluss, Einarbeiten von Fenstertagen, Bandbreitenmodelle (die klassischen Flex-Zeit-Modelle), Durchrechnung im Handel, Sonderüberstunden im wirtschaftlichen Notfall, Arbeitsbereitschaft … Das Arbeitszeitgesetz strotzt nur so von Formulierungen wie „abweichend von“ oder „kann zugelassen werden“. Es macht sich aber nicht selbst die Finger schmutzig, sondern delegiert diese Entscheidung weiter – in aller Regel an den Kollektivvertrag und nur in sehr untergeordnetem Ausmaß an die Betriebsvereinbarung.

Garant des Interessenausgleichs
Das Gesetz ermächtigt den Kollektivvertrag, bestimmte andere Verteilungen der Arbeitszeit zu regeln, ja mehr noch: diese überhaupt erst zuzulassen. Völlig im rechtsfreien Raum findet dies natürlich nicht statt, das Gesetz gibt dem Kollektivvertrag daher gewisse Rahmenbedingungen mit. Macht der Kollektivvertrag von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch, kann das entsprechende Modell innerbetrieblich in aller Regel nicht eingeführt werden. Um niemandem einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, gilt dies bundesweit für die gesamte Branche. Der Kollektivvertrag stellt daher mit Abstand das wichtigste Instrument der Arbeitszeitflexibilisierung dar.
Mit den erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten, die das Arbeitszeitgesetz den Kollektivvertragsparteien damit gibt, geht auch eine große Verantwortung einher. Wesentliche Aufgabe der Kollektivvertragsparteien ist es daher, Nachteile und Gefahren im Zusammenhang mit einer abweichenden Gestaltung von Arbeitszeit auszugleichen.

Maßnahmen zum Ausgleich der negativen Auswirkungen vor allem schwankender Arbeitszeiten sind üblicherweise:

  • Zuschläge für Stunden, die im neuen Arbeitszeitmodell eigentlich Normalarbeitszeit darstellen, zusätzliche geblockte Freizeit,
  • autonomer Verbrauch der erworbenen Freizeit,
  • Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit etc.

Damit sind Arbeitszeitregelungen aufs Engste mit kollektiven Lohnregelungen verknüpft. Doch genau daran stoßen sich jene PolitikerInnen, die wiederholt eine Zurückdrängung der Kollektivverträge in Arbeitszeitfragen fordern. Derartige Verhandlungsergebnisse machen die neu gewonnene Flexibilität (zu Recht!) teuer. Wie praktisch wäre es doch, diese lästigen Verhandlungen künftig nur noch auf Betriebsebene führen zu müssen!

Machtungleichgewicht
Gerade im Arbeitszeitrecht besteht die Gefahr, dass bei Fehlen überbetrieblicher zwingender Regelungen der Schutz vor überlangen, gesundheitsschädlichen Arbeitszeiten sowie des Privat- und Familienlebens nicht mehr gewährleistet werden kann. Auf betrieblicher Ebene besteht sehr schnell ein Machtungleichgewicht, zu groß ist die Gefahr, dass die die BetriebsrätInnen unter Druck gesetzt und – z. B. unter der Androhung einer Standortverlegung – zum Abschluss vollkommen unausgewogener Vereinbarungen getrieben werden.
Zudem räumt bereits der Gesetzgeber dem Kollektivvertrag wesentlich weitreichendere Befugnisse ein, als dies bei einer Betriebsvereinbarung der Fall ist. Im Kollektivvertrag können daher relativ problemlos Maßnahmen getroffen werden, die auf betrieblicher Ebene bes­tenfalls in eine sogenannte „freie“ Betriebsvereinbarung gegossen werden können. Die rechtlichen Wirkungen einer solchen sind aber seit jeher Zankapfel der Rechtswissenschaft, und sie bieten nicht immer den rechtlichen Bestand wie eine „echte“ Betriebsvereinbarung oder gar ein Kollektivvertrag (siehe auch „Gut zu wissen“).

Rolle der betrieblichen Ebene
Die konkrete innerbetriebliche Ausgestaltung des Arbeitszeitmodells selbst überlässt der Kollektivvertrag oft sehr wohl der Betriebsvereinbarung: Es macht keinen Sinn, mehr als den Rahmen und die Bedingungen branchenweit zu regeln. Insgesamt ist eine Delegierung der Entscheidung auf Betriebsebene immer dann risikolos und auch sinnvoll, wenn es sich um ein Arbeitszeitmodell handelt, das nicht oder nur sehr eingeschränkt in die Interessen der ArbeitnehmerInnen eingreift.
Das klassische Beispiel hierfür ist die Gleitzeit, und sie ist gleichzeitig das einzige Arbeitszeitmodell, das ArbeitnehmerInnen eine Autonomie hinsichtlich Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit gibt. Sie ist daher auch Gegenstand einer Betriebsvereinbarung und nicht des Kollektivvertrags. Genau dasselbe gilt auch für Regelungen wie „Freitag-Frühschluss“ oder Vereinbarungen, mittels derer Fenstertage zwischen Feiertagen über einen längeren Zeitraum eingearbeitet werden.
Dort, wo die sozial- und gesundheitspolitischen Auswirkungen jedoch schnell ins Negative kippen können, gilt: Arbeitszeitgesetz und Kollektivvertrag erfüllen hier eine ganz wesentliche Schutzfunktion. Daher: Hände weg von unserem Kollektivvertrag!

Buchtipp:
„Leitfaden Betriebsvereinbarungen“ von Achitz/Fritsch/Haslinger/Müller,
erschienen im ÖGB Verlag:
www.leitfaden-betriebsvereinbarungen.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin susanne.haslinger@pro-ge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

INFOBOX

Flexible Arbeitszeit, was ist das?

Das klassische kollektivvertragliche flexible Arbeitszeitmodell stellen „Bandbreitenmodelle“ dar. Sie finden sich in einer Vielzahl von Kollektivverträgen: vom Gesundheits- und Pflegebereich über die IT und den Handel bis hin zur Industrie.
Die Idee dahinter ist, dass die Gesamtarbeitszeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums gleich bleibt, während sie zur Abdeckung von Spitzen oder schwankenden Aufträgen innerhalb einzelner Wochen völlig anders verteilt werden kann. Wesentlichster Eckpunkt ist hierbei das Verlassen-Können des engen und gleichzeitig Überstunden-auslösenden Korsetts der vorgeschriebenen Normalarbeitszeit von acht Stunden bzw. 40 Stunden (oder einer kollektivvertraglichen niedrigeren Wochenarbeitszeit von z. B. 38,5 Stunden).
Hierzu legt das Gesetz bestimmte Obergrenzen fest:

  • Grenze der täglichen Arbeitszeit: Diese wird in der Regel von 8 Stunden auf 9 oder 10 Stunden ausgeweitet
  • Grenze der wöchentlichen Arbeitszeit: Diese wird von 40 Stunden je nach Länge des Durchrechnungszeitraums auf 48 oder 50 Stunden ausgeweitet. Die Kollektivvertragsparteien können sich aber auch dafür entscheiden, die vom Gesetz angebotenen Grenzen nicht in vollem Umfang auszuschöpfen, auch dies wäre die weniger belastende Variante. Lässt das Gesetz z. B. eine Ausweitung der Normalarbeitszeit auf bis zu 50 Stunden zu, kann der Kollektivvertrag diese Ausweitung auch mit z. B. 45 Stunden deckeln.
  • Der sog. „Durchrechnungszeitraum“ kann zwischen mehreren Wochen und einem Jahr liegen. Nur im Durchschnitt dieses Durchrechnungszeitraums muss die Arbeitszeit wieder auf die 40 Stunden (bzw. die niedrigere kollektivvertragliche Wochenarbeitszeit) kommen. Vereinfachtes Beispiel: In einem Durchrechnungszeitraum von acht Wochen kann in vier Wochen die Normalarbeitszeit auf 45 Stunden erhöht werden. Wenn sie in den anderen vier Wochen auf 35 Stunden reduziert wird, so bleibt der Durchschnitt gewahrt.
    An jenen Tagen und in jenen Wochen, in denen erlaubterweise die Normalarbeitszeit über acht Stunden/40 Stunden hinaus ausgedehnt wird, fallen durch diese Mehrleistung keinerlei Zuschläge an – einer der Hauptnachteile von Arbeitszeitflexibilisierung.
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Susanne Haslinger, Rechtsabteilung & Sozialpolitik der PRO-GE Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831937 Zum Vergrößern auf die Abbildung klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831923 Kreative Ideen zur Umgehung Samstagnacht, drei Uhr früh. Eine Bar, irgendwo in Österreich. Sperrstunde wäre um zwei Uhr gewesen. Die KellnerInnen haben grelles Licht aufgedreht. Dennoch macht eine Gruppe von Feierlaunigen keine Anstalten zu gehen. Das Personal ist angehalten, freundlich zu sein – auch zu jenen Gästen, die sie seit einer Stunde davon abhalten, nach Hause zu gehen –, auch dann, wenn sie wissen, dass ihnen die letzte Stunde wie üblich nicht als Überstunde ausbezahlt wird.
Kollektivverträge (KV) sollten ArbeitnehmerInnen vor solcherart Ausbeutungen schützen. Regelmäßig werden sie neu verhandelt, um die Gehälter an die aktuelle Wirtschaftslage anzupassen und Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten, Urlaubs- und Überstundenansprüche zu definieren. Da die KV-Abdeckung in Österreich sehr hoch ist, könnte man meinen, dass alles gut ist. Doch in der Praxis werden Kollektivverträge nicht immer eingehalten.

Flexible Anwendung
Phönix Tölle, Bundesjugendsekretär in der Gewerkschaft vida, nennt Beispiele aus dem Lehrlingsbereich, wo es – jedenfalls in Tourismus und Gastronomie – besonders bei den Arbeitszeiten öfter zu Gesetzes- oder KV-Übertritten kommt. So dürfen etwa Jugendliche bis 16 keine Überstunden machen, ab dann höchstens drei Stunden pro Woche. Tölle: „Da gibt es die meisten Überschreitungen. Die Arbeitszeiten sind im Tourismus gerade am Wochenende sehr flexibel.“ Nicht immer würden sich Arbeitgeber an die im KV festgelegte Regelung halten, dass Jugendliche zwei Tage pro Woche bzw. nach zehn Tagen Arbeit vier Tage frei haben müssen. Arbeite ein Jugendlicher am Wochenende, müsse das dem Arbeitsinspektorat gemeldet werden.
Mehr als ein Viertel brechen ihre Lehre vorzeitig ab. Tölle wundern die hohen Abbruchzahlen im Tourismus nicht: „Unter diesen Rahmenbedingungen wollen die Jugendlichen keine Lehre machen.“ Dabei gebe es einen „gewaltig hohen“ Fachkräftemangel. Manche Überschreitungen wirken absurd. So sollten Lehrlinge laut KV eine Dienstkleidungspauschale von circa 35 Euro im Monat erhalten. Tölle: „Diese wird oft nicht bezahlt. Meistens weiß der Lehrling nicht, dass er sie bekommen sollte.“
Manche Arbeitgeber umgehen die Regelung, indem sie Lehrlinge einen Zusatzvertrag unterschreiben lassen, in dem sie auf die Pauschale verzichten. Im Gegenzug sollte ihnen die Kleidung zur Verfügung gestellt und für die Reinigung gesorgt werden. Tölle: „Der Arbeitgeber gibt aber oft nur ein Hemd her – das war’s.“

Kein Kündigungsgrund
ArbeitnehmerInnen, denen Rechte aus dem KV verwehrt werden, können sich wehren. Phönix Tölle weist darauf hin, dass etwa ArbeitnehmerInnen zu ihrem eigenen Schutz selbst Arbeitsstundenaufzeichnungen führen sollten. Manche Arbeitgeber würden einen Arbeitszeitnachweis erstellen, in dem geleistete Überstunden fehlen: „So etwas sollte nie unterschrieben werden – das ist auch kein Kündigungsgrund.“
Falls die Forderungen im Betrieb zu keiner Verbesserung führen, bleibt oft nur der Weg zu Gewerkschaft und Arbeiterkammer, im Fall von Lehrlingen zur Kinder- und Jugendschutzstelle der AK, bzw. der Rechtsweg. Meistens wird erst nach Ende des Dienstverhältnisses geklagt. Generell ist der KV laut Martin Risak, Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien in Österreich, von mehreren Seiten gut abgesichert. Zunächst kann jede/r betroffene ArbeitnehmerIn eine Klage einreichen. Der Betriebsrat darf nicht klagen, aber Arbeitsverträge einsehen, um zu kontrollieren, ob diese laut KV korrekt sind.
Außerdem können die Sozialversicherungsträger rechtlich dagegen vorgehen, wenn ihnen durch Unterentlohnung Beiträge entgehen. Risak: „Die Sozialversicherungsabgaben werden nach dem Anspruchsprinzip bemessen.“ Das heißt: „Bei der gemeinsamen Prüfung der lohnabhängigen Steuern und Abgaben schauen sich die Prüfer und Prüferinnen nicht das Geld an, das ihnen ausbezahlt wird, sondern, wie viel eigentlich nach dem Kollektivvertrag bezahlt werden hätte müssen.“ Ihnen ist egal, ob das eingeklagt wurde – sie schreiben Arbeitgebern diese Beträge trotzdem vor.

Weiters gilt das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Bei Übertretungen erhalten Arbeitgeber Verwaltungsstrafen. Und es gäbe noch eine Möglichkeit, die jedoch laut Risak in Österreich kaum zur Anwendung kommt: „Arbeitgeber könnten andere Arbeitgeber wegen unlauteren Wettbewerbs klagen, wenn diese mit ihnen im Wettbewerb stehen und unter dem Kollektivvertrag bezahlen.“ Die Tatsache, dass alle ArbeitnehmerInnen in Österreich AK-Pflichtmitglieder sind und damit Rechtsschutz haben, ist laut Risak ein wichtiger Grund, warum die Rechtsdurchsetzung von Kollektivverträgen in Österreich ganz gut funktioniere.
Dennoch finden Arbeitgeber immer wieder Schlupflöcher, um sich um die Mindeststandards der Kollektivverträge herumzudrücken. Die meisten Probleme im Bereich des Lohn- und Sozialdumpings sind aus dem Baubereich bekannt. Dort gehen Betriebe des Öfteren in Konkurs und scheinen wieder unter anderem Namen auf – und kommen so um Abgaben und Schulden herum. Risak: „Ich höre auch, dass dort Personen, insbesondere migrantische ArbeitnehmerInnen, zum Teil das Geld korrekt überwiesen bekommen, es dann abheben und wieder zurückzahlen.“
Auf dem Papier ist damit alles korrekt. Risak verweist zudem auf die Gastronomie, wo zumindest bis zur Einführung der Registrierkasse viel Geld schwarz von Geldbörse zu Geldbörse floss. ArbeitnehmerInnen waren manchmal offiziell nur Teilzeit beschäftigt, arbeiteten aber Vollzeit und wurden teils mit Schwarzgeld bezahlt. Risak: „Das funktioniert natürlich nur, wenn schwarzes Geld da ist. Deshalb sind die Branchen, die Cash-Business sind, anfälliger dafür.“

Umgehungen
Eine Umgehungsmethode ist, den ArbeitnehmerInnen Vordienstzeiten nicht ausreichend anzurechnen und sie in eine geringere Gehaltsstufe einzuordnen – oder gleich das falsche Gewerbe einzureichen, wo ein für den Arbeitgeber günstigerer KV gilt.
Besonders interessant ist die systemische „Umgehung“ von Kollektivverträgen, die in letzter Zeit zunimmt: die Selbstständigkeit, die auf den ersten Blick nichts Anrüchiges hat. Risak: „Die Gruppe der Solo-Selbstständigen, die keine klassischen Selbstständigen sind, weil sie von wenigen Auftraggebern abhängig sind, wird größer.“ Diese Personen könnten, ähnlich wie echte ArbeitnehmerInnen, ihre Honorare und andere Rahmenbedingungen nur schlecht verhandeln.
Oft sind das heute nicht mehr wie früher die am höchsten Qualifizierten wie ArchitektInnen und AnwältInnen. Als Beispiel nennt Risak die Erwachsenenbildung. Auf europäischer Ebene beobachtet er den Trend der Verlagerung von Kollektivverträgen auf die betriebliche Ebene. Noch werden in Österreich Kollektivverträge vor allem für ganze Branchen verhandelt.
Alois Bachmeier, stellvertretender Bundesgeschäftsführer der GPA-djp, kann keine Branchen ausmachen, in denen Verstöße gegen den KV besonders häufig wären. Er glaubt aber, dass vieles passiert, das nie zur Gewerkschaft durchdringt: „Ich denke, dass die Dunkelziffer in Österreich eine Riesenzahl ist.“ Dass man bei der Einstellung einen suboptimalen Vertrag akzeptiert, kann Bachmeier verstehen: „In erster Linie freut man sich über ein gutes Einvernehmen und will nicht daran denken, was nicht passt.“ Rechtzeitige Vorsicht empfiehlt sich aber, denn im Nachhinein ist meist nicht mehr viel zu gewinnen.

Kampf gegen Dunkelziffer
Bachmeier nennt als Beispiel einen Arbeitnehmer, der im KV falsch eingestuft wurde und jahrelang zu wenig Gehalt bekommen hat: „Das Beste, was er bekommen kann, ist das, was ihm zusteht.“ Strafen für Arbeitgeber wären aus seiner Sicht wünschenswert.
Jederzeit können bei der Gewerkschaft Dienstverträge im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem KV geprüft werden – Bachmeier fordert Mitglieder dazu auf, das zu tun und damit „die Dunkelziffer im großen Stil zu bekämpfen“.

Buchtipp:

Wolfgang Brodil, Martin Risak, Christoph Wolf: Arbeitsrecht in Grundzügen, Verlag LexisNexis: tinyurl.com/jg2a7po

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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831917 Phönix Tölle setzt sich in der vida für die Rechte der Lehrlinge ein. Nicht immer halten sich Arbeitgeber in Tourismus und Gastronomie an die KV-Regelung, dass Jugendliche zwei Tage pro Woche bzw. nach zehn Tagen Arbeit vier Tage frei haben müssen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831901 Vorreiterrolle Können Sie sich vorstellen, dass Donald Trump, Brexit und Kollektivverträge etwas Gemeinsames haben? So absurd dies klingen mag, die „Financial Times“ schaffte das Kunststück: Kürzlich argumentierte die angesehene internationale Wirtschaftszeitung aufgrund von Gesprächen mit britischen Politikern und Fondsmanagern, dass die gewerkschaftliche Praxis der Kollektivvertragsverhandlungen ein wichtiger Kitt für die tief gespaltenen Gesellschaften der USA und Großbritanniens sein könnte, hervorgerufen durch den Brexit und den Wahlsieg von Donald Trump in den USA. Während in den USA gerade einmal jeder zehnte Arbeitnehmer bzw. jede zehnte Arbeitnehmerin Mitglied einer Gewerkschaft ist, war in Österreich im Jahr 2013 rund ein Drittel der rund 3,7 Millionen ArbeitnehmerInnen in Österreich gewerkschaftlich organisiert. Im Gegensatz zu den USA oder Großbritannien sind in Österreich fast alle unselbstständig Beschäftigten in einem Kollektivvertrag erfasst.

Form der Selbsthilfe
Die sieben Gewerkschaften, die Mitglied des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) sind, sind sogenannte kollektivvertragsfähige Körperschaften, sprich sie haben das Recht, Kollektivverträge abzuschließen. Zusammen mit den Arbeitgeberverbänden führen sie die Kollektivvertragsverhandlungen in einzelnen Branchen. Die Praxis der Kollektivverträge wird in Österreich gewöhnlich mit der Sozialpartnerschaft in Verbindung gebracht. Dabei wurden erste überbetriebliche, schriftliche Vereinbarungen zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern viel früher abgeschlossen: „In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden zuerst Kollektivverträge auf betrieblicher und lokaler Ebene abgeschlossen. Als erster Branchenkollektivvertrag in Österreich gilt dann jener der BuchdruckerInnen 1896“, sagt Martin Risak vom Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien.

Hart erkämpft
Der Arbeitsrechtsexperte fügt dazu, dass Kollektivverträge von ihren Ursprüngen her eigentlich eine Form der Selbsthilfe der ArbeitnehmerInnen sind, die als Einzelne in Verhandlungen mit ihren Arbeitgebern wesentlich weniger Chancen hätten, gute Verhandlungsergebnisse zu erzielen. Erst bei kollektiven Verhandlungen steigen die Chancen der ArbeitnehmerInnen, sich im Arbeitsverhältnis besser rechtlich abzusichern. So existierten bereits bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs etwa 500 Kollektivverträge in Österreich. Derzeit werden laut ÖGB jährlich rund 450 Kollektivverträge abgeschlossen.
Heutzutage sind Kollektivverträge in Österreich vom Arbeitsrecht untrennbar, wird seitens der Gewerkschaften immer wieder betont. Dies beteuert auch Peter Schleinbach, Bundessekretär der Gewerkschaft PRO-GE, im Gespräch mit der Arbeit&Wirtschaft. „Für ArbeitnehmerInnen ist wichtig, dass kollektivvertragliche Regelungen Teil des österreichischen Arbeitsrechts sind. Regelungen in Kollektivverträgen haben Schutzfunktion, Normwirkung und sind rechtlich durchsetzbar“, erinnert Schleinbach. Jedoch war das nicht immer so: Viele Regelungen, die ArbeitnehmerInnen in Österreich heutzutage als Selbstverständlichkeit in ihrer Arbeitspraxis betrachten, mussten in oft harten Verhandlungen erkämpft werden.
Daher ist die Rolle der Kollektivverträge im Ausbau des österreichischen Arbeitsrechts eine wichtige. Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, hebt in diesem Zusammenhang zwei der wohl wichtigsten arbeitsrechtlichen Regelungen hervor: „Die Regelung des Urlaubsanspruchs und die der Arbeitszeit wurden aus der kollektivvertraglichen Praxis in das österreichische Arbeitsrecht übernommen und sind jetzt ein fester Bestandteil davon.“

Zeit und Geld als Konstanten
Zeit und Geld waren in den Anfängen die wichtigsten Inhalte der Kollektivvertragsverhandlungen und bleiben es bis zum heutigen Tag. Wie hoch das Entgelt für die geleistete Arbeit ist und in welcher Relation es zur Arbeitszeit steht, sind die Fragen, die auch ArbeitnehmerInnen am öftesten beschäftigen. „Die meisten AK-Mitglieder lassen sich bei uns über das Entgelt beraten: Bin ich laut Kollektivvertrag richtig eingestuft? Was ist das Mindestentgelt in meiner Branche?“, berichtet Silvia Hruska-Frank von der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien. Einem Arbeitnehmer oder einer Arbeitnehmerin zu sagen, dass sie aufgrund der Kollektivverträge mehr Rechte oder bessere Arbeitsbedingungen haben als im Gesetz, ist für die Juristin eine erfreuliche Tatsache in ihrer Arbeitspraxis. Das digitale Zeitalter, neue Arbeitsformen und mehr internationale Kooperationen stellen Gewerkschaften vor neue Herausforderungen in Kollektivvertragsverhandlungen, insbesondere was die Länge und die Verteilung der Arbeitszeit anbelangt. „Die Art und Weise, wie Arbeit geleistet wird, verändert sich, neue Gestaltungsnotwendigkeiten treten auf“, sagt Peter Schleinbach von der PRO-GE.
Er betont gleichzeitig, dass künftige Arbeitszeiten nicht nur der Komplexität der Produktionsprozesse, sondern vor allem den Bedürfnissen der Beschäftigten entsprechen müssen. Immer mehr ArbeitnehmerInnen fordern nämlich mehr Flexibilität im Verhältnis Zeit zu Geld.
Aus diesem Grund ist das Thema Freizeitoption in den letzten Jahren ein wichtiger Punkt bei den Kollektivvertragsverhandlungen. Das bestätigt auch Bernhard Achitz: „Neben der Anrechnung der Karenzzeiten liegt derzeit die Freizeitoption im Fokus der kollektivvertraglichen Praxis. Bei diesem Modell kann man nämlich Lohnansprüche in Freizeitansprüche umwandeln“, erklärt Achitz.

Magisches Wort: Konsens
Während in anderen Ländern Europas, in denen vermehrt Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen auf der betrieblichen Ebene stattfinden, ist der Branchenkollektivvertrag in Österreich nach wie vor ein Normalfall.
Bei der Weiterentwicklung der kollektivvertraglichen Praxis beobachtet der Arbeitsrechtsexperte Martin Risak zwei Tendenzen: „Einerseits wurden neue Arbeitgebervereinigungen in Bereichen gegründet, die nicht von der Wirtschaftskammer vertreten werden. Dies sind die sozialen Dienste und die Erwachsenenbildungseinrichtungen. Hier wurden in der Folge Kollektivverträge für bislang kollektivvertragsfreie Räume abgeschlossen.“ Andererseits kommt es laut Risak in den letzten Jahren zu weniger umfassenden Verhandlungen, insbesondere im Metallbereich, in dem es außerdem zu einer Auflösung der Verhandlungsgemeinschaft der Arbeitgeber kam. Dabei kritisiert der Arbeitsrechtsexperte der Universität Wien den Mangel an einer Konsensfindung, der bei den Verhandlungen zwischen ArbeitnehmerInnen- und Arbeitgebervertretungen in Österreich oft zu beobachten sei: „Der Konsens ist zumeist gar nicht so leicht zu erzielen, insbesondere wenn es um grundsätzliche Fragen geht. Dies zeigt sich auch daran, dass es bei den jährlichen Abschlüssen zumeist nur im Entgeltbereich zu Veränderungen kommt und österreichweit große Würfe ausgeblieben sind“, so Risak.

Herausforderungen
Er betont gleichzeitig, dass die weiterhin bestehende Aufsplitterung in ArbeiterInnen- und Angestellten-Kollektivverträge, die auch der gewerkschaftlichen Organisation in ArbeiterInnen und Angestellte geschuldet ist, einen weiteren Hemmschuh in der kollektvivertraglichen Praxis darstellt. Dieser Umstand gelte nämlich mittlerweile als veraltet und sei in vielen anderen europäischen Ländern bereits aufgegeben worden. Der ÖGB sieht sich nach wie vor als Drehscheibe der KV-Politik, betont Bernhard Achitz.
Ein Thema, mit dem sich in Zukunft wohl nicht nur die Gewerkschaften werden auseinandersetzen müssen, ist die wachsende Zahl der Ein-Personen-Unternehmen. Obwohl diese – rechtlich gesehen – gar keine ArbeitnehmerInnen sind, sind sie laut Martin Risak in Verhandlungen mit ihren mächtigen VertragspartnerInnen oft benachteiligt. Sie können daher keine Entgelte aushandeln, die ihnen ein sicheres Auskommen gewährleisten.

Buchtipp:
Martin Risak, Sascha Obrecht: Skriptum „Kollektives Arbeitsrecht“, Verlag LexisNexis:  tinyurl.com/h52j5nw

Linktipp:
www.kollektivvertrag.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor nedad.memic@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Nedad Memic, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831895 "Die Art und Weise, wie Arbeit geleistet wird, verändert sich", schildert Peter Schleinbach von der PRO-GE neue Herausforderungen für Kollektivvertrag und Gesetzgeber. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831881 Fragen an den Experten 1. Was steht eigentlich in einem Kollektivvertrag?

Ein Kollektivvertrag (KV) ist eine Vereinbarung, die die Gewerkschaft für alle ArbeitnehmerInnen einer bestimmten Branche mit der Arbeitgeberseite aushandelt, meist ist dies die Wirtschaftskammer. Die österreichischen Gewerkschaften schließen jährlich über 450 Kollektivverträge ab.
Kollektivverträge gelten in der Regel für eine ganze Wirtschaftsbranche. Ein Kollektivvertrag schafft gleiche Mindeststandards bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen für alle ArbeitnehmerInnen einer Branche. Er verhindert, dass die ArbeitnehmerInnen gegeneinander ausgespielt werden können. Neben dem größeren Machtgleichgewicht sorgt er für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen einer Branche. Im Kollektivvertrag sind alle wichtigen wechselseitigen Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis geregelt. Dazu gehören:

  • Die wöchentliche und tägliche Arbeitszeit in Ihrer Branche.
  • Überstundenregelungen und deren Abgeltung.
  • Bezahlung von Zulagen (z. B. Schmutzzulagen, Zulagen für Bildschirmarbeit, Erschwerniszulagen).
  • Einstufung in ein Gehaltsschema, daraus resultierende Mindestentlohnung und z. B. Vorrückungen.
  • Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

2. Woher wissen Beschäftigte, welcher Kollektivvertrag für sie gilt?

Welcher Kollektivvertrag gilt, muss im Dienstzettel oder Dienstvertrag angegeben sein. Der gültige Kollektivvertrag muss außerdem für alle Beschäftigten einsehbar sein, online etwa im Intranet oder in einem für alle zugänglichen Raum im Betrieb. Darauf ist in einer Betriebskundmachung hinzuweisen. Im Netz kann man alle Kollektivverträge unter www.kollektivvertrag.at einsehen. Wenn ein/e ArbeitnehmerIn trotzdem unsicher ist, welcher Kollektivvertrag für sie oder ihn gilt, sollte er oder sie sich am besten an die zuständige Gewerkschaft wenden, auch die AK bietet Beratungen zu diesem Thema an. Prinzipiell richtet sich das nach der Gewerbeberechtigung des Arbeitgebers oder dessen Mitgliedschaft in einer freiwilligen Vereinigung. In der Regel gilt für alle Beschäftigten eines Betriebs derselbe KV.

3. Gelten Kollektivverträge auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder?

Ja. Denn andernfalls wären kollektivvertraglich ungeschützte, „unorganisierte“ Arbeitskräfte billiger und damit für Unternehmen die attraktivere Möglichkeit. Das Risiko für Arbeitslosigkeit wäre damit für Gewerkschaftsmitglieder größer als für Unorganisierte. Außerdem gilt in der gewerkschaftlichen Sozialpolitik allgemein der Grundsatz, dass soziale Errungenschaften nur dann nachhaltig sind, wenn diese allen Beschäftigten zugutekommen.
Nichtsdestoweniger macht es Sinn, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, denn je mehr ArbeitnehmerInnen dahinterstehen, desto stärker kann sie auch bei den Verhandlungen auftreten und desto besser auch der KV – nur einer von vielen Vorteilen, die eine Gewerkschaftsmitgliedschaft hat.
Kollektivverträge haben neben ihrer Schutzfunktion für die Beschäftigten aber auch eine Ordnungsfunktion innerhalb der jeweiligen Wirtschaftsgruppe. Denn Unternehmen, die sich nicht an die kollektivvertraglich vereinbarten Löhne und Gehälter halten müssten, könnten ihre Waren und Dienstleistungen billiger anbieten. Durch die Pflichtmitgliedschaft bei der jeweiligen Interessenvertretung sind die in der Wirtschaftskammer organisierten Unternehmen aber automatisch an jeden von der Wirtschaftskammer abgeschlossenen Kollektivvertrag gebunden. Es ist somit auch im Interesse der Arbeitgeber, dass sich alle an die gleichen Regeln halten.

4. Stimmt es, dass der KV mehr zählt als ein Arbeitsvertrag?

Grundsätzlich darf eine Regelung, die auf Ebenen unterhalb des Gesetzes vereinbart wurde, nicht schlechter sein als eine gesetzliche Regelung. Unterhalb des Gesetzes werden drei Ebenen unterschieden: Auf der höchsten Ebene steht der Kollektivvertrag, auf der Ebene darunter ist die Betriebsvereinbarung (BV) angesiedelt, auf der „untersten“ Ebene der Einzelarbeitsvertrag. Auch hier gilt, dass auf einer jeweils niedrigeren Ebene nichts vereinbart werden darf, das die Beschäftigten schlechterstellen würde, als dies in der darüber liegenden Ebene der Fall ist.
Sollte eine BV oder ein Arbeitsvertrag dennoch eine schlechtere Regelung enthalten sein, so gilt diese nicht. Sehr wohl aber dürfen auf niedrigeren Ebenen Vereinbarungen getroffen werden, die für die ArbeitnehmerInnen günstiger sind, als dies in der darüber liegenden Ebene der Fall ist (Günstigkeitsprinzip, siehe auch „Gut zu wissen“). Besser ist sozusagen Trumpf: Wenn der Arbeitsvertrag oder die Betriebsvereinbarung eine bessere Regelung enthält als der KV, so gilt die bessere Regelung. Ist jedoch eine Schlechterstellung für die Beschäftigten vorgesehen, so zählt der KV in der Tat mehr als der Arbeitsvertrag oder die Betriebsvereinbarung.

5. Was, wenn ein/e ArbeitnehmerIn weniger bekommt, als ihm/ihr laut KV zustehen würde, oder er oder sie dem falschen KV zugeordnet ist?
 
In Österreich gibt es klare Spielregeln für die Bezahlung. Kollektivverträge regeln die Mindestlöhne und Mindestgrundgehälter in fast allen Branchen. Je nach Tätigkeit, Qualifikation und Dauer des Dienstverhältnisses gibt es unterschiedliche Einstufungen. Bei der Einstufung passieren allerdings immer wieder Fehler. Oft werden Vordienstzeiten gar nicht oder falsch angerechnet oder die Einstufung entspricht nicht der tatsächlichen Tätigkeit. Vor allem Frauen sind häufig von falschen Einstufungen betroffen. Unter anderem deshalb verdienen Frauen im Durchschnitt ein Drittel weniger als Männer.
Wer das Gefühl hat, dass bei ihm oder ihr ein solcher Fall vorliegen könnte, sollte sich an die jeweils zuständige Gewerkschaft wenden, um sich beraten zu lassen (Liste der sieben Gewerkschaften: tinyurl.com/z5clzwt).

6. Wer darf einen Kollektivvertrag abschließen?

Kollektivverträge können von gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der ArbeitnehmerInnen (Arbeiterkammer, Kammer der gewerblichen Wirtschaft etc.) sowie von Berufsvereinigungen abgeschlossen werden, die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen wie etwa der ÖGB oder die Industriellenvereinigung.
Auf Seite der Arbeitgeber werden KV-Verhandlungen zum größten Teil von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und deren Untergliederungen geführt. Auf der ArbeitnehmerInnenseite wiederum verhandeln praktisch ausschließlich der ÖGB und die Gewerkschaften. Die AK ist zwar seit ihrer Errichtung 1920 kollektivvertragsfähig, es wurde aber von Anfang an vereinbart, dass sie diese Möglichkeit nur auf Wunsch der Gewerkschaftsbewegung wahrnimmt und Lohnverhandlungen allein von den Gewerkschaften geführt werden.

7. Wie kommen Kollektivvertragsforderungen zustande?

Vor allem durch die wirtschaftliche Entwicklung in einer Branche wie auch durch Neuerungen im arbeitsrechtlichen Bereich müssen Kollektivverträge immer wieder geändert werden. Vor Beginn von KV-Verhandlungen werden die Betriebsräte in den Betrieben befragt, welche Änderungswünsche es gibt. Darüber hinaus wird in Form von Branchenanalysen die wirtschaftliche Lage der Branche und der gesamten Wirtschaft beurteilt.
Diese Analysen bilden gemeinsam mit der prognostizierten Inflationsrate eine wichtige Grundlage für die Forderung nach Gehaltserhöhungen. In den zuständigen Gremien der Gewerkschaft, die sich nach bestimmten Kriterien aus Betriebsratsmitgliedern der jeweiligen Branche zusammensetzen, werden diese Wünsche und Daten beurteilt. Ergebnis dieses Prozesses ist ein entsprechendes Forderungsprogramm.

8. Sind gesetzliche Interessenvertretungen gegenüber den Körperschaften mit freiwilliger Mitgliedschaft im Vorteil?

Während Berufsvereinigungen mit freiwilliger Mitgliedschaft ihre Kollektivvertragsfähigkeit erst beim Bundeseinigungsamt (früher: Obereinigungsamt) beantragen müssen, sind gesetzliche Interessenvertretungen per Gesetz kollektivvertragsfähig. Doch andererseits verdrängt ein KV mit einer kollektivvertragsfähigen, auf freiwilliger Mit­gliedschaft beruhenden Berufsvereinigung einen eventuell bereits bestehenden KV mit einer gesetzlichen Vertretung.

Linktipp:
Skripten des VÖGB
www.voegb.at/cms/S08/S08_4.1

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831875 Martin Müller, ÖGB-Experte für Fragen rund um den Kollektivvertrag http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831861 Zum Nutzen aller Esra und Daniel stehen am Beginn ihres Joblebens. Sie hat eine HTL für Elektrotechnik besucht, er die Lehre als Einzelhandelskaufmann abgeschlossen. Nun suchen sie ihren ersten Job, und das gestaltet sich schwierig. Die Firmen stellen JobeinsteigerInnen ohne Erfahrung ungern ein und die Zahl der Arbeitssuchenden ist hoch, auf eine offene Stelle kommen derzeit zehn Arbeitslose. In vielen Ländern Europas wären die Folgen einer solch ungünstigen Arbeitsmarktlage klar: Gerade die Löhne für die Neu- und WiedereinsteigerInnen sind dort so tief gesunken, dass man davon nicht leben kann.
Nicht so für Esra und Daniel. Für sie sichert der Kollektivvertrag den Mindestlohn und sie können sich im Bewerbungsgespräch auf ihre Ausbildung und Motivation konzentrieren, statt sich gegenseitig zu unterbieten.

In ganz Europa unerreicht
98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten unterliegen in Österreich einem Kollektivvertrag, ein in ganz Europa unerreichter Wert. In Deutschland ist die kollektivvertragliche Abdeckung über die Jahre auf unter 60 Prozent der Beschäftigten gesunken. Das hat dort zum Entstehen eines riesigen Niedriglohnsektors geführt, in dem die Stundenlöhne teils auf drei bis vier Euro zurückgegangen sind. Erst langjährigen Bemühungen der Gewerkschaften und massivem Druck der SPD ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 zu verdanken, der zum 1. Jänner 2017 auf 8,84 Euro pro Stunde angehoben wird.

Vor Lohnkürzungen gefeit
Österreichs ArbeitnehmerInnen haben diesen Stundenlohn schon erreicht. In fast allen Kollektivverträgen liegen die niedrigsten monatlichen Mindestlöhne über 1.300 Euro, was einem Stundenlohn von etwa 8,70 Euro entspricht. In der Industrie und im Handel betragen die Löhne mindestens 1.500 Euro. Im Unterschied zum gesetzlichen Mindestlohn sichert der Kollektivvertrag aber auch die Löhne darüber. Auch FacharbeiterInnen oder qualifizierte Angestellte sind in adäquate Lohngruppen eingereiht und vor Lohnkürzungen gefeit. Für die Beschäftigten bringt der kollektivvertragliche Lohnabschluss einen unschätzbaren Vorteil mit sich: Sie stehen den Arbeitgebern nicht allein gegenüber, was gerade bei fehlenden Arbeitsplätzen ein entscheidender Verhandlungsnachteil wäre, sondern agieren im solidarischen Kollektiv, das durch starke Gewerkschaften gestützt wird. Von der Verhandlungsmacht der FacharbeiterInnen profitieren damit auch die Hilfskräfte.
Während der Vorteil eines gemeinsamen Auftretens für die einzelnen Beschäftigten klar auf der Hand liegt, wird er für Unternehmer erst mit ein bisschen Nachdenken offensichtlich: Dezentralisierte Verhandlungen im Betrieb oder mit einzelnen Personen haben den Nachteil, dass Unternehmen sich erst kundig machen müssen, welche Löhne die Konkurrenz zahlt und wie sie Abwesenheiten bei Hochzeit oder Übersiedlung regelt. Sie müssten Billigkonkurrenz ebenso fürchten wie einen Lohnwettlauf um Facharbeitskräfte – in jeder Richtung ein erhebliches Risiko. Sowohl die Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Betrieben als auch diese Informationskosten entfallen durch den Kollektivvertrag. Es gibt einheitliche Lohnstandards, und die Unternehmen können sich somit auf jene Aktivitäten konzentrieren, die auch der Volkswirtschaft etwas bringen: zum Beispiel die Entwicklung, Erzeugung und den Verkauf hochwertiger und innovativer Güter und Dienstleistungen.
Vom kollektivvertraglichen Lohnabschluss profitiert auch die Gesamtwirtschaft, weil der auf Branchenebene erzielte Abschluss es ermöglicht, die Bedürfnisse der gesamten Wirtschaft zu berücksichtigen. Die Lohnleitlinie lautet Inflationsrate plus Wachstum der Arbeitsproduktivität. Die Abgeltung der Inflation soll die Kaufkraft der Löhne sichern, sie betrug in den letzten zwölf Monaten durchschnittlich 0,8 Prozent.

Leitlinie für alle Branchen
Die Abgeltung des Anstiegs der Arbeitsproduktivität, also der Produktion je Beschäftigten in der Gesamtwirtschaft, sichert den ArbeitnehmerInnen ihren Anteil am technischen und organisatorischen Fortschritt; er liegt mittelfristig ebenfalls bei etwa zwischen 0,5 Prozent und 1 Prozent Prozent pro Jahr. Diese Lohnleitlinie gilt für alle Branchen. In Österreich spricht man von solidarischer Lohnpolitik, wenn sich alle Branchen – tendenziell unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung oder dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der Branche – an den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausrichten. So erfüllt die Lohnpolitik in idealer Weise ihre gesamtwirtschaftlichen Aufgaben, und die Löhne werden ihrer wirtschaftlichen Doppelrolle gerecht.
Löhne und Gehälter sind einerseits Kosten für die Unternehmen. Bei Lohnerhöhungen ist deshalb darauf Bedacht zu nehmen, dass sie weder allgemeine Preiserhöhungen auslösen noch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefährden. Andererseits sind Löhne und Gehälter Einkommen für die ArbeitnehmerInnen und bestimmen damit deren Konsumnachfrage.
Alle UnternehmerInnen hätten selbst gerne ein möglichst niedriges Lohnniveau, in allen anderen Unternehmen sollte es aus ihrer Sicht möglichst hoch sein. Das würde insgesamt eine hohe Konsumnachfrage bedeuten, gleichzeitig würden sie selbst einen hohen Anteil davon abbekommen. Verhalten sich aber alle UnternehmerInnen nach dieser 
Devise, dann sind die Löhne überall niedrig und die Konsumnachfrage ist schwach. Nur Kollektivverträge können dieses volkswirtschaftliche Dilemma lösen. Steigen Löhne und Gehälter in der Gesamtwirtschaft im Ausmaß der Inflationsrate und des Wachstums der gesamtwirtschaftlichen Produktion je Beschäftigten, dann erhöhen sich die realen Lohnstückkosten nicht. Die Lohnkosten je Beschäftigten steigen genau gleich rasch wie die Produktion je Beschäftigten.

Zwei Vorteile
Damit wird erstens Arbeit gesamtwirtschaftlich nicht teurer, in der Exportindustrie sinken die Lohnkosten pro erzeugter Einheit sogar, weil dort das Wachstum der Arbeitsproduktivität im langfristigen Durchschnitt viel höher liegt als in der Gesamtwirtschaft, nämlich bei etwa 2,5 Prozent pro Jahr, und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit steigt. Zweitens steigt die Konsumnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen mit der Produktion. Die Leitlinie der österreichischen Lohnpolitik ist also in idealer Rücksichtnahme auf gesamtwirtschaftliche Erfordernisse darauf ausgerichtet, sowohl die Exportnachfrage als auch die Konsumnachfrage zu beleben. Diese machen zusammen immerhin 85 Prozent der Gesamtnachfrage aus. Die Linie ist damit auch in besonderem Ausmaß darauf ausgerichtet, Arbeitsplätze zu schaffen. Kollektivverträge gehen weit über die Festlegung von Mindestlöhnen hinaus. Sie umfassen Regelungen der Arbeitszeit, der Möglichkeiten von Weiterbildung und Pflege und viele andere Vereinbarungen.

Sozialer Fortschritt
Sehr oft wurden Erfolge wie zum Beispiel der Urlaubsanspruch zunächst in einzelnen Kollektivverträgen erreicht und erst später auf gesetzlicher Ebene für alle Menschen verwirklicht. So wurde die Praxistauglichkeit im wirtschaftlichen Alltag sichergestellt und die Kollektivverträge wurden zu einem unverzichtbaren Motor des sozialen Fortschritts. In jüngster Zeit ist das vor allem im Bereich der Arbeitszeitpolitik feststellbar, wo erstaunliche Innovationen gelingen, die auch international zunehmend Aufmerksamkeit erregen. Sie betreffen die Aufteilung des Verteilungsspielraumes auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung. In zahlreichen Kollektivverträgen der Industrie ist es mittlerweile gelungen, eine „Freizeitoption“ zu verankern. Damit werden die Kollektivverträge neuerlich zum Vorreiter einer Politik für höhere Lebensqualität, bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Bildung und der Verringerung der Arbeitslosigkeit.

Linktipps:
„Mehr Zeit statt Geld“ von Eva Scherz, in: Arbeit&Wirtschaft 2/15 
tinyurl.com/jelsr2o
„Bemerkenswerte Innovation: Die Freizeitoption“ von Markus Marterbauer
tinyurl.com/hfpqsss

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor Markus.Marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831855 Zum Vergrößern auf die Abbildung klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831815 Im Kollektiv stärker Ein erfolgreiches Projekt ist abgeschlossen, die positiven Erinnerungen daran sind beim Chef oder der Chefin noch ganz frisch: Dies sei der beste Zeitpunkt, um Verhandlungen für eine Lohnerhöhung anzugehen. Um der eigenen Forderung mehr Gewicht zu geben, sei es sinnvoll, vorher zu recherchieren, was die eigene Leistung im Branchenvergleich wert ist, einige Statistiken zu studieren und ordentlich Selbstvertrauen zu tanken.
 
Rat und Realität
So oder so ähnlich lauten die Ratschläge in vielen Leitfäden für eine erfolgreiche Lohnverhandlung. Dabei löst der Gedanke, die Gehaltsvorstellungen in einem jährlichen Zwiegespräch bei den Vorgesetzten durchsetzen zu müssen, bei vielen ArbeitnehmerInnen Unbehagen aus: Was passiert, wenn die gewünschte Lohnerhöhung trotz steigender Miete nicht genehmigt wird? Was, wenn es vom Management heißt, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss? Was, wenn die Lage am Arbeitsmarkt einen Jobwechsel bei ausbleibender Lohnerhöhung unrealistisch macht? Einzelne ArbeitnehmerInnen haben im Personalbüro kaum Verhandlungsmacht.
Ein breites Kollektivvertragssystem hingegen sorgt für einen stärkeren Interessenausgleich, weil die Forderungen der ArbeitnehmerInnen gebündelt vorgebracht werden. Das hat den Vorteil, dass die Lohnentwicklung nicht vom individuellen Selbstvertrauen und Verhandlungsgeschick abhängt, sondern von erfahrenen und informierten ExpertInnen der Gewerkschaften auf Branchenebene ausgehandelt wird. Zudem können kollektive Maßnahmen zur Interessendurchsetzung wie etwa Betriebsversammlungen oder Arbeitsniederlegungen den eigenen Forderungen mehr Druck verleihen. Nicht zuletzt dient das Kollektivvertragssystem somit auch der Solidarität, da auch schwächere VerhandlungspartnerInnen vom gemeinsamen Vorgehen profitieren. Außerdem gilt das Verhandlungsergebnis auch für ArbeitnehmerInnen, die nicht Mitglied  der Gewerkschaft sind.
Der Erfolg der Kollektivvertragsverhandlungen kann am Tariflohnindex der Statistik Austria abgelesen werden. Dieser Index misst die Veränderungen von Mindestgehältern in den verschiedenen Lohngruppen quer über alle Kollektivverträge. Diese Veränderungen liegen in den letzten drei Jahrzehnten nahezu immer klar über der Inflationsrate. Seit 2006 ist der Tariflohnindex real um 5,9 Prozent gestiegen.

Erschwerte Rahmenbedingungen
Rahmenbedingungen, die individuelle Lohnverhandlungen untermauern oder schwächen können, spielen natürlich auch bei der kollektiven Verhandlung eine Rolle. Eine hohe Arbeitslosigkeit und eine schwierige Wirtschaftslage erschweren die Position für die Gewerkschaften. Gerade deshalb war die Verteilung der Wertschöpfung zwischen Arbeit und Kapital zuletzt immer öfter von harten Auseinandersetzungen geprägt. Die Verteilungsspielräume im blühenden Nachkriegskapitalismus waren spürbar größer und die sozialpartnerschaftlich ausverhandelten Anteile an der Wertschöpfung waren meist für beide Seiten zufriedenstellend.
Mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik, dem steigenden Druck von Finanzakteuren und der zunehmenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus sind diese Spielräume aber scheinbar kleiner geworden. Während viele große Unternehmen sprudelnde Gewinne verzeichnen und exorbitante Dividenden und Managergehälter zahlen, beklagen sie in Lohnverhandlungen die schwache Wirtschaftslage.

Steigende Gewinne
Die härteren Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital spiegeln sich auch in den Daten wider. Die Lohnquote als Anteil der ArbeitnehmerInnenentgelte am Volkseinkommen war in der Nachkriegsära bis Mitte der 1980er-Jahre abgesehen von zyklischen Schwankungen relativ konstant. Vor allem ab den 1990er-Jahren bis zur Finanzkrise 2008 ging die Lohnquote aber stark zurück. Der Gewinneinbruch in der Krise trug zwar zu einer kleinen Gegenbewegung bei. Doch während sich die Gewinne seither wieder erholt bzw. zu neuen Höhen aufgeschwungen haben, verharrt die Lohnquote auf einem deutlich niedrigeren Niveau als noch vor 40 Jahren. Zu einem guten Teil lässt sich dieser Rückgang auf die steigende Zahl an atypischen Arbeitsverhältnissen zurückführen: Teilzeit, geringfügige und unterjährige Beschäftigung, Befristung, Leih- und Zeitarbeit. Gerade für diese Beschäftigungsverhältnisse gestaltet sich die gewerkschaftliche Organisierung sehr schwierig.
Nichtsdestotrotz erfüllen die Kollektivverträge hier eine wichtige Funktion: Einerseits setzen sich die Gewerkschaften dafür ein, eine weitere Ausweitung des Niedriglohnsektors zu verhindern, andererseits kämpfen sie gegen Scheinselbstständigkeit. Deshalb ist dieser Sektor in Österreich trotz steigender prekärer Beschäftigung mit knapp über zehn Prozent vergleichsweise klein. In Deutschland etwa fallen 22 bis 24 Prozent der Erwerbstätigen in diese Gruppe.

Internationales Vorzeigemodell
Inzwischen bestätigen auch internationale Institutionen, dass das Kollektivvertragssystem dazu beiträgt, einen Anstieg der Einkommensungleichheit zu vermeiden, oder anders ausgedrückt: zu mehr Einkommensgerechtigkeit beiträgt. Im Frühling 2015 sorgte der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einer Studie für Aufsehen, wonach die Aushöhlung von Arbeitsmarktinstitutionen in den letzten drei Jahrzehnten zu einer höheren Einkommensungleichheit geführt habe.
Das Zurückdrängen von Gewerkschaften und Kollektivvertragssystemen habe in den Industrienationen zu einer Polarisierung der Einkommen beigetragen. Auch die OECD hat 2015 in einer Studie bestätigt, dass eine höhere Kollektivvertragsdeckung in Europa mit einer geringeren Einkommenskonzentration einhergeht. Das österreichische System der kollektiven Lohnverhandlung mit seiner fast vollständigen Abdeckung des privaten Sektors gilt somit als internationales Vorzeigemodell für eine fairere Verteilung.
Indessen ist in den Institutionen der Europäischen Union derzeit keine einheitliche Sichtweise auf Kollektivvertragssysteme zu erkennen. Zwar zählt die Europäische Kommission in einer Studie die „Länder mit starken Institutionen des Sozialdialogs zu den leistungsstärksten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaften der EU“. Zugleich aber mehren sich die neoliberalen Einwürfe, die kollektive Lohnverhandlungssysteme als Problem für die Wettbewerbsfähigkeit sehen. Dementsprechend wird eine „Reduzierung der Tarifbindung“ gefordert, also eine Dezentralisierung der Lohnverhandlungen auf die Betriebsebene und eine Aufhebung von Allgemeinverbindlichkeitsregeln.

Stärke durch Organisation
Nicht nur in Europa, sondern auch in Österreich werden die Kollektivverträge immer wieder angegriffen und eine Verlagerung von Lohn- und insbesondere Arbeitszeitverhandlungen auf die betriebliche Ebene verlangt (siehe auch „Die Spaltung der Lohnabhängigen“). Die Industriellenvereinigung forderte jüngst eine „Tariföffnungsklausel“ nach deutschem Vorbild, um Branchenvereinbarungen auf betrieblicher Ebene unterlaufen zu können.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass das österreichische System eine soziale Errungenschaft ist, die es zu verteidigen gilt. Die Folgen der systematischen Angriffe auf die Kollektivverträge treten in anderen europäischen Ländern zutage: massive Einkommensverluste für breite Teile der Bevölkerung, radikale Arbeitszeitflexibilisierung, Abbau vieler Schutzmaßnahmen für ArbeitnehmerInnen sowie eine drastische Schwächung der Gewerkschaften.
Angesichts der existierenden Ungleichheit von Einkommen und Vermögen reicht es nicht aus, das Kollektivvertragssystem zu verteidigen. Das Ziel muss eine Stärkung der Verhandlungsmacht von ArbeitnehmerInnen in vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen sein. Die Krise hat viele Herausforderungen im Bereich der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Arbeit zusätzlich verschärft. Eine notwendige Umverteilung in diesen Bereichen kann nur demokratisch und solidarisch erfolgreich sein und benötigt eine gemeinsame Organisation in den Gewerkschaften.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor Matthias.Schnetzer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Matthias Schnetzer, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831809 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831785 Reportage: Ein Weg mit vielen Windungen Der Tradition verpflichtet: Wie jedes Jahre wurde auch heuer die Herbstlohnrunde mit den Kollektivvertragsverhandlungen der Metallindustrie begonnen. Diese sind für 180.000 Beschäftigte in ganz Österreich von großer Bedeutung. Hinter diesem abstrakten Prozess stehen verschiedenste Persönlichkeiten, die sich jeweils mit den Arbeitgebern an den Tisch setzen.
Zu ihnen gehören Reinhold Binder, seines Zeichens Leitender Sekretär der PRO-GE, sowie die drei Betriebsratsvorsitzenden Ewald Baumann (IFN), Patrizia Fally (Schoeller-Bleckmann Oilfield Technology) und Manfred Prokop (KBA). Sie zählen zum erweiterten Team der ArbeitnehmerInnen. Gemeinsam mit rund 60 weiteren BetriebsrätInnen und ArbeitnehmervertreterInnen (unter anderem LandessekretärInnen, JuristInnen, Jugend- und FrauensekretärInnen) warten sie in der Wirtschaftskammer auf Nachricht „von oben“. Drei Stockwerke über ihnen tagt gerade das Kernverhandlungsteam – während der Pausen wird über die Lage berichtet. Es ist schon die vierte Verhandlungsrunde, doch der Abschluss des diesjährigen Kollektivvertrags zieht sich hin – wie so oft in den letzten Jahren.

Spät am Nachmittag ist noch kein Ende der Verhandlungen in Sicht. Mit jeder weiteren Stunde gehen die Verhandlungen an die Substanz – selbst an die des Buffets, das noch eilig mit Wurst und Liptauer-Aufstrich befüllt wird, Salat und Obst haben in diesen späten Stunden an Attraktivität verloren. Geleerte Thermoskannen werden gegen neue ersetzt, frischer Kaffee und Tee sollen müde Geister wieder erwecken.
In der Nacht wird auch der 1970er-Charme des weitläufigen Saals immer erdrückender. Trotzdem: „Wir sind immer bereit, sowohl über Kampfmaßnahmen abzustimmen oder über einen Abschluss zu entscheiden“, erklärt Reinhold Binder von der PRO-GE. Denn das große Team der ArbeitnehmervertreterInnen hält sich auch für die Meinungsbildung bereit, einerlei, wie spät es ist. Gibt es einen Vorschlag der Gegenseite, soll er in kurzer Zeit inhaltlich eingeschätzt werden. Während die einen dann in ihre Notebooks tippen und nach adäquaten Zahlen suchen, sind andere mit der Diskussion beschäftigt – mitunter kann es durchaus laut werden. Im großen Verhandlungskomitee und im Kernteam sind gleichermaßen ArbeiterInnen und Angestellte vertreten – die PRO-GE verhandelt gemeinsam mit der Gewerkschaft GPA-djp, für die Metaller-Beschäftigten ist Rainer Wimmer Chefverhandler, Rudolf Wagner bei den Privatangestellten.

Wo auch der Alltag zählt
Freilich nehmen schon die Vorbereitungen auf die Herbstlohnrunde einige Zeit in Anspruch. „Die wichtigen Zahlen und Fakten haben wir auf dem Tisch“, sagt der Betriebsratsvorsitzende der IFN, Ewald Baumann. Die Forderungen der ArbeitnehmerInnen sind gründlich recherchiert und fußen auf mehreren Aspekten: zum einen auf Branchenanalysen, die von der Arbeiterkammer aufbereitet werden und für jeden transparent einzusehen sind (tinyurl.com/guxqcjx). „Andererseits schauen wir uns auch die Lohn- und Gehaltsentwicklungen an“, erklärt Reinhold Binder. „Es ist wichtig, zu wissen, wie sich die Lohnquote entwickelt und in welchen Beschäftigungsgruppen die Leute arbeiten. Wir prüfen auch, wie es mit Zulagen aussieht.“ Nicht zu unterschätzen sind natürlich auch die Eindrücke, die BetriebsrätInnen in den jeweiligen Unternehmen sammeln. Binder: „Besonders wichtig ist es, ein Bild der gelebten Realität in den Betrieben zu haben und zu wissen, was tagtäglich bei ihnen passiert.“ Begleitet werden diese Maßnahmen durch Arbeitskreise, die darüber beraten, welche Verbesserungen beim nächsten Abschluss durchgesetzt werden sollten und wie diese Ziele erreicht werden können. Im Spätsommer legte ein Präsidium die Strategie und die wesentlichen Punkte für die Verhandlungen fest. Doch die Vorbereitungen können noch so gut und präzise sein, nimmt der Verhandlungspartner sie nicht ernst, führt das zu Spannungen.

Arbeitgeber-Spielchen
Wie es schon zur Tradition gehört, wurde auch im heurigen September das Forderungspaket der ArbeitnehmerInnen in der Wirtschaftskammer übergeben. „Im Saal standen zehn Sitzreihen zur Verfügung – drei Reihen für die Arbeitgeber, sieben Reihen für die ArbeitnehmerInnen. Wir waren so voll besetzt, dass einige noch stehen mussten“, erzählt Manfred Prokop, Betriebsratsvorsitzender der KBA in Mödling. Anders verhielt es sich auf der Arbeitgeber-Seite – nicht einmal alle Sessel einer Reihe waren besetzt. In manchen Jahren vermitteln sie den Eindruck, dass sie ihre Partner zuerst auflaufen lassen wollen, eigentümliche Spielchen sind nichts Neues. Vor einigen Jahren lud die Wirtschaftskammer in einen Verhandlungssaal, wo die Arbeitgeber auf einem Podest thronten und auf die Tische der ArbeitnehmerInnen hinunterblickten. Die ArbeitnehmerInnen verließen unter Protest sofort den Saal.
Im Jahr 2015 dauerte es drei Verhandlungsrunden, bis sich die Arbeitgeber auf die Höhe der Inflationsrate einigen konnten. „Zuerst wollten sie die europäische und nicht die österreichische Inflationsrate zur Berechnung heranziehen. Dann schlugen sie eine von ihnen bestimmte Kerninflation vor, um später die August-Inflation und nicht, wie üblich, den Jahresschnitt zu verwenden“, berichtet Ewald Baumann.
Verzögerungen scheinen durchaus erwünscht zu sein: „Mein Eindruck ist, dass die Arbeitgeber jungfräulich in die Verhandlung einsteigen. Erst in den Runden wird deutlich, was sie überhaupt wollen. Dass dahinter ein Konzept steht, glaube ich nicht“, mutmaßt Betriebsratsvorsitzende Patrizia Fally. So kam es auch heuer zu einem kleinen Fauxpas: Während die Teams noch in der dritten Runde zusammensaßen, veröffentlichten die Arbeitgeber eine Presseaussendung, in der sie eine weitere Unterbrechung ankündigten.
In früheren Zeiten sahen die Verhandlungen allerdings noch ganz anders aus. „Es wurde hart und lange verhandelt. Man war sich der beiderseitigen Verantwortung und für wen verhandelt wird bewusst“, erinnert sich IFN-Betriebsratsvorsitzender Baumann. Denn immerhin profitieren beide Seiten von den Kollektivvertragsverhandlungen.

Generationenwechsel
Seit einigen Jahren aber hat der Generationenwechsel unter den Betriebseigentümern eingesetzt. „Früher konnte der Chef direkt angesprochen werden. Diese Generation ist in Pension oder bereits verstorben. Die Jungen, auch jene in den Familienbetrieben, haben das nicht mehr mitbekommen“, ist Baumann überzeugt. „Die haben studiert und glauben zu wissen, wie die Welt funktioniert.“ Arbeitgeber, die noch einen Bezug zum Arbeiter haben, gebe es nicht mehr.
Hierarchien gab es freilich immer, doch so zementiert wie heute waren sie nicht. „Jetzt gilt: Huldigt uns, tut, was wir euch sagen, geht heim, wenn wir euch das erlauben, und kommt, wenn wir euch rufen“, ärgert sich Betriebsratsvorsitzender Baumann. Die neue Chefgeneration hat keine Beziehung zur Sozialpartnerschaft.
Den Dialog mit der Belegschaft oder den ArbeitnehmervertreterInnen beherrsche sie nicht, geschweige denn die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Argumentiert wird, dass sich die Sozialpartnerschaft überholt und durch die Globalisierung an Gültigkeit verloren hat. Der Eindruck, dass die Leistungen des Kollektivvertrags nicht so wichtig sind, soll ganz bewusst entstehen. Reinhold Binder: „Es wird immer schwieriger, Punkte im KV festzuschreiben. Denn damit können die ArbeitnehmerInnen sagen, dass sie einen Anspruch darauf haben.“ Am liebsten wäre es aber den Arbeitgebern, einmal gewährte Rechte jederzeit einseitig widerrufen zu können.

Versuche der Schwächung
Immer stärker werden die Versuche, den Kollektivvertrag aufzubrechen und die Abschlüsse auf immer kleinere Einheiten zu fixieren. Der Fachverband der Maschinen- und Metallwarenindustrie (FMMI), der größte Fachverband dieser Verhandlungsgemeinschaft, wollte nach 2011 sogar ganz aussteigen und lieber eigene Regelungen finden. Der KV sollte geschwächt, die Verhandlungen in kleine Runden aufgespalten werden – fern eines großen medialen Events. Gelungen ist das nicht.
Zwar müssen seit damals die Gewerkschaften mit jedem Arbeitgeberverband der Metallindustrie einzeln verhandeln, doch der gemeinsame einheitliche KV blieb bestehen. Branchenkollektivverträge sind mittlerweile in Europa rar. Während in Österreich etwa 98 Prozent der Branchen einen Kollektivvertrag vereinbaren, sind es etwa in Deutschland rund 50 Prozent, die einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Manche VertreterInnen der Arbeitgeber wollen auch bei uns, dass immer mehr Rechte und Vereinbarungen auf Betriebsebene abgeschlossen werden.
KBA-Betriebsrat Manfred Prokop hat in dieser Richtung bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Als es in seiner Firma finanzielle Probleme gab, haben die ArbeitnehmerInnen auf einen Teil des Lohns verzichtet. „Jeder Mitarbeiter hat deshalb zwischen 200 und 300 Euro pro Monat weniger bekommen“, erzählt er. Ein Vorstand versprach, dass die Belegschaft einen Teil des Verzichtes zurückbekommt, sobald es der Firma besser geht – daraus wurde eine Einmalzahlung von 50 Euro.

Die Marathon-Verhandlung
Die vierte Verhandlungsrunde dieses Jahr wird zu einem zähen Marathon. Die Stunden vergehen, die Thermoskannen leeren und füllen sich – ein Ergebnis ist nicht in Sicht. Ein warmes Paprikahuhn füllt gegen 19 Uhr die Mägen und soll den Geist beflügeln – allein es wird munter weiterverhandelt.
Nach unglaublichen 16 Stunden, kurz vor sechs Uhr morgens, wird endlich eine Einigung erzielt: Durchschnittlich 1,68 Prozent mehr Lohn sind es geworden, die untersten Einkommen erhalten plus zwei Prozent und für die höheren Einkommen sind es 1,2 Prozent. Damit ist der heurige Abschluss trotz niedrigerer Inflations­rate deutlich höher ausgefallen als im Jahr davor. Zusätzlich werden Karenzzeiten nun voll auf Abfertigung, Jubiläumsgeld und Urlaubsanspruch angerechnet.
Der Chefverhandler der ArbeitnehmerInnen, Rainer Wimmer, nennt es ein faires Ergebnis: „Beide Parteien, Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen, können damit leben.“ Veit Schmid-Schmidsfelden, Chefverhandler auf Arbeitgeber-Seite, betont, dass es „ein Abschluss unter schwierigen Rahmenbedingungen war, den wir für die Branche gerade noch vertreten können“. Mit dem traditionellen Handschlag und „Glück auf“-Gruß wird die Verhandlung für dieses Jahr beendet, bis es nächstes Jahr wieder heißt: Die Herbstlohnrunde wurde mit den Verhandlungen der MetallerInnen eröffnet.

Linktipp:
„Geld oder Leben? Beides natürlich!“

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Christian Resei Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831760 Die Chefverhandler der ArbeitnehmerInnen Rudolf Wagner (GPA-djp, links) und Rainer Wimmer (PRO-GE, in der Mitte) verkünden kurz vor sechs Uhr morgens die gemeinsame Einigung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831771 Die unterschiedlichen Aspekte eines Vorschlags abwägen zu können ist wichtig. BetriebsrätInnen können durch ihr Fachwissen und durch ihre Erfahrungen aus den Unternehmen Offerte gut einschätzen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831779 Über 60 BetriebsrätInnen und ArbeitnehmervertreterInnen haben bei den Metaller-KV-Verhandlungen auf ihren Einsatz gewartet. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770831746 Interview: Arbeitsbewertung neu überlegen Arbeit&Wirtschaft: Laut Eva Scherz von der GPA-djp hat die konsequente Mindestlohnpolitik der Gewerkschaften Verbesserungen für Frauen gebracht. Würden Sie das unterschreiben?

Ulrike Papouschek: Ja, natürlich. Dies wird zwar üblicherweise nicht als klassische Gleichstellungsforderung definiert. Da es aber nach wie vor so ist, dass Frauen in den untersten Lohngruppen am häufigsten vertreten sind, ist das eine ganz wichtige Maßnahme. Ich würde es eine klassische Gender-Mainstreaming-Maßnahme nennen, also eine Maßnahme, von der Frauen in höherem Ausmaß betroffen sind und die für sie deshalb sehr wichtig ist.

Arbeit von Männern und Frauen wird ja durchaus unterschiedlich bewertet. Ist dies auch in den Kollektivverträgen sichtbar?

Jein. Wenn darin unterschiedliche Bezahlungen vorgesehen sind, dann nicht für gleiche, sehr wohl aber für gleichwertige Tätigkeiten. Nichtsdestotrotz müsste man sich in allen Kollektivverträgen noch einmal anschauen, ob die Bewertungen wirklich geschlechtsneutral sind und adäquat. Das ist ein Thema, das im Moment nicht besonders en vogue ist. Dazu muss man einfach auch konstatieren, dass es eine sehr schwierige Geschichte ist, weil: Was ist gleichwertige Arbeit? Wir haben kaum mehr das Problem – und ich nehme jetzt einmal die individuell vereinbarten Löhne aus –, dass wir für gleiche Arbeit unterschiedliche Entgelte haben. Wir haben es eher für gleichwertige Tätigkeiten – und damit meine ich Tätigkeiten, die in Bezug auf Können, Anstrengung und Belastung, Verantwortung und Umgebungsbedingungen gleich hohe Anforderungen stellen –, die unterschiedlich entlohnt werden. Das ist die spannendere Frage.
Wobei ich formulieren würde, dass seit 2013 gerade im Reinigungs-Kollektivvertrag – also für Gebäude, Fassaden oder Büros – auf verschiedenen Ebenen einiges passiert ist. Dank der Mindestlohnpolitik werden auch Zuschläge und Überstunden beispielsweise für das Urlaubsgeld einberechnet. Das ist Punkt eins. Der zweite wesentliche Punkt ist, dass es im Reinigungs-Kollektivvertrag eine Stundenbezahlung gibt. Das bedeutet, dass Tätigkeiten unterschiedlichen Lohngruppen zugeordnet sind – das kann sein Hotelreinigung, Spital oder Büro –, und es wird stundenmäßig je nach Lohngruppe bezahlt. Das unterscheidet diese Branche vom Handel, wo es um die überwiegenden Tätigkeiten geht. Die Bezahlung nach überwiegenden Tätigkeiten produziert ein ziemliches Problem, weil es natürlich Unternehmen, Arbeitgebern die Strategie erlaubt, Frauen beispielsweise an die Kasse zu setzen und zu schauen, dass die nicht über 50 Prozent ihrer Arbeitszeit dort arbeiten, weil sie sonst in eine höhere Lohngruppe fallen würden. Die Gewerkschaft geht das aber auch an.

Wo sehen Sie weitere Herausforderungen?

In der Reinigung gibt es eine neue Lohnordnung, die einigen Frauen einige Verbesserungen gebracht hat. Was aber bislang wenig hinterfragt worden ist, ist die Bewertung der sogenannten Sonderreinigung, und das ist sicher ein großes Problem.
Bei der Reinigung möchte ich aber noch auf etwas hinweisen: Ein Problem in der Branche sind die Arbeitszeiten, gerade bei der Büroreinigung, also vor Bürobeginn, nach Büroschluss. Das zu ändern liegt zwar nicht wirklich in der Möglichkeit der Kollektivvertragspartner. Gleichzeitig sollte das auch eine politische Aufgabe sein. Hier könnte der öffentliche Dienst Vorreiter sein, um diese Kultur wieder zu verändern. Und das ist organisierbar, weil es gibt Organisationen, in denen auch während der Bürozeiten gereinigt wird. Das wäre schon etwas sehr Wichtiges, weil es den Frauen ermöglichen würde, auch längere Arbeitszeiten zu haben. Das Zweite ist: Man sagt ja, Reinigung ist toll für Frauen. Aber diese geteilten Dienste sind natürlich unglaublich vereinbarkeitsunfreundlich – vor der Schule und nach Arbeitsschluss. Früh, spät und zerrissen: Das bedeutet auch mehr Anfahrtswege. Hier muss aber auch die Politik Verantwortung übernehmen, das sollte man nicht nur auf die Kollektivvertragspartner abschieben.

Nun könnte man auch sagen, dass diese schwierigen Arbeitszeiten eigentlich eine bessere Bezahlung rechtfertigen würden.

Das ist eben nicht der Fall, die Reinigung ist trotzdem eine sehr niedrig bezahlte Branche.

Müsste die Einkommenstransparenz noch weitergehen?

Man weiß seit 20, 30 Jahren aus skandinavischen Untersuchungen, dass die Einkommenstransparenz gerade bei den individuellen Gehaltsverhandlungen eine ziemlich große Rolle spielt. Für diese Ebene des Wissens bei Verhandlungen nach höherem Gehalt ist Einkommenstransparenz wichtig, gerade für Frauen.
Es gibt ja auch Branchenkulturen wie in der IT, wo das Gehalt jahrzehntelang wirklich tabuisiert wurde. Mit der Einkommenstransparenz kann dem ein Riegel vorgeschoben werden.

In Österreich ist das Senioritätsprinzip weiterhin sehr relevant. Inwieweit benachteiligt dies Frauen?

Es gibt schon länger Bemühungen, dieses Senioritätsprinzip zu verringern. Ich glaube auch nicht, dass man so viele Senioritätsstufen braucht, wie sie in einigen Kollektivverträgen festgehalten sind. Was Frauen außerdem benachteiligt, sind 
betriebszugehörigkeitsabhängige Ansprüche. Es ist ja ein Schwerpunkt der Gewerkschaften in den Kollektivvertragsverhandlungen, dies zu verändern. Beispielsweise werden im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft nicht nur Elternkarenzzeiten, sondern auch Hospiz- und Pflegekarenz bis zu einem bestimmten Grad als Dienstzeit angerechnet. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Einkommen, auf Urlaubsansprüche oder auf Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall, sondern auch auf Jubiläumsgelder in jenen Branchen, wo es diese nach wie vor gibt. Damit kann man die Erwerbsunterbrechung bis zu einem bestimmten Grad zumindest einbeziehen und kompensieren. Diesen Versuch gibt es in relativ vielen Kollektivverträgen.

In Österreich werden einerseits sehr viele Überstunden geleistet, andererseits ist Teilzeit weiblich. Ein Problem?

Im Jahr 2007 wurde das Mehrarbeitszeitgesetz verabschiedet, seither gibt es einen Zuschlag in der Höhe von 25 Prozent mit Durchrechnungszeitraum. Im Gesetz ist auch verankert, dass diese Durchrechnungszeiträume im Kollektivvertrag gesondert geregelt werden können.
In der Regel ist es so, dass sich die Kollektivverträge an diesem Mehrarbeitszeitgesetz orientieren. Aber sehr viele KollektivvertragsexpertInnen und -verhandlerInnen sagen: Das ist eine offene Baustelle, die ganz schwer in den Griff zu kriegen ist, weil es in den unterschiedlichen Unternehmen unterschiedliche Versuche gibt, genau das zu unterlaufen. Es sei sehr kompliziert und schwer zu kontrollieren. Ich denke, das ist eine Baustelle, wo noch einiges getan werden muss.

Sind Zulagen diskriminierend?

Das eine ist, dass es genau in diesem Zulagenbereich, sofern er nicht definiert ist, Schwierigkeiten gibt. Es gibt Kollektivverträge, beispielsweise in der Sozialwirtschaft, wo klar definiert ist, dass alle Zulagen aliquot auch an Teilzeitbeschäftigte ausgezahlt werden müssen, und das muss auch offengelegt werden. Das Zweite ist, dass Zulagen auch zusätzliche Aufstiegsbelohnungen sind. Auch das ist eine Ursache für geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede, auf Ebene der Kollektivverträge ist dies nur bei Einstufungen und der Gehaltsfestmachung ein Punkt. Ansonsten sind Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen in Unternehmen nicht wirklich ein Thema von Kollektivverträgen und natürlich auch nicht darin festgelegt, denn das wäre eine Überforderung. Das ist einfach eine Unternehmensgeschichte.

Sprich: Da ist die Rolle der BetriebsrätInnen umso wichtiger?

Genau so ist es. Es ist aus vielen Untersuchungen bekannt, dass bei den Zuschlägen wieder Diskriminierung stattfindet.

Weil man sie selbst fordern muss?

So ist es. Und weil Zulagen und Prämien oft intransparent gehandhabt werden. Wenn etwas nicht transparent ist, ist das immer schlecht für Frauen.

Gerade die Abschaffung der Frauenlohngruppen war historisch für die Gewerkschaften eine große Errungenschaft. Doch sind sie wirklich passé?

Im Großen und Ganzen schon. Einer der Kollektivverträge, die ich mir angesehen habe, ist jener der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Da wurden die geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede in großem Ausmaß schon Ende der 1980er-Jahre abgeschafft. Vorher gab es in jeder Lohngruppe noch die Gruppen A, B und C, und innerhalb der Gruppen war das wirklich der Klassiker, dass bei A die Männer eingereiht wurden. Diese Hierarchisierung gibt es nicht mehr. Damit ist sicher sehr viel erreicht worden, vor allem im Industriebereich.
Was ich auch für wichtig halte: Es gibt nach wie vor Branchen, in denen es keine bundeseinheitliche Entlohnung gibt, etwa im Hotel- und Gastgewerbe. Diese Branche ist völlig undurchsichtig, und da ist auch nur unter großen Mühen analytisch feststellbar, wo Frauen benachteiligt werden.
Es gibt also Branchen, wo es darum geht, in einem ersten Schritt relativ einheitliche und transparente Regelungen zu haben, um in einem zweiten Schritt überhaupt erst einmal eine Analyse vornehmen zu können. Der Stand in den einzelnen Branchen ist also sehr unterschiedlich. Insofern würde ich sagen, es braucht in den einzelnen Branchen ausgehend vom unterschiedlichen Stand auch unterschiedliche Anknüpfungspunkte.

Dazu gehört auch eine Koordinierung. Inwieweit findet diese statt?

Die findet statt, aber es ist beispielsweise im Hotel- und Gastgewerbe einfach schwierig. Wie ich von Kollektivverhandlungsseite weiß, argumentieren beispielsweise die West-Bundesländer stark mit dem Saisonbetrieb, also dass Wintertourismusformen nicht vergleichbar seien mit anderen Formen. Dieser Einigungsprozess wurde mir als sehr schwierig beschrieben. Ich glaube aber, dass er eindeutig notwendig ist. Und es gibt auch Versuche in diese Richtung.

Noch einmal zu den BetriebsrätInnen: Wo sehen Sie deren Rolle, wo könnten, wo sollten sie sich mehr engagieren?

Ihre Rolle bei der Einkommenstransparenz halte ich für eine wesentliche. Ansonsten bleibe ich da ein bisschen banal: Es geht darum, die Kollektivverträge umzusetzen. Eine allgemeine, wenn auch sehr schwierige Aufgabe sehe ich darin, dass BetriebsrätInnen den Beschäftigten gerade in diesen Zeiten im Konkreten klarer machen, was von BetriebsrätInnen, aber auch von der Gewerkschaft erreicht wurde. Und zu vermitteln, dass es das nicht automatisch gibt. Und dass das auch Kampf erfordern kann. Und dass es da ein Engagement aller braucht, auch der Beschäftigten.
Die Gewerkschaft scheint zum Teil wirklich weit weg und die Errungenschaften werden von den Beschäftigten nicht mehr mit ihr in Bezug gebracht. Da sehe ich schon eine Aufgabe von BetriebsrätInnen, das wieder weiterzutragen, klarer zu machen. Ich weiß, wie schwierig das ist, aber da glaube ich, wäre Engagement notwendig.

Man muss natürlich auch berücksichtigen, dass die Fragmentierung zunimmt und ArbeitnehmerInnen immer schwerer erreichbar und damit auch organisierbar sind.

Genau, es ist ein sehr komplexes Thema. Ich glaube schon, dass der Mehrzahl der BetriebsrätInnen das alles klar ist und sie kämpfen auch. Dabei brauchen die BetriebsrätInnen natürlich auch Unterstützung.
Zwei weitere Punkte, die ich für wichtig halte: Sie sollten in der Frage der Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeit genauer hinschauen. Sie haben damit schon begonnen, und daran sollte man weiterarbeiten. Zweitens sollten sie die Arbeitsbewertung auf der geschlechtsspezifischen Ebene wieder stärker zum Thema zu machen. Ich könnte auch provokant formulieren: Es wäre insgesamt sehr spannend und wichtig, sich die derzeitige Arbeitsbewertung wieder stärker zur Diskussion zu stellen, und zwar über die geschlechtsspezifische Benachteiligung hinaus.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Linktipp:
Bericht der Bundesregierung, Kapitel „Kollektivverträge und der Abbau von Frauenbenachteiligung“
tinyurl.com/zoeo55d

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Interview: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770831740 Zulagen sind für die Sozialwissenschafterin Ulrike Papouschek ein Thema, bei dem sich eine genauere Betrachtung lohnen würde: Diese werden oft intransparent gehandhabt, und "das ist immer schlecht für Frauen". http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770830294 vida: Türkei | Do&Co feuert 122 fliegende KöchInnen „Wir protestieren aufs Schärfste gegen die Kündigung von 122 fliegenden KöchInnen in der Türkei. Die Kolleginnen und Kollegen waren Beschäftigte des Cateringunternehmens Do&Co. Die Konzernspitze gibt an, dass ihr Rauswurf im Zuge notwendiger Restrukturierungsmaßnahmen erfolgt sei. Da sie postwendend durch neues Personal ersetzt wurden, ist ihre Kündigung wohl nur eine fadenscheinige Ausrede, um sie möglichst schnell loszuwerden. Und zwar offenbar nur, weil sie gewerkschaftlich tätig waren“, zeigen sich Johannes Schwarcz, Vorsitzender des Fachbereichs Luftfahrt, und Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida, empört.

Funktionäre der türkischen Gewerkschaft DISK berichten, dass die KöchInnen postwendend nach Protesten gegen immer schlechter werdende Arbeitsbedingungen gekündigt wurden. „Sie haben nur von ihren Grundrechten Gebrauch gemacht! Das muss auch Do&Co-Firmenchef Attila Dogudan zur Kenntnis nehmen. Die alleinige Verantwortung für die Massenkündigung liegt bei ihm. Die Firmenzentrale von Do&Co ist in Wien, es kann nicht sein, dass ein international agierender 
österreichischer Konzern die Rechte von Beschäftigten mit Füßen tritt. Dieses Verhalten ist ein Skandal“, so Schwarcz.

„Das ist ein ganz mieser Versuch, Beschäftigte einzuschüchtern. Nach dem Motto: ‚Wer sich auflehnt, der fliegt‘. Die türkischen Kolleginnen und Kollegen berichten, dass sie vor ihrem Rauswurf gegen Mobbing und Repressalien aktiv geworden sind. Die Kündigungen werfen ein bezeichnendes Licht darauf, wie Do&Co, allen voran Attila Dogudan, mit ArbeitnehmerInnenrechten umgeht. Wir als Gewerkschaft vida verurteilen diese unfaire Behandlung der Köchinnen und Köche aufs Schärfste. Wir fordern Do&Co auf, die Kündigungen unverzüglich zurückzunehmen und die betroffenen Beschäftigten wieder einzustellen!“, so Berend Tusch.
 
Infos unter:
tinyurl.com/z89tw25

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Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770830290 AK: Digitaler Wandel muss gerecht sein! Industrie 4.0, Big Data, künstliche Intelligenz – alles Schlagworte, die die Arbeitswelt in Zukunft wesentlich bestimmen werden. „Damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei nicht auf der Strecke bleiben, muss auch die Mitbestimmung in den Unternehmen weiterentwickelt und festgeschrieben werden“, sagte AK-Präsident Rudi Kaske anlässlich der Fachkonferenz „Die Zukunft der Arbeit – Bestimmt mit uns! Strategien und Optionen für die betriebliche Mitbestimmung 4.0“. 

Smartphones, intelligente Haushaltsgeräte, Twitter, Skype, WhatsApp, automatisierte Produktionsanlagen – der Mensch ist sowohl privat als auch beruflich immer mehr und öfter mit dem digitalen Wandel konfrontiert. In der Freizeit kann jeder und jede selbst bestimmen, ob und in welchem Ausmaß die neuen Techniken genutzt werden. In der Arbeitswelt hingegen gehören die stetigen technischen Entwicklungen zum Alltag – und damit auch die von Arbeitgeberseite in diesem Zusammenhang geforderte Flexibilität. „Diese Veränderungsprozesse werden intensiver und treten auch häufiger auf. Umso wichtiger ist es, das Mitbestimmungsrecht zu modernisieren“, sagt der AK-Präsident und verweist auf einen aktuellen Beschluss des österreichweiten ArbeitnehmerInnenparlaments. 

Um den digitalen Wandel in der Arbeitswelt gerecht zu gestalten, sind sowohl ExpertInnen aus der Praxis als auch solche aus der Wissenschaft aufgefordert, zeitgerecht brauchbare Rahmenbedingungen zu schaffen. „Die Vertreterinnen und Vertreter der Belegschaft benötigen ordentliche Werkzeuge, um die Interessen wahren zu können“, erklärte Kaske. Dazu gehören etwa die Ausweitung des Geltungsbereiches des Arbeitsverfassungsgesetzes genauso wie verstärkte Mitbestimmung in Aufsichtsorganen und anderen Gremien oder die Stärkung der Handlungsressourcen für BelegschaftsvertreterInnen. Vor diesem Hintergrund veranstalteten der ÖGB, die Gewerkschaften GPA-djp, PRO-GE, younion und vida mit der Arbeiterkammer Wien eine internationale Tagung, bei der neben ExpertInnenreferaten auch in unterschiedlichen Workshops zu Themen wie „Zukunft der Arbeitsorganisation“, „Zukunft des Arbeitsrechts“, aber auch zur „Zukunft des betrieblichen Datenschutzes“ gearbeitet wurde. Außerdem wurde so ein Austausch zwischen ExpertInnen aus der betrieblichen Praxis und den ExpertInnen aus der Wissenschaft geschaffen. „Wir müssen jetzt klarstellen, dass Debatten über den digitalen Wandel und die Zukunft der Arbeit mit jenen geführt werden müssen, die auch von diesen Entwicklungen betroffen sind“, so Präsident Kaske. „Die Zukunft der Arbeit erfordert unsere Mitbestimmung!“
 
Infos unter:

tinyurl.com/z23bpsg

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Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770830265 Frisch gebloggt Die Artikel in voller Länge sowie jede Menge anderer spannender Debattenbeiträge finden Sie unter blog.arbeit-wirtschaft.at.

Hier einige besonders lesenswerte Beiträge:

  • Nach Brexit und Trump: Auf dem Weg zum Neonationalismus (Frank Ey)
  • Schadet Ungleichheit der Demokratie? (Martina Zandonella, Evelyn Hacker)
  • Aus der Krise lernen (Georg Feigl)

Bittere Polit-Überraschung
Der Sieg Donald Trumps bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist erschreckend. Der Grund für seinen Sieg liegt unter anderem in Stimmen aus jenen Bevölkerungsschichten, die mit den bestehenden ökonomischen Verhältnissen unzufrieden sind, Zukunftsängste haben und sich nach einem Umschwung sehnen. Trump konnte speziell bei diesen WählerInnen mit seiner Kritik am bestehenden System, wie etwa seiner Kritik an US-Freihandelsabkommen, dem schlechten Zustand der US-Wirtschaft und seiner nationalistischen Forderung „America First“ punkten.
Doch maßgebend für die ökonomischen Ungleichgewichte, welche sich in den letzten Jahren auch im Zuge der Krise(npolitik) verschärft haben, ist die neoliberale Orientierung in der Politik. Ein Paradoxon: Obwohl viele Rechtspopulisten selbst einer neoliberalen Politik frönen, haben gerade sie im Stimmenfang von den desaströsen neoliberalen Krisenmaßnahmen der letzten Jahre profitiert. Im Wahlkampf scheint das kein Problem zu sein, bedienen sich Populisten – unterstützt durch soziale Medien – doch systematisch einer Politik, bei der Fakten keine Rolle spielen.
Spätestens das Brexit-Votum hat verdeutlich, dass auch in Europa der Populismus große Wahlsiege einfahren kann – Rechtspopulisten in der EU sind freilich bereits seit Jahren auf dem Vormarsch. Die neonationalistische Untermalung des Neoliberalismus ist auch für die EU eine der zentralen Herausforderungen.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/h9mogpm

Ungleiche Partizipation?
Auf ein weiteres Problem in Zusammenhang mit steigender Ungleichheit verweist eine Studie über den Zusammenhang zwischen lokaler Einkommensungleichheit und der Wahlbeteiligung in Österreich. Politische Partizipationsmöglichkeiten wie die Teilnahme an Wahlen oder auch Engagement bei Interessenvertretungen, Aktionen oder Vereinen sind ein bedeutendes Grundgerüst demokratischer Gesellschaften. Sie erweitern individuelle Handlungsspielräume und helfen auf kollektiver Ebene, Machtunterschiede zu verringern. Eine Gleichverteilung politischer Partizipation gilt damit als Qualitätsmerkmal einer Demokratie. Sie gewährleistet eine gleichberechtigte Interesseneinbringung und -vertretung.
Leider hat Ungleichheit aber Einfluss auf die politische Partizipation. Einkommensungleichheit auf lokaler Ebene kann die Wahlteilnahme von exkludierten Gruppen zusätzlich senken. Ein fataler Teufelskreis, der aber auch zeigt, dass Einkommensungleichheit nicht nur für die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala von Nachteil ist, sondern für eine Gesellschaft als Ganzes.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/hxucvdx

Falsche Orientierung
Ein wesentliches Problem der Wirtschaftspolitik in Europa ist, dass sie einen zu starken Fokus auf Wachstum legt und dabei andere wesentlichere Ziele übersieht. Dass Wachstum per se nicht zu Wohlstandsgewinnen für alle führt, haben die letzten Jahrzehnte eindrücklich vor Augen geführt. Europa sollte deshalb den Fokus auf ein magisches Vieleck wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik legen.
Lange Zeit galt das magische Viereck der Wirtschaftspolitik als allgemeiner Referenzrahmen. Neben dem Wirtschaftswachstum waren auch Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zentrale Ziele. Ergänzt um eine intakte Umwelt, stabile Staatstätigkeiten, Lebensqualität, stabile Finanzmärkte und einen fair verteilten materiellen Wohlstand ergibt sich ein magisches Vieleck.
Ein wirtschaftspolitischer Umschwung in diese Richtung würde nicht nur helfen, die Wirtschaftskrise zu bewältigen und mehr Verteilungsgerechtigkeit etablieren. Er würde 
darüber hinaus Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nehmen.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/zskvmqm

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Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770830237 "Nicht zuletzt" ... Solidarische Lohnpolitik hat Zukunft! Die PionierInnen der österreichischen Gewerkschaftsbewegung haben ein Sozialpartnersystem miterschaffen, welches immer noch ein weltweites Vorbild ist – nicht Patriarchen oder von Eigentümern drangsalierte ManagerInnen entscheiden über die Mindeststandards in einem Betrieb, sondern der gemeinsam ausverhandelte Branchenkollektivvertrag. Der oder die Einzelne muss nicht um einen höheren Lohn „betteln“ gehen, sondern Gewerkschaften und BetriebsrätInnen sitzen stellvertretend für die Beschäftigten einer ganzen Branche mit den Arbeitgebern am Verhandlungstisch. Das ist weltweit vielleicht nicht einzigartig, aber in seiner Ausprägung und Breitenwirksamkeit außergewöhnlich.

Anteil am Wohlstand
Unser solidarischer Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen ist bis heute die beste Möglichkeit für ArbeitnehmerInnen, einen nachhaltigen Anteil am Fortschritt und am Wohlstandswachstum zu bekommen. Die jährlichen Lohnrunden werden jeden Herbst mit den Verhandlungen für die Metallindustrie eröffnet. Die dort vereinbarten Erhöhungen sind Orientierungspunkte für weitere Branchen. Das hilft vor allem schwächeren Gruppen, auch eine positive Einkommensentwicklung zu erreichen. Die solidarische Lohnpolitik der Gewerkschaften hat bisher auch dem Wirtschaftsstandort Österreich sehr genützt. Sie ist ein wesentlicher Beitrag zum sozialen Frieden und unterstützt die stetige Entwicklung unseres Wirtschaftssystems.

Reformen und Innovationen
Auch wenn Konflikte nicht ausbleiben und Diskussionen durchaus heftig und lang geführt werden: Die Sozialpartner treiben Reformen und Innovationen in den Kollektivverträgen voran. Regelmäßig werden Lohngruppen verändert, die Kriterien der Gehaltseinstufungen überarbeitet oder neue Modelle zur Arbeitszeitgestaltung eingeführt. Ebenso haben Kollektivverträge einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung des Arbeitsrechts bzw. eine sozialpolitische Vorreiterrolle. Es sind konkrete Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen, die sich über Kollektivverträge rascher regeln lassen als über die Gesetzgebung. Zuletzt ist uns das mit der vollständigen Anrechnung von Karenzzeiten bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen gelungen. Nachteile, vor allem für Frauen, beim Urlaubsanspruch, Krankenentgelt oder Jubiläumsgeld gehören nun der Vergangenheit an. Eine solidarische Lohn- und Kollektivvertragspolitik wird aber nur dann weiterhin erfolgreich sein, wenn es gelingt, durch regelmäßige Lohn- und Gehaltserhöhungen ein Sinken des Einkommensniveaus der arbeitenden Menschen zu verhindern und den erreichten Wohlstand fair auf alle zu verteilen. Derzeit erleben wir jedoch, dass sich die Entwicklung der Unternehmensgewinne immer mehr vom Einkommenswachstum der ArbeitnehmerInnen abkoppelt.
Und es gibt eine Verschiebung: Wir haben eine rasante Entwicklung auf den Finanzmärkten und Unternehmenseigentümer, deren Hauptsorgen ausschließlich die Höhe ihrer Dividenden sind. Diese steigenden Kapitalerträge kommen fast ausschließlich den bereits Vermögenden zugute, die Masseneinkommen nehmen im Vergleich hingegen nur schwach zu.

Instrument der Verteilung
Damit wird die Kaufkraft geschwächt, das Wachstum gebremst und die Arbeitslosigkeit steigt an. Eine negative Abwärtsspirale für die gesamte Wirtschaft wird in Gang gesetzt. Wir müssen es also schaffen, diese Finanzmarktorientierung der Unternehmen und die dadurch enorm gestiegenen Gewinne stärker bei den Kollektivvertragsverhandlungen einzubeziehen. Nur dann werden solidarische Lohn- und Gehaltsverhandlungen auch zukünftig ein zentrales Instrument unserer Wohlstandsverteilung sein.

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Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770830227 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481770830210 Der KV in Illustration Wie laufen KV-Verhandlungen aus ArbeitnehmerInnen-Sicht ab?
Quelle: AK/ÖGB-Darstellung, zusammengestellt von Sonja Fercher

Was regeln eigentlich Kollektivverträge?
Quelle: www.kollektivvertrag.at,
 AK/ÖGB-Darstellung, zusammengestellt von Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Alle Illustrationen dazu finden Sie bei den Downloads.

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Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481166022644 Historie: Eine gesündere Kampfbasis 1896 schloss die Organisation der BuchdruckerInnen den ersten Kollektivvertrag im engeren Sinne des Wortes  ab. So zumindest formulierte es Julius Deutsch 1908 in seiner Untersuchung über das Kollektivvertragswesen in den „Reichsratsländern“ der Habsburgermonarchie und damit auch im heutigen Österreich. Ein „echter Kollektivvertrag“ sei daran zu erkennen, dass es sich bei beiden Vertragsparteien immer um Organisationen handle, nie nur um einzelne Unternehmen und ihre Beschäftigten, und damit um eine zumindest regionale Geltung. Von solchen „echten Kollektivverträgen“ kamen bis 1908 nur wenige zustande, andere Arten von Tarifverträgen waren leichter durchzusetzen: Werkstätten- oder Firmenverträge zwischen einem einzelnen Unternehmen und einer Gewerkschaft oder Gruppenverträge zwischen Gewerkschaft und mehreren einzelnen Unternehmen.

Der zweite „echte Kollektivvertrag“ wurde 1903 im Bereich der Metallindustrie abgeschlossen, und zwar zwischen dem „Verband der Metallarbeiter Österreichs“ und der „Vereinigung der Galanterieschlosserwaren- und Bronzewarenerzeuger“. Er brachte den ArbeiterInnen unter anderem den 9-½-Stunden-Tag (statt des gesetzlichen 11-Stunden-Tages) und die Einführung von Mindestlöhnen. Dem Metaller-KV vorangegangen war ein 15-wöchiger Streik in Wien. Und um die Frage, ob Kollektivverträge eine neue effizientere Kampfform darstellen würden oder den Verzicht auf den konsequenten Einsatz für ArbeitnehmerInnen-Interessen bedeuteten, ging es auch in der Diskussion beim Vierten Reichskongress der Freien Gewerkschaften im Juni 1903. Die Zunahme der Tarifverträge, zum Teil mit problematischem Inhalt, war Anlass zu einer grundsätzlichen Stellungnahme, die KV-Abschlüsse als Fortschritt für die Interessenvertretung bewertete, aber darauf aufmerksam machte, dass sie nur zwischen starken Organisationen beider Vertragspartner sinnvoll seien. Hier ein Auszug aus diesem Grundsatzdokument der österreichischen Gewerkschaftsbewegung zur Kollektivvertragspolitik:

Der Kongress hält den Abschluss von Tarifgemeinschaften (kollektiven Arbeitsverträgen) für geeignet, das Wesen der Lohnkämpfe auf eine gesündere Basis zu stellen als bisher und unbedachten Lohnkämpfen vorzubeugen, deren Resultat in keinem Verhältnis zu den hierfür aufgewendeten Opfern steht. … Obzwar sich allgemeine Regeln hierfür nicht aufstellen lassen, so sind Tarifgemeinschaften doch überall dort empfehlenswert, wo starke Organisationen sowohl der Arbeiter wie auch der Unternehmer vorhanden sind, welche die Gewähr für Durchführung und Aufrechterhaltung der getroffenen Vereinbarungen bieten. … Um die hier ausgesprochenen Prinzipien in Zukunft wirksamer zur Durchführung bringen zu können und um überall den nötigen Einfluss auf die Festsetzung der Arbeitsbedingungen zu gewinnen, empfiehlt der Vierte österreichische Gewerkschaftskongress den einzelnen Berufen, die bereits bestehenden Organisationen auszubauen und durch Zuführung ausreichender Mittel zur Erfüllung aller, einer modernen Organisation zukommenden Aufgaben fähig zu machen.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481166022631 Polizei gegen Streikende in Böhmen im Jahr 1894. Kleine Lohnerhöhungen wurden noch gegen 1900 oft mit Verletzten, manchmal sogar Toten und Arbeitsplatzverlust erkauft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Dec 2016 00:00:00 +0100 1481166022623 Standpunkt: Unsolidarisch, frauenfeindlich Kämpferisch sein? Ach, lasst mich doch damit in Ruhe! Es ist Ende des Jahres, die Zeit ist schon stressig genug. In der Arbeit gibt es sowieso nur noch Stress: Was früher drei KollegInnen gemacht haben, muss nun eine/r allein schaffen. Krankenstände häufen sich, viele sind ausgepowert. Lasst mir doch bitte einfach meine Ruhe!
Solche Gedankengänge sind mehr als verständlich, denn die heutige Arbeitswelt hält für ArbeitnehmerInnen vielerlei Stressfaktoren bereit. Da kämpferisch zu bleiben kann wahrlich zum Kraftakt werden. Und doch führt kein Weg daran vorbei. Aber was heißt das eigentlich: kämpfen? Viele denken bei diesem Begriff zumindest an unangenehme Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern. Wer will sich schon gerne darauf einlassen, wenn er oder sie befürchtet, damit vielleicht gar den eigenen Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen?

Verkürztes Verständnis
Dies ist aber ein verkürztes Verständnis von „Kampf“. Kämpfen fängt im Grunde schon an, wenn sich ArbeitnehmerInnen miteinander und mit den BetriebsrätInnen darüber austauschen, was sie belastet. Oftmals kann nämlich schon ein einfaches Gespräch mit den Arbeitgebern eine Lösung bringen. Manchmal muss man Lösungen freilich auch erkämpfen. Auch das kann bedeuten, dass man ein Thema immer und immer wieder anspricht und dadurch den Druck aufrechterhält. Letztlich beginnt auch jede Kollektivvertragsverhandlung in den Betrieben: Dort sammeln BetriebsrätInnen Erfahrungen und suchen nach Lösungen. Nur wenn sie von den KollegInnen darüber informiert werden, wo der Schuh drückt, können sie mit ihnen über Lösungen nachdenken und Vorschläge erarbeiten – und diese auch in die Verhandlungen einbringen.
All das mag wie eine Binsenweisheit klingen, und doch muss man es sich immer wieder vor Augen halten. Vor allem verliert der Begriff Kampf an Bedrohlichkeit und wird zu einer machbaren Angelegenheit, gerade wenn der Stress groß ist. Was auf betrieblicher Ebene gilt, gilt umso mehr bei Kollektivverträgen: Je mehr Menschen gemeinsam für etwas kämpfen und also hinter einer Forderung stehen, desto besser stehen die Chancen, diese erfolgreich umsetzen zu können.
Erst vor Kurzem wurden wieder Stimmen laut, die Kollektivverträge zurückdrängen wollen. Kurzsichtig und unsolidarisch: Nicht anders kann man dieses Anliegen bezeichnen. Es würde jenes Machtungleichgewicht, das ohnehin im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen besteht, weiter vergrößern. Zudem setzt man ArbeitnehmerInnen massiv unter Druck – und zwar in einer Zeit, wo der Druck am Arbeitsplatz ohnehin bereits hoch ist, für manche sogar schon unerträglich hoch. So gehen viele ArbeitnehmerInnen selbst dann arbeiten, wenn sie besser ihre Krankheit auskurieren sollten. Damit riskieren Arbeitgeber nicht nur, dass KollegInnen angesteckt werden, sondern vor allem, dass schlecht auskurierte ArbeitnehmerInnen irgendwann länger ausfallen. Damit ist dieses Verhalten auch noch unsolidarisch, denn letztlich ist es das Gesundheitssystem, das die Konsequenzen tragen, und die Solidargemeinschaft, die sie finanzieren muss.

Gemeinsam stärker
Nicht zuletzt ist das Zurückdrängen von Kollektivverträgen frauenfeindlich. Es hätte nämlich deutlich mehr Intransparenz zur Folge, und gerade diese schadet Frauen immer. Auch auf Ebene der Kollektivverträge setzen sich GewerkschafterInnen dafür ein, gesellschaftspolitische Anliegen wie die Gleichberechtigung der Geschlechter voranzutreiben. Beispiele dafür sind die Anrechnung der Karenzzeiten oder die Bezahlung von Überstunden bei Teilzeitkräften: Hier erringen die Gewerkschaften Fortschritte, die auf der betrieblichen Ebene nur schwer durchsetzbar wären. Auch das mag wie eine Binsenweisheit klingen, ist dennoch nicht weniger wahr: Gemeinsam ist man stärker.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 10/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522924 Reportage: Von Aufgaben, die wachsen lassen, und fairen Partnerschaften Sie heißen weder Brigitte Ederer noch Angela Merkel oder Hillary Clinton. Sie heißen Renate Blauensteiner, Ana Ilic oder Doris Christina Steiner. Sie stehen nicht im Rampenlicht, sondern hinter den Frauen und Männern in der ersten Reihe. Sie sind Filialleiterinnen, Objektmanagerinnen, Senior Consultants, Betriebsratsvorsitzende oder Bereichsleiterinnen – Frauen in der zweiten und dritten Führungsebene. Und sie sind viele. Wie viele, das wurde im Gegensatz zu den Zahlen der Frauen in den Vorstandsetagen und Aufsichtsräten, die einmal jährlich veröffentlicht werden, noch nicht erhoben. Während ganz an der Spitze Frauen noch immer sehr rar gesät sind, dürften weibliche Führungskräfte ein bis zwei Etagen darunter alles andere als selten sein. Bisher hat nur kaum jemand auf sie geschaut.

Eine von ihnen ist Renate Blauensteiner, die im Opel-Werk von General Motors in Wien dem Betriebsrat vorsteht und damit die Interessen von rund 1.400 MitarbeiterInnen vertritt – 97 Prozent davon männlich. Auch ihr Stellvertreter und der dritte Betriebsrat sind Männer. Als Blauensteiner uns an einem Freitagnachmittag Anfang November im Opel-Werk in Wien-Aspern empfängt, hat sie seit 32 Stunden nicht geschlafen – sie hat die Nacht über für die Produktionsgewerkschaft PRO-GE Kollektivverhandlungen geführt.
Den Job als Betriebsratsvorsitzende, auf den unter anderem die Mitgliedschaft im Europa-Betriebsrat von Opel und die Vizepräsidentschaft der Arbeiterkammer Wien folgten, hat sich Blauensteiner nicht ausgesucht. Sie war von 1983 an Arbeiterin in der Produktion und wurde von der Kollegenschaft immer wieder zur Teamsprecherin und damit zum „Bindeglied zwischen Belegschaft und Betriebsrat“ gewählt. Das Angebot, den Betriebsratsvorsitz zu übernehmen, kam einigermaßen überraschend. Sie musste es erst überdenken – und mit ihrem Mann besprechen, mit dem sie zwei Kinder und zwei Stiefkinder hat. „Wir haben das gemeinschaftlich entschieden. Ich sage immer: Der Mann denkt, die Frau lenkt“, sagt sie verschmitzt.

Stolz auf die Partnerin
Eine gute und faire Partnerschaft, bei der beide Teile Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung übernehmen, ist aus Sicht der 57-Jährigen essenziell, damit auch Frauen verantwortungsvolle Positionen übernehmen können. Als sie etwa die Sozialakademie besuchte und dafür von 1994 bis 1995 ein Jahr lang jede Woche von Sonntag bis Freitag in Mödling war, schupfte ihr Mann den Haushalt, wusch die Wäsche und half den Kindern beim Lernen. Das war damals,
Ende der 1980er-Jahre, noch keineswegs üblich. Ihre Funktionen brachten auch einen oft vollen Terminkalender mit sich. Für ihren Mann war das kein Problem: „Er hat sich gefreut und war stolz.“
Wie Renate Blauensteiner entwickeln viele Frauen, die sich nicht „von Natur aus“ in einer leitenden Position gesehen hätten, mit der Zeit und den Erfahrungen Führungsqualitäten. „Man wächst mit den Aufgaben“, sagt Blauensteiner. Am Anfang habe sie „Bammel vor allem“ gehabt und wollte vor allem als Frau nicht belächelt werden. Ihr Selbstvertrauen hatte einen Wachstumsschub nötig. Nach einer abgebrochenen Friseurlehre, einer Karenzzeit mit Kindern sowie der Arbeit als Verkäuferin in einer Lampenfabrik und Fließbandjobs mit Schichtarbeit war selbst das Schreiben eine Herausforderung für sie. Sie nahm sie an, verfasste fortan Protokolle und gewann Selbstbewusstsein, welches ihr heute bei Verhandlungen nützt. Ihre weiteren Ziele? „Ich will erreichen, dass der Standort Aspern für viele weitere Jahrzehnte abgesichert ist.“ Und die Vision für die Frauen? „Es soll sich so weit ändern, dass sich die Frage gar nicht mehr stellt: Ist das ein Mann oder eine Frau? Dann bräuchten wir gar keine eigenen Frauenbereiche mehr.“

Reserve-Kindergartentante
Auch Doris Christina Steiner, die mit ihren 29 Jahren schon seit drei Jahren eine Führungsposition innehat und nebenbei an der Fachhochschule Kufstein unterrichtet, ist mit jeder ihrer Aufgaben gewachsen. Die Lust zu führen war ihr offenbar schon in die Wiege gelegt worden. „In der Familie haben sie mich ‚Der General‘ genannt“, lacht sie. Sie habe „immer schon gern Entscheidungen getroffen und Verantwortung übernommen“. Als „Natural Born Leader“ mimte sie schon im zarten Alter von vier Jahren die Reserve-Kindergartentante, indem sie sich auf deren Platz setzte, wenn die echte Tante den Raum verließ.
Steiner ist eine von vier Senior Consultants der Kommunikationsagentur Ketchum Publico und damit direkt der Geschäftsführerin unterstellt. Ihr Aufgabenbereich sind die Digitalagenden, zu ihrer KundInnenliste gehören unter anderem BMW, A1, PwC und Microsoft. 2014 war sie Onlinerin des Jahres, und sie gewann bereits einige Preise, unter anderem bei den PR Young Lions in Cannes. Bei Ketchum wird „agil“ geführt, was bedeutet, dass die Teams je nach Projekt und Bedarf immer wieder neu zusammengestellt werden. So arbeiten MitarbeiterInnen auch oft gleichzeitig für mehrere Senior Consultants. Nicht zuletzt deshalb werden Steiner und die anderen Seniors bei Personalentscheidungen einbezogen. Auch MitarbeiterInnengespräche gehören zu ihren Aufgaben – bei ihrem ersten war sie „furchtbar nervös“.
Als junge Frau muss sie nicht nur ihre MitarbeiterInnen, sondern auch ihre KundInnen überzeugen. Und da zeigte sich bei ihr ein Muster: „Mit Frauen, die in meinem Alter, also um die 30 sind, gibt es überhaupt keine Probleme. Das sind Frauen, die sich beruflich nehmen, was sie wollen. Da gibt es eine Solidarität.“ Auch ältere Männer als Kunden seien kein Problem, sofern sie ihnen „kontere“. Schwierig laufe es mitunter mit Frauen ab ca. 40. Was der Grund dafür sein könnte, dazu kann Steiner nur Mutmaßungen anstellen: „Diese Frauen haben sich sehr viel erarbeiten müssen.“
Frauen, so glaubt Steiner, könnten „ruhig unverschämter und selbstbewusster“ sein: „Man merkt oft bei Frauen, dass sie sich weniger zutrauen, als sie eigentlich können. Viele sitzen in der Perfektionsfalle.“ Sie selbst kam einmal drauf, dass ein männlicher Kollege um 100 Euro mehr Basisgehalt bekam als sie: „Daraufhin habe ich um 200 Euro mehr verlangt.“ Und manchmal wählt Steiner auch gern die große Geste: Das Gründungsevent ihres Vereins Digitalista, der Frauen in der Digitalbranche vernetzen und stärker sichtbar machen will, veranstalteten Steiner und ihre Kolleginnen in einem Zigarrenclub – einem Ort, der früher für Frauen tabu war.

Karriereplan
Für Steiner, die in ihrer Familie die Erste war, die ein Studium absolviert hat, gibt es ein klares Langzeit-Ziel: Sie will einmal einen Vorstandsposten beziehen. Obwohl sie schon früh mithilfe eines Mentors einen Karriereplan erstellt hat, sind die konkreten Schritte dorthin nicht genau definiert. In näherer Zukunft würde sie gerne ein internationales Team führen. Erste Erfahrungen im Ausland kann sie schon vorweisen – so half sie etwa mit, im Ketchum-Büro in Mumbai die Digitalschiene aufzubauen.

Das Leben von Ana Ilic, die aus Bosnien und Herzegowina stammt, teilt sich in zwei Hälften: vor und nach ihrer Flucht vor dem Jugoslawienkrieg. Damals, 1993, war sie Mitte 20 und floh mit ihrem Onkel und ihrer Tante nach Wien. Hier lebt sie seit rund 24 Jahren. Die jugendlich wirkende Frau, die mit ruhiger Stimme spricht, konnte das Wirtschaftsstudium in ihrer Heimat nicht abschließen, musste alles zurücklassen, auch ihre Mutter und Schwester, und sich „von null“ eine neue Existenz aufbauen – inklusive einer völlig neuen Sprache. Der Job als Reinigungskraft für das Unternehmen Simacek, den sie relativ bald nach ihrer Ankunft in Wien antrat, war für Ilic ein Segen – und sie ist immer noch dabei: „Ich bin eine treue Seele.“ Vor zehn Jahren wurde ihr ein Job als Objektmanagerin angeboten: „Durch meinen Einsatz ist es dazu gekommen. Ich arbeite gerne und es wurde gesehen, dass ich mehr kann und zuverlässig bin.“ Heute ist Ilic für 23 Objekte, darunter ein Spital, ein Kindergarten, ein Fitnessstudio und Banken, verantwortlich – und für 80 MitarbeiterInnen.

Voller Einsatz
Geschenkt bekam Ilic diese Chance nicht: Sie bildete sich intensiv weiter, absolvierte eine Lehre zur Denkmal-, Fassaden und Gebäude-Reinigerin, besuchte weiterbildende Fachkurse und machte vor zwei Jahren auch noch die Meisterprüfung. Voller Einsatz, zu dem etwa auch das tägliche Aufstehen um vier Uhr  früh gehört, ist für sie selbstverständlich. Gleichzeitig ist sie um den menschlichen Umgang mit KundInnen und MitarbeiterInnen bemüht: „Ich versuche, gerecht zu sein und den Leuten zu helfen, wenn ich kann und wenn ich sehe, dass sie Hilfe brauchen.“ Obwohl Ilic niemand ist, „der sich an die erste Stelle stellt“ und sich auch nicht als Karrierefrau sieht, muss sie in ihrer Rolle als Chefin manchmal unpopuläre Dinge tun und etwa Verwarnungen aussprechen: „Man muss sich schon durchsetzen können. Es ist nicht selbstverständlich, dass man von jedem akzeptiert wird.“ Manche MitarbeiterInnen seien der Meinung, sie könnten Ilics Arbeit vielleicht besser machen. Die männlichen Mitarbeiter, eine deutliche Minderheit in ihrem Team, haben dabei nie ein Problem mit der weiblichen Chefin gehabt. Manchmal muss Ilic MitarbeiterInnen kündigen: „Ich muss ehrlich sagen, ich habe immer ein Problem damit. Es gibt immer einen Grund dafür, aber mir geht es trotzdem schlecht damit.“

Rahmenbedingungen
Renate Blauensteiner, Doris Christina Steiner und Ana Ilic stehen stellvertretend für Frauen, die eine Führungsrolle im mittleren Management übernommen haben. Dass sie Karriereschritte gemacht haben, verdanken sie nicht nur ihrem eigenen Einsatz, sondern auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie KollegInnen und UnternehmerInnen, die ihnen mitunter einen kleinen Schubser gegeben und Mut zugesprochen haben. Vielleicht sind sie Powerfrauen, vielleicht ist das aber auch nur ein Klischee. Womöglich sind sie ganz normale Frauen mit Führungsqualitäten, die FörderInnen und UnterstützerInnen im Beruflichen wie Privaten hatten und haben – genau wie ihre männlichen Kollegen. Jedenfalls sind diese Frauen Role-Models, die vorleben, dass es heute keine Besonderheit mehr ist, als Frau in Führung zu gehen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Innovative Modelle für Gleichstellung
Zwar sind viele Frauen sehr gut ausgebildet – und doch fehlen sie in Führungspositionen. Dieses Potenzial liegt brach, wenn sie in niedrig qualifizierten Jobs bleiben, anstatt aufzusteigen. Manuela Vollmann hält das volkswirtschaftlich und unternehmerisch für unvernünftig. Die Geschäftsführerin des Vereins abz austria, der sich das Thema Frauen in der Wirtschaft auf die Fahnen schreibt und dazu unter anderem Unternehmen berät, stellt fest: Unternehmen müssten sich fragen, „ob sie nicht aus dem ganzen Pool schöpfen wollen“.
Allzu oft heißt es, dass Frauen gar nicht führen wollen und sich auf Stellenausschreibungen nicht melden. Es sei richtig, dass sich Frauen seltener für Führungspositionen bewerben, aber dafür gebe es Gründe, bei denen es anzusetzen gelte, so Vollmann: „Im Recruiting-Prozess ist es Realität, dass Männer sich sofort bewerben, sobald sie sehen: Das interessiert mich.“ Frauen dagegen würden sich Inserate ganz genau anschauen – und wenn sie sehen, dass ihnen eine Qualifikation fehlt, bewerben sie sich nicht.
„Man muss an den Kern des Problems gehen und sich fragen, wie Inserate gestaltet sein müssen, damit sich auch Frauen bewerben“, meint Vollmann. Ein weiterer Ansatz ist, sich innerhalb der Unternehmen bewusst nach passenden Frauen umzusehen – für Spitzenpositionen etwa in der zweiten Führungsebene.
Und noch etwas: Manche Qualifikationen und Talente liegen nicht auf dem Präsentierteller. Viele Frauen sind Managerinnen ihrer Familien. „Unternehmen sind gut beraten, sich anzusehen, welche informellen Kompetenzen die Frauen haben – Kompetenzen, die sie nicht an der Uni gelernt haben“, so Vollmann.
Natürlich heiße das nicht, dass jede Frau eine gute Managerin sei, aber möglich ist es – und dann wäre es ziemlich vernünftig, diese Fähigkeiten auch im Unternehmen zu nutzen und diesen Frauen eine Führungsposition anzubieten.

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Alexandra Rotter Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522891 Schon als Vierjährige übernahm Doris Christina Steiner gern freiwillig das Ruder und vertrat bei Bedarf die Kindergartentante. Später setzte sie sich zum Ziel, noch vor dem 30. Geburtstag eine leitende Position zu erreichen - und das gelang ihr. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522900 Renate Blauensteiner vertritt als Betriebsratsvorsitzende rund 1.400 MitarbeiterInnen im Wiener Opel-Werk - 97 Prozent davon männlich. Sie war zuvor selbst Arbeiterin in der Produktion. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522905 Ana Ilic schaffte es trotz ungünstiger Startbedingungen, eine Führungsposition zu erreichen. Im Alter von 24 Jahren flüchtete sie vor dem Jugoslawien-Krieg nach Wien. Zurücklassen musste sie nicht nur Mutter und Schwester, sondern auch ihr Studium. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522391 Mannsbilder Egal welcher Herkunft, die traditionelle Männlichkeit definiert sich meist über wirtschaftlichen Erfolg, Arbeit, Beruf und Selbstständigkeit. „Je traditioneller ein Männlichkeitsbild ist, desto schwieriger wird es, dieses in einer sich diversifizierenden Gesellschaft zu leben“, resümiert Christian Holzhacker vom Verein Wiener Jugendzentren. Fällt die Rolle des „Familienoberhauptes“, des Erfolgreichen und Tüchtigen weg, bleibt oft nur der eigene Körper.
Und der Körper hat, so wird überliefert, stark und dominant zu sein. „Ich lasse mir nichts gefallen“, will er zeigen. Nicht selten wird Gewalt als Strategie gewählt, um Konflikte zu lösen. Dass die heutigen Zeiten konfliktförderlich sind, ist bekannt. Weniger bekannt ist die Burschen- und Männerarbeit, die in Österreich seit über 30 Jahren erfolgreich gegen untaugliche Bilder von Männlichkeit ankämpft. „Nahezu alle psychosozialen Probleme können Männer und Frauen gleichermaßen betreffen“, schreibt der in der Männerberatung Wien tätige Psychologe Ulrich Krainz in der Festschrift „Typisch Mann – 30 Jahre in Bewegung“.

Typisch Mann?
Nur: Männer gehen anders damit um als Frauen. „Gerade in prekären und kritischen Lebenssituationen neigen Männer dazu, geschlechtstypisch zu reagieren.“ Ein Umstand, der in der Soziologie als männliches Bewältigungsmodell eingegangen ist. In diesem spielt die Anwendung von Gewalt seit jeher eine Rolle. So waren etwa im Jahr 2013 gewalttätige Handlungen in der Männerberatungsstelle Wien mit 41 Prozent prioritäres Thema. Viele Klienten kommen freiwillig, manche werden zugewiesen.

Dachverband
Die Männerarbeit in Österreich bietet ein sehr dichtes Hilfsangebot für Männer und Burschen. Am 15. Jänner 2016 wurde der Dachverband Männerarbeit in Österreich (DMÖ) gegründet. Mitglieder sind alle Männerberatungseinrichtungen in Österreich, wie etwa die Männerberatung Wien oder der Verein White Ribbon, der sich für öffentliche Kampagnen gegen Gewalt von Männern engagiert, oder poika, der Verein für gendersensible Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht.
In jedem Bundesland ist mindestens eine Männerberatung tätig, wie der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark oder die Männerberatung Mannsbilder Tirol. Älteste Einrichtung ist die Katholische Männerbewegung Österreich (KMB), die sich seit über 60 Jahren für Männer einsetzt.

Bubenarbeit
Auch die Buben-, Burschen- bzw. Jungenarbeit hat Tradition. Bereits die 1984 gegründete Männerberatung Wien hatte mit der angeschlossenen „Präventionsstelle“ Angebote für Jugendliche. Im Jahr 2008 wurde der Verein poika gegründet. „Die Bubenarbeit stärkt ein Selbstbewusstsein, das eine eigenständige Geschlechtsidentität fördert und nicht auf die Abwertung anderer zielt. Burschen nehmen eigene Grenzen und die der anderen wahr und finden gewaltfreie Problemlösungen“, schreibt Vereinsobmann Philipp Leeb in einem Text in der Zeitschrift „polis aktuell“.
„Die Bubenarbeit unterstützt letztlich alle Geschlechter“, meint Leeb. Die Unterstützung bei der Selbstfindung männlicher Heranwachsender sei heute wichtiger denn je. Leeb führt die relativ neue Strömung des „Maskulismus“ an, die stark mit der extremen Rechten sympathisiert. „Mit dem ‚Maskulismus‘ trat in den vergangenen Jahren ein ebenso widersprüchlicher wie gefährlicher Akteur in die geschlechterpolitische Diskussion.“
Obwohl der Maskulismus außerhalb der digitalen Welt kaum mobilisieren könne, sei er dennoch nicht zu unterschätzen, analysierte der Forscher Robert Claus in seiner im Juli 2014 erschienenen Studie „Maskulismus. Antifeminismus zwischen vermeintlicher Salonfähigkeit und unverhohlenem Frauenhass“. Er könne, so Claus, eine ge­sellschaftspolitische Allianz zusammen mit patriarchalen Bewegungen sowohl dezidiert rechtsextremer als auch religiös fundamentalistischer Couleur bilden.

Offene Jugendarbeit
„Der digitale Raum ist unglaublich polarisiert und aggressiv geworden“, sagt Christian Holzhacker, seit 1999 in der offenen Wiener Jugendarbeit mit dem Fokus auf Burschenarbeit tätig. Im März des Jahres war er mit der Aufarbeitung einer tätlichen Auseinandersetzung mehrheitlich tschetschenischer und afghanischer Jugendlicher befasst. „Die Eskalation hatte auf Facebook mit persönlichen Beleidigungen begonnen. Einander gegenüber standen aber keine ethnischen oder religiösen Gruppen, sondern sozial prekarisierte Menschen, die mit massiven sozialen Fragen konfrontiert sind.“
Ziel der geschlechtsbezogenen Orientierung in der Jugendarbeit der Wiener Jugendzentren „ist die Unterstützung bei der reflektierten Ausbildung ihrer Geschlechterrollen und dem Abbau beiderseitiger geschlechtsspezifischer Benachteiligungen und rollenbezogener Vorurteile“. Die Burschenarbeit habe das Ziel, den jungen Menschen anstelle der herkömmlichen Männerstereotype ein lebensfreudiges und lebenstüchtiges Selbstbild zu vermitteln. Dabei stünden Ressourcen und Fähigkeiten im Vordergrund, weniger die Probleme, die sie verursachen oder die ihnen zugeschrieben werden.

Identität
Der Verein Wiener Jugendzentren beschäftigt sich schon seit Jahren mit Fragen der Identitätsentwicklung Jugendlicher im Kontext der Migrationsbewegungen. Die Herausforderungen des Erwachsenwerdens seien im Wesentlichen gleich geblieben, meint Holzhacker. Durch die Migration hinzugekommen seien unterschiedliche Männlichkeitsbilder. Auch Religion wurde in den letzten Jahren verstärkt Thema. „Sie wird in der immer chaotischer werdenden Welt mit Schwierigkeiten bei Bildungsübergängen, in der die Erwartungshaltung der Eltern mit jener der Gesellschaft kollidiert, zur Orientierungshilfe. Es ist aber keine Entwicklung, wenn sich die Jugendlichen mit viel religiösem Wissen in immer fundamentalistischere Positionen begeben. Beschäftigt man sich damit, fallen den Jugendlichen die Widersprüche selbst auf.“
Laut einer im Mai fertiggestellten Studie der Stadt Wien, in der Jugendliche aus der offenen Jugendarbeit befragt wurden, sind 27 Prozent der befragten muslimischen Teenies „radikalisierungsgefährdet“. Die Risikofaktoren der Radikalisierung, so Studienautor Kenan Güngör, seien der Religionsgrad, ein homogener Freundeskreis, Migrationserfahrung und das Geschlecht. Radikalisierung, lautet das Fazit, ist männlich.

Effiziente Arbeit
Inzwischen liegen Daten vor, die den Zusammenhang zwischen der Intervention mobiler Jugendarbeit und dem Rückgang von Delikten mit jugendlichen Tatverdächtigen statistisch nachweisen.
Zwischen Jänner 2014 und Mai 2016 führte das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) ein Forschungsprojekt unter dem Titel „JA_SICHER. Jugendarbeit im öffentlichen Raum als mehrdimensionale Sicherheitsmaßnahme“ durch. Mithilfe elaborierter Methodentools wurden aussagekräftige Erkenntnisse gewonnen und Empfehlungen zur Optimierung mobiler Jugendarbeit und zur Erhöhung des sozialen Friedens im Gemeinwesen abgeleitet. Die Studie attestiert der mobilen Jugendarbeit „eine beachtliche toleranzsteigernde Vorbildwirkung, etwa in den Dimensionen Gender, sexuelle Orientierungen und nationale bzw. ethnische Herkunft.“
Die Studie, deren Gesamtergebnisse zu Jahresende publiziert werden, beweist weiter: Durch den Einsatz der mobilen JugendarbeiterInnen gehen Körperverletzungen mit tatverdächtigen Jugendlichen in Parks und bestimmten Stadtteilen um 15 bis 20 Prozent zurück.

Linktipps:
Gender – Gleichstellung – Geschlechtergerechtigkeit. Texte, Unterrichtsbeispiele, Projekte.
Philipp Leeb, Renate Tanzberger, Bärbel Traunsteiner. Wien: Edition polis, 2014
tinyurl.com/oum5myj
„Schulische Bubenarbeit“, polis aktuell 8/2014
tinyurl.com/n9bfuel
Forschungsprojekt „JA_SICHER“
tinyurl.com/q7flqcg
www.wienerjugendzentren.at

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522385 Die Unterstützung bei der Selbstfindung männlicher Heranwachsender ist heute wichtiger denn je. Die Bubenarbeit leistet dies und unterstützt letztlich alle Geschlechter. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522374 Frauenfreizeit: Luft nach oben Ein Blick auf die Statistik zeigt: Frauen haben täglich rund eine Stunde weniger Freizeit als Männer. Doch das ist noch nicht alles: Bei einer Gehaltsschere von rund 22 Prozent müssen österreichische Frauen im Jahr 2016 um 82 Tage länger arbeiten, um auf das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen zu kommen. Dem gegenüber steht das Bedürfnis nach Freizeit, das auch bei Frauen ausgeprägt ist.
Frauen im erwerbstätigen Alter würden jedenfalls zusätzlich verfügbare Zeit nicht mit Arbeit anfüllen. Auf die Frage, wie sie die Zeit ausfüllen würden, wenn sie 82 Tage im Jahr weniger arbeiten müssten – bei gleicher Bezahlung –, trafen Constanze E. (28), Anna W. (35) und Britta M. (42) folgende Wahl: Sie würden die Zeit nutzen, um für mehr Erholung und Persönlichkeitsentwicklung zu sorgen. Sport, FreundInnen, Familie, Lesen, Weiterbildung (Sprachen, Schauspielkurs), Faulenzen, Reisen, Wellness­tag, Ausgehen und verschiedene Hobbys: All diesen Aktivitäten würden sie deutlich mehr Zeit widmen. Oder wie es Anna W. zusammenfasst: „Für mich mehr Zeit und Muße haben.“

Haushalt weiterhin Frauensache
In der Zeitverwendungsstudie definiert die Statistik Austria den Begriff Freizeit: Darunter sei „vor allem Zeit“ zu verstehen, „die zur eigenen, vollkommen freien Verfügung steht und überwiegend Vergnügen und Entspannung bringen soll“. Viele Menschen würden vielleicht jede Zeit außerhalb des Jobs als „Freizeit“ bezeichnen. Diese Sicht deutet bereits auf ein Kernproblem hin: Die vielen Jobs abseits des Broterwerbs liegen meist in weiblicher Hand.

Deutlich weniger Freizeit
Denn obwohl Frauen ähnlich viel Zeit für die Grundbedürfnisse wie Schlafen, Essen oder Körperpflege wie Männer aufwenden, bleibt am Ende des Tages den Frauen bedeutend weniger Freizeit übrig. So auch am Wochenende: Da verwenden Frauen fast die Hälfte ihrer Zeit für Hausarbeit und die anderen 55 Prozent für Freizeitaktivitäten. Männer wiederum investieren nur knapp ein Drittel ihrer Zeit in Hausarbeit, dafür aber 72 Prozent in Freizeitaktivitäten. Einflussfaktoren sind bei Frauen und Männern außerdem das Einkommen und die Tatsache, ob sie Kinder haben oder nicht.
Was unterm Strich bleibt, ist täglich eine Stunde weniger Freizeit für die Frauen. Dabei gibt es je nach Altersgruppe Unterschiede: Am wenigsten Freizeit haben Frauen zwischen 20 und 39 Jahren: Hier nutzen Frauen durchschnittlich 2 Stunden und 33 Minuten täglich für Freizeitaktivitäten – während es bei den Männern fast eine ganze dreiviertel Stunde mehr ist. Frauen unter 19 verfügen über fast vier Stunden Freizeit, Frauen zwischen 40 und 59 haben etwas mehr als drei Stunden – die Männer beider Altersgruppen können fast eine halbe Stunde mehr Freizeit genießen. Die über 60-jährigen Frauen haben mit etwas mehr als 4,5 Stunden am meisten Freizeit, getoppt werden sie allerdings erneut von ihren männlichen Kollegen, die sogar fast eine Stunde und 15 Minuten mehr zur Verfügung haben.

Freizeitbeschäftigung Nr. 1
Was tun wir nun mit der wenigen Freizeit? Trotz der Umbrüche in der digitalen Welt wird in der Freizeit in erster Linie ferngesehen. Im Jahr 2015 haben die ÖsterreicherInnen täglich fast drei Stunden vor der Flimmerkiste verbracht. Das ist der zweithöchste gemessene Wert bisher, der TV-Konsum ist in den letzten Jahrzehnten sogar gestiegen. Geschlechtsspezifisch lassen sich nur marginale Unterschiede ausmachen, Männer sehen ein klein wenig mehr fern.
Ein weiterer Trend ist klar auszumachen, nämlich dass vermehrt über das Internet verschiedene Medieninhalte konsumiert werden. Generell ist ein zunehmender Konsum elektronischer Medien feststellbar. An der zweiten und dritten Stelle der häufigsten Freizeitbeschäftigungen sind Zeitunglesen (rund 30 Prozent, geringfügig mehr Männer) und Spazierengehen (29,1 Prozent der Frauen und 22,1 Prozent der Männer). Weitere Freizeitbeschäftigungen: Sport sowie Kultur und Unterhaltung.

Besonders nachvollziehbar wird die knappe Freizeit von Frauen an dem persönlichen Beispiel von Anna. Die 35-Jährige antwortet auf die Frage, wie sie ihre Freizeit nutzt, folgendermaßen: „Momentan gar nicht so leicht zu beantworten, da meine Freizeit – also Zeit, die wirklich zu meiner eigenen, vollkommen freien Verfügung steht – derzeit sehr begrenzt ist.“ Und weiter wird deutlich, wie es kommt, dass TV-Konsum so ein häufiges Freizeitphänomen ist: „Wenn ich müde und erschöpft bin, ist es schon eher Fernsehen und Internet – also eher ein passives Konsumieren. Fühle ich mich wieder fitter, bin ich gerne in der Natur, arbeite in meinem Garten, gehe gerne spazieren, genieße Sonnenstrahlen.“ Auch das Pflegen von Sozialkontakten ist für sie sehr wichtig. Und: „Ich habe vor Kurzem mit Yoga begonnen, auch das zählt zu meiner Freizeitgestaltung, und wenn mir ein gutes Buch in die Hände fällt, kann ich so richtig abtauchen.“

Sport für sie
Obwohl der Stellenwert des Sports insgesamt gestiegen ist, so sind Frauen dennoch in allen Bereichen des Sports (von Freizeit- bis Profisport) unterrepräsentiert. Nicht jedoch bei der 28-jährigen Constanze, für die sportliche Betätigung ein wesentlicher Bestandteil ihrer Freizeitbeschäftigung ist. „Das hat eine sehr große Bedeutung für mich, weil es wesentlich zu meinem allgemeinen Wohlbefinden beiträgt.“ Sportliche Aktivität stellt für sie „einen optimalen Ausgleich zum Büroalltag“ dar. Und recht hat sie: Die meisten Menschen haben eine überwiegend sitzende Lebensweise, die körperlichen Ausgleich verlangt. Für die Frauengesundheit wirkt sich körperliche Aktivität positiv auf verschiedenen Ebenen aus. Es ist insbesondere eine wirksame Vorsorge gegen zahlreiche chronische Erkrankungen wie Übergewicht, Bewegungsapparat-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ähnliches.
Außerdem zeigen Studien, dass auch die mentale Widerstandsfähigkeit von Frauen gestärkt wird: Sportlich aktive Frauen haben ein größeres Selbstvertrauen und höhere Selbstachtung und fühlen sich generell erfolgreicher – auch in Bezug auf ihre berufliche Karriere. Mittlerweile gilt auch als gut belegt, dass sportliche Aktivitäten die geistige Fitness effektiv unterstützen und somit eine der wirksamsten Präventionsmaßnahmen gegen Demenz darstellen.
Gesundheit wird meist erst bei Krankheit wahrgenommen. Ähnlich verhält es sich offenbar auch mit Freizeit bzw. deren Mangel. Es wird allzu leicht vergessen, dass ein wesentlicher Effekt von Freizeit Erholung ist – und damit wiederum erst Leistungsfähigkeit möglich wird. Denn nur erholte Menschen können über längere Zeit vital und leistungsfähig bleiben. Anna bringt es auf den Punkt: „Eigentlich bemerke ich erst, welche Bedeutung meine Freizeitbeschäftigungen haben, wenn ich sie aus beruflichen, familiären und ausbildungstechnischen Gründen längere Zeit nur sehr eingeschränkt ausführen kann. Ich werde dann gereizt, fühle mich unentspannt und erschöpft. Mein Immunsystem ist dann auch geschwächt und ich fühle mich alles in allem einfach nicht auf der Höhe.“ Die Freizeitbeschäftigungen sind wichtig für das Abschalten vom beruflichen Alltag, von Verpflichtungen oder auch von verschiedenen Ärgernissen: „Sie bringen mich auf andere Gedanken, manchmal holen sie mich auch wieder ganz zurück in die Gegenwart. Es kommt auch vor, dass ich erst durch meine Freizeitbeschäftigungen wieder bemerke, wie es mir eigentlich gerade geht und was im Leben für mich wirklich zählt.“

Priorität: Ich
Eine gute Säule für die psychische und physische Gesundheit ist es also, sich genügend Ich-Zeit einzuräumen. Da gerade Frauen hohen beruflichen und familiären Anforderungen standhalten müssen, benötigen sie persönliche Erholungszeiten. Die 42-jährige Britta sagt dazu: „Ich brauche es teilweise, um den Kopf frei zu kriegen – mit Musikhören, Sport, Natur, Entspannungsübungen … Und zum anderen Teil, um meinen Kopf voll zu kriegen – also Neues zu erkunden und um meinen Horizont zu erweitern.“ Und weil die Rahmenbedingungen nicht immer Erholungs- und Freizeitphasen automatisch ausreichend (freiwillig) hergeben, sind Frauen in der Position, sich diese aktiv nehmen bzw. einfordern zu müssen. Ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist jedenfalls die bessere Aufteilung der Hausarbeit zwischen Mann und Frau, ebenso wie die Familienarbeit, so ein Paar Kinder hat. Denn: Da gibt es eindeutig Luft nach oben für die Frauen.

Linktipp:
Österreichischer Frauengesundheitsbericht 2010/2011, Bundesministerium für Gesundheit 
tinyurl.com/znojcj8

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Elke Radhuber, Kommunikationswissenschafterin, Coach, Trainerin Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522365 Frauen bleibt am Ende des Tages bedeutend weniger Freizeit übrig. So auch am Wochenende: Da verwenden Frauen fast die Hälfte ihrer Zeit für Hausarbeit, Männer wiederum nur knapp ein Drittel. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522353 Das Ringen um die Zeit „Frauen zahlen den Preis für ein funktionierendes Familienleben.“ So fasst das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen die Ergebnisse einer Studie zu den unterschiedlichen Arbeitszeiten von unselbstständig beschäftigten Männern und Frauen zusammen. Die Frauenabteilung der GPA-djp präzisiert das Problem: „Die ungeschminkte Wahrheit lautet: Frauen in Österreich leisten zwar fast doppelt so viele Stunden an unbezahlter Arbeit wie Männer, aber sie verdienen wesentlich weniger, da sie dadurch weniger Stunden bezahlte Erwerbsarbeit leisten.“

Die Zeitschere
In Österreich betrug der „Gender Time Gap“– also der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der bezahlten Wochenarbeitszeit – im Jahr 2015 mehr als acht Stunden. Dies ist der dritthöchste bzw. drittschlechteste Wert in der Europäischen Union. Bemerkenswert: Bei immerhin 17 von 28 EU-Staaten macht diese Lücke weniger als vier Stunden pro Woche aus.
In Österreich hat sich zwar dieser „Gap“ in den letzten zehn Jahren um knapp eine Stunde reduziert. Den entsprechenden politischen Bemühungen – etwa um den Ausbau der Kinder- und Nachmittagsbetreuung oder die Reform des Kindergeldes – wirkt aber vor allem die massive Ausweitung der Teilzeit permanent entgegen. So ist die Teilzeitrate in Österreich stärker gestiegen als anderswo, nämlich um 25 Prozent. Im EU-Schnitt erhöhte sich dieser Wert lediglich um rund 15 Prozent. Frauen sind von dieser Entwicklung besonders negativ betroffen. Bei ihnen hat sich dieser Wert von 1994 bis 2015 von 26 auf rund 48 Prozent erhöht, während er bei Männern – trotz einer ebenfalls deutlichen Steigerung – nur bei 11 Prozent lag. Nach einer Studie der Statistik Austria ist der Stundenlohn von Frauen, die Teilzeit arbeiten, zudem im Durchschnitt um fast ein Viertel niedriger als jener von Frauen, die Vollzeit beschäftigt sind.
Genau umgekehrt stellt sich demgegenüber die Kluft zwischen Männern und Frauen bei der unbezahlten Arbeit bzw. der Gesamtarbeitszeit dar. Laut Zeitverwendungsstudie der Statistik Austria arbeiten erwerbstätige Frauen 66 Stunden pro Woche. 40 Prozent dieser Arbeit sind unbezahlt. Bei Männern sind es 64 Stunden, allerdings zwei Drittel davon bezahlt.

Allheilmittel Flexibilisierung?
Flexibel arbeiten und Vereinbarkeit leben: So lautet das Motto von „Frau in der Wirtschaft“ der Wirtschaftskammer Österreich. Gefordert werden unter anderem Einzelvereinbarungen zur Festlegung der Wochenarbeitszeit sowie die problemlose Erhöhung der täglichen Arbeitszeit für unselbstständig Beschäftigte. Zumindest in der Theorie klingt dies verlockend. In der Praxis aber würde das vor allem den Wegfall von Zuschlägen und Normalarbeitszeiten von bis zu zehn Stunden pro Tag bedeuten. Frauen, die – wie erwähnt – durch die hohe Teilzeitquote ohnehin weniger verdienen und damit auch weniger Pension erhalten, würden so zusätzlich belastet werden. Der Druck, auf Zuruf des Unternehmens gegebenenfalls einfach länger zu arbeiten, würde weiter steigen, und damit würden die Möglichkeiten, „Vereinbarkeit“ zu leben, in vielen Fällen sogar real sinken.

Flexibilisierung nutzt Männern
Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer Studie von Yvonne Lott und Heejung Chung, Forscherinnen der Hans-Böckler-Stiftung und der University of Kent. Tatsächlich vergrößert nämlich der Wechsel in Gleitzeit oder in frei wählbare Arbeitszeiten die Lohnschere zwischen Männern und Frauen. Bei Männern steigt nach einem Wechsel auf Gleitzeit der Jahresbruttolohn im Schnitt um 1.200 Euro, bei vollständiger Arbeitszeitautonomie sogar um 2.400 Euro. Selbst wenn der Überstunden-Effekt herausgerechnet wird, bleiben Zuwächse von 1.100 bzw. 2.100 Euro. Bei Frauen ist demgegenüber keine signifikante Veränderung feststellbar.
Doch warum ist das so? Die beiden Wissenschafterinnen meinen, dass Vorgesetzte hier Männern einfach höheres Engagement und mehr Produktivität zumindest zuschreiben. Frauen müssen demgegenüber flexiblere Arbeitszeiten vor allem dazu nutzen, um weiter ihren Betreuungspflichten nachzukommen. Auch wenn Gleitzeitmodelle im einen oder anderen Fall Sinn machen können, lösen Flexibilisierungen somit keineswegs Fragen der Verteilungsgerechtigkeit der Arbeitszeit. Das betont auch die Soziologin Claudia Sorger, die seit Jahren zum Thema Arbeitszeit und Geschlechtergerechtigkeit forscht.

Für Sorger stecken Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitpolitik viel zu stark in Mustern der Vergangenheit fest: 40-Stunden-Woche, der männliche Vollzeitmann und die „Back-up“-Frau. „Der gesellschaftliche Wandel spiegelt sich nicht in der Gestaltung der Arbeitszeit wider“, fasst die Soziologin das Problem zusammen. Aus feministischer Perspektive wird die Frage der Verteilung von (unbezahlter) Arbeit schon lange betont.
Männer sollen ebenso wie Frauen Betreuungsarbeit leisten. „Viele Männer wollen das auch inzwischen durchaus tun“, ist sich Sorger sicher. Sie verweist auf Umfragen, wonach in Deutschland 47 Prozent aller Eltern mit Kindern unter sechs Jahren eine egalitäre Aufteilung wünschen, bei der beide Elternteile annähernd im selben Arbeitszeitausmaß arbeiten. Ebenso werden in diesem Kontext konkrete Umsetzungsmodelle diskutiert bzw. getestet. So hat die deutsche Familienministerin Manuela Schwesig die Idee einer „Familienarbeitszeit“ in die Debatte geworfen. Jungen Paaren soll eine egalitäre Aufteilung der Versorgungs- und Erwerbsarbeit durch eine staatlich gestützte 32-Stunden-Woche ermöglicht werden.

Gute alte Forderungen
Andere Modelle gehen stark in Richtung guter alter gewerkschaftlicher Forderungen. So wurde in einem Pflegeheim im schwedischen Göteborg 2014 per Beschluss der Stadtverwaltung die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden bei gleichbleibender Bezahlung umgesetzt. Ein zentraler Effekt des Versuchs war, dass viele Teilzeitjobs verschwanden.
So wurden mit einem Schlag 30-Stunden-Teilzeit- zu Vollzeit-Jobs. Viele Pflegerinnen wechselten in den neuen und offenbar attraktiven 6-Stunden-Schichtplan und begannen damit Vollzeit zu arbeiten. „Kürzer arbeiten – leichter leben“ lautete das Motte einer Kampagne der GPA-djp im letzten Jahr. Im Fokus stand dabei die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Eva Scherz von der GPA-djp sieht in der Kampagne einen bewussten Kontrapunkt zu den hohen realen Arbeitszeiten in Österreich.

Klarer Zusammenhang
Sehr klar sieht die Gewerkschafterin auch den Zusammenhang zwischen Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitszeitverkürzung: „Um zu einer gerechteren Verteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern zu kommen, führt kein Weg an einer Arbeitszeitverkürzung vorbei.“
Claudia Sorger argumentiert ähnlich und betrachtet vor allem die Verkürzung der Wochennormalarbeitszeit als zentralen Hebel, um entsprechende Gestaltungsspielräume zu schaffen. Nicht nur der Druck auf erwerbstätige Eltern würde somit insgesamt geringer. Auch Mythen wie lange Anwesenheiten als Messlatte für gute Arbeitsleistung könnten dadurch leichter infrage gestellt werden. Weitere Ansatzpunkte bestehen in der Anerkennung der Versorgungsarbeit als gesellschaftliche Aufgabe durch den Ausbau von Betreuungseinrichtungen.
Nicht zuletzt sollten Frauen und Männer in der Arbeitszeitpolitik ausgewogen repräsentiert sein. Dabei geht es aber nicht nur um die Einbeziehung der Lebensrealität und Bedürfnisse von Frauen. Strategien zur Geschlechtergerechtigkeit müssen auch an Männer adressiert sein. Die Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern bedarf schließlich auch einer Veränderung der männlichen Geschlechterrollen und Normen.

Nadja Bergmann und Claudia Sorger (Hg.)
40 Jahre 40-Stunden-Woche in Österreich: Und jetzt?
Impulse für eine geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik, ÖGB-Verlag 2016
Download unter tinyurl.com/ptqokq5

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522347 Teilzeitquote bei Erwerbstätigen - zum Vergrößern auf die Grafik klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522336 Familienfreundlich = frauenfreundlich? Weit weg vom Großstadtrummel, im niederösterreichischen Sprögnitz, liegt der mehrfach ausgezeichnete „Vorzeigebetrieb“ Sonnentor. Es begann damit, dass der Unternehmensgründer Johannes Gutmann seine Heimat Waldviertel nicht verlassen wollte. Der übliche Karriereweg führte damals wie heute weg vom Land in Richtung Stadt – aber das „war so gar nicht seins“. Was im Jahr 1988 als Ein-Mann-Vision mit dem Verkauf von Bio-Kräutern und Gewürzen startete, ist heute ein großer Betrieb mit 400 MitarbeiterInnen und einem Sortiment von 900 Produkten.
Auf der Wiese vor dem betriebseigenen Kindergarten „Sonnenscheinchen“ tollen lachende Kinder herum. Während die Eltern im Waldviertler Kräuterunternehmen arbeiten, werden ihre Spröss­linge zwischen ein und sechs Jahren von Kindergartenpädagoginnen betreut. Der Kindergarten ist von sieben Uhr bis 17 Uhr geöffnet. Ein eigenes Ferienprogramm entlastet die MitarbeiterInnen zusätzlich und sorgt dafür, dass die Kleinen auch kurzfristig versorgt werden können.

Zu hohe Erwartungen
Lange Zeit konzentrierten sich die Bemühungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in erster Linie auf Frauen. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Frauen unter der Doppelbelastung einzubrechen drohen. In einer Studie hat sich die AK Wien die Erwartungen junger Frauen in Wien genauer angesehen. Für Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie, war das überraschendste Ergebnis: „Sie haben extrem hohe Erwartungen an sich selbst. Sie wollen im Beruf erfolgreich sein, haben aber auch sehr hohe Werte, wenn es darum geht, Zeit mit den Kindern zu verbringen.“ So hielten es 92 Prozent der befragten Frauen für wichtig, sich selbst zu verwirklichen. Zugleich wollten 82 Prozent viel Zeit mit dem Kind verbringen. 83 Prozent gaben an, sie möchten gerne beruflich erfolgreich sein. Die AK-Expertin hält fest: „Beides wird sich nicht ausgehen.“
Die Ergebnisse decken sich allerdings mit dem, was Frauen weiterhin vorgegaukelt wird, nämlich dass sie „eh alles“ könnten. „Aber das stimmt nicht“, hält Moritz fest. „Darum braucht es auch die Männer.“ Viele von ihnen muss man dabei gar nicht zu etwas zwingen. Vielmehr zeigen immer mehr Väter Interesse daran, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und somit ebenfalls aus dem Beruf auszusteigen. Dies verlangt allerdings nach einem anderen Umgang mit dem Thema Beruf und Familie.

Ansetzen könnte man etwa bei der Verteilung der Arbeitszeit zwischen den Geschlechtern, findet Moritz. „In der Zeit, wo die Kinder noch klein sind, arbeiten Männer und Frauen gemeinsam ungefähr 60 Stunden. Aber muss es so sein, dass der Mann 40 Stunden und Überstunden macht und die Frau nur wenige Stunden arbeitet, oder könnte man das nicht anders aufteilen?“
Den Wünschen von Männern und Frauen würde es jedenfalls entsprechen. Nicht zuletzt sollte man sich Gedanken darüber machen, ob die traditionelle Vorstellung von einer kontinuierlichen „Berufslaufbahn“ mit ständigem Vollzeit-Arbeitsplatz eigentlich noch der Realität entspricht. Bei Sonnentor können Beschäftigte dank der familienorientierten Maßnahmen Familie und Beruf viel besser vereinbaren als in herkömmlichen Betrieben. Manuela Feher, Marketing-Chefin bei Sonnentor, erläutert weitere Prioritäten des Betriebes in puncto Familienfreundlichkeit: „Flexible Teilzeitregelungen und flexible Arbeitszeiten sind enorm wichtig.“

Aufstieg in Teilzeit
Die Arbeitstage und das Stundenausmaß sind in Abstimmung frei wählbar. Zudem werden Väterkarenzen aktiv gefördert und von den Mitarbeitern auch genutzt.
Entgegen marktüblichen Gepflogenheiten können auch Teilzeitkräfte aufsteigen. Dies wirkt sich positiv auf die Anzahl von Frauen in Führungsebenen aus. Durch Jobsharing gewinnen Beschäftigte und Führungskräfte wertvolle Familienzeit. Das Karenzmanagement bei Sonnentor gilt als vorbildlich. Beschäftigte kehren nach der Karenz selbstverständlich in gleichwertige Positionen zurück. Rückkehrgespräche, individuelle Karriereplanung und Mentoring erleichtern zudem den gleitenden Wiedereinstieg. Aktuell sind bei Sonnentor 177 Frauen und 69 Männer beschäftigt. Der Anteil an weiblichen Führungskräften liegt bei 63 Prozent.

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522327 Bei Sonnentor können Beschäftigte dank der familienorientierten Maßnahmen Familie und Beruf viel besser vereinbaren als in herkömmlichen Betrieben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522319 Frauen blitzen öfter ab Frauen verdienen weniger als Männer. Der Einkommensunterschied besteht bereits seit Jahren. „Frauen sind schüchtern, bescheiden und trauen sich nicht, in Gehaltsverhandlungen mehr Geld zu fordern“: So lautet eine weitverbreitete Annahme.

Von Vorurteilen geleitet
Doch stimmt diese These oder ist sie vielleicht selbst von Vorurteilen geleitet? In einer groß angelegten Fallstudie haben sich WissenschafterInnen der University of Wisconsin, der University of Warwick und der Cass Business School dieses Themas angenommen. Im Zuge der Studie wurden 4.600 Angestellte in mehr als 800 australischen Unternehmen befragt. Das deutliche Ergebnis: Frauen fragen genauso oft wie ihre männlichen Kollegen nach einer besseren Bezahlung – allein: Sie erhalten sie seltener.

Um 25 Prozent geringere Chance
Die ForscherInnen fanden keine Anzeichen dafür, dass Frauen bei Gehaltswünschen zögerlicher sind, weil sie sich vor negativen Auswirkungen auf das Arbeitsklima fürchten, wie ebenfalls oft orakelt wird. „Wir müssen akzeptieren, dass hier offenbar schlicht diskriminiert wird“, sagt Andrew Oswald, Professor an der University of Warwick und einer der AutorInnen der Studie. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen mit ihrer Forderung nach mehr Einkommen beim Chef erfolgreich sind, liegt sogar um 25 Prozent unter jener von Männern. Dieses Umfrageergebnis ist nicht besonders überraschend, wenn man bedenkt, dass es Unternehmen weltweit seit Jahren verabsäumen, ihre Machokultur zu ändern. Frauen sind nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung in den Führungsebenen, sie werden vorwiegend mit operativen oder bestenfalls taktischen Führungsaufgaben betraut, vom strategischen Topmanagement bleiben sie meist ausgeschlossen.

Still sein, auf Superkräfte vertrauen?
Gründe dafür gibt es viele, einer könnte aber auch das veraltetete Frauenbild mancher Konzernmanager sein. So sorgte Microsoft-Chef Satya Nadella vor etwas mehr als zwei Jahren mit seiner Äußerung: „Frauen sollten nicht nach einer Gehaltserhöhung fragen, sondern darauf warten, bis der Chef sie für angemessen hält“, für große Empörung. Noch ab­s­truser wird die Aussage, wenn man bedenkt, dass er diesen Karrierehinweis nicht während eines Männerstammtisches fallen ließ, sondern bei einer Fachkonferenz für Frauen in der IT-Branche – noch dazu eine Branche, die händeringend nach mehr weiblichem Personal sucht. Nadella ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte, Frauen sollten auf ihre angeborenen „Superkräfte“ vertrauen und daran glauben, dass das System ihnen schon die richtige Gehaltserhöhung geben werde. „Es ist wie gutes Karma. Du wirst dafür belohnt“, erklärte er. Aus dem Machotum ins 21. Jahrhundert übersetzt bedeutet das nichts anderes als: „Frauen, seid nett, bleibt still, irgendwann werdet ihr und euer Wissen und Können von eurem Vorgesetzten schon entdeckt.“

Reine Diskriminierung
Was soll man als Frau denken oder wie soll man mit solchen Äußerungen umgehen, wenn sie von einem Mann kommen, der inklusive Boni ein zweistelliges Millionengehalt verdient? Für die ÖGB-Frauen ist das ein Tipp, der absolut fehl am Platz ist. „Dass Frauen sich mit der Ungleichverteilung von Chancen abfinden sollen – davon kann keine Rede sein. Viel eher sollten Chefs ihren eigenen Umgang mit Arbeitnehmerinnen überdenken. Denn auch von ihnen hängt der Erfolg des Unternehmens ab, und es gibt keine plausible Erklärung dafür, warum Männer für gleichwertige Arbeit mehr verdienen sollten“, betont Isabella Guzi, ÖGB-Bundesfrauensekretärin.
Genauso dachten wohl auch die KonferenzteilnehmerInnen, die ihrem Unmut über Nadellas Aussagen auf Twitter Luft machten. Eine fragte beispielsweise, ob der Microsoft-Manager den „Bezug zur Realität“ verloren habe, eine andere warf ihm Versagen als Ratgeber vor. „Frauen sind gut ausgebildet, leisten tolle Arbeit und fordern selbstbewusst, was ihnen zusteht. Dass das am Gehaltszettel nicht sichtbar ist, ist eine reine Diskriminierung“, so Guzi. Anhand eines simplen Beispiels versucht sie, diese Ungerechtigkeit zu erklären. „Man stelle sich vor, ein Manager stellt zwei neue junge ArbeitnehmerInnen ein. Der Mann wird von Anfang an in der Lohngruppe VI eingestuft, die Frau in der Lohngruppe IV, obwohl sie in der gleichen Abteilung arbeitet und genauso qualifiziert ist. Das kann die junge Frau über Jahre hinweg benachteiligen.“
Aufgrund der scharfen Kritik ruderte sogar der Chef des Technologiekonzerns später zurück und erklärte auf Twitter, er habe sich zu undeutlich ausgedrückt: „Unsere Branche muss die Lücke bei der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen schließen.“ Dann seien auch keine Gehaltserhöhungen zum Ausgleich von Benachteiligungen notwendig. Bleibt nur zu hoffen, dass er seine Einstellung gegenüber dem weiblichen Geschlecht dauerhaft geändert hat und die Leistung seiner Arbeitnehmerinnen fair und gerecht honoriert – auch dann, wenn sie sich nicht nur auf ihre Superkräfte verlassen und lautstark nach mehr Geld fragen.  

Weltweite Ungleichheit
Laut dem World Economic Forum (WEF) gibt es kein Land, wo Frauen und Männer gleich viel verdienen. Der Gender Pay Gap in Australien liegt bei etwa 17 Prozent, in Deutschland beträgt die Gehaltslücke laut Statistischem Bundesamt aktuell 21 Prozent, und in Österreich beträgt die Lohnschere 22,4 Prozent. Für die neue Studie über Gehaltsverhandlungen haben sich die ForscherInnen auf Australien fokussiert, weil es weltweit nur dort seit Jahren eine systematische Umfrage gibt, die das Arbeitsumfeld im Detail erhebt. Erfasst wird unter anderem auch, wenn MitarbeiterInnen eine Gehaltserhöhung fordern, ganz egal, wie die Verhandlung ausgeht. Laut Oswald lassen sich die Ergebnisse auch auf die USA und Europa übertragen, weil auf den Arbeitsmärkten ähnliche Bedingungen herrschen. Dass Australien in dieser Hinsicht eine Sonderstellung einnehme, hält er für „unwahrscheinlich“.
Man kann aus den Daten aber auch eine positive Erkenntnis herauslesen, sagt Ko-Autorin Amanda Goodall von der Cass Business School. Weibliche Angestellte unter 40 Jahren könnten demnach die gleichen Gehaltssteigerungen erzielen wie ihre gleichaltrigen männlichen Kollegen. „Junge Frauen scheinen mehr Erfolg bei Gehaltsverhandlungen zu haben als ältere. Eine Tendenz, die hoffentlich bestehen bleibt, wenn auch sie selbst älter werden“, so Goodall.

Gut informiert in die Verhandlung
In Österreich ist das Einkommen ein gut gehütetes Geheimnis und häufig auch unter KollegInnen ein Tabuthema. Deshalb werden Entgeltdiskriminierungen meist nicht offensichtlich als solche erkannt. „Vielen Frauen ist nach wie vor nicht bewusst, dass sie eigentlich zu wenig für die geleistete Arbeit verdienen“, erklärt Guzi. Daher ist es für sie besonders wichtig, Einblick in branchenüb­liche Entlohnungsverhältnisse zu haben, den Kollektivvertrag zu kennen, sich mit dem eigenen und dem Einkommen der KollegInnen im Betrieb auseinanderzusetzen und auch Entgeltbestandteile zu hinterfragen.

Bereits beim Einstellungsgespräch – da werden nämlich die Weichen für die weitere Einkommensentwicklung gestellt – müssen die Frauen genauer hinsehen, betont die ÖGB-Bundesfrauensekretärin. Hilfestellung und Unterstützung bietet hier die Broschüre „Gut verhandelt = besser bezahlt“ der ÖGB-Frauen. „Die Ratgeberin“ zeigt Einkommensfallen und Regeln auf, informiert über die wichtigsten Aspekte, die es vor und während des Bewerbungsgesprächs bis zu Abschluss des Arbeitsvertrages zu beachten gilt, und zeigt darüber hinaus unzulässige Interviewfragen und Diskriminierungstatbestände auf. Doch wie die Studie zeigt, müssen die Frauen wohl weniger das Fragen lernen, sondern ihre Vorgesetzten vielmehr das Zuhören und Eingehen auf die Gehaltsforderungen von Frauen – und dass die Arbeit von Frauen gleich viel wert sein muss wie jene von Männern.

Weitere Infos finden Sie unter:
www.oegb.at/frauen
tinyurl.com/okzu6oy

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522310 In Österreich ist das Einkommen ein gut gehütetes Geheimnis und häufig auch unter KollegInnen ein Tabuthema. Deshalb werden Entgeltdiskriminierungen meist nicht offensichtlich als solche erkannt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522292 Frauen hier, Männer dort Im sechsten Berufsjahr nicht einmal so viel verdienen, wie andere im dritten Lehrjahr als Lehrlingsentschädigung bekommen: Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist leider geradezu ein symbolisches Beispiel dafür, warum die Einkommensschere in Österreich nach wie vor weit offen ist. Immerhin ist das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen von Frauen um mehr als ein Drittel niedriger als jenes der Männer.
Schon in jungen Jahren, nämlich bei der Auswahl der Lehrausbildung, gehen Burschen und Mädchen unterschiedliche Wege: Fast die Hälfte der weiblichen Lehrlinge wählt gerade einmal drei Lehrberufe, nämlich Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin.

Guter Verdienst, wenige Lehrstellen
Es sind auch Berufe, in denen die Einkommen sehr niedrig sind. Während beispielsweise ein Maurer im dritten Lehrjahr mit 1.849 Euro brutto nach Hause geht, müssen sich Friseurinnen nach sechs Jahren Berufserfahrung mit rund 1.612 Euro brutto zufriedengeben. Auch wenn bei den Friseurinnen das Trinkgeld nicht enthalten ist, so weist dieser Vergleich doch auf einen wesentlichen Faktor hin, weshalb Frauen so schlecht abschneiden, was das Einkommen betrifft.
Der Arbeitsmarkt kommt jungen Menschen nicht gerade entgegen, im Gegenteil: Wo man relativ gut verdient, besteht kein so üppiges Lehrstellenangebot. So gibt es etwa im Fremdenverkehr einen massiven Überschuss an Lehrstellen: Auf rund 1.500 angebotene Lehrstellen kamen im Jahr 2015 rund 500 Lehrstellensuchende. In den Metall- und Elektroberufen ist es umgekehrt, dort rangeln rund 1.400 Lehrlinge um rund 450 offene Lehrstellen, am Bau kamen 457 Lehrlinge auf 176 offene Lehrstellen.

Doppelt so viele Hilfskräfte
Vor diesem Hintergrund nimmt es wenig wunder, dass die Segregation in den mittel qualifizierten Berufen mit Lehr- oder BMS-Abschluss am stärksten ist. Frauen sind in diesem Segment auf die Angestelltenberufe wie Bürokräfte, Dienstleistung oder Verkauf konzentriert. Stark segregierte „Männerberufe“ wiederum sind Fertigungsberufe wie Handwerk, Maschinenbedienung oder Montage. Der Anteil der Hilfskräfte schließlich ist unter den Frauen fast doppelt so hoch wie unter den Männern.
Der Anteil der Führungskräfte ist unter den Männern mehr als doppelt so hoch wie unter den Frauen. Die eindrucksvolle Expansion höherer Ausbildungen von Frauen findet zwar ihren Niederschlag darin, dass unter ihnen sowohl der Anteil der akademischen Berufe als auch jener mit technischen und nicht technischen Ausbildungen auf Maturaniveau höher sind als bei den Männern. Allerdings werden diese Potenziale nicht genutzt, sondern Frauen vielmehr unter ihren Qualifikationen beschäftigt. Selbst das stabilste Beschäftigungssegment, nämlich jenes der ganzjährig vollzeitbeschäftigten unselbstständig Erwerbstätigen, ist in hohem Ausmaß von geschlechtsbezogener Segregation gekennzeichnet. Zu den segregierten Frauenberufsgruppen (mit einem Frauenanteil von mehr als 60 Prozent) zählen Lehrkräfte, Assistenzberufe im Gesundheitswesen, Betreuungsberufe, Bürokräfte, Verkaufskräfte und Reinigungspersonal.
Stark segregierte Männerberufsgruppen (mit einem Männeranteil von als 85 Prozent) sind etwa Fahrzeuglenker, Baufachkräfte, Metallberufe, Elektrik- und Elektronikfacharbeiter, Ingenieurfachkräfte oder IK-Techniker.

Frühe Berufswahl von Nachteil
Die traditionelle Auswahl von Lehrberufen fällt freilich nicht vom Himmel. Vielmehr beeinflusst die soziale Herkunft die geschlechtsspezifischen Vorstellungen über erstrebenswerte und erreichbare Berufe, Bildungs- und Berufsentscheidungen. Der Elternhaushalt und dessen soziales Umfeld, Gleichaltrige und SchulkollegInnen spielen dabei eine Rolle. Töchter von Eltern mit Universitätsabschluss haben etwa andere Bilder von anzustrebenden und erreichbaren Berufen als Töchter von Eltern mit FacharbeiterInnenberufen. Derartige Vorstellungen werden in der Schule oft unbewusst verstärkt, und die Medien transportieren ebenfalls solch gängige Zuschreibungen.
Ein weiterer Aspekt ist der Zeitpunkt, in dem junge Menschen die Entscheidung über ihre spätere Berufslaufbahn treffen: mitten in der Pubertät. Es ist ebenjene Zeit, in der das soziale Umfeld eine wichtige Rolle spielt – und in der die Jugendlichen noch dazu erst auf der Suche nach ihrer Geschlechteridentität sind. Umso wichtiger ist es, dass man auch die Eltern in die Bemühungen miteinbezieht.

Hartnäckige Rollenbilder
Traditionelle Rollenbilder halten sich auch in den Bildungseinrichtungen weiterhin hartnäckig, von Kindergarten bis Schule. Dazu kommt, dass KindergartenpädagogInnen und VolksschullehrerInnen, die besonders prägend für Kinder sind, zu den Berufen mit dem höchsten Frauenanteil zählen. Auf diese Weise werden den Kindern in einer entscheidenden Bildungsphase unterschwellig stereotype Arbeitsteilungsmuster vermittelt. Auch bei den Arbeitgebern selbst halten sich Vorurteile gegenüber Frauen, weshalb sie weibliche Bewerberinnen oft erst gar nicht engagieren.
Zu diesen Faktoren kommt hinzu, dass die Betreuungsaufgaben im Haushalt in Österreich weiterhin sehr traditionell verteilt sind. Überlegungen bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beeinflussen nicht nur die Berufswahl von jungen Frauen, sondern spielen auch in der weiteren Berufslaufbahn eine wichtige Rolle. Frauen suchen dann häufig nach Vollzeitberufen mit günstigen Arbeitszeiten oder nach Teilzeitbeschäftigungen – und erneut sind es genau jene Berufe, die zumeist stark segregiert sind.
Der deutliche Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen in den letzten Jahren hat die berufliche Segregation eher verstärkt. Denn erstens bewirkt die höhere Frauenerwerbstätigkeit zusätzliche Nachfrage nach personenbezogenen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung und Pflegeleistungen. Diese Berufe sind überwiegend stark segregierte Frauenberufe. Und zweitens erfolgt die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen vorwiegend in der Form von Teilzeitbeschäftigung – ein Arbeitsmarktsegment, in dem wiederum in hohem Maße „Frauenberufe“ dominieren.

Die Tatsache, dass viele Frauen und Männer nur bestimmte, den geschlechtlichen Stereotypen entsprechende Berufe für sich in Erwägung ziehen, hat zur Folge, dass potenzielle Berufs- und Lebenschancen nicht verwirklicht werden, Talente unerkannt und Möglichkeiten der Gesellschaft ungenutzt bleiben. Schließlich begünstigt geschlechtsbezogene berufliche Segregation den hartnäckigen Fortbestand überkommener Vorstellungen über typische Frauen- bzw. Männerberufe und traditioneller Geschlechterrollen.
Gleichstellungspolitik
In Österreich haben mehrere gezielte Einzelmaßnahmen bereits gewisse Erfolge beim Abbau der beruflichen Segregation erzielt: beispielsweise Initiativen zur Förderung von Frauen in Naturwissenschaft und Technik; der „Wiener Töchtertag“, an dem Mädchen unterschiedliche Berufe kennenlernen können; das Programm „Frauen in Handwerk und Technik“ im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Was bislang weitgehend fehlt, sind Maßnahmen, die Anreize für junge Männer setzen, stark segregierte Frauenberufe, also zum Beispiel Kindergartenpädagoge oder Volksschullehrer, zu ergreifen. In den letzten beiden Jahrzehnten ist die berufliche Segregation leicht zurückgegangen. Innerhalb der EU liegt Österreich im Mittelfeld: Um eine berufliche Gleichverteilung von Frauen und Männern zu erzielen, müsste rund die Hälfte der Beschäftigten ihren Beruf wechseln.

Talente statt Stereotype
Freilich kann es nicht darum gehen, Männer und Frauen in Berufe zu zwingen, für die sie weder Interesse noch Qualifikation haben. Worum es aber sehr wohl geht, ist, dass nicht mehr traditionelle Vorstellungen der wichtigste Faktor bei der Berufswahl sind, sondern vielmehr die Talente und Fähigkeiten der jungen Menschen im Vordergrund stehen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen michael.mesch@akwien.at und sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Michael Mesch, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik, AK Wien</br>Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der A&W Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522278 Während ein Maurer im dritten Lehrjahr mit 1.849 Euro brutto nach Hause geht, müssen sich Friseurinnen nach sechs Jahren Berufserfahrung mit rund 1.612 Euro brutto zufrieden geben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522270 Die gläserne Vermögensdecke Christina sitzt am Küchentisch und rechnet. Miete für die Wohnung, Schulanfang, Wintergewand – geht sich diesen Monat alles aus? Vom Einkommen gleiten ihre Gedanken weiter zu ihrem Vermögen. Es geht ihr nicht schlecht. Sie hat ein Sparbuch, einen Fernseher, eine Waschmaschine, einen Laptop für ihren Sohn. Sie hat nicht das Gefühl, dass ihr etwas fehlt. Zum Glück ist die Miete in der Gemeindewohnung nicht so hoch.
Aber Ansparen im großen Stil war für sie nie möglich gewesen. Nach der Geburt ihres Sohnes hatte sie ihre Stelle im Consulting aufgegeben, weil sie neben Kinderbetreuung und Hausarbeit nicht noch 50 oder gar 60 Stunden erwerbstätig sein konnte. Als ihr Sohn in den Kindergarten kam, suchte sie eine Arbeit, mit der sie nachmittags frei hatte. Jetzt ist sie HAK-Lehrerin. Die Scheidung von ihrem Mann war nicht billig, aber auch nicht unfair. Dennoch: Wenn sie es sich heute so ansieht, geht es ihm finanziell einfach besser als ihr.

Wo die Musik spielt
Ihr Ex-Mann arbeitete als Vermögensberater in der Bank. Inzwischen hat er eine Firma und  ein paar Angestellte. Christina hat das vage Gefühl, dass er einiges Geld in Aktien und Anleihen angelegt hat, aber so genau wusste sie das nicht einmal, als sie noch verheiratet waren.
Christina und ihr Ex-Mann sind Beispiele, wie die Verteilung von Vermögen zwischen Frauen und Männern in Österreich oft aussieht: Frauen haben weniger Vermögen als Männer. Das zeigen erstmals Daten zur Vermögensverteilung in acht europäischen Ländern. Da Vermögen nur für ganze Haushalte, nicht für Einzelpersonen erfasst ist, können nur Haushalte mit einem Erwachsenen betrachtet werden, also Ein-Personen- sowie AlleinerzieherInnen-Haushalte. Aber hier zeigt sich, was Untersuchungen für andere Länder immer wieder nachgewiesen haben: Eine Schere zwischen Männern und Frauen besteht bei den Vermögen genauso, wie sie von den Einkommen schon lange bekannt ist.
Dabei ist es nicht die breite Masse, bei der dieser Unterschied so gravierend ist. Eine neue Studie von Arbeiterkammer und Wirtschaftsuniversität Wien zeigt, dass es eine „gläserne Vermögensdecke“ gibt: Die Schere zwischen Männern und Frauen geht erst am oberen Ende der Verteilung auf. Frauen kommen beim Vermögensbesitz einfach nicht so weit hinauf wie Männer. Das beginnt ungefähr bei den obersten 30 Prozent, aber bei den reichsten zehn, fünf und ein Prozent reißt die Lücke immer weiter auf. Dass die Schere erst am oberen Ende so richtig sichtbar wird, ist an und für sich nicht sehr überraschend: Bei Vermögen „spielt die Musik“ immer bei den Reichen. Vermögen sind nämlich so ungleich verteilt, dass jene der unteren Hälfte, aber auch jene der wohlhabenden oberen Mitte im Vergleich zu den Reichen wenig ausmachen.

44 Prozent weniger
Bei den Bruttovermögen beträgt der „Gender Wealth Gap“, also die Vermögensschere, am oberen Ende (Top-5-Prozent) in Österreich etwa 44 Prozent. Frauen in Ein-Personen- oder Alleinerzieherinnen-Haushalten besitzen also grob gesprochen circa halb so viel Vermögen wie Männer in solchen Haushalten.
Nun könnte man dies darauf zurückführen, dass Männer üblicherweise seltener Alleinerzieher sind, dass sie meist länger (Vollzeit) gearbeitet haben, öfter ein Unternehmen besitzen und vielleicht sogar öfter erben. Ältere Personen, besser Gebildete, Selbstständige (vor allem solche mit MitarbeiterInnen) und ErbInnen haben nämlich ein höheres Vermögen.
Um diese Unterschiede auszuschalten, werden in dieser Studie aber akribisch Männer- und Frauenhaushalte verglichen, die in allen möglichen Merkmalen identisch sind: Also solche, die gleich alt sind, die gleiche Bildung, den gleichen Familienstand, gleich viele Kinder im Haushalt und gleich oft geerbt haben und die sich auch bei Arbeitsmarktstatus, Arbeitszeit, gearbeiteten Lebensjahren, Unternehmens- und Eigenheimbesitz sowie beim Bestehen von Krediten nicht unterscheiden. Das heißt, der übrig gebliebene, „nicht erklärte“ Unterschied geht wirklich auf eine Diskriminierung rein aufgrund des Geschlechts zurück. Natürlich wirkt Diskriminierung auch auf diese Merkmale, zum Beispiel wenn Frauen wegen Kinderbetreuungspflichten öfter Teilzeit arbeiten als Männer und deswegen weniger Vermögen aufbauen können. Aber diese „indirekte“ Diskriminierung wird in dieser Analyse herausgenommen, weil nur vollkommen gleiche Haushalte verglichen werden – und selbst dann bleibt eben ein Unterschied aus „reiner“ Diskriminierung von fast der Hälfte bei den Bruttovermögen.
Die Benachteiligung von Frauen ist bei den Bruttovermögen sehr klar, auch wenn man nur möglichst identische Personen vergleicht. Beim Nettovermögen (Vermögen minus Schulden) ist diese Schere statistisch nicht immer eindeutig festzustellen. Das liegt daran, dass Frauen zwar weniger Vermögen, aber auch weniger Schulden haben. Wenn diese zwei Größen zusammengerechnet werden, ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen statistisch nicht immer abgesichert.

Kein Einzelfall
Hier zeigt sich bereits eine Schwierigkeit, wenn man Vermögen anstatt Einkommen ansieht. Beim Einkommen ist zumindest klar, woher der Unterschied zwischen Männern und Frauen direkt herrührt: bei der Bezahlung durch die Unternehmen (bei Arbeitenden). Die eigentlich interessanten dahinterliegenden Gründe für die Einkommensschere sind dabei natürlich noch gar nicht angesprochen.
Bei Vermögen ist aber nicht einmal dieser unmittelbare Kanal der Ungleichheit klar. Weil Vermögen im Verlauf eines Lebens langsam angehäuft (oder sprunghaft geerbt) wird, sind die Mechanismen komplizierter. Es ist also nicht einfach, den ersten, direkten Grund festzumachen, warum Frauen weniger Vermögen besitzen als Männer. In der Datenanalyse deutet einiges darauf hin, dass unterschiedliche Erwerbskarrieren am Arbeitsmarkt eine Rolle spielen. Die Vermögensschere wäre dann im Grunde eine aufsummierte Einkommensschere zwischen Frauen und Männern.
Österreich ist in dieser Frage kein Einzelfall. In allen untersuchten europäischen Ländern gibt es eine Vermögensschere zwischen Frauen und Männern dort, wo der Großteil der Vermögen besessen wird: bei den Reichen. In Deutschland ist der Abstand bei den Bruttovermögen zwischen Einzelhaushalten von Frauen und Männern etwa so groß wie in Österreich (45 Prozent) und in Griechenland etwas höher (48 Prozent). In der Slowakei liegt er mit 27 Prozent darunter, ebenso in Frankreich (33 Prozent).

Schlusslicht
Was bedeutet das nun für Frauen wie Christina aus dem Beispiel oben? Zunächst ist es wichtig zu sehen, dass Politik, die Vermögen betrifft, unterschiedliche Auswirkungen für Frauen und für Männer hat. In Österreich werden etwa Vermögen und Erbschaften kaum besteuert; im internationalen Vergleich liegen wir unter den Schlusslichtern bei der Vermögensbesteuerung. Diese Daten legen aber nahe, dass eine Millionärssteuer auch tatsächlich weitgehend eine solche wäre – und nicht so sehr eine MillionärInnensteuer.
Außerdem ist es wichtig für die Rolle des Sozialstaats. Obwohl sie wenig Vermögen hat, muss sich Christina in Österreich keine Sorgen machen, wie sie die Ausbildung ihres Sohnes finanziert. Sie verschwendet keinen Gedanken daran, ob sie sich eine Krankenversicherung leisten kann. Wenn sie arbeitslos oder schwer krank wird, wird es für sie hart werden, zurande zu kommen – aber es gibt ein Netz, das sie auffängt und ihr über schwierige Zeiten hinweghilft. Das heißt, der Sozialstaat ersetzt das Vermögen von denen, die sonst abstiegsgefährdet wären. Und weil sie seltener hohe Privatvermögen besitzen, betrifft das Frauen stärker als Männer.
Eine Erbschaftsteuer, Vermögenssteuern und die Absicherung des Wohlfahrtsstaates sind daher wichtige Elemente einer Politik für mehr Geschlechtergerechtigkeit.

Linktipp:
Studie zu Vermögen und Geschlecht
tinyurl.com/ore8o3n

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin miriam.rehm@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Miriam Rehm, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522258 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522250 Ungleiche Schwerarbeit Schauplatz Oberwart: Im Jahr 2015 schloss der Unterwäschehersteller Triumph seine Pforten. 200 MitarbeiterInnen, hauptsächlich Frauen, verloren ihren Job. Viele von ihnen sahen sich mit Altersarmut konfrontiert. Zwei Frauen ließen das nicht auf sich sitzen. Unterstützt von der Arbeiterkammer, forderten sie ihren Anspruch auf Schwerarbeitspension ein. Erfolgreich, wie sich später herausstellen sollte.
Schwerarbeit? Das machen doch nur Männer! Dieser Spruch ist oft zu hören, wenn das Thema Gleichstellung von Männern und Frauen auf den Tisch kommt. Relevant ist es vor allem bei Pensionsfragen. „Machen Krankenschwestern etwa keine Schwerarbeit?“, ist die oft gehörte Gegenüberstellung zum Metallarbeiter. Welche Berufe als Schwerarbeit gezählt werden, was für Ansprüche sich daraus ableiten, ab wann und wie diese Ansprüche geltend gemacht werden können: Tatsächlich liegt hier ein umkämpftes Gebiet gewerkschaftlicher Politik.

Definitionsfragen
In Österreich ist Schwerarbeit per Verordnung geregelt. Diese zählt Tätigkeiten auf, die „unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden“. Dazu gehören etwa Schicht- und Wechseldienste, Nachtarbeit oder Arbeit unter Hitze und Kälte. „Schwere körperliche Arbeit“ wird für Männer mit einem Verbrauch von 2.000 und für Frauen mit einem Verbrauch von 1.400 Arbeitskalorien während „einer achtstündigen Arbeitszeit“ definiert.
Psychische Belastungen spielen im Vergleich zu körperlichen Belastungen eine eher untergeordnete Rolle. Sie werden etwa bei Tätigkeiten berücksichtigt, die „zur berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin“ durchgeführt werden.
Tätigkeiten unter chemischen oder physikalischen Einflüssen gelten nur dann als besonders belastend, wenn „dadurch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (…) von mindestens zehn Prozent verursacht wurde“. Ansonsten kommen krank machende Faktoren der Arbeit eher nicht vor. Ob zum Beispiel eine Verkäuferin durch ihre Tätigkeit Rücken- oder Gelenkprobleme bekommt, spielt kaum eine Rolle.

Berufslisten
Um diese allgemeinen Beschreibungen zu konkretisieren, benutzen die Sozialversicherungen Listen, auf denen Schwerarbeiterberufe aufgeführt werden. Die „Liste der Berufsgruppen mit körperlicher Schwerarbeit über 2.000 kcal“ enthält hauptsächlich von Männern dominierte Branchen. Dazu gehören etwa BauhilfsarbeiterInnen, Erdöl- und GasgewinnerInnen, aber auch ErntehelferInnen, FleischverarbeiterInnen und WinzerInnen. Mit der „Liste der Berufsgruppen mit körperlicher Schwerarbeit von 1.400 bis 2.000 kcal“ sieht es nicht viel anders aus, auch wenn sich hier einige „typische“ Frauenberufe finden wie Heimhilfe, Hausarbeiterin, Hebamme oder auch Masseurin und Pflegehilfe. Neu hinzugekommen sind „Tätigkeiten in Zentralwäschereien von öffentlichen Krankenanstalten“. Andere aufgelistete Berufe sind BäckerInnen, ChemiehilfsarbeiterInnen, FlugzeugmechanikerInnen oder LüftungsspenglerInnen.

Schwerarbeitspension
Spätestens ab dem Jahr 2024 werden diese Listen eine gehörige Wirkung entfalten. Denn ab dann wird das Pensionseinstiegsalter der Frauen in Halbjahresschritten an jenes der Männer angeglichen. Entsprechend wird die sogenannte „Schwerarbeitspension“ in den kommenden Jahren eine zunehmende Bedeutung erlangen. Noch ist sie für Frauen nicht interessant, da sie erst ab dem 60. Lebensjahr gilt. Im Jahr 2015 traten 487 Frauen in die Schwerarbeitspension ein. Dem stehen 2.487 Männer gegenüber.
Doch eine Schwerarbeitspension zu erhalten wird alles andere als einfach, und zwar nicht nur wegen der überwiegend auf männlich dominierte Berufsfelder ausgelegten Definition der Schwerarbeit. Denn die Schwerarbeitspension geht von einer Berufslaufbahn aus, die für viele Frauen nur schwer erreichbar ist. Anspruch auf eine Schwerarbeitspension hat, wer 540 Versicherungsmonate hat, also 45 Jahre gearbeitet hat. Auch hier versteckt sich im Übrigen eine Verlängerung der geforderten Lebensarbeitszeit, denn bislang wurden 40 Versicherungsjahre herangezogen. Innerhalb der letzten 20 Jahre ihres Arbeitslebens muss eine Antragstellerin mindestens zehn Schwerarbeitsjahre geleistet haben. Schwerarbeit, die vor den letzten 20 Jahren geleistet wurde, wird nicht in Betracht gezogen.
„65 Prozent aller Frauen, die in die Schwerarbeitspension gehen, sind aus dem bäuerlichen Bereich“, erzählt Werner Pletzenauer von der Arbeiterkammer Wien. „Sie haben am ehesten eine durchgehende Berufslaufbahn. Für ungelernte Arbeiterinnen ist es gerade im ländlichen Raum schwierig, die 45 Berufsjahre zusammenzukriegen. Neben Schwierigkeiten wie dem Wiedereinstieg in den Beruf nach der Kinderpause spielen hier auch Kündigungen hinein. Wird eine Arbeiterin mit 58 Jahren gekündigt, wird sie es sehr schwer haben, eine Stelle zu finden.“
Konkret bedeutet das: Eine Köchin, die nach der Kinderpause nicht mehr in ihren Beruf hineinkommt, hat keinen Anspruch auf eine Schwerarbeitspension – und das, obwohl sie vielleicht etliche Jahre Schwerarbeit geleistet hat. Immerhin tauchen Köchinnen in der Liste der Schwerarbeitsberufe auf. Auch, dass nur die letzten 20 Arbeitsjahre betrachtet werden, ist zu hinterfragen. Wer in seiner Jugend schwer gearbeitet, aber später vielleicht sogar aufgrund der körperlichen Belastungen und deren Folgen auf einen „leichteren“ Job umgesattelt hat, hat Pech. Demgegenüber ist die „normale“ Alterspension leichter erreichbar. Allerdings bekommt Mann oder Frau in der Alterspension viel weniger Geld im Monat als BezieherInnen der Schwerarbeitspension.

Pensionskluft
Die Unterschiede sowohl zwischen den Pensionsarten als auch den Geschlechtern sind beträchtlich. Im Jahr 2015 betrug die durchschnittliche Alterspension für Männer 1.522 Euro im Monat. Für Frauen waren es 945 Euro monatlich. Die monatliche Schwerarbeitspension lag im selben Jahr bei 2.009 Euro für Männer und 1.570 Euro für Frauen. Bei beiden Pensionsarten liegt die „Geschlechterschere“ bei rund 500 Euro. Bereits im Jahr 2012 kommentierte Ingrid Mairhuber vom Forschungsinstitut FORBA diese Situation wie folgt: „Die begrenzte Integration von Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt und der geschlechtsspezifische Einkommensunterschied schlagen sich direkt in wesentlich niedrigeren Pensionsleistungen für Frauen nieder.“
Ein vorzeitiger Pensionsantritt sei dadurch schon immer schwieriger gewesen: „Seit den letzten Pensionsreformen treten sie (Frauen, Anm.) noch wesentlich seltener eine vorzeitige Alterspension als Männer an, denn die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen Arbeitslosigkeit traf vor allem Frauen.“ Die sogenannte Hacklerregelung, der Vorläufer der Schwerarbeitspension, „ist für Frauen aufgrund der notwendigen langen Beitragszeiten von 40 Jahren kaum nutzbar“.
Dennoch rät die Arbeiterkammer dazu, Anträge auf Schwerarbeitspension zu stellen. Und zwar selbst dann, wenn der eigene Beruf nicht auf der Liste der Schwerarbeitsberufe steht. „Diese ist eine Richtschnur für die Sozialversicherungsträger und nicht rechtswirksam“, sagt Werner Pletzenauer. „Steht ein Beruf nicht auf der Liste, werden Gutachten gemacht. Diese beruhen auf Lokalaugenscheinen und Gedächtnisprotokollen.“
Hier kommt dann vieles auf Definitionsfragen an. Das Gutachten teilt Tätigkeiten in ein Raster ein. Wird einhändig, zweihändig oder doch mit dem ganzen Körper gearbeitet? In welchen Positionen: sitzend, hockend oder stehend? Wird gegangen oder müssen Stiegen bewältigt werden? Kommen auf diese Weise „genug“ verbrauchte Kalorien zusammen, ist Frau „ganz offiziell“ eine Schwerarbeiterin.

Anregung zur Nachahmung
Im Fall der Näherinnen aus Oberwart konnte der Pensionsversicherungsanstalt durch genau solche Gutachten nachgewiesen werden, dass die bei Triumph arbeitenden Frauen nicht „nur“ nähten, sondern auch schwere Kisten schleppten und Wegstrecken von bis zu 15 Kilometern pro Tag in der Fabrik zurücklegten. Zwei von ihnen haben sich durch ihren Einspruch die Schwerarbeitspension erkämpft. Das regt zur Nachahmung an.

Linktipps:
Mairhuber, Ingrid „Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Pensionsversicherung“, Kurswechsel 4/2012 
www.kurswechsel.at
Schwerarbeiter-Liste zu finden unter
www.sozialversicherung.at

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522241 Ob Alterspension oder Schwerarbeitspension: die "Geschlechterschere" liegt bei rund 500 Euro. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522230 Männersache Gleichstellung Der Mann als Ernährer, als Familienoberhaupt, als starker Beschützer: Das Männerbild in Österreich ist weiterhin traditionell geprägt – aber es verändert sich. „Statt auf reines Konkurrenzdenken setzen viele jüngere Männer auf nachhaltige Fürsorge, wollen stärker für ihre Familien da sein“, sagt Erich Lehner, Vorsitzender des Dachverbandes Männerarbeit in Österreich, kurz DMÖ. Dieses neue Männerbild nennt sich in Fachkreisen „Caring Masculinities“.
Darunter fällt nicht nur das aktive Vatersein, sondern auch die Pflege von Angehörigen oder die Gesundheitsvorsorge. Auch Berufe in Pflege oder Erziehung sind für diese „modernen“ Männer attraktiv. Für Lehner ist klar: Wenn sich an der traditionellen Rollenverteilung etwas ändern soll, „braucht es den Einsatz von Frauen und Männern“. Lange Zeit galt Gleichstellungspolitik als Frauensache. Emanzipationsbestrebungen wurden von Männern zunächst gar als Bedrohung empfunden.
Dennoch gab es bereits bei den Frauenbewegungen in den 1970er-Jahren männliche Unterstützer. Die Anzahl der Männer, die sich für Gleichstellung einsetzen, ist inzwischen stark gewachsen. Viele jüngere Männer wünschen sich starke Partnerinnen und eine aktivere Vaterrolle. Gefördert haben den Diskurs auch Institutionen wie die vielerorts in den 1980er-Jahren entstandenen Männerberatungen.

Inhomogene Gruppe
Männer sind wie Frauen eine inhomogene Gruppe. Einige profitieren von der Ungleichheit, andere fühlen sich von der „Femokratie“ bedroht. Die Soziologin Elli Scambor empfiehlt zu differenzieren. Sie leitet den Verein „Männer- und Geschlechterthemen Steiermark“ und hat analysiert, welche Faktoren für männliches Gleichstellungsengagement eine Rolle spielen. Meist sind es junge, gebildete Männer, deren Partnerinnen ein ähnliches Qualifikationsniveau haben, die sich dafür starkmachen. Je größer der Einkommensunterschied zwischen den PartnerInnen, desto niedriger die Bereitschaft.

Prägung bereits im Kindergarten
Die Soziologin hat sich in ihrer Forschung mit dem Bildungsbereich auseinandergesetzt. Bereits im Kindergarten werden Rollenbilder geprägt. „Wenn Buben einen Turm bauen, werden sie dafür gelobt. Mädchen hören hingegen, wie brav sie sind und wie hübsch sie aussehen“, so Scambor. Das setzt sich in der Schule fort. Buben sind stolz auf ihre Erfolge. Mädchen führen andere Gründe für gute Noten an, wie eine leichte Schularbeit. Die Wissenschafterin fordert, dass das Lehrpersonal auf Genderfragen sensibilisiert wird. Für den schulischen Erfolg oder Misserfolg gibt es mehr Variablen als nur das Geschlecht. Das Bildungsniveau der Eltern oder die Herkunft spielt bei den Early School Leavers, also den 18- bis 24-Jährigen ohne Sekundarschulabschluss, eine zentrale Rolle. „Der Gap ist am größten zwischen Jungs mit und ohne Migrationshintergrund. Österreich ist hierbei im europäischen Vergleich fast Schlusslicht“, sagt Scambor. Hier brauche es mehr Angebote. 

Kein „Frauengesetz“
Elternteilzeit, Papamonat, Väterkarenz: In den letzten Jahren gab es gesetzliche Regelungen, um Männern mehr Zeit mit ihren Familien zu ermöglichen. Nadja Bergmann von L&R-Sozialforschung untersucht, wie solche Angebote in männerdominierten Berufen wie etwa in der Produktion oder am Bau wahrgenommen werden. Dort sei die Idee von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer noch nicht angekommen. Es fehle schlicht an Informationen in den Betrieben. „Bei Frauen ist klar, dass sie in Mutterschutz und Karenz gehen. Bei Männern gibt es dieses Bewusstsein noch nicht“, stellt Bergmann fest. Viele Betriebe sehen den Anspruch auf Elternteilzeit als „Frauengesetz“.
Deshalb müsse Bewusstsein geschaffen werden, dass solche Gesetze für beide Elternteile gelten. Gesetzliche Anreize sind das eine, das andere sind eine entsprechende Kommunikation und neue Konzepte: Wie sieht es mit der Überstundenkultur aus? Kann Schichtarbeit nicht auch familienfreundlicher gestaltet werden?

Ingrid Moritz leitet die Abteilung „Frauen und Familie“ in der AK Wien. Für sie ist es wichtig, dass Ansprüche wie der Papamonat auch arbeitsrechtlich im Betrieb durchgesetzt werden. Beim Kinderbetreuungsgeld kommen nun Verbesserungen, sagt Moritz. Wenn die PartnerInnen sich die Zeit der Kinderbetreuung annähernd gleich aufteilen, erhalten sie einen Bonus von 500 Euro pro Elternteil. In Kraft tritt die neue Regelung im März 2017. Für die AK-Expertin ist zudem wichtig, Männer in Sozial- und Bildungsberufe zu bringen. „Es macht einen großen Unterschied, wenn die Kinder im Kindergarten auch Männer sehen, die sich um sie kümmern. Das prägt sie für die Zukunft.“ Dieser Meinung ist auch Patrick Wikström, der seit September als Kindergartenhelfer im burgenländischen Bad Sauerbrunn arbeitet: „Die Eltern finden es gut, dass ihre Kinder hier ein männliches Vorbild haben.“ Manche hätten zu ihren Vätern nicht so viel Kontakt. „Es ist gut, das auszubalancieren.“
Nach Österreich zog der gebürtige Schwede der Liebe wegen: „Meine Frau hat in Schweden studiert, so haben wir uns kennengelernt.“ Vor seinem Engagement in Bad Sauerbrunn arbeitete Wikström in einem Wiener Kindergarten. Probleme mit seinen Mitmenschen hatte er wegen seiner Berufswahl nie: „In Wien sind sie vielleicht mehr daran gewöhnt, weil es dort mehr Kindergärten und männliche Kindergärtner gibt.“

Zusammenarbeit trägt Früchte
Institutionen von Männern und Frauen, die sich für Gleichstellung einsetzen, arbeiten vielfach zusammen. Das trägt Früchte. So gibt es etwa in Wien-Favoriten das Männergesundheitszentrum MEN. Es wurde im Jahr 2002 gegründet. Die Idee stammt von der Frauenberatungsstelle FEM, deren Dependance FEM Süd sich im gleichen Gebäude im Kaiser-Franz-Josef-Spital befindet. Männer, die ihre Partnerinnen dorthin begleitet haben, hatten sich damals ein ähnliches Angebot gewünscht. Vor vierzehn Jahren war es so weit. Heute arbeiten VertreterInnen von FEM und MEN in vielen Projekten zusammen. Der Standort am Krankenhausgelände ist praktisch: „Männer, die moderne Männlichkeit leben wollen, haben oft Angst, ausgelacht zu werden. Ein Krankenhaus ist ein seriöser Rahmen“, so MEN-Leiter Romeo Bissuti.

Väter und Kinder
Die Projekte sind vielfältig, sie reichen von Abnehmprojekten über Beziehungscoaching, Gewaltprävention und Berufstrainings bis hin zu „Papa macht mit“. „Väter lernen dabei neue Aktivitäten mit den Kindern, sie basteln, malen oder machen zusammen gesunde Smoothies“, erklärt Bissuti. Für einige Väter ist es das erste Mal, dass sie allein mit den Kindern solche Aktivitäten entdecken. Das Projekt fördert sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen. „Solche Tage sind ein schönes Erlebnis für Väter und Kinder“, betont Bissuti.
Markus Leich ist eine Ausnahmeerscheinung. Der gelernte Tourismusfachmann absolviert zurzeit an der FH-Campus Wien eine Ausbildung zur Hebamme. Medizin und Geburtshilfe haben ihn lange fasziniert. Er beschreibt sich als sozialen Menschen.

Ein moderner Mann
„Eine Geburt ist ein magischer Moment, man bekommt von den frischgebackenen Eltern so viel zurück“, erklärt der 32-Jährige. Bisher hat der gebürtige Deutsche positive Rückmeldungen erhalten. „Nach Medienberichten wurde ich von Frauen auf der Straße angesprochen, ob ich einmal die Geburt ihres Kindes begleiten könnte.“ Wichtiger als das Geschlecht ist für Markus Leich die Chemie zwischen Hebamme und Eltern.
Skepsis erlebt er bei TraditionalistInnen. „Die Vorstellung von einer Hebamme ist weiblich, weil man sie mit Einfühlsamkeit und Fürsorglichkeit verbindet. Das kann aber auch ein Mann sein.“ Wenn er seine Ausbildung im Jahr 2018 abgeschlossen hat, wird Markus Leich der erste Mann sein, der in Österreich diesen Beruf ausübt. Vielleicht wird es einmal nichts Ungewöhnliches mehr sein, wenn ein Mann Frauen bei der Geburt unterstützt. Oder anders ausgedrückt: dass weder die individuelle Berufswahl noch Gleichstellungspolitik eine Geschlechterfrage ist, sondern im Interesse aller.

Linktipps:
MEN Gesundheitszentrum
www.men-center.at
Dachverband für Männer in Österreich
dmoe-info.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen udo.seelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Knopp und Udo Seelhofer, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522224 Die Anzahl der Männer, die sich für Gleichstellung einsetzen, ist inzwischen stark gewachsen. Viele jüngere Männer wünschen sich starke Partnerinnen und eine aktivere Vaterrolle. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522141 Interview: Entwicklungsland Österreich Im April 1997 unterzeichneten mehr als 644.000 ÖsterreicherInnen das Frauenvolksbegehren. Heute sind mehrere Forderungen noch immer nicht erfüllt. Wie erhält sich frau den Kampfgeist?

Manuela Vollmann: Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wie viel davon bis heute nicht umgesetzt wurde. Viele Dinge sind nicht so gelaufen wie damals gedacht. 1997 haben wir wirklich getanzt und groß gefeiert, weil so viele Menschen unterzeichnet hatten. Aktuell ist für mich die steigende Arbeitslosigkeit, nein, Erwerbslosigkeit von Frauen – denn sie arbeiten ja auch viel unbezahlt – ein wichtiges Thema. Die Arbeitslosigkeit bei Männern ist zwar höher, aber bei den Frauen ist sie stärker angestiegen. Hier ist meiner Meinung nach darüber hinaus etwas in die falsche Richtung gelaufen. Vor 20 Jahren haben wir Teilzeitarbeit gefordert, um die Vereinbarkeit bzw. den Wiedereinstieg zu erleichtern. Doch wir haben nie gesagt, wir wollen Teilzeit zu den Bedingungen, wie sie heute sind, also in Form von Minijobs, begrenzt auf 20 Stunden etc. Wir wollten Teilzeit auch für Männer, für Führungskräfte und auch für qualifizierte Tätigkeiten. Ich sage nicht, dass Teilzeitarbeit schlecht ist, aber sie ist eine Falle. So wie das jetzt aussieht, das wollten wir nicht. Wir wollten lebensphasenorientierte, flexible Arbeitszeiten.
 
Asiye Sel: Ich finde diese Entwicklung auch sehr bedenklich. In Krisenzeiten sind es immer die Frauen, die sich anpassen, flexibel sind und Tätigkeiten übernehmen, die nicht bezahlt und kaum wahrgenommen werden. Dafür zu sorgen, dass Kinder erfolgreich durch die Schule kommen, ist in der Regel Frauensache. Und wenn das nicht klappt, dann werden die Mütter durchaus auch zur Verantwortung gezogen, keine Spur von halbe-halbe. Und wir müssen viel mehr darüber reden, dass nach wie vor typisch weibliche Dienstleistungsberufe wie etwa Friseurin oder Care-Tätigkeiten schlechter bezahlt werden. Das beginnt schon bei den Lehrlingen. Ein Facharbeiter-Lehrling verdient unter Umständen schon im zweiten Lehrjahr mehr als eine fertig ausgebildete Friseurin.

Vollmann: Da bin ich ganz bei dir, wir haben zwar keine offensichtliche Diskriminierung mehr in den Kollektivverträgen, aber gleichwertige Arbeit wird noch längst nicht gleich bezahlt. Und das wird nach wie vor hingenommen. Leider sind es auch Frauen, die dann argumentieren: „Wer soll das denn bezahlen, wenn Pflegetätigkeiten und typisch weibliche Dienstleistungen besser bezahlt werden?“ Es geht doch um Gerechtigkeit: Welchen Wert hat die Arbeit eines Mechanikers und welchen Wert die einer Friseurin? Daher müssen wir schauen, dass sich die Kollektivverträge verändern. Und dazu brauchen wir nicht wirklich die Politik, das können auch die SozialpartnerInnen.
 
Sel: Eine AK-Studie zur Situation von jungen Migrantinnen hat gezeigt, dass Frauen oft nur einen Job suchen, mit dem sie auskommen. Gute Bezahlung ist gar kein Ziel, es reicht, wenn sie mit ihrem Geld zurechtkommen. Wir müssen ihnen sagen: Was ist, wenn du älter bist, wie sieht es in der Pension aus?

Fürsorge ist doch genauso essenziell für die Erhaltung der Art wie Ehrgeiz. Warum wird Ehrgeiz in der Arbeitswelt so viel besser honoriert?

Vollmann: Ja, Care-Arbeit muss besser bezahlt werden, sodass sich Frauen bewusst entscheiden können, was sie arbeiten wollen, und nicht einfach damit zufrieden sind, dass sie überhaupt irgendeinen Job gefunden haben.

Sel: Frauen mit Migrationshintergrund sind besonders in Wien eine große Gruppe, die noch weiter wachsen wird. Diese Frauen kommen meist aus patriarchalen Strukturen, haben zum Teil eine gute Ausbildung, aber oft nicht gearbeitet, weil das in ihrem Land nicht üblich ist. Leider wird auf diese Gruppe oft vergessen. Je länger sie vom Arbeitsmarkt weg sind, desto schwieriger. Wir erreichen sie nicht, können sie nicht unterstützen. Sie bleiben sozusagen in den Händen der Männer.

Was können hier die Kompetenzchecks bewirken?

Vollmann: Immerhin gibt es bei den Kompetenzchecks reine Frauengruppen. Das ist allerdings leider nicht überall in Österreich der Fall. Flucht bedeutet für viele Frauen gleichzeitig Flucht aus einem patriarchalen System. Wir müssen versuchen zu verhindern, dass diese Frauen hier in Österreich womöglich erst wieder neben ihrem Cousin oder Bruder sitzen, also wieder mitten in den alten Strukturen landen.

Sel: Anfangs wurde ja auch argumentiert, dass MigrantInnen und Flüchtlinge eben akzeptieren müssten, was in Österreich üblich ist. Dass hier Männer und Frauen nebeneinander sitzen und gemeinsam unterrichtet werden. Neuankömmlinge müssten eben lernen, was Gleichstellung bedeutet usw. Aber tatsächlich wäre das für die Frauen von großem Nachteil gewesen.

Wie ist es aktuell um das Thema Vereinbarkeit und die stärkere Beteiligung von Vätern bestellt?

Vollmann: Eine Zeitlang gab es die ideologisierte Debatte, ob Kindergärten oder Tagesmütter besser für die Kinder sind. Den Unternehmen ist das ja im Grunde egal, sie wollen möglichst ungehindert über die Arbeitskraft verfügen.
 
Sel: Die Kinderbetreuungseinrichtungen sind alles andere als ausreichend. Hier müssen wir noch mehr Mittel in die Hand nehmen. Und Diskriminierung ist derzeit viel zu wenig Thema. Nach wie vor werden Frauen bei Einstellungsgesprächen gefragt, wer sich im Falle einer Krankheit um das Kind oder die Kinder kümmert. So etwas kommt bei Vätern einfach nicht vor.

Vollmann: Wir wollen prinzipiell weg davon, dass Kinderbetreuung ein reines Frauenthema ist. Wir stellen auch in der täglichen Zusammenarbeit mit den Unternehmen immer klar: Das ist ein Management-Thema. Immerhin hat sich auch das Wording in den vergangenen Jahren geändert. Statt Babypause hat abz austria schon vor einigen Jahren von Aus-Zeit und Karenzmanagement gesprochen, mittlerweile ist dieses Wording in den allgemeinen Gebrauch übergegangen. Übrigens werden nicht nur Frauen und Mütter diskriminiert, sondern auch Väter, die in Karenz gehen wollen.

Würden mehr Frauen in Führungspositionen etwas ändern?

Sel: Sicher ist das eine Möglichkeit. Ich bin überzeugt, dass Frauen aufgrund der eigenen Betroffenheit anders agieren würden. Dazu müssen sie gar nicht unbedingt selbst Mutter sein.

Vollmann: Ein tolles aktuelles Beispiel ist die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland, die nach den für Kanada frustrierenden CETA-Verhandlungen in einem Interview gesagt hat, das Einzige, was sie jetzt noch aufrecht hält, ist, dass sie am Wochenende ihre drei Kinder wiedersehen wird. Das als Spitzenpolitikerin sozusagen der ganzen Welt zu sagen: Solche Meldungen brauchen wir viel häufiger. Ironischerweise hat Freeland noch vor einigen Wochen gemeint, komplizierter als ein Handelsabkommen wäre es zu organisieren, wer an einem bestimmten Tag auf ihre Kinder aufpasst. Keine Powerfrau, die alles mit links erledigt, sondern ein echtes Role-Model.

Ist es nicht eher so, dass die Top-Jobs meist von Frauen ohne Kinder besetzt sind?

Sel: Frauen in Führungspositionen sind enormem Druck ausgesetzt, sie müssen sich gegenüber der Belegschaft beweisen. Es wird von ihnen erwartet, dass sie sich wie ein Mann verhalten. Sie haben dann oft keine Zeit für Familie und Kinder. Und noch schwieriger ist das alles für Frauen mit Migrationshintergrund. Sie müssen noch viel mehr Hürden überwinden, das beginnt ja schon bei der Bewerbung, wo etwa ein ausländisch klingender Name erwiesenermaßen ein Nachteil ist.
 
Vollmann: Frauen sind heute gut ausgebildet, aber oft nicht adäquat beschäftigt. Können wir es uns in Zukunft tatsächlich leisten, dass wir diese Ressource weiterhin nicht nützen? In diesem Zusammenhang möchte ich das AMS lobend erwähnen. Im Rahmen der Impulsberatung für Betriebe (IBB) wird auch Beratung zum Thema Chancengleichheit geboten. Bei IBB gibt es fünf verschiedene Themenbereiche, leider interessieren sich deutlich mehr Unternehmen für das Thema Sicherung von Arbeitsplätzen bei Kapazitätsschwankungen als für Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen. Es ist schon bedauernswert zu sehen, wie schwierig es ist, das Thema Gleichstellung in den Unternehmen zu implementieren.

Wird dieses Beratungsangebot von Betrieben mit weiblichen Führungskräften häufiger in Anspruch genommen?

Sel: Ja, das würde mich auch interessieren. Sicher ist jedenfalls, dass Kleinunternehmen oft einfach zu wenig personelle Ressourcen für derartige Aktivitäten haben.

Vollmann: Ich denke nein. Frauen in Führungspositionen haben es ohnehin schon schwer und wollen sich dann nicht noch mit dieser Thematik exponieren. Einer der Gründe, warum in puncto Gleichstellung fast nichts weitergeht, sind die sogenannten „unconscious bias“, also Stereotype, die wir Menschen im Kopf haben, über die wir uns aber in der Regel nicht bewusst sind und die unsere Entscheidungen beeinflussen, also echte Objektivität verhindern.
Über diese unbewussten Diskriminierungsfaktoren haben wir Feministinnen ja schon früher diskutiert, aber in der Wirtschaftspsychologie sind sie noch nicht lange ein Thema. Erst als klar wurde, dass trotz aller Bemühungen wie speziellen Mentoring-Programmen für Frauen und Veränderungen bei Recruiting-Prozessen nach wie vor keine echte Chancengleichheit erreicht wurde, hat man begonnen, über „unconscious bias“ nachzudenken. Diese unbewussten Diskriminierungen, die natürlich auch bezüglich Alter, Ethnie etc. vorkommen, kann man in Seminaren, Workshops und Schulungen bewusst machen und dann entsprechende strukturelle Änderungen durchführen. Dafür ist die Impulsberatung unter anderem geradezu ideal, und das Angebot ist kostenlos.

Sel: Leider ist es so, dass sich vor allem jene Unternehmen für die Impulsberatung interessieren, die ohnehin ein hohes Problembewusstsein haben und sich schon mit dieser Thematik beschäftigen. All jene, die diese Beratung am meisten brauchen würden, kommen leider nicht.

Vollmann: Ja, das ärgert mich manchmal sehr. Da gibt es eine kostenlose Support-Struktur und dann wird sie nicht genutzt. Hier fehlt uns die Lobby. Auch die Wirtschaftskammer könnte hier aktiv werden, denn es geht doch darum, wie die Arbeitswelt in Zukunft aussehen wird und die Unternehmen dafür fit zu machen.

Sel: Deshalb sollten wir auch über Quoten und entsprechende Regelungen für Ausschreibungen reden. Gesetzliche Regelungen sorgen dann dafür, dass sich alle mit der Thematik beschäftigen.

Vollmann: Gut, dass du das erwähnst. Die Stadt Wien macht das ja schon seit Jahren. Unternehmen, die an Ausschreibungen teilnehmen, müssen bekannt geben, was sie für die Frauenförderung getan haben und tun. Oder sie müssen konkrete Pläne und Ziele dafür bekannt geben. Falls das nicht eingehalten wird, müssen die Unternehmen Pönale zahlen. Das müsste doch auch österreichweit möglich sein.

Gibt es hier nicht schon eine eher verwirrende Vielfalt?

Sel: Ja, zum Teil ist es etwas verwirrend. Ich sitze in der Jury für den Preis, der früher die familienfreundlichsten Unternehmen ausgezeichnet hat, jetzt heißt er Staatspreis „Unternehmen für Familien“. Aber es bringt schon etwas Positives mit sich, einfach, weil sich die Unternehmen damit beschäftigten müssen. Es gibt oft lange Fragebögen und man schaut sich viele Details an, Einkommen von Männern und Frauen, Arbeitszeitmodelle etc.

Vollmann: Arbeitszeitmodelle sind ein zentrales Thema. Bei abz austria haben wir seit mehr als zehn Jahren Gleitzeit zwischen sechs und 22 Uhr ohne Kernzeit, mit der täglichen Maximalarbeitszeit von zehn Stunden, das klappt tadellos. Alle abz-Mitarbeiterinnen wissen also, wovon sie reden, wenn sie den Unternehmen Gleitzeitsysteme empfehlen.

Was würden Sie heute – mit Blick auf das Volksbegehren von damals – fordern, wenn es ein neues Volksbegehren gebe?

Vollmann: Tja, wer weiß, vielleicht brauchen wir bald eines … Die Vergabe wäre sicher ein guter Hebel. Dieser Punkt ist ja von damals auch noch offen. Was 1997 außerdem nicht dabei war: eine Frauenquote, aber nicht nur für Aufsichtsräte, sondern auch für die Geschäftsführung und den Vorstand.

Eine Quote in welcher Höhe?

Beide unisono: Mindestens 50 Prozent, entsprechend dem Bevölkerungsanteil.

Sel: Die Verantwortung der Väter muss auch hinein.

Vollmann: Genau, halbe-halbe würden wir auch fordern.

Sel: Und gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit. Dieses Zitat von vorhin gefällt mir gut, Fürsorge ist ein essenzieller Bereich unseres Lebens, Care-Arbeit muss aufgewertet werden. Außerdem sollten wir Beschäftigung entsprechend dem Ausbildungsgrad fordern. Hier sind ja Frauen mit Migrationshintergrund besonders benachteiligt.

Vollmann (deutet auf Punkt 4 des Volksbegehrens): Was machen wir mit dieser Forderung? Das ist immer noch nicht erledigt.

Sel: Es ist beschämend, dass bei der Notstandshilfe nach wie vor das PartnerIneinkommen angerechnet wird. Schließlich ist das eine Versicherungsleistung, in die alle Beschäftigten einzahlen.

Vollmann: Ja, diese Diskriminierung verstehe ich einfach nicht. Außerdem müssten wir noch einen Punkt ergänzen, wo es darum geht, Altersarmut bei Frauen zu verhindern. Das Thema wird in den nächsten Jahren akut werden. Ich erinnere mich noch gut an die Aufregung, als vor einiger Zeit die Berechnungen über die zukünftige Pensionshöhe verschickt wurden. Da ist es bei uns tagelang rundgegangen, weil so viele Frauen entsetzt waren, wie niedrig die Beträge ausfielen.

Sel: Nicht fehlen darf bzw. bleiben muss auch der Ausbau der Kinderbetreuung. Jedes Kind hat ein Recht auf Betreuung durch gut geschulte PädagogInnen. Was ich mir sonst noch wünsche, ist mehr Männersolidarität mit ihren Schwestern, Töchtern und Ehefrauen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Interview: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522069 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522074 Asiye Sel: "Wir müssen viel mehr darüber reden, dass nach wie vor typisch weibliche Dienstleistungsberufe wie etwa Friseurin oder Care-Tätigkeiten schlechter bezahlt werden." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577522079 Manuela Vollmann: "Wir wollen prinzipiell weg davon, dass Kinderbetreuung ein reines Frauenthema ist. Wir stellen auch in der täglichen Zusammenarbeit mit den Unternehmen immer klar: Das ist ein Management-Thema." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577522021 Coverstory: Noch immer kämpferisch „Noch immer“ ist die Phrase, die bei Artikeln über Gleichstellung gerne vorkommt. Noch immer verdienen Frauen weniger. Noch immer kümmern sie sich hauptsächlich um die Kinder. Und noch immer sind sie in Führungspositionen eine exotische Spezies. Doch wer verzweifelt, hat keine Kraft zu kämpfen. Und es wäre auch den Kämpferinnen der vergangenen Jahrzehnte gegenüber ungerecht, ihre Verdienste in Abrede zu stellen. Deswegen lohnt sich ein Blick darauf, was im Kampf für gleiche Chancen von Frauen bereits gelungen ist.

Frauen von heute sind topgebildet. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass gebildete Frauen noch vor nicht allzu langer Zeit etwas recht Ungewöhnliches waren. Noch Anfang der 1970er-Jahre hatten 70 Prozent der 25- bis 64-jährigen Frauen gerade einmal die Pflichtschule absolviert. Bei Männern lag der Anteil mit 43 Prozent deutlich niedriger. Mittlerweile hat nur mehr eine Minderheit von 23 Prozent bei den Frauen nur Pflichtschule, bei den Männern sind es 15 Prozent.
Am anderen Ende der Bildungsskala zeigt sich die gegenläufige Entwicklung: Hatten in den Siebzigern gerade einmal sechs Prozent der Frauen die Matura oder gar einen höheren Abschluss, explodierte dieser Anteil geradezu auf 32 Prozent im Jahr 2013. Damit haben sie auch die Männer mit 29 Prozent – knapp, aber doch – hinter sich gelassen.

Wer fand, dass ein Kind zur Mutter gehörte, für den oder die war die Welt in den Siebzigern noch in Ordnung. In ganz Österreich gab es 1972 gerade einmal für 4.900 Kleinkinder einen Krippenplatz. In ganz Österreich? Eigentlich nicht, denn satte 4.200 dieser Plätze waren in Wien. Im Burgenland, in Salzburg und Vorarlberg gab es diese Einrichtungen gar nicht, Tirol hatte eine, Kärnten zwei und selbst im großen Niederösterreich gab es nur sechs Krippen. Hier von Unvereinbarkeit von Familie und Beruf zu sprechen ist wohl keine Übertreibung.
Da ist es doch erfreulich, dass sich mittlerweile das Angebot versiebenfacht hat – und sich besser verteilt. Statt einer von zehn Plätzen entfallen jetzt immerhin sechs von zehn auf andere Bundesländer als Wien. Es bewegt sich also etwas.

Mehr Bildung, mehr bezahlte Arbeit
Beide Entwicklungen – die viel bessere Qualifikation von Frauen und die bessere Vereinbarkeit aufgrund von mehr Kinderbetreuung – haben zum Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen beigetragen. Auch hier war die Entwicklung dramatisch: Seit 1980 hat sich die Zahl der Frauen, die einer unselbstständigen Beschäftigung nachgehen, nahezu verdoppelt: von 1,1 auf 1,9 Millionen. Damit erwerben heute zwei Drittel der Frauen im Haupterwerbsalter ein eigenständiges Einkommen – Anfang der Achtzigerjahre war es gerade einmal die Hälfte.

Arbeit ist nicht das ganze Leben
Umgekehrt entdecken Männer zunehmend, dass Arbeit allein auch nicht das ganze Leben ist. So wächst der Anteil der Männer, die auch Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Väter in Karenz sind nicht mehr die exotische Ausnahme, auch wenn ein oberflächlicher Blick auf die Zahlen das andeutet.
Sieht man sich die Statistik zum Kinderbetreuungsgeld (KBG) an, so ist der Männeranteil von 4,4 Prozent noch immer erschütternd gering. Das ist zwar zweieinhalbmal so viel wie bei der Einführung des KBG im Jahr 2002, aber kaum ein Grund zum Jubeln. Allerdings liegt dies auch daran, dass Väter in der Regel deutlich kürzer als Mütter in Karenz gehen.
Optimistischer mag stimmen, dass der Anteil der männlichen Personen, die irgendwann, wenn auch nur kurz Kinderbetreuungsgeld beziehen, mittlerweile immerhin bei 20 Prozent liegt. Auch bei der partnerschaftlichen Aufteilung der Haus- und Familienarbeit tut sich etwas: Zwar verrichten Frauen immer noch den Großteil der Arbeit im Haushalt. Allerdings hat sich der Anteil jener Männer, die sich an Hausarbeiten beteiligen, seit Anfang der 1980er-Jahre von nicht einmal einem Viertel auf beinahe drei Viertel erhöht.
Und doch gibt es noch genügend Gründe, um kämpferisch zu bleiben. „Es gab die Bildungsreformen und Frauen haben bei der Bildung aufgeholt“, hält Ingrid Moritz fest. „Aber in der Familienpolitik haben wir keinen Aufbruch gehabt. Deshalb verändert sich bei der partnerschaftlichen Teilung nur irrsinnig langsam etwas. Das tröpfelt so dahin“, bemängelt die Leiterin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien.

Halbe/halbe
Fast wehmütig blickt Moritz auf die Kampagne von Frauenministerin Helga Konrad aus dem Jahr 1996 zurück, die den Titel „Ganze Männer machen halbe/halbe“ trug. Thema war die gerechte Aufteilung der Haus- und Familienarbeit, die Kampagne sorgte für einen Sturm der Empörung. „Das war eine der besten Kampagnen, die wir jemals hatten, weil überall über das Thema diskutiert worden ist. Genau diesen Rückhalt aus der Politik braucht es, damit sich in den Köpfen etwas ändert.“
Eben dieser Rückhalt fehlte auch Helga Konrad, nur wenig später musste sie ihren Hut nehmen. Ihre Nachfolgerin Barbara Prammer distanzierte sich von der Kampagne. Dabei thematisierte sie einen wesentlichen Punkt, an dem die Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt „noch immer“ scheitert.
Kern- und Angelpunkt bleiben die Einkommen der Frauen, die „noch immer“ niedriger sind als jene der Männer. Vergleicht man beispielsweise nur ArbeitnehmerInnen, die das ganze Jahr über Vollzeit erwerbstätig sind, so beträgt der Unterschied zwischen Frauen und Männern immerhin noch 22 Prozent. In Euro ausgedrückt heißt das, dass Arbeitnehmerinnen um 10.928 Euro im Jahr weniger haben als Arbeitnehmer.
Berücksichtigt man alle Faktoren wie Teilzeit, Kinderbetreuung und so weiter, so bleibt immer noch ein Unterschied von 15 Prozent, der auf Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückgeführt werden kann – in der Fachsprache „unerklärbarer“ Unterschied oder Gender Pay Gap genannt.

Ungleich verteilte Arbeitszeit
Zu den erklärbaren Unterschieden zählt die Ungleichverteilung der Arbeitszeit: Während nahezu die Hälfte der Frauen Teilzeit arbeitet, gehen 90 Prozent der Männer einer Vollzeitbeschäftigung nach. Betrachtet man die Motive der Teilzeit-Arbeitenden, so zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Geschlechterunterschied: Frauen sind bei dieser Entscheidung fremdbestimmt, sie geben Betreuungspflichten oder Pflege an, während Männer nicht mehr arbeiten wollen oder aber zum Zwecke der Weiterbildung weniger Stunden arbeiten. Die Vorzeichen für eine gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema stehen gar nicht schlecht, immerhin könnte die Arbeitszeit durchaus anders verteilt werden, wenn es nach dem Wunsch der Frauen und Männer geht. Frauen in Teilzeit wollen nämlich tendenziell mehr arbeiten, während Männer in Vollzeit lieber weniger Stunden arbeiten würden.
Aktuell aber gehen Frauen „noch immer“ eher in Karenz. Danach fällt es ihnen „noch immer“ deutlich schwerer, in den Beruf wieder einzusteigen. Gerade einmal ein Viertel der Frauen zwischen 25 und 49 mit Kindern arbeitet Vollzeit. Bei den Männern hingegen führt die Geburt eines Kindes weiterhin dazu, dass sie mehr arbeiten. Und wenn Männer doch in Karenz gehen, so können sie schneller wieder an ihren Verdienst von vor der Karenz anknüpfen, wie das AK-Wiedereinstiegs-Monitoring zeigt: Verdienten fast 60 Prozent der Männer vor der Karenz 2.000 Euro und mehr, so waren es im sechsten Jahr nach der Karenz mit 57 Prozent schon fast wieder so viele. Unter den Frauen zählten vor der Karenz nur 47 Prozent zu dieser Gruppe, sechs Jahre danach kann das nicht einmal mehr ein Viertel der Frauen von sich sagen.

Weniger Stunden
Ein wesentlicher Grund für diese Gehaltsunterschiede: Frauen steigen für die Kinder deutlich länger aus dem Beruf aus als Männer. Erst beim vierten Geburtstag des Kindes arbeiten wieder 70 Prozent der Frauen. Bei den Männern hingegen ist etwas mehr als die Hälfte schon nach drei Monaten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Außerdem steigen Frauen deutlich häufiger mit Teilzeit-Jobs wieder ein. Die Studie ergab außerdem, dass Frauen nur selten wieder auf das gleiche Stundenmaß kommen wie vor der Karenz.
Aber selbst wenn Frauen nach der Karenz an den Arbeitsplatz zurückkehren, sind sie oft mit Diskriminierungen konfrontiert: Ihnen wird eine Leitungsposition weggenommen, sie bekommen einen schlechteren Arbeitsplatz oder es fallen Tätigkeitsbereiche weg, die gesondert entlohnt werden: So lauten Beispiele, wie sie in der Gleichbehandlungsanwaltschaft nur allzu bekannt sind. Dass auch Männer nach der Karenz mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, zeigt, wie tief die Vorurteile noch immer sitzen. Denn dass einzig Kinder die alleinige Ursache dafür sein sollen, dass Menschen im Beruf bisweilen nicht voll einsatzfähig sind oder überhaupt ausfallen, ist mehr als fadenscheinig.
Wenig hilfreich ist dabei, dass Karriere immer noch traditionell verstanden wird. Manuela Vollmann von abz austria sieht in der Hinsicht bei den Firmen großen Handlungsbedarf. Derzeit würde man sich noch viel zu wenig Gedanken über neue und innovative Arbeitszeitmodelle machen. Diese würden im Übrigen nicht nur Wiedereinsteigerinnen zugute kommen würden, auch die viel zitierte Generation Y könne mit den traditionellen Arbeitszeitmodellen nichts mehr anfangen.
„Es geht darum, optimale Strukturen zu finden, damit Männer und Frauen in verschiedenen Lebensphasen einmal Voll- und einmal Teilzeit arbeiten können“, so Vollmann.

Vielversprechend
Für vielversprechend hält sie auch Teilzeit-Führung. Dass das gut funktionieren kann, weiß sie aus eigener Erfahrung, denn sie selbst teilt sich die Geschäftsführung mit einer Kollegin – genau genommen wird nicht ein 40-Stunden-Job aufgeteilt, sondern je nach Bedarf arbeiten beide zusammen meist auf rund eineinhalb Stellen, und manchmal arbeiten auch beide Vollzeit. Dann ist es auch kein großes Problem, wenn eine Führungskraft kurzfristig ausfällt, wie es bei Vollmann der Fall war, die mit 42 Jahren noch einmal Mutter wurde.
Während Vollmann in der Zeit des Mutterschutzes zu Hause blieb, stockte die zweite Geschäftsführerin auf Vollzeit auf. Vollmann kehrte gleich nach dem Mutterschutz für zehn Wochenstunden zurück und baute innerhalb eines Jahres ihre Stunden wieder kontinuierlich auf. Sie ist überzeugt: „Dieses Modell hat 50 Prozent des Erfolgs von abz austria ausgemacht“ (siehe auch Entwicklungsland Österreich).
Ungleiche Verteilung der Arbeitszeit und starre Arbeitszeitkonzepte sind also zwei große Baustellen auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Zur Ungleichheit bei den Einkommen selbst trägt bei, dass Frauen mehrheitlich Berufen nachgehen, in denen sie schlechter verdienen als Männer (siehe auch „Frauen hier, Männer dort“). Ein anderes Thema, das Ingrid Moritz unter den Fingern brennt, ist denn auch die unterschiedliche Bewertung von Arbeit, je nachdem, ob es sich um typische Frauen- oder Männerberufe handelt. „Wir stehen ziemlich an, wenn es um die schlechtere Bezahlung von „Frauenarbeit“ geht – also Arbeit am Menschen im Vergleich zu technischer, naturwissenschaftlicher Arbeit.“ Dabei dürfe es keinesfalls darum gehen, dass Männer weniger verdienen, betont die AK-Expertin. „Vielmehr muss das, was die Frauen machen, rauf in der Bezahlung, es muss sichtbar gemacht und anerkannt werden.“

Rahmenbedingungen als Problem
Das Problem sei allerdings nicht allein das Geld, sondern auch die Rahmenbedingungen von so manchen „Frauenarbeitsplätzen“. In der mobilen Pflege etwa fehlen oftmals entsprechende Betten, auch Barrierefreiheit ist in vielen Haushalten nicht gewährt. Als anderes Beispiel nennt Moritz die Kindergartenpädagogik, in der viel zu große Gruppen an der Tagesordnung stehen: „Da muss man sich fragen: Und wo hat da jetzt das pädagogische Element Platz? Oder in der Pflege, die irrsinnig getaktet arbeiten müssen. Eigentlich ist das ein Skandal!“
„Noch immer“ wirken sich die niedrigen Einkommen und entsprechend niedrigen Beiträge sowie die fehlenden Beitragszeiten – ob aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen – negativ auf Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe aus (siehe auch „Gleichstellung in Zahlen“). Allein schon dadurch bleibt die finanzielle Schlechterstellung von Frauen bis zum Lebensende festgeschrieben. Denn wenn sie in den wohlverdienten Ruhestand gehen, müssen Frauen „noch immer“ mit deutlich niedrigeren Pensionen zurechtkommen. Im hohen Alter rächt es sich, wenn Frauen während ihres Lebens finanziell nicht ausreichend auf eigenen Beinen gestanden sind: Allein lebende Pensionistinnen sind jene Gruppe, die in Österreich neben Alleinerzieherinnen am meisten armutsgefährdet ist.

Zu wenig
Wie man es dreht und wendet: Traditionelle Rollenzuschreibungen sind weiterhin die wesentliche Ursache für die Ungleichheit zwischen Frau und Mann. Sie führt dazu, dass Frauen sich für Ausbildungen und entsprechend für Berufe entscheiden, in denen sie schlechter verdienen als Männer. Damit bleiben sie auch diejenigen, die wieder aus dem Berufsleben aussteigen (müssen), wenn Kinder da sind. Damit wiederum setzt sich die Logik weiter fort, dass sie weniger verdienen und ihre Karriereverläufe deutlich weniger kontinuierlich sind als jene ihrer männlichen Kollegen. Schließlich führt all dies dazu, dass Frauen im Alter deutlich stärker armutsgefährdet sind. Den Frauen der Herd, den Männern die Karriere: Nein, so schlimm ist es wahrlich nicht mehr. Es hat sich einiges verändert und in der Tat verbessert. Es ist allerdings immer noch zu wenig, als dass frau und man sich damit zufrieden geben könnten.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521970 Ambivalente Bilanz Vieles scheint heute selbstverständlich, musste aber schwer erkämpft werden. Erst seit 1975 etwa können verheiratete Frauen einen Beruf ergreifen, ohne dafür die Zustimmung des Ehemanns zu brauchen. Ein Jahr später hielt in Österreich die gleichberechtigte PartnerInnenschaft Einzug: Erst seit 1976 ist der Mann nicht mehr Oberhaupt der Familie, die Frau ihm nicht mehr „untertan“. Seit 1978 gehört in der Ehe erworbenes Eigentum beiden und nicht mehr automatisch dem Ehemann. Es dauerte bis 1989, bis Vergewaltigung in der Ehe zum Straftatbestand wurde.
Erst seit 1973 sind Abtreibungen innerhalb einer bestimmten Frist straffrei – legal im eigentlichen Sinn ist sie bis heute nicht. Nicht nur das: Abtreibung ist bis heute nicht allen Frauen in allen Bundesländern zugänglich. Bis heute terrorisieren AbtreibungsgegnerInnen die Betroffenen.

Für viele Familien heute selbstverständlich und doch noch nicht so alt ist die bezahlte Karenz: Im Jahr 1957 wurde der „Karenzurlaub“ eingeführt, 1960  ein Karenzurlaubsgeld, im Jahr 1989 die Väterkarenz. Zehn Jahre später wurde die flexiblere Gestaltung der Karenzzeit ermöglicht. Außerdem wurde die partnerschaftliche Aufteilung erleichtert – bis heute ein wichtiges Thema.
Im Jahr 1953 ratifizierte Österreich das internationale Übereinkommen „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“. Mit dem Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft aus dem Jahr 1979 kam endgültig die Pflicht zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Festsetzung des Entgelts. Weiterhin kämpfen die Gewerkschaften etwa für mehr Einkommenstransparenz, um auch die faktische Gleichstellung bei der Entlohnung zu erreichen.

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521967 Viele Steine im Weg Meetings bis spät in die Nacht, Tagungen weit weg vom Heimatort, gesellschaftliche Verpflichtungen inklusive entsprechendem Alkoholkonsum und parteiinterne Querelen: Nicht nur in den Spitzenpositionen ist das Leben als PolitikerIn alles andere als familienfreundlich. Das mag einer der Hauptgründe sein, warum Frauen trotz Gleichberechtigung über Jahrzehnte hinweg in der Politik wenig zu sagen hatten.

Absichtserklärungen, um den Frauenanteil in politischen Gremien freiwillig zu erhöhen, brachten bisher nur wenig. Im Jahr 1985 beschloss die SPÖ als erste politische Partei in Österreich eine Frauenquote von 25 Prozent. Aktuell ist nicht einmal ein Drittel der Natio­nalratsabgeordneten Frauen, halbe-halbe gibt es lediglich bei den Grünen und beim Team Stronach. Auch auf der Regierungsbank sind nur drei von 14 MinisterInnen weiblich.
Der Frauenanteil im ÖGB-Bundesvorstand muss aliquot mindestens der weiblichen Mitgliederzahl (2015: 35,5 Prozent) entsprechen. Weniger ausgewogen ist das Verhältnis bei den BetriebsrätInnen: Obwohl fast die Hälfte der Beschäftigten (46 Prozent) weiblich sind, beträgt der Frauenanteil in den Betriebsräten nur 34 Prozent.

Nicht nur bei der Freiwilligenarbeit sind Quoten kaum machbar, auch in der Kommunalpolitik, etwa bei den BürgermeisterInnen. In sechs von neun Bundesländern werden die BürgermeisterInnen direkt gewählt. Aktuell steht nur in sieben Prozent aller Gemeinden eine Bürgermeisterin an der Spitze. Mit 15,8 Prozent ist der Anteil der Vizebürgermeisterinnen mehr als doppelt so hoch. Durch eine Befragung aller Bürgermeisterinnen wollte der Österreichische Gemeindebund Genaueres über deren Motivation, Arbeitsbedingungen und Probleme herausfinden. Ziel war auch zu klären, warum so wenige Frauen in dieser Position sind, wo doch, so Präsident Helmut Mödlhammer „keine andere politische Ebene so viel Verantwortung und gleichzeitig so viele positive Erlebnisse ermöglicht“.
Bürgermeisterinnen sind bei der Amtsübernahme meist älter als ihre männlichen Kollegen, denn erstens ist der Weg zum BürgermeisterInnenamt für Frauen steiniger, zweitens warten viele auch bewusst ab, bis die Kinder „aus dem Gröbsten raus sind“. Sonja Ottenbacher, als Bürgermeisterin der 1.600-Seelen-Gemeinde Stuhlfelden be­reits in ihrer dritten Amtsperiode, erinnert sich noch genau an ihre Anfänge: „Ein bis eineinhalb Jahre lang wurde alles, was ich tat, genau beobachtet, obwohl ich davor Vizebürgermeisterin war. Wie gut kann sie reden? Was hat sie an? Verlässt sie die Sitzungen frühzeitig?“ Wie in anderen Berufen auch, verfügen Bürgermeisterinnen im Durchschnitt über höhere Bildungsabschlüsse als ihre Kollegen.

Ein großer Kritikpunkt ist seit Jahren die mangelnde soziale Absicherung, sowohl nach einem Amtsverlust als auch im Falle einer Schwangerschaft. Für politische MandatarInnen gelten die üblichen Schutzbestimmungen für Schwangere und junge Mütter nicht. Das hat zum Teil auch demokratiepolitische Gründe, da unter Umständen auch eine einzige Stimme den Ausschlag geben kann. Allerdings wurden für LandespolitikerInnen in manchen Bundesländern bereits Karenzregelungen getroffen.

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521958 Gleichstellung Gerne wird an feministischen Positionen kritisiert, sie würden Frauen geradezu dazu zwingen, arbeiten zu gehen. Dem wird das wunderbar klingende Wort „Wahlfreiheit“ entgegengehalten. Doch der Vorwurf geht ins Leere: FeministInnen haben nichts anderes im Sinn, als dass Frauen ihren Weg unabhängig von Geschlechterstereotypen gehen können, die von ihnen erwarten, bei Kind, Herd und Wischmop zu bleiben. Ebenso sollen Männer die Freiheit haben, sich der Kinderbetreuung und Hausarbeit zu widmen, ohne mit Vorurteilen konfrontiert zu sein oder gar Nachteile in Kauf nehmen müssen.
 
„Wahlfreiheit ist ein super Slogan“, meint Ingrid Moritz sarkastisch. Denn noch immer wird ebendiese viel zu wenig unterstützt. „Das wird völlig privatisiert und zur individuellen Angelegenheit gemacht“, kritisiert die Leiterin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien.

Auf der Tagesordnung weiter oben sollte für Ingrid Moritz die bessere Bewertung und damit auch Bezahlung von jenen Berufen stehen, die hauptsächlich Frauen ausüben wie etwa in der Pflege.

Dass Gleichstellung nicht nur Frauensache ist, spricht sich erst langsam herum. So sind weiterhin Frauenministerinnen und Frauenabteilung zuständig, wenn es darum geht, traditionelle Geschlechterrollen aufzubrechen – und zwar auch jene von Männern: „Dafür braucht es eigene Ressourcen.“ Es fehle an einem strukturellem Rahmen, der Gleichstellung unterstützt: „Und es fehlt ein klares Bekenntnis, dass diese auch gefördert gehört.“

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521830 AK: Kinderbetreuung. Richtige Richtung Dass sich Bund und Länder bei den Verhandlungen zum Finanzausgleich darauf geeinigt haben, im Bereich Kinderbetreuung die Finanzierung aufgabenorientiert zu gestalten, ist ein Schritt in die richtige Richtung. „Durch einen aufgabenorientierten Finanzausgleich werden nun wirklich jene Gemeinden mehr Geld erhalten, die auch mehr in Kinderbetreuung investieren“, sagt Alice Kundtner, Vizedirektorin und Leiterin des Bereichs Soziales der AK Wien. 
Die Kinderbildung und -betreuung wurde in den vergangenen Jahren stark ausgebaut. Aber bei den laufenden Kosten werden die Gemeinden allein gelassen. Manche Gemeinden scheuen deswegen davor zurück, mehr Plätze einzurichten. Mit der Aufgabenorientierung wird sichergestellt, dass die laufenden Kosten der Elementarbildung gerecht finanziert werden. Statt die Mittel wie bisher nach Maßgabe der Bevölkerungsanzahl zu verteilen, soll das Geld je nach Leistung an die Körperschaft verteilt werden, die die jeweilige Aufgabe auch wahrnimmt.
„Dass im Bereich Elementarbildung die Mittel je nach Angebot vergeben werden sollen, war eine wichtige Forderung der AK. Wir haben auch das Konzept dafür vorgelegt“, so Kundtner. Bis September 2017 sollen die Kriterien, nach denen die Mittel dann an die Gemeinden fließen, festgelegt werden. „Dabei sollen längere Öffnungszeiten, wenige Schließtage, das Alter der Kinder und soziale Kriterien eine Rolle spielen“, sagt Kundtner. Wichtig ist, dass das Geld direkt an die Gemeinden fließt, um eine transparente Mittelvergabe sicherzustellen. Aus AK-Sicht braucht es neben einem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung und der Schaffung familienfreundlicher Öffnungszeiten auch mehr Augenmerk auf die Qualität von Kinderbildungseinrichtungen. Denn nur so können die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Frühförderung von Kindern gelingen.

Der Finanzausgleich regelt, wie die Gelder aus dem Steuertopf zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden verteilt werden. Allerdings ist das derzeitige System verbesserungswürdig: ExpertInnen sind sich einig, dass es sehr intransparent ist und kaum sinnvolle Steuerung zulässt. Aus Sicht der Gemeinden ist das größte Problem, dass sie Geld vor allem nach der Zahl der EinwohnerInnen erhalten. An der Höhe dieser Mittel ändert sich nichts, egal, wie gut oder schlecht eine Aufgabe von einer Gemeinde wahrgenommen wird.
 
Infos unter:
tinyurl.com/z98yg6y

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521826 PRO-GE/GPA-djp: Verbesserungen für Frauen erreicht Gute Nachrichten für Frauen: Bei den KV-Verhandlungen der MetallerInnen haben die Gewerkschaften die vollständige Anrechnung von Karenzzeiten für dienstzeitabhängige Ansprüche wie Urlaubsanspruch oder Jubiläumsgelder durchgesetzt. Ausgenommen sind lediglich Vorrückungen. „Das ist ein sehr wesentlicher Beitrag zur Verringerung der Einkommensschere und ein Vorbild für alle Branchen, die das noch nicht so geregelt haben“, freut sich Ilse Fetik, Frauenvorsitzende der GPA-djp. „Der Verhandlungsmarathon hat sich für die Beschäftigten gelohnt: Das durchschnittliche Lohn- und Gehaltsplus von 1,68 Prozent kann sich sehen lassen, niedrige Lohn- und Gehaltsgruppen werden sogar mit bis zu zwei Prozent erhöht.“ „Es waren äußerst schwierige und intensive Verhandlungen. Der Abschluss bedeutet für die Beschäftigten einen deutlichen Realeinkommenszuwachs“, betonen die Verhandler Rainer Wimmer (PRO-GE) und Rudolf Wagner (GPA-djp). Der neue Mindestlohn beträgt 1.785,03 Euro. Auch für Lehrlinge wurden Verbesserungen erzielt: Die Fahrtkosten zum Berufsschulinternat werden künftig vollständig abgegolten, sofern diese nicht bereits durch öffentliche Förderungen abgedeckt werden. Geltungstermin des neuen Kollektivvertrages ist der 1. November 2016. Die Laufzeit beträgt zwölf Monate.

Zusätzlich ist es gelungen, auch dieses Jahr die Freizeitoption wieder für den Bereich Fahrzeugindustrie zu vereinbaren. Damit wird dem Wunsch der ArbeitnehmerInnen nach mehr Freizeit Rechnung getragen. Grundvoraussetzung ist der Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung. Gibt es eine solche, hat grundsätzlich jeder einzelne Arbeitnehmer bzw. jede einzelne Arbeitnehmerin die Möglichkeit, durch Einzelvereinbarung anstelle der Ist-Erhöhung zusätzliche Freizeit zu erhalten. Nötig dafür ist die Zustimmung des Arbeitgebers. Wie viel Freizeit den ArbeitnehmerInnen in diesem Fall gebührt, hängt von der Einstufung in die Beschäftigungsgruppe ab. Möglich sind zwischen 1 Stunde 48 Minuten und drei Stunden im Monat. Die zusätzliche Freizeit kann stundenweise variabel, in ganzen Tagen oder als ganzwöchiger Zeitausgleich verbraucht werden.
 
Infos unter:
tinyurl.com/hmv4r6g
tinyurl.com/32ec53z

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521816 Frisch gebloggt Die Artikel in voller Länge sowie jede Menge anderer spannender Debattenbeiträge finden Sie unter blog.arbeit-wirtschaft.at.

Hier einige besonders lesenswerte Beiträge:

  • Kapitaleinkommen höher besteuern? (Sarah Godar und Achim Truger
  • Austeritätspolitik: Ein Schuss ins eigene Knie (Philipp Heimberger)
  • Serie zur sozial-ökologischen Erneuerung

Neuvermessung des Möglichen
Aus der wunderbaren Welt der Steuergerechtigkeit gibt es Positives zu vermelden: Seit der Krise kam es in einigen EU-Ländern bei Kapitaleinkommen wieder zu Steuererhöhungen. Gleichzeitig nahmen internationale Kooperationsbemühungen gegen Steuerhinterziehung deutlich an Fahrt auf.
Auch der internationale Wettlauf um die Senkung der Unternehmenssteuern hat sich verlangsamt. Trotzdem bleibt ihr Anteil am Gesamtaufkommen niedrig. Immerhin haben aber Enthüllungen über die winzigen Steuerbeträge von IKEA, Starbucks und Co. verdeutlicht, dass das internationale System der Unternehmensbesteuerung reformbedürftig ist.
Von einem verteilungspolitischen Durchbruch kann zwar keine Rede sein. Die jüngsten Steuertrends bieten aber Anknüpfungspunkte für eine Neuvermessung des Möglichen. Bei entsprechendem politischem Druck besteht deutlich mehr gestalterischer Spielraum, als häufig behauptet.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/pbopoht

Zu Tode gespart
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, Kanzlerin Angela Merkel und der damalige EZB-Chef Trichet – sie alle traten für eine einschneidende Budgetkonsolidierung ein, die vor allem an der Ausgabenseite ansetzt. „Wachstumsfreundliche Austerität“ war der politische Slogan der Stunde – den der Internationale Währungsfonds (IWF) schon in der zweiten Hälfte des Jahres 2012 mit einer empirischen Studie entzauberte.
Im Mittelpunkt dieser wirtschaftspolitisch höchst relevanten Debatte steht das Konzept des Fiskalmultiplikators. Dieser gibt an, wie sich die Wirtschaftsleistung verändert, wenn der Staat seine Ausgaben erhöht oder senkt. Die ArchitektInnen der Sparprogramme gingen davon aus, dass der Multiplikator bei 0,5 liegen würde – also jeder eingesparte Euro die Wirtschaftsleistung um lediglich 50 Cent reduziert.
Tatsächlich aber kamen die IWF-AutorInnen zu dem Ergebnis, dass jeder eingesparte Euro die reale Wirtschaftsleistung um ca. eineinhalb Prozentpunkte reduziert!
Die Austeritätspolitik hat damit nicht nur die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung verschlechtert, sondern in vielen Ländern auch die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte.
Es braucht also dringend einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/q5ch9h5

Wirtschaft ganz anders
Das neoliberale Modell ist spätestens mit der Finanzkrise seit 2008 umfassend gescheitert.
Die Alternative lautet: sozial-ökologische Erneuerung. Nur wie kommt man dazu? Weil die Frage keine einfache ist, befasst sich der Blog in einer Serie mit den möglichen Antworten.
Den Auftakt machen Georg Feigl und Florian Wukovitsch mit einem Beitrag, in dem sie die Eckpunkte einer solchen Strategie skizzieren: Der Ausbau klassischer Infrastruktur wie (ökologisches) Wohnen ist dabei ebenso ein Ansatzpunkt wie soziale Dienstleistungen. Markus Marterbauer und Lukas Oberdorfer stellen Überlegungen an, wie man weg vom freien Binnen- und Finanzmarkt hin zur ressourcenschonenden Wirtschaft, die den Wohlstand gerecht verteilt, kommt.
Iris Strutzmann zeigt auf, dass die öffentliche Wasserversorgung ein unverzichtbarer Bestandteil für eine sozial-ökologische Erneuerung ist, während Sylvia Leodolter anschaulich macht, dass ohne öffentlichen Verkehr kein Ausstieg aus fossiler Energie möglich ist. Christoph Streissler und Christoph Görg befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten der klimapolitischen Herausforderungen und Nina Tröger streicht hervor, dass zwar die Bekenntnisse zur Kreislaufwirtschaft noch recht hohl sind, die Strategie aber viel Potenzial birgt.
Dass das alles keine Tagträumereien sind, zeigen Adi Buxbaum und Sybille Pirklbauer am Beispiel der Elementarbildung. Ihr Reality-Check macht deutlich, dass die erwarteten positiven Effekte solcher Investitionen auch tatsächlich eintreten.
Lesen Sie mehr unter blog.arbeit-wirtschaft.at Suche nach: sozial-ökologisch

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Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521796 "Nicht zuletzt" ... Weit entfernt von Gleichheit Die Benachteiligungen von Frauen hören hier aber nicht auf: Frauen verdienen weniger als Männer, Frauen stoßen an die gläserne Decke, Frauen arbeiten häufig in Teilzeit und laufen Gefahr, im Alter arm zu werden. Neu ist das alles nicht und man sollte meinen, dass das Mittelalter vorbei ist und dass diese Probleme schnellstmöglich gelöst werden müssen.
Wären da nur nicht jene Stimmen, die gerne behaupten, dass alles nur halb so schlimm ist. Solche und ähnliche Aussagen zeigen, dass bei der Gleichstellung von Frau und Mann in Österreich noch so einiges im Argen liegt.

Armutszeugnis für Österreich
Österreich belegte nicht nur bei der Fußball-Europameisterschaft einen der hinteren Plätze, die Performance bei der Gleichstellung von Frau und Mann am Arbeitsmarkt könnte auch wesentlich besser aussehen. Eine weltweite Studie des Weltwirtschaftsforums zeigt, dass Österreich im internationalen Vergleich bei der Frauen-Gleichstellung von Platz 37 auf Platz 52 abrutscht. Bei der Lohngerechtigkeit belegt es nur Platz 100 von 144. Es ist also wirklich nicht schlimm, es ist noch schlimmer. 22,4 Prozent weniger Einkommen bei gleichwertiger Arbeit sind eine absolute Blamage. Nur in Estland sieht die Einkommenssituation für Frauen noch düsterer aus als hierzulande. Alle anderen EU-Länder erzielen bessere Ergebnisse, sogar die als „Macholänder“ verschrienen Staaten, wie Italien (sechs Prozent) und Spanien (16 Prozent). Wenn das kein Grund zum Schämen ist.

Nadel im Heuhaufen

Einkommensgerechtigkeit bei gleichwertigen Tätigkeiten und Bildungsabschlüssen ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch im Gleichbehandlungsgesetz festgeschrieben. Heute verlassen Frauen Schulen oft besser qualifiziert als Männer, und trotzdem müssen sie für den Erfolg viel härter kämpfen.
So deutlich wie nie zuvor beweist uns das Ergebnis der US-Wahl: Selbst wenn Frauen in der Politik einen deutlichen Qualifikationsvorsprung haben, schaffen sie es nicht an die Spitze. Auch in Österreich entpuppt sich die Suche nach einer Frau in einer Spitzenposition von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft meistens als jene nach der „Nadel im Heuhaufen“.
Fast jeder Chefsessel gehört einem Mann. Selbst in Branchen mit hoher Frauenbeschäftigung wie im Handel oder bei Banken ist die Spitze männlich. Weiblichen Arbeitnehmerinnen traut man vorwiegend operative oder bestenfalls taktische Führungsaufgaben zu. Qualifizierte Teilzeit und geteilte Führungsmodelle, die Frauen auch ein angemessenes Einkommen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen können, werden von Unternehmen ganz selten praktiziert. Wen wundert es da, dass eine Führungslaufbahn nicht für jede Frau erstrebenswert ist, wenn allem Anschein nach erfolgreiche und mächtige Frauen nach wie vor von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden?

Veraltete Rollenmuster

In keinem Bereich der Gleichstellung hat sich so wenig geändert wie beim Familienleben. Die traditionelle Rollenverteilung – der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder – ist noch sehr stark in den Köpfen verankert.
Es braucht also neben umfassenden Maßnahmen am Arbeitsmarkt und auf Unternehmensebene auch gesellschaftliche Veränderungen. Die fehlende Chancengleichheit verhindert, dass Bildungsinvestitionen und vorhandene Potenziale optimal genutzt werden – wichtige Ressourcen, die zu Wachstum und wirtschaftlicher Stabilität beitragen könnten.

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Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577521788 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479577521777 "Ohne Druck funktioniert nichts" Der Selbstmord des Gemüseverkäufers Mohamed Bouazizi löste 2011 in Tunesien eine Protestwelle gegen das Regime aus. Die Internetaktivistin Lina Ben Mhenni steuerte die tunesische Revolution medial mit: Sie fotografierte und filmte dort, wo es nicht erlaubt war, berichtete über die Proteste, aber auch über die Gewalt, mit der die Polizei gegen die tunesische Bevölkerung vorging. Ihr Blog „A Tunisian Girl“ war eine der wichtigsten Informationsquellen und Verbreitungskanäle. Für ihren Einsatz wurde sie sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Sie war aber nicht die einzige Frau vor Ort. Die Frauen machten die Hälfte der DemonstrantInnen aus. Viele sind überzeugt, dass die Revolution ohne sie undenkbar gewesen wäre. „Es war natürlich nicht einfach, viele hatten Angst vor Repressalien in den Betrieben“, sagt Habiba Sobhi. Die tunesische Gewerkschafterin war so gesehen an der Basis tätig und versuchte, die Proteste der ArbeitnehmerInnen und der Studierenden zusammenzuführen und so schlagkräftiger zu machen.

Benachteiligung verhindert
Es war nicht das erste Mal, dass tunesische Frauen an vorderster Front kämpften, und es sollte auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Nach dem Sturz des Regimes wollte die neu gewählte Ennahda-Partei das Personenstandsrecht, welches Polygamie untersagt, eine Verstoßung der Frau durch den Ehemann verbietet und Scheidungen erlaubt, ändern. Und zwar so, dass Frauen und Männer nicht länger gleichgestellt sind. Auch hier protestierten die Frauen und verhinderten eine Gesetzesänderung. „Wer in Tunesien etwas erreichen will, muss protestieren. Ohne Druck geht hier nichts weiter“, so Sobhi. Ben Mhenni fügt hinzu: „Das muss man sich einmal vorstellen. Plötzlich ging es nicht mehr darum, für mehr Rechte zu kämpfen, sondern bestehende zu verteidigen.“ Zudem beklagt die Internetaktivistin, dass die hohe Arbeitslosigkeit die junge Generation lähmt. Viele junge TunesierInnen, die 2011 auf der Straße waren, hatten große Hoffnungen, fühlen sich aber nun von der politischen Klasse verraten und sind frustriert.
Obwohl Frauen in Tunesien heute im Vergleich zu Männern viel mehr in Bildung investieren und seltener die Ausbildung abbrechen, sind sie viel häufiger arbeitslos. Und diejenigen, die einen Job haben, verdienen weniger als Männer. Nach einer Schwangerschaft dürfen sie ein bis zwei Monate – abhängig vom Arbeitgeber – zu Hause beim Kind bleiben. „Will eine Mutter einen unbezahlten Monat anhängen, wird sie sofort gekündigt“, erzählt Gewerkschafterin Sobhi. Arbeitnehmerinnen, die im öffentlichen Bereich beschäftigt sind, haben die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten – aber nur, wenn sie drei oder mehr Kinder haben. „Frauen haben viele Rechte auf dem Papier, in der Realität sind diese jedoch nicht umgesetzt“, so Ben Mhenni.

Mikrokredite, um Frauen zu stärken
Damit Frauen in der Gesellschaft und der Arbeitswelt integriert werden, müssen die Gesetze zur Gleichberechtigung rasch umgesetzt werden, sind die AktivistInnen überzeugt. Neben der Bildung ist auch ein Zugang zu Mikrokrediten äußerst wichtig, betont Sobhi. Gemeinsam mit anderen Frauen hat sie daher das Projekt „Mikrokredit“ ins Leben gerufen. „Frauen haben gute Ideen, aber ihnen fehlen die finanziellen Mittel. In ihren Vorhaben unterstützen wir sie mit Mikrokrediten, die sie nicht zurückzahlen müssen“, erzählt sie. Sie räumt ein, dass damit keine großen Gewinne gemacht werden können, auf jeden Fall aber kleine, um die Familie ernähren zu können. Auf diese Weise sollen Frauen ermutigt werden, für sich selbst zu sorgen und unabhängig zu leben. Mikrokredite bieten aber auch jungen Menschen die Möglichkeit, Unternehmen zu gründen. „So entstehen neue Arbeitsplätze und die Wirtschaft wird angekurbelt“, sagt Sobhi.

Weitere Infos finden Sie unter:
www.weltumspannend-arbeiten.at

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Amela Muratovic Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479577521767 Die Internetaktivistin Lina Ben Mhenni steuerte die tunesische Revolution medial mit. Ihr Blog "A Tunisian Girl" war eine der wichtigsten Informationsquellen und Verbreitungskanäle. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479351615945 Zahlen, Daten, Fakten Zahlen, Daten, Fakten belegen, dass Arbeit und Einkommen zwischen den Geschlechtern sehr ungleich verteilt sind.

  • Mehr als die Hälfte der Frauen arbeitet aufgrund von Betreuungspflichten Teilzeit.
  • Frauen erledigen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit in Familie und Haushalt.
  • Frauen verdienen auch dann deutlich weniger, wenn sie das ganze Jahr über Vollzeit arbeiten.
  • Niedrigere Erwerbseinkommen und Versicherungsverläufe haben negative Folgen für Frauen.

Quelle: AK OÖ 2016, Statistik Austria 2015, BMBF 2013; AK/ÖGB-Darstellung

Der Wiedereinstieg in den Beruf nach der Eltern-Karenz:

  • Väterkarenz unterstützt den Wiedereinstieg der Mutter.
  • Mehr Väter gehen in Karenz, die Berufsunterbrechung wird aber kürzer.
  • Immer mehr Frauen wählen die kurzen Kinderbetreuungsgeld-Modelle.

Quelle: AK Wiedereinstiegsmonitoring 2015

Alle Details dazu entnehmen Sie bitte den Downloads.

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Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479351615901 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479351615893 Gleicher Lohn - gerechter Lohn? Im Jahr 1917 setzte die freigewerkschaftliche Organisation der MetallarbeiterInnen erstmals in Österreich „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ durch. Die Frauen in der Rüstungsindustrie erhielten von da an gleich viel bezahlt wie ihre (nur noch wenigen) Kollegen. Dass dieser Durchbruch gegen Ende des Ersten Weltkriegs erzielt werden konnte, ist kein Zufall. Hinter dem Vorgehen der Gewerkschaft steckte vielmehr eine ganz nüchterne Überlegung: Frauen ersetzten die Männer an der Front. Niedrigere Löhne für Frauen an Männerarbeitsplätzen hätten Lohndumping Tür und Tor geöffnet, wenn die Männer nach Kriegsende zurückkehrten. Aber nicht alle Unternehmen hielten sich an den Kollektivvertrag und mit der Niederlage Österreich-Ungarns 1918 war es mit der teilweisen Lohngleichheit vorbei. 

Außerdem hieß „gleicher Lohn“ auch 1917 nicht automatisch „gerechter Lohn“. Genau darauf machte Adelheid Popp, die Pionierin der sozialdemokratischen Arbeiterinnenbewegung, in einem Artikel für die „Arbeiter-Zeitung“ aufmerksam. Der Beitrag sollte im März 1917 erscheinen, fiel aber der Kriegszensur zum Opfer und konnte erst in der demokratischen Republik veröffentlicht werden. Die Entlohnung der Arbeiterinnen ist hier (in den Donawitzer Hüttenwerken in der Steiermark) der gleiche wie bei den Männern, schrieb Adelheid Popp, jedoch bekommen die Frauen, deren Männer auch im Betrieb arbeiten, keine Teuerungszulage. Dass das kein Irrtum ist, beweisen die vorliegenden Lohnzettel. … Über die Verschiedenheit der Entlohnung von Frauen und Männern (in der Munitionsfabrik Blumau in Niederösterreich) sei ein Beispiel angeführt: Beim Deckeldrehen für Wurfminen bekommen männliche Dreher einen Taglohn von zehn Kronen, Frauen sechs Kronen bei derselben Leistung.

Ein paar Worte über die Löhne. Diese schwanken ungeheuer. Es ist zu beachten, dass die Frauen mit ihrer Kraft nicht hauszuhalten verstehen; gewohnt, daheim ohne Rast und Ruhe tätig zu sein, … setzen sie dieses System auch als Arbeiterinnen fort. Da die Masse der Arbeiterinnen … mit allen gewerkschaftlichen Prinzipien unvertraut ist, verstehen sie nicht, dass ihr intensiver Fleiß nicht Belohnung, sondern Strafe heraufbeschwört. Sie verdienen zu viel, das führt zu Lohnherabsetzungen, und aufs Neue müssen sie alle ihre Kräfte anspannen, um höheren Lohn zu erreichen. … Da sie aber schlechter ernährt sind als die männlichen Arbeiter, so erschöpfen sich ihre Kräfte rascher. Haben wir doch in unseren Aufzeichnungen die Tatsache vermerkt, dass die Arbeiterinnen infolge der Überanstrengung in den Munitionsbetrieben alle zehn bis zwölf Tage menstruieren. Man kann sich eine Vorstellung machen, wie dieser ständige Blutverlust die Frauen schwächt.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1479351615880 In allen Staaten ersetzten Frauen während des Ersten Weltkriegs die als Soldaten eingezogenen Arbeiter. Unter den 34.000 Beschäftigten der Munitionsfabrik in Wöllersdorf befanden sich viele ganz junge Mädchen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 18 Nov 2016 00:00:00 +0100 1479351615863 Standpunkt | ... wenn ihr denn unbedingt wollt ... Letztlich ging sie leider nicht einmal als Fußnote in der Geschichte ein. Dabei war ihre Initiative Gold wert: Unter dem Titel „Ganze Männer machen halbe-halbe“ machte die damalige Frauenministerin Helga Konrad auf sehr effektive Art und Weise das Private zum Politischen. Immerhin ging es um nicht mehr und nicht weniger als die Aufteilung der Haus- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern. Wenn Putzen und Kinderbetreuung weiterhin in die Domäne der Frau fallen sollten, auch wenn sie berufstätig war, sollte dies im Falle der Scheidung zugunsten der Frau berücksichtigt werden. Konrad stieß damit eine Debatte über eines der größten Hindernisse bei der Gleichstellung an.

Wespennest
Dass man bei dem Thema auch heute noch in ein Wespennest sticht, zeigte der Aufschrei, den die Kampagne „Echte Männer gehen in Karenz“ erst vor wenigen Jahren auslöste. Dabei kann über dieses Thema gar nicht oft genug diskutiert werden. Immerhin sind ebendiese Geschlechterstereotype, die nur Frauen die Zuständigkeit für Kinderbetreuung zuschreiben, weiterhin dafür verantwortlich, dass Frauen am Arbeitsmarkt schlechtergestellt sind. Zwar sind sie auf der Bildungsleiter unheimlich viele Sprossen hochgeklettert. Dies spiegelt sich jedoch weder in den Jobs wider, die sie ausüben, noch in den Funktionen, die ihnen übertragen werden. Auch landen viel zu viele Frauen weiterhin in typischen „Frauenjobs“. Viele davon sind noch dazu Schwerarbeit, die aber bei Weitem nicht dementsprechend bezahlt wird.
Frauen werden unter ihren Qualifikationen beschäftigt und damit schlechter bezahlt. Selbst wenn sie einen Job ausüben, der ihren Qualifikationen entspricht, erhalten sie allzu oft weniger Geld als ihre männlichen Kollegen. Frauen mit Kindern wird die Berufstätigkeit erschwert, weil es kein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen gibt. So kann es auch kaum verwundern, dass Frauen weiterhin jene sind, die aus dem Beruf aussteigen, wenn ein Kind kommt oder ein/e Angehörige/r zu pflegen ist. Weil sie halt weniger verdienen, lautet eine beliebte Erklärung – und es ist ein handfester Grund. Damit dreht sich die negative Spirale aber leider weiter bis hin zur Pension.
Von daher ist es mehr als zynisch, wenn weiterhin die Wahlfreiheit angerufen wird. Frauen wird vorgegaukelt, sie könnten alles schaffen – aber man schafft weder die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür, noch gibt man ihnen die entsprechenden Chancen. Die Botschaft an Frauen lautet heute: Wenn ihr unbedingt arbeiten wollt, dann müsst ihr es halt auch schaffen. Man zwingt sie also nicht mehr, zu Hause zu bleiben. Allerdings bleibt ihnen aufgrund der Rahmenbedingungen oftmals gar nichts anderes übrig. Wahlfreiheit ist das wahrlich nicht, von Geschlechtergerechtigkeit ganz zu schweigen.

Geht alle etwas an
Zurück zu Helga Konrad. Männer sollen dazu gezwungen werden, in Karenz zu gehen, lautete eine große Befürchtung damals. Warum denn eigentlich nicht? Denn wenn es völlig einerlei ist, wer aufgrund der Geburt eines Kindes „ausfällt“, würden Unternehmen nicht nur in Festreden von Familienfreundlichkeit sprechen, sondern diese auch umsetzen. Auch der Druck zum Ausbau von Kinderbetreuung würde steigen.
Da nun auch Männer Knicke in ihrer Erwerbsbiografie hätten, würde auch darüber diskutiert werden, wie eine angemessene soziale Absicherung bei weniger geradlinigen Berufslaufbahnen aussehen sollte. Und man würde sich intensiver mit alternativen Arbeitszeit- und Karrieremodellen sowie Führungskonzepten beschäftigen, als Stichwort sei nur Führung in Teilzeit genannt. Kurzum: Gleichstellung würde nicht länger als Thema verstanden werden, das nur Frauen etwas angeht, sondern vielmehr als erstrebenswertes Ziel für alle.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 9/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016793 Pflegeausbildung neu aufgestellt Ein funktionierendes Gesundheitssystem ist wie eine Uhr: Nur wenn alle Teile richtig ineinandergreifen, funktioniert es auch. Und je besser die Qualität der Teile, desto problemloser läuft alles.

Ohne Pflege geht nichts
Wenn auf der Kinderstation in der Nacht ein kleiner Patient weint, wenn der Verband eines Patienten oder einer Patientin gewechselt werden muss oder die Medikamente gebracht werden müssen, dann sind es die Angehörigen der Pflegeberufe, die diese Arbeiten erledigen. Weite Teile des Gesundheitssystems würden ohne sie gar nicht funktionieren.

Erhöhter Bedarf
Nicht nur im Krankenhaus findet man Krankenpflegerinnen (so lautet das jetzt offiziell, die „Krankenschwester“ hat ausgedient)  und -pfleger. Auch in Pflegeheimen und im mobilen Dienst gibt es viel Pflegepersonal. Und es gäbe noch viele Bereiche mehr, in denen PflegerInnen tätig werden könnten.
Dazu aber bräuchte es mehr von ihnen. Auch die Entwicklung der Bevölkerung wird einen erhöhten Bedarf an Pflegepersonal bringen: Wenn es immer mehr ältere Menschen gibt, wird auch der Bedarf an gut ausgebildeten PflegerInnen steigen. Vor diesem Hintergrund ist die Neugestaltung der Pflegeausbildung grundsätzlich positiv.
Läuft alles wie geplant, wird die gehobene Gesundheits- und Krankenpflege ab dem Jahr 2024 nur noch akademisch an Fachhochschulen ausgebildet werden, die AbsolventInnen werden den Bachelor tragen. Neu geregelt wurde die Ausbildung des Pflegepersonals heuer im Sommer. Bisher gab es in der Ausbildung eine Zweiteilung der Pflegeberufe: die Pflegehilfe mit einer einjährigen Ausbildung und den gehobenen Dienst mit einer dreijährigen Ausbildung. Daraus wurde jetzt ein System mit drei Berufen gemacht: Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und der gehobene Pflegedienst mit Fachhochschulausbildung.

Pflegeassistenz wird wichtiger
Die eigentliche Tätigkeit am Krankenbett wird wohl von der Pflegeassistenz und der Pflegefachassistenz geleistet werden. Beide Berufsgruppen werden in Zukunft Tätigkeiten übernehmen, die bisher vom diplomierten Pflegepersonal durchgeführt wurden. Die Pflegeassistenz soll in allen Versorgungsformen und Versorgungsstufen eingesetzt werden können. Im Gesetz sind nun nicht mehr einzelne pflegerische Maßnahmen aufgelistet, die an die Assistenz delegiert werden können.

Gehobener Dienst delegiert mehr
Nun kann der gehobene Dienst allgemein pflegerische Maßnahmen an diese Berufsgruppe übertragen und muss diese nur mehr beaufsichtigen. Auch bei Notfällen sowie bei der Mitarbeit bei therapeutischen und diagnostischen Verrichtungen kommen weitere Tätigkeiten hinzu, beispielsweise die Blutentnahme aus der Vene bei Erwachsenen.
Man sollte glauben, dass zusätzliche Ausbildungsinhalte die Ausbildung verlängern. Dem ist aber nicht so: Die zusätzlichen Inhalte werden in die einjährige Ausbildungsdauer der derzeitigen Pflegehilfe hineingepresst, lediglich der hauswirtschaftliche Bereich wurde gestrichen. Ein gänzlich neuer Gesundheitsberuf ist die Pflegefachassistenz, die mit zweijähriger Ausbildungsdauer grundsätzlich zur eigenverantwortlichen Durchführung der ihr übertragenen pflegerischen und ärztlichen Tätigkeiten ohne verpflichtende Aufsicht berechtigt ist.
Für den Berufsalltag aller bereits tätigen Berufsangehörigen ist wichtig, dass sie neue Tätigkeiten nur dann übernehmen dürfen, wenn sie die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen. Wollen die Einrichtungen, dass sie derartige Tätigkeiten in Zukunft übernehmen, werden sie die entsprechenden Schulungen zur Verfügung stellen müssen.
Die Tätigkeitsbereiche der gehobenen Pflege werden ab sofort in Form von Kompetenzbereichen beschrieben. Sie umfassen pflegerische Kernkompetenzen und Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie. Dazu kommen Spezialisierungen, zum Beispiel für die Tätigkeit im Operationssaal. Sehr hart gerungen wurde um die verpflichtende Beibehaltung der verschiedenen Spezialisierungen, waren sie doch im ursprünglichen Begutachtungsentwurf nur als freiwillig vorgesehen. Eine weitere langjährige Forderung der Berufsgruppe wurde endlich auch aufgegriffen: die Möglichkeit für gehobene Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, Medizinprodukte weiter zu verschreiben. Vor allem für den Bereich der mobilen Pflege ist dies von essenzieller Wichtigkeit, musste doch bislang für eine einfache Verlängerung der Verschreibung von Pflegeprodukten immer der Arzt oder die Ärztin aufgesucht werden.
Der gehobene Dienst ist derzeit die tragende Säule des Krankenhausalltags. In Zukunft wird der Berufsalltag de facto aber anders aussehen. Es ist nämlich zu befürchten, dass die jetzt zuständigen Fachhochschulen deutlich weniger Ausbildungsplätze anbieten als die derzeit zuständigen Gesundheits- und Krankenpflegeschulen.

Höherqualifizierung mit Nachteilen
Sofern es nicht gelingt, hier gegenzusteuern, wird die Zahl des diplomierten Personals in Zukunft wesentlich geringer sein. Die verbleibenden Berufsangehörigen werden dann realistischerweise Führungs- und Kontrollaufgaben und einzelne Tätigkeiten im Bereich medizinischer Diagnostik und Therapie ausüben, die nicht an Assistenz oder Fachassistenz delegierbar sind.
Für die nunmehrigen Pflegestudierenden bringt die Umstellung auf FH-Ausbildung zwar mit der Höherqualifizierung einen Vorteil, doch es gibt auch Nachteile: Sie bekommen im Gegensatz zu früher kein Taschengeld mehr und müssen womöglich sogar Studiengebühren bezahlen. Was für die Träger der Ausbildungseinrichtungen wiederum einen Kostenvorteil darstellt. Außerdem ersparen sie sich Sozialversicherungsbeiträge.
Die Herausforderungen, die sich aus der Novelle ergeben, sind vielfältig und konnten hier nur angerissen werden. Um Überlastungen der Berufsangehörigen zu verhindern und die Qualität im Gesundheitssystem auch weiterhin hochzuhalten, wird es die Aufgabe der Gewerkschaften, BetriebsrätInnen und Arbeiterkammern sein, die Entwicklung genau zu beobachten.
Damit der Pflegeberuf auch in Zukunft ein attraktiver Beruf  bleibt, werden die Einrichtungen jedenfalls gut beraten sein, die höhere Verantwortung der Pflegekräfte durch eine deutlich bessere Entlohnung und vor allem auch durch mehr Personal auszugleichen. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn Dienstgeber vermehrt in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter z. B. durch eine großzügige Übernahme der Kosten beziehungsweise eine Zurverfügungstellung der Arbeitszeit investieren würden. Sind sie doch dann auch umfassender einsetzbar.

Kostensenkung im Zentrum
Leider wurde das neue Gesetz vorwiegend unter dem Gesichtspunkt einer Kostensenkung diskutiert. Etliche Spitalsbetreiber und vor allem die Bundesländer sind äußerst bestrebt, Tätigkeiten umzuschichten: von denjenigen, die eine hochqualifizierte Ausbildung genossen haben und daher besser entlohnt werden müssen, auf diejenigen mit kürzerer Ausbildung und daher geringerer Bezahlung.
Wenn man aber in der Gesundheitspolitik nur übers Geld redet, wird auf dem Weg zur Kostensenkung meist auch die Qualität verloren gehen oder zumindest darunter leiden.
Diese kurzsichtige Denkweise mag vielleicht in den nächsten Jahren einige Gesundheitsbudgets retten, führt aber wahrscheinlich bald zu einem Mangel an gut ausgebildeten Kräften. Wenn dann plötzlich ein „Pflegenotstand“ festgestellt wird, darf niemand überrascht sein.

Linktipp:
vida: Nein zu „schnell und billig“ bei Pflegeausbildung!
tinyurl.com/harscys
 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen
angelika.hais@aknoe.at und reinhard.hager@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Angelika Hais, Abteilung Gesundheitswesen und ArbeitnehmerInnenschutz der Arbeiterkammer Niederösterreich</br>Reinhard Hager, Abteilung Gesundheitspolitik im ÖGB Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016787 Leider wurde die neue Pflegeausbildung vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Kostensenkung diskutiert. Wenn man aber nur übers Geld redet, wird meist die Qualität verloren gehen oder darunter leiden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016773 Krankmacher Kurarbeit Das österreichische Sozialversicherungssystem ermöglicht den Pflichtversicherten Kuraufenthalte. Diese dienen der gesundheitlichen Vorsorge und „zur Erhaltung ihrer Arbeitskraft“, wie es der Kurbetrieb Bad Vigaun auf seiner Webseite so schön formuliert. Ein klassischer Kuraufenthalt dauert drei Wochen, oft in malerischer Umgebung, an einem abgelegenen Ort. Dort kümmern sich klinische Fachkräfte, KellnerInnen, Büroangestellte und anderes Pflegepersonal um das Wohl der Gäste. Doch wie ist es um deren Arbeitsbedingungen bestellt?
Denn was den Kurgästen zum Aufladen der körpereigenen Batterien verhelfen soll, stellt Gewerkschaften durchaus vor Herausforderungen, wie der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft vida, Willibald Steinkellner, meint: „Die meisten Kurbetriebe sind in eher strukturschwachen Gebieten und vor Ort oft einer der wenigen großen Arbeitgeber. Weitere Betriebe sind oft sehr weit weg. Deshalb ist unser gewerkschaftlicher Organisationsgrad dort auch eher schwach. Viele Leute sind froh, einen fixen Job in der Nähe ihres Lebensmittelpunktes gefunden zu haben und wollen nicht unangenehm auffallen.“

Ehrenamtliche Betriebsratsarbeit
Und doch gibt es sie, die gewerkschaftlichen AktivistInnen vor Ort, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Eine von ihnen ist Lilli Roth, Betriebsratsvorsitzende für das therapeutische Personal in einem Kurbetrieb im Salzburger Land: „Wir haben drei Betriebsratskörperschaften bei uns im Betrieb und drei Kollektivverträge. Manche unserer KollegInnen fallen in den Gastronomie-Kollektivvertrag, andere in den Privatkrankenanstalten-KV und wieder andere in den Kur-Reha-KV. Keiner von uns ist als Betriebsrat freigestellt, wir machen das alle ehrenamtlich.“

Blutspenden als Zuverdienst
Auf die Frage nach dem größten Ärgernis bei den Arbeitsbedingungen antwortet Lilli Roth ganz einfach: „Die Löhne sind zu niedrig. Der Kollektivvertrag ist wirklich nicht sehr aufregend. Ich arbeite als Masseurin. In einem Kurbetrieb sieht der Kollektivvertrag 1.498 Euro brutto im Monat vor.“
Zum Vergleich: Medizinische MasseurInnen, die unter den Sozialwirtschafts-KV fallen, bekommen 1.773 Euro brutto im Monat als Einstiegsgehalt. Doch viele können ihre Lebenshaltungskosten damit nicht decken, erzählt sie: „Die Mieten zum Beispiel: Im Salzburger Land sind sie sehr hoch. Viele KollegInnen unter den MasseurInnen arbeiten auch am Wochenende und sehen keine andere Möglichkeit, als schwarz zu arbeiten. Eine Kollegin von mir ist geschieden und hat zwei Kinder. Sie geht regelmäßig Blut spenden, um über die Runden zu kommen.“
Auch Willibald Steinkellner benennt die geringen Löhne als das größte Problem: „Es gibt ja erst seit 2013 einen Kollektivvertrag für die Beschäftigten im Kur- und Rehabereich. Da liegt das Lohnniveau weit unter dem Krankenhaus- und Sozialbereich. Dass es den KV überhaupt gibt, liegt auch daran, dass das unterschiedliche Lohnniveau in den unterschiedlichen Bundesländern für die Kurbetriebe problematisch geworden ist. So hat es in Vorarlberg zeitweise deutlich höhere Löhne gegeben als woanders, was an der relativen Nähe zur Schweiz gelegen hat.“
Dass es jetzt ein gleiches Lohnniveau gibt, findet er positiv: „Es beugt dem Lohndumping vor und ist eine Verbesserung für die meisten Beschäftigten. Aber die Weiterentwicklung des Kollektivvertrags ist schwierig. Die Arbeitgeber behaupten, sie hätten keine Luft zum Atmen. Sie argumentieren, das von den Kassen gezahlte Taggeld pro Kurgast reiche ihnen für hohe Lohnsteigerungen nicht aus.“

Schwierige Verhandlungen
Tatsächlich haben sich die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern dieses Jahr schwierig gestaltet. Im März wurden die Verhandlungen sogar abgebrochen, weil die Arbeitgeberseite nur einer Lohnerhöhung von 0,85 Prozent für 15 Monate zustimmen wollte. Hier geht es um immerhin 15.000 Beschäftigte, die österreichweit in 75 Kurorten und 110 gewerblichen Kur- und Rehabilitationszentren arbeiten. Schlussendlich wurde für sie eine Lohnerhöhung von 1,3 Prozent ausverhandelt. Der neue Kollektivvertrag trat Anfang Juli 2016 in Kraft.
Betrachtet man die Lohn- und Gehaltstabellen des Verhandlungsergebnisses, dann wird eines deutlich: Gut verdient man im Kurbetrieb nicht. So beträgt das Einstiegsgehalt für SekretärInnen und Verwaltungsangestellte bei Kur- und Mischbetrieben 1.421 Euro brutto im Monat. Hält man 35 Dienstjahre durch, erhöht sich der Monatslohn auf 2.140 Euro. MasseurInnen steigen mit 1.498 Euro ein. Bis zum Pensionsantritt können sie es auf 2.061 Euro schaffen. Klinische PsychologInnen und SozialarbeiterInnen beginnen mit einem Monatslohn von 2.098 Euro und steigen nach 36 Dienstjahren mit 2.872 Euro pro Monat aus.

Möglichst wenige Pausen
Während bei den Löhnen gekleckert wird, wird ansonsten geklotzt: „In unserem Betrieb ist in den vergangenen Jahren kein Stein auf dem anderen geblieben“, erzählt Betriebsrätin Lilli Roth. „Die Therme und vieles andere wurde für teures Geld umgebaut. Aber beim Personal wird eingespart.“ Steinkellner bestätigt diesen Eindruck: „Oft wird Personal nicht nachbesetzt. Dadurch steigt der physische und psychische Arbeitsdruck.“
Dieser äußert sich auch in verschärften Hygienevorschriften, die sich in der bezahlten Arbeitszeit aber nicht widerspiegeln. Frau Roth erzählt aus ihrem Arbeitsalltag als Masseurin: „Die Liegen müssen jetzt nach Benutzung durch die Gäste immer sterilisiert werden. Wenn ich um zwölf Uhr Dienstschluss habe, kommt der letzte Patient um 11.55 Uhr. Die Einhaltung der Hygienevorschriften geht sich in der Arbeitszeit nicht aus, findet also nach meinem Dienstschluss statt.“ Ähnlich sieht es bei den Umkleidezeiten aus: „Diese sind nicht in unserer Arbeitszeit enthalten. Deshalb muss ich immer schon 20 Minuten vor Dienstbeginn an meinem Arbeitsplatz sein. Als Betriebsrat fordern wir, dass sich das ändert. In anderen Branchen gehört die Umkleidezeit ja auch zur Arbeitszeit dazu. Warum nicht bei uns?“
Der wachsende Arbeitsdruck birgt für die Beschäftigten der Kurbetriebe auch Gesundheitsrisiken: „Es gibt einen großen Druck der Arbeitgeber, möglichst wenige Pausen zu machen. Gleichzeitig halten sie die Auslastung so hoch wie möglich“, so Lilli Roth. „Aber Massieren ist ein körperlich sehr anstrengender Beruf. Viele langjährige KollegInnen haben Probleme mit ihren Gelenken. Und dann die psychische Belastung. Die Menschen, die zur Kur kommen, bringen ja ihren eigenen Stress von zu Hause und der Arbeit mit. Den wollen sie hier loswerden. So kriegen die MasseurInnen die Lebensgeschichten dieser Menschen erzählt, was teilweise auch ziemlich belastend sein kann.“
Immerhin dürfen die Kurbeschäftigten die Therme außerhalb ihrer Arbeitszeit mitbenutzen. „Das ist schon positiv“, meint Frau Roth. „Hilfreich ist auch, dass es in unserem Haus eine gesundheitliche Förderung für die MitarbeiterInnen mit einem Kursangebot gibt. Das ist aber außerhalb der Arbeitszeiten.“

Personalbedarfsberechnung
Um dem Druck der Arbeitgeber etwas entgegenzusetzen, fordert die Gewerkschaft vida sogenannte „Personalbedarfsberechnungen“: Es soll ermittelt werden, wie viel Personal notwendig ist, um einen Kurbetrieb mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen zu führen. „Da legen wir auch einen Schwerpunkt in der Ausbildung unserer aktiven Betriebsrätinnen und Betriebsräte. Wir versuchen, ihnen das nötige Handwerkszeug für die Verhandlungen mit den Arbeitgebern zu geben. Wir erklären, wie eine Personalbedarfsberechnung aussieht, damit sie nicht über den Tisch gezogen werden“, so Willibald Steinkellner.

Dagegenhalten
Dem stimmt auch Lilli Roth zu: „Wir brauchen gute Kenntnisse im Arbeitsrecht, aber auch soziale Kompetenzen und Verhandlungstechniken, damit wir uns gegen den immer stärker werdenden Druck aus der Geschäftsführung wehren können – und um unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern oder zumindest dafür zu sorgen, dass sie sich nicht verschlechtern!“

Informationen zum KV auf vida.at:
tinyurl.com/gv5lzfh

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016767 Auf die Frage nach dem größten Ärgernis bei den Arbeitsbedingungen antwortet Betriebsrätin Lilli Roth ganz einfach: "Die Löhne sind zu niedrig." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016752 Gefährdetes Personal Kein anderer Berufsstand im multiprofessionellen Team verfüge über eine „vergleichbare ganzheitliche Perspektive auf den kranken und betreuungswürdigen Menschen wie die Pflege“. Keinem anderen Berufsstand würden sich so viele Möglichkeiten bieten, Betroffene zu beobachten und positiven Einfluss auf sie zu nehmen. Diese Worte stammen vom Wiener Psychiater Karl Purzner in einer Nachlese zu einem Kongress zum Thema „Pflege in der Psychiatrie“, der im Jahr 2012 in Wien stattfand.
Die tragende Rolle der Pflegenden im Gesundungsprozess psychisch kranker Menschen erhält jedoch nicht die verdiente Anerkennung. „Die Entlohnung steht nicht im Verhältnis zur geleisteten Arbeit“, erzählt Maria, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin an einer österreichischen Klinik für psychisch kranke Menschen. „Besonders nach einer Nachtschicht bin ich vollkommen ausgelaugt. Manchmal ertappe ich mich dabei, Patienten wie Dinge zu behandeln. Unlängst haben drei Kranke gleichzeitig meine Hilfe gebraucht. Für einen Moment habe ich überlegt, mich selbst in eines der Betten zu legen.“ Maria lächelt verschmitzt und ergänzt: „Aber es war keines frei.“  

Arbeitsbedingungen
Die diplomierten Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, vulgo „psychiatrische Krankenpfleger“, arbeiten im Hintergrund, in Spitälern, Arztordinationen, psychosozialen Einrichtungen, Behindertenzentren oder in der Hauskrankenpflege. Ihre genaue Anzahl ist in Österreich statistisch nicht erfasst. Erst seit einigen Jahren befassen sich Studien mit den Arbeitsbedingungen und Belastungen, denen das Pflegepersonal im Allgemeinen ausgesetzt ist. Alarmierende Zahlen liefert eine Erhebung aus dem Jahr 2010 über Aggressionserlebnisse von Berufsgruppen in stationärer und ambulanter Pflege. Am meisten betroffen sind Pflegekräfte (78 Prozent), gefolgt von ÄrztInnen (19 Prozent) und TherapeutInnen (3 Prozent). Besonders beunruhigend: 90 Prozent der KrankenpflegeschülerInnen sind verbalen Übergriffen ausgesetzt. Die Verfasser der Studie, Harald Stefan und Günter Dorfmeister, verweisen zudem auf eine deutsche Studie, wonach über 70 Prozent der Pflegenden Gewalt- und Aggressionshandlungen ihrer PatientInnen nicht dokumentieren.
„Gewalt durch Patienten war bislang ein Tabuthema“, heißt es in der im März 2016 von der Arbeiterkammer Oberösterreich herausgegebenen Broschüre „Beschäftigte in der Pflege vor Gewalt schützen“ – und zwar „obwohl Pflegende regelmäßig mit ihr konfrontiert sind. Die Folgen für die Opfer sind fatal und reichen von Krankenständen, Burn-out bis hin zum Berufsausstieg.“ Laut einer darin zitierten Erhebung an einer oberösterreichischen Krankenanstalt geschehen die meisten Übergriffe auf psychiatrischen Stationen.
Pflegende berichten von verbalen Übergriffen („Wenn man sich schon von so einer Dicken helfen lassen muss ...“), von sexuellen Belästigungen während der Körperpflege, von Aggressionshandlungen wie ins Gesicht spucken, kratzen, stoßen oder schlagen. Maria, „Pflegerin aus Leidenschaft“, wie sie sagt, seufzt beim Lesen der Broschüre. „Kommt mir bekannt vor“, lautet ihr Kommentar. „Nur, würde ich alles dokumentieren, käme ich mit der Arbeit nicht nach. Es ist ein ständiges Ausbalancieren zwischen Wahrung der Selbstachtung und Einfühlen in den Patienten. Man muss sich hier Strategien erarbeiten, sonst gehst du unter.“

Sehr gefährlich
Die „Nurses Early Exit Study“, eine von der Europäischen Kommission geförderte quantitative Längsschnittstudie, untersucht in zehn Ländern Europas die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsmotivation in der professionellen Pflege. Sie geht der zentralen Fragestellung nach: Was bewegt professionell Pflegende dazu, frühzeitiger als andere Berufsgruppen den Beruf zu verlassen? Ihr zufolge werden 78 Prozent aller Pflegekräfte von PatientInnen oder Angehörigen verbal angegriffen oder beschimpft, 44 Prozent erleiden tätliche Angriffe, darunter gefährliche Attacken mit einem Messer oder anderen Gegenständen. 
„Pflegekräfte sind enormen körperlichen, seelischen und geistigen Anforderungen ausgesetzt“, sagt Gertrud Fribl, stellvertretende Pflegedirektorin und Standortleiterin der Pflege am Linzer Neuromed Campus. „Im psychiatrischen Bereich ereignen sich viele dramatische Geschehnisse, die man bearbeiten muss, damit sie die eigene Persönlichkeit nicht gefährden. Die Pflegenden müssen ihre Denkprozesse etwas anders anlegen als im allgemeinen Pflegebereich und im Sinne der eigenen Psychohygiene Stressbewältigungstechniken erlernen.“

Kooperation erforderlich
Laut einer Befragung am Kepler Universitätsklinikum ist die Zusammenarbeit mit dem medizinischen und therapeutischen Personal eines der Hauptanliegen der Pflegekräfte. „Ärzte und Therapeuten sind meist zwischen acht und 16 Uhr an der Klinik. Die Auswirkung ihrer Tätigkeit wird oft erst nachher wirksam. Und dann sind wir alleine mit den Patienten und Patientinnen. Da gibt es ganz viel Erkennen und Einsicht, und wir brauchen unsere professionellen Strategien und das Wissen, um die Befindlichkeit der kranken Menschen einschätzen zu können. Wir brauchen auch alle Informationen, um förderlich und sicher mit den Patienten arbeiten zu können“, betont Gertraud Fribl. „Schließlich betreuen wir viele hochkomplex kranke Menschen, die schwer einschätzbar sind und erhebliches Gewaltpotential haben.“
Neben der interdisziplinären Kooperation, der Gewalt und Aggression durch PatientInnen, mangelnden Erfolgserlebnissen, niedriger Entlohnung und sich ständig verändernden Rahmenbedingungen ist auch die Herkunft der PatientInnen eine steigende Herausforderung für das Pflegepersonal. „Migrations- und Asylpatienten beherrschen ja meist die Sprache nicht. Frauen dürfen nur in Begleitung ihres Ehemannes, eines Onkels oder Bruders kommen. Dann wird mithilfe eines Dolmetschers über Dritte über deren Probleme kommuniziert“, berichtet Fribl.  Trotz aller Bemühungen am Kepler Universitätsklinikum, die Arbeitsbedingungen der Pflegenden zu verbessern, steigt die Belastung „in der Nacht explosiv“, berichtet Pflegedirektorin Fribl. „Da wird die Präsenz des Pflegepersonals auf ein bis zwei Personen reduziert. Leider ist das in ganz Österreich beziehungsweise in ganz Europa so. Eine Nachbesetzung könnte da wesentlich zur Entspannung beitragen.“

Deutliches Gefälle
Wesentlich zur Verbesserung der Situation des Pflegepersonals beitragen könnte eine Erhöhung des Gehalts – da sind sich ExpertInnen und Betroffene einig. Laut statistischem Jahrbuch 2015 verdienten 25 Prozent der unselbstständig in Gesundheits- und Sozialberufen tätigen Personen weniger als 1.315 Euro brutto, 50 Prozent erhielten weniger als 1.946 Euro – mit deutlichem Gefälle zwischen weiblichem und männlichem Personal.
Laut dem im Juni 2016 veröffentlichten „Pflege-Führungskräftebarometer“ wird die herausfordernde Arbeit als weniger belastend erlebt als die ökonomischen Rahmenbedingungen und der geringe Personalstand. „Die Zahl der Patienten und Patientinnen steigt, viele Einrichtungen sind unterbesetzt. Oft müssen ‚Notlösungen‘ herhalten und Zusatzdienste verrichtet werden“, erklärte die Gewerkschaft vida, eine der vier Teilgewerkschaften, welche in Österreich das Pflegepersonal vertritt, im Juli des Jahres. Angesichts geschätzter 30 Prozent aller Pflegebediensteten mit Burn-out-Gefährdung müsse der Personalschlüssel an den österreichischen Einrichtung dringend vereinheitlicht und an die neuen Gegebenheiten angepasst werden.

Checklist zur Dokumentation von aggressivem Verhalten:
ooe.arbeiterkammer.at/pflege

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016746 Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016738 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016715 Pflege ganzheitlich innovativ „Betreuung in der Nachbarschaft“: Das bedeutet Buurtzorg auf Deutsch. Jos de Blok, selbst Pfleger und heute Geschäftsführer, hat die Organisation 2006/2007 mit einem kleinen Team von PflegerInnen gegründet. Grund war die Unzufriedenheit der PflegerInnen mit den Entwicklungen in der mobilen Pflege in den Niederlanden seit den 1980er-/1990er-Jahren: Komplexe Planungsprozesse, strikte Ziel- und Zeitvorgaben und sehr ausdifferenzierte Tätigkeitsprofile der Pflegekräfte prägten den Beruf damals.
Damit einher gingen die Verbürokratisierung und die Zersplitterung der Pflegetätigkeit, was wiederum die Entwertung der Fachqualifikationen der PflegerInnen zur Folge hatte, und das wirkte sich negativ auf die Qualität der Pflege aus. Viele qualifizierte Pflegekräfte verließen den Job.

Autonome Teams
Unter diesen Rahmenbedingungen startete Buurtzorg mit einem völlig anderen Ansatz. Sie knüpften an die Tradition der „community nurses“ an, die bis in die 1980er-Jahre in den Niederlanden verbreitet waren. Die Organisation besteht aus hoch qualifizierten PflegerInnen-Teams, die sich aus jeweils maximal zwölf Personen zusammensetzen, welche eigenverantwortlich ihr berufliches Know-how umfassend einsetzen können.
Die mehrheitlich diplomierten Pflegekräfte (zum Teil mit Bachelorausbildung) planen und gestalten den gesamten Pflegeprozess im Team. Dazu gehören: KlientInnen- und MitarbeiterInnenakquise, Pflegebedarfserhebung, Arbeitsplanung, Aufbau formeller und informeller regionaler Netzwerke, Entwicklung innovativer Projekte, Verwaltung der Team-Finanzen inklusive eines eigenen Weiterbildungsbudgets etc. Der Team(entwicklungs)prozess wird von Anfang an unterstützt: durch entsprechende Schulung aller MitarbeiterInnen, organisationseigene Coaches (früher selbst Pflegekräfte) und ausreichende Zeitressourcen.
Durch diese eigenverantwortliche Gestaltung des Pflegeprozesses kommt Buurtzorg völlig ohne mittleres Management in der Gesamtorganisation aus. Die damit erzielten Kosteneinsparungen sind beachtlich: So hat Buurtzorg lediglich acht Prozent Overhead-Kosten, während diese bei vergleichbaren Anbietern in der mobilen Pflege in den Niederlanden durchschnittlich bei 25 Prozent liegen. Das dadurch frei werdende Geld wird in hoch qualifiziertes und gut bezahltes Pflegepersonal investiert. Der Erfolg spricht für diese Organisationsform: Buurtzorg wurde 2015 bereits zum fünften Mal zum besten Arbeitgeber der Niederlande gewählt.

Lebensqualität als Ziel
Pflegebedürftigen Menschen ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, ist das erklärte Ziel bei Buurtzorg. Entsprechend weit gefasst ist das Verständnis von Pflege: von medizinischen und rehabilitativen Aufgabe bis zu sozialer Betreuung.
Auch einfache Tätigkeiten (außer Haushaltsarbeiten) werden von den diplomierten Fachkräften übernommen, weil sie als Teil des ganzheitlichen Pflegeprozesses verstanden werden. So kann die Pflegekraft beispielsweise während der Körperpflege wichtige Informationen zum Allgemeinzustand des Klienten oder der Klientin mitbekommen, beispielsweise zu Atmung, Gewichtsabnahme etc.
Einen hohen Wert haben auch die Präventionsarbeit und die Förderung der Selbstpflege der KlientInnen. Zentral ist dabei der Aufbau eines breiten lokalen Unterstützungsnetzwerkes der Pflegekräfte rund um ihre KlientInnen, miteinbezogen werden deshalb auch SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen, Angehörige oder auch NachbarInnen. Verpflichtende nationale Qualitätserhebungen zeigen, dass Buurtzorg auch bei den KlientInnen großen Anklang findet: Es erreicht die besten Werte bei den mobilen Versorgungsanbietern.

Arbeit 4.0 in der Pflege
Vieles kann auch dank buurtzorgweb einfach und effizient erledigt werden: ein anwenderInnenfreundliches IT-System, das mit den Pflegekräften entwickelt wurde. Jede Pflegekraft hat ein Tablet und damit Zugriff auf alle für die Arbeit relevanten Informationen wie KlientInnendokumente, Pflegebedarfserhebung oder den Dienstplan. Sie erledigt damit vor Ort auch die Dokumentation des Pflegeprozesses. So sind alle mit einer Klientin oder einem Klienten betrauten Pflegekräfte eines Teams immer auf dem aktuellen Stand, Doppelgleisigkeiten werden vermieden.
Das System ermöglicht den Pflegekräften auch eine direkte Kommunikation mit dem Backoffice der Gesamtorganisation und der Geschäftsführung, aber auch mit der Hausärztin oder dem Hausarzt der KlientInnen bei Behandlungsfragen. Gleichzeitig ist es auch zentrales Austauschforum zwischen den Beschäftigten der gesamten Organisation. Ideen oder Innovationen einzelner Teams können damit sehr schnell aufgegriffen werden. So entwickelte ein Team in Zusammenarbeit mit ErgotherapeutInnen eine spezielle Sturzprävention, die von vielen anderen Buurtzorg-Teams übernommen wurde.
Ein spannendes Beispiel für eine intelligente, weil tätigkeitsadäquate und anwenderInnenfreundliche Nutzung des Potenzials moderner Kommunikationstechnologien – damit werden fernab von der technikzentrierten Debatte des Digitalisierungs-Hypes neue Standards in der Technologienutzung im Sinne sozialer Innovation gesetzt.

Ein Modell auch für Österreich?
Inhaltlich überzeugt das Modell viele, die an einer Weiterentwicklung des Pflegesektors interessiert sind. Es wird jedoch an der Umsetzbarkeit unter den österreichischen Rahmenbedingungen gezweifelt. Zweifel wie diese sind Buurtzorg nicht fremd, immerhin waren auch bei ihnen die Widerstände zu Beginn groß, weil das Organisationsmodell auch in den Niederlanden quer zur bisherigen Systemlogik des Pflegesektors stand. Buurtzorg konnte aber durch bessere Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte, hohe Pflegequalität und Kosteneffizienz überzeugen – Erfolge, die auch durch unabhängige Studien belegt sind.

Sanfte Revolution
Buurtzorg wird in den Niederlanden mittlerweile quer durch alle Parteien und Interessengruppen im Pflegesektor unterstützt. Ja, mehr noch: Es hat eine Art „sanfte Revolution“ im mobilen Pflegesektor in den Niederlanden ausgelöst. Buurtzorg ist innerhalb von zehn Jahren von vier auf 10.000 Beschäftigte (mit rund 80.000 KlientInnen jährlich) gewachsen, allein dadurch, dass immer mehr Pflegekräfte bei Buurtzorg arbeiten wollten.
Elemente von Buurtzorg wurden auch von anderen Pflegeorganisationen in den Niederlanden übernommen. Zusätzlich gibt es seitens der niederländischen Regierung den Wunsch, das Organisationsprinzip von Buurtzorg in anderen Bereichen zu implementieren: So gibt es nicht nur Modellversuche in der stationären Pflege, sondern auch andere Organisationen wie Schulen und Polizei zeigen Interesse an dieser Form der Netzwerkorganisation mit flacher Hierarchie. Auch das internationale Interesse an diesem Modell ist groß. In manchen Ländern gibt es bereits Pilotprojekte, die nach dem Buurtzorg-Modell arbeiten (z. B. in Minnesota in den USA, Japan, Schweden, Belgien).

Überzeugendes Gegenmodell
Buurtzorg ist ein überzeugendes Gegenmodell zu neoliberal geprägten Organisationslogiken, die sich gerade im Pflegesektor nachteilig auf die Qualität der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und die Pflegequalität ausgewirkt haben. Denn Buurtzorg ermöglicht aufgrund der autonomen Gestaltung des Pflegeprozesses durch hoch qualifizierte Pflegekräfte-Teams eine einfache, transparente und damit kostengünstigere Organisationsstruktur – und mehr Geld- und Zeitressourcen für die eigentliche Pflegetätigkeit.

Linktipps:
Rückblick auf die AK-Veranstaltung mit Jos de Blok inklusive Video des Vortrags
tinyurl.com/hhkq452
Mascha Madörin „Ökonomisierung des Gesundheitswesens“
tinyurl.com/jk2ort2
Kai Leichsenring „Ein innovatives Modell revolutioniert die Hauskrankenpflege“
tinyurl.com/h9mylab

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gerlinde.hauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gerlinde Hauer, Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016706 Zehn Jahre ist es her, als Pfleger Jos de Blok gemeinsam mit KollegInnen die Organisation Buurtzorg gegründet hat. Es ist ein überzeugendes Gegenmodell für die Pflege. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016685 Dauereinsatz für wenig Geld Dana S.* führt zwei Leben. Zwei Wochen im Monat arbeitet sie in der Nähe von Graz, zwei Wochen verbringt sie zu Hause in einem Dorf in der Südslowakei. Über 600 Kilometer trennen beide Orte. Der Abschied von Sohn und Mann in der Slowakei fällt der Pflegerin jedes Mal schwer. Denn dann heißt es wieder Tag und Nacht für einen betagten Pensionisten da zu sein, waschen, putzen, kochen, einkaufen, pflegen. Ein Fulltime-Job, auch an Wochenenden und Feiertagen – und das für weniger als 1.000 Euro im Monat.

Helfende Hände aus Osteuropa
Knapp 70.000 selbstständige PersonenbetreuerInnen sind in Österreich tätig. Die meisten kommen aus der Slowakei, gefolgt von Rumänien, Ungarn, Polen und Bulgarien. Nur 2,4 Prozent der Gewerbetreibenden sind aus Österreich, der Männeranteil liegt bei fünf Prozent.
Ohne helfende Hände aus Osteuropa würde das Pflegesystem hierzulande nicht funktionieren. In vielen Familien können Angehörige nur dank ausländischer HelferInnen ihren Lebensabend zu Hause verbringen. Wer persönlich erlebt hat, was Betreuung und Fürsorge für ein älteres Familienmitglied bedeuten, für den steht die große Relevanz des Themas außer Frage. Aber auch gesamtgesellschaftlich wird das Thema Pflege zunehmend wichtiger. Nachdem namhafte Politiker bekannt gaben, dass ihre nächsten Angehörigen von Pflegerinnen aus Polen und Rumänien betreut werden, wurden neue gesetzliche Regelungen in die Wege geleitet. In Österreich sind die meisten Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung selbstständig und müssen das Gewerbe als Personenbetreuung führen. Dafür sind eine Gewerbeanmeldung und eine Anmeldung bei der Sozialversicherungsanstalt notwendig.

Rechtliche Grauzone
Doch in der Praxis bewegen sich viele Arbeitsverhältnisse mit Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst in der rechtlichen Grauzone. Laut Gesetz liegt eine Scheinselbstständigkeit dann vor, wenn eine „erwerbstätige Person als selbstständige/r UnternehmerIn auftritt, obwohl sie von der Art ihrer Tätigkeit her ArbeitnehmerIn ist. Es wird ein Arbeitsverhältnis verschleiert und als Tätigkeit selbstständiger AuftragnehmerInnen deklariert, um Abgaben, Restriktionen und Formalien zu vermeiden, die das Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht mit sich bringen.“ Es kommt in der Praxis oft vor, dass Agenturen Beiträge für vermittelte Pflegekräfte nicht überweisen. Dadurch fallen für die Pflegekraft Schulden bei der SVA an. „Pflegende Hände“, „Gute Wesen“, „Pflegekraftbörse“ – mit diesen wohlklingenden Namen werben Vermittlungsagenturen im Internet um KundInnen und Personal. Doch nicht alle Internetplattformen, die PflegerInnen vermitteln, sind seriös. Das Geschäft mit der Rundumbetreuung geriet vor allem wegen dubiosen Vermittlungsfirmen, die ohne Bewilligung arbeiten und Hungerlöhne ohne jegliche Absicherung zahlen, in die Kritik. Trotz der selbstständigen Erwerbstätigkeit werden die Tagessätze für eine 24-Stunden-Betreuung meist von den Agenturen festgelegt. PflegerInnen fallen so um eine freie Gehaltsverhandlung. Eva H.*, die seit vielen Jahren als Betreuerin in Wien arbeitet, hat schon vieles erlebt: „Es gibt schwarze Schafe unter den Agenturen, die nicht nur eine einmalige Vermittlungsgebühr einbehalten, sondern pro Jahr noch mal 500 bis 1.000 Euro pro PflegerIn abkassieren.“ „Wir brauchen eine differenzierte Sicht auf diese Zusammenhänge und müssen die rechtlichen Voraussetzungen klären. Bislang setzen wir mit der Beschäftigung osteuropäischer Pflegekräfte die Tradition unsichtbarer Frauenarbeit fort“, gibt der deutsche Rechtswissenschafter und Sozialexperte Thomas Klie zu bedenken. Die Situation in Österreich, Deutschland und der Schweiz ist – abgesehen von Details bei länderspezifischen rechtlichen Vorgaben – ähnlich. „Insgesamt lässt sich feststellen, dass es eine geduldete Grauzone gibt, in der Ausbeutungsverhältnisse entstehen und sich niemand um Arbeitsschutz und Arbeitszeiten schert. Weil alle ein Interesse daran haben: Krankenkassen und Privathaushalte wollen möglichst billig davonkommen, ausländische Pflegekräfte wollen aus ihrer finanziellen Not heraus schnell zu Geld kommen“, analysiert Klie.

Anstieg an Pflegebedürftigen
Auf der Online-Plattform der österreichischen Wirtschaftskammer gibt es einen mehrsprachigen Ratgeber. Für selbstständige UnternehmerInnen ist in den meisten Fällen eine Gewerbeanmeldung verpflichtend. Als mitgliederstärkste Berufsgruppe erhöhen PflegerInnen nebenbei bemerkt die jährliche Gründerbilanz maßgeblich, und sie bilden eine große Gruppe innerhalb der Ein-Personen-Unternehmen. Sie zahlen Abgaben und sind für das Pflegesystem längst unverzichtbar. Das Problem bisher war, dass die Wirtschaftskammer PflegerInnen den Gewerblichen DienstleisterInnen zuordnete und somit in erster Linie die Interessen der Agenturen vertrat, die BetreuerInnen an Privathaushalte vermitteln.
Auf Nachfrage bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) heißt es, dass es immer wieder Fälle gibt, wo das Vorliegen einer Unselbstständigkeit auf Antrag der Betroffenen überprüft wird: „Die 24-Stunden-Pflege kann im Sinne des Hausbetreuungsgesetzes auf selbstständige oder unselbstständige Weise erfolgen. Dazu liegt eine Richtlinie des Sozialministeriums vor“, erklärt eine WGKK-Sprecherin. Nicht erst wenn die Babyboom-Generation in ein pflegebedürftiges Alter kommt, werden weit mehr Pflegeplätze benötigt. Laut ExpertInnen ist bereits jetzt das Pflegesystem stärker als bisher belastet. Das Hilfswerk warnte erst kürzlich vor einem akuten Anstieg an Pflegebedürftigen: Allein in Österreich wird es in den nächsten Jahren laut Schätzungen rund 10.000 Pflegebedürftige mehr pro Jahr geben. Dafür werden zusätzliche 2.000 Pflege- und Betreuungskräfte sowie 1.500 Heimplätze benötigt. Die Kosten dafür belaufen sich auf 150 Millionen Euro.
Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, müssten Pflegeberufe attraktiver gestaltet werden, vor allem durch eine bessere Bezahlung, aber auch eine reformierte Ausbildung. Franz Kolland, Professor für Soziologie an der Universität Wien, hat 2015 eine Studie zum Thema „24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich“ geleitet, die sich mit der aktuellen Situation im Pflegebereich und den Arbeitsbedingungen der BetreuerInnen beschäftigt. Allen voran wird von den befragten ExpertInnen und Angehörigen eine bessere Entlohnung gefordert. Bei Umfragen sprechen sich 98 Prozent der Befragten dafür aus, dass Pflegende mehr Anerkennung für ihre Arbeit erhalten sollten. Der Pflegeberuf ist großteils weiblich. In dieser Sparte wird die Einkommenskluft zwischen Männern und Frauen besonders deutlich. Weiters wird eine bessere Ausbildung für den Pflegedienst gefordert. Die Arbeiterkammer etwa bietet Fachberatungen für Pflegeberufe an. Besonders die Pflege von Menschen mit Demenz erfordert eine besondere Professionalität und Spezialwissen. Es gibt Pläne, die Ausbildung der gehobenen Pflege künftig an Fachhochschulen und Universitäten anzubieten. Durch die angestrebte Akademisierung würde das Niveau gehoben, was allen Beteiligten zugutekommen würde.

Dubiose Rolle
Der Forschungsbericht der Universität Wien bestätigt ebenfalls die bereits angesprochene „dubiose Rolle der Vermittlungsagenturen“ und ortet dringenden Handlungsbedarf. Ein erster Schritt dazu wurde im Rahmen der Reform der 24-Stunden-Betreuung gemacht, welche die gewerberechtliche Trennung von Vermittlerfirmen und BetreuerInnen festgeschrieben hat. Doch weitere Qualitätskriterien sind laut dem Soziologen und Gerontologen Kolland für eine qualitätsvolle 24-Stunden-Betreuung dringend notwendig. Dazu zählt beispielsweise die Einhaltung allgemeiner gesetzlicher Voraussetzungen für die Vermittlung von 24-Stunden-Betreuungsdiensten, die Kontrolle der Gewerbeanmeldung, ebenso die Überprüfung der Qualifikationen und Ausbildungen samt Zeugnissen und Zertifikaten der BetreuerInnen. Nicht zuletzt ist die Sprache zentral, immerhin sprechen in Österreich viele Dialekt, was eine große Herausforderung bei der Arbeit darstellt. Geschichte und Anekdoten über Sprachhürden und Missverständnisse kursieren unter Pflegenden und Betreuten. Dann wird auch einmal gelacht, erzählt Dana S. Denn viele PatientInnen haben ihr gezeigt, dass man trotz allem Humor und Vertrauen in das Leben nie verlieren soll. So zählen zu den positiven Seiten ihres Jobs für Dana vor allem die Begegnungen mit Menschen und das Gefühl, eine sinnvolle Tätigkeit in einer krisenfesten Branche auszuüben.

* Name von der Redaktion geändert

Weitere Infos finden Sie unter:
www.personenbetreuung.wkoratgeber.at
 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016679 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016634 Ein Beruf mit Nebenwirkungen Ich liebe meinen Beruf“, betont Birgit Thalhammer. „Man lernt sehr viel, muss aber auch viel mitbringen – nicht nur Wissen, sondern vor allem Empathie.“ Die Steirerin hat vor 30 Jahren ihren Beruf als Lehrerin an den Nagel gehängt, um als Ordinationsassistentin in der Praxis ihres Mannes in Hartberg zu arbeiten.

Kränkelnder Beruf
Seit 2016 ist Birgit Thalhammer zudem Präsidentin des Berufsverbandes der ArztassistentInnen Österreich (BdA) und setzt sich dort schwerpunktmäßig für die Aufwertung des Berufs von OrdinationsassistentInnen ein. Sie kennt das Schöne und Schwierige des beruflichen Alltags in allen Facetten. 25.000 OrdinationsassistentInnen gibt es derzeit in Österreich. Die meisten sind Frauen, arbeiten in Teilzeit und sind unterbezahlt. Gerechte Entlohnung ist eines von Thalhammers größten Anliegen. Denn neben den vielen schönen Seiten des Berufs kränkle er auch an vielen Stellen – vor allem bei der geringen Entlohnung, rechtlichen Unsicherheiten bei der Aus- und Weiterbildung und ungünstigen Urlaubsvereinbarungen.
OrdinationsassistentInnen sind die AllrounderInnen in Arztpraxen. Sie managen ÄrztInnen, den Ordinationsbetrieb und sind die ersten Ansprechpersonen für PatientInnen. Ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit besteht in der Betreuung von PatientInnen, der Praxishygiene, dem Vorbereiten und Desinfizieren von Instrumenten, der Assistenz von ÄrztInnen bei Behandlungen und Untersuchungen. Mit dem „Medizinische Assistenzberufe-Gesetz“ (MABG) hat der Beruf der OrdinationsassistentInnen 2013 eine relevante Aufwertung erfahren. Jahrzehntelang war der Tätigkeitsbereich rechtlich nicht präzise geregelt.

Längst überfällig
Mit dem MABG sind erstmalig Berufsbild, Rechte, Pflichten und Verantwortung definiert. Die Kompetenzen der OrdinationsgehilfInnen, wie die Angestellten nach alter Rechtslage hießen, wurden ausgeweitet. So dürfen OrdinationsassistentInnen laut MABG etwa auch Blut abnehmen und Harn- und Stuhlunterschungen im Schnelltestverfahren durchführen. Mit Betonung auf „dürfen“, denn schon bislang haben das OrdinationsgehilfInnen gemacht, nur eben ohne rechtlichen Unterbau. Das Gesetz sei laut Thalhammer eine längst überfällige Niederschrift dessen, was ohnehin gängige Praxis war.
Im Jahr 2015 ist es Georg Grundei, Wirtschaftsbereichssekretär der GPA-djp, gelungen, in allen Bundesländern ein Mindestgehalt von 1.300 Euro brutto für OrdinationsassistentInnen durchzusetzen. Das bedeutet eine Gehaltserhöhung von bis zu 19 Prozent mit einer Laufzeit von zwei Jahren. Die Verhandlungen dafür waren äußerst schwierig. Die Ärztekammer Niederösterreich etwa weigerte sich vehement gegen das Mindestgehalt, bis die Berufsgruppe mit Unterstützung der Gewerkschaft im Jahr 2014 erstmals vor der Ärztekammer Niederösterreich demonstrierte. Das neue Gesetz war dabei ein wichtiger Türöffner bei den Verhandlungen, denn mit den erweiterten Kompetenzen lassen sich auch Gehaltserhöhungen besser argumentieren. Aber auch mit dem Argument der Armutsgefährdung: 2012 lag das Einstiegsgehalt von OrdinationsassistentInnen in Niederösterreich bei knapp 1.100 Euro brutto, was netto etwa 930 Euro für 40 Stunden entspricht – und damit im Bereich der Armutsgefährdung lag. Besonders krass, so Grundei, sei der Gegensatz zwischen verschiedenen Einkommen bei Arztangestellten: OrdinationsassistentInnen bekommen laut Kollektivvertrag weniger als die Reinigungskräfte gewerblicher Reinigungsfirmen.
In Wien ist es heuer gelungen, 1.500 Euro Mindestlohn für die Berufsgruppe umzusetzen. Nun will Grundei auch in den anderen Bundesländern nachziehen. Dass es keinen einheitlichen bundesweiten Kollektivvertrag für die Angestellten von ÄrztInnen gibt, rührt daher, dass auch die Gebietskrankenkassen mit den jeweiligen Ärztekammern der Länder verhandeln. Daher haben beispielsweise OrdinationsassisentInnen in Vorarlberg andere Einkommen und Regelungen als OrdinationsassistentInnen in der Steiermark oder in Wien.

Pflicht zur Aus- und Weiterbildung
Um überhaupt als OrdinationsassistentIn zu arbeiten, ist eine Ausbildung im Ausmaß von 650 Stunden zum/zur staatlich geprüften OrdinationsassistentIn abzulegen. Das hat bei vielen OrdinationsgehilfInnen zu Unsicherheiten geführt, die ihren Beruf seit vielen Jahren ohne Ausbildung ausüben. Jedoch war schon vor dem MABG eine staatlich anerkannte Prüfung zum/zur OrdinationsgehilfIn rechtlich verpflichtend. Nur: Wo kein/e KlägerIn, da kein/e RichterIn. Seit 2013 ist das nicht mehr möglich.
Fakt ist: Wer keine entsprechende Ausbildung hat, darf nur administrative Tätigkeiten ausführen, nicht aber an PatientInnen arbeiten. OrdinationsassistentInnen haben durch das MABG nun auch die Möglichkeit, sich zur „medizinischen Fachassistenz“ weiterzubilden. Damit ist ihnen der Zugang zur Berufsreifeprüfung eröffnet. „Wünschenswert wäre es, wenn ÄrztInnen diesbezügliche Bestrebungen ihrer MitarbeiterInnen vermehrt unterstützen würden“, so Angelika Hais, Gesundheitsexpertin der Arbeiterkammer Niederösterreich. Etwa indem sie dafür Arbeitszeiten zur Verfügung stellen und die entsprechenden Kosten der Weiterbildung übernehmen. „Immerhin sind die MitarbeiterInnen damit auch in der Ordination umfassender einsetzbar.“

Wer bezahlt die Kosten?
Gesetzlich ist weder die Bezahlung der Kosten noch das Ausmaß der Fortbildungen geregelt. „Vereinbarungen dazu finden sich in Kollektivverträgen, und diese sind eben in jedem Bundesland unterschiedlich“, so Hais. Beispielsweise ist in Niederösterreich vereinbart, dass OrdinationsassistentInnen Anspruch auf bezahlte Freistellung von zwei Arbeitstagen im Jahr zum Besuch von berufsorientierten Fortbildungen haben. Anders in der Steiermark, wo es keine kollektivvertragliche Regelung zur Fortbildung gibt. „Da ist viel vom Selbstverständnis der Ärzte abhängig“, so Birgit Thalhammer. Einige ihrer KollegInnen kommen selbst für die Kosten auf – sowohl für die Grundausbildung als auch für die Fortbildungen. Manche nehmen dafür unbezahlten Urlaub. Laut Georg Grundei ist das rechtswidrig. Im Gesetz ist zwar die Kostenübernahme nicht geregelt, allerdings gibt es eine höchstgerichtliche Judikatur, wonach in analoger Anwendung des Berufsausbildungsgesetzes der/die ArbeitgeberIn für die Kosten des theoretischen Fachkurses aufzukommen habe.
Ein weiterer Wermutstropfen der Branche sind die Urlaubsvereinbarungen, bei denen es gerade in kleinen Ordinationen immer wieder zu rechtlichen Schwierigkeiten kommt. „Vielen ArbeitgeberInnen dürfte nicht bewusst sein, dass der Urlaub arbeitsrechtlich zwischen MitarbeiterIn und ArbeitgeberIn zu vereinbaren ist“, kritisiert Hais. In Dienstverträgen finden sich daher sehr häufig Klauseln, wonach die MitarbeiterInnen ihren Urlaub dann verbrauchen müssen, wenn die Ordination zugesperrt ist. Nach der Judikatur seien derartige Vereinbarungen allerdings maximal für zwei Urlaubswochen zulässig. Das größere Ausmaß von drei Urlaubswochen muss dem/der MitarbeiterIn für die individuelle Urlaubsplanung und zur „freien Vereinbarung“ zur Verfügung stehen.

Über Geld reden
Trotz dieser Bedingungen ist Birgit Thalhammer zuversichtlich, dass die Berufsgruppe der OrdinationsassistentInnen zukünftig weiter aufgewertet wird.
Seitdem VertreterInnen des Berufsverbandes, also OrdinationsassistentInnen, auch bei Kollektivvertragshandlungen dabei sind, sei nicht nur das Gesprächsklima deutlich respektvoller. Auch Frauen werden damit angehalten, für ihre Rechte selbstbewusster einzustehen. Gerade am Land laufe der Hase noch anders als in Städten. Dort wird nicht viel über Geld oder Probleme gesprochen. „Manche verstehen die Verschwiegenheitspflicht falsch“, scherzt Thalhammer. Gerade über Geld zu reden sei aber notwendig. „Gerechte Entlohnung ist eine Frage der Wertschätzung“, so Thalhammer. „Und diese ist wichtig, um eine so wertvolle Arbeit leisten zu können.“

Linktipp:
Informationen für OrdinationsassistentInnen bei der GPA-djp
tinyurl.com/hqckbne
 
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Irene Steindl, Freie Redakteurin Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016623 Im Jahr 2013 wurden erstmals Berufsbild, Rechte, Pflichten und Verantwortung der OrdinationsassistentInnen definiert. Sie dürfen nun offiziell Blut abnehmen - schon bislang haben sie das gemacht, nur ohne rechtlichen Unterbau. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016606 Interview: Empathie als Schlüssel „Aussichtslos, vollkommen zum Scheitern verurteilt“, prophezeite man Cecily Corti, als sie vor mehr als zehn Jahren von ihren Plänen einer Notschlafstelle erzählte, die noch dazu auf Ehrenamtlichkeit beruhten. Inzwischen arbeitet die Witwe des Filmemachers Axel Corti mit bis zu hundert Ehrenamtlichen in den mittlerweile sieben Einrichtungen für Wohnungslose und Flüchtlinge in Wien.

Über ihre Motivation sagt sie: „Da mir das Jammern und Klagen über die Zustände maßlos auf die Nerven geht, und ich glaube, dass jeder etwas tun kann. Das andere ist, dass es um die Qualität der Beziehung geht. Da erschien mir der Kontakt und die Begegnung mit Obdachlosen, die ja in der Regel am meisten darunter leiden, dass sie übersehen oder nicht einmal ignoriert werden, als wichtige Herausforderung für mich persönlich.“ Zu Beginn waren sehr viel mehr „Gäste“, wie Corti die Wohnungslosen respektvoll nennt, aus Österreich. Heute kommen sie aus Osteuropa und Afrika.

Arbeit&Wirtschaft: Es ist Teil Ihrer Tätigkeit, dass Wohnungslose in den Genuss der Gesundheitsversorgung kommen. Wie funktioniert das?

Cecily Corty: Wir fragen unsere Gäste nicht nach ihren gesundheitlichen Problemen, aber natürlich kommen sie mit Anliegen, mit Fragen, mit Schmerzen. Wir haben Gott sei Dank den Professor Otto Lesch, der in regelmäßigen Abständen in unsere Notschlafstelle kommt und dort eine Sprechstunde hält. Dafür sind wir sehr dankbar, weil er ein wirklich ganz großer Spezialist für psychische Probleme ist.
Wir dürfen natürlich keine Medikamente geben. Wir empfehlen unsere Gäste weiter, ins Neunerhaus und vor allem an den Louise-Bus, weil der zuständig ist, wenn man keine Versicherung hat, und das ist bei den meisten unserer Gäste der Fall. Zusätzlich haben wir seit drei Monaten eine teilzeitbeschäftigte Sozialarbeiterin, die sehr konkret Empfehlungen und Auskünfte geben kann, wo wer für was zuständig ist. Wir machen auch gute Erfahrungen mit den Krankenhäusern. Wenn wirklich jemand in einem schlechten Zustand ist und akut Hilfe braucht, dann rufen wir die Rettung. Sonst ist es oft wichtig, sie in der Nacht noch in der Wärme zu haben und im Notfall vielleicht eine Schmerztablette zu geben.

Sucht ist vermutlich ein wichtiges Thema. Wie unterstützen Sie da?

Alkoholkrankheit ist natürlich ein sehr präsentes Problem und da haben wir einerseits Gott sei Dank den Professor Lesch, der einen sehr guten Kontakt zum Anton-Proksch-Institut hat, aber auch nach Ybbs. Wir haben schon reichlich Patienten gehabt, die dort stationär untergebracht wurden. Die sind sehr kooperativ. Mich persönlich freut es einfach sehr, dass wir ernst genommen werden, wenn wir sagen, dass es in einem Fall ganz wichtig wäre.
Dann gibt es natürlich den psychosozialen Dienst. Das ist nicht ganz einfach, weil die Menschen hingehen müssen. Wir haben schon Erfahrungen gemacht, zu später Stunde am Abend, wo es wirklich an der Grenze war und für unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter schwierig zu handeln. Aber im Grunde haben wir jetzt Mitarbeiter, die viele Jahre ehrenamtlich im Nachtdienst tätig sind und das verleiht mir auch Sicherheit.

Wie steht es um den Übergang von der Straße ins Haus oder in eine Wohnung?

Jene in der Notschlafstelle sind heilfroh, etwas zu haben. Sehr, sehr viele von ihnen würden gerne eine Wohnung haben, wir werden immer wieder danach gefragt. Das geht natürlich nur, wenn sie ein bisschen Geld haben, damit sie das bezahlen können, was in der Notschlafstelle nicht nötig ist. Viele wissen auch, dass sie ja gar kein Bleiberecht haben.
Der Übergang von der Straße in eine Wohnung ist kein so großer Schritt – das ist doch die Sehnsucht von jedem. Nachdem wir den Fokus haben, nah am Menschen zu sein, haben wir auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Wohnungen, die sie begleiten, wo es einen engen Kontakt gibt, einen Austausch und ein regelmäßiges Sich-wieder-Sehen.
Diese Kontinuität ist so wichtig, dass man Vertrauen schafft, das ist wirklich das Um und Auf. Danach ist vieles möglich, und es wird auch unglaublich viel getan in unserem Sozialsystem, unglaublich viel. Aber die Basis ist, dass Wertschätzung entsteht, dass Vertrauen entsteht, dass ein Selbstwert entsteht. Viele dieser Menschen haben das nie erlebt oder es ist vor langer Zeit verloren gegangen – Beziehungen, die andauern, Freundschaften, die wirkliche Freundschaft bedeuten, oder einfach auch nur Austausch und eine Form von spürbarem Interesse füreinander. Das ist ja auch unter uns Menschen ziemlich rar geworden. Deswegen halte ich das für so wichtig.

Wie kann man psychischen Belastungen entgegenwirken?

Da kann ich nur persönlich antworten. Ich habe schon ein relativ langes Leben hinter mir und war auch großen Herausforderungen ausgesetzt. Wenn man die bewusst meistert, hat man eine gute Grundlage, um schwierigste Situationen von anderen Menschen zu verstehen und nicht auf sich selber zu übertragen. Es geht darum, dass es nicht Mitleid ist, sondern Mitgefühl. Ich tue, was ich tun kann. Ich kann nicht die Welt retten, aber ich kann in der jeweiligen Situation eine Antwort geben. Es war für mich von Anfang an ganz wesentlich, dass ich den Kontakt zu den Mitarbeitern intensiv pflege und realisiere, wo jemand an die Grenze kommt.
Wenn eine neue, interessierte Mitarbeiterin kommt und ich frage sie: „Warum kommen Sie? Was ist Ihre Motivation?“, und wenn sie sagt, „Ja, ich will helfen“, dann sage ich: „Ich bin nicht sicher, ob Sie bei uns richtig sind.“ Helfen ist nicht unser Ansatz. Erstens helfen wir uns selber am meisten, wir haben eine unglaubliche Horizonterweiterung. Zweitens hat das Helfen für mich sehr leicht diesen Aspekt des von oben herab. Wir wollen den Empfangenden ermächtigen und nicht den Gebenden. Dieses Geben fällt uns leicht, weil man sich gut fühlt.
Deswegen sage ich den Mitarbeitern auch immer: Das auszuhalten, wenn man keinen Rat geben kann, einfach zu sitzen und auch zu schweigen mit den Leuten und dabei zu bleiben, nicht zu fliehen – das ist wichtig. Wir fliehen auch in Gedanken so schnell: Was kann ich ihm für einen Rat geben? Wie kann ich Abhilfe schaffen und mich eigentlich schnell wieder aus dem Staub machen, weil mich das überfordert und das will ich nicht.
Diesen Raum schaffen, das auszuhalten: Das halte ich für die eigentliche Herausforderung. Oder ihre Sprache nicht zu können und trotzdem irgendwas verstehen von dem. Empathie ist wichtig. Wenn wir bessere Beziehungen hätten, hätten wir auch eine bessere Gesellschaft. Einer der wesentlichsten Aspekte für ein gedeihliches Miteinander ist der Respekt für das Anderssein des anderen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Interview: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016597 Cecily Corti im Interview über die Arbeit mit Wohnungslosen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016586 Abgrenzung mit Einfühlungsvermögen Ich muss schlafen. Bitte!“, sagt ein Mann in gebrochenem Deutsch und setzt sich auf die Schlafcouch im Büro. Mit seinen Händen formt er einen Polster, um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen. „Das wollen alle anderen hier aber auch“, antwortet Veronika Kerres. Sie trägt ihn in die Warteliste ein, gibt ihm einen Bon für ein warmes Abendessen im Speisesaal der VinziRast-Notschlafstelle in Wien Meidling. Viel mehr kann die ehrenamtliche Mitarbeiterin für ihn momentan nicht tun. Denn der Andrang an diesem Septemberabend ist groß.

Warteliste wird länger
Bereits eine halbe Stunde vor Einlass um 18.30 Uhr stehen rund 25 obdachlose Menschen im Foyer des gelb gestrichenen Hauses im 12. Bezirk in Wien. Im Haus gibt es bis zu 55 Schlafplätze. Für zwei Euro pro Tag können Obdachlose hier 30 Tage übernachten „Die Menschen kommen zur Ruhe, erzählen ihre Sorgen und können nach einer neuen Unterkunft suchen“, erklärt Kerres. Einige Männer in der Warteschlange wollen für die Nacht „einchecken“, andere sind wie der Mann aus Afrika das erste Mal hier. Die Warteliste wird länger. 
Menschen wegzuschicken fällt den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen schwer. „Das ist für uns alle extrem belastend, vor allem im Herbst und Winter“, erklärt die Wienerin, die aus dem Wirtschaftsbereich kommt. Wer mit obdachlosen Menschen arbeiten will, darf keine Berührungsängste haben, muss fest im Leben verankert sein und ein Gespür dafür haben, was hilfreich ist und was nicht. „Es geht nicht um uns und unsere Vorstellungen, sondern um den anderen und seine Ressourcen.“ Die VinziRast arbeitet zum überwiegenden Teil mit ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Kerres ist bereits seit einigen Jahren dabei. Am Anfang der Nachtdienste wurde sie oft krank. Sie musste lernen sich abzugrenzen, die Probleme der KlientInnen nicht mit nach Hause zu nehmen und Zeit für sich zu finden. „Ich möchte zwar weiterhin emotional berührt sein, aber nicht um den Preis meiner Gesundheit.“ Es gab Freiwillige, die aufhörten, weil sie den Spagat nicht geschafft haben.

Durchschnittsalter 21 Jahre
Das Team ist bunt gemischt, hier arbeiten Krankenschwestern, SozialarbeiterInnen, PharmazeutInnen oder UnternehmerInnen. Man unterstützt sich gegenseitig. Zudem gibt es regelmäßig Supervisionen. In Wien gab es im Winter 2015 rund 900 Schlafplätze für akut obdachlose Menschen. Während der anderen Jahreszeiten sind es 300. Doch die Zahl der Menschen, die auf der Donauinsel, auf Bahnhöfen, in Abrisshäusern oder Wiener Parks nächtigen, ist höher. Überholt ist das Bild vom Obdachlosen mit Rauschebart und Bierdose in der Hand. In Betreuungseinrichtungen wie dem Haus JUCA in Wien ist das Durchschnittsalter von 27 Jahren auf 21 Jahre gesunken. Um Kontakt zu wohnungslosen Menschen zu knüpfen, braucht es intensive Beziehungsarbeit, weiß Susanne Peter von der Wiener Notschlafstelle Gruft. Ein Klient war 25 Jahre obdachlos, nächtigte in einem öffentlichen Klo auf der Donauinsel. Drei Jahre lang bekam sie ihn nicht zu Gesicht. „Wir haben durch die Klotür miteinander geredet. Kleidung oder Nahrung wollte er nicht annehmen.“ Dann trafen sie einander persönlich. Er ließ sich Dokumente ausstellen, beantragte Mindestsicherung. Heute lebt der Mann in einer Wohnung.

Beziehungsarbeit auf der Straße
Susanne Peter und ihr Streetwork-Team sind im Sommer dreimal pro Woche abends unterwegs, dazu kommen zwei Tagdienste auf der Mariahilfer Straße. Im Winter sind sie jeden Tag unterwegs. Sie laden obdachlose Menschen in die „Gruft“ ein, verteilen Schlafsäcke und helfen den Menschen, ihre Ansprüche zu erheben. „Ich weiß nie, was kommt, muss mich immer neu einstellen“, beschreibt Susanne Peter den Reiz der Streetwork, eines Jobs, den sie seit fast drei Jahrzehnten ausübt. Auch sie lassen die Schicksale der KlientInnen nicht kalt. Die Arbeit nimmt sie aber nicht mit nach Hause.
Wie bei der VinziRast werden in der „Gruft“ Teamklima und Supervision hochgehalten. „Der Austausch untereinander hilft ungemein“, so Peter. Das Wichtigste sei, den Draht zu den KlientInnen zu finden, mit ihnen arbeiten zu können und zu wollen. Die Klientel hat sich verändert. Früher waren obdachlose Menschen in Gruppen unterwegs, heute sind viele Einzelgänger. Zur Verständigung mit Menschen, die wenig bis gar kein Deutsch können, hat die „Gruft“ 50 Freiwillige aufgestellt, die über das Telefon in 23 Sprachen dolmetschen und so zur Beziehungsarbeit beitragen. Wichtig ist für Peter die Tatsache, dass Obdachlosigkeit vorurteilsfrei betrachtet werden sollte: „Es kann wirklich jeden treffen.“
Für MitarbeiterInnen in der Wohnungslosen- und in der Suchthilfe gelten mehrere Kollektivverträge. Ein Großteil der Beschäftigten fällt unter den „Sozialwirtschaft-Österreich-KV (SÖ-K)“. Der SÖ-K gilt für 90.000 Beschäftigte sowie über die Satzung für weitere 60.000 Arbeitende. Es ging um Vereinheitlichung: „Die Lohn- und Gehaltsniveaus waren in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Jetzt gibt es ein einheitliches Niveau“, betont Verhandlerin Eva Scherz von der GPA-djp. Einzig Vorarlberg hat einen Sonderstatus. Beinahe der ganze private Gesundheits- und Sozialbereich ist abgedeckt. Gerade in Obdachloseneinrichtungen mit Tageszentren und Notschlafstellen gebe es meist fixe Arbeitszeiten sowie viele Vollzeitstellen. Zu den Errungenschaften zählt Scherz die Arbeitszeitverkürzung auf eine 38-Stunden-Woche, die volle Anrechnung von Karenzzeiten sowie die jährlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen über der Inflationsgrenze. Dennoch gebe es noch viel zu tun: „Es braucht ausreichend Mittel für Randgruppen“, so Scherzer. Zudem sei eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden sinnvoll. „Wir haben einen sehr hohen Teilzeitanteil, der Kollektivvertrag sollte ein Abbild der Realität sein“, so Scherz.

Von der „Gruft“ im 6. Wiener Gemeindebezirk in die Innenstadt: Die ambulante Suchthilfeeinrichtung „Verein Dialog“ bietet psychosoziale und medizinische Betreuung für Menschen, die ein Suchtproblem haben, sowie deren Angehörige. Die Herausforderungen liegen für Martin Weber, stellvertretender Geschäftsführer des Vereins, klar auf der Hand: „Wir arbeiten mit einer stigmatisierten und diskriminierten KlientInnengruppe, die manchmal nicht einfach ist und heftige Geschichten erlebt hat.“ Trotz seiner Führungstätigkeit berät er weiterhin KlientInnen. „Es ist wichtig, dass wir weiterhin praxisnah arbeiten, um nicht den Blick für das Wesentliche zu verlieren.“ Wie in der Obdachlosenhilfe stehen regelmäßig Supervision, Selbstreflexion und wöchentliche Teamsitzungen am Programm. 1999 wechselte der Arbeitsmarkttrainer in den Sozialbereich. Seit Martin Webers Einstieg hat sich viel verändert: Die Zahl der HeroinkonsumentInnen sinkt, dafür steigt die Zahl derjenigen, die regelmäßig Cannabis oder chemische Substanzen konsumieren. Eine vollständige Abstinenz ist nicht immer das erklärte Ziel: „Wichtig ist es, die Lebensqualität der KlientInnen zu verbessern. Es gilt, von den jeweiligen Ressourcen auszugehen“, so Martin Weber.
Vormittags und nachmittags sind jeweils zwei MitarbeiterInnen als Suchthilfe am Praterstern unterwegs. Sie sprechen mit obdachlosen Menschen oder Drogensüchtigen und verweisen auf Hilfsangebote oder Notschlafstellen. „Einige Menschen sind nicht mehr in der Lage, zu Ämtern zu gehen. Wir begleiten sie“, erklärt Hannes Schindler, Bereichsleiter von Mobile Soziale Arbeit. Es sei oft schwierig, zwischen verängstigten BürgerInnen und marginalisierten Menschen zu vermitteln. Marginalisiert sind Menschen am gesellschaftlichen Rand. „Man braucht ein hohes Maß an Empathie, an professioneller Ausbildung im psychosozialen Bereich.“ Viele MitarbeiterInnen haben Zusatzausbildungen im Konfliktmanagement.

Zielscheibe bei Konflikten
Zurück in der VinziRast-Notschlafstelle in Wien Meidling. Auch die MitarbeiterInnen hier sind geschult auf Konfliktmanagement. Denn nicht jeder versteht, dass der Platz begrenzt ist. Manchmal werden die HelferInnen auch verbal attackiert. „Ich habe am Anfang gedacht, es liegt an mir“, sagt Margriet Reijntjes. Sie hat 40 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet und ist seit vier Jahren bei der VinziRast. Nachtdienste ist sie gewohnt, schwieriger war es zu akzeptieren, dass Beschimpfungen nicht gegen sie persönlich gerichtet, sondern Ausdruck der Verzweiflung sind. „Wir sind die Zielscheibe in dem Moment.“ Ein regelmäßiger Ausgleich ist ihr wichtig: „Ich gehe dann stundenlang in die Natur.“ Dankbarkeit dürfe von den Betreuten keine erwartet werden. Es sei aber trotzdem schön, wenn es passiert. „Erst letzte Woche hat sich jemand per Handschlag bei mir bedankt“, erzählt sie.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udo.seehofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Knopp und Udo Seehofer, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016574 Veronika Kerres arbeitet ehrenamtlich in der Notschlafstelle VinziRast. Die Plätze sind begrenzt, immer wieder müssen deshalb Menschen abgewiesen werden - eine Belastung auch für die dortigen MitarbeiterInnen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016560 Gesundheitsarbeit macht krank Auf Probleme im Arbeitsalltag angesprochen, zählt Farije Selimi gleich eine lange Liste auf. Zu den Problemen gehören etwa „Belastungen durch die Organisation: lange und unplanbare Arbeitszeiten, Personalmangel, Dokumentation, also bürokratischer Aufwand“. Ebenso liegt für die Fachbereichssekretärin Gesundheit in der Gewerkschaft vida auf der Hand, wo man ansetzen müsste: Dienstplanstabilität, eine Erhöhung der Planstellen und die schnellere Nachbesetzung von freien Stellen.
Auch die körperlichen Belastungen sind enorm: Heben, Tragen, ungewohnte Körperhaltung, Infektionen. Hier wäre es notwendig, die Tätigkeit auf mehrere MitarbeiterInnen aufzuteilen. Auch sollte man gesundheitsfördernde Maßnahmen im Betrieb wie Massagen in der Arbeitszeit anbieten, verbesserte Hygiene oder regelmäßige Impfungen. Und im psychischen Bereich ist das Belastungslevel laut Farije Selimi hoch: Viele MitarbeiterInnen sind Burn-out-gefährdet oder leiden beispielsweise unter verbalen Angriffen von PatientInnen.

Arbeiten statt lernen
„Schon im Praktikum, wo man ja eigentlich noch in Ausbildung ist, bekommt man den omnipräsenten Personalmangel voll zu spüren“, berichtet Fabian*, Diplomkrankenpfleger und Berufseinsteiger. Oft gerate da das Ausbildungselement zu kurz und man ersetze einfach nur mehr eine Arbeitskraft. „Hygienisch korrekt zu arbeiten braucht schon etwas länger. Zu Stoßzeiten oder an stressigen Tagen gelingt das schlechter“, erzählt er. „Die Arbeit mit kognitiv beeinträchtigten oder dementen PatientInnen kann, wenn keine geeigneten Konzepte in der Einrichtung implementiert sind oder man schlicht zu wenig Zeit hat, um auf die Bedürfnisse dieser Menschen einzugehen, nervenaufreibend und frustrierend sein.“
Der Personalmangel ist auch für ihn das größte Problem, denn dieser sei dafür verantwortlich, dass man oft zwischen einzelnen PatientInnen oder Tätigkeiten wie Pflege und Administratives hin- und herspringen müsse. „Das schafft Hektik, erhöht die Fehleranfälligkeit und ist extrem belastend. Interessanterweise ist allen, Auszubildenden, LehrerInnen und KollegInnen auf der Station, das Problem voll bewusst – Personalmangel – und man redet offen darüber, auch in der Schule.“ 

Extreme Belastungen
Auch Pflegerin Sabine*, Angestellte in einem Seniorenheim des SHV Linz-Land, äußert sich ähnlich: „Nachtdienste sind an und für sich körperlich schon belastend, vermehrte Doppelnächte machen das dann noch extremer.“ Doch nicht nur der Personalmangel, auch die Fluktuation stelle die MitarbeiterInnen vor zusätzliche Belastungen, insbesondere wenn Führungskräfte wechseln und damit Konzepte und Strukturen fehlen. Unterm Strich ist die Folge, dass jene, die Kranke heilen sollten, selbst krank werden: „Der Druck von den oberen Etagen und massive Einsparungen sind extrem zu spüren und führen zu immer mehr (Dauer-)Krankenständen, Einspringen und Einsätzen von Leasingpersonal, um dies auszugleichen. Auch brechen unter den Kollegen immer mehr Streitigkeiten aus – oft ist man am Limit und kann so nicht mehr lange weitermachen.“

Probleme runtergeschluckt
Bemerkenswert sind auch Sabines Wahrnehmungen zum Thema psychische Belastung und Möglichkeiten der Prävention in ihrem Pflegealltag: „Ein Problem, das ich überall sehe, ist, dass schon Dinge angeboten werden, doch ob sie von den Mitarbeitern genutzt werden, ist eine andere Sache.“ So werde zwar Supervision angeboten, dieses Angebot von den KollegInnen aber entweder gar nicht wahrgenommen oder aber sie hielten mit den Problemen hinterm Berg: „Jeder schluckt das Ganze runter und nagt an seinen psychischen Problemen, so lange, bis sie sich körperlich auswirken.“
Viele der genannten Aspekte liegen als Strukturprobleme der Branche schon längst offen. So nimmt sich auch das Arbeitsmarktservice kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Beschreibung der Realität im Gesundheits- und Pflegebereich geht. So heißt es auf der Homepage des Karrierekompasses: „Viele Gesundheitsberufe werden in hohem Maße als sinnstiftend empfunden. Aufgrund der für diesen Berufsbereich typischen Kombination aus hohen physischen als auch psychischen Belastungen bestehen jedoch auch besonders hohe Anforderungen und ein erhöhtes Gesundheitsrisiko: So weisen knapp 40 Prozent der im Gesundheitsbereich tätigen Personen beginnende oder fortgeschrittene Burn-out-Symptome auf.“ Und dies hat auch handfeste Folgen, die das AMS offen auflistet: „Die Tatsache, dass im Gesundheits- und Sozialwesen – trotz grundsätzlich guter Berufschancen und Aussichten – in jüngster Vergangenheit die Arbeitslosenzahlen merklich angestiegen sind, wird u. a. mit den teilweise schwierigen Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen Fluktuation in diesen Bereichen erklärt. Dies trifft besonders stark auf den Pflegebereich zu.“
Einschlägige Studien zum Thema, die bisher – bemerkenswerterweise fast ausschließlich durch die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen – veröffentlicht wurden, unterstreichen diesen Befund. Die AK-Studie „Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten“ aus dem Jahr 2015 benennt etwa auch Drop-out und Gewalt durch pflegebedürftige Personen als große Probleme des Berufsfeldes. Interessant: Bereits im Jahr 2008 ergab eine Studie der GPA-djp, dass fast 30 Prozent der hier Beschäftigten Burn-out-gefährdet sind. Laut einer Studie der AK Steiermark, auf die sich auch das AMS stützen dürfte, ist dieser Anteil kontinuierlich weiter gestiegen: auf eben knapp 40 Prozent. Warum das so ist, liegt laut diesen Studien auch auf der Hand: 44,3 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitsbereich arbeiten mehr als vertraglich vereinbart und rund drei Viertel sind mit der Entlohnung unzufrieden. Angesichts der Tatsache, dass deshalb etwa diplomierte Pflegekräfte nur fünf bis zehn Jahre in ihrem Beruf arbeiten, sprach der Autor der AK-Studie, Tom Schmid, nicht zu Unrecht von vergeudeten Ausbildungskosten.

Körperliche Beschwerden
Die Probleme und Herausforderungen bringt auch der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor, ein Projekt der AK Oberösterreich, auf den Punkt. Unter der Überschrift „Gesundheitsberufe belasten die Gesundheit“ wird ausgeführt, dass Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeberufen schlichtweg häufiger unter körperlichen Beschwerden leiden als ArbeitnehmerInnen in anderen Berufsgruppen. Besonders betroffen sind demnach die Pflegeberufe. Heidemarie Staflinger, ebenfalls von der AK OÖ, bildet in einer aktuellen Präsentation neben vielen anderen Fakten auch diese Ergebnisse des Arbeitsgesundheitsmonitors ab. Demnach sehen sich 32 Prozent der Beschäftigten im Pflegebereich sehr stark oder stark unter Zeitdruck bzw. 44 Prozent sehr stark oder stark seelisch belastet.

Qualität wiederherstellen
Farije Selimi fasst die beschriebene Problematik aus gewerkschaftlicher Perspektive so zusammen: „Die größte Herausforderung sind der Personalmangel, gepaart mit der Alterung der Arbeitskräfte in der Branche, sowie die gesundheitlichen Berufsrisiken. Die beiden meistverbreiteten Erkrankungen sind Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychosoziale Risiken.“ Um dem zu begegnen, müssten die Gesundheitsberufe wieder attraktiver werden: „Das gelingt nur über bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen.“ Die Realität in vielen heimischen Einrichtungen aber sieht anders aus: Während das PatientInnenaufkommen stark ansteigt, bleibt der Personalstand weitgehend gleich oder sinkt sogar. „Wir brauchen daher die Festlegung verbindlicher Personalkennzahlen oder Personalbedarfsberechnungsmodelle“, so Selimi. „Den Betreibern von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sollen dadurch die Mindestanzahl und die Qualifikation der MitarbeiterInnen zwingend vorgeschrieben werden. Nur so können wir die Qualität in der PatientInnenversorgung und faire Arbeitsbedingungen sicherstellen.“

Linktipps:
AK-Studie zu den Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen (2011)
tinyurl.com/zcjlcmj
AK-Studie „Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten“ (2015)
tinyurl.com/zluhpzq
 
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john.evers@vhs.at oder die Redaktion aw@oegb.at

* Namen von der Redaktion geändert

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016551 Es müssen immer mehr PatientInnen gepflegt werden, der Personalstand bleibt aber gleich oder sinkt sogar. Deshalb soll eine Mindestanzahl, aber auch die Qualifikation der MitarbeiterInnen vorgeschrieben werden, fordert Gewerkschafterin Farije Selimi. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016528 Reportage: Jonglieren mit knappen Ressourcen Vormittags ist es „Am Tivoli“ meistens noch ziemlich leer. Denn um diese Zeit sind viele SeniorInnen beim späten Frühstück, bei der Physiotherapie oder zur Massage. Nur ein drahtiger älterer Herr, der energisch seine grellgrünen Smovey-Ringe schwingt, marschiert auf und ab. Der ältere Herr leidet an Parkinson, wird von einer Therapeutin begleitet und lebt im Pflegewohnhaus Meidling im 12. Wiener Gemeindebezirk. „Am Tivoli“ ist der Name von einem der zehn Wohnbereiche, die nach Bezirksteilen benannt sind, damit sich die PatientInnen rascher zu Hause fühlen.
Die Zeiten, als man Pflegeheime von Krankenhäusern kaum unterscheiden konnte, sind eindeutig vorbei. Hier riecht es weder nach Desinfektionsmitteln noch nach Urin. Die Einrichtung ist bunt und erinnert eher an ein Möbelhaus als an ein steriles Spital. Sitzecken mit Stehlampen, gut gefüllten Bücherregalen und Schwarz-Weiß-Fotos von Schauspielerlegenden wie Hans Moser sollen den SeniorInnen eine wohnliche Atmosphäre bieten. Animationsangebote, Ausflüge oder der Besuch von Therapiehund Elvin bringen zusätzlich etwas Abwechslung in den Alltag.

Dahinter stehen modernes medizinisches Know-how und pflegerische Kompetenz: Im Therapiebereich befinden sich Ergo- und Physiotherapie mit speziellen Geräten für Training und Rehabilitation sowie ein Hirnleistungszentrum.

Palliative Care
Im ärztlichen Kompetenzzentrum mit dem Schwerpunkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden auch PatientInnen aus anderen Pflegewohnhäusern des Krankenanstaltenverbundes behandelt, zu dem auch das Haus im 12. Bezirk gehört. Da hier rund um die Uhr ein/e MedizinerIn anwesend ist und die meisten PflegerInnen Palliative-Care-Schulungen absolviert haben, können die PatientInnen ihre letzten Tage hier in ihrer gewohnten Umgebung verbringen und müssen nicht in ein Krankenhaus verlegt werden.
Das Meidlinger Pflegeheim wurde 2011 eröffnet. Im Zuge der Wiener Geriatriereform wurden in den vergangenen Jahren mehrere große alte Pflegeheime geschlossen. Seit Ende 2015 ist auch das Geriatriezentrum am Wienerwald Geschichte. Dort – damals hieß es noch Versorgungsheim Lainz – wurden im Vollausbau mehr als 4.000 alte Menschen betreut. In den modernen Wiener Pflegewohnhäusern mit sozialmedizinischer Betreuung leben höchstens 350 BewohnerInnen.

Mehrarbeit durch neue Architektur
So soll individuelle Betreuung in angenehmer Umgebung möglich sein. Das wohnliche Ambiente habe allerdings auch einen Nachteil, erzählt der betriebswirtschaftliche Leiter Martin Siegmund beim Rundgang durch das Haus: „Früher, in den alten Heimen mit den langen Gängen mit Türen links und rechts, konnte das Pflegepersonal während einer Nachtschicht leichter den Überblick behalten.“

Kaum Zeit für Gespräche
In sämtlichen modernen Einrichtungen sind heute Einzelzimmer mit eigenen Sanitäreinheiten üblich, auf Wunsch auch Doppelzimmer. „Für die Bewohner und Bewohnerinnen bedeutet das mehr Privatsphäre und wichtige Rückzugsmöglichkeiten. Es gibt aber auch Nachteile – nicht nur finanzieller Art, etwa weil die Reinigung mehr Zeit erfordert.“ Denn früher hatten auch weniger mobile PatientInnen durch ihre ZimmergenossInnen ein wenig Ansprache. Heute sind die Möglichkeiten für diese Art der ungeplanten Kommunikation eingeschränkt. „Kurze Unterhaltungen mit den Pflegekräften, aufmunternde Worte oder ein kleiner Scherz, während der Bettnachbar gewaschen wird: Das alles ist heute nur noch in Zweibettzimmern möglich. Viele Beschäftigte bedauern das, denn es fehlt die Zeit, um diese persönlichen Kontakte irgendwie anders nachzuholen.“

Am Limit
256 Beschäftigte – davon 173 Pflegekräfte – versorgen im Zwölf-Stunden-Schichtbetrieb 256 BewohnerInnen. Pro Stockwerk (= zwei Wohnbereiche) gibt es drei Nachtdienste, für die beiden Demenzbereiche vier. Geld- und Personalmangel, Zeit nur für das Notwendigste bei der PatientInnenbetreuung, unter anderem wegen zunehmender Dokumentationspflichten, – diese Probleme kennt man auch im Pflege-heim Meidling. „Unsere Pflegekräfte sind nach wie vor bemüht, die Ressourcenknappheit durch verstärkten Einsatz und Flexibilität auszugleichen. Doch nach Jahren mit vielen Überstunden und kurzfristigen Dienstplanänderungen sind alle an der Grenze der Belastbarkeit“, so Siegmund. „Außerdem haben wir im Zuge der Geriatriereform Personal von den aufgelassenen Standorten wie etwa dem GZ Wienerwald übernommen. Dadurch ist das Durchschnittsalter unserer Beschäftigten jetzt mit zirka 50 relativ hoch.“ Längere Krankenstände sind daher keine Seltenheit. Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung (Rückenschule, Aktivtraining während der Dienstzeit etc.) sollen Beschwerden reduzieren beziehungsweise vorbeugen. Besonders beliebt sind bei strenggläubigen Migrantinnen die Massagen in Kooperation mit dem Blindenverband. Jeden Mittwochnachmittag können die MitarbeiterInnen beim Tischtennis und anderen Bewegungsspielen Stress abbauen.
Nicht nur für die älteren Beschäftigten, die vielfach bereits an Wirbelsäulenbeschwerden leiden, sind Hebehilfen wie der mobile Patientenlifter gedacht. Die Pflegedienstleiterin Beate Hendl zeigt auf den Fuß des Gerätes: „Daran sehen Sie, dass er bei uns wirklich täglich im Einsatz ist.“ Auch Hermine B., 89, die in ihren Rollstuhl gehoben werden soll, weiß sichtlich genau, was sie zu tun hat, damit alles reibungslos abläuft.

Erfolgserlebnisse bis zuletzt
Im ersten Stock im Demenzbereich „Wiental“ versieht Stationspfleger Georg Tschank seinen Dienst. Er erklärt, dass Demenzkranke von flexibler und individueller Betreuung besonders profitieren. „Diese Patienten haben meist großen Bewegungsdrang, und sie sind häufig auch nachts unterwegs. Bei uns gibt es keine allgemein verordnete Nachtruhe und dementsprechend keine fixen Frühstückszeiten. Auch die Körperpflege erfolgt nicht automatisch um eine bestimmte Uhrzeit.“ Nur das Mittagessen findet für alle gemeinsam statt, allerdings in zwei getrennten Räumen: „Wir haben 24 PatientInnen mit unterschiedlichem Demenzgrad. Durch die Trennung können wir vermeiden, dass sich die PatientInnen, deren Demenz noch nicht so weit fortgeschritten ist, womöglich über die anderen lustig machen.“
Tschank, der früher in Lainz arbeitete, ist seit 28 Jahren Pfleger und wirkt engagiert wie am ersten Tag. Im Demenzgarten erzählt er mit Begeisterung über die Arbeit mit den PatientInnen – und über Erfolgserlebnisse. „Es heißt immer, in diesem Bereich gibt es keine Erfolgserlebnisse, doch das stimmt nicht. Wir sehen, dass es dementen PatientInnen nach einigen Wochen hier besser geht, dass Verhaltensauffälligkeiten mit der Zeit verschwinden. Wir haben zum Beispiel einen Patienten übernommen, der enormen Bewegungsdrang hatte, ständig herumgelaufen ist. Wir haben ihn einfach herumgehen lassen und auch beim Essen nicht wie bisher fixiert, sondern sind ihm zum Teil mit dem Essen nachgelaufen. Mit der Zeit wurde er wesentlich ruhiger und ausgeglichener. Er nimmt sein Essen und setzt sich damit hin. Die Möglichkeit, gewisse Dinge selbst zu entscheiden, ist auch für Demenzpatienten wichtig.“

Sicher, satt und selbstbestimmt
Appetitlosigkeit und mangelndes Durstgefühl kommen häufig bei alten Menschen vor, besonders bei Demenz. „Das Problem, dass Patienten nicht essen, haben wir hier nicht, eher im Gegenteil“, so Tschank. Manche kommen zweimal zum Frühstück – auch weil sie vergessen haben, dass sie schon gegessen haben – oder frühstücken noch einmal auf einer anderen Station. „Entscheidend ist, wie man Essen und Getränke anbietet, bei uns stehen immer Wasserkrüge griffbereit. Es kommt natürlich vor, dass manche dann direkt aus dem Krug trinken. Hauptsache, sie bekommen genug Flüssigkeit.“
Elektronische Armbänder, die beim Verlassen der Station Alarm auslösen, dienen zum Schutz der dementen BewohnerInnen, von denen manche besonders gerne wandern. Die PatientInnen verschwinden manchmal erstaunlich schnell im Lift und sind an sich von BesucherInnen nicht zu unterscheiden. Fotos derer, die immer wieder derartige Ausflüge machen, gibt es daher auch in der Portierloge.

Im Grätzel integriert
Viele der BewohnerInnen sind über 80 und haben Pflegestufe vier bis fünf. „Wir arbeiten gemeinsam mit ihnen konsequent daran, die Selbstständigkeit bei der Körperpflege, bei der Mobilität etc. wiederherzustellen beziehungsweise so lange wie möglich zu erhalten“, erklärt Beate Hendl, als wir Hermine B. in ihrem Rollstuhl begegnen. „Alles ist besser, als den ganzen Tag im Bett zu liegen. Und sobald man PatientInnen alles aus der Hand nimmt und sie nichts mehr selbst machen müssen, dann verlieren sie relativ rasch den Bezug zum eigenen Körper.“
Selbstverständlich steht es BewohnerInnen frei, das Haus für Erledigungen, Einkäufe oder Besuche zu verlassen, sofern sie nicht Gefahr laufen, sich zu verirren. Direkt im Gebäude gibt es auch das öffentliche Café-Bistro Jedermann, wo die BewohnerInnen ohne weite Wege anderen Menschen begegnen können. Diese Öffnung nach außen ist heute längst Alltag in den meisten der rund 900 österreichischen Alten- und Pflegeheime. Moderne Konzepte wie die Etablierung von Bezugspflegekräften, die eine gewisse Kontinuität sowie die erfolgreiche Kommunikation mit den Angehörigen ermöglichen sollen, können an sich spürbare Verbesserungen für die alten Menschen bringen. Wenn dafür allerdings keine personellen Ressourcen bereitgestellt werden, werden diese Veränderungen sogar für hoch motivierte Pflegekräfte oft „nur“ zu einer weiteren Belastung.

Hohes Engagement
Auch wenn bei unserem Rundgang im Pflegewohnhaus Meidling von Hektik, Überlastung oder Erschöpfung nichts zu spüren war – die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nur ein Drittel aller Beschäftigten im Pflegebereich kann sich vorstellen, den Beruf bis zur Pensionierung auszuüben.

Linktipp:
Infoseite des Sozialministeriums mit Suchfunktion für Alten- und Pflegeheime
tinyurl.com/gqfajx5

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

INFOBOX:

Handlungsbedarf

Seit Jahren ist die Langzeitpflege im Spannungsfeld zwischen Qualität und Finanzierbarkeit. Und die (demografischen) Herausforderungen werden nicht kleiner. 2030 wird jede/r Vierte älter als 65 sein, bis 2050 soll sich die Zahl der Demenzkranken verdoppeln. Durch zunehmende Berufstätigkeit der Frauen steigt der Bedarf an professioneller Betreuung. Derzeit erhalten 455.000 Personen Pflegegeld, rund 80 Prozent werden zu Hause betreut – von 24-Stunden-PflegerInnen, mobilen Diensten und/oder Verwandten. 2014 wurden 74 Prozent der Nettoausgaben für Pflege in stationären Einrichtungen ausgegeben, obwohl nur 16 Prozent der PflegegeldbezieherInnen stationär betreut wurden.

Höhere Durchlässigkeit
Damit betagte Menschen möglichst lange (selbstständig) in ihrer gewohnten Umgebung leben können, soll die Durchlässigkeit zwischen sämtlichen Pflege- und Betreuungsleistungen größer werden. In Wien wurde in Weiterentwicklung der Geriatriereform das Konzept „Pflege und Betreuung 2030“ erarbeitet. In diesem Zusammenhang ist die Verlagerung von akutgeriatrischen Abteilungen – mit kurzfristiger, maximal dreiwöchiger Betreuung – in die Nähe von Pflegeeinrichtungen, aber auch die Angliederung an ein Akutspital, ein wichtiger Schritt. Zusätzlich geplant: Länger geöffnete Tageszentren, neue Angebote für mobile Betreuung sowie Maßnahmen für eine höhere Attraktivität von Pflegeberufen (z. B. Wiedereinsteigerinnen-Förderung).
Wie so vieles in diesem Bereich ist übrigens auch das Wording aufgrund des Föderalismus uneinheitlich: Während in Wien die Pflegewohnhäuser dominieren, ist in vielen Bundesländern die Bezeichnung Pflegeheim durchaus noch gebräuchlich. Dabei dürfte sowohl den Beschäftigten als auch den Betroffenen und deren Angehörigen ziemlich egal sein, was außen am Gebäude steht. Wichtig ist, was drinnen passiert.

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Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016506 Hightech für Training und Rehabilitation: Diese 94-jährige Bewohnerin strampelt wegen ihrer Kniebeschwerden zweimal pro Woche je 20 Minuten auf dem Theravital-Fahrrad. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016514 Für das Pflegepersonal bedeuten Hebe- und Tragehilfen wie der mobile, akkubetriebene PatientInnenlifter eine große Erleichterung im Arbeitsalltag. Hermine B., 89, kennt die Prozedur bereits. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016519 Walter K., Jahrgang 37, sitzt gern im Aufenthaltsraum des Demenzbereichs "Edelsinn" und scherzt mit den überwiegend weiblichen BewohnerInnen. Hin und wieder hat auch Stationspfleger Georg Tschank Zeit für eine kurze Unterhaltung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476324016480 Interview: Von Idealpflege weit entfernt Arbeit&Wirtschaft: Laut Studien zur Situation von Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, sind es gerade sie selbst, die Gefahr laufen, krank zu werden. Wie kommt das?

Reinhard Waldhör: Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Einer ist sicherlich, dass gerade in den Gesundheitsberufen der Druck auf die Mitarbeiter sehr zunimmt. Das heißt, die abverlangten Leistungen werden immer mehr bei maximal gleichbleibenden Ressourcen – Ressourcenzuwachs gibt es derzeit überhaupt nicht. Gleichzeitig haben die Angehörigen der Gesundheitsberufe ein sehr, sehr  großes soziales Gewissen/Bewusstsein, sodass sie den Job trotzdem fertig machen, auch wenn das Ende der Dienstzeit gekommen ist. Dann bleibt man halt bis in die Nacht da. „Das schaff ich nicht mehr, darum bleibt das liegen“, gibt‘s also nicht.
Ich bin auch der Meinung, dass der Dienstgeber ein bisschen mit dieser Situation spielt. Ich kenne ein Haus mit einer automatisierten Zeiterfassung, wo der Dienstbeginn gleichzeitig der Beginn der Zeiterfassung ist, unabhängig davon, wann man kommt. Das heißt, wenn um sieben Dienstbeginn ist, wird die Zeit ab sieben erfasst. Nun gibt es dort Leute, und nicht wenige, die trotzdem um viertel sieben da sind, damit sie mit der Morgenarbeit fertig werden respektive den Nachtdienst unterstützen können – jeden Tag! Diese Dreiviertelstunde wird also jeden Tag vorgeleistet und nicht bezahlt. Natürlich sagt der Dienstgeber: Die sollen um sieben kommen, das geht sich eh aus. Es ist aber in der Praxis nicht so und das muss man klar sagen.
Das ist ein Manko in der Vertretung, dass wir genau diese Berufsgruppe nicht dazu bewegen können, dass wir sagen: Wir machen jetzt am Vormittag eine Betriebsversammlung und lassen den Dienstgeber oder auch den Patienten auf seine Leistung ein bisschen warten. Das geht gar nicht. Die Frage ist also, welche Möglichkeiten ich hab, um etwas zu ändern. Der Wunsch nach Veränderung ist da, nur sagt man: Ich hab einen gewählten Vertreter, der soll das für mich machen. Nur, wir kommen irgendwann in der Verhandlung an den Punkt, wo es nicht mehr weitergeht und man sagt: Ok, wir ziehen uns in unsere Gremien zurück und denken über andere Maßnahmen nach. Ich kann mich nicht erinnern, wann die Angehörigen der nicht ärztlichen Gesundheitsberufe zuletzt auf der Straße waren. Das ist also keine Drohgebärde, mit der wir uns an den Tisch setzen. Ich glaube aber auch, dass der Dienstgeber sehr genau weiß: Die tun es eh nicht. Damit wird unsere Verhandlungsposition schwächer. Es wird aber schon irgendwann einmal der Druck so groß sein, dass der Deckel vom Topf fällt, und dann wird sich das auch in solchen Maßnahmen entladen müssen. Irgendwann werden es die Mitarbeiter schlicht und ergreifend nicht mehr aushalten.

Gibt es andere Maßnahmen, die man ergreifen kann?

Im Prinzip leben wir vom Verhandeln und Aufklären. Und ich lebe in meinem Haus immer mehr davon, relativ restriktive Rechtsfeststellungen zu machen.

Was heißt das?

Dazu muss ich sagen: Das hat sich bei uns im Haus verändert, das sieht man im kollegialen Miteinander mit der Führung. Früher war das ja ein Staatsakt, wenn über den Betriebsrat eine Klage an das Arbeits- und Sozialgericht eingegangen ist. Heute sehen wir das entspannt: Das ist eine Rechtsfeststellung, das heißt, wenn sich zwei nicht einig sind, muss man einen Schiedsrichter suchen. Wenn die Dienstgeberseite nicht verhandelt und der Betriebsrat nicht Recht feststellen lässt, dann hat immer die Dienstgeberseite recht. Deshalb sind wir dazu übergegangen, auch vermeintlich nicht so wesentliche Punkte feststellen zu lassen, auch in dem Bewusstsein natürlich, dass wir in der GÖD gute Juristen haben.

Nun sind viele schon Burn-out-gefährdet. Muss man darauf warten, bis alle ins Burn-out kippen?

Das sollte man selbstverständlich nicht. Die Frage ist, inwieweit es von Dienstgeberseite Verständnis dafür gibt. Wenn ich mir anschaue, wie sich die Kultur in den Gesundheitsbereichen dienstgeberseitig entwickelt, geht es schon in die Richtung „noch mehr Leistung um noch weniger Geld“. Es gibt neue Pflegekonzepte in Pflegeheimen, die als wunderbar innovative Geschichten verkauft werden, die aber nichts anderes sind als „Qualität nach unten um einen geringeren Preis“.
Angelehnte Bezugsgruppenpflege ist so eine Geschichte. Bezugsgruppenpflege in einem Pflegeheim bedeutet: Es gibt Wohngruppen mit zwölf Personen und da soll es annähernd einen ganzen Tag oder, wenn es dienstrechtlich geht, auch mehrere Tage hintereinander dieselben Pflegepersonen geben. Angelehnte Bezugsgruppenpflege macht man dann, wenn man dafür nicht das Personal hat. Das heißt, das ist ein schönes Wort für: Ich mach eigentlich weniger. Wenn ich dann die Frage stelle „Ist es unser Ziel, Bezugsgruppenpflege zu erreichen?“, kommt „Nein“. Das heißt, man ist nicht gewillt oder nicht in der Lage – das kann ich nicht beurteilen –, mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Es wird immer sehr betont, den Bewohnern komme angemessene Pflege zu. Es gibt aber auch eine Idealpflege, und von der sind wir weit entfernt. Ich will jetzt nicht sagen, wir bewegen uns wieder in Richtung „warm, satt, sauber“. Davon sind wir auch noch entfernt, aber der Weg geht in die falsche Richtung.

Angehörige der Pflegeberufe kritisieren, dass es den Führungspersonen an Konzepten fehle und nur ums Sparen gehe. Teilen Sie diese Kritik?

Ich denke, dass sehr, sehr viele Führungspersönlichkeiten noch immer versuchen, das Beste zu geben und das Beste für die Mitarbeiter herauszuholen. Aber wie es so schön heißt: Am Ende des Geldes ist viel Monat über. Wenn man Budgets hat, mit denen man auskommen muss, und es gibt kein neues Geld im System, dann sind Maßnahmen umzusetzen.
Was ein bisschen fehlt, ist der ehrliche Umgang mit den Mitarbeitern. Also dass man ihnen sagt: „Liebe Freunde, das Geld ist schlicht und ergreifend nicht da und deshalb können wir keine Bezugsgruppenpflege machen. Aber wir nähern uns an und machen so viel als möglich, so weit wir können.“ Das tun wir halt nicht – und das schürt Unzufriedenheit.

Liegt die Lösung nur in „mehr Geld“?

Fakt ist: Eine Gesundheitsreform bedeutet Einschnitte. Wir hören ja immer wieder: Wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt, was bedeutet, wir haben auf den Einwohnerkopf gerechnet mit Sicherheit die meisten Akutbetten. Diese Ansicht teile ich, auch wenn ich ein Waldviertler bin und wir wenige Einwohner haben im Vergleich zu urbanen Räumen – und hier trotzdem entsprechend Kliniken betreiben.
Dann gibt es einen gesetzlich geregelten Mindestanspruch, in welcher Zeit ich Hilfe bekomme. Dann kann ich aber nicht im Waldviertel nur eine Klinik machen, halt in der Mitte, und dann fahren wir von Litschau nach Zwettl ... Diese Diskussionen sind ja geführt worden bei Schließung der Geburtenabteilung in Waidhofen. Aber gerade an dem Beispiel hat man sofort gesehen, was passiert, wenn man eine Minireform einleitet und sagt: Von den Geburtenzahlen her seid ihr überhaupt nicht mehr dort, wo man auch qualitätsmäßig hin muss. Dann gibt‘s Bürgerinitiativen, Parteianträge, Landtagssondersitzungen und, und, und, und, und, und von A bis Z.
Man muss sich also entscheiden, und wenn die Politik sich heute entscheidet, wir wollen für jedermann jederzeit greifbar das volle Angebot haben, dann muss man das auch zahlen. Jetzt sagt man: Wir können uns das zwar nimmer leisten, aber wir tun als ob.
Auch Entscheidungen, die ewig anstehen und nicht getroffen werden: Das weckt Unzufriedenheit. Ganz abgesehen von dem täglichen Druck, wenn man weiß, wir schaffen unsere Pausen kaum mehr. Wenn wir die Neurologie hier im Haus zum Beispiel anschauen, die ist immer proppenvoll. Wir haben immer 30 Betten, aber die Frage ist, wer liegt im Bett. Es gibt ja Neuro von A bis D, was an Diagnose verschiedene Aufwendungen bedeutet – und wir haben beinahe nur mehr die aufwendigsten.
Das ist auch ein Problem in den Heimen. Da gibt es ja bei den Landesheimen dieses Damoklesschwert des Vergleichs mit privaten Anbietern, die das viel günstiger machen als die Landesheime. Aber niemand sagt, dass der private Anbieter klar differenziert, wen er nimmt: Wer bringt mir nach Pflegestufen X wie viel, und wie viel Aufwand habe ich? Und die, die übrig bleiben, die bleiben dem, der sie nehmen muss, und das sind die öffentlichen Länderheime. Der Klassiker ist der demente Patient, der in der Pflegestufe relativ weit oben liegt, weil man sagt, der kann ja vieles, gerade was Körperpflege betrifft, selber machen, wenn er gut beieinander ist.
Das heißt, da bringt man wenige Zeiten zusammen, aber den halben Tag rennt man ihm hinterher, was Ressourcen ohne Ende bindet. Das hat natürlich auch mit berechtigten Dingen zu tun, weil man sagt: Patientenrechte sind vorrangig. Selbstverständlich. Aber es kann nicht sein, dass ich meine Haustüre nicht mehr zusperren darf.
Es gibt Konzepte wie in Holland das Demenzdorf. Das ist ein Kleinstädtchen, wo sie so Realität vorspiegeln. Dort gibt es Wohneinheiten mit allem Drum und Dran und wenn ein Bewohner das 15. Mal in den Supermarkt geht und dieselben Nudeln kauft, dann gibt es einen, der sie wieder zurückträgt. Aber da gibt es außen auch einen Zaun.

Ein Teil des Stresses scheint von der Bürokratie zu kommen. Übertreibt man da?

(Seufzt tief) Das ist eine schwierige Frage. Eine gute, fundierte Dokumentation halte ich für sehr, sehr wichtig. Die Frage ist nur: Wer macht‘s? Da haben wir zum Beispiel ein komplett schwieriges Tag-Nacht-Gefälle. Das heißt, am Tag gibt‘s Dokumentationsassistenten und, und, und, und, und. Und in der Nacht gibt‘s auf einmal eine Pflegekraft und die ist allein.
Jetzt gibt es Tendenzen, zu entbürokratisieren. Was bedeutet, ich trage vor Dienstende nach, was in der Nacht passiert ist, weil es einfach schneller ist, als wenn ich unmittelbar dokumentiere. Nur wenn man das Stunden später aufschreibt, gibt es ja ein Potenzial des Vergessens.
Jetzt hatten wir hier im Haus kürzlich ein Gerichtsurteil, wo es um eine Druckstelle gegangen ist, die zurückzuführen war auf eine Falte im Bettlaken. Die Patientin selber hat das gar nicht als so dramatisch gesehen, aber ihr Sohn ist sehr rechtskundig und ist vor Gericht gegangen – ich verstehe das auch.
Österreich braucht ja immer einen Schuldigen, und der Schuldige wurde gefunden in der Pflegeperson mit der Begründung: Weil nicht unmittelbar die Pflegehandlungen dokumentiert wurden, ist es nicht nachvollziehbar.
Das heißt, in jener Sitzung, wo ich Wochen vorher gebeten habe: „Bitte fahren wir das zurück“, und man das auch so gesehen hat, hat man dann gesagt: „Ab sofort gilt selbstverständlich die Order, unmittelbar zu dokumentieren.“ Warum? Damit man aus dieser Situation herauskommt. Und dort trennt sich die Spreu vom Weizen, denn jetzt ist die Frage: Was tun wir?

Ein anderes Thema, das für Unzufriedenheit sorgt, ist die Bezahlung. Wie gehen Sie damit um?

Es gibt jetzt die große Unzufriedenheit, die brauchen wir nicht wegdiskutieren. Die ist auch gut. Grundsätzlich glaube ich aber nicht, dass es zu hundert Prozent immer ums Geld geht. Das Geld ist vordergründig, weil man in andere Berufsgruppen derzeit viel Geld hineinpumpt und gleichzeitig die Arbeit von A nach B verlagert.
Das heißt, die Ärzte kriegen derzeit massiv mehr Geld, und trotzdem wird eine Tätigkeit, die früher Turnusärzte gemacht haben, in Richtung Pflege verlagert. Da gibt es die Meinung: Die einen kriegen das Geld, die anderen den Job. Da will man sich vom Kuchen einen Teil abschneiden. Berechtigt. Aber ich glaube auch, dass trotzdem ein großer Teil der Unzufriedenheit in anderen Dingen fußt, nämlich in mangelnden Ressourcen, mangelnder Wertschätzung.

Viele wollen auch gar keine Veränderung, weil sie auf die Überstunden angewiesen sind, da sie ihnen ein Mehr an Entlohnung bringen.

Es gibt neun Bundesländer und neun Gehaltsschemata. Und es gibt X Zulagen – wir sind in Österreich, das heißt, es gibt einen Grundlohn und Zulagen für dort und da und hin und her, für Sonntage, Nächte, Erschwernis, Verwaltung allgemein und was auch immer. Das ist ein Dschungel. Wir sind in meinem Wiener Büro daran, das vergleichbar und transparent zu machen: Wer kriegt denn jetzt wirklich was? Es gibt Bundesländer, da haben wir echt Handlungsbedarf, das ist überhaupt keine Frage. Und wir haben auch Bundesländer, wo wir eher im Ressourcenproblem sind als in der Bezahlung.
Wie stehen Sie zu den neu gegründeten Vereinen im Gesundheitsbereich?

Ganz klar: Es sind die Ängste, die Nöte und die Sorgen der Mitarbeiter ernst zu nehmen. Das heißt, wenn es so ist, dass es eine Reihe an Unzufriedenen gibt, die sagen: „Ich mache selber was“, dann ist hier der Dialog zu suchen. Schlecht ist es aber, wenn dadurch die Berufsgruppen auseinanderdividiert werden. Jetzt haben wir bei den nicht ärztlichen Berufsgruppen nicht nur die Pflege, das muss man einmal klar sagen.
Wenn sie sagen, dass sie irgendwann einen Dachverband gründen und alle drunter nehmen: Das ist ein hehrer Wunsch. Ich kann sagen – ich vertrete 33.000 Mitglieder in Österreich in den Gesundheitsberufen –, wie unterschiedlich die Ziele der einzelnen Gruppen sind und wie schwierig es ist, das alles unter einen Hut zu bringen.
Auch gibt es Leistungen, die ein Verein einfach nicht bringen kann. Es wird irgendwann einen Ersten geben, der in den Verein gegangen ist und eine Berufshaftpflicht in Anspruch nehmen möchte und einen Rechtsschutz braucht. Da wird sich dann die Spreu vom Weizen trennen. Sich hinauszustellen und zu sagen: „Die Arrivierten tun nichts, wir machen das viel besser“, ist als Sager relativ einfach. Aber man muss den Beweis antreten, es besser machen zu können. Weil mit den Dingen, mit denen wir kämpfen und über die wir schon geredet haben, also wie bringe ich die Pflege auf die Straße oder wie bringe ich sie zu einem Protest – die werden bei einem Verein auch nicht besser sein als bei uns.
Ich verstehe schon manches, das muss ich auch klar sagen. Manches hierarchisches Denken, das es immer noch gibt und viele Ressourcen und Zeit verbraucht auf gewerkschaftlicher Ebene: Das verstehe ich, dass das nicht gut ankommt. Da sind wir gefordert, etwas zu tun, das muss man klar sagen. Aber der ÖGB hat ganz klar davon Notiz genommen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Interview: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476324016471 "Das schaff ich nicht mehr, darum bleibt es liegen", gibt es nicht, hält Waldhör fest. Damit wird auch ein Arbeitskampf zur Herausforderung. Der Gewerkschafter mahnt: "Irgendwann werden es die Mitarbeiter schlicht und ergreifend nicht mehr aushalten." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313488 Das Prekariat zu Hause Wenn sie es sich aussuchen hätte können, hätte Ofelia K.* einen anderen Beruf ergriffen. Am liebsten hätte sie studiert, bloß ihr Vater sah nicht ein, wozu eine Frau studieren sollte. Hochzeit und Kind folgten auf die Volljährigkeit. Heute ist sie Alleinerzieherin und tut alles, um wenigstens ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Ihre fröhliche Art hilft ihr dabei, die oft schwierigen Situationen in der Arbeit zu meistern.
Ofelia K. weiß viel von ihren Kolleginnen zu erzählen, denn sie ist gut mit anderen Pflegerinnen vernetzt. Eine Kollegin etwa betreut einen Mann, der in einem abgelegenen Ort in einem noch abgelegeneren Haus lebt. Zur Isolation kommen immer wieder schwierige Situationen mit der Familie. Was Ofelia K. von ihren eigenen Berufserfahrungen sowie aus den Erzählungen ihrer Kolleginnen zu berichten weiß, ähnelt dem, was auch in der Studie „Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten“ nachzulesen ist. Darin wird die „24-Stunden-Pflege“ als „grauer Bereich“ bezeichnet – und ein solcher ist sie in der Tat.

Das vielzitierte Mädchen für alles: Als solches erleben sich die Pflegerinnen, die für die Studie befragt wurden. Damit einher geht oftmals ein Mangel an Respekt von Seiten der Angehörigen, die „sie in erster Linie als Reinigungskräfte und Hausbetreuer“ ansehen. Dabei umfasst ihre Tätigkeit so viel mehr: Sie sind oftmals die einzigen Ansprechpartnerinnen der zu Pflegenden, Animateurinnen, Gesundheitsberaterinnen, und sie erfüllen bisweilen auch psychotherapeutische Funktionen für die zu Pflegenden oder die Angehörigen. Die Freizeit kommt oftmals zu kurz, Pausen können viele nicht nehmen. „Vor allem bei Klientinnen mit nächtlichem Betreuungsbedarf erfüllt der Begriff 24-Stunden-Pflege seine Bedeutung im wahrsten Sinne des Wortes“, heißt es in der Studie. Meist haben sie noch dazu eine weite Anfahrt – und auch diese geht oft auf Kosten der Freizeit.

Besonders problematisch erscheint, dass sich ausgerechnet Menschen, die einer so herausfordernden Tätigkeit wie der Betreuung von Pflegebedürftigen nachgehen, kaum formal weiterbilden. Ein Hintergrund dafür dürften die engen Zeit- und Geldressourcen sein. „Alle interviewten Personenbetreuerinnen gaben an, dass sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten hauptsächlich durch Erfahrung in der täglichen Praxis weiterentwickeln“, halten die StudienautorInnen fest. Es liege in der Natur der 24-Stunden-Betreuung, dass man „ins kalte Wasser“ geworfen werde, so die Pflegerinnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie sich gar nicht weiterbilden. Vielmehr hängt es von der Eigeninitiative der Person selbst ab.

Das Fazit der Studie: Die 24-Stunden-Pflege bleibt „in ihrer jetzigen und trotz der bestehenden rechtlichen Regelungen in Österreich ein prekäres Konstrukt in Bezug auf Arbeitsbedingungen und die Qualität der Pflege“. Gerade in der Pflege, könnte man annehmen, sollte all dies eine wichtige Rolle spielen, schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als das Wohlbefinden unserer betagten Familienangehörigen. Doch genau hier liegt wohl die zentrale offene Frage: Wie sollen sich die Betroffenen die Pflege zu Hause denn noch leisten können, wenn man am bestehenden System etwas verändert?
Die Studie hält fest: „Hinzu kommt, dass der ‚glückliche Fund‘ der 24-Stunden-Betreuung auf der Voraussetzung beruht, dass Arbeitslosigkeit und die Differenz zu in relativ nahe gelegenen Ländern Zentral- und Osteuropas erzielbaren Löhnen und Gehältern ein großes Reservoir an potentiellen Personenbetreuerinnen mit der Bereitschaft zur Migration geschaffen haben.“ Dass eben diese Lage ausgenutzt wird, stößt den Pflegerinnen sauer auf.
Für Pflegerin Ofelia K. beginnt demnächst der langersehnte Urlaub. Sie freut sich schon darauf, ihren Sohn wieder zu sehen. Man könnte nun nicht sagen, dass sie ihren Beruf nicht mag, ganz im Gegenteil. Sie hat ein Händchen für den Umgang mit älteren Menschen. Dennoch hätte sie gerne einen anderen Job, der weniger belastend ist und ihr mehr Geld einbringt.

* Name von der Redaktion geändert

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Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313485 Gefährdetes System Die hohe Qualität der Gesundheitsversorgung in Wien und Niederösterreich ist bereits gefährdet“: Es ist ein alarmierender Befund, zu dem eine Studie über die Situation der Beschäftigten in den beiden Bundesländern kommt. Die ArbeitnehmerInnen in den Gesundheitsberufen stehen unter massivem Druck. Ein „erheblicher Teil“ ist Burn-out-gefährdet.
Dies wiederum kann zu einem Teufelskreis führen: „Wenn ein Viertel der Beschäftigten bereits ausgebrannt oder von Burn-out akut bedroht ist, hat das negative Auswirkungen nicht nur auf die PatientInnen, sondern auch auf die anderen Beschäftigten, die die Arbeiten der nicht mehr voll Leistungsfähigen miterledigen müssen“, heißt es in der Studie.

Erstaunlich ist, dass nur wenige Beschäftigte Supervision in Anspruch nehmen. Aus Sicht der StudienautorInnen ist dies deshalb bedenklich, „weil Supervision ein Instrument des beruflichen Rückhalts (und des längerfristigen Schutzes vor Burn-out) ist, weil hier die notwendige Distanz zwischen Erlebnissen in der Arbeit (v. a. dem Umgang mit fremdem Leid und Sterben) und dem „eigenen Leben“ gewonnen werden kann“. Mindestens so erstaunlich ist, dass verhältnismäßig wenige Betriebe Maßnahmen zur Gesundheitsförderung anbieten, nämlich weniger als die Hälfte. Auch die kostenfreie Gesundenuntersuchung nehmen nur verhältnismäßig wenige ArbeitnehmerInnen in Anspruch.
Die Belastungen sind vielfältig (siehe auch „Gesundheitsarbeit macht krank“), nicht zuletzt die Arbeitszeit. Bemerkenswert ist, dass viele kein Problem mit langen Diensten haben, „weil ihnen diese lange zusammenhängende Freizeitblöcke (in der Regel jede Woche mehrere zusammenhängende freie Tage) ermöglichen und damit die Erholungsmöglichkeiten verbessern“. Auch die damit verbundene bessere Bezahlung spielt sicherlich eine Rolle. Dazu sei allerdings angemerkt, dass sich auch eine große Zahl eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit wünscht, und zwar auch wenn dies mit Einkommenseinbußen verbunden ist. „Das ‚wir können einfach nicht mehr‘ findet sich in vielen Interviews“, heißt es in der Studie. 

Die Studie enthält auch ein widersprüchliches Ergebnis: Einerseits sind die Beschäftigten trotz aller Belastungen mit ihrem eigenen Gesundheitszustand sehr zufrieden. Stellt man dieser Einschätzung aber die Anzahl der Krankenstandstage gegenüber, so zeigt sich: „Nur etwa ein Drittel der Befragten war im letzten Jahr kein einziges Mal im Krankenstand.“ Einen Erklärungsansatz sieht die Studie darin, dass Probleme gerade in den Gesundheitsberufen deshalb nicht benannt werden, weil sie als „Schwächen“ angesehen werden.
Das Fazit der Studie: „Man kann derzeit noch nicht von ‚Pflegenotstand‘ sprechen, aber die Befunde müssen ernst genommen werden, um die gute Qualität des Gesundheitssystems in Wien und Niederösterreich auch in den kommenden Jahren auf hohem Niveau erhalten zu können.“

Die Studie zum Download: tinyurl.com/hm9esv2

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Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313377 Coverstory: Bildung ist die beste Medizin Armut macht krank! Gesundheit ist eine Verteilungsfrage
Wer weniger Geld zur Verfügung hat, ist öfter krank: Diesen Zusammenhang belegt eine aktuelle Auswertung der Statistik Austria. Demnach ist es beispielsweise dreimal wahrscheinlicher, dass Frauen und Männer in der höchsten Einkommensstufe ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut einstufen als bei denjenigen mit der niedrigsten Einkommensstufe.
Wer weniger Geld hat, leidet öfter an Depressionen und chronischen Schmerzen, bei Frauen kommt hoher Blutdruck dazu. Riskantes Gesundheitsverhalten wie Rauchen und Übergewicht ist stärker verbreitet als bei Menschen mit hohen Einkommen. Schließlich sinkt auch die Wahrscheinlichkeit für körperliche Aktivitäten mit dem sinkenden Einkommen.
Wer also für gute Gesundheit der in Österreich lebenden Menschen sorgen will, muss sich demnach für mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit einsetzen, auf dass Gesundheit keine Frage des Geldes oder des Erbes bleibt.

„Ich glaub, wenn ma a Geld hat, fühlt ma sich sowieso besser und sicherer als wie wenn ma immer [überlegen muss,] kann ich ma das leisten oder nicht leisten. Alles wird zum Problem und des Problem wird dann wieder zum Problem.“ Dieses Zitat stammt aus einer Studie, in der die Armutskonferenz Lücken und Barrieren im österreichischen Gesundheitssystem aus der Sicht von Armutsbetroffenen aufspürt. Dass Geld einen Einfluss auf das Wohlbefinden von Menschen hat, steht außer Zweifel. Ebenso steht außer Frage, dass Armut krank macht.
„Mit sinkendem sozialen Status steigen die Krankheiten an, die untersten sozialen Schichten weisen die schwersten Krankheiten auf und sind gleichzeitig mit der geringsten Lebenserwartung ausgestattet“, heißt es in der Studie. Darin ist von einer „sozialen Stufenleiter“ die Rede: Je weiter Personen in der Einkommensstufe vorrücken, desto gesünder sind sie und desto länger leben sie auch. Es nimmt wenig Wunder, dass Armutsgefährdete stärker von psychischen Belastungen betroffen sind. Insgesamt haben Armutsgefährdete einen „dreimal schlechteren Gesundheitszustand“ als Haushalte mit hohen Einkommen, so die Armutskonferenz. Ebenso sind sie dreimal so oft von chronischen Krankheiten sowie starken Einschränkungen bei Alltagstätigkeiten betroffen.

Ungleiche Belastungen
Die Hintergründe erscheinen logisch: „Über Einkommen, Beruf und Bildungsabschlüsse vermitteln sich unterschiedliche Lebensbedingungen mit unterschiedlichen Wohnverhältnissen, Arbeitsplätzen und Erholungsräumen“, so die Armutskonferenz. Das bedeutet, dass die Alltagsbelastungen sehr ungleich verteilt sind, und zwar physische wie psychische. In der Studie wird dies folgendermaßen illustriert: „Schlechte Luft für Ärmere in Wohnungen an den Autorouten der Großstädte belastet den Organismus, genauso wie chronischer Stress in einem prekären wie unsicheren Alltag.“
Krankheit macht arm: Oftmals wird dem entgegengehalten, dass der Zusammenhang umgekehrt sei, dass nämlich Krankheit zu Armut führe. Da ist zweifellos etwas dran, ebenso aber eben an der umgekehrten Logik. Die Armutskonferenz gibt vier Faktoren an, die erklären, warum mangelnde finanzielle Ressourcen krank machen: Armutsgefährdete haben andere gesundheitliche Belastungen als diejenigen, die mehr Geld haben. Wer weniger finanzielle Ressourcen hat, hat zugleich weniger Ressourcen, um eine Krankheit zu bewältigen bzw. sich zu erholen. Auch die gesundheitliche Versorgung an sich ist ein Problem. Und die Menschen gehen anders mit dem Thema Gesundheit um.

Hand in Hand
Die NGO weist darauf hin, dass das eine das andere bedingt. „Stress durch finanziellen Druck und schlechte Wohnverhältnisse geht Hand in Hand mit einem geschwächten Krisenmanagement und hängt unmittelbar mit mangelnder Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten und einem ungesunden Lebensstil zusammen.“
Diese Problematik beschränkt sich allerdings bei weitem nicht nur auf die, die armutsgefährdet sind. Eine kürzlich publizierte Studie der Statistik Austria kommt zu dem Schluss, dass soziale Faktoren grundsätzlich einen „prägenden Einfluss“ auf die Gesundheit haben – also Bildungsstand, Erwerbsstatus und die Art der beruflichen Tätigkeit. Für die Studie wurden die Ergebnisse der österreichischen Gesundheitsbefragung aus dem Jahr 2014 analysiert.

Deutlich längere Lebenserwartung
Die Daten zeigen eindeutig, dass diejenigen, die eine höhere Bildung genossen haben, auch gesünder sind. Am krassesten ist der Unterschied bei der „gesunden Lebenserwartung“, also wie viele Jahre man bei guter Gesundheit lebt: Der Unterschied zwischen Männern und Frauen mit einem Abschluss einer höheren Schule und Pflichtschulabschluss beträgt 13,4 Jahre – erstere können mit rund 73 gesunden Jahren rechnen, letztere mit nicht einmal 60.
Auch der eigene Gesundheitszustand wird deutlich unterschiedlich bewertet: Formal höher gebildete Frauen beurteilen ihre Gesundheit zu 85 Prozent als sehr gut oder gut, bei Männern sind es 87 Prozent. Bei jenen mit Pflichtschulabschluss liegt der Prozentanteil bei 67 (Frauen) und 69 Prozent (Männer) gesundheitlich sehr gut oder gut.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen und Männer in der höchsten Einkommensstufe ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut einstufen, ist 3,2-mal beziehungsweise 3,1-mal höher als bei Frauen und Männern der niedrigsten Einkommensstufe. Sie leiden vermehrt an Depressionen und chronischen Schmerzen, bei Frauen kommt hoher Blutdruck dazu. Außerdem sind Rauchen und Übergewicht stärker verbreitet als bei Menschen mit hohen Einkommen. Schließlich sinkt auch die Wahrscheinlichkeit für körperliche Aktivitäten mit dem sinkenden Einkommen.

Risikoverhalten
Es ist wohl wenig überraschend, dass Arbeitslosigkeit ein größeres Krankheitsrisiko mit sich bringt: Um die 60 Prozent der Arbeitslosen schätzen ihre Gesundheit positiv ein, bei den Erwerbstätigen sind es hingegen fast 90 Prozent. Auch sind sie stärker von chronischen Krankheiten betroffen, weisen Risiken wie Rauchen und Übergewicht auf, nehmen Vorsorgeuntersuchungen etwa zur Früherkennung von Krebs weniger in Anspruch und lassen sich auch weniger oft impfen. Und Arbeitslose leiden besonders häufig unter Depressionen: Bei arbeitslosen Frauen erhöht sich das Risiko um den Faktor 5,4, bei Männern gar um 12,9 Prozent.
Und MigrantInnen? Am schlechtesten schätzen jene MigrantInnen ihre Gesundheit ein, deren Heimatländer nach 2004 der EU beigetreten sind. Auch Männer und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand deutlich seltener als sehr gut oder gut ein. Sie leiden häufiger an Depressionen, chronischen Kopfschmerzen sowie chronischen Kreuz- und Nackenschmerzen. Sie zeigen häufiger ein riskantes Gesundheitsverhalten als Menschen ohne Migrationshintergrund, und sie lassen sich weniger häufig impfen.
Die Studie zeigt aber nicht nur einen engen Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und der Gesundheit auf, sondern auch zwischen der Höhe des Einkommens und der Gesundheit. So schätzen 88 Prozent der einkommensstärksten Personen ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut ein und nur zwei Prozent als schlecht oder sehr schlecht.
Einkommensstark wird in dem Fall so definiert, dass man über mehr als 150 Prozent des Medianeinkommens verfügt. Am seltensten hingegen bewerten  einkommensschwache Frauen ihren Gesundheits-zustand als gut oder sehr gut, nämlich 60 Prozent derer mit einem Einkommen, das bei weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens liegt. Umgekehrt schätzen acht Prozent ihre eigene Gesundheit als schlecht ein.

Armutsbekämpfung als Prävention
„Armutsbekämpfung ist die beste Krankheitsprävention“, kommentierte Bernhard Achitz die Ergebnisse der Studie. Man müsse schon in den Kindergärten und Schulen ansetzen und Bewusstsein für ein gesünderes Leben schaffen, ebenso später am Arbeitsplatz.
„Prävention und Aufklärung muss dort ansetzen, wo man die Menschen erwischt: In den Kindergärten, Schulen und in den Betrieben“, so der leitende ÖGB-Sekretär. Achitz nimmt auch die Unternehmen in die Pflicht: „Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers muss viel weiter gehen als bisher. Nur so können teure chronische Krankheiten verhindert werden. Betriebliche Gesundheitsförderung muss zur Pflicht werden, statt wie derzeit nur freiwillige Leistung.“ Zusätzlich zu einem umfassenden Präventions- und Gesundheitsförderungsgesetz müssten Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung auch über Betriebs- beziehungsweise Dienstvereinbarung erzwingbar durchgesetzt werden können.
Ansetzen müsse man auch bei der Lehre: Lehrlingen wird viel zu wenig die Möglichkeit geboten, Sport zu betreiben und damit ein gesünderes Leben zu führen. „Es ist nicht einzusehen, dass es ausgerechnet an den Berufsschulen keine ‚Turnstunden‘ gibt“, kritisiert Achitz. Seine Forderung: Sportunterricht muss in den Fächerkanon an Berufsschulen integriert werden.

Mehr soziale Gerechtigkeit
Einmal mehr rächt es sich, dass Österreich eine Bildungsreform schuldig bleibt, die für mehr soziale Gerechtigkeit unter den SchülerInnen sorgt. Somit haben die Defizite im Bildungsbereich nicht nur schlechtere Einkommenschancen der betroffenen Kinder zur Folge, ja, das gefährdet sogar ihre Gesundheit. „Wir müssen daher die Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen verbessern – bei der Grundbildung, aber auch bei der Berufsbildung und bei der Höherbildung“, so Achitz.
Um dieser Ungleichheit bei der Gesundheit entgegenzuwirken, ist also nicht nur die Gesundheitspolitik gefragt. Vielmehr haben die gesamte Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit: Arme haben schlechtere Jobs, die gesundheitlich belastender sind. Sie müssen größere Angst haben, ihre Arbeitsplätze zu verlieren – eine psychische Belastung, die krank macht. Sie müssen in schlechteren Wohnungen leben. Sie können sich nicht gesund ernähren, weil sie sich das ganz einfach nicht leisten können. Bernhard Achitz dazu: „Daher besteht Gesundheitspolitik nicht nur aus Spitäler bauen. Sozialpolitik ist immer auch Gesundheitspolitik, denn Armutsbekämpfung ist die beste Krankheitsprävention.“

Richtige Arbeitsmarktpolitik
Bildung ist neben anderen sozialen Selektionskriterien der wesentliche Faktor für künftige Berufs- und Einkommenschancen. Je schlechter die Bildung, desto höher ist das Risiko, später einmal arbeitslos zu werden, und auch länger arbeitslos zu bleiben. Deshalb ist Bildung die beste Arbeitsmarktpolitik, und richtige Arbeitsmarktpolitik ist die beste Armutsvermeidungspolitik.

Linktipps:
Studie der Statistik Austria zu Einkommen und Gesundheit
www.statistik.at/web_de/presse/109625.html
Studie der Armutskonferenz zu Armut und Gesundheit
tinyurl.com/ja73uly

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313394 Es rächt sich, dass Österreich eine Bildungsreform schuldig bleibt, die für mehr soziale Gerechtigkeit unter den SchülerInnen sorgt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313414 Somit haben die Defizite im Bildungsbereich nicht nur schlechtere Einkommenschancen der betroffenen Kinder zur Folge, ja, sie gefährden sogar ihre Gesundheit. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313436 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313350 AK: Fortschritt statt Rückschritt Wirtschaftskammer und Industrie wünschen sich eine neue Flexibilisierung der Arbeitszeiten. „Solche Forderungen können keine Einbahnstraße sein“, sagt Rudi Kaske. Eine weitere Flexibilisierung darf nicht zu Lasten der ArbeitnehmerInnen gehen, hält der Präsident der Bundesarbeitskammer fest. Schon jetzt sind von den rund 250 Millionen Überstunden, die pro Jahr geleistet werden, rund 50 Millionen nicht bezahlt – viele davon deshalb, weil sie nicht aufgezeichnet werden. „Diese unvergüteten Überstunden entsprechen 30.000 Vollzeitarbeitsplätzen. Wer über Flexibilisierung reden will, der soll zunächst einmal über ordentliche Zeiterfassung reden“, sagt Kaske.

„Die Gewerkschaften haben in den Kollektivverträgen ausgezeichnete Branchenlösungen verhandelt“, meint Kaske. Daher werde schon jetzt in Österreich sehr flexibel gearbeitet. Einen nicht unbeträchtlichen Teil tragen dazu auch die vielen unvergüteten Mehr- und Überstunden bei, die schon jetzt geleistet werden und die ausschließlich den ArbeitgeberInnen zugutekommen. „Wahre Flexibilisierung ist allerdings etwas anderes als die in bestimmten Fällen bereits mögliche Zwölf-Stunden-Höchstarbeitszeit pro Tag und die 60-Stunden-Wochenarbeitszeit“, sagt AK-Präsident Kaske. Zu vermuten ist, dass es der ArbeitgeberInnenseite bei jeder weiteren Flexibilisierung nur darum geht, sich die Mehr- und Überstundenzuschläge zu ersparen. „Wir wollen Fortschritt, keinen Rückschritt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Gesundheit der Beschäftigten sind wichtige Parameter, wenn man über die Flexibilisierung der Arbeitszeiten spricht“, sagt Kaske. „Nur wer genügend Regenerationsphasen im Arbeitsleben hat, kann langfristig gesund bleiben und damit auch gute Arbeit verrichten.“

Lange Arbeitszeiten ohne Regenerationsphasen führen zu mehr Muskel- und Skeletterkrankungen, mehr psychischen Erkrankungen, mehr Arbeitsunfällen und damit auch zu mehr Ausfällen durch Krankenstände und Invaliditätspensionen. „Der bessere Weg wäre, die Arbeitszeit nicht zu erhöhen, sondern intelligent zu verteilen“, sagt Kaske. Denn die Studie „Arbeitszeiten in Österreich: Zwischen Wünschen und Realität“ zeigt, dass Vollzeitarbeitskräfte im Schnitt um eine Stunde und 48 Minuten pro Woche kürzer arbeiten wollen, Teilzeitarbeitskräfte aber um zwei Stunden und 42 Minuten länger pro Woche. „Im Saldo überwiegt also der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten“, sagt Kaske. 610.000 Menschen wollen ihre Arbeitszeit verringern, rund halb so viele sie erhöhen.
 
Infos unter: tinyurl.com/zlrdr3e

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Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313347 AK: Genug Spielraum für Lohnplus Die im Frühjahr 2015 eingesetzte konjunkturelle Erholung der österreichischen Wirtschaft hält weiter an: In den vergangenen Monaten hat sich das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um jeweils 0,3 bis 0,4 Prozent im Vergleich zum jeweiligen Vorquartal erhöht. „Dieser Zyklus wird seit Anfang des laufenden Jahres auch von den Konsumausgaben der privaten Haushalte gestützt. Dieser Stütze muss durch eine faire Lohnerhöhung bei den diesjährigen Kollektivvertragsverhandlungen Rechnung getragen werden“, fordert AK-Wirtschaftsexperte Markus Marterbauer.

Österreichs Industrie befindet sich in einem konjunkturellen Aufwärtstrend: Im ersten Halbjahr 2016 lag der Produktionsindex um 1,8 Prozent über dem Wert des Vorjahres. Damit hat sich die heimische Industrie tendenziell besser  entwickelt als diejenige in Deutschland. „Zudem zeigen die Frühindikatoren, dass der positive Trend anhält“, sagt Marterbauer. Zwar könnte die Verunsicherung durch die Brexit-Entscheidung im Herbst dämpfend wirken, die beginnende Erholung in den Schwellenländern sollte aber auch für die österreichische Industrieproduktion neue Impulse bringen.
Zudem hat sich eine Reihe von gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich verändert. Der Export stellt die langfristig am stärksten wachsende Nachfragekategorie in Österreich dar: Der Exportanteil am BIP hat sich von 33 Prozent im Jahr 1995 auf aktuell 55 Prozent erhöht. Positiv ist zudem, dass der günstige Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar anhält. Der Euro-Dollar-Kurs liegt um etwa zehn Prozent unter dem Wert von Mitte 2014. Der Rückgang der Energiepreise entlastet die Unternehmen seit 2014 erheblich. Die Zinskosten für Unternehmenskredite sind in den vergangenen zwei Jahren deutlich zurückgegangen. Und der außenwirtschaftliche Überschuss Österreichs wird heuer bereits etwa zehn Milliarden Euro (2,7 Prozent des BIP) ausmachen, Tendenz steigend.

„Kollektivvertragliche Lohn- und Gehaltserhöhungen sind also der gesamtwirtschaftlichen Lage durchaus angemessen. Sie ermöglichen eine Ausweitung der für die Konjunktur so wichtigen Konsumnachfrage und lassen den Unternehmen noch immer den Spielraum für Investitionen“, folgert Marterbauer.
 
Infos unter: tinyurl.com/zs5jduc

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Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313324 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Hier einige besonders lesens- und sehenswerte Beiträge:

  • Studie zeigt erstmals Crowdwork-Szene (Sylvia Kuba)
  • Bildung ist der Schlüssel (Rudi Kaske)
  • Hohe Schulkosten belasten die Eltern (Manuela Delapina und Andreas Kastner)
  • Videoblog: Warum steigende Vermögenskonzentration ein Problem für die Demokratie ist (Matthias Schnetzer)

Digitale Akkordarbeit unter der Lupe
Langsam ist allgemein bekannt, das „Krautwörk“ nichts mit der Landwirtschaft zu tun hat. Plattformen wie Clickwork, Upwork oder MyHammer werben mit günstigen Dienstleistungen, und das höchst erfolgreich. Aber bislang war so gut wie nichts bekannt über die Menschen, die für diese Plattformen arbeiten. Eine neue Studie bringt erstmals Fakten darüber ans Licht.
Obwohl nur zwei Prozent ihr Einkommen ausschließlich aus Crowdwork beziehen, macht diese Form der Tätigkeit für immerhin elf Prozent mehr als die Hälfte ihrer Einkünfte aus. Die Studie widerlegt auch das Vorurteil, dass Crowdwork ausschließlich eine Domäne der Jüngeren ist: Immerhin ein Drittel ist älter als 44 Jahre, zwölf Prozent sind sogar älter als 54.
Crowdwork ist kein kleines Phänomen mehr in Österreich. Es ist daher Zeit, über faire Spielregeln für CrowdworkerInnen zu reden, wie etwa Klarheit über den vertragsrechtlichen Status, das Recht auf Organisation für die CrowdworkerInnen und natürlich auch über faire Bezahlung.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/zjk7ymk

Demokratie statt Ein-Euro-Jobs
Wenn der Präsident der AK zur Blog-Feder greift, ist das Thema natürlich ein wichtiges. Es geht um nichts weniger als die Frage, wie aus AsylwerberInnen und MigrantInnen ein Teil der österreichischen Gesellschaft werden kann. Ein-Euro-Jobs sind dabei sicher nicht der richtige Weg, betont Kaske. Vielmehr geht es um die richtigen Qualifikationen, allen voran die Sprache. Deswegen sind Deutschkurse essenziell. Bedauerlich ist, dass die Ausbildungspflicht bis 18 nicht für AsylwerberInnen gilt. In der Lehrausbildung und bei der Anerkennung von vorhandenen Qualifikationen muss jedenfalls mehr getan werden. Aber vor allem: Kinder und Jugendliche, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, müssen das Rüstzeug bekommen, sich eine faktenbasierte Meinung zu bilden und diese im Rahmen der demokratischen Spielregeln einzubringen. Es braucht also eine fundierte Demokratie-Bildung und einen gemeinsamen Ethik-Unterricht für alle.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/gtod3ac

Gratis Schule, teure Schule
„Schulgeldfreiheit“ ist ein schönes Wort und zudem in Österreich gesetzlich verankert. Der Schulbesuch sollte daher für alle Kinder eigentlich kostenlos sein. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Bis zu 1.300 Euro müssen Wiener Eltern pro Kind an „versteckten Schulkosten“ tragen, wie die AK-ExpertInnen Manuela Delapina und Andreas Kastner darlegen.
Am stärksten ins Gewicht fallen die Kosten für mehrtägige Schulveranstaltungen, gefolgt von Nachhilfe, Beiträgen und Selbstbehalten sowie allgemeinen Schreibwaren und Materialien. Besucht ein Schulkind eine Ganztagsschule, kommen für die Eltern zusätzliche Kosten von durchschnittlich 1.695 Euro hinzu. Die Eltern fühlen sich deswegen finanziell stark belastet, ganz besonders betroffen sind sozial schlechter gestellte Familien. Es braucht daher ein Bündel von Maßnahmen, das hilft, diese Kosten sozial verträglich zu gestalten.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/grp4oya

Vergesst das Top-Prozent
In nur 130 Sekunden erklärt Matthias Schnetzer, warum die steigende Vermögenskonzentration ein Problem für die Gesellschaft ist. Denn in der Demokratie muss jede Stimme das gleiche Gewicht besitzen. Die Reichsten nutzen jedoch ihre Vermögen für gezielte Interessenpolitik, während die Ärmeren den Wahlurnen fernbleiben, weil sie sich von der Politik nicht mehr vertreten fühlen. Und längst ist es nicht mehr das reichste ein Prozent, sondern das reichste ein Promille der Bevölkerung, das den Rest der Bevölkerung abhängt. Eine winzige Gruppe bestimmt so über das Schicksal der ganzen Gesellschaft.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/zyex6kg

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Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313318 "Nicht zuletzt" ... Politik kann Gesundheit gefährden! Die große und weiter steigende Zahl der Arbeitslosen wird das Finanzierungsproblem verschärfen. Aber anstatt nach neuen Einnahmequellen zu suchen und/oder die „Finanzierung aus einer Hand“ anzustreben, wird von der Politik der Sparstift angesetzt – und das noch dazu am falschen Ende und mit industriellem Denken.

Suggerierte Qualität
Fast jede/r von uns kennt die Bilanzzahlen seines Arbeitgebers. Es wird gemessen und dokumentiert, es werden Leitlinien und Pläne erstellt. Wenn alle vorgegebenen Kriterien erfüllt sind, wird neben Effizienz auch Qualität suggeriert. Allein, es bleibt bei all diesen Vorgaben oft zu wenig Zeit: Wir sollen schneller reden, zuhören und handeln. Gleichzeitig aber sollen wir gute Medizin und Pflege gewährleisten. 
Echte Qualität bedeutet, dass wir die Pflege an die jeweilige Situation anpassen. Gute Pflege und Medizin kann nicht funktionieren, ohne dass die Pflegenden selbst Verantwortung übernehmen. Einfühlungsvermögen und zwischenmenschlicher Kontakt sind einfach nicht messbar, umso effektiver aber sind sie. Wir wollen die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wo und wann Zeit investiert wird. Der Dialog zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kann nicht durch „Dokus“ ersetzt werden. Schließlich haben wir es nicht mit souveränen KundInnen, sondern mit hilfesuchenden Menschen zu tun.

Die Arbeit an den Kranken billiger zu machen, wie es in der aktuellen Gesetzesnovelle festgeschrieben ist, ist kein guter Weg. Allen kritischen bis ablehnenden Stellungnahmen der Gewerkschaften, der Arbeiterkammer, der Ärztekammer oder auch privater Gesundheitsdienstleister zum Trotz wurde das „Personalkostendämpfungsprogramm“ im Sommer beschlossen. Da wird am falschen Ende gespart. Es führt schlichtweg kein Weg daran vorbei, Pflegefachkräfte in ausreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen. Dies macht einerseits die demografische Entwicklung notwendig, andererseits nehmen chronische Krankheiten und Mehrfacherkrankungen insbesondere bei älteren PatientInnen zu. Dazu kommt, dass Pflegekräfte bislang ärztliche Tätigkeiten übernehmen müssen.

In Österreich geht die Politik einen anderen Weg: In keinem anderen Land der Welt ist die Pflege dreigeteilt, doch genau da steuert das Gesundheitssystem hin. Ab 2024 wird die Ausbildung der Fachpflege an der Fachhochschule stattfinden. Das ist gut. Die neue Pflegefachassistenz steht nach zweijähriger Ausbildung ab 2018 zur Verfügung. Sie soll nach dem Willen der Politik die Mehrheit der Pflegedienstposten besetzen. Parallel dazu wird es weiterhin die einjährig ausgebildete Pflegeassistenz geben. Zu befürchten ist, dass es zu einem Verdrängungseffekt kommen wird: MitarbeiterInnen mit niedrigem Qualifikationsgrad sind billiger, in der Ausbildung und in der Arbeit.

Wirtschaftlicher Sachverstand
Gute Personalausstattung zu ignorieren und somit schlechte Arbeitsbedingungen und Überlastung auf allen Ausbildungsebenen in Kauf zu nehmen, kann dazu führen, dass sich immer weniger ÄrztInnen und PflegeexpertInnen für eine Tätigkeit in derart belasteten Einrichtungen bereitfinden. Die Politik hat die Verantwortung für die Rahmenbedingungen. Ökonomie kann uns helfen. Sie kann gute Pflege und Medizin ermöglichen, ohne beidem die Richtung vorzugeben. Wir brauchen einen vernünftigen Einsatz der Steuergelder, also wirtschaftlichen Sachverstand. In der Rechnung müssen nicht messbare Kriterien berücksichtigt werden, weil es nicht genügt, das Notwendige zu tun.
Kürzungen, Einsparungen und Qualitätsverluste können unsere Gesundheit gefährden – von MitarbeiterInnen und PatientInnen.

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Brigitte Adler, Vizepräsidentin der AK Niederösterreich und der Bundesarbeitskammer Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313312 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313272 Gegen Kaputtsparen Unser Sozialsystem kostet Geld, jeder Mensch muss im Laufe seines Lebens soziale Einrichtungen in Anspruch nehmen. Diese dürfen nicht kaputtgespart werden, sondern müssen ausgebaut werden. Deshalb haben BetriebsrätInnen des privaten Gesundheits- und Sozialbereichs mit 6.427 Metern den längsten Schal Österreichs für soziale Wärme gestrickt.

Lob allein reicht nicht
Ende September marschierten rund 600 TeilnehmerInnen aus allen Bundesländern mit dem Schal vor das Finanzministerium in der Wiener Innenstadt. Unzählige UnterstützerInnen aus dem privaten Sozial- und Gesundheitsbereich in ganz Österreich haben sich an der Aktion beteiligt. In vielen Einrichtungen haben auch die PatientInnen und KlientInnen mitgestrickt. „Es hilft nichts, wenn eure wertvolle Arbeit von allen Seiten in den höchsten Tönen gelobt wird“, so der Vorsitzende der Gewerkschaft vida, Gottfried Winkler. „Einkommen unter dem Durchschnitt, zu wenig Personal, unregelmäßige Arbeitszeiten, körperlich und psychisch hohe Belastung und ständig steigender Arbeitsdruck lösen sich dadurch nicht in Luft auf. Die rigide Sparpolitik in Ländern und Bund muss ein Ende haben, nur so können wir die Arbeitsbedingungen verbessern.“ Der Zugang zu flächendeckender qualitativer Gesundheitsversorgung, Pflege und Betreuung ist für ein gutes Leben von zentraler Bedeutung. In den kommenden Jahren stehen wir in diesem Bereich vor großen Herausforderungen. Es geht darum, durch entsprechende Anpassungen und zusätzliche Investitionen die Qualität der Leistungen zu verbessern und das Angebot vor allem im Bereich der Pflege und Betreuung auszubauen. Es gibt unter den einzelnen Bundesländern in der Leistungshöhe und -dichte große regionale Unterschiede.
Vida und die GPA-djp treten für die Übernahme von Pflege und Betreuung in die Bundeskompetenz ein. Die Bundespolitik muss einheitliche Standards auf hohem Niveau festlegen. Es dürfen keine Mindeststandards sein, sondern ein akzeptables Niveau an Leistungen soll zwingend vorgeschrieben werden.

Aktivierende Maßnahmen
GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian forderte zudem die Stärkung aktivierender Maßnahmen im Rahmen der bedarfsorientierten Mindestsicherung, mit dem Ziel, für Betroffene die existenzsichernde Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu erreichen, anstatt den Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse zu fördern: „Auch das fällt in die Kategorie ,mehr soziale Wärme‘ – es braucht klare Worte und einen engagierten Kampf gegen die Neiddebatte auf dem Rücken der Armen!“

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Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313280 Gestrickt wurde für soziale Wärme! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313291 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313258 Zahlen, Daten, Fakten Diesmal können Sie sich bei Zahlen, Daten, Fakten ein Bild machen über das österreichische Gesundheitssystem:

  • Öffentliche Gesundheitsausgaben
  • Verteilung der öffentlichen Gesundheitsausgaben 2014
  • Belastungen der Beschäftigten in den Gesundheitsberufen

Ist Gesundheit eine Frage des Geldes?

  • Einkommensschwache schätzen ihren Gesundheitszustand schlechter ein als Menschen mit höheren Einkommen
  • MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei schätzen ihre Gesundheit schlechter ein als andere

Alle Fakten wurden zusammengestellt von Sonja Fercher.
Alle Details dazu entnehmen Sie bitte den Downloads.

 

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SFS Research 2011; AK/ÖGB-Darstellung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313223 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313202 Zur Organisation mit einem PS Es waren Rotkreuzfahrer und ehemalige Kutscher unter den Spitalsbediensteten, die zuerst unter dem Pflegepersonal für den gewerkschaftlichen Zusammenschluss warben. 1910 bildete sich deshalb die erste Organisation im Rahmen der freien Gewerkschaft der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter (HTV), der vor allem Pflegerinnen des Allgemeinen Krankenhauses in Wien und Pfleger der böhmischen „Irrenanstalten“ angehörten.

Auch Anton Falle, der Obmann der neuen HTV-Sektion, hatte als Kutscher einer Bäckerei gearbeitet, bevor er eine Stelle als Pfleger in der „Irrenanstalt“ in Klagenfurt fand. Mit der ArbeiterInnenbewegung und der Gewerkschaft war er durch bereits organisierte Bäckergesellen in Berührung gekommen. Sie hatten ihn eingeladen, an ihren Diskussionen teilzunehmen, er hatte sich ihnen angeschlossen und schon als Brotausführer für die Gewerkschaftsmitgliedschaft geworben. Wegen seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit war er häufig Schikanen durch die Anstaltsverwaltung ausgesetzt und entging der Entlassung nur durch die Einberufung zum (mehrjährigen) Militärdienst. Danach ging er ganz in die Politik und wurde nach 1918 einer der profiliertesten Nationalratsabgeordneten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Er starb 1945 als Opfer des nationalsozialistischen Terrors im Konzentrationslager Dachau.

Doch zurück zu den Anfängen der gewerkschaftlichen Organisation des Pflegepersonals in der HTV-Gewerkschaft. In den Krankenhäusern waren damals neben männlichen Pflegern schon in erster Linie Krankenschwestern im Einsatz. Das HTV-Fachblatt hob aus Anlass der Sektionsgründung ihre bedrückenden Arbeits- und Gehaltsbedingungen hervor, die durch die neue gemeinsame Interessenvertretung ein Ende haben sollten:
Der Organisationsgedanke, als der einzige und wahre Retter des Arbeiterstandes aus der ihn heute so vielfach umgebenden Not und Bedrückung, greift immer mächtiger um sich. … Nach den Hausarbeitern und -Arbeiterinnen der Wiener Spitäler kommen nunmehr auch die Pflegerinnen, um sich eine Organisation zu errichten, die ihnen ein Hort, eine Zuflucht wäre. Denn es ist um den Beruf dieser Samariterinnen lange nicht so gesorgt … wie man es eigentlich bei dieser aufopferungsvollen Beschäftigung voraussetzen sollte. Die Geduld der Pflegerinnen ist zwar eine große, sie kann jedoch beim besten Willen nicht so groß sein, dass sie in ihrer gegenwärtigen Lage die Hände in den Schoß legen und ruhig zusehen könnten, wie sich ihre Verhältnisse immer mehr verschlimmern.

Der Erste Weltkrieg brachte für die „Bediensteten in Kranken-, Heil-, Pflege- und Siechenanstalten“ zusätzliche körperliche und seelische Belastungen. Die Gewerkschaft forderte 1917 für die Krankenschwestern neben zumutbaren Arbeitszeiten auch endlich die vollständige Beseitigung des noch immer bestehenden Eheverbots. Zu Beginn der demokratischen Republik entstand dann auch ein christlicher „Verband der Krankenpfleger“, während sich parallel dazu jetzt eine eigne freie Gewerkschaft des Krankenpflegepersonals bildete.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313196 Obwohl es schon Autos gab, setzte das Rote Kreuz, wie hier in der oberösterreichischen Bezirksstadt Eferding, noch bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs Pferdekutschen als Krankenwagen ein. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 14 Oct 2016 00:00:00 +0200 1476042313178 Standpunkt | Gesundheit: Nur für Wohlhabende? „An apple a day keeps the doctor away – wenn man gut zielen kann“, soll Winston Churchill einst gesagt haben. Nun soll der Verzehr von Obst nicht gering geredet werden, immerhin ist eine ausgewogene Ernährung einer von vielen Faktoren, die zur Gesundheit von Menschen beitragen. Und wenn schon alle Prävention nicht hilft, so beruft man sich in Österreich gerne darauf, das beste Gesundheitssystem der Welt zu haben. So schön diese Vorstellung ist, so sehr entpuppt sie sich bei genauerem Hinsehen als Illusion.

Auf Kosten der eigenen Gesundheit
So gut das System auch sein mag, es geht immer mehr auf Kosten jener Menschen, die für die Genesung der Kranken sorgen. Diese Aufgabe nehmen sie ernst, so ernst sogar, dass es auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit geht. Großer Druck, weniger Ressourcen, mehr Arbeit: Was allen Beschäftigten mehr als bekannt ist, ist bei den Angehörigen der Gesundheitsberufe umso problematischer. Immerhin kann es bei ihrer Tätigkeit im wahrsten Sinne des Wortes um Leben oder Tod gehen. Eine Studie im Auftrag der AK schlägt Alarm: Die hohe Qualität der Gesundheitsversorgung in Wien und Niederösterreich sei bereits gefährdet. Das Fazit: Dieser Bereich braucht dringend zusätzliche Ressourcen.

Das leidige Thema Geld also. Es wird noch leidiger, wenn man noch einen anderen Aspekt betrachtet: Die Verteilung. Denn so gerne sich Österreich als gerechtes Land wahrnimmt, so wenig trifft dies auf die Gesundheit zu. Wer mehr verdient, der oder die ist auch gesünder. Es ist also eine Frage des Geldes, ob man sich die gute Gesundheit leisten kann.
Einmal mehr entpuppt sich das Bildungssystem als Schlüssel. Denn leider wird in Österreich Bildung sehr stark weitervererbt. Wenn die Eltern in den Genuss höherer Bildung kommen, setzt sich das bei den Kindern fort. Bessere Bildung wiederum führt durchschnittlich zu einem besseren Einkommen. Eben diese soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems findet im Gesundheitssystem ihre Fortsetzung, weshalb auch Gesundheit oder Krankheit „weitervererbt“ werden. Die Schule sozial gerechter zu machen, würde also auch auf anderen Ebenen mehr Gerechtigkeit bringen. Leider aber gehen viele politische Verantwortliche nach dem Motto „Augen zu, Ohren zu“ mit diesem Thema um.
Augen zu, Ohren zu: Das scheint auch das Motto bei einem anderen Thema zu sein, der Pflege von älteren Menschen nämlich. Im Moment wird diese Dank vieler Frauen bewältigt, die aus süd- und osteuropäischen Ländern kommen. Über kurz oder lang wird sich dieses System nicht aufrechterhalten lassen – und schon jetzt erscheint es sehr problematisch. Man hat sich arrangiert: Weil man diesen Frauen weniger zahlen kann, scheint niemand ein Interesse daran zu haben, den Bereich zu professionalisieren. Dies hat zur Folge, dass die Pflegerinnen in sehr problematische Abhängigkeitsverhältnisse geraten können, sei es in den Familien selbst, sei es in Bezug auf die Agenturen, die sie vermitteln. Zugleich akzeptiert man im Moment, dass in einer Branche Scheinselbstständigkeit zum Alltag gehört.

Wir müssen übers Geld reden!
Wie man es dreht und wendet: Wenn Österreich seinem eigenen Anspruch gerecht werden möchte, ein gerechtes Land zu sein, muss sich dringend etwas ändern. Dazu gehört auch, dass wir uns ernsthaft über Erbschafts- und Vermögenssteuern unterhalten müssen. Denn dass ausgerechnet die Einkünfte aus diesen Quellen, die an sich schon äußerst ungerecht sind, nicht besteuert sind, kann sich Österreich schlichtweg nicht mehr leisten. Schon gar nicht ist es akzeptabel, dass ausgerechnet Vermögende von einem Sozialstaat profitieren, der von denjenigen finanziert wird, die in diesem Land etwas leisten, seien sie Arbeitgeber oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 8/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829626 Enzyklopädie der Migration und Integration Arbeits- und Aufenthaltsberechtigung:
Früher gab es zwei unterschiedliche Berechtigungen: für den Aufenthalt und für die Arbeit. Bedingt durch EU-Recht (die sogenannte „Single Permit“-Richtlinie) darf dies in der Regel nicht mehr sein.
Das bedeutet aber leider nicht, dass mit jedem Aufenthaltstitel automatisch ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden wäre.
Vielmehr müssen das Aufenthaltsrecht und die Möglichkeit des Zugangs zum Arbeitsmarkt in einem Dokument geregelt werden. Von dieser Regel gibt es aber Ausnahmen: AsylwerberInnen und StudentInnen z. B benötigen zur Arbeitsaufnahme eine Beschäftigungsbewilligung.

Arbeitsmarktprüfung:
Als Arbeitsmarktprüfung wird ein Verfahren bezeichnet, in dem geprüft wird, ob eine konkrete Arbeitsstelle mit einem/einer ArbeitnehmerIn besetzt werden kann, der/die bereits unmittelbar Zugang zum Arbeitsmarkt in Österreich hat (ÖsterreicherIn, EWR-BürgerIn, vielfach niedergelassene/r Drittstaatsangehörige/r).
Erst wenn die Prüfung ergibt, dass dem nicht so ist, wird eine Arbeitsaufnahme (z. B. mit Beschäftigungsbewilligung möglich) oder ein Aufenthaltstitel (etwa „Rot-Weiß-Rot-Karte“) erteilt.

Aufenthaltsbewilligung für Studierende:
StudentInnen aus Drittstaaten können in Österreich eine Aufenthaltsbewilligung bekommen, wenn sie zum betreffenden Studium zugelassen sind.
Für die Verlängerung müssen sie einen Studienerfolg nachweisen.
StudentInnen im Bachelor-Studium (oder ersten Abschnitt eines Diplomstudiums) dürfen zehn Stunden pro Woche arbeiten, Master-StudentInnen bzw. Studierende im zweiten Abschnitt dürfen 20 Stunden pro Woche erwerbstätig sein.
Sie benötigen dafür zwar eine Beschäftigungsbewilligung, diese kann aber ohne Arbeitsmarktprüfung erteilt werden.
AbsolventInnen eines Master-Studiums können unter erleichterten Bedingungen eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ erhalten.

Aufenthaltstitel:
Personen, die nicht EWR-BürgerInnen sind, benötigen für den Aufenthalt in Österreich einen Aufenthaltstitel.
Ein solcher Titel ist von vielen Voraussetzungen (z. B. ➤ finanzielle Mittel, teilweise ➤ Deutschkenntnisse) abhängig.
Aufenthaltstitel werden nur für einen bestimmten Zweck erteilt, z. B. qualifizierte Arbeitsmigration, Familienzusammenführung, Ausbildung. Eine Zuwanderung nach Österreich, losgelöst von einem bestimmten Zweck, ist nicht möglich.

Beschäftigungsbewilligung:
In den meisten Fällen ergibt sich die Arbeitsberechtigung unmittelbar aus dem jeweiligen Aufenthaltsrecht (siehe ➤ Arbeits- und Aufenthaltsberechtigung).
Bei einigen Aufenthaltszwecken sind aber verschiedene Dokumente für Arbeits- und Aufenthaltsberechtigung noch erlaubt: So benötigen AsylwerberInnen bzw. StudentInnen eine Beschäftigungsbewilligung. Auch kroatische StaatsbürgerInnen, auf die noch Übergangsfristen anwendbar sind, benötigen eine solche.
Eine Beschäftigungsbewilligung wird den Arbeitgebern erteilt und gilt nur für einen bestimmten Arbeitsplatz in einem bestimmten Betrieb. Meist ist einer Beschäftigungsbewilligung eine ➤ Arbeitsmarktprüfung vorgeschaltet.

Blaue Karte EU:
Die „Blaue Karte“ ist wie die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ ein Aufenthaltstitel, der hochqualifizierten Personen zur Arbeitsaufnahme erteilt wird.
Die Grundlage ist die „Blue Card“-Richtlinie der EU. Das dafür notwendige Mindestentgelt ist sehr hoch (im Jahr 2016 deutlich über 4.000 Euro im Monat), sodass dieser Aufenthaltstitel in der Praxis kaum Bedeutung hat: Im Jahr 2015 wurde er 121 Personen erteilt.
Aktuell gibt es einen Entwurf der EU-Kommission zur Neufassung der Richtlinie: Neben der radikalen Absenkung des Mindestentgelts sollen auch parallele nationale Systeme verboten werden. Das wiederum würde bedeuten, dass das „Rot-Weiß-Rot-Karten“-Modell nicht aufrechterhalten werden könnte.

Brexit:
In einem Referendum haben die StaatsbürgerInnen des Vereinigten Königreichs für einen Austritt aus der EU gestimmt.
Das Verfahren (derzeit ist noch nicht einmal das förmliche Austrittsschreiben abgeschickt) kann mehrere Jahre dauern, dabei muss auch das zukünftige Verhältnis bezüglich der ArbeitnehmerInnen aus dem UK in der EU und vice versa geklärt werden. Es ist aber zu früh, um dazu konkrete Aussagen zu treffen.

Daueraufenthalt – EU:
Nach fünf Jahren Niederlassung können MigrantInnen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erwerben, wenn sie Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen vorweisen können.
Mit dem Titel „Daueraufenthalt – EU“ haben diese Personen Zugang zum kommunalen Wohnbau (Gemeindewohnung) und können im Bedarfsfall Mindestsicherung beziehen.

Deutschkenntnisse:
Das österreichische Aufenthaltsrecht kennt unterschiedliche Anforderungen an Kenntnisse der deutschen Sprache: Für bestimmte Aufenthaltstitel müssen Deutschkenntnisse auf Niveau A1 des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen bereits bei Antragsstellung vorliegen.
Das ist weitgehend eine Schikane für den Familiennachzug, da sonst kaum jemand diese Anforderung erfüllen muss.
Zwei Jahre nach Zuwanderung müssen zwingend Deutschkenntnisse auf Niveau A2 vorliegen, sonst ist eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts nur in besonders gelagerten Fällen möglich.
Für einen unbefristeten Aufenthaltstitel muss ein Zeugnis über das Niveau B1 vorhanden sein (➤ Integrationsvereinbarung).

Familienzusammenführung:
Wenn Drittstaatsangehörige in Österreich niedergelassen sind, können EhegattInnen und unverheiratete, minderjährige Kinder nachziehen.
Die Voraussetzungen sind aber oft schwierig zu erfüllen: So benötigt eine vierköpfige Familie etwa 2.000 Euro, damit Aufenthaltstitel erteilt bzw. verlängert werden können, meist sind Deutschkenntnisse bereits bei Erstantragstellung nötig, teilweise ist der Nachzug quotenmäßig beschränkt. 

Finanzielle Mittel:
Für die Ersterteilung, aber auch für die Verlängerung von Aufenthaltstiteln müssen Drittstaatsangehörige ausreichend finanzielle Mittel vorweisen.
Diese Unterhaltsmittel müssen in Höhe der sogenannten Ausgleichszulagenrichtsätze vorhanden sein.
Das ist in der Praxis eines der wichtigsten Probleme im Aufenthaltsrecht: Eine vierköpfige Familie benötigt, abhängig von den Wohnkosten, in der Regel etwa 2.000 Euro netto im Monat.

Freizügigkeit in der EU:
EWR-BürgerInnen (= EU plus Island, Liechtenstein und Norwegen) und SchweizerInnen genießen Personenfreizügigkeit: Sie dürfen sich drei Monate in einem anderen EWR-Staat (Schweiz) aufhalten.
Ein weiteres Aufenthaltsrecht besteht auch für EWR-BürgerInnen und deren Familienangehörige nur, wenn sie erwerbstätig sind oder Geld und Krankenversicherung vorweisen können.

Gleichbehandlungspflicht:
Sowohl in als auch außerhalb der Arbeitswelt gibt es Regeln, die eine Diskriminierung aus ethnischen Gründen verbieten.
So ist es z. B. nicht zulässig, wenn MigrantInnen allein aufgrund ihrer Herkunft einen Arbeitsplatz nicht erhalten. Eine Rechtsdurchsetzung kann aber im Einzelfall schwierig sein.

Integrationsvereinbarung:
Die Integrationsvereinbarung (IV) müssen Drittstaatsangehörige erfüllen, wenn sie sich längerfristig in Österreich aufhalten wollen. Sie müssen bestimmte Deutschkenntnisse nachweisen.
Die IV setzt sich aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen zusammen. Bei bestimmten Aufenthaltstiteln muss das Modul 1 innerhalb von zwei Jahren erfüllt werden.
Ziel ist eine vertiefte elementare Sprachverwendung (Sprachkenntnisse auf A2-Niveau).
Die Erfüllung von Modul 2 ist Voraussetzung für den Erhalt eines Daueraufenthaltsrechts sowie der Staatsbürgerschaft. Es dient dem Erwerb von Kenntnissen zur selbstständigen Sprachverwendung (B1).

Mangelberuf:
Der/die BundesministerIn für Arbeit und Soziales legt in Einvernehmen mit dem Wirtschaftsministerium jährlich eine Liste mit Mangelberufen per Verordnung fest.
Welche Berufe in die Liste aufgenommen werden, hängt von der Entwicklung des Arbeitsmarktes ab.
Im Jahr 2016 waren darin enthalten: FräserInnen DreherInnen, Maschinenbau- und StarkstromtechnikerInnen mit höherer Ausbildung (Ing.) oder Diplom, diplomierte KrankenpflegerInnen mit abgeschlossener Nostrifikation.

Mindestentgelt:
Die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ sieht für die verschiedenen Kategorien ein bestimmtes Mindestentgelt vor.
Für 2016 gilt: Schlüsselkräfte über 30 müssen 2.916 Euro brutto pro Monat zuzüglich Sonderzahlungen verdienen, sind sie unter 30, sind es 2.430 Euro brutto pro Monat zuzüglich Sonderzahlungen.
Fachkräfte in Mangelberufen müssen entsprechend Kollektivvertrag bezahlt werden. Ist im jeweiligen Betrieb eine Überzahlung üblich, so muss sie auch diesen ArbeitnehmerInnen gewährt werden.
Bei Hochqualifizierten muss das Gehalt „angemessen“ sein. Bei AbsolventInnen von österreichischen Universitäten beträgt das Mindestentgelt 2.187 Euro.

Mindestsicherung:
Drittstaatsangehörige mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ müssen Mindestsicherung erhalten können.
Gleiches gilt für anerkannte Flüchtlinge: Es ist schlicht rechtswidrig, wenn diese Personengruppe geringere Leistungen erhalten soll.
Bei subsidiär Schutzberechtigten darf die Sozialhilfe auf „Kernleistungen“ eingeschränkt werden, im Einzelnen ist leider rechtlich nicht geklärt, welche Leistungen diese Gruppe nun wirklich mindestens erhalten muss.

Notverordnung:
Seit Juni 2016 gibt es im Asylgesetz eine Bestimmung, die es der Regierung ermöglicht, bei einer „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ eine Verordnung zu verabschieden, die die Behandlung von Asylanträgen drastisch einschränkt.
Eine solche Verordnung wäre ein offener Bruch von Europarecht. Regierung und Gesetzgeber berufen sich auf eine Klausel im EU-Vertrag [Art. 72 AEUV], die ein solches Vorgehen angeblich rechtfertigen kann.
Hier sind aber Zweifel angebracht, vermutlich wird erst der EuGH die EU-Rechtskonformität prüfen. Abgesehen davon ist nicht zu verstehen, wo in Österreich ein solcher gravierender Notstand herrschen sollte. 

Punktesystem:
Um die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ zu bekommen, muss eine gewisse Punkteanzahl erreicht werden. Punkte erhält man für erworbene Qualifikationen, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse sowie Alter.

Rot-Weiß-Rot-Karte:
Eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ ist ein Aufenthaltstitel, der zur qualifizierten Arbeitsmigration erteilt wird. Es gibt drei Säulen dieser Regelung: besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte in ➤ Mangelberufen und sonstige ➤ Schlüsselarbeitskräfte.
Dazu kommt ein erleichterter Zugang für AbsolventInnen österreichischer Universitäten.
Im Jahr 2015 wurden insgesamt 1.181 „Rot-Weiß-Rot-Karten“ erteilt. Zum Vergleich die Zuwanderung gesamt nach Österreich im Jahr 2015: 214.410.

Schlüsselarbeitskraft:
Findet ein Unternehmen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierte Arbeitskraft, können Drittstaatsangehörige für diese Jobs eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ beantragen.

(Touristen-)Visum:
Ein solches Visum kann für einen kurzfristigen Besuch (höchstens drei Monate) im Schengenraum erteilt werden.
Eine Arbeitsmöglichkeit mit einem solchen Visum besteht in der Regel nicht, eine Ausnahme davon ist insbesondere Saisonarbeit.
Es gibt noch andere Visa (z. B. „Visum D“), die für bis zu sechs Monate gültig sein können, aber räumlich nur für Österreich gelten.  

Übergangsbestimmungen mit Kroatien:
Kroatien ist am 1.7.2013 der EU beigetreten. Für bis zu sieben Jahre (also bis längstens 2020) nach dem Beitritt gibt es für die Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit noch Übergangfristen, diese Personen benötigen daher zur Arbeitsaufnahme eine Beschäftigungsbewilligung.
Nach einem Jahr Arbeit erlangen sie „Freizügigkeit“ auf dem Arbeitsmarkt und dürfen ohne weitere Bewilligung arbeiten.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor johannes.peyrl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Johannes Peyrl, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829620 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829611 Mitbestimmung nur mit Pass Sie leben und arbeiten hier, zahlen wie alle anderen Steuern und Sozialabgaben und halten sich an die Regeln. Doch eines dürfen Menschen ohne österreichischen Pass nicht: darüber mitbestimmen, welche Regeln für sie gelten und wie die Mittel verwendet werden, die auch sie zum Budget beitragen. Und das trifft sogar auf ihre Kinder zu, selbst wenn diese hier geboren sind. MigrantInnen werden in Österreich in einem hohen Maße von demokratischen Prozessen ausgeschlossen.
Geschätzt wird, dass im Jahr 2015 ganze 450.000 Drittstaatsangehörige über 15 Jahre kein Wahlrecht hatten. In Wien ist die Lage sogar noch krasser. Die einzige Großstadt Österreichs repräsentiert immerhin ein Fünftel der Bevölkerung und beheimatet 40 Prozent der AusländerInnen dieses Landes. Aktuelle Berechnungen von Ramon Bauer vom Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vor den Landtagswahlen im Oktober 2015 zeigten auf, dass ein Viertel aller WienerInnen kein Wahlrecht hatte, das waren ca. 385.000 Personen.

Österreich hinkt hinterher
Im politischen und öffentlichen Diskurs wird Integration von MigrantInnen häufig mit dem Arbeitsmarkt in Zusammenhang gebracht. Selten jedoch wird die Integration mit politischer Partizipation verknüpft. Diese ist aber ein wichtiger Baustein. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft wird in Österreich zwar als „Vollendung“ der möglichen Integration gesehen. Der Weg bis zur Staatsbürgerschaft gestaltet sich aber als sehr schwierig. Damit werden nicht eingebürgerte zugewanderte Bevölkerungsgruppen von demokratischen und politischen Prozessen und Rechten ausgeschlossen – und zwar stärker als in anderen Ländern. Das zeigt auch der Migrant Integration Policy Index (MIPEX 2015), ein Ländervergleich von Integrationspolitiken. 
Seit 2007 hat sich der allgemeine MIPEX-Wert für Österreich um acht auf nunmehr 50 von 100 Punkten verbessert. Positive Entwicklungen hat es in erster Linie durch zielgerichtete Initiativen zur Förderung der Arbeitsmarktmobilität gegeben. Österreich liegt somit auf Platz von 20 von den 38 untersuchten Ländern. Am besten wurde die Integrationspolitik in Schweden (mit 78 Punkten) und Portugal (mit 75 Punkten) bewertet.
Bei der politischen Partizipation liegt Österreich auf Platz 21, bei den Einbürgerungsmöglichkeiten gar nur auf Platz 34. Eine Erklärung sind die erforderlichen langen Aufenthaltsdauern. Eine Einbürgerung ist in Österreich in der Regel erst nach zehn Jahren möglich. Nur in Ausnahmefällen kann der Antrag nach sechs Jahren gestellt werden. In 13 MIPEX-Staaten sind fünf Jahre üblich, sieben Jahre sind der Durchschnitt.
Zudem gibt es hohe Anforderungen bei den Sprachkenntnissen (B1) und beim notwendigen Einkommen. So muss man dauerhaft über ein Einkommen verfügen, das über dem Ausgleichzulagenrichtsatz liegt, Belastungen wie Kredite oder Unterhaltszahlungen werden noch hinzugerechnet. Keinesfalls darf man die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen. Das niedrige Haushaltseinkommen von MigrantInnen hindert daher einen beträchtlichen Teil der Drittstaatsangehörigen am Erwerb der Staatsbürgerschaft. Frauen sind dabei noch einmal stärker benachteiligt: Ihre regelmäßigen Einkommen sind trotz Vollzeitbeschäftigung dermaßen niedrig, dass sie de facto von der Möglichkeit der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sind. Allerdings wird dies genauso wenig als „unverschuldete Notlage“ berücksichtigt wie Lücken in den Erwerbsbiografien von Frauen (Schwangerschaft und Kinderbetreuung). Dadurch sind Frauen mit Migrationshintergrund einer strukturellen Diskriminierung ausgesetzt. Kurzum: Niedriges Einkommen führt zum Ausschluss von demokratischen Rechten.

Höchste Gebühren
Zudem verlangt Österreich neben der Schweiz die höchsten Gebühren für den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass in Österreich geborene Kinder kein Recht auf Einbürgerung haben. Dies ist in der Mehrheit der MIPEX-Staaten anders, z. B. in Deutschland und zuletzt in Tschechien und Dänemark. Problematisch ist dabei nicht nur, dass ihnen die Rechte an politischer Mitbestimmung genommen werden, sondern ihnen wird auch von klein auf vermittelt, dass sie nicht Teil der österreichischen Gesellschaft sind. Das bestärkt ganz besonders das Gefühl des „Nichtdazugehörens“.
Zudem gibt es kein Recht, die bisherige Staatsbürgerschaft zu behalten, wenn man die österreichische erwirbt. Dies würde nach internationalen Erfahrungen die Einbürgerungsrate erhöhen. 25 MIPEX-Staaten akzeptieren inzwischen generell die doppelte Staatsbürgerschaft. Deutschland spricht sich so wie Österreich ebenfalls gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus, macht aber im Gegensatz so viele Ausnahmen, dass diese bald zur Regel wird. Aber auch für Österreich ist die doppelte Staatsbürgerschaft eigentlich nichts Fremdes. Bei der letzten persönlichen Volkszählung im Jahr 2001 gaben immerhin ca. 55.000 Menschen an, dass sie neben der österreichischen auch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. In den letzten zehn Jahren sind fast ein Fünftel aller in Österreich geschlossenen Ehen binational, d. h. ein/e PartnerIn ist ÖsterreicherIn, der/die andere AusländerIn. Deren Kinder sind meist automatisch DoppelstaatsbürgerInnen. Ca. 15 Prozent der Einbürgerungen betreffen Asylberechtige. Auch hier ist davon auszugehen, dass diese zumeist DoppelstaatsbürgerInnen bleiben, da ein Austritt aus dem Fluchtstaat gar nicht möglich ist. Auch gibt es ca. 400.000 AuslandsösterreicherInnen, die mit einer entsprechenden Begründung den österreichischen Pass behalten können. Deren Kinder sind dann wieder ÖsterreicherInnen von Geburt an und überdies StaatsbürgerInnen des Landes, in dem sie leben.

Umstrittenes kommunales Wahlrecht
Ein Drittel der in Wien lebenden MigrantInnen darf zumindest als EU-BürgerIn auf Bezirksebene wählen. 2003 wurde in Wien beschlossen, dass Drittstaatsangehörige, die sich mindestens fünf Jahre in Österreich aufgehalten haben, die Bezirksvertretung mitwählen dürfen. Im Jahr darauf wurde dieses Recht jedoch vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben. Auch in Graz wurde das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-BürgerInnen beschlossen. Der Gemeinderat der Stadt Graz hat den Bundesgesetzgeber um eine Reform der Verfassung ersucht, sodass wenigstens die Länder Nicht-EU-BürgerInnen ein kommunales Wahlrecht einräumen können.
Österreich hat die restriktivsten Bestimmungen für die Staatsbürgerschaft in Westeuropa und liegt im Ranking am fünftletzten Platz. Dies führte dazu, dass Österreich im Jahr 2012 die niedrigste Einbürgerungsrate in ganz Westeuropa hatte. Schätzungen auf Basis des MIPEX ergeben: Zwei von drei Drittstaatsangehörigen würden in Österreich grundsätzlich die Aufenthaltsvoraussetzungen erfüllen. Immerhin sind mehr als ein Drittel aller neuen ÖsterreicherInnen bereits in Österreich geboren.

Integrationsfördernd
Die österreichische Staatsbürgerschaft ermöglicht MigrantInnen die politische und gesellschaftliche Teilhabe und ist damit ein demokratieförderndes wie integrationsstiftendes Element. Deshalb muss der Zugang dazu gelockert werden. Eine Senkung von Einkommensgrenzen und Härteklauseln für jene, die an der Einkommensgrenze scheitern, sind notwendige Schritte dafür. Auch gehört die Staatsbürgerschaftsprüfung überarbeitet. Besonders wichtig sind kostenlose und zielgruppenadäquate Lehrgänge und Deutschkurse für den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Weiters wäre die generelle Verkürzung der Aufenthaltsdauer insbesondere für anerkannte Flüchtlinge und vor allem die generelle Akzeptanz von Doppelstaatsbürgerschaften notwendig. Kinder von ausländischen Eltern sollten zudem nach der Geburt automatisch die österreichische Staatsangehörigkeit erhalten. Demokratische Mitbestimmung darf aber nicht ausschließlich an den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft geknüpft werden. Die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für MigrantInnen wäre ein weiterer wichtiger Schritt für eine politische Partizipation.

Linktipps:
Blog-Tipp Metropop
tinyurl.com/gluvr68
Wahlanalyse Gemeinderatswahl Wien 2015
tinyurl.com/jhn2bs7

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen asiye.sel@akwien.at und n.bichl@migrant.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Asiye Sel, Abteilung Frauen und Familie der AK Wien<br/>Norbert Bichl, Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen, Wien Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829590 Fast ein Viertel konnte bei der Nationalratswahl 2013 nicht wählen. Unter Download können Sie die Grafik herunterladen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829563 Risikofaktor Migration Wie inzwischen in jeder Arztpraxis steht auf dem Büro des Arztes in Wien-Liesing ein Bildschirm. Dieser ist allerdings nicht nur dem Arzt zugewandt, sondern via Internet ist eine dritte Person zugeschaltet, die mit Arzt und Patientin spricht: Es ist eine Dolmetscherin, die dabei helfen soll, eine richtige Diagnose und damit auch Behandlung für die Patientin zu finden. Woran man via ORF-Kamera hier ausnahmsweise teilnehmen kann, ist ein neues Projekt, das im Jahr 2013 gestartet wurde. Es nennt sich „Videodolmetschen im Gesundheitswesen“ und wurde sechs Monate lang getestet. An zwölf Gesundheitseinrichtungen in ganz Österreich konnten speziell geschulte DolmetscherInnen in österreichischer Gebärdensprache, Türkisch und BKS (Bosnisch, Serbisch, Kroatisch) per Videokonferenz zugeschaltet werden – und zwar binnen zwei Minuten. Dass Österreich ein Einwanderungsland ist, stellt auch das Gesundheitswesen vor Herausforderungen. Fast drei Viertel der Beschäftigten im Gesundheitsbereich sehen sich mehrmals pro Woche mit Sprachbarrieren konfrontiert. Ob im Spital, bei der Pensionsbegutachtung oder im Pflegeheim – Verständigungsschwierigkeiten sind das weitaus häufigste Problem bei der Versorgung fremdsprachiger PatientInnen. Das kann sogar dazu führen, dass Rehabilitationskuren abgebrochen werden müssen, um die Sicherheit der Genesenden nicht zu gefährden.

Mit Händen und Füßen
Die Interviews in der Projekt-Begleitstudie machten deutlich: Es besteht Handlungsbedarf, denn die alltäglichen Verständigungsprobleme kosten Zeit und Nerven. Eine typische Aussage in den Interviews, die für die Begleitstudie geführt wurden, lautet: „Dann macht man’s halt wie im Urlaub.“ Sprich, es wird mit Händen und Füßen geredet, gezeichnet, „zusammengepuzzelt“. Oder man behilft sich mit Laien-DolmetscherInnen, was aus vielen Gründen problematisch ist. Denn wenn der Einfachheit halber fremdsprachige KollegInnen herangezogen werden, werden diese in ihrer Arbeit gestört. Oft mangelt es zudem am Fachvokabular oder an medizinischem Basiswissen. Für Kinder und Jugendliche wiederum stellt das Dolmetschen im Grunde eine unzulässige emotionale Belastung dar. Und ohne entsprechend geschulte DolmetscherInnen weiß eigentlich niemand, ob korrekt übersetzt wurde. Nicht zuletzt stellen sich rechtliche Fragen. Vor allem aber fühlen sich die fremdsprachigen PatientInnen schlecht behandelt und sind frustriert, das wiederum führt beim Pflegepersonal zu Rätselraten, Gefühlen der Unzulänglichkeit und Frust – und das wiederum sind denkbar schlechte Bedingungen für die Heilung. Professionelle DolmetscherInnen kommen bis dato nur selten zum Einsatz. Zwar gibt es auch Apps, diese aber sind wegen des fehlenden Fachvokabulars (noch) nicht geeignet. Und Videodolmetschen ist derzeit nur punktuell möglich. Nach den – trotz geringer Sprachenauswahl und kleinen technischen Problemen – sehr positiven Erfahrungen im Videoprojekt will man jetzt grundsätzlich auf diese Technologie setzen.
Gesundheit und Langlebigkeit werden neben der ererbten Veranlagung auch vom Lebensstil, Bildungsgrad, Alter etc. wesentlich beeinflusst. Bei MigrantInnen sind zusätzlich die Erlebnisse während des Migrationsprozesses wie die Trennung von Angehörigen, Stress, Diskriminierung und Ähnliches entscheidend, dazu kommen die individuellen Erfahrungen und Lebensbedingungen im Herkunfts- und im Zielland. Je bedeutender das familiäre Netzwerk im Heimatland ist, desto eher können Menschen im Ausland, wo sie auf sich allein gestellt sind und die Familie als gesundheitliche Kontroll- und Unterstützungsinstanz wegfällt, gesundheitsschädigende Gewohnheiten entwickeln. Der akkulturative Stress der Eingewöhnungsphase kann jahrelang andauern und auch auf die nächste Generation nachwirken. Ein häufiger Stressfaktor ist auch der Arbeitsplatz. MigrantInnen sind oft unter ihrem Ausbildungsniveau beschäftigt und in vielerlei Hinsicht schlechtergestellt als ihre nicht migrantischen KollegInnen – egal, ob es um Leistungsdruck, Unterbrechungen oder körperliche Anstrengung geht. Entsprechend wichtig wäre es, MigrantInnen in Projekte der betrieblichen Gesundheitsvorsorge gezielt miteinzubeziehen.

Verbesserungsbedarf
In der Studie werden auch zahlreiche Projekte und Positivbeispiele aufgelistet, trotzdem bleibt noch viel zu tun. Menschen mit Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe, dementsprechend sind niederschwellige, nachhaltige und zielgruppengerechte Angebote und Informationen erforderlich. Zu diesem Ergebnis kam auch die Studie „Gesundheitskompetenz bei Personen mit Migrationshintergrund aus der Türkei und Ex-Jugoslawien in Österreich“. Die ExpertInnen waren sich einig, dass die bestehenden Angebote für MigrantInnen nicht ausreichen. Vor allem der Mangel an institutionalisierten Angeboten abseits von zeitlich begrenzten Projekten wurde kritisiert. Die Gesundheitskompetenz von MigrantInnen könnte u. a. durch verbesserte Bildungschancen und durch mehr auf Zuwanderer abgestimmte Infomaterialien erhöht werden. Außerdem wurde der Ausbau des muttersprachlichen Angebotes bei psychosozialer Betreuung, Psychotherapie und Psychiatrie urgiert.

Mainstreaming
Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen, zurzeit fehlt es etwa auch an koordinierter Vernetzung. So kennen ÄrztInnen oft die bereits vorhandenen Zielgruppen-Angebote nicht. Ähnlich wie beim Gender-Mainstreaming stünde es einer offenen Gesellschaft gut an, dass in allen Lebensbereichen auch auf die Bedürfnisse nicht deutschsprachiger Menschen Rücksicht genommen wird. (Video-)DolmetscherInnen, mehrsprachige Broschüren, entsprechend gestaltete Webseiten usw. kosten Geld, aber alles andere würde bedeuten, die Gesundheit von PatientInnen und letztendlich auch die des Personals zu riskieren – ganz zu schweigen von den erhöhten Kosten für das Gesundheitswesen, die dies ebenfalls mit sich bringt. Die Zeit drängt, die GastarbeiterInnen-Generation kommt langsam in die Jahre. Noch wird der Großteil zu Hause gepflegt. Aber vermutlich werden bald immer mehr betagte TürkInnen, SerbInnen und andere Zugewanderte in die Spitäler und Pflegeheime kommen. Und auch wenn die Betroffenen vielleicht Deutsch sprechen: Mit fortschreitender Demenz verlernen viele Menschen die Zweitsprache. Man kann nur hoffen, dass bis dahin eine Software entwickelt wird, die den PatientInnen jeden Tag die sprachlich passenden Pflegekräfte zuteilt.

Linktipps:
Leitfaden zur Maßnahmengestaltung in Gesundheitsförderung und -versorgung
tinyurl.com/jtklr5z
Downloads zum Projekt Videodolmetsch
tinyurl.com/hu3jetr

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Gesundheit von MigrantInnen
Zwei Studien bieten einen Überblick über die Situation von MigrantInnen in Österreich – und damit wertvolle Hinweise, wo in der Gesundheits- und Aufklärungsarbeit anzusetzen wäre:

  • Deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund (42,5 Prozent) hatten „erhebliche Schmerzen im letzten Jahr“. Ohne Migrationshintergrund waren es 36,5 Prozent.
  • Männer mit Migrationshintergrund leiden häufiger an Migräne oder Kopfschmerzen, Wirbelsäulenbeschwerden sowie chronischen Angstzuständen und Depressionen. Migrantinnen haben im Vergleich zu Nicht-Migrantinnen ein höheres Risiko für Diabetes, Bluthochdruck, chronische Angstzustände, Depressionen sowie Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwerden.
  • Bewegungsmangel und daraus folgende Probleme wie Übergewicht finden sich bei Migrantinnen auffallend häufig.
  • MigrantInnen entwickeln nur halb so oft Allergien wie Personen ohne Migrationshintergrund.
  • Der Zahnstatus ist bei allen migrantischen Altersgruppen schlechter als bei Nicht-Migrantinnen.
  • Angebote zur Prävention, Vorsorge und Gesundheitsförderung werden seltener genutzt. Mehrsprachige Info-Broschüren und spezielle Kampagnen für diese Zielgruppe (z. B. Brustkrebsfrüherkennungsprogramm) zeigen bereits erste Erfolge.
  • Psychosoziale und psychotherapeutische Beratungsangebote werden seltener in Anspruch genommen. Schuld sind nicht nur Informationsmangel und Schamgefühle, sondern auch Traditionen und kulturelle Gepflogenheiten: Viele MigrantInnen suchen zuerst ihre eigene Community auf und weniger  Beratungsstellen, das wird als Schwäche empfunden. Weiters: schlechte Erfahrungen mit Ämtern, Angst vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen, Diskriminierungserfahrungen, Angst vor Stigmatisierung durch Psychiatrie und vor Ausgrenzung im Alltag. Dadurch werden Alkoholabhängige oft erst in einem relativ späten Stadium professionell betreut.

Die Studien zum Download finden Sie hier: tinyurl.com/j9efer9

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829557 An zwölf Gesundheitseinrichtungen in ganz Österreich konnten speziell geschulte DolmetscherInnen in österreichischer Gebärdensprache, Türkisch und BKS (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch) per Videokonferenz zugeschaltet werden - und zwar binnen zwei Minuten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829546 Kampfzone Arbeitsmarkt? Bis zu einer halben Million Menschen sind heuer gleichzeitig von Arbeitslosigkeit betroffen. Ein Rekordwert, obwohl Österreich im europäischen Vergleich mit einer Arbeitslosenquote von 6,6 Prozent Ende Juli immer noch deutlich unter dem EU-Schnitt liegt. Gleichzeitig mit der Arbeitslosigkeit steigt auch der Druck auf die Beschäftigten: Die AK Oberösterreich ortet in ihren Untersuchungen die niedrigste Arbeitszufriedenheit seit zwölf Jahren. Im Windschatten wachsender Unsicherheit und Unzufriedenheit bieten rechte PopulistInnen – einmal mehr – einfache Erklärungen und Rezepte an. Ein „Zuwanderungsstopp“, so die Behauptung, würde „Arbeit für uns Österreicher“ bedeuten.

Zuwanderung und Arbeitsmarkt
Österreich lag mit seiner Nettomigrationsrate, also dem Saldo aus Zu- und Abwanderung, im Jahr 2015 zwar nur im europäischen Mittelfeld. 120.000 Personen, die im Vorjahr zugewandert sind, stellen nichtsdestotrotz eine Herausforderung dar. Neben den Menschen, die aus Bürgerkriegsgebieten nach Österreich kamen, hielt der Zustrom aus anderen EU-Staaten wie Rumänien und Ungarn, gefolgt von Deutschland und Kroatien ungebrochen weiter an. Nicht SyrerInnen oder IrakerInnen, sondern deutsche Staatsangehörige (176.463) gefolgt von – oft lange ansässigen – Personen aus Serbien, der Türkei und Bosnien stellen momentan die größten MigrantInnengruppen dar. Für den Arbeitsmarkt bedeutend sind darüber hinaus PendlerInnen aus Ungarn und – v. a. für den Hauspflegebereich – auch aus der Slowakei.

Verdrängung
Unmittelbar würden laut IHS wegen der Zuwanderung allerdings kaum ÖsterreicherInnen ihren Arbeitsplatz verlieren. Während österreichische Staatsangehörige zwar die Statistik bei den Langzeitarbeitslosen deutlich anführen, sind in den letzten Jahren Personen aus der Türkei (aktuell 20 Prozent Arbeitslose im Segment türkischer StaatsbürgerInnen in Österreich), dem ehemaligen Jugoslawien (15 Prozent) und nicht zuletzt sonstigen (nicht europäischen) Staaten (25 Prozent) auf dem Arbeitsmarkt immer weiter zurückgefallen.
Der Hintergrund: Vor allem ArbeitnehmerInnen aus Serbien und der Türkei wurden in Niedriglohnbereichen durch Personen aus Osteuropa mit besseren Qualifikationen und/oder Sprachkenntnissen ersetzt.
Besonders negativ betroffen sind darüber hinaus jene Personen, die vor Krieg und Verfolgung nach Österreich geflohen sind. Für sie bleibt – auch wenn der entsprechende formale (Zugangs-)Status bereits vorhanden ist – der Zugang zum Arbeitsmarkt faktisch verschlossen. Von 9.520 Personen, die im Vorjahr einen Asylstatus erhalten haben, waren Ende Juli lediglich zehn Prozent (957 Personen) beschäftigt. Im Juli waren insgesamt 25.168 Menschen mit Asylstatus bzw. subsidiär Schutzberechtigte dem AMS gemeldet. Bemerkenswert: Auch die – in Österreich oft hysterisch – geführte Diskussion um die generelle Öffnung des Arbeitsmarktes für alle AsylwerberInnen ändert offenbar wenig an dieser „gläsernen Decke“. Auch in Schweden, wo die entsprechende Öffnung längst existiert, haben 2013 und 2014 gerade einmal 450 AsylwerberInnen Arbeit gefunden. Die eigentliche Frage lautet somit: Wie können Personengruppen in den Arbeitsmarkt (wieder) integriert werden, die hier völlig legal leben, nach Beschäftigung suchen und zum Teil auch jahrelang in die Sozialtöpfe eingezahlt haben?

Über Bildung zur Integration
Selbstverständlich existieren spezifische Schwierigkeiten, mit denen bestimmte Gruppen von MigrantInnen konfrontiert sind. Dies können etwa fehlende Netzwerke, aber auch Sprachprobleme sein. Einig sind sich alle ExpertInnen darüber, dass Bildung – beginnend bei einem ausreichenden Angebot an Sprachkursen – die individuellen Chancen am Arbeitsmarkt erhöht.
Einher geht damit in der Regel auch die berechtigte Kritik am österreichischen Bildungssystem, das noch immer zögerlich auf die Herausforderungen einer Migrationsgesellschaft reagiert. Probleme stellen dabei – aktuell besonders – die Anerkennung und Verwertung von mitgebrachten Abschlüssen und Kompetenzen sowie maßgeschneiderte Angebote für oft hoch motivierte, junge Erwachsene bzw. ältere Jugendliche dar.
Programme wie „More“, das inzwischen 700 Flüchtlinge an die Unis gebracht hat, oder das neue, modular aufgebaute Jugendcollege in Wien weisen hier zwar in die richtige Richtung. Gleiches gilt beispielsweise auch für den Qualifikationspass von AMS und WAFF in Wien, der sowohl formal wie nonformal erworbene Kompetenzen dokumentiert und mit entsprechenden Fortbildungsempfehlungen und Fördermaßnahmen verknüpft.
All das ändert freilich nichts daran, dass im Grunde ein Systemwandel auf Bundesebene nötig wäre. So meint etwa der Integrationsexperte August Gächter, dass für jeden zweiten Flüchtling eine Lehre attraktiv sein würde. Hier müsste allerdings das duale/berufliche Ausbildungssystem inklusive der Frage der Lehrlingsentschädigung/Entlohnung für eine erwachsene Zielgruppe völlig neu organisiert werden. Neben Flüchtlingen könnten und sollten davon natürlich auch andere formal geringfügig qualifizierte Personen profitieren.

Keine Einbahnstraßen schaffen
Welchen Effekt auf den Arbeitsmarkt diese Höherqualifikation insgesamt haben würde, ist demgegenüber umstritten: Sinkt die Arbeitslosigkeit tatsächlich durch die angenommene Behebung eines Fachkräftemangels? Oder kommt es nur zu neuen Verdrängungsprozessen? Wichtig wäre daher, bei Qualifizierungsmaßnahmen auf die Stärkung allgemeiner Kompetenzen zu fokussieren und keine Einbahnstraßen zu schaffen, die sich lediglich an kurzfristigen (ggf. auch kurzsichtigen) Erfordernissen der Betriebe orientieren.
Ein problematischer Aspekt an der Diskussion „Arbeit durch Qualifikation“ ist darüber hinaus, dass oft den Betroffenen selbst die alleinige Verantwortung für ihre angebliche „Bildungsferne“ bzw. Arbeitslosigkeit zugeschrieben wird. Genau an diesem Punkt setzen neoliberale IdeologInnen sowie konservative und rechtspopulistische PolitikerInnen generell an. Im Fokus stehen dabei momentan geflüchtete Personen.

Neoliberales Zündeln
Bereits im Jänner haben einige IWF-Experten zeitlich befristete Ausnahmen bei Mindestlöhnen für Flüchtlinge vorschlagen. Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, bezeichnet das klar und deutlich als neoliberalen Blödsinn: zuerst für Flüchtlinge, dann für Langzeitarbeitslose, am Ende sei das System „völlig durchlöchert“. Solche Vorschläge seien, so Achitz, zudem „Gift“ für die Debatte.
Für die AK Oberösterreich liegt auch die Kürzung der Mindestsicherung genau in diesem Trend, nämlich über das Zündeln mit dem Flüchtlingsthema allgemeingültige, soziale Rechte zu beschneiden: „Es kann nicht sein, dass immer zulasten der Armen und Ärmsten gekürzt wird“, kommentierte der oberösterreichische AK-Präsident Johann Kalliauer den Beschluss der ÖVP/FPÖ-Landesregierung. Und in den u. a. von Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz geforderten Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge sieht ÖGB-Präsident Erich Foglar zu Recht drohendes Lohn- und Sozialdumping.
Auch wenn somit Verdrängungsprozesse am Arbeitsmarkt momentan konkret vor allem Menschen mit Migrationshintergrund betreffen, ist die steigende Arbeitslosigkeit eine Belastung für die Gesellschaft. Das gilt sowohl für die Betroffenen wie für die Sozialsysteme. Über den eigentlichen Hintergrund des Gesamtproblems berichtete demgegenüber die konservative Tageszeitung „Die Presse“ nüchtern: Das Arbeitsvolumen ist, gemessen an der Arbeitszeit, seit Einbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise um fast fünf Prozent zurückgegangen. Von 7,1 Milliarden Stunden (2008) fiel es auf inzwischen 6,761 Milliarden (2015) und liegt damit unter dem Niveau von 2004.

Neue Arbeit schaffen
Es gilt also neue Arbeit zu schaffen bzw. die vorhandene Arbeit sinnvoll zu verteilen. Die Themen liegen dabei auf der Hand: etwa Kritik am – für die öffentlichen Investitionen fatalen – Korsett der EU-Budgetvorgaben. Oder die Forderung nach der allgemeinen Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
 
Linktipp:
Verdrängungsprozesse am österreichischen Arbeitsmarkt
tinyurl.com/gwxzu92

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor johnevers@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829533 Wer einen Migrationshintergrund hat, ist deutlich häufiger arbeitslos als Menschen ohne - ein Phänomen, das die Krise noch verschärft hat. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829522 Mehr gemeinsam Der Butzweilerhof liegt im Nordwesten von Köln inmitten eines Gewerbegebiets. „Verlängerte Werkbank“ der rund 33.000 Mitgliedsbetriebe nennt Ulla Schlottow das Bildungszentrum der Kölner Handwerkskammer. Sie koordiniert die vielfältigen Lehrgänge, die dort für verschiedene Zielgruppen angeboten werden, neuerdings auch für Flüchtlinge. Hintergrund dafür ist eine Initiative der Deutschen Bundesregierung, der Bundesagentur für Arbeit und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks: 10.000 Flüchtlinge sollen „fit fürs Handwerk“ gemacht werden. Unter dem Motto „Perspektiven für junge Flüchtlinge“ (PerjuF) werden auf der „verlängerten Werkbank“ seit rund einem Jahr eigens eingerichtete Kurse für jugendliche Geflüchtete angeboten. Sie dauern vier bis sechs Monate und sollen die TeilnehmerInnen beruflich auf das duale deutsche Ausbildungssystem vorbereiten. Noch halten sich die TeilnehmerInnenzahlen in Grenzen, der Grund ist die relativ hohe Einstiegshürde: Eine selbstständige Verwendung der deutschen Sprache (B1) wird vorausgesetzt.

Druck, Geld zu verdienen
Im Moment machen die TeilnehmerInnen ihr abschließendes Praktikum in einem Kölner Handwerksbetrieb. „Der nächste Kurs beginnt Ende August“, sagt Schlottow. Ihr bisheriges Fazit fällt sehr positiv aus: „Die KursteilnehmerInnen sind sehr motiviert und viele konnten Fuß fassen.“ Zohir Sourou ist einer der AbsolventInnen des Kurses. Der kurdische Syrer aus Aleppo hat Asylstatus und macht derzeit eine Metallbauerausbildung. Den vorherigen Kurs hat er zunächst nicht fertig gemacht: Als ihm ein Job angeboten wurde, stieg er nach drei Modulen aus. Der Grund: Er wollte heiraten und mehr als den Hartz-IV-Satz verdienen, den er während der Ausbildung erhält. „Das passiert hin und wieder“, bestätigt Ulla Schlottow. Auch in Studien wie „An die Arbeit“ des Berlin-Institutes kommen solche Fälle vor. Die Geflüchteten stehen oft unter großem Druck, Geld zu verdienen, was es mitunter schwer macht, sie von der Wichtigkeit einer abgeschlossenen Ausbildung zu überzeugen.
Zunächst aber gilt es, noch viel einfachere Hürden zu überwinden. Denn die Strukturen und die Bürokratie, die Neuankömmlinge in Deutschland erwarten, sind kompliziert, erst recht, wenn es um die Arbeitssuche geht. Eine große Herausforderung sind die unterschiedlichen Behörden, die zuständig sind. So müssen Flüchtlinge zunächst registriert werden. Nach der Registrierung gilt ein dreimonatiges Arbeitsverbot. In dieser Zeit werden sie aber bereits von der Agentur für Arbeit betreut, die für kurzzeitig Arbeitslose zuständig ist. Sobald Asyl gewährt wurde, kommt eine neue Behörde ins Spiel: das Jobcenter, das grundsätzlich für Langzeitarbeitslose zuständig ist. Hier schlägt zusätzlich der deutsche Föderalismus zu: Die Arbeitsagentur ist eine Einrichtung des Bundes, die Jobcenter wiederum unterstehen den Kommunen. In Nordrhein-Westfalen hat man deshalb Integration-Points geschaffen, die möglichst fließende Übergänge ermöglichen sollen. Dazu sitzen nun die Zuständigen der Arbeitsagenturen und Jobcenter in benachbarten Büros auf einem Flur. Zudem wurden die Kapazitäten erhöht: Bundesweit haben 2.800 neue MitarbeiterInnen in den Jobcentern und 800 in den Arbeitsagenturen mit der Arbeit begonnen. Betreut werden aktuell 321.710 geflüchtete Menschen, davon sind 140.587 offiziell arbeitslos, das heißt, sie haben alle nötigen Berechtigungen. Einmal anerkannt, sind Flüchtlinge Deutschen gleichgestellt, und zwar auch was den Mindestlohn angeht.

Beratung der Firmen
Auch in anderen Bereichen haben geflüchtete Menschen direkt und indirekt viele neue Jobs geschaffen. Allein im öffentlichen Dienst wurden laut „Handelsblatt“ bundesweit 24.000 neue MitarbeiterInnen eingestellt. Viele Jobs entstehen darüber hinaus bei Bildungsträgern, Sprachschulen, Sicherheitsfirmen, Wohlfahrtsverbänden und im Bausektor. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Auch die „verlängerte Werkbank“ der Kölner Handwerkskammer hat Zuwachs bekommen: Ulla Schlottow hat drei neue Leute eingestellt und seit 1. Juli berät ein Willkommenslotse der Handwerkskammer Firmen in Sachen Ausbildung und Integration. Bundesweit gibt es 140 solcher LotsInnen, 2017 soll es weitere 150 geben. Geschaffen wurden sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), das 70 Prozent der Kosten übernimmt. Einen solchen Lotsen hat auch die Industrie- und Handelskammer Köln. Deren Stiftung hat ihr Programm erweitert: Mit den Kursprogrammen AusbildungsReife und ArbeitsplatzReife kümmert man sich zusätzlich um geflüchtete Jugendliche bzw. Erwachsene. „Drei Leute haben wir seit Ende 2015 dafür eingestellt“, erzählt Stiftungsleiter Christopher Meier. Geschäftsführerin Tina Riepel ergänzt: „Seit 1.November 2015 absolvierten je zehn Jugendliche je fünf Kurse des Programms AusbildungsReife.“ Man habe die Kurse bewusst klein halten wollen. 115 über 25-jährige Geflüchtete nahmen an den ArbeitsplatzReife-Kursen teil. Diese Kurse sind eine Kombination aus praxisbezogenem Sprachkurs und Qualifizierungspraktika.
Erneut gibt es mit dem B1-Sprachniveau eine hohe Einstiegshürde, dazu kommt, dass die Flüchtlinge eine gute Bleibeperspektive haben müssen. Das Sprachniveau habe man höher angesetzt, erklärt Riepel, denn: „Das Angebot an Grundlagenkursen ist schon sehr groß.“ Ihr Fazit: „Die TeilnehmerInnen sind mit großer Ernsthaftigkeit dabei. Die Anschlussperspektive ist sehr gut, 80 bis 85 Prozent haben direkt eine Ausbildung begonnen oder Vergleichbares.“ Oft fehlt gerade den Leuten, die schon Ausbildungen oder Arbeitserfahrung haben, wenig, um den üblichen Ausbildungsstandards in Deutschland zu genügen. Nützlich ist dabei eine vom BMWi schon 2011 geschaffene preisgekrönte Internetplattform:
www.bq-portal.de. Hier kann man sich über Berufs- und Ausbildungsstandards in einzelnen Ländern kundig machen bzw. über spezifische deutsche Regelungen und Fördermaßnahmen.
Erleichternd soll das neue Integrationsgesetz wirken. Demnach ist in 133 von 156 Bezirken der Arbeitsagentur die Vorrangprüfung abgeschafft, also der Nachweis, dass es keine/n gleich gut qualifizierte/n InländerIn gibt. Außerdem ist auch für jene mit prekärem Status nunmehr der Aufenthalt während der Ausbildung und danach gesichert.

Brücken und Netzwerke
Alle genannten Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie bauen auf bestehenden Strukturen auf und sind zusätzliche Angebote für geflüchtete Menschen, also keinem „Inländer“ wird etwas weggenommen. Mitunter werden Flüchtlinge auch in bestehende Initiativen integriert, wie zum Beispiel im Kölner Bildungsmodell, einem modularen Ausbildungssystem für Langzeitarbeitslose, oder in der Sommerakademie der Handelskammer-Stiftung für Jugendliche, die schulische Probleme haben. Dort, so erzählt Tina Riepel, haben in diesem Sommer auch fünf Flüchtlinge teilgenommen – mit großem Erfolg, besonders auf menschlicher Ebene, denn daraus sind viele Freundschaften entstanden.
Für besonders wichtig hält Riepel zudem die neue, teils informellere und vereinfachte Art der Zusammenarbeit, sowohl zwischen Institutionen und Behörden, vor allem aber mit Graswurzelinitiativen und ehrenamtlich Tätigen, die unglaublich wertvolle Arbeit leisten. Es braucht „Brücken“, meint Riepel und meint damit sowohl Programme wie das ihre, aber auch die intensive Kooperation und Kommunikation aller Beteiligten. Außerdem nimmt sie wahr, wie sehr sich Flüchtlinge, die schon etwas Fuß fassen konnten, sich für Neuankömmlinge einsetzen, oft als ÜbersetzerInnen. Auch so entstehen Netzwerke. Auch Schlottow vom Butzweilerhof betont: „Ein schöner Nebeneffekt ist der starke Gruppenzusammenhalt, enge Freundschaften entstehen, die Jugendlichen unterstützen sich gegenseitig im Alltag, obwohl sie aus ganz verschiedenen Ländern kommen.“
An einer Tatsache aber kommt man auch in Deutschland nicht vorbei: Die Integration von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt braucht einfach Zeit. Die Unternehmen seien willig, mitunter müsse man aber eine gewisse Ungeduld besänftigen, meint Christoph Meier von der Handelskammer. „Es ist ein Marathonlauf, aber es ist machbar, mitunter braucht es halt mehr Aufwand. Ich sehe nicht, warum das nicht funktionieren soll“. Zohir Sourou, der Syrer aus Aleppo vom Butzweilerhof, wurde nach einem halben Jahr betriebsbedingt gekündigt, er beendet nun die restlichen Ausbildungsmodule in der Handwerkskammer. Fast, erzählt er, wäre er Übersetzer geworden, oft hat er in den letzten Monaten ausgeholfen (er spricht sieben Sprachen). Doch eigentlich hatte er immer einen Traum: Er wollte Metallbauer werden.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin angelahuemer@t-online.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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Angela Huemer, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829516 Zohir, ein kurdischer Syrer in einer Metallbauerausbildung der HWK im Bildungszentrum Butzweilerhof Köln. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829505 Dilemma Niedriglöhne Ein Gewerbebetrieb stellt einer Gemeinde eine Werkstätte zur Verfügung, damit die AsylwerberInnen, die dort in einer Unterkunft leben, etwas Nützliches tun können. Der Gemeinderat ist begeistert. Denn schließlich ist die nach Monaten des Nichtstuns wachsende Ungeduld der AsylwerberInnen deutlich spürbar. Die „Asylanten, die auf unsere Kosten leben“, bestimmen die Gespräche am Stammtisch. Was also wie tun, damit alles seine Richtigkeit hat und niemand zu Schaden kommt? In einer anderen Gemeinde gibt es harsche Diskussionen, schließlich hat der Bürgermeister den vier Gemeindearbeitern auf dem Bauhof gekündigt – ihre Arbeit erledigen jetzt Asylwerber aus der nahen Unterkunft. Beides sind fiktive Beispiele, die sich jedoch in ähnlicher Form oft in Österreich abspielen.

Eingeschränkt
Die „gemeinnützige Arbeit“: Sie steht im Mittelpunkt der Debatten um die Integration von Flüchtlingen, seit dem sommerlichen Vorstoß des Innenministers aber auch um die Zukunft der Mindestsicherung. Tatsächlich ist sie eine der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten für AsylwerberInnen, während des Asylverfahrens einer Beschäftigung nachzugehen. Ihr Arbeitsmarktzugang ist ja sonst sehr eng, aktuell stehen ihnen nur Saisonbeschäftigungen in Tourismus und Landwirtschaft offen, für die sie zudem eine Beschäftigungsbewilligung brauchen. Selbst diese Jobs gibt es für sie also nur dann, wenn keine beim AMS vorgemerkte Arbeitskraft dafür verfügbar ist. Jugendliche können wenigstens eine Lehre in einem der sogenannten Mangelberufe absolvieren. Kein Wunder, dass nur rund 400 von rund 85.000 AsylwerberInnen so arbeiten bzw. ausgebildet werden.
Auf freiwilliger Basis können Flüchtlinge aber zu „gemeinnützigen Hilfstätigkeiten für Bund, Land und Gemeinde“ herangezogen werden. Sie verdienen dabei einen „Anerkennungsbetrag“, ohne dass es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis mit einem steuer- und abgabenpflichtigen Einkommen handeln würde. Nach den Vorstellungen von Innenminister Wolfgang Sobotka sollen „20 Wochenstunden gemeinnützige Arbeit“ zudem eine Voraussetzung für den Bezug von Mindestsicherung werden – wohlgemerkt ohne den Zusatz „freiwillig“. 
Arbeit als ein zentrales Element von Integration stellt niemand in Abrede. Asylsuchende brauchen Vorbereitung dafür – Spracherwerb, berufliche Ausbildung, Anerkennung bzw. Anpassung ihrer beruflichen Qualifikationen sind da entscheidend. Damit sieht es in Österreich aber eher düster aus. Deutschkurse gibt es für sie in den allermeisten Gemeinden nur ehrenamtlich, von Kompetenzerhebungen oder gar beruflichen Ausbildungen für AsylwerberInnen ganz zu schweigen. Es wird sich wohl auch nichts Maßgebliches daran ändern, dass der Arbeitsmarkt für Asylsuchende weitgehend abgeriegelt ist, zumindest deutet nichts in der politischen Debatte darauf hin.
Bleibt also die „gemeinnützige Arbeit“ als einzige Möglichkeit, den AsylwerberInnen einfach Tätig-Sein zu ermöglichen. Ihnen Kontakte zu anderen Menschen und der österreichischen Alltagskultur, Sinn und Erfolgserlebnisse zu vermitteln, ein wenig mehr Würde, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung durch die möglichen Zuverdienste zur Grundversorgung zu erlauben – eben all die notwendigen integrationsfördernden Faktoren zu nutzen, die mit Arbeit verbunden sind. Das Problem dabei: Es gibt keine Rechtssicherheit, was denn nun „gemeinnützige Arbeit“ ist. Die Verurteilung eines „Nachbarschaftshilfe-Projekts“ in Vorarlberg nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSDB-G) in Vorarlberg ist dafür ein deutlicher Beleg.

Rechtsunsicherheit
Wer nach einer rechtlichen Definition sucht, findet sie im Steuer- und nicht im Arbeitsrecht. Gemeinnützige Arbeit verfolgt demnach Zwecke, die „der Allgemeinheit“ dienen. Sie ist also ganz normale, dem Arbeitsrecht und den Kollektivverträgen unterliegende Arbeit. Nur dient sie nicht den Profitinteressen eines Arbeitgebers, sondern der Förderung des Gemeinwohls. So kann etwa Arbeit im Gesundheits- und Pflegebereich, in der Sozialarbeit oder im Umweltschutz „gemeinnützig“ sein, ohne dass die volle Geltung des Arbeits- und Sozialrechtes in Frage stünde.
Im Grundversorgungsgesetz (GVG-B) wird weder der Begriff „gemeinnützige Hilfstätigkeiten für Gebietskörperschaften“ definiert noch die Höhe des sogenannten „Anerkennungsbetrages“, also der Bezahlung für solche Tätigkeiten – er ist lediglich kein steuer- und abgabenpflichtiges Einkommen. In ihrem „Integrationspaket“ vom 20. Juni 2016 hat die Bundesregierung einen Katalog von derartigen Arbeiten angekündigt. Denn Gemeinden und engagierte BürgerInnen brauchen Rechtssicherheit: Welche Arbeit können sie den von ihnen betreuten AsylwerberInnen ohne rechtliche Risiken anbieten? Dafür ist aber ein solcher Katalog wohl nicht geeignet. Denn es ist unwesentlich, ob eine Verwaltungsbehörde eine Tätigkeit als „gemeinnützig“ im Sinne des GVG-B bezeichnet und damit aus dem Geltungsbereich des Arbeitsrechtes herausnimmt. Wird sie in persönlicher Abhängigkeit, also unter Ausübung eines Weisungsrechtes erledigt, liegt ein Arbeitsvertrag vor – Gemeinnützigkeitserklärung des Integrationsministers hin oder her.

Eigener Rechtsrahmen?
Das Beste wären mit Sicherheit rasche Asylverfahren und ein leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen. Doch neben der Katalog-Idee gäbe es noch eine andere „Second-best“-Lösung: die Schaffung eines eigenen Rechtsrahmens für derlei Tätigkeiten. Voraussetzung dafür ist eine klare politische Haltung: Aus integrationspolitischen Überlegungen wird ein kleiner Teil des Arbeitsvolumens in Österreich AsylwerberInnen zur Verfügung gestellt – in Form der „gemeinnützigen Tätigkeiten für Gebietskörperschaften“. Es braucht die Bereitschaft, eine eigene Kategorie von Arbeit außerhalb der kollektivvertraglich geregelten Arbeitswelt zu schaffen und dabei der besonderen Lebenslage von Asylsuchenden Rechnung zu tragen.
Ein solcher rechtlicher Rahmen für „gemeinnütziges Tätigwerden“ von AsylwerberInnen sollte folgende Elemente enthalten:
Es handelt sich um Tätigkeiten zur „Förderung des Gemeinwohls“, die von Gemeinden, Gemeindeverbänden (wie z. B. Abfall- oder Sozialverbände), Ländern und dem Bund organisiert werden.
Es handelt sich um Tätigkeiten, die unter Anleitung, in gemischten Teams (also auch mit anderen ArbeitnehmerInnen) und in Teilzeit ausgeübt werden.
Die Tätigkeit soll tunlichst in Verbindung mit einer Ausbildung stehen – z. B. in Kombination mit Deutschkursen, einfach um Sprachpraxis zu fördern.
Durch die Tätigkeit von AsylwerberInnen darf sich der Beschäftigtenstand der Kommune oder anderer Anbieter nicht verringern.
Der „Anerkennungsbetrag“ bis zur Höhe der Geringfügigkeitsgrenze wird nicht auf die Grundversorgung angerechnet.
Eine Unfallversicherung für die Asylsuchenden ist zwingend vorgesehen.
Die Kommunen können sich einschlägig erfahrener Nichtregierungsorganisationen beim Management dieser Tätigkeiten bedienen – insbesondere bei gemeindeübergreifenden Aufgabenbereichen.
Das würde „gemeinnützige Beschäftigung ohne Geltung des Kollektivvertrages“ auf die AsylwerberInnen beschränken. BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung (und das sind auch Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte) wären davon nicht betroffen. Bei all dem muss man sich allerdings klar vor Augen halten: Dieser Rahmen ist auch die Schaffung eines Niedriglohnsektors für eine bestimmte Gruppe. Diese Niedriglohnarbeit bliebe aber auf AsylwerberInnen und auch bei ihnen zeitlich beschränkt. Denn Niedriglohnarbeit wird rasch zur Niedriglohnfalle. Jedenfalls verhindern die „Ein-Euro-Jobs“ in Deutschland eher einen Wechsel in kollektivvertraglich entlohnte Beschäftigung, als dass sie ihn erleichtern. Zudem würde die bestehende Beschäftigung von GemeindearbeiterInnen nicht gefährdet – ihr Ausbau ist wegen des budgetären Druckes auf die Kommunen ohnehin kaum zu erwarten.

Pragmatische Lösung
Kurzum: Es wäre einfach ein pragmatischer Weg, AsylwerberInnen sinnvolle und von der Gemeinschaft, in der sie leben, anerkannte Arbeit zu ermöglichen – und zwar ohne die Konkurrenz beim Wettlauf von Arbeitsuchenden um zu wenige Arbeitsplätze anzuheizen. Und alle Beteiligten hätten hohe Rechtssicherheit. Mit anderen Worten: Der Rahmen könnte der Integrationspolitik einen Ausweg aus dem Dilemma weisen, das mit den Stammtisch-Argumenten „Die leben nur auf unsere Kosten und tun nichts“ sowie „Die nehmen uns ja nur die Arbeit weg“ gut beschrieben ist.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gernot.mitter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gernot Mitter, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829496 Arbeit ist ein zentrales Element von Integration. Asylsuchende brauchen Vorbereitung dafür - Spracherwerb, berufliche Ausbildung, Anerkennung bzw. Anpassung ihrer beruflichen Qualifikationen. Damit sieht es in Österreich aber eher düster aus. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829435 Ignorierte Potenziale Deutsch im Pausenhof, Deutsch in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Deutsch in den Familien: Wenn es um Integration geht, sind schnell Sprachgebote bei der Hand. Dabei ist Mehrsprachigkeit in Österreich keinesfalls ein zugewandertes Phänomen, ganz im Gegenteil. In einigen Gegenden wie in Wien, im Burgenland oder in Kärnten ist sie ein einheimisches Phänomen. Die Sprachenrechte der autochthonen Volksgruppen in Österreich sind im Unterschied zu den Sprachen der Zuwanderer und Zuwanderinnen gesetzlich verankert. „Sie genießen auch im Schulsystem vordergründig betrachtet die expliziteren schulischen und sprachlichen Rechte als die zugewanderten Gruppen, die mittlerweile einen deutlich größeren Bevölkerungsteil ausmachen“, erklärt Sprachwissenschafterin Katharina Brizić.
Doch wie die lang anhaltende und heiß geführte Debatte über zweisprachige Ortstafeln in Kärnten zeigt, hat man mit anderen Sprachen als Deutsch in Österreich durchaus seine Probleme. Es zeige sich, dass der in der österreichischen Verfassung verankerte Schutz der autochthonen Sprachen allein für den Erhalt der Mehrsprachigkeit nicht ausreichend ist, so Brizić. „Im Burgenland befürchtet man ganz konkret, dass sich die sogenannten Minderheitensprachen wie Burgendland-Kroatisch, Ungarisch oder Romani im Alltag nicht halten werden – und das trotz verbriefter Rechte“, erklärt die Sprachwissenschafterin. Dagegen scheint die Situation mit dem Slowenischen in Kärnten eine deutlich günstigere zu sein: „Das Slowenische in Kärnten tendiert in seiner Stärke eher in Richtung der zugewanderten Sprachen in Österreich, von denen sich zumindest die viel gesprochenen bislang im österreichischen Alltag erhalten haben.“ Inzwischen beschäftige man sich in Österreich mehr mit viel gesprochenen Zuwanderersprachen, so Brizić. Das ist auch gut so, immerhin wird die Sprachenvielfalt an österreichischen Schulen immer größer: Im Schuljahr 2014/2015 etwa hatten 22,2 Prozent der Kinder eine nicht deutsche Umgangssprache, das sind um 11.000 mehr als im Schuljahr davor – bei sinkenden SchülerInnenzahlen. Den größten Anteil an SchülerInnen mit nicht deutscher Muttersprache verzeichnete die Bundeshauptstadt Wien: Hier sprechen 47,5 Prozent der Kinder eine andere Familiensprache als Deutsch.

Deutsch oder mehrsprachig?
Die meisten SchülerInnen mit nicht deutscher Muttersprache findet man in Österreich immer noch in Sonderschulen, gefolgt von polytechnischen Schulen und Neuen Mittelschulen. Neben Deutsch ist die Sprachengruppe Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) am meisten verbreitet, gefolgt von Türkisch. Rund 60.000 SchülerInnen gaben im letzten Schuljahr Türkisch als Erst- bzw. Muttersprache an. Eine beträchtliche Anzahl spricht auch Albanisch, Rumänisch oder Arabisch.
Die Mehrsprachigkeit gehört in Österreich also längst zur Normalität und stellt insbesondere das Schulsystem vor neue Herausforderungen. Für die Politik bleibt das Erlernen des Deutschen als Unterrichtssprache nach wie vor oberste Priorität. Manchmal ist diese Forderung sogar direkt gegen die Mehrsprachigkeit gerichtet, wie etwa die Forderung der oberösterreichischen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ vom letzten Jahr nach einer Deutschpflicht für SchülerInnen im Pausenhof. Eine ähnliche Initiative ging Anfang dieses Jahres von der steirischen Landesschulrats-Präsidentin Elisabeth Meixner aus. Fehlt es in Österreich politisch und gesellschaftlich am Bewusstsein für Mehrsprachigkeit? Für Brizić kann in Österreich von einem bewussten Umgang mit Mehrsprachigkeit keine Rede sein. „Heutzutage gibt es seitens verschiedener politischer Gruppen in Österreich vielleicht mehr Positionierung zum Thema Mehrsprachigkeit als zuvor. Ob das allerdings richtiggehend ‚Bewusstheit‘ ist, wage ich zu bezweifeln.“

25 Muttersprachen im Unterricht
Tatsächlich ist Österreich eines der wenigen EU-Länder, die in ihren Schulsystemen den nicht autochthonen muttersprachlichen Unterricht anbieten. Laut aktuellen Zahlen aus dem Bildungsministerium besuchten knapp 34.000 österreichische SchülerInnen den Unterricht in einer der 25 Muttersprachen. Dieses Angebot gilt jedoch als unverbindlicher Zusatzunterricht. Die meistbesuchten Muttersprachen im Rahmen dieses Unterrichtsangebots sind gleichzeitig die meistgesprochenen: BKS und Türkisch. Im Bildungsministerium ist man von der Bedeutung dieser schulischen Maßnahme überzeugt. „Neben dem Erwerb der Unterrichtssprache Deutsch ist es auch sinnvoll, die Erstsprachen der SchülerInnen weiterzuentwickeln“, sagt Daniela Gronold von der Abteilung für Diversität und Sprachenpolitik. Insbesondere in der Volksschule erfreut sich der muttersprachliche Unterricht großer Beliebtheit. „Die muttersprachlichen LehrerInnen begleiten das Kind bei der Eingliederung in die neue Umgebung und erleichtern aufgrund ihrer Sprachkenntnisse auch die Kommunikation zwischen Schulpersonal und Eltern“, so Gronold.

„Gute“ und „schlechte“ Sprachen
Im Bildungsministerium ist man sich auch des Potenzials der Mehrsprachigkeit bewusst. „Die mehrsprachige und multikulturelle Schule – und damit mehrsprachige Klassen – sind in Österreich Realität“, so Muriel Warga-Fallenböck. Die Bedeutung der Mehrsprachigkeit übersteigt dabei den schulischen Rahmen. „Auf individueller Ebene stellen Kompetenzen in mehreren Sprachen sowie im Umgang mit Menschen anderer kultureller Herkunft nicht nur eine persönliche Bereicherung dar, sondern haben sich auch als wichtige Kriterien für schulischen und vor allem beruflichen Erfolg herauskristallisiert“, hält die Leiterin der Abteilung für Diversität und Sprachenpolitik fest.
Doch der Umgang mit der Mehrsprachigkeit variiert in Österreich stark von Sprache zu Sprache. Während beliebte Prestigesprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch gerne gehört werden, blickt man argwöhnisch auf manche Sprachen der Zuwanderer und Zuwanderinnen im Schulunterricht. So sorgte Türkisch als Maturafach in den letzten Jahren oft für politischen Wirbel. „Die Berücksichtigung der sogenannten zugewanderten Mehrsprachigkeit ist im Schulsystem eine tendenziell benachteiligte“, kritisiert Katharina Brizić. Sie betont, dass insbesondere Sprachen der Minderheiten im schulischen Alltag vernachlässigt werden. „Bei Romani oder Kurdisch haben wir in Österreich etwa eine hohe SprecherInnenzahl, aber nur sehr, sehr wenig schulische Repräsentanz“, so die Mehrsprachigkeitsforscherin.

LehrerInnen unterstützen
Ansetzen sollte man insbesondere bei der LehrerInnenausbildung, so Brizić. „Dem künftigen Lehrpersonal muss sichtbar gemacht werden, dass die sprachliche Vielfalt kollektive Erfahrung und historische Entwicklung spiegelt. Wir müssen diese kollektive Erfahrung respektieren.“ Auch im Bildungsministerium will man das Lehrpersonal für die mehrsprachige Schule gut aufrüsten. „In der Fort- und Weiterbildung wurden neue Schwerpunkte in den Bereichen Migrationshintergrund, sprachliche Bildung, Mehrsprachigkeit, Deutsch als Bildungssprache sowie Deutsch als Zweitsprache geschaffen. In der PädagogInnenbildung neu sind diese Kompetenzen sogar verpflichtend“, erklärt Warga-Fallenböck.
In der Wirtschaft sind die Potenziale der Mehrsprachigkeit längst erkannt worden. Viele österreichische Unternehmen profitieren von zugewanderten MitarbeiterInnen, die einen mehrsprachigen Hintergrund haben. Ob es um die Erschließung neuer Märkte oder Gewinnung von ausländischen Kunden geht: Die Mehrsprachigkeit bleibt einer der wichtigsten Motoren der österreichischen Wirtschaft. Vor allem aber ist sie eine der wichtigsten Bedingungen, damit Menschen sich in ihrer Heimat, ob sie nun ganz neu oder schon etwas älter ist, zurechtfinden und an der Gesellschaft teilhaben können.

Linktipp:
Überblick über Initiativen
www.schule-mehrsprachig.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor nedad.memic@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Nedad Memi&#263;, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829449 Verteilung der Schülerinnen und Schüler nach Schultype und Umgangssprache. Unter Download können Sie die Grafik herunterladen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829423 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829415 Meine Erfahrungen in Österreich Als ich nach Österreich gekommen bin, ich habe viel erlebt. Ich war schon vorher in einer anderen Gesellschaft, deswegen kann ich besser Unterschiede fühlen. Der Weg, den ich gekommen bin, war schwierig. Ich war in einem Camp in Klagenfurt. Die Stadt ist grün und schön. Nach drei Tagen hat die Polizei mich nach Traiskirchen gebracht. Ein großes Camp mit vielen Leuten habe ich gesehen.

Ungewohntes Essen
Ich hatte immer gedacht, dass ich nur alleine mit weniger Leuten gekommen bin, aber ich habe große Massen da gesehen. Die Situation war schwer, weil es keine Disziplin gab. Die meisten haben viele Probleme mit den Lebensmitteln gehabt, weil der Lebensmittelgeschmack unterschiedlich in verschiedenen Ländern ist. Ich konnte auch nicht essen, weil ich es nicht gewöhnt war und das war das erste Mal.

Niemand verantwortlich
Ich habe jede Nacht gesehen, dass die Jungen Alkohol getrunken haben und gesagt, dass sie alleine sind und keine Personen haben, die für sie verantwortlich sind und keine guten Zukunftsaussichten haben. Das war für mich ganz neu. Es haben auch ein paar Leute geraucht und gesagt, wenn du traurig bist, hilft es dir. Als ich gesehen habe, dass die Leute das machen, habe ich mir gedacht, dass die Leute sich fühlen, dass sie im Gefängnis sind. Aber ich konnte es nicht verstehen, weil ich nur vier Tage da war. Eine Woche verging und ich habe eine Karte bekommen und ich habe alles gemacht, was ich für eine Anmeldung in Österreich machen musste. Aber es war interessant, ich habe auch besondere Gefühle gehabt. Ich habe gefühlt, dass ich alleine und ohne Eltern bin. Das war ganz schwer, aber zum Glück habe ich eine Überstellung nach Klosterneuburg bekommen. Am nächsten Tag bin ich gefahren. Als ich im Bus war, habe ich nachgedacht, ob ich zu einem guten Platz gehe oder nicht. Ich wusste nicht, wohin ich gehe. Nach einer Stunde bin ich zu einem Camp gekommen.

Geschmack von Freiheit
Ich habe ein Zimmer mit vier Leuten bekommen. Dort waren weniger Leute als in Traiskirchen und die Lebensmittel waren auch ein bisschen besser. Aber Klosterneuburg war gut, weil ich Deutschkurs hatte und Fußball spielen konnte. Die Leute aus Klosterneuburg waren auch sehr nett und sie haben immer für die Jungen geplant. Am Anfang von diesem Jahr hat es viele Partys in Wien gegeben. Ich bin auch einmal mit meinen Freunden gegangen. Das war das erste Mal, dass ich gesehen habe, dass Männer und Frauen tanzen zusammen und trinken. Ich habe gefühlt, dass hier Freiheit ist und jeder macht, was er will, aber eben nur erlaubte Sachen. In dieser Zeit konnte ich trinken und tanzen und das war das erste Mal, dass ich den Geschmack von Freiheit kosten konnte.

Neue Eindrücke
Einmal war ich im Deutschkurs und ich habe eine sehr nette Frau kennengelernt. Sie hat in Klosterneuburg gewohnt. Sie hat mich zum Mittagessen eingeladen. Das war nicht weit von unserem Camp und ich bin einfach gegangen. Das war das erste Mal, dass ich zu einer Österreicherin gegangen bin. Ich konnte nur ein bisschen Deutsch sprechen und das war schwer zum Reden. Wir waren beim Esstisch und bereit für essen und alle haben Besteck genommen und angefangen. Sie haben Besonderes gegessen, aber ich konnte nicht mit dem Besteck essen.
Ich habe einen guten Freund in unserem Camp gefunden. Der kommt aus Deutschland und war bei uns ein Betreuer in dem Camp. Ich konnte immer mit ihm reden und Ausflug und Spaß machen. Eines Tages sind wir schwimmen gegangen und ich habe mich gefreut, weil ich so lange nicht geschwommen bin. Ich war im Schwimmbad und habe gesehen, dass alle zusammen schwimmen. Ich habe das noch nie gesehen, dass Männer und Frauen zusammen schwimmen können.
Ich war seit drei Monaten in Klosterneuburg und habe viele Leute kennengelernt. Sie waren sehr nett und haben immer für uns geplant und haben uns zum Ausflug und Sport mitgenommen. Ich konnte viel von diesen Leuten lernen und ich war immer glücklich, weil ich gedacht habe, dass die ganzen Leute gleich und genauso nett sind. In meinen Gedanken sind alle Menschen gleich, egal welche Hautfarbe, woher man kommt oder welches Geschlecht man hat.
An einem schönen Sommertag war ich mit meinem Freund in Wien und wir wollten zum Fußballtraining gehen. Plötzlich haben wir zwei Leute gesehen, die auf uns zugekommen sind. Sie haben von weit böse ausgeschaut. Deswegen habe ich ein bisschen Angst bekommen. Sie haben gesagt „Was macht ihr hier?“ und „Seid ihr Ausländer?“. Sie haben ein bisschen geschimpft und dann sind sie gegangen. Ich habe gedacht, dass sie vielleicht betrunken sind. Aber dieses Wort „Ausländer“ war in meinem Ohr. Ich wusste nicht, was es bedeutet. Ich habe es vergessen und gedacht, dass das nicht wichtig ist.
Es war Wochenende und mein Freund hat mir gesagt, es gibt eine große Party in Wien und können wir hingehen. Wir sind gegangen und da waren viele Leute und auch ein großes Fest. Ich habe gesehen, dass zwei Kinder uns angeschaut und ausgelacht haben: „Ihr seid Ausländer.“ Ich habe wieder nicht verstanden. Wir sind ein bisschen nach vorne gegangen und haben getanzt. Nach einer Stunde wollten wir nach Hause gehen, als drei Leute zu uns gekommen sind und gesagt haben „Warum habt ihr schwarze Haare“ und wieder „ Ihr seid Ausländer, warum geht ihr nicht zurück?“. Dieses Mal hat das mich traurig gemacht und ich bin gelaufen und schnell mit dem Zug nach Hause gefahren.
Ich habe die ganze Nacht überlegt, was es bedeutet. Wieso hören wir jedes Mal diese Wörter: Das war die Frage, die ich mir die ganze Nacht gestellt habe. Wer sind diese Ausländer, die sie meinen? Am nächsten Tag habe ich unseren Betreuer gefragt, der mein Freund war. Er hat mir alles erzählt und gesagt, dass ich nicht zuhören muss. Ich habe durch diese Erlebnisse immer wieder gespürt, dass ich nicht in dieses Land gehöre. Ich habe mich ganz anders und komisch gefühlt. In Österreich gibt es aber auch sehr viele nette Menschen. Trotzdem ist in mir das Gefühl, dass ich nicht Teil der Stadt bin.

Großer Schritt
Ich wollte zu einer Schule gehen und habe „PROSA – Projekt Schule für Alle!“ in Wien gefunden. Die Aufnahme war ein großer Schritt für mich beim Lernen. Am ersten Tag habe ich den Direktor und unsere LehrerInnen kennengelernt. Die waren sehr nett.

Perspektive
Sie haben alles für uns gemacht und versucht, auch unsere Probleme zu lösen. Ich habe mich gefreut, weil ich wieder in einer fantastischen Schule lernen konnte. Wir hatten diese Fächer in der Schule: Mathematik, Englisch, Deutsch, Geschichte, Natur und Technik, Gesundheit und Soziales und Kreativität und Gestaltung. Wir hatten viele LehrerInnen für alle Fächer. Dann war ich jeden Tag in der Schule und das war am Anfang ein bisschen schwer. Aber ich habe es gemocht und jeden Tag bin ich gerne in die Schule gekommen. Ab diesem Schuljahr werde ich auch Schüler an einer Wiener HTL sein und hoffentlich bis Februar meinen Pflichtschulabschluss bei PROSA nachholen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor sahel.rustami@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

„PROSA – Projekt Schule für Alle!“
Das ist eine Initiative von „Vielmehr für Alle! – Verein für Bildung, Wohnen und Teilhabe“. Seit 2012 betreibt der Verein Projekte und Maßnahmen zur Förderung junger Menschen mit Fluchterfahrung. „Vielmehr für Alle!“ vereint zivilgesellschaftliches Engagement und professionelles Know-how. So entsteht ein vielfältiges Angebot für zentrale Lebensthemen junger Menschen in den Bereichen Bildung, Wohnen, Gesundheit, Arbeit und Kultur. „Vielmehr für Alle!“ bringt Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammen – und zwar auf Augenhöhe. Weitere Infos finden Sie unter
www.vielmehr.at

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Sahel Rustami, Flüchtling aus Afghanistan Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829403 Sahel Rustami holt gerade seinen Pflichtschulabschluss nach. Unter <a target="_blank" href="http://sahelrustami.wordpress.com">sahelrustami.wordpress.com</a> gibt er weitere Einblicke in seine Gedanken. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829326 Fokus auf das Gemeinsame Ob Paris, London oder New York: Metropolen leben von der Vielfalt ihrer Menschen, ihrer Kultur, Sprachen, Lebensstile, Religionen. Je bunter, desto faszinierender, aber auch herausfordernder. Auch Wien wird immer vielfältiger. Diese Veränderung irritiert viele Menschen und sie kann auch Angst machen. Man kann aber auch produktiv mit dieser Vielfalt umgehen. Eben das versucht der Antirassismus-Verein ZARA in seinen Trainings zu erreichen, die auch an Volkshochschulen angeboten werden.

Vorurteile reflektieren
„Es geht darum, Vorurteile zu reflektieren, Zuschreibungen wie ‚alle Flüchtlinge sind …‘, ‚alle Frauen mit Kopftuch sind…‘ einmal zu hinterfragen und Vielfalt positiv zu gestalten“, erklärt Bianca Schönberger, Geschäftsführerin bei ZARA Training. In Zusammenarbeit mit der AK Wien läuft bereits zum zweiten Mal ein Schulprojekt, das einen positiven Umgang mit Vielfalt im Berufsalltag, aber auch Teamfähigkeit und Zivilcourage fördern soll. BerufsschülerInnen setzen sich im Rahmen von interaktiven Workshops mit Vorurteilen, Diskriminierung, Zivilcourage und Rassismus auseinander. Es geht bei der Prävention auch um ein Nachdenken, was „die eigene Identität ausmacht, über Nationalität und Sprache hinaus“, sagt Schönberger. „Dann entdeckt man vielleicht Gemeinsamkeiten mit Nachbarn oder Kolleginnen, die nicht aus Österreich stammen oder Deutsch als Muttersprache haben – wie die Liebe zum selben Fußballclub, die Sportbegeisterung in der Freizeit, die gleichen Hobbys, oder man kommt sich durch Begegnungen in Schule und Kindergarten näher“, so die Geschäftsführerin. Es gibt im Alltag oft mehr Gemeinsamkeiten mit „dem Fremden“, als man zunächst annimmt.

Perspektivenwechsel
Oft hilft es auch, sich einmal in die Lage einer anderen Person zu versetzen, etwa sich zu überlegen: Ich bin auch Mutter von zwei Kindern – wie würde es mir in einer ähnlichen Situation gehen, wenn ich mit meinen Kindern plötzlich flüchten und in einem anderen Land komplett neu beginnen müsste? Wichtig sei auch, sich einen kritischen Geist gegenüber medialer Berichterstattung zu bewahren. „Besonders im Internet kursieren viele Falschmeldungen mit oft hetzerischen Behauptungen ohne konkrete Angaben zu Ort, Zeitpunkt, Zeugen etc. – ein angeblicher ‚Vorfall‘ in einem Freibad, irgendwann, irgendwo“. Hier rät Schönberger, auf seriöse Informationsquellen zu achten und Informationen aus unterschiedlichen Medien zu konsumieren.
Rund 48 Prozent aller WienerInnen haben einen Migrationshintergrund. Mit der Zuwanderung der letzten Jahre ergaben sich neue Impulse. Persönliche Kontakte zu verschiedenen Migrationsgruppen – sei es in der Arbeit, in der Nachbarschaft oder in der Freizeit – werden von jenen, die sich darauf einlassen, als Bereicherung empfunden. Man „profitiert“ vom anderen, indem man Einblicke in neue Lebensweisen, Motivation und Inspiration erhält. Das können eine neue Sprache, neue Länder, neue Speisen oder neue Gewohnheiten, die man vielleicht selbst in den Alltag integriert, sein.

Nachbarschaft
Seit einem Jahr arbeitet ein syrischer Arzt, der flüchten musste, im Krankenhaus Steyr in Oberösterreich. „Wir sind alle sehr froh, dass er bei uns ist. Er bringt eine Gelassenheit und Freundlichkeit ins Team, da können sich manche österreichischen KollegInnen etwas abschauen. Auch bei unseren PatientInnen ist er beliebt, weil er sich viel Zeit nimmt“, erzählt eine Oberärztin.
Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani erinnert sich in seinem Buch „Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime“, wie er von Kind an gewöhnt war, zwischen zwei Welten zu pendeln. Sobald er sein Elternhaus betrat, begann eine andere Welt als in der Schule: „Es war, als ob ich eine Grenze überschritten hätte. Von einem Schritt auf den anderen wechselte die Sprache, änderten sich die Verhaltensweisen, folgte ich anderen Benimmregeln, und zwar, ohne es zu reflektieren oder gar als problematisch zu empfinden, umgeben von Formen, Gerüchen, Geräuschen, Menschen und Farben, die es jenseits der Türschwelle nicht gab.“ Für ihn war das „so gewöhnlich wie meine eigene Haut“, erinnert sich Kermani. Für seine deutschen Freunde übte diese Welt aber eine Faszination aus. „Sie zogen es in der Regel vor, bei uns zu spielen.“ Es hätte keine verbotenen Räume gegeben, keine festgelegten Essenszeiten, keine Eltern, die sich in alles einmischten, nur ein paar Brüder, die aber gestört hätten.

Viele Identitäten
„Mit diesem Gefühl, dass es jenes und dieses gibt, bin ich groß geworden, und ich habe heute das Gefühl, meinen Freunden in dieser Hinsicht etwas vorausgehabt zu haben“, so Kermani. Als Sohn einer iranischen Arztfamilie wurde er in Deutschland geboren und lebt in Köln. Er brauchte niemals Aufklärung darüber, dass „das, was ist, nicht alles ist“.
„Dass Menschen gleichzeitig mit und in verschiedenen Kulturen, Loyalitäten, Identitäten und Sprachen leben können, scheint in Deutschland immer noch Staunen hervorzurufen – dabei ist es kulturgeschichtlich eher die Regel als die Ausnahme. Im Habsburger oder im Osmanischen Reich (…), heute noch in Isfahan oder Los Angeles waren oder sind Parallelgesellschaften kein Schreckgespenst, sondern der Modus, durch den es Minderheiten gelang, einigermaßen unbehelligt zu leben und ihre Kultur und Sprache zu bewahren“, schreibt Kermani.

Welches wir?
Wie sieht die Homogenität konkret in Österreich aus? Auch Österreich war und ist von großer Vielfalt geprägt, betont SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak: „Es leben Menschen mit unterschiedlichsten Biografien und Einstellungen im Land. Zugleich hat sich  Österreich nach dem Fall des Naziregimes in eine demokratische und rechtsstaatliche Kultur entwickelt, an die sich alle anzupassen haben, sowohl Menschen, die hier aufgewachsen sind, als auch Menschen, die neu ins Land kommen.“
Im Falle von „Fremden“ fällt immer wieder das Schlagwort der Anpassung an „uns“. Wie sieht dieses „Wir“ aus, an dem sich AusländerInnen orientieren sollen? Pollak gibt folgenden Ideenanstoß: „Die sogenannten ‚Wirs‘ hängen davon ab, wer man ist, wo man ist und mit wem man gerade spricht: wie beispielsweise ‚wir Studenten‘, ‚wir Lehrlinge‘, ‚wir Professoren‘, ‚wir Arbeitnehmer‘, ‚wir Lehrer‘, ‚wir Pensionisten‘, ‚wir Katholiken‘, ‚wir Juden‘, ‚wir Döblinger‘, ‚wir Simmeringer‘.“ Auch bei Bräuchen beobachtet Pollak Veränderungen: „Gerade da gibt es große Stadt-Land-Unterschiede.“ Halloween etwa wird erst seit einigen Jahren in Österreich von manchen gefeiert.
Karin Bischof und Dieter Schindlauer bieten mit ihrer „Sinnfabrik“ ebenfalls Workshops und Forschungen zu Diversität und Menschenrechten. Mit dem Land Steiermark, das eine „Charta des Zusammenlebens in Vielfalt“ veröffentlicht hat, haben sie zu diesem Thema zusammengearbeitet und sind auch der Frage des „Heimat(en) machen“ nachgegangen.
„Menschen in der Steiermark haben unterschiedliche Bedürfnisse. Das, was uns jedoch alle verbindet, ist das Bedürfnis nach Frieden, Freiheit, Nahrung und Wohnraum, nach Sicherheit, nach Gesundheit, nach menschlicher Nähe und Familienleben, nach Entwicklung, Bildung und Sinnerfüllung und – nicht zuletzt – nach Achtung unserer Persönlichkeit und nach Teilhabe am öffentlichen Leben“, lautet eine Schlussfolgerung.
Auch der steirische Ansatz lehnt Pauschalierungen von Gruppen ab und ist mehr auf das Individuum als das Kollektive ausgerichtet. „Es gilt zu verhindern, dass Individuen aufgrund ihrer Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe in ein ‚Gehäuse der Zugehörigkeit‘ gepresst werden. An die Stelle der weit verbreiteten Konzentration auf Gruppenzugehörigkeiten soll die Konzentration auf Lebenswelten treten.“

Linktipps:
www.zara-training.at
www.sinnfabrik.at
www.sosmitmensch.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829298 Ist Integration daran messbar, wenn MigrantInnen in Tracht österreichische Volkslieder singen? Wohl kaum, was in dieser Vorstellung aber deutlich wird, ist die Vorstellung, "sie" hätten sich an "uns" anzupassen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829306 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829218 Reportage: Schlüssel für ein neues Leben Nach kurzem Klopfen öffnet ein Bub mit kurzen schwarzen Haaren und großen braunen Augen die Wohnungstüre. „Hallo“, grüßt Ahmad. Seine Mutter Mufida Awayed und sein Vater Niddal Alkhaled bitten die Gäste, Platz zu nehmen. Sie sind sichtlich stolz darauf, Besucher in ihren vier Wänden empfangen zu können. Neugierig setzt sich der Fünfjährige mit seinem hölzernen Schaukelpferd an das Kopfende des Wohnzimmertisches. Die Sprache der Gäste versteht er noch nicht, aber ein paar Worte Deutsch hat er bereits im Kindergarten aufgeschnappt. Die Familie sieht erwartungsvoll auf Manan Hamou Khalil, der ihnen die Fragen der BesucherInnen in ihre Muttersprache übersetzt. Vater Niddal Alkhaled ist seit mehr als einem Jahr in Österreich und durfte als Asylberechtigter (nach der Genfer Flüchtlingskonvention) seine Familie nachholen. Mufida Awayed und ihre fünf Söhne im Alter von einem bis elf Jahren leben erst seit knapp zwei Monaten in Österreich. Die Familie stammt aus Golan, einem kleinen Ort in Syrien, an der Grenze zu Israel. Im „Integrationshaus“ in Wien-Leopoldstadt haben sie ein neues Zuhause gefunden. Sie leben dort in einer Wohnung im ersten Stock und die Kinder können bei schönem Wetter draußen im Park spielen.

Wie sich Integration hierzulande verändert hat, lässt sich an diesem Haus mit rund 110 BewohnerInnen ablesen. Vor 21 Jahren eröffnet, hat das Integrationshaus mit Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti einen prominenten Mitbegründer – das Ziel damals wie heute eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen. Aus dem einstigen Wohnheimbetrieb mit zwölf Mitarbeitern entstand ein Zentrum für Integration mit Qualifizierungs- und Sprachkursen, Arbeitsmarktprogrammen und psychosozialer Betreuung. Heute arbeiten über 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mehr als 200 ehrenamtliche HelferInnen mit. Sie sprechen über 40 verschiedene Sprachen.
Das Integrationshaus erinnert ein wenig an ein StudentInnenwohnheim – lange Gänge, ein zentrales Stiegenhaus, Seminar- und Computerräume. Es gibt 40 Wohnungen für zwei bis sieben Personen. WCs und Duschen sind am Gang. Gemeinschaftsräume zum Kochen gibt es keine.
Die BewohnerInnen sind froh darüber, wieder zu sich einladen zu können. Mufida Awayed kann nach Monaten wieder für ihre Familie kochen. Neben dem Tisch ist eine kleine Küchenzeile mit Elektroherd und Abwasch. Während des Gesprächs hält die 33-Jährige ihren jüngsten Sohn Walid im Arm, er ist knapp eineinhalb Jahre alt. Sie besucht seit Kurzem einen Alphabetisierungskurs und lernt Deutsch. Ihr Mann lernt ebenfalls Deutsch und macht ein Praktikum beim AMS. Dort lernt der 42-Jährige, wie er sein Handwerk in Österreich ausüben kann. Auf den Job angesprochen, steht er auf, kramt kurz in seinen Unterlagen in einer Schublade und kommt mit einem Stapel Fotos wieder. Stolz präsentiert er seine besten handwerklichen Arbeiten. Niddal Alkhaled hat 24 Jahre lang Deckenverkleidungen aus Gipskarton angefertigt, ist also Stukkateur. Er hat in Syrien, Katar und im Libanon gearbeitet. Die Fotos zeigen kunstvoll verzierte Zimmerdecken in Hotels und Villen, eine in täuschend echter Holzoptik. „Holz ist in Syrien teuer“, übersetzt der Dolmetscher.

Erntehilfe oder Tourismus
Als Asylberechtigter ist Herr Alkhaled am Arbeitsmarkt ÖsterreicherInnen gleichgestellt. Durch das Praktikum will er seine Jobchancen verbessern. AsylbewerberInnen dürfen nach drei Monaten arbeiten, aber nur in Bereichen wie Erntehilfe oder Saisonarbeit. „In den 1990er-Jahren standen ihnen mehr Möglichkeiten offen“, sagt Integrationshaus-Geschäftsführerin Andrea Eraslan-Weninger. In Mangelberufen wie in der Gastronomie kommen AsylwerberInnen heute nur dann zum Zug, wenn es keine/n geeignete/n BewerberIn aus einem EU-Land gibt. Flüchtlinge bis 25 Jahre dürfen seit 2015 in Mangeljobs eine Lehrausbildung absolvieren.

Lohndumping durch Ein-Euro-Jobs
Das Integrationshaus fordert seit Jahren für AsylwerberInnen einen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, längstens sechs Monate nach ihrer Ankunft in Österreich. „Die Förderung der Selbsterhaltungsfähigkeit ist wichtig, damit Asylsuchende und Flüchtlinge ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Sie vom Arbeitsmarkt auszuschließen ist unmenschlich“, so Eraslan-Weninger. Den vieldiskutierten Ein-Euro-Jobs kann sie gar nichts abgewinnen. „Das führt nur zu Lohndumping, nicht zu Integration.“ Vielmehr sollten Qualifizierungsmaßnahmen und Qualifikationschecks, mit denen das AMS die Kompetenzen der Geflüchteten einstuft, weiter ausgebaut werden. „Die sind wichtig, denn früher wurden die Kompetenzen von Flüchtlingen oft zu niedrig eingeschätzt.“
Manan Khalil, ein sportlicher Mann mit angegrautem Vollbart, dolmetscht das Gespräch mit den Alkhaleds. Er hat nur einen leichten Akzent, spricht beinahe fehlerfrei. „Ich war zunächst in Villach untergebracht. Deutsch habe ich innerhalb von zwei Jahren gelernt.“ In Aleppo hat er als Mediziner gearbeitet. Eine Anerkennung seiner Ausbildung ist langwierig. Seine Syrisch-Kenntnisse sind ein großer Vorteil, denn die Zusammensetzung der HausbewohnerInnen hat sich verändert. Zwar stammt die Mehrheit der BewohnerInnen weiterhin aus Tschetschenien, ein Grund dafür sind die langen Asylverfahren. Dahinter folgen aber nun SyrerInnen und AfghanInnen. Viele verschiedene Kulturen unter einem Dach, das läuft nicht immer spannungsfrei ab. „Es gibt Probleme, wie in jedem Gemeindebau auch. Unsere Betreuer und Betreuerinnen vermitteln dann zwischen den Parteien“, so Eraslan-Weninger. Ein Burkaverbot hält sie nicht für notwendig. „Wir hatten nur einmal eine Burkaträgerin im Haus. Diese Diskussion spricht nicht die großen Fragen der Integration an und wird populistisch aufgebauscht.“ Die Rolle der Frau in der westlichen Welt ist aber ständiges Thema im Integrationshaus und fließt in die jeweiligen Kurse und Projekte ein und wird auch in den Kinderprojekten behandelt.

Gebäude mit Fluchtgeschichte
Vor dem weißen, fünfstöckigen Integrationshaus spielen zwei Mädchen gerade mit Wasserbomben. Das Gebäude hat ebenfalls eine Fluchtgeschichte: Sowohl der jüdische Architekt Karl Jaray als auch Eigentümer und Fabrikbesitzer Hugo Bunzl mussten vor den Nationalsozialisten fliehen.

Ein Haus wie ein Palast
Das Lichtermeer im Jahr 1993 war die Initialzündung für das „Projekt Integrationshaus“. Damals protestierten 300.000 Menschen auf dem Heldenplatz für Solidarität statt Ausländerhass. Der erste „Flüchtlingsball“ 1995 brachte die nötigen Geldmittel ein und im selben Jahr zogen die ersten Flüchtlinge in das einstige Bürogebäude.
Ðaneta Memišević, eine gebürtige Bosnierin mit adrettem, grau meliertem Kurzhaarschnitt und schwarz umrandeter Brille, besucht noch heute regelmäßig das Integrationshaus. Sie erinnert sich noch ganz genau an die ersten Eindrücke im Jahr 1995: „Das Haus wirkte auf mich aufgrund seiner Größe wie ein Palast.“ Zuvor hatte sie mit ihren drei Kindern in verschiedenen Flüchtlingslagern gelebt, Privatsphäre gab es kaum. „Endlich hatten wir einen Schlüssel zu unseren eigenen vier Wänden, und wir wurden gefragt, was wir brauchen“, so Memišević.
Unterstützung bekam sie von einer Sozialarbeiterin, die ihr bei den Behördenwegen behilflich war. Die Zwillingssöhne, damals acht Jahre alt, und die zehnjährige Tochter bekamen rasch einen Schulplatz. Die Familie lernte Deutsch.
„Für mich sind die Kulturen von Österreich und Bosnien ähnlich, auch die gesellschaftlichen Regeln. Für mich war es zentral, mich zu integrieren, Deutsch zu lernen und zu arbeiten.“ Zunächst betreute die gelernte Volksschullehrerin Kindergruppen im Integrationshaus, später arbeitete sie für einen Verein, der sich für gehörlose Menschen einsetzt. Nach eineinhalb Jahren zog Ðaneta Memišević mit ihren Kindern in eine eigene Wohnung.
Ein neuer Job, eine neue Bleibe – so sieht der Idealfall aus. Doch der Wiener Wohnungsmarkt stellt das Integrationshaus vor große Herausforderungen. Früher musste man nur zwei Jahre in Wien gemeldet sein, um Anspruch auf eine Gemeindewohnung zu haben, heute sind es fünf. „Das war eine wichtige Ressource für uns. Am privaten Wohnungsmarkt gibt es bei den hohen Mietpreisen kaum leistbaren Wohnraum für Flüchtlinge“, so Eraslan-Weninger.
Es brauche Mut zu neuen Projekten, wie 2013 am Nordbahnhof. In einem Genossenschaftsbau mit 100 Wohnungen waren 30 Wohnungen für BewohnerInnen des Integrationshauses reserviert. Die meisten wohnen jetzt noch dort, finanzieren die Miete selbst. „Das war gut für die Integration – es ist ein aktives Grätzel entstanden.“

Mindestsicherung als Auffangnetz
Ein zentraler Wendepunkt in der Integrationspolitik war für Eraslan-Weninger die Einführung der Grundversorgung im Jahr 2004. „Zuvor waren viele Menschen ohne jegliche Versorgung.
Viele Bewohner der ersten Generation mussten wir zur Gänze aus Spenden finanzieren.“ Eraslan-Weninger warnt aber davor, die Mindestsicherung – wie in Oberösterreich – zu kürzen, da sie notwendig sei, um nicht in Armut zu leben.
„Die Armutsgrenze liegt bei einer Person bei ca. 1.000 Euro, die Mindestsicherung liegt darunter. Kürzungen schaden der Integration.“ Auch das neue Gesetz mit Asyl auf Zeit und dem eingeschränkten Familiennachzug „sind der Integration gegenläufig. Die Menschen können sich nicht integrieren, wenn sie drei Jahre auf ihre Familie warten müssen“, sagt Eraslan-Weninger.
Ðaneta Memišević und ihre Familie haben einen langen Weg hinter sich. Sie wirft noch einen Blick zurück auf das Haus, das einst ihr Zuhause war. Sie hat sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut, eine Vollzeitstelle gefunden und Wurzeln geschlagen. Auch ihre Kinder haben hier eine Zukunft gefunden.

Ein langer Weg
Die Familie Alkhaled/Awayed hat diese Schritte noch vor sich. Niddal möchte so schnell es geht „Deutsch lernen und einen Job bekommen“.
Wichtig ist ihm aber vor allem, dass sich seine Kinder gut integrieren und Freunde finden. Dass das Zeit in Anspruch nimmt, weiß er: „Man weiß nicht, wie lange so etwas dauern wird.“

Linktipp:
Wiener Integrationshaus
www.integrationshaus.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sandra.knopp@gmx.at und udoseelhofer426@msn.com oder die Redaktion aw@oegb.at

Buddykurse im Integrationshaus
Interessierte können sich im Integrationshaus zum Flüchtlingsbuddy ausbilden lassen. Der Kurs findet einmal in der Woche statt. Die Themen sind unter anderem: Asylrecht und Fremdenrecht, Bildung, Arbeitsmarkt und Jobcoaching, Freizeitgestaltung in Wien, Leben in der Grundversorgung, politische Bildung für und mit MigrantInnen, Deutsch als Zweitsprache, Leben in der Grundversorgung sowie Flucht und Trauma.
Koordinatorin ist Sonja Scherzer vom Integrationshaus. Die Aufgaben eines Buddys sind unterschiedlich. Sie gehen von Nachhilfe für die Kinder, Konversation mit den Betreuten über das Kennenlernen von Wien und den wichtigsten Institutionen bis hin zur Hilfe bei der Job- und Wohnungssuche.
Kursbeginn: 20. und 21. September 2016
Anmeldung
unter: s.scherzer@integrationshaus.at

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Sandra Knopp und Udo Seelhofer Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829242 Ahmad Alkhaled geht ab Herbst regelmäßig in einen Wiener Kindergarten. Walid ist das jüngste Kind der Familie. Das hölzerne Schaukelpferd teilt er oft mit seinem großen Bruder Ahmad. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829250 Mufida Awayed kam vor etwas mehr als zwei Monaten mit ihren fünf Söhnen nach Österreich und besucht seit Kurzem einen Deutsch- und Alphabetisierungskurs im Integrationshaus. Die Kinder werden dann im Haus betreut. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829255 Niddal Alkhaled (rechts) möchte in Österreich als Stukkateur arbeiten und zeigt Bilder seiner besten Arbeiten. Manan Khalil (links) dolmetscht das Gespräch. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473904829141 Diskussion: <s>Über</s> Mit MigrantInnen reden Arbeit&Wirtschaft: Die Quali für die Fußball-WM hat begonnen. Wem drückt ihr die Daumen?

Amela Džananović: Wenn Österreich spielt, dann Österreich.

A&W: Es scheint, dass MigrantInnen immer weniger ein Problem damit haben, mit zwei Identitäten zu leben. Trotzdem werden sie auch deswegen oft kritisiert, zum Beispiel wenn sie mit einer türkischen Flagge herumlaufen.

Filiz Kalayci: Ich persönlich kann auch keine Fahne mehr sehen. Und schon gar nicht, wenn diese in Zusammenhang mit Demonstrationen, die aus dem Ruder laufen und bei denen andere Menschen angegriffen und attackiert wurden, stehen. 

Dino Šoše: Das Demonstrationsrecht gilt für alle. Es spricht nichts dagegen, dass Migranten für oder gegen etwas in ihrer Heimat demonstrieren.

Kalayci: Ja, aber vor Kurzem haben die Türken hier randaliert. Das geht nicht. Einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen, anderen Kulturen darf man erwarten.

Šoše: Ich bin gegen Pauschalisierungen. Man muss hier schon einen Unterschied machen zwischen Einzelpersonen, die zu Extremen neigen, und einer ganzen Community.
 
Džananović: Sie sollen das Demonstrationsrecht nutzen können. Natürlich unter der Voraussetzung, dass alles geregelt und ordnungsgemäß abläuft. Lieber wäre mir jedoch, dass sie mehr Interesse an der österreichischen Innenpolitik zeigen und für die Mitgestaltung der Zukunft, dort wo sie zu Hause sind, nämlich in Österreich, eintreten. 

A&W: Der deutsche Nationalspieler Mesut Özil wurde für seine Pilgerreise nach Mekka kritisiert. Was heißt Integration für Sie: Wo beginnt und wo endet sie?

Džananović: Integration ist ein langwieriger und gesamtgesellschaftlicher Prozess. Auf der einen Seite werden von MigrantInnen der Spracherwerb, Respektierung und Einhaltung von Normen und der österreichischen Rechts- und Werteordnung vorausgesetzt. Von der Aufnahmegesellschaft wiederum wird die chancengleiche Teilhabe unter Gewährung der rechtlichen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen erwartet, die auch eine Mitgestaltung in zentralen Bereichen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens zulässt. Eine Messung der Integrationsrealität bzw. der Integrationsunwilligkeit sollte erst zum Thema werden dürfen, wenn die Zugänge zur Bildung und zum Arbeitsmarkt auch für MigrantInnen gewährleistet sind und wenn Diskriminierung aufgrund von Namen und Herkunft nicht mehr gegeben ist.

Šoše: Das ist schwer zu sagen. Meiner Meinung nach machen wir beim Thema Integration bereits ganz am Anfang einen Riesenfehler, weil wir ausschließlich zwischen Migranten und Nichtmigranten unterscheiden.

A&W: Wie meinen Sie das?

Šoše: Wir haben in Österreich zwei Beispiele für „mega super gut integrierte“ Migrantinnen: Muna Duzdar und Maria Vassilakou. Besser als die beiden kann man gar nicht integriert sein und dennoch liest man Kommentare wie „Die überrollen uns“, „Gute Nacht, Österreich“ und „Jetzt erst recht FPÖ“ in Bezug auf diese Politikerinnen. Also einerseits heißt es, wir sollen uns integrieren, andererseits heißt es „Gute Nacht, Österreich“ wenn wir perfekt integriert sind. Es reimt sich einfach nicht.

A&W: Besteht hier auch ein Zusammenhang zwischen gebildeten und weniger gebildeten Menschen? 
 
Šoše: Gegenfrage: Sind Martin Graf oder Dagmar Belakowitsch-Jenewein ungebildet? Es gibt viele gebildete Menschen, die andere Menschen hassen oder gegen sie hetzen. Und genauso gibt es gebildete Migranten, die rassistisch und homophob sind.

Džananović: Man muss allen, ungeachtet ihrer Geburtsländer, die Gewalt ausüben und Feinde des gesellschaftlichen Pluralismus sind, Integrationsunwilligkeit vorwerfen.

Šoše: Bei mir jedenfalls funktioniert die gängige Schubladisierung von Migrant und Nichtmigrant nicht. Wenn man Migrant sagt, dann vergleicht man mich mit einer großen Gruppe unterschiedlicher Menschen. Und das Einzige, das uns verbindet, ist die Tatsache, dass wir nicht in Österreich geboren wurden. Das ist mir zu wenig.

Džananović: Mich stört auch, dass meine Deutschkenntnisse ständig gelobt werden. Mittlerweile entgegne ich immer: „Ja, du sprichst auch gut Deutsch.“ Und ein ABER lasse ich nicht gelten. Warum wird mein Migrationshintergrund immer so hervorgehoben? Ich bin doch schon mein ganzes Leben hier.

Šoše: Das sind alte Gewohnheiten. Früher kamen GastarbeiterInnen, die kurz Geld verdienen und nach Hause fahren wollten. So haben sie sich vorgestellt und so wurden sie auch wahrgenommen. Das Problem ist, dass diese Wahrnehmung bis heute anhält. Man betrachtet mein Kind, das in Wien geboren wurde, als Gastarbeiter: anderer Name ist gleich anderer Geburtsort. Doch das galt in den Siebzigerjahren, heute nicht mehr. Der Prozess, sich an den neuen Migranten 2.0 zu gewöhnen, der muss erst noch stattfinden.

A&W: Integration heißt Sprache: Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Šoše: Zusätzlich zur Sprache bedeutet Integration, die Schule zu besuchen, arbeiten zu gehen, sich zu informieren, Chancen wahrzunehmen. Wenn das Integration ist, dann unterscheiden sich Migranten und Nichtmigranten nur in einem Punkt: dem Erlernen der Sprache. Alle anderen Punkte gelten für alle in Österreich lebenden Menschen. 

Džananović: Du musst dich verständigen, deine Wünsche äußern können. Sobald du der deutschen Sprache mächtig bist, kannst du alles andere angehen und erfolgreich abschließen.

A&W: Wie lange sind Sie schon in Österreich?

Kalayci: Mein Vater kam vor 43 Jahren als Gastarbeiter, 20 Jahre später folgten meine Mutter und Schwester nach. Ich verbrachte nur meine Ferien- und Urlaubszeit in Österreich. 2011 kam ich als politischer Flüchtling.

Džananović: Seit 1992.

Šoše: Eigentlich kam ich 2005 als „Wirtschaftsflüchtling“ aus Deutschland nach Wien. Und 1993 als Kriegsflüchtling aus Bosnien nach München.

A&W: Inwieweit war für Sie die deutsche Sprache zu Beginn eine Herausforderung? Wie war die erste Zeit?

Kalayci: Die ersten acht Monate, während ich auf meinen Asylbescheid wartete, waren richtig schwer. Ich hatte das Gefühl, dass mir nur Steine in den Weg gelegt wurden. Ohne positiven Bescheid kein Anspruch auf einen Deutschkurs, hieß es. Also pendelte ich täglich aus Niederösterreich nach Wien, um einen Privatkurs zu besuchen. Ich hatte keinerlei Unterstützung, das war nicht immer einfach.

Džananović: Ich war sehr jung und konnte mich als Einzige ein bisschen auf Englisch verständigen. Mit zwölf Jahren war ich so gesehen aufgrund dieser Sprachkenntnisse für meine ganze Familie verantwortlich. Zum Glück konnte ich aufgrund des Deutschkurses innerhalb kürzester Zeit den Schulunterricht mitverfolgen und mich einbringen.  

Šoše: Mir hat die deutsche Sprache das Leben gerettet. Meine Mutter war Deutschprofessorin und 1993 für das deutsche Technische Hilfswerk (THW) in Bosnien als Dolmetscherin tätig. In letzter Sekunde haben sie alle Dolmetscher und deren Familien aus dem Kriegsgebiet gebracht. In München bekamen wir relativ schnell eine Wohnung und meine Mutter einen Arbeitsplatz beim THW, wo sie bis heute beschäftigt ist. 

Džananović: Einen Arbeitsplatz zu finden war auch für meine Mutter nicht so schwer. Unser Problem war jedoch, dass sie keine Arbeitsbewilligung bekam und uns die Abschiebung drohte. Durch den Einsatz meines damaligen Schuldirektors, der Gitarrenlehrerin und eines TV-Berichtes konnte das Schlimmste verhindert werden.

A&W: Was hat Ihnen bei der Integration geholfen und was hat nicht so gut funktioniert?

Džananović: Ich hatte Schreckliches in Bosnien gesehen und erlebt und eine lange und beschwerliche Flucht hinter mir. In Österreich angekommen, war ich unendlich dankbar, in einem sicheren Land, wo kein Krieg herrscht, zu sein. Ich habe nächtelang Bücher gelesen, um schneller Deutsch zu lernen. Wie und ob etwas klappt, hängt oft von der persönlichen Einstellung ab. Man muss schon selbst wollen.

Kalayci: Sobald sich die Türen öffnen, ist alles viel leichter. Nach dem positiven Asylbescheid bekam ich einen Job in einer Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Seit 2013 berate ich MigrantInnen in der UNDOK-Anlaufstelle. Normalerweise dauert es lange, einen Job zu finden. Ich hatte sehr viel Glück.

Džananović: Eine große Unterstützung waren auch damals Privatpersonen, die ihre Hilfe angeboten und als Wegweiser fungiert haben. Von institutioneller Seite kam da sehr wenig.

Kalayci: Ich, als Rechtsanwältin, hätte mir auf jeden Fall einen Deutschkurs für Fortgeschrittene bzw. für besser Qualifizierte gewünscht. Es kann nicht sein, dass Menschen mit einem Uniabschluss und Menschen, die das Schreiben und Lesen erst erlernen müssen, in einer Klasse unterrichtet werden. Das ist ein Nachteil für alle Beteiligten. Das Erlernen der Sprache, aber auch des Schreibens wird nur in die Länge gezogen.

A&W: Filiz Kalayci, was können Sie aus Ihrer Tätigkeit in der UNDOK-Anlaufstelle berichten?

Kalayci: Die UNDOK-Anlaufstelle ist eine Initiative von mehreren Fachgewerkschaften, AK Wien, ÖH-Bundesvertretung, von NGOs aus dem fremden- und asylrechtlichen Bereich sowie antirassistischen AktivistInnen. UNDOK bietet Menschen, die ohne Aufenthalts- und/oder Arbeitspapiere arbeiten, kostenlose und anonyme Beratung in mehreren Sprachen an. Unsicherheiten in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht und ein eingeschränkter bzw. versperrter Zugang zum Arbeitsmarkt machen undokumentierte ArbeitnehmerInnen besonders leicht erpress- und ausbeutbar. Unsere Beratungspraxis belegt, dass undokumentierte Arbeit unsicher, schlecht bezahlt und gefährlich ist.

A&W: Mit welchen anderen Problemen haben MigrantInnen täglich zu kämpfen?

Šoše: Übergewicht. (Gelächter bricht aus.)

Kalayci: Die Wohnsituation vieler MigrantInnen ist oft wirklich dramatisch. Viele leben wie in einem Ghetto, in einer eigenen, geschlossenen Gesellschaft. So können sie sich nicht integrieren und wie ÖsterreicherInnen leben.      

Šoše: Sie leben ja dort nicht, weil sie Türken oder Bosnier sind. Sie leben dort, weil sie Arbeiter sind und sich eine Wohnung in den Innenbezirken nicht leisten können.

A&W: Dino Šoše, Sie heißen nicht Max Mustermann, aber Sie sind Herausgeber des BUM-Magazins. Wie waren Ihre Anfänge in der Medienbranche?

Šoše: Als ich merkte, dass mein Informatik-Studium nicht das Richtige ist, bewarb ich mich für ein Praktikum bei verschiedenen Werbeagenturen. Der Beruf des Grafikers hat mich immer interessiert. In der Werbebranche wird man nicht nach den Nachnamen, sondern den Arbeiten bewertet. Als dann die ersten kostenlosen Zeitschriften auf den Markt kamen, fand ich, dass die exjugoslawische Community so etwas auch brauchen könnte. So entstand die Idee für das BUM-Magazin.

A&W: Mittlerweile organisieren Sie die Integrationswoche in Wien und vergeben den MigAward. Wie kam es dazu?

Šoše: Migranten leben nicht nur in Österreich, sie wollen auch mitbestimmen. Vor der Integrationswoche gab es einen Integrationspreis, wo Banken und Casinos entscheiden konnten, wer integriert ist und wer nicht. Ich dachte, dass die Zeit reif ist für einen Perspektivenwechsel. Ich wollte Migranten eine Stimme geben und sie entscheiden lassen, wer gut für sie ist und wer schlecht. Anfangs hatte ich große Bedenken, ob das klappt – unnötigerweise. Dadurch bekam ich zwar ein paar Feinde, aber auch sehr viele neue weltoffene Freunde.

A&W: MigrantInnen holen bei der Bildung auf. Trotzdem haben es viele schwer, einen Job zu finden. Liegt das am ausländischen Namen?

Šoše: Mit meinem Team habe ich vor einiger Zeit drei falsche E-Mail-Accounts eingerichtet. Für den Murat aus der Türkei, den Milan aus Serbien und Wolfgang aus Österreich. Mit diesen haben wir uns auf Wohnungssuche begeben. Obwohl Murat als Erster ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler angefragt hatte, bekam er als Letzter eine, oft gar keine Antwort. Wolfgang, der die meisten Fehler und Tage später angefragt hatte, bekam die meisten Besichtigungstermine.

Kalayci: Als Asylberechtigte habe ich sechs Monate lang eine Wohnung gesucht. Obwohl ich alle wichtigen Infos – vom Studium der Rechtswissenschaften bis hin zum positiven Asylbescheid – angab, bekam ich nur von einem türkischen Vermieter eine Antwort.

Šoše: Wir werden diesen Test noch einmal durchführen. Und dann werden wir alle bloßstellen und die Daten veröffentlichen. Unter den angeschriebenen Immobilienmaklern waren auch Serben, Bosnier und Türken. Sogar der Migrant wollte dem Migranten keinen Termin geben. Wahrscheinlich, weil er dachte, das kommt beim Vermieter nicht so gut an.

A&W: Oder weil man davon ausgeht, dass Wolfgang zuverlässiger ist und die Miete regelmäßig bezahlen wird?

Šoše: Ja, genau, das sind die klassischen Vorurteile. Wir leben in Social-Media-Zeiten und da hat man wenig Zeit, um nachzudenken. Man möchte alles kurz und knapp zusammengefasst haben. Die wenigsten interessieren sich für Details. Und wenn sich jemand nicht für Migranten und Integration interessiert, dann bildet er sich die Meinung auf der Straße. Da wird alles kurz und knapp präsentiert, wie etwa: „Islam statt daham.“

A&W: Integration ist heute ein großes Thema. War es vor 25 Jahren anders?

Šoše: Das kann man nicht vergleichen.

Džananović: Ich kann das schwer beurteilen. Bei uns ergab sich eines nach dem anderen. Viel haben wir auch aufgrund von Eigeninitiative erreicht. Ich wurde ausgelacht, als ich den Wunsch äußerte, das Gymnasium besuchen zu wollen. Eine Lehre als Friseurin sei genauso gut. Das ließ ich mir nicht gefallen. Aus einer Telefonzelle rief ich den Schuldirektor an und erklärte in gebrochenem Deutsch, warum ich diesen Platz unbedingt haben möchte. Und schlussendlich bekam ich ihn auch.

Šoše: Dafür braucht man aber viel Mut.

Džananović: Das Problem vieler MigrantInnen ist, dass sie glauben, anders zu sein, und sich nichts zutrauen. Deswegen wissen sie oft nicht, welche Möglichkeiten sie haben.

Šoše: Österreich braucht mehr selbstbewusste Migranten – und ich bin überzeugt, dass sie im Kommen sind. Das ist die nächste Generation, unsere Kinder sind selbstbewusste WienerInnen. Sie kennen das Gefühl, aus einem fremden Land gekommen zu sein, nicht. Aber es ist auch ein Teufelskreis. Unter meinen Nachfahren wird sich sicher der eine oder andere finden, der sich als „echter“ Österreicher bezeichnen und die Neuankömmlinge weniger gern haben wird. 

Džananović: Das haben wir jetzt schon bei der aktuellen Flüchtlingsproblematik. Viele MigrantInnen sind total radikal und gegen Flüchtlinge.

Šoše: Gerade deswegen hat die Diskussion um Migranten und Nichtmigranten wenig Sinn, weil es eben auf beiden Seiten solche und solche gibt.

Džananović: Ich komme mit dem Phänomen, dass Kinder, die hier geboren sind, einen so starken Patriotismus zum Ursprungsland ihrer Eltern entwickeln und sich nicht mit Österreich identifizieren, absolut nicht klar.

Šoše: Ich habe da eine Theorie. Und zwar, dass der Nationalismus mit der Entfernung zum Heimatland wächst. Man sagt tatsächlich in Bosnien, dass die größten Nationalisten in der Diaspora leben. Ich glaube, sie können die Vorteile des Lebens in Österreich mit der Liebe zum Ursprungsland nicht in Einklang bringen.

Džananović: Aber bei Kindern lässt sich das doch in eine andere Richtung lenken.

Šoše: Es gibt niemanden, der ihnen erklärt, dass sie sich für die multiple Identität nicht schämen müssen. Kinder sind Opfer von Problemen, mit denen ihre Eltern zu kämpfen haben. Und wenn du in der Schule auch noch der Tschusch bist, dann stärkt das nur noch mehr dein falsches Identitätsdenken. Ständig wird von Werten und Verboten gesprochen, niemand spricht von Aufklärung.

A&W: Stimmen, die hetzen, werden immer lauter. Was kann man dagegen tun?

Šoše: Wir brauchen eine Allianz der Weltoffenen. Wenn diese Menschen lauter werden, dann wird die Vielfalt der Gesellschaft selbstverständlich und die Integrationsdebatte findet hoffentlich eine ganz neue Richtung. So wie sie jetzt geführt wird, hat es absolut keinen Sinn. 

A&W: Die Arbeitsmarktöffnung für Flüchtlinge ist ein Dauerbrenner. Wie stehen Sie dazu?

Kalayci: Flüchtlinge, die keinen Arbeitsmarktzugang haben, müssen im informellen Sektor arbeiten, unter gefährlichen Bedingungen und bei schlechter Bezahlung. Als UNDOK-Anlaufstelle fordern wir gleiche Rechte für AsylwerberInnen. Wer rechtmäßig in Österreich ist, soll auch die gleichen Rechte haben.

Šoše: Wollen wir Menschen, die ganz frisch nach Österreich kommen, integrieren und als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft oder sollen sie Bürger zweiter Klasse werden? Ein „Ein-Euro-Job“ zum Beispiel klingt für mich sehr unterbezahlt. Aber das ist typisch Sebastian Kurz. Seine ständige Verarschungspolitik macht mich richtig sauer. Er denkt wohl, wir (Anmerkung: Migranten) sind Deppen, die aus irgendwelchen Ländern kommen, wo man nichts lernt und auch nicht merkt, wenn man verarscht wird.

A&W: Beobachten Sie noch, was in Ihrer „früheren“ Heimat passiert?

Šoše: Bosnische Politiker sagen zwar, dass sie in Richtung EU arbeiten, tun aber gar nichts. Und wenn ich die Nachrichten aus Bosnien lese, dann deprimiert mich das. Gleichzeitig freue ich mich, seit mehr als 20 Jahren in der EU zu leben.

Kalayci: Ich beobachte täglich die Geschehnisse in der Türkei und muss sagen, dass sie zurzeit sehr weit entfernt von der EU sind. Die Türkei muss kritisiert werden, vor allem wegen den Eingriffen in die Meinungs- und Pressefreiheit.

A&W:  Als was fühlen Sie sich: ÖsterreicherIn? BosnierIn? Türke/Türkin?

Džananović: Schwer zu sagen. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, aber die Zeit vom Krieg birgt zu viele schmerzhafte Erinnerungen. Ich denke, dass dies auch der Hauptgrund ist, warum ich mich auf der Gefühlsebene immer mehr von meiner Erstheimat distanziere und nur in Österreich zu Hause fühle.

Šoše: Ich fühle mich logischerweise als Jugoslawe, weil ich in Jugoslawien aufgewachsen bin. Nicht politisch, sondern aufgrund der Vielfalt. Ein lustiges Erlebnis hatte ich nach dem Krieg in Mostar. Ich trat mit meiner Band in einer Kneipe auf und kam in der Pause mit deutschen UN-Soldaten ins Gespräch. Sie fragten, woher ich komme. Meine Antwort: München. Und das mitten in meiner Heimatstadt.

Kalayci: Ich hatte die Möglichkeit, viel früher nach Österreich zu kommen, tat es aber nicht. Ich war sehr traurig, mein Leben, meine Freunde, meine Arbeit zurücklassen zu müssen. In meinen Gedanken bin ich teilweise hier, teilweise in der Türkei. Österreich kann ich noch nicht als Heimat bezeichnen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Amela Muratovic für Arbeit&Wirtschaft.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Interview: Amela Muratovic Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829113 Amela Džananovi&#263;, Absolventin der Translationswissenschaften in Kombination mit Politikwissenschaft, kam mit zwölf Jahren nach Österreich und fühlt sich hier zu Hause. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829118 Filiz Kalayci war als Rechtsanwältin in der Türkei tätig und wollte so schnell wie möglich Deutsch lernen. Das war aber nicht so einfach. Sie ist Mitarbeiterin der UNDOK-Anlaufstelle. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473904829132 Dino Šoše, Herausgeber der BUM-Media-Magazine und Initiator der Integrationswoche, ist überzeugt davon, dass es populäre und weniger populäre Migrantinnen und Migranten in Wien gibt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035887 Coverstory: Wer ist hier integrationsunwillig? „Ich putze auch. Ich schaue nicht drauf, was mir da oder dort nicht passt. Mir ist egal, welche Arbeit. Hauptsache Arbeit.“ Was diese Gastarbeiterin schildert, ist wohl eine der einfachsten Erklärungen für das, was in der Fachsprache „Dequalifizierung“ genannt wird. Damit gemeint ist, dass Menschen einen Arbeitsplatz annehmen, für den sie eigentlich überqualifiziert sind. Das Zitat stammt von einer jener Gastarbeiterinnen, die seit den 1970er-Jahren nach Kärnten gekommen sind und die von der Kärntner Wissenschafterin Viktorija Ratkovic für ein Forschungsprojekt befragt wurden. Alle hatten in ihrem Heimatland eine Ausbildung als Buchhalterin, Bürokauffrau oder Handelskauffrau absolviert – und alle waren in unqualifizierten Tätigkeiten beschäftigt, ob im Tourismus oder in der Fabrik am Fließband.
Zweifellos gibt es viele Gründe, warum MigrantInnen stärker von Dequalifizierung betroffen sind als ÖsterreicherInnen. Doch es lässt sich nur zum Teil durch individuelle Faktoren wie sprachliche Hürden oder die schwierige Anerkennung ausländischer Abschlüsse erklären. Gernot Mitter, Arbeitsmarktexperte der AK, benennt eine weitere wichtige Ursache: „Wir haben eine ethnische Diskriminierung von Personen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt. Eine Ausprägung davon ist, dass sie eher unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt werden.“

Je besser ausgebildet, desto schlechtere Chancen: So lautet der frustrierende Befund aus verschiedenen Untersuchungen. Der Soziologe August Gächter hat die „Integrationsleistung des Arbeitsmarkts“ untersucht, nicht berücksichtigt in dieser Analyse sind die zuletzt dazugekommenen Flüchtlinge. Ein wesentlicher Befund betrifft alle ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrer Herkunft: Auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ist Dequalifizierung ein verbreitetes Phänomen. Schon unter ÖsterreicherInnen gibt es Unterschiede, denn Frauen sind davon stärker betroffen als Männer. Noch stärker betroffen sind jedoch MigrantInnen.
Dazu ein paar Zahlen: Nur neun Prozent der MigrantInnen mit mittlerer Ausbildung üben auch einen Beruf aus, der dieser Qualifikation entspricht. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung trifft dies auf 27 Prozent der ArbeitnehmerInnen zu. In der kleinen Gruppe von Personen, die mit höherer Qualifikation in Hilfs- und Anlerntätigkeiten beschäftigt sind, liegt der MigrantInnenanteil bei 50 Prozent. In welcher Gruppe auch immer EinwanderInnen am Arbeitsmarkt überdurchschnittlich vertreten sind: „Es ist keine einzige vorteilhafte Arbeitsmarktposition enthalten“, resümiert Gächter. Besonders trifft dieser Befund auf MigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei zu, aber auch auf afrikanische Zuwanderer und Zuwanderinnen. Die Zahlen stammen zwar aus dem Jahr 2008, doch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeichnet für den Wiener Arbeitsmarkt ein ähnliches Bild.

Spirale nach unten
Erneut haben Frauen schlechtere Karten. Bei ihnen spielt die Herausforderung eine große Rolle, die Kinderbetreuung zu organisieren, berichtet die Kärntner Forscherin Ratkovic. Auch alle von ihr befragten Frauen haben unqualifizierte Tätigkeiten ausgeübt, obwohl einige von ihnen in ihrem Heimatland eine Ausbildung absolviert haben. Sie ergänzt: „Wenn sie Kinder bekommen oder ihre Kinder nachholen, erleben sie einen noch weiteren Abstieg.“
Und die zweite Generation? Sie haben es schon leichter als ihre Eltern. Wenn sie eine mittlere Ausbildung absolviert haben, haben sie ähnlich gute Chancen wie „Einheimische“, einen Job zu finden, der ihrer Ausbildung entspricht. Und doch haben auch sie es auf allen Bildungsstufen schwerer als die „österreichischen“ KollegInnen. Bedenklich stimmt etwa, dass die Arbeitslosen die einzige Kategorie am Arbeitsmarkt sind, in der die zweite Generation überrepräsentiert ist.
Es mag geradezu fahrlässig erscheinen, dass Unternehmen bestimmte Arbeitskräfte entweder gar nicht als potenzielle Arbeitskräfte in Betracht ziehen oder aber ihre Potenziale nicht ausschöpfen – und zwar einzig aufgrund von Vorurteilen. Dies ist nicht nur aus unternehmerischer Perspektive problematisch. Gächter hat ausgerechnet, dass den Kommunen ganze 1,3 Milliarden Euro pro Jahr an Steuermitteln entgehen, weil MigrantInnen nicht entsprechend ihren Qualifikationen, sondern in Hilfstätigkeiten beschäftigt sind. Die MigrantInnen selbst könnten eine Milliarde Euro mehr verdienen – und würden nebenbei bemerkt auch mehr Steuern und Abgaben zum Budget beitragen.

Bewusstseinsarbeit nötig
Was ließe sich also tun, damit MigrantInnen, ob erster oder zweiter Generation, bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben? In Österreich müsse man sich viel intensiver mit Diskriminierungen auseinandersetzen, so Gächter. Es gebe einfach zu wenig Bewusstsein dafür, auch bei Arbeitgebern. Diskriminierung sei hierzulande geradezu ein Reizwort. Zwar sei die Rechtslage recht gut, was die nachträgliche Sanktionierung von Diskriminierungen betrifft. Aber „diese reagiert auf einen Unfall, nachdem er geschehen ist“, kritisiert der Soziologe. „Zur Vorbeugung haben wir nichts Kontinuierliches.“ Am effektivsten wären deutlich höhere Strafen im Falle von Diskriminierungen. Diese aber hält Gächter für noch schwerer durchsetzbar als Maßnahmen, die zu einem besseren Bewusstsein dafür beitragen, was Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen bedeutet.
AK-Experte Gernot Mitter spricht ein weiteres Problem an: „Durch die Höhe und Dauer des Arbeitslosengeldes stehen Arbeitssuchende unter hohem Druck, möglichst schnell wieder eine Arbeit anzunehmen“ – auch um den Preis einer Dequalifizierung. Entspannung ist nicht in Sicht, die aktuelle Diskussion zielt sogar auf weitere Verschärfungen ab. Schlechte Vorzeichen also für eine bessere Integration von MigrantInnen am Arbeitsmarkt.

Linktipps:
AK-Studie zur Beschäftigungssituation von MigrantInnen in Wien:
tinyurl.com/h9ob6zm
„Die Integrationsleistung des Arbeitsmarkts“ von August Gächter:
tinyurl.com/jsuk6jh
Studie über die Kosten der Dequalifizierung von MigrantInnen:
tinyurl.com/j7avjz3

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473300035852 MigrantInnen haben deutlich schlechtere Chancen, Jobs zu bekommen, die ihren Qualifikationen entsprechen. So ist nur rund ein Viertel der Hochqualifizierten adäquat beschäftigt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473300035860 Nehmen MigrantInnen ÖsterreicherInnen die Arbeitsplätze weg? Zumindest bei Geringqualifizierten Tätigkeiten ist das eine Mär. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035878 Early Intervention? Fehlanzeige! Die Überzeugung, dass ein möglichst rascher Einsatz integrationsfördernder Maßnahmen sinnvoll und notwendig ist, wird nicht von allen Verantwortlichen für Integrationspolitik geteilt. Vom Innenministerium etwa wurden bislang alle Vorschläge für Early Intervention abgelehnt: Sie würden nur zu verstärkter Zuwanderung von Asylsuchenden führen. Die negativen Folgen dieser Haltung sind schon erkennbar. Sie verursacht etwa die in vielen Fällen sehr schlechten Sprachkenntnisse von Asylberechtigten. Deutschkenntnisse auf einem Mindestlevel von A2 sind für Vermittlung und berufliche Qualifizierung unerlässlich. Dass die vielen Monate der Asylverfahren nicht genutzt werden, führt in der Regel zu längerer Arbeitslosigkeit. Umso zynischer erscheint die Forderung nach verpflichtender gemeinnütziger Arbeit zu einem Euro pro Stunde für arbeitslose anerkannte Flüchtlinge (siehe auch „Dilemma Niedriglöhne“).

Was für Spracherwerb gilt, gilt erst recht für mitgebrachte berufliche Qualifikationen und Kompetenzen. Auch hier verstreicht viel Zeit, bleiben Chancen für die Betroffenen, aber auch für die nach Fachkräften suchende Wirtschaft ungenützt. Dieser kritische Befund trifft auch für ein ganz entscheidendes Element Erfolg versprechender Integrationspolitik zu: die Öffnung von Ausbildungsmöglichkeiten für jugendliche AsylwerberInnen mit hoher Bleibechance. Von den für Integration verantwortlichen Ressorts wurde etwa der Vorschlag der Sozialpartner abgelehnt, die Ausbildung bis 18 für diese Jugendlichen zugänglich zu machen. Dass etwa der Gesundheitszustand der Geflüchteten bundesweit systematisch erhoben und verbessert würde oder gar Beratung und Hilfe bei posttraumatischen Störungen angeboten würde: Das erscheint gänzlich unvorstellbar.
Die zwei letztgenannten Defizite der Integrationspolitik haben wohl langfristig die schwersten nachteiligen Folgen für die Betroffenen wie für den Arbeitsmarkt – von den jahrzehntelangen Belastungen für die Arbeitslosenversicherung und die anderen Sozialschutzsysteme ganz zu schweigen.

Statt endlich die notwendigen Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt zu setzen, wird Integrationspolitik derzeit doppelt umgedeutet – um den Preis hoher sozialer und materieller Kosten: Zunächst soll sie einen zusätzlichen „Grenz-Zaun“ darstellen und Asylsuchende davon abschrecken, den Weg nach Österreich zu suchen. In einem zweiten Schritt wird aus den – zu einem guten Teil bewusst herbeigeführten – realen Problemen bei der Integration die Rechtfertigung für eine General-Attacke auf die bisherige Sozial- und Arbeitsmarktpolitik abgeleitet, siehe Forderungen wie die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, die Abschaffung der Notstandshilfe, Ein-Euro-Jobs oder den Rückbau der Mindestsicherung.
Klar ist: Eine so angelegte Integrationspolitik leistet keinen Beitrag, um die zweifellos hohen Herausforderungen für eine rasche und gute Eingliederung der Flüchtlinge in den österreichischen Arbeitsmarkt zu bewältigen. Möglich wäre diese zweifellos, auch wenn es einen langen Atem braucht.

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Gernot Mitter Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035869 Integration: Er ist wohl einer der Begriffe, die in der innenpolitischen Debatte mit Worten wie Notstand oder Briefwahl um den ersten Platz rittern: Integration. Doch so oft er auch verwendet wird, so unklar bleibt meistens, was denn die jeweilige Person, die das Wort in den Mund nimmt, nun eigentlich genau darunter versteht. Der deutsche Wissenschafter Mark Terkessidis hält fest, dass natürlich bestimmte Vorstellungen damit transportiert werden: „Tatsächlich trägt der Begriff immer noch schwer am Erbe des Provisoriums. Denn noch heute werden die Personen mit Migrationshintergrund als eine Sondergruppe der Gesellschaft betrachtet, die an die herrschenden Standards herangeführt werden muss.“

Welche Standards da denn nun dazugehören, wird von den verschiedenen innenpolitischen AkteurInnen denn auch unterschiedlich interpretiert. Die einen meinen, dass es reichen muss, wenn MigrantInnen sich im öffentlichen Raum inklusive Arbeitsplatz an die allgemeinen Regeln halten, während das, was innerhalb ihrer vier Wände passiert, die Allgemeinheit nur dann etwas angeht, wenn etwas strafrechtlich Relevantes geschieht. Andere wiederum haben ganze Kataloge an Werten und Prinzipien, Gleichbehandlung der Frauen rangiert hier meist an vorderster Stelle, gefolgt von Menschenrechten, Rechtsstaat, Trennung von Kirche und Staat oder gar völliger Säkularisierung. Soweit zwei Pole in der Debatte.

Was in diesen Haltungen enthalten ist, ist eine Zweiteilung der Gesellschaft, wie sie von vielen ExpertInnen kritisiert wird: Es wird ein homogenes „Wir“ der Aufnahmegesellschaft konstruiert, dem eine ebenso konstruierte homogene Gruppe der „anderen“ gegenübersteht. Die „anderen“ seien in dieser Logik dazu aufgerufen, sich dem „Wir“ anzupassen. Abgesehen davon, dass beide Gruppen bei Weitem nicht so homogen sind, wie diese Vorstellungen suggerieren: In dieser Zweiteilung ist eine Hierarchie enthalten, Konflikte sind vorprogrammiert, wenn die „anderen“ sich dem „Wir“ dann doch nicht beugen wollen. Eine alternative Sichtweise lautet, dass Integration ein vielfältiger Prozess ist, den sehr unterschiedliche AkteurInnen auf Augenhöhe miteinander ausverhandeln. Die Literatur zum Thema ist inzwischen geradezu unübersichtlich. Spannende Einblicke gewähren diese Werke:
Andreas Weigl „Migration und Integration“
Mark Terkessidis „Interkultur“
Hilal Sezgin (Hg.) „Manifest der Vielen“

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Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035837 AK/ÖGB: Wirtschaftspolitik muss endlich Arbeitsplätze schaffen „Bei so vielen Menschen ohne Arbeit darf die Politik keinesfalls die Hände in den Schoß legen“, kommentierte AK-Präsident Rudi Kaske die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Ganz wichtig sei eine Personalaufstockung im Arbeitsmarktservice um mindestens 400 Stellen. „Die Arbeitssuchenden brauchen qualifizierte Betreuung und Vermittlung. Das geht bei so vielen Arbeitslosen nicht ohne zusätzliches Personal.“ Kritik übt Kaske deshalb an Finanzminister Hans Jörg Schelling, der die längst beschlossene personelle Aufstockung des AMS weiterhin blockiert.

Auch ÖGB-Präsident Erich Foglar kritisierte den Finanzminister, der der aktiven Arbeitsmarktpolitik die Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit gegeben hatte: „Dem Sozialministerium die Schuld an der Arbeitslosigkeit umzuhängen ist wie die Krankenkassa für den Ausbruch der Grippewelle anzuprangern.“ Das Finanzministerium sollte selbst das Notwendige zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen. „Fast 400.000 Menschen auf Arbeitssuche – das ist eine schreckliche Zahl, aber ihnen stehen in etwa gleich viele vermittelte Arbeitsplätze seit Jahresbeginn gegenüber. Das Arbeitskräfteangebot steigt weiter, und entsprechend muss auch das AMS besser ausgestattet werden“, fordert Foglar. Dabei würde laut den diese Woche von „profil“ veröffentlichten Zahlen die Aufstockung des AMS insgesamt sogar zu Einsparungen durch bessere Vermittlungserfolge führen.

AK-Präsident Rudi Kaske kommentierte: „Der Finanzminister sollte es eigentlich besser wissen. Über die Höhe der Arbeitslosigkeit entscheidet die Wirtschaftsentwicklung. Wir brauchen daher dringend mehr öffentliche Investitionen. Diese Verantwortung müssen sowohl der Finanzminister als auch der Wirtschaftsminister endlich wahrnehmen. Das wäre hilfreicher, als wieder einmal auf jene loszugehen, die dringend Arbeit brauchen.“
Vom Innen- und vom Integrationsminister erwartet sich der AK-Präsident, dass die Vorbereitung von Asylberechtigten auf den Arbeitsmarkt endlich angegangen wird. Anerkannte Flüchtlinge haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Es ist daher wichtig, dass sie dann auch ausreichend Deutsch können. „Dafür müssen die beiden Minister auch sorgen. Für diesen Zweck hat allein der Integrationsfonds mehr als 40 Millionen erhalten“, forderte der AK-Präsident professionelle Deutschkurse des Integrationsfonds in ganz Österreich: „Anerkannte Flüchtlinge müssen ausreichend Deutsch können, wenn sie zum AMS kommen, denn sonst können sie weder vermittelt noch geschult werden.“

Infos unter:
tinyurl.com/z3g4g8a

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Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035831 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Diesmal legen wir Ihnen diese Beiträge besonders ans Herz:

  • Gegen-Aufklärung und Selbst-Entfremdung im Namen der Freiheit (Stephan Schulmeister)
  • Schweden und Österreich: Ein Vergleich an der Spitze der EU (Markus Marterbauer)
  • Neue Pflegeausbildung – wesentliche Probleme bleiben (Cathrine Grigo & Angelika Hais)
  • Eine europäische Säule sozialer Rechte: Chance für ein soziales Europa? (Sarah Bruckner & Nikolai Soukup)

Im Namen der Freiheit
Der bekannte Ökonom Stephan Schulmeister ist der Ansicht, dass der Neoliberalismus – groteskerweise unter dem Titel der Freiheit – das erfolgreichste Projekt der Gegen-Aufklärung, der Ent-Moralisierung und der (Selbst-)Entmündigung der Politik ist. Er fordert eine längst überfällige Emanzipation von der „Marktreligiosität“ der aktuellen Politik. Schulmeister führt zehn Thesen an, warum die aktuelle Wirtschaftskrise bislang ohne neue Emanzipationsschritte und der Neoliberalismus damit auf der Erfolgsspur geblieben ist.
Stephan Schulmeister kritisiert, dass die Marktreligiosität tief in den Köpfen der Eliten, PolitikerInnen und auch von JournalistInnen verwurzelt ist. Menschen würden sich dadurch nicht mehr als selbstbewusste Subjekte ihrer Geschichte erleben, sondern als sich selbst entfremdete Objekte „der Märkte“. Über die Regulierung der Finanzmärkte könnte jedoch ein erster wichtiger Schritt in Richtung Emanzipation politisch Verantwortlicher von ihrer Marktreligiosität getan werden.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/jtjy9w6

Schweden und Österreich – ein Spitzenvergleich
Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer Wien, analysiert wesentliche Kennzahlen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes von Schweden und Österreich. Diese beiden Länder – mit einem traditionell stark ausgebauten Sozialstaat – schneiden im europäischen Vergleich wirtschaftlich stark ab, und sie liegen auch bei nahezu allen Wohlstandsindikatoren vor dem Rest der EU.
Marterbauer plädiert dafür, dass in der Europäischen Union dem dominanten neoliberalen Modell ein progressives soziales Projekt gegenübergestellt wird. Schweden und Österreich sollten hier eine proaktive Rolle einnehmen.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/z4e7ggw

Pflegeausbildung neu
Cathrine Grigo und Angelika Hais berichten über die Reform des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes, mit der die Pflegeausbildungen neu geregelt wurden. Für die Expertinnen der Arbeiterkammern Wien und Niederösterreich ist die Novelle ein Erfolg, da die Ausbildung der betroffenen Berufsgruppen verbessert wird. Neben dem bekannten Berufsbild der Gesundheits- und KrankenpflegerInnen wird es künftig zwei neue Ausbildungen geben: eine zweijährige Pflegefachassistenz-Ausbildung und eine einjährige Pflegeassistenz-Ausbildung.
Aber der Kostendruck im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens lässt Befürchtungen aufkommen, dass sowohl die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte als auch die Versorgungsqualität der PatientInnen leiden werden. Darauf muss künftig ein besonderes Augenmerk gelegt werden.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/gnmulde

Soziales Europa?
Sarah Bruckner und Nikolai Soukup werfen einen kritischen Blick auf die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Initiative für „eine europäische Säule sozialer Rechte“. Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit und dem Faktum, dass fast jede/r Vierte in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht ist, wäre eine Säule sozialer Rechte eine eigentlich wichtige Initiative.
Der derzeitige Vorschlag beinhaltet zwar sozialpolitische Zielsetzungen, diese reichen aber bei Weitem nicht aus. Die AK-ExpertInnen bezeichnen sie vielmehr als „kosmetische Ergänzung der neoliberalen Integrationsweisen“. Insbesondere vor dem Hintergrund des Brexit-Votums müsste die EU jetzt handeln: „Will die EU das Vertrauen der europäischen BürgerInnen zurückgewinnen, muss rasch ein grundlegender Wechsel zu einem sozialen Europa eingeleitet werden.“
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/glmtdas

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Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035810 "Nicht zuletzt" ... Bildung ist der Schlüssel Der Schlüssel dafür liegt nicht in Ein-Euro-Jobs. Bildung ist der Schlüssel. Und das gleich auf mehreren Ebenen.

Mehr Ressourcen für Spracherwerb
Das Wichtigste für das Funktionieren einer Gesellschaft ist eine gemeinsame Sprache, sich verständlich machen zu können und zu verstehen. Daher sind Deutschkurse, in denen auch die Normen, wie die österreichische Gesellschaft funktioniert, vermittelt werden, das Um und Auf.
Für solche Kurse werden wir mehr Ressourcen zur Verfügung stellen müssen als bisher, um zu verhindern, dass uns junge Menschen auf dem Integrationsweg verloren gehen. Und auch, um zu verhindern, dass die Fähigkeiten und Kenntnisse von erwachsenen Menschen verloren gehen, weil wir sie zu wenig anerkennen.
Der Taxifahrer, der in seiner Heimat Akademiker war, die Kellnerin, die wieder davon träumt, als Lehrerin arbeiten zu können, die „De-Qualifizierung“, wenn jemand eine Arbeit weit unter dem Niveau der Ausbildung annimmt, ist weder volkswirtschaftlich noch menschlich zu rechtfertigen.
Klar ist, es braucht eine Prüfung der Abschlüsse. Aber die Bürokratie sollte hier keine Schikane sein, sondern einen effizienten Weg zeigen, wie die Anerkennung der Qualifikation möglich wird.
Es ist schade, dass die „Ausbildungspflicht bis 18 Jahre“ nicht auch AyslwerberInnen einschließt. Wir brauchen Angebote, die jenen, die quer in unser System einsteigen, die Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen. Da in Österreich formale Abschlüsse einen hohen Stellenwert haben, müssen wir auch in den Schulen alles tun, damit auch bei schlechten Ausgangsbedingungen gute Chancen möglich sind. Je mehr benachteiligte Schülerinnen und Schüler an einem Standort unterrichtet werden, desto höher sollten die Mittel sein, die für diese Schule zur Verfügung stehen. Nur wenn die Ressourcenzuteilung an die Anforderungen angepasst ist, kann jede Schule tatsächlich jedes Kind zum Bildungsziel begleiten.

Mehr in die Lehre
Integration ist eine große Aufgabe mit vielen Hürden. Nicht alles wird derzeit gut gemeistert. So sind etwa Lehrlinge mit einer anderen Umgangssprache als Deutsch in den Betrieben deutlich unterrepräsentiert: In den Schulen spricht jeder fünfte Schüler bzw. jede fünfte Schülerin eine andere Umgangssprache als Deutsch, unter den Lehrlingen in Betrieben ist dieser Anteil geringer.
An der Nachfrage nach Lehrstellen kann das nicht liegen. In der überbetrieblichen Ausbildung sind Jugendliche mit Migrationshintergrund mit 41 Prozent nämlich überrepräsentiert. Das heißt, in der Lehrlingsausbildung müssen wir uns mit dem Thema Migration deutlich mehr befassen und uns mit den Ursachen für dieses Missverhältnis auseinandersetzen.

Demokratie-Bildung in der Schule
Bildung bedeutet auch, dass in der Schule vermehrt Werte vermittelt werden, um eine Teilhabe in unserer Republik und Gesellschaft vorzubereiten. Kinder und Jugendliche, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, brauchen das Rüstzeug, sich eine faktenbasierte Meinung zu bilden und diese im Rahmen der demokratischen Spielregeln einzubringen. Es braucht also eine fundierte Demokratie-Bildung und – um das gegenseitige Verstehen zu fördern – einen gemeinsamen Ethik-Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig davon, wo sie geboren wurden.
In den Schulen, bei den Deutschkursen und bei der Anerkennung von Qualifikationen müssen wir ansetzen. Denn es ist besser, den Schlüssel Bildung zu benutzen, als neue Mauern und Grenzen zu errichten.

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Rudi Kaske, Präsident der Arbeiterkammer Wien Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473300035801 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035755 Zahlen, Daten, Fakten Diesmal können Sie sich bei Zahlen, Daten, Fakten optisch ein eindrucksvolles Bild machen über

  • Asylverfahren und den Zugang zum Arbeitsmarkt
    und
  • Möglichkeiten der Zuwanderung im Überblick.

Alle Fakten wurden zusammengestellt von Sonja Fercher.
Alle Details dazu entnehmen Sie bitte den Downloads.

 

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Asylkoordination Österreich; ÖGB; AK/ÖGB-Darstellung http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473300035763 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035704 Vaterlandslose Gesellen? Das Hauptreferat des siebten Reichskongresses der Freien Gewerkschaften im Jahr 1913 hielt Karl Renner. Der spätere österreichische Staatskanzler ging mit der Wirtschaftspolitik der Donaumonarchie und mit ihrer Machtpolitik hart ins Gericht. Die Hochschutzzölle hätten zur Explosion der Lebensmittelpreise geführt und die Exportchancen gegen null reduziert, die Annexion von Bosnien-Herzegowina hätte Angst und Krisenstimmung erzeugt. Eine der negativen Auswirkungen sei die anhaltende Auswanderung:
Wir exportieren nicht mehr Waren, sondern Arbeitskräfte, und zwar nicht mehr so wie früher, kulturlose Landarbeiter, wir fangen an, unsere höchstqualifizierten Arbeiter aus dem Lande zu treiben. Es vollzieht sich hier auf der Höhe des 20. Jahrhunderts ein Menschenexport, ähnlich wie im 18. Jahrhundert, wo die Landesfürsten um bares Geld die tüchtigsten Menschen ihres Landes als Soldaten ins Ausland verkauften.

Karl Renner übertrieb nicht. In den Spitzenzeiten der Migrationsbewegung nach 1900 verlor die Habsburgermonarchie durch Auswanderung ein Drittel des Bevölkerungszuwachses. Vor 1890 beschränkte sich die Migration weitgehend auf die arme galizische Landbevölkerung und hatte nur die USA zum Ziel. Ein ganz anderes Bild bot sich im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, jetzt nahm die Donaumonarchie den Spitzenplatz unter den Auswanderungsstaaten ein: Mehr als eine Million Menschen verließen sie in Richtung USA, über eine halbe Million fanden Arbeit im benachbarten Deutschland, dessen boomende Großindustrie auf Zuwanderung angewiesen war. Hier gab es wenige Sprachbarrieren, die Menschen fanden sich rasch ein und viele kehrten nie mehr in die alte Heimat zurück. In den USA fassten die zunächst meistens jungen männlichen Auswanderer nicht so leicht Fuß, auch wenn sie später ihre Frauen und Kinder nachholten. Nicht wenige pendelten mehrmals in ihrem Leben zwischen den Kontinenten und fuhren wieder nach Europa, wenn sie mit der brutalen Fabrikarbeit genug verdient hatten, um ihr Haus zu renovieren oder Vieh zu kaufen.

Die große Wanderungsbewegung innerhalb der Habsburgermonarchie vom Land in die Industriezentren und in die wenigen städtischen Großräume Prag, Wiener Neustadt und Wien würfelte zudem Nationalitäten und soziale Gruppen des Vielvölkerstaats heftig durcheinander, was zu großen Spannungen im gesellschaftlichen Zusammenleben führte. Wegen ihrer Bereitschaft zur Migration bezeichnete man die Existenzsicherung suchenden Menschen damals oft abwertend als „vaterlandslose Gesellen“. Die Freien Gewerkschaften wiesen die Gleichsetzung von „Vaterlandstreue“ und Integrationsbereitschaft konsequent und scharf zurück. Ihr Sekretär Anton Hueber formulierte das Gegenkonzept:
Das sage ich vom Standpunkt des Lebens des Proletariers, der mit seiner Familie von einer Scholle zur anderen gehetzt wird, der ja gewiss nicht vaterlandslos ist, aber der, ob er nun Deutscher oder Tscheche ist, doch kosmopolitisch sein muss. … Weg mit dem Chauvinismus.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1473300035698 Auswanderer bei der Abreise in Triest auf einem Schiff der Austro-Americana. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Sep 2016 00:00:00 +0200 1473300035684 Standpunkt: Das gemeinsame Boot ist leck Wem Fakten wichtiger sind als diffuse und emotionale Debatten, der oder die wird im Moment in der Debatte über Integration auf eine sehr harte Probe gestellt. Da wird behauptet, MigrantInnen würden den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen, zugleich aber wird beklagt, dass sie nicht arbeitswillig seien. Da wird hitzig über den Burkini gestritten, obwohl sich die Diskussion selbst in Frankreich als populistische heiße Luft entpuppt hat. Da wird die Einhaltung von Werten verlangt, ohne dass genau definiert wird, welche damit nun konkret gemeint sind – ganz zu schweigen davon, ob die „einheimische Bevölkerung“ sie denn nun so uneingeschränkt teilt, wie gerne suggeriert wird.

Fokus verlagern
Über Integration kann wohl deshalb so leidenschaftlich diskutiert werden, weil es keine einheitliche Vorstellung davon gibt, was der Begriff denn nun eigentlich bedeutet. So kann jede/r alles hineinprojizieren. Zugleich aber läuft man Gefahr, sich in Nebenschauplätzen zu verlieren, wie man im Moment nur allzu deutlich sehen kann – was wiederum Gift für die Integration ist. Dabei gibt es allein beim Thema „Integration und Arbeitsmarkt“ eine Fülle an Informationen und offenen Fragen, über die zu diskutieren sehr lohnenswert wäre – und wovon nebenbei bemerkt sogar alle ArbeitnehmerInnen profitieren würden. Natürlich ist das in gewisser Weise auch unangenehm, denn ein Fazit aus den Recherchen für dieses Heft lautet: Vorurteile und Diskriminierungen behindern die Integration am Arbeitsmarkt. Doch weil genau dies hierzulande Tabuthemen sind, sind die Nebenschauplätze wohl so reizvoll, da sie keine Selbstkritik voraussetzen.
Diese Selbstkritik aber ist notwendig. Schließlich ist es schlichtweg inakzeptabel, dass Menschen in Österreich deutlich mehr von Arbeitslosigkeit betroffen sind, deutlich öfter Berufe ausüben, für die sie überqualifiziert sind, deutlich häufiger gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden als andere – und zwar einzig und allein, weil sie Migrationshintergrund haben. Der Soziologe August Gächter schildert in einem Aufsatz ein sehr aufschlussreiches Beispiel: Laut Grundrechteagentur sind Frauen mit türkischem Migrationshintergrund sogar unabhängig von ihrer Bekleidung von Ablehnung am Arbeitsmarkt betroffen. Die Argumente der Arbeitgeber: der angebliche Kinderreichtum oder aber dass bei ihnen die Familie vorgehe. Gächter weist darauf hin, dass sich Ersteres statistisch nicht belegen lasse, während für Zweiteres ein unzureichendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen verantwortlich sein könnte.
Diese Beispiele scheinen mir deshalb so passend, weil sie zeigen, wie sehr alle profitieren würden, wenn entsprechende Maßnahmen gesetzt werden: Ein Ausbau der Kinderbetreuung würde schließlich auch Frauen ohne Migrationshintergrund das (Arbeits-)Leben erleichtern. Schließlich bedeutet keinen Migrationshintergrund zu haben nicht automatisch, dass man Familie in der Nähe hat, die helfend einspringen könnte. Auch von familienfreundlichen Arbeitsplätzen würden alle profitieren. Und ob Mann oder Frau, ob mit oder ohne Migrationshintergrund: Es ist ein Problem, wenn er oder sie nicht entsprechend seiner oder ihrer Ausbildung beschäftigt ist.

Mehr Ehrlichkeit und Selbstkritik
Aber warum fällt es in Österreich so schwer, über Vorurteile und Diskriminierungen zu sprechen? August Gächter hat dafür eine schlüssige Erklärung: Diskriminierer und Diskriminierte sitzen insofern in einem Boot, als sich die einen nicht als Täter und die anderen nicht als Opfer sehen möchten. Beides ist nur allzu nachvollziehbar, schon gar wenn damit eine Schmähung verbunden ist. Ein Anfang wäre, wenn man akzeptieren würde, dass leider jeder Mensch Vorurteile hat. Dann nämlich könnte man diese aufarbeiten und dem entgegenwirken. Mehr Ehrlichkeit und Selbstkritik also, die auch der ganzen Diskussion über Integration guttun würde, vor allem aber den Chancen der hier lebenden Menschen.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 7/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826952 Mit Dogmen gegen Fortschritt Die letzten dreieinhalb Jahrzehnte waren gekennzeichnet von einer Dominanz neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Wie viele lange dominante Denkrichtungen ist inzwischen auch der Neoliberalismus zum Dogma, also zum reinen Glaubenssatz, verkommen.

Stures Festhalten
Inzwischen ignorieren die Neoliberalen wie dereinst die Kommunisten Fakten, die nicht in ihr Weltbild passen. Sie vernachlässigen ihre eigenen logischen Grundprinzipien, wenn diese ihren GönnerInnen nicht ins politische Konzept passen. Und vor allem verhindern sie durch stures Festhalten an veralteten Theorien viele sinnvolle Reformen. Dieser Beitrag zeigt die Krisenerscheinungen des neoliberalen Denkens und seine Auswirkungen an einigen aktuellen Beispielen.
Als im Frühjahr des vergangenen Jahres die Gewerkschaften die Frage nach einer Arbeitszeitverkürzung neu stellten, kam eine reflexartige Ablehnung von Teilen der ÖVP sowie der IndustrievertreterInnen. Diese Ablehnung war zwar reich an starken Worten wie „Mottenkiste“ und „Uraltkonzepte“, jedoch arm an Fakten. Wenn überhaupt, dann wurde auf Frankreich verwiesen, was ganz eigenwillig ist, denn in der Phase der Arbeitszeitverkürzung zwischen 1997 und 2002 wuchsen Beschäftigung und Wirtschaft in Frankreich stärker als in Deutschland und in vielen anderen europäischen Staaten. Von daher ist die 35-Stunden-Woche in Frankreich eine Erfolgsgeschichte für die Arbeitszeitverkürzung.
Doch wenn es um neoliberalen Glauben geht, dann zählen Fakten nur, solange sie die eigenen Vorurteile bestätigen. Dass Interessenvertretungen von Unternehmen fortschrittliche Forderungen ablehnen, ist normal. Interessant für die Entwicklung des Neoliberalismus zur reinen Ideologie ist aber, dass sie sich dabei nicht die Mühe machen, Aussagen aus ihrer theoretischen Sicht zu begründen.
Aus rein neoliberaler Sicht sollte nämlich das Problem der Arbeitszeitverkürzung zunächst gar nicht existieren. In dieser theoretischen Welt einigt sich jeder und jede mit dem Arbeitgeber auf so viele Stunden pro Woche, wie es den beiden passt. Denn laut neoliberaler Weltsicht sind die VertragspartnerInnen gleichberechtigt und können immer einen guten Kompromiss finden.

Wunsch nach mehr Freizeit
Fragt man allerdings echte Menschen, wie viele Stunden sie gerne arbeiten würden, und zugleich auch, wie viel sie tatsächlich arbeiten, so sieht man, dass ein Drittel bis zur Hälfte der Erwerbstätigen mit den derzeitigen Arbeitszeiten unzufrieden ist. Manche würden lieber länger, noch mehr lieber kürzer arbeiten, und zwar auch dann, wenn es dafür keinen vollen Lohnausgleich gäbe. Sogar selbstständig Beschäftigte klagen über zu lange Arbeitszeiten.
Im richtigen Leben sind nämlich Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen nicht gleichberechtigt, ebenso wenig wie große AuftraggeberInnen und kleine Selbstständige. Arbeitgeber und Auftraggeber haben die Macht, ihre Bedingungen durchzusetzen. So nutzen die Arbeitgeber ihre Macht, indem sie bei jedem Wunsch nach Veränderung oder Verkürzung der Arbeitszeit mit Kündigung oder Verlagerung ins Ausland drohen. Damit blockieren sie aber auch jegliche Innovationen in der Arbeitszeitpolitik.

Mit geringem Aufwand viel erreichen
Bei der Neugestaltung der Arbeitszeiten könnte man jedoch mit geringem Aufwand viel erreichen. So zeigt sich, dass gerade Menschen mit gut bezahlten, langen Arbeitszeiten den Wunsch haben, kürzer zu arbeiten. Um den stetig zunehmenden Druck bei der Arbeit aus- und die längere Zeit bis zur Pension durchhalten zu können, wünschen sich viele Menschen mehr Freizeit bereits während des aktiven Arbeitslebens. Diese unfreiwillig zu viel gearbeiteten Stunden könnten von jüngeren Arbeitssuchenden, aber auch von Teilzeitbeschäftigten, die lieber mehr arbeiten wollen, übernommen werden.
Denn kaum ein Job wird je eins zu eins nachbesetzt. Immer wenn jemand eingestellt wird, werden auch Arbeiten neu verteilt. Dabei ergeben sich Möglichkeiten der Neuverteilung von Arbeitsstunden. So kann man Aufgaben der Senior-Konstrukteurin den Junioringenieuren übertragen, die Junioringenieure bekommen im Gegenzug einen weiteren Büromitarbeiter und der gibt seinen Telefondienst an die Teilzeit arbeitende Kollegin am Empfang ab. Ganz ohne Zauberei werden so aus den Stunden der Diplomingenieurin Stunden in der Portiersloge. Solche Umschichtungen werden von Tausenden Unternehmen laufend gemacht – und sie sind viel einfacher zu bewältigen, als der plötzliche Ausfall einer Chefkonstrukteurin bzw. eines Chefkonstrukteurs wegen Überarbeitung.

Zeit für neue Wege
Die neoliberale Theorie würde empfehlen, solche Einigungen zu befördern. Das Problem ist wie bei streng Gläubigen zu aller Zeit: Die Neoliberalen wissen selbst nicht mehr, warum und woran sie glauben, sie halten sich einfach an überlieferten Traditionen fest. Sie lehnen die Arbeitszeitverkürzung ab, weil dies schon ihre Vorfahren vor hundert Jahren bei der Einführung des Achtstundentages so gemacht haben. Und sie ignorieren, dass es aufgrund der veränderten technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse längst an der Zeit wäre, auch bei der Arbeitszeit neue Wege zu gehen.
Die Wertschöpfungsabgabe ist ein weiteres Beispiel, bei dem erkennbar wird, wie tief manche Reflexe inzwischen sitzen und wie sehr sie sich ohne Einbindung der höheren Hirnfunktionen in umgehender Ablehnung äußern. Obwohl es breiter Konsens ist, dass man die Abgaben auf Arbeit in Österreich senken sollte, wird schon die kleinste Maßnahme in diese Richtung abgelehnt.
Österreich hat derzeit einen relativ hohen Anteil an Abgaben, die allein von der Lohnsumme abhängen – also vor allem dort anfallen, wo Menschen beschäftigt sind. Zudem ist der Anteil jener Lohnabgaben hoch, die nichts mit den Beschäftigten zu tun haben. Während die Pensionsversicherung die Versorgung der Beschäftigten im Alter und die Arbeitslosenversicherung den Unterhalt bei Verlust des Jobs garantieren, ist dieser unmittelbare persönliche Anspruch weder bei der Kommunalabgabe noch bei den Beiträgen zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) gegeben. Aus der Kommunalabgabe werden die Leistungen der Gemeinden finanziert, die allen zugutekommen, ob sie nun LandwirtInnen, Selbstständige oder PensionistInnen sind. Aus dem FLAF werden Familienbeihilfen, Kindergelder und Ähnliches bezahlt – auch sie bekommen alle.

Sinnvolle Umverteilung
Ein besonderer Fall ist die Krankenversicherung, die auch eine relevante öffentliche Leistung ist. Vor allem Familien mit vielen Kindern oder Personen, die das Pech haben, von schwerer Krankheit betroffen zu sein, erhalten dabei zu Recht mehr Leistungen zu gleichen Beiträgen. Bei privaten Krankenversicherungen müssten sie viel mehr zahlen. Diese Umverteilung von den Gesunden zu den Kranken ist absolut sinnvoll. Dabei ist auch aus neoliberaler Sicht nicht zu rechtfertigen, dass jene Gesunden, die ohne Arbeit von ihrem Vermögen leben können, nichts beitragen müssen.
Über lange Zeit waren Lohneinkommen eine stabile und stetig wachsende Einkommenskategorie, die zudem leicht zu erheben ist. Auch deshalb hat man in den Neunzigerjahren die früher noch vorhandenen gewinnabhängigen Abgaben an die Gemeinden abgeschafft und dafür die Abgaben von den Löhnen erhöht. In einer Zeit, in der die Einkommen aus Löhnen und Gehältern aber weniger und die Einkommen aus Besitz und Profiten mehr wachsen, muss diese Art der Finanzierung überdacht werden. Denn um die Gesundheitsvorsorge, die Gemeindeinfrastruktur, Familienleistungen und vieles andere mehr abzusichern, braucht man auch von Vermögenden Beiträge. Zugleich ist die unfaire und gerade aus neoliberaler Sicht verzerrende Verteilung der Lasten zu ändern.
Zudem führt eine Wertschöpfungsabgabe nicht dazu, dass „moderne“, hochtechnische Projekte teurer und altmodische, arbeitsintensive Projekte billiger werden. Sie führt dazu, dass jene Unternehmen, die mehr auf den Einsatz menschlicher Arbeitskraft angewiesen sind, einen geringeren Beitrag und jene, die nur Maschinen einsetzen, einen höheren Beitrag leisten müssen. Beispiele für ersteres sind ein Konstruktionsbüro, ein Softwareunternehmen oder eine Designfirma. Denn Know-how und Kreativität steckt nach wie vor in Menschen, nicht in Maschinen. Der klassische Fall für Letzteres dagegen ist ein Flusskraftwerk. Ab Fertigstellung ist es so gut wie menschenleer und verdient Geld für die AktionärInnen, einfach weil Wasser durch die Turbinen rinnt. Ein ernsthafter Vertreter des Neoliberalismus könnte also ganz klar sagen: Auch BezieherInnen dieser Gewinneinkommen sollten Abgaben leisten, denn damit gibt es weniger Verzerrungen.

Machtungleichgewicht
Was sowohl Arbeitszeitverkürzung als auch Wertschöpfungsabgabe vereint, ist, dass sie auch aus neoliberaler Sicht positiv gesehen werden können. Wenn man akzeptiert, dass nicht alle die gleiche Macht im Aushandeln von Verträgen haben, braucht es Regeln, um jene Reduktion der Arbeitszeit zu erreichen, die sich viele Unselbstständige und Selbstständige wünschen.
Wenn man akzeptiert, dass öffentliche Leistungen wie die Krankenversorgung oder die Unterstützung der Familien nur über Abgaben vernünftig finanziert werden können, dann sagt die neoliberale Theorie, dass nicht die Abschaffung des Sozialstaates, sondern eine andere, fairere und weniger verzerrende Finanzierung die beste Lösung ist.
Die reine neoliberale Theorievorstellung von fairen, freien Märkten mit gleichen Individuen und vollkommener Information gibt ein schönes theoretisches Modell ab. In der Realität trifft es aber nicht zu – und es kann auch nicht zutreffen. Es war das Verdienst der neoliberalen Ökonomie, genau angeben zu können, was alles an Voraussetzungen gegeben sein müsste, damit ein liberaler Markt zum allgemeinen Besten funktionieren kann. Seit damals weiß man aber auch, dass diese Voraussetzungen in der Wirklichkeit nie gegeben sind. Seit damals geht es höchstens noch um die Frage, wie man all die realen Probleme lösen kann, die es gibt, weil die Welt sich leider nicht an die Theorie hält.

Doch während wissenschaftlich lange klar ist, dass totale Deregulierung, umfassende Privatisierung und Wettbewerb in allen Lebensbereichen schlecht sind, hält sich diese Irrmeinung als politischer Glaubenssatz der Neoliberalen bis heute. Und das, obwohl es klare Anzeichen dafür gibt, dass eines der großen Projekte der Nachkriegszeit, nämlich die friedliche Einigung Europas, genau an diesem Dogma zerbrechen könnte.

Die derzeitige EU-Kommission hat den Neoliberalismus zumindest in der Wirtschaftspolitik unkritisch und absolut verinnerlicht. Dies zeigte sich ganz deutlich, als nach der schwersten Krise der deregulierten Finanzmärkte das europäische Sanierungsprojekt für die Krisenstaaten in der Zerschlagung des Sozialstaates und dem Abbau der Gewerkschaftsrechte bestand.
Das einzige Rezept, das diese Fundamentalisten zulassen, heißt: Die Wettbewerbsfähigkeit muss erhöht werden. Die Tatsache, dass dieses Rezept vielleicht für Firmen, aber keineswegs für Länder und schon gar nicht zur Bewältigung einer Finanzkrise zu gebrauchen ist, ist für sie dabei irrelevant. Das Problem der EU mit der Aufnahme der vielen Kriegsvertriebenen aus den Krisenherden dieser Welt ist eine direkte Folge dieser Wettbewerbsideologie. Indem die Europäische Kommission jedem Land, das Hilfe braucht, predigt: „Du musst wettbewerbsfähig sein“ und „Du darfst nichts für sozialen Ausgleich tun“, produzierte sie genau jene Haltung, mit der ein gemeinsames Lösen von Problemen unmöglich wurde. Diese Form von orthodoxem Neoliberalismus hat die Grundlage für eine europäische Krisenbewältigung zerstört. Europa zerbricht sicher nicht an den Flüchtlingen – wenn, dann zerbricht es an einer destruktiven neoliberalen Ideologie.

Wer zu spät kommt …
Nachdem sich die Sowjetunion unter dem Druck der realen Probleme vom orthodoxen Kommunismus verabschiedet hatte, sprach Michail Gorbatschow die berühmten Worte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Insofern ist zu hoffen, dass die EU sich nicht auch zu spät vom neoliberalen Dogma verabschiedet. Mit kompromissorientiertem pragmatischem und von Solidarität getragenem Handeln wäre eine Neuentwicklung einer solidarischen Union immer noch machbar.

Linktipps:
Ein Vergleich wirtschaftspolitischer Strategien mit und ohne Mindestlohn. Reihe: IMK Report, Nr. 31, September 2008, Düsseldorf. ISSN: 1861-3683, 25 Seiten
tinyurl.com/z9qxtfz
Philipp Poyntner (2016), Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungsmotor?
tinyurl.com/hg53qqw
Joseph E. Stiglitz (2002): Demokratische Entwicklungen als Früchte der Arbeit(-erbewegung), Wirtschaft und Gesellschaft Band 28, Nr. 1, S. 9–14
tinyurl.com/jnc2fb3
Georg Feigl, Sepp Zuckerstätter (2012): Wettbewerbs(des)orientierung, Wien: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien (Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft, 117)
tinyurl.com/zassga5

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor josef.zuckerstaetter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sepp Zuckerstätter, Abteilung für Lohn- und Einkommensentwicklung, Lohnstruktur, Arbeitsmarkt der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826902 Neoliberale ignorieren wie einst die Kommunisten Fakten, die nicht in ihr Weltbild passen. Vor allem verhindern sie durch stures Festhalten an veralteten Theorien viele sinnvolle Reformen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826913 Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826877 Mindestlöhne lohnen sich Kaum stand fest, dass ab 2015 in Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt werden sollte, gab es schon die ersten Ausweichmanöver und „Sparmaßnahmen“ von Unternehmerseite: Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden auf den Stundensatz angerechnet – ein Vorgehen, das das Bundesarbeitsgericht vor Kurzem sogar für rechtmäßig erklärte. Diese Entscheidung war eine herbe Enttäuschung für die rund vier Millionen ArbeitnehmerInnen, deren Jobs vom Mindestlohn betroffen sind. Immerhin gab es zumindest für eine Gruppe ein erfreuliches Urteil: Ende Juni hat das Gericht festgestellt, dass auch für Bereitschaftsdienste der Mindestlohn bezahlt werden muss.

Deutliche Lohnerhöhungen
Bettina Csoka, Verteilungsexpertin der AK Oberösterreich, schildert in ihrem A&W-Blogbeitrag „EU-weiter Mindestlohn für alle?“ die Situation in Deutschland: „2012 waren nur mehr 58 Prozent der Beschäftigten durch Tarifverträge geschützt, besonders niedrig war die Abdeckung in den östlichen Bundesländern, wo nicht einmal mehr jede/r Zweite geschützt war.“ Mit der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns ab 2015 sollte gegengesteuert werden.
Mit 8,50 Euro (bzw. 8,84 Euro ab 2017) wurde das Niveau des Mindestlohns in Deutschland im Vergleich zu den ähnlich entwickelten westlichen Nachbarländern eher niedrig angesetzt. Trotzdem waren davon 18,9 Prozent der ArbeitnehmerInnen betroffen, wesentlich mehr als in anderen EU-Ländern, wie kürzlich das Düsseldorfer Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) berichtete. Der Mindestlohn habe zu teils erheblichen Lohnerhöhungen im unteren Einkommensbereich geführt.
So kam es etwa bei vielen vollzeitbeschäftigten Frauen im ostdeutschen Handel und Gastgewerbe zu zweistelligen Erhöhungen der Stundenverdienste. Der befürchtete Beschäftigungseinbruch auf dem Arbeitsmarkt infolge des Mindestlohns ist allerdings ausgeblieben. Im Gegenteil: Die Beschäftigung wächst weiterhin und bis dato ist kein Trendbruch erkennbar.
Die Diskussion über die möglichen Auswirkungen verbindlicher Lohnuntergrenzen wird seit einigen Jahrzehnten mehr oder minder heftig geführt. Die Pro-Argumente: Mindestlöhne sind ein Schritt Richtung Umverteilung, in Zeiten wachsender Ungleichheit können sie zum sozialen Frieden beitragen. Nicht selten wird auch damit argumentiert, dass GeringverdienerInnen eventuelle Einkommenszuwächse rasch wieder ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln. Außerdem kommen höhere Sozialbeiträge dem Staat zugute.

Übertriebene Sorgen
KritikerInnen hingegen sind überzeugt, dass (zu hohe) Mindestlöhne spätestens mittelfristig der Wirtschaft schaden: Steigende Lohnkosten würden zu Personaleinsparungen, weiteren Nachteilen gegenüber Billiglohnländern und sinkender Investitionsbereitschaft der Unternehmen führen. Allerdings: In Österreich beispielsweise sind die meisten schlecht bezahlten Jobs in den Dienstleistungsbranchen zu finden, die eher nicht durch Outsourcing in die typischen Billiglohnländer gefährdet sind.

Negativsteuer keine Alternative
Als Alternative zu Mindestlöhnen wird immer wieder die Ausweitung der Negativsteuer für Menschen mit geringem Einkommen genannt. Nicht nur die Gewerkschaften sind gegen diese Art der Entlastung. Schon jetzt verdienen viele ArbeitnehmerInnen so wenig, dass sie nur durch staatliche Transferleistungen über der Armutsschwelle liegen. „Die Negativsteuer kann menschenwürdige Löhne und Einkommen nicht ersetzen“, erklärt Martin Müller, Leiter des Referats Rechts- und Kollektivvertragspolitik im ÖGB. „Damit wären die Unternehmen, die schließlich von den Leistungen der ArbeitnehmerInnen profitieren, entlastet und die Allgemeinheit stärker belastet.“   
Im Jahr 2010 verglichen drei Ökonomen der Universität Berkeley die Lohn- und Beschäftigungsentwicklung in sämtlichen aneinandergrenzenden US-Bezirken in unterschiedlichen Bundesstaaten mit unterschiedlichen Mindestlöhnen seit den 1990er-Jahren. Da benachbarte Bezirke (Counties) in puncto Wirtschaftsstruktur, Bevölkerung etc. sehr ähnlich sind, können die Effekte unterschiedlicher Mindestlöhne gut verglichen werden.
Die Ergebnisse zeigten, dass Mindestlohnerhöhungen zwar deutlich positive Effekte auf die Einkommen im Niedriglohnbereich haben, aber keinen relevanten Einfluss auf die Anzahl der Beschäftigten. Höhere Mindestlöhne bewirkten außerdem, dass sich die durchschnittliche Dauer der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse erhöhte.

Beispiele aus aller Welt
Ähnliche Auswirkungen hatten Mindestlöhne bzw. deren Erhöhung auch in mehreren europäischen Ländern, etwa in England, Portugal oder Tschechien. Sogar der massive Anstieg des ungarischen Mindestlohns von 35 auf 55 Prozent des Medianlohns hatte nur sehr geringe negative Beschäftigungseffekte, so eine Fallstudie aus dem Jahr 2001.
Der Wirtschaftswissenschafter Simon Sturn forscht am Institute for Ecological Economics an der WU Wien und listet in seinem A&W-Blog-Beitrag gleich mehrere derartige Beispiele auf. Dass sich der Mythos „Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze“ so hartnäckig hält, führt er darauf zurück, dass lange Zeit hindurch bevorzugt Studien veröffentlicht wurden, die – ganz im Sinne der neoklassischen Theorie – die erwarteten negativen Beschäftigungseffekte bewiesen. „Wäre dieser Mythos tatsächlich Realität, dann müsste ja überall dort die Wirtschaft florieren, wo es keine Mindeststandards gibt“, argumentiert Martin Müller. „Aber ich kenne kein Beispiel dafür. Ein ausufernder Niedriglohnsektor bringt das Wirtschaftsgefüge ins Wanken, die Folge sind soziale Verwerfungen.“

Wie viel ist genug?
An sich gibt es derzeit in jedem der 28 EU-Mitgliedstaaten verbindliche Lohnuntergrenzen, die nicht unterschritten werden dürfen. In 21 davon gibt es allgemeine gesetzliche Regelungen. In Österreich wiederum liegt dies in den Händen der Sozialpartner. Hierzulande sind mehr als 95 Prozent der Arbeitsverhältnisse durch Branchen-Kollektivverträge geregelt.
Selbst wenn vielleicht Einigkeit über die Sinnhaftigkeit des Mindestlohns herrscht, lässt sich dann über dessen Höhe noch lange diskutieren. Die aktuelle Forderung des ÖGB liegt bei 1.700 Euro brutto. Das Meinungsforschungsinstitut IFES hat für die Gewerkschaft auf Basis des Arbeitsklima Index der AK Oberösterreich ausgewertet, wer von einer entsprechenden Anhebung der Kollektivverträge am stärksten profitieren würde.
Die Ergebnisse sind wenig erstaunlich: Fast jede vierte Frau, rund 50 Prozent der Beschäftigten unter 25 und etwa 20 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund liegen derzeit unter dieser Grenze. Martin Müller: „Aber auch in manchen Branchen mit geringem Organisationsgrad gibt es Beschäftigte mit einem Vollzeit-Monatseinkommen von rund 1.000 Euro.“

Novelle gegen Dumping
Mindestlöhne bzw. deren Höhe sind auch ein vieldiskutiertes Thema bei öffentlichen Aufträgen. Mit der 2016 in Kraft getretenen Bundesvergabegesetz-Novelle kann Lohn- und Sozialdumping verhindert werden, unter anderem indem die Weitergabe von Aufträgen an Subunternehmer unterbunden werden kann. Ähnliche Regelungen gelten übrigens auch im neuen EU-Vergaberecht. Hier können ebenfalls öffentliche AuftraggeberInnen vorschreiben, dass bestimmte Leistungsteile (sog. Kernleistungen) selbst erbracht werden müssen und nicht an Subunternehmen ausgelagert werden können.

Blogtipps:
Führen Mindestlöhne zu höheren Löhnen auf Kosten steigender Arbeitslosigkeit?
tinyurl.com/j6t7spy
EU-weiter Mindestlohn für alle?
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/eu-weiter-mindestlohn-fuer-alle/
Linktipps:
Studie zu Mindestlöhnen
tinyurl.com/ztd28jq
Arindrajit Dube, T. William Lester, Michael Reich (2010): Minimum Wage Effects Across State Borders: Estimates Using Contiguous Counties, IRLE Working Paper No. 157-07
tinyurl.com/2665wg4

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler , Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826860 8,50 Euro: Auf diesen Betrag hat man sich in Deutschland beim Mindestlohn geeinigt. Dass ein Mindestlohn grundsätzlich der Wirtschaft schade, ist ein Mythos. Für die Beschäftigten hat er positive Effekte. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826868 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826709 Gefährliche Gleichmacherei In der im Jahr 2008 schlagend gewordenen Finanzkrise und in der darauffolgenden Wirtschaftskrise rückte eine lange Jahre vernachlässigte Tatsache ins Zentrum der Aufmerksamkeit: nämlich dass sich innerhalb der Eurozone große Unterschiede entwickelten. In der Wirtschaftssprache werden diese „makroökonomische Ungleichgewichte“ genannt, die nicht unwesentlich zur Krise beitrugen. Eines dieser Ungleichgewichte betrifft die Zahlungsbilanzen. Einige Länder, allen voran Deutschland, aber auch kleinere Länder wie die Niederlande und Österreich, erwirtschaften regelmäßig zum Teil riesige Überschüsse, was im Wesentlichen bedeutet, dass sie mehr exportieren als importieren. Andere Länder, wie zum Beispiel Spanien, Portugal oder Italien, verzeichnen dagegen Defizite, ihre Einfuhren übersteigen also ihre Exporte.
Die öffentliche Meinung – dominiert vom neoliberalen Mainstream in der Ökonomie – hat rasch eine simple und auf den ersten Blick auch einleuchtende Erklärung zur Hand: Die Defizitländer würden schlechter wirtschaften, sie seien weniger effizient und nicht so fleißig, deshalb zu teuer und zu wenig wettbewerbsfähig. Sie würden über ihre Verhältnisse leben und Schulden anhäufen.
Ein scheinbar geeignetes Rezept war gleich bei der Hand und wurde den europäischen „Krisenländern“ von der Troika (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) aufgezwungen: Alle sollten so werden wie die Deutschen – so fleißig, so sparsam, so effizient.

Dass diese Rezeptur nicht funktionieren kann, zeigt ein näherer Blick auf die tatsächlich wesentlich komplexeren Zusammenhänge. Vor der Einführung der Einheitswährung war es in einigen Ländern üblich, in unregelmäßigen Abständen die Währung abzuwerten, wenn ihr Preisniveau überdurchschnittlich anstieg, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten.
In der Währungsunion steht dieses Instrument nicht mehr zur Verfügung, weshalb sich die Preisniveaus in der Eurozone bis zum Ausbruch der Krise deutlich auseinanderentwickelten. Und wo die Preise rascher stiegen, zogen auch die Nominallöhne stärker an. So stiegen z. B. zwischen 1999 und 2008 die nominellen Lohnstückkosten in Italien um 28,1 Prozent, in Deutschland dagegen nur um 2,2 Prozent (in Österreich im Vergleich dazu um 10,6 Prozent). Deutsche Produkte wurden also insbesondere gegenüber jenen der südeuropäischen Länder dramatisch billiger.

Lohndumping
Dass dies nicht vorbildhaft für den Rest der Eurozone sein kann und darf, zeigt die Erforschung der Ursachen des Status der Deutschen als „Exportweltmeister“. Die deutsche Autorin Ulrike Herrmann bringt es in einem „Falter“Artikel auf den Punkt: „Die Waffe der Deutschen ist schlicht, aber wirkungsvoll: Sie haben Lohndumping betrieben und die Arbeitskosten gezielt gesenkt, um auf den Auslandsmärkten zu expandieren. Zwischen 2000 und 2010 fielen die deutschen Reallöhne im Mittel um 4,2 Prozent.“ Mit niedrig gehaltenen Lohnsteigerungen wurden in Deutschland riesige Exportüberschüsse erwirtschaftet, mit fatalen Konsequenzen sowohl für die eigene Bevölkerung als auch für die Handelspartnerländer.
Deutschland selbst ist direkt negativ davon betroffen, da die gigantischen, im Export erwirtschafteten Summen kaum zum Wohlstandszuwachs der Bevölkerung beitrugen. Sie schlugen sich weder in Lohnerhöhungen und Konsumzuwachs noch in Investitionen in Realkapital nieder. Die Inlandsnachfrage konnte also nicht davon profitieren und das Wirtschaftswachstum blieb schwach.

Kreislauf
Aber was geschah mit den Hunderten Milliarden an Exportüberschüssen? Vereinfacht und pointiert gesagt: Sie wurden auf den internationalen Finanzmärkten verzockt. Auch hier bringt ein Blick auf die zugrunde liegenden ökonomischen Zusammenhänge Aufklärung. Es ist logisch, dass sich jeder Export eines Landes bei einem anderen Land als Import niederschlägt.
Die Überschüsse der starken Exporteure (wie Deutschland) sind die Defizite derjenigen Länder, die mehr verbrauchen, als sie produzieren, und somit Defizite in der außenwirtschaftlichen Bilanz ausweisen. Solche Defizite müssen aber finanziert werden. Daher werden Schulden angehäuft und Kapital muss importiert werden. Und dieses Kapital kommt von den Überschussländern. Dort muss die Bevölkerung unter ihren Verhältnissen leben. Denn bei zurückhaltender Konsum- und Importnachfrage verbrauchen sie weniger, als sie produzieren – und für das nicht in die Binnennachfrage geflossene Geld werden lukrative Veranlagungen gesucht.

Dieses Spiel, das von den internationalen Finanzmärkten angetrieben wird, kann auf Dauer aber nicht gut gehen. Irgendwann erreichen die Schulden der Defizitländer ein solches Ausmaß, dass die Gläubigerländer an deren Rückzahlungsfähigkeit zu zweifeln beginnen. Und wenn dann tatsächlich Zahlungsschwierigkeiten auftreten und Schulden nicht mehr beglichen werden können, schauen auch Rekordexporteure durch die Finger.
Somit wäre klar, dass das dauernde Erwirtschaften und Steigern von Überschüssen im Außenhandel keine vernünftige wirtschaftspolitische Zielsetzung sein kann, insbesondere wenn die Gewinne nicht zur Anhebung der heimischen Nachfrage verwendet werden. Aber noch unsinniger ist die vielfach verbreitete Empfehlung, alle Länder, insbesondere die Länder an der Peripherie des Euroraumes, sollten dem deutschen Vorbild nacheifern. Denn im Euroraum werden fast 90 Prozent des Außenhandels der Mitgliedstaaten mit den anderen Mitgliedstaaten abgewickelt, nur gut zehn Prozent mit dem Rest der Welt (also USA, China usw.). Der Euroraum insgesamt ist also fast ein geschlossener Binnenmarkt. Jede Verbesserung der Leistungsbilanz eines Landes muss sich unausweichlich in der Verschlechterung der Bilanz eines anderen Landes niederschlagen. Die gleichzeitige Verbesserung in allen Ländern ist mathematisch unmöglich.

Unterbietungswettlauf
Dennoch wird paradoxerweise von der EU-Kommission über Merkel/Schäuble bis zu schulmeisternden JournalistInnen ständig das Unmögliche gefordert, nämlich dass alle Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit ihre Leistungsbilanzen verbessern sollen. Das gleichzeitige Bemühen aller Mitgliedstaaten führt aber zu einer Spirale nach unten, bei der am Ende keiner gewinnen kann: Einkommen, Nachfrage, Produktion und Beschäftigung sind am Ende des Tages überall niedriger – alle haben verloren. Leider wurde dieser Unsinn bei den „Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten“ in der EU zur Methode erhoben. Während Defizite in der Zahlungsbilanz ab vier Prozent des BIP als stabilitätsgefährdend gewertet werden, werden Überschüsse bis sechs Prozent als unproblematisch gesehen.

Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist somit nur dann ein sinnvolles Konzept, wenn diese nicht nur in Außenhandelsstatistiken ihren Niederschlag findet, sondern wenn sie auch den Wohlstand der Bevölkerung erhöht. Es ist gut, wenn hochproduktive und leistungsfähige Volkswirtschaften viel exportieren. Aber dies muss sich in kaufkräftiger Binnennachfrage, in Einkommen und Realkapitalinvestitionen niederschlagen. Denn dann wird auch mehr importiert, und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte halten sich in Grenzen. Im EU-Projekt www.foreurope.eu wird dies folgerichtig erkannt und ein neuer Begriff von „Wettbewerbsfähigkeit“ gefordert, der die Steigerung von Einkommen, soziale Faktoren und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt rückt. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss griff diesen Gedanken auf und nennt das neue Konzept „Wettbewerbsfähigkeit 2.0“.
Abgesehen davon: Die Eurozone insgesamt hat kein Wettbewerbsfähigkeitsproblem. Insgesamt erwirtschaftet sie Überschüsse im Außenhandel (also mit Nicht-Euro-Ländern) in der Größenordnung von vier Prozent des BIP. Das eigentliche Problem liegt in einem Mangel an Binnennachfrage, mitverursacht durch die Sparpolitik und die Bemühungen, es in der Leistungsbilanz den Deutschen gleich zu machen.

Linktipp:
Ulrike Herrmann: „Österreicher, stoppt die Deutschen, oder ihr verarmt!“ in der Ökonomie-Beilage des „Falter“ Nr. 51a/15
tinyurl.com/harkbm8
Blogtipp:
„Wettbewerbsfähigkeit 2.0: Alternatives Konzept des EWSA“
tinyurl.com/z8ewlz4

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Thomas Delapina, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826703 Alle Grafiken gibt es einzeln zum Downloaden: http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826634 Im Interesse von Konzernen Die Europäische Union verhandelt gegenwärtig Freihandelsabkommen mit zahlreichen Ländern rund um den Globus. Im Fokus der öffentlichen Diskussionen stehen gegenwärtig das Freihandelsabkommen mit Kanada, genannt CETA, jenes mit den USA, genannt TTIP, und das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen mit mehr als 23 Ländern einschließlich der EU, genannt TiSA. Diese Abkommen haben gemeinsam, dass sie nicht die Beschäftigung oder die Weiterentwicklung der Sozial- und Gesundheitsstandards oder den Umwelt- und Klimaschutz zum Ziel haben. Es geht auch nicht so sehr um Zollabbau oder Freihandel. Die Abkommen zielen vielmehr auf den Abbau von Regulierungen aller Art und auf die Durchsetzung von Konzern- und InvestorInneninteressen ab.

Winzige Wachstumseffekte
Nach wie vor werden die BefürworterInnen von Freihandelsabkommen nicht müde, zu erklären, dass diese neue Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen würden. Schon bei den Studien rund um TTIP hat sich herausgestellt, dass die Versprechungen aus dem Reich der Märchen kommen. Eine neue Studie der AK zu CETA zeigt ebenfalls: Die Wachstumseffekte für Österreich sind im besten Fall winzig. In einem Zeitraum von 10 bis 20 Jahren könnten 465 Arbeitsplätze geschaffen werden, die Einkommen könnten um 0,016 Prozent steigen, während jene der weniger Qualifizierten sogar leicht sinken könnten (um 0,0023 Prozent). Keine der Studien kann allerdings die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten bei Änderungen oder dem Entfall von Regelungen sowie Konzernklagen schätzen. Diese sind völlig offen.

Handelserleichterungen
Freihandelsabkommen gehen weit über die Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) hinaus, wo eigentlich der Ort für Handelsvereinbarungen und Zollabbau ist. Neu ist, dass es bei CETA und TTIP eine Zusammenarbeit bei Regulierungen geben soll. In diesem Rahmen soll sichergestellt werden, dass neue Regeln nicht handelsverzerrend sind, noch bevor sie dem eigenen gewählten Parlament vorgelegt werden. Ein Rechtsgutachten der AK kommt zu dem Schluss, dass Regulierungsfragen nicht primär mit Blick auf die damit verfolgten Schutzzwecke betrachtet werden, sondern unter dem Gesichtspunkt der Erleichterung des Handels.
Das Vorsorgeprinzip hingegen, wonach Schutzmaßnahmen auch dann getroffen werden können, wenn eine Gefahr noch nicht mit letzter wissenschaftlicher Gewissheit belegt ist, findet keine Erwähnung. Stattdessen wird auf das WTO-Recht verwiesen. Dort dominiert der sogenannte wissenschaftsbasierte Ansatz: Handelsbeschränkende Regulierungen zur Abwehr von Gefahren sind nur dann zulässig, wenn eine gesicherte wissenschaftliche Grundlage besteht. Das WTO-Streitverfahren über „Hormonfleisch“ zeigt sehr gut die Problematik auf, wenn das Vorsorgeprinzip nicht entsprechend in internationalen Verträgen verankert ist.
Die EU wurde wegen ihres Verbots von Hormonrindfleisch aus den USA und Kanada verurteilt. Die Begründung: Die Einfuhrsperre der EU sei über das „notwendige“ Maß hinausgegangen und habe nicht auf „wissenschaftlichen Grundsätzen“ beruht, wonach Hormonfleisch die Gesundheit der KonsumentInnen schädigen könnte. Die USA und Kanada durften daraufhin europäische Produkte aus dem Sektor ihrer Wahl (Nahrungsgüterbereich) mit Strafzöllen belegen.

Effektive Instrumente für Konzerne
Teuer für die SteuerzahlerInnen könnten auch die speziellen Klagerechte (Investor-Staat-Schiedsgerichte) kommen. Ausländische Konzerne können auf finanzielle Entschädigung klagen, wenn sich neue Gesetze z. B. in Bezug auf den Schutz von ArbeitnehmerInnen oder der Gesundheit und der Umwelt negativ auf ihre Unternehmensbilanzen auswirken.
Auch die Erfahrungen von Kanada im Rahmen der NAFTA, der Nordatlantischen Freihandelszone zwischen den USA, Kanada und Mexiko, sprechen für sich. Kanada wurde 36-mal von Multis verklagt und hat in sieben Fällen verloren. Das kostete die SteuerzahlerInnen 135 Millionen Euro. Der Streitwert von noch nicht entschiedenen Fällen gegen Kanada macht 4,2 Milliarden Euro aus. Kanada hat bis heute über 45 Millionen Euro für seine Verteidigung gegen Klagen aufgrund von NAFTA entrichten müssen.
Nicht nur die enormen Kosten für die SteuerzahlerInnen, sondern auch der „Abschreckungseffekt“ von möglichen Klagen auf die Regulierungstätigkeit ist alarmierend. Denn damit bekommen InvestorInnen ein Mittel in die Hand, um Staaten unter Druck zu setzen. Oft reicht bereits die Drohung, diese Sonderklagemöglichkeiten zu nutzen, um die Bereitschaft von Regierungen schwinden zu lassen, Maßnahmen von öffentlichem Interesse zu tätigen. Im Kontext des Freihandelspaktes NAFTA berichten z. B. kanadische Institute, aber auch Regierungsbeamte, dass Interventionsbriefe von amerikanischen Rechtsanwaltskanzleien bei neuen Gesetzesvorhaben schon fast zum Alltag gehören.
Der sogenannte Ethyl-Fall zeigt besonders deutlich die Konsequenzen, wenn Konzerne Klagen gegen Regierungen einbringen. Weil MMT (Methylcyclopentadienyl-Mangan-Tricarbonyl) eine schädigende Wirkung auf das Nervensystem und Gehirn haben könnte, beschloss Kanada vorsorglich Restriktionen beim Einsatz von MMT als Zusatz in Kraftstoffen.
Der US-Chemiekonzern Ethyl klagte daraufhin Kanada auf eine Zahlung von 227 Millionen Euro, mit der die Verluste ausgeglichen werden sollten. Die peinliche Reaktion: Die Regierung nahm das Gesetz zurück. Sie gab eine Erklärung ab, dass mit dem Einsatz vom MMT keine gesundheitlichen Risiken verbunden wären, und zahlte zwölf Millionen Euro an den Konzern. Insbesondere die Aufnahme der Sonderklagerechte in Freihandelsverträge war der Wunsch der EU. Im Gegensatz dazu erhalten ArbeitnehmerInnen zur Durchsetzung ihrer Interessen absolut keine vergleichbaren Instrumente, obwohl Kanada im Falle von CETA bereit war, Verstöße gegen bestimmte ArbeitnehmerInnenrechte mit Sanktionen zu ahnden.

Opfer Europäische Union?
Die EU beharrte auf ihrem Standpunkt – und so soll mit CETA die Wahrung der Arbeitsstandards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nur „gefördert“ werden – von verbindlicher Einhaltung oder Sanktionen keine Spur. Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen, das in Partnerländern tätig ist, seine MitarbeiterInnen daran hindert, Gewerkschaften beizutreten, wird dies im Rahmen von Freihandelsabkommen lediglich durch ein Empfehlungsschreiben eines ExpertInnengremiums „geahndet“. Da keine Sanktionen verhängt werden können, bleibt das Vergehen ohne Konsequenzen und das Unternehmen kann die Empfehlungen getrost ignorieren.
Wie die EU ihre wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos durchsetzt, zeigt das Abkommen namens EPA (Economic Partnership Agreement) mit afrikanischen Ländern, das festlegt, dass die afrikanischen Länder ihre Märkte beinahe zur Gänze für europäische Importe öffnen müssen. EU-Importe aber gefährden bestehende Industrien und lassen zukünftige regionale Industrien gar nicht erst entstehen, weil sie dem Wettbewerb mit der EU ausgesetzt sind. Vor allem billigste Agrarimporte aus der EU verdrängen die regionale kleinstrukturierte Landwirtschaft und entziehen damit nicht nur in Afrika Millionen von Menschen die Lebensgrundlage. Als Kenia diese Verträge nicht unterschreiben wollte, wurde es durch die Erhöhung von Zöllen dazu gezwungen.
Die Freihandelsabkommen der EU dienen nicht den ArbeitnehmerInnen und laufen wichtigen Zielen bei Umwelt- und Klimaschutz zuwider. In der Handelspolitik bedarf es eines grundlegenden Kurswechsels. Regierungen und Parlamente sind aufgefordert, derartigen Freihandelsabkommen – aktuell CETA – keine Zustimmung zu erteilen.

Linktipps:
www.oegb.at/freihandel  
Demonstration gegen CETA und TTIP von „TTIP Stoppen“ (Global 2000, Attac, Südwind, ÖBV, PRO-GE) mit ÖGB und vielen anderen am Samstag, 17.9.2016, in Wien, Linz, Graz und Salzburg: www.ttip-stoppen.at
AK-Studien zum Thema
tinyurl.com/j7yksv9
Centre for Policy Alternatives: NAFTA investor-state claims against Canada are „out of control“, 2015
tinyurl.com/gqxmpxq  
Gus Van Harten: Reforming the NAFTA Investment Regime, 2009
works.bepress.com/gus_vanharten/61

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin angela.pfister@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Angela Pfister, Volkswirtschaftliches Referat des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826628 Nicht nur die enormen Kosten für die SteuerzahlerInnen, auch der "Abschreckungseffekt" von möglichen Klagen auf Regierungen ist alarmierend. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826608 Jährlich grüßt das Managertier Thomas und Monika füllen einen Fragebogen aus. Thomas ist Manager eines internationalen Versicherungsunternehmens, Monika Angestellte im Einzelhandel. Sie können für jede Frage auf einer Skala von 1 bis 7 Punkte vergeben, je mehr sie zustimmen, desto mehr Punkte werden sie geben.
Eine Frage betrifft den Kündigungsschutz für ArbeitnehmerInnen in Österreich. Als Manager findet Thomas, dass in Österreich ein recht starker Kündigungsschutz herrscht. Er möchte so flexibel wie möglich kündigen und einstellen können, also gibt er die vollen 7 Punkte. Monika hingegen schätzt ein sicheres Arbeitsumfeld, in dem sie ihrer Arbeit in Ruhe nachgehen kann, ohne sich mit Gedanken über eine plötzliche Entlassung beschäftigen zu müssen. Sie findet, in Österreich ist der Kündigungsschutz ohnehin nicht so stark ausgebaut, und vergibt 3 Punkte.
Auch ihre Meinung zur Unternehmensbesteuerung wird abgefragt. Monikas Reallohn steigt seit Jahren kaum – gleichzeitig liest sie in der Zeitung davon, dass Unternehmen ihre Gewinne in Steueroasen verlagern und dem Sozialstaat dadurch die Finanzierungsquelle mehr und mehr entzogen wird. Sie findet, dass auch die Unternehmen mit ihren steigenden Umsätzen einen größeren Beitrag leisten sollten, und vergibt daher 2 Punkte. Thomas dagegen möchte den steuerlichen Beitrag seines Unternehmens auch weiterhin gering halten. Er gibt 6 Punkte, um zu zeigen, dass er in Österreich die Unternehmenssteuern für zu hoch hält.
Der Fragebogen ist vom World Economic Forum (WEF), das jedes Jahr für eine Vielzahl von Ländern ein Wettbewerbsranking herausgibt. Dieses Ranking besteht neben wirtschaftlichen Daten aus Befragungen. Nur die Hälfte der bisherigen Geschichte kann sich allerdings wie eben beschrieben zugetragen haben – denn Monika wird als Arbeitnehmerin dafür in Wirklichkeit nie befragt werden.

Einseitige Sicht
Das WEF interessiert sich nämlich lediglich für die Ansichten von ManagerInnen. Nur Thomas kann also einer von circa 100 österreichischen ManagerInnen sein, die jährlich über die Fragebögen des WEF kundtun, wie ihrer Meinung nach Österreich wirtschaftlich dasteht. Da nur ManagerInnen befragt werden, ist das daraus entstehende Ranking ausschließlich von deren Sicht geprägt. Dabei spielen politische Interessen eine wesentliche Rolle: Fragen zur Effizienz des Staates, der Unternehmensbesteuerung oder der Lohnsetzung beispielsweise werden grundsätzlich anders beurteilt werden, wenn sie von politischen Absichten wie Steuersenkungen für Unternehmen oder einer Flexibilisierung der Löhne getrieben sind.
Außerdem stellt sich die Frage, ob die einzelwirtschaftliche Sicht von ManagerInnen überhaupt dazu in der Lage ist, den gesamtwirtschaftlichen Zustand der Volkswirtschaft zu beschreiben. Thomas wünscht sich vielleicht eine Lohnsenkung in seinem Unternehmen, da er dann mit geringeren Personalkosten seine Versicherungen billiger anbieten kann. Also wird er im Fragebogen das Lohnniveau als zu hoch angeben. Werden aber die Löhne aller ArbeitnehmerInnen gesenkt, können letztlich auch alle weniger konsumieren, Kaufkraft und Unternehmensumsatz sinken damit – Thomas wird weniger Versicherungen unter die Leute bringen. Thomas’ betriebswirtschaftliche Sicht ist damit ungeeignet, einen gesamtwirtschaftlich sinnvollen Rat zu geben.

Österreich hinter Kasachstan?
Die Befragungen führen dann auch zu paradoxen Ergebnissen. Laut aktuellem Ranking etwa liegt Österreich bei der Frage nach der Verschwendung öffentlicher Ausgaben hinter Ländern wie Ghana, Libyen, Botswana oder Ruanda auf Platz 55. In Kasachstan, China, Bhutan oder dem Oman haben ManagerInnen laut Befragung ein größeres Vertrauen in Politik und Gesetzgebung als in Österreich. Und auch die Unabhängigkeit der Justiz (Österreich auf Platz 27) scheint in Saudi Arabien, Südafrika, Uruguay oder Katar besser gewährleistet zu sein. Es ist offen, ob die Antworten der ManagerInnen nicht vielleicht anders ausgefallen wären, wenn sie auch danach gefragt worden wären, wie Österreich im Vergleich zu diesen Ländern dasteht. Dennoch interpretiert das WEF dies in die Antworten hinein. Damit ist klar: Eine ernstzunehmende Vergleichbarkeit zwischen Ländern erlauben die Ergebnisse nicht. Dass das WEF zudem Befragungsergebnisse, die stark von jenen der Vorjahre abweichen oder nicht ins Bild passen, einfach „bereinigt“ und sich die Daten damit so zurechtschustert, wie sie gerade benötigt werden, ist da nur das Tüpfelchen auf dem I.

Frosch- versus Adlerperspektive
Das WEF verwendet für seine Rankings zum Teil offizielle Daten wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Aber auch bei deren Auswahl kommt die einzelwirtschaftliche Froschperspektive zum Tragen. So könnte man beispielsweise der Meinung sein, dass Arbeitslosigkeit und Beschäftigung zur Bewertung der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit eine Rolle spielen sollten. Schließlich ist es wichtig, wie es am Arbeitsmarkt läuft: Müssen sich die Unternehmen um knappe Arbeitskräfte raufen? Oder haben viele Leute kein Arbeitseinkommen, mit dem sie Produkte nachfragen könnten? In den Wettbewerbsindex gehen diese Variablen allerdings nicht ein.
Nicht nur bei den Antworten der ManagerInnen fehlt also die volkswirtschaftliche Adlerperspektive, schon die Auswahl der Fragen findet aus betriebswirtschaftlicher Sicht statt. Deswegen gibt es sogar Widersprüche zwischen den Fragestellungen selbst: Während eine gute Kooperation zwischen ArbeitnehmerInnen und Unternehmen für positiv erachtet wird, bewertet das WEF zentrale Kollektivvertragsverhandlungen als negativ für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Das gibt gerade für Länder wie Österreich, die eine hohe sozialpartnerschaftliche Kooperation in Form von Branchen-Lohnverhandlungen aufweisen, ein unstimmiges Bild ab.
Neben der inhaltlichen Kritik am Wettbewerbsranking stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ein einzelner Index überhaupt dazu in der Lage ist, die Situation eines Landes gut abzubilden. Da aus den Teilergebnissen am Ende nur ein einzelner Wert berechnet wird, der dann den „Rang“ des Landes angibt, ist es theoretisch möglich, dass Länder mit gänzlich unterschiedlichen Ausgangsbedingungen rechnerisch auf denselben Wert kommen – obwohl deren Volkswirtschaften völlig anders geartet sind. So sind etwa Spanien und Katar Ranglisten-Nachbarn, die vom WEF als ähnlich wettbewerbsfähig eingestuft werden. Sinnvoller wäre es, Fakten wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Kaufkraft, Investitionen und Forschungsausgaben nebeneinander abzubilden, um einen Blick für das „große Ganze“ zu bekommen, anstatt alles in einen Topf zu werfen.

Wettbewerbsrankings wie jene des World Economic Forum sind daher mit großer Vorsicht zu genießen. Sie spiegeln die Interessen von UnternehmerInnen wider und nicht, wie sie behaupten, die objektive Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Sie sind denn auch der jährliche Anlass für ein großes Gejammer um den Zustand der österreichischen Wirtschaft – politische Forderungen nach Steuersenkungen, Förderungen und Deregulierung für Unternehmen folgen ihnen meist auf den Fuß.
Sieht man sich abseits des WEF-Rankings einige Daten zur österreichischen Volkswirtschaft an, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild: Da rangiert Österreich beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit rund 20 Jahren stabil unter den reichsten Volkswirtschaften Europas, und die Armutsgefährdung ist niedrig. Auch die heimische Industrieproduktion liegt weit über jener des Euroraum-Durchschnitts und damit im europäischen Spitzenfeld. Natürlich gibt es viele wichtige Baustellen, an denen gearbeitet werden müsste: Die hohe Arbeitslosigkeit etwa; die Stagnation niedriger Einkommen wird ein immer größeres Problem, je länger sie andauert; die extrem niedrige Besteuerung von Vermögen bedingt die hohe Besteuerung von Arbeit; und die Flüchtlingskrise hat offengelegt, dass in der Sprachförderung und der Integration in den Arbeitsmarkt Handlungsbedarf besteht. Aber diese Problemfelder sind klassische Interessenkonflikte, die mithilfe sauberer Daten und klarer Positionen ausdiskutiert werden müssen. Pseudowissenschaftliche Rankings helfen hier nicht weiter.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen miriam.rehm@akwien.at und max-m@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Miriam Rehm, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien</br>Max Mayerhofer, Student der Volkswirtschaft an der WU Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826599 Das World Economic Forum (WEF) gibt jedes Jahr für eine Vielzahl von Ländern ein Wettbewerbs-Ranking heraus. Dieses definiert den Begriff Wettbewerb allerdings sehr eindimensional. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826580 Der Mythos der Unabhängigkeit In den letzten Jahren traten vermehrt neoliberale Thinktanks als Akteure im gesellschaftspolitischen Diskurs in Erscheinung. Wiewohl immer wieder betont wird, dass sie autonom und politisch unabhängig agieren, sind sie in bestehenden Netzwerken finanzkräftiger privatwirtschaftlicher AkteurInnen und wirtschaftlicher Interessenvertretungen bestens verankert. Sie sind international und medial gut vernetzt und beeinflussen die österreichische sozialpolitische Diskussion immer mehr. Neoliberale Thinktanks argumentieren dabei auf der Basis einer dichotomen Gegenüberstellung: hier ein „ineffizienter, bürokratischer, teurer Staat“, dort ein „effizienter, selbstregulierender, freier Markt“.

Das Beispiel Agenda Austria
Die Thinktank-Forschung unterscheidet drei Kategorien: Neben „akademischen Thinktanks“, die eng mit Wissenschaft und Unis zusammenarbeiten, sind nicht- oder semi-staatliche in der politik-beratenden Auftragsforschung tätig. „Advokatorische“ Thinktanks hingegen weisen eine klar zuordenbare ideologische Ausrichtung auf, auch wenn im Außenauftritt die „Unabhängigkeit der Expertise“ betont wird. Sie versuchen ihre weltanschaulichen Prinzipien medial und politisch zu vermarkten. Dieser Kategorie kann etwa die 2013 auf Initiative der Industriellenvereinigung gegründete Agenda Austria zugeordnet werden. Sie ist als moderner neoliberaler Thinktank medial bestens vernetzt und darauf fokussiert, marktliberale Argumentationen zu verbreiten. Der Förderkreis setzt sich aus finanzkräftigen Finanz-, Industrie- und Handelsunternehmen zusammen, weshalb die Agenda Austria im Zuge ihrer Gründung auch als „Denkfabrik der Millionäre“ bezeichnet wurde. Dabei orientiert sich die Agenda Austria an der etwa 15 Jahre älteren Avenir Suisse, zu der enge personelle Verbindungen bestehen und deren neoliberale Programmatik man „austrifizieren“ möchte.

Enge Verflechtung
Durch eine Netzwerkanalyse lässt sich die enge institutionelle und personelle Verflechtung der in Österreich agierenden neoliberalen Thinktanks gut veranschaulichen. Dabei zeigt sich zunächst eine breite internationale Vernetzung des Hayek-Instituts mit zentralen Knoten des globalen neoliberalen Netzwerks. Im Zentrum steht hier die 1947 in der Schweiz von Friedrich Hayek gegründete Mont Pèlerin Society (MPS), die bis heute gleichsam als „neoliberale Internationale“ fungiert und eine langfristige Strategie zur Durchsetzung neoliberaler Ideen verfolgt.
Über eine Reihe von verbindenden Personen und Institutionen (sogenannten „interlocking directorates“) bestehen aber auch enge Vernetzungen zwischen dem Hayek-Institut und der Agenda Austria. Im Vergleich zum Hayek-Institut sind mit der Agenda Austria relativ mehr AkteurInnen aus der Wissenschaft verbunden, trotzdem sind hier ebenso enge Verbindungen zu Wirtschaftsverbänden bzw. der Privatwirtschaft vorhanden. Generell zeigt sich, dass sowohl die Agenda Austria als auch das Hayek-Institut gut in bestehenden Netzwerken neoliberaler Thinktanks verankert sind.

Agenda: Rückbau des Sozialstaates
Diese internationale und nationale Verankerung und Vernetzung ermöglicht und erleichtert es, die „Agenda zum Rückbau sozialstaatlicher Sicherung“ zügig voranzutreiben. Ein maßgeblicher Teil dieser Strategie basiert im Konkreten auf der Verunsicherung jener, die auf die sozialstaatliche Absicherung vertrauen. Deutlich wird dies am Beispiel der laufenden Debatte über die Pensionsreform.
Die Vorschläge einer vom Finanzminister 2015 beauftragten ExpertInnengruppe zur langfristigen Finanzierung unseres Pensionssystems sind weitgehend ident mit jenen der Agenda Austria: rasche Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters, Koppelung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters an die steigende Lebenserwartung (Pensionsautomatik) bzw. Anpassung der Pensionshöhe an die steigende Lebenserwartung, Erhöhung der Pensionsbeiträge oder Begrenzung des Bundesbeitrags zur Pensionsversicherung. All diese Optionen laufen auf einen substanziellen Abbau hinaus, Altersarmut ist dabei vorprogrammiert. Insbesondere die Pensionsautomatik steht bei der Agenda Austria hoch im Kurs, da durch die geplante Koppelung der (steigenden) Lebenserwartung mit dem Pensionsantrittsalter – so wird argumentiert – weder Parteien noch Politik für Leistungskürzungen zur Rechenschaft gezogen werden können. Hierfür wird oftmals auf das „Schwedische Modell“ verwiesen, das ebenso auf einer automatischen Anpassung der Pensionszahlungen basiert. Allerdings reagierte die schwedische Regierung seit der Finanzkrise laut einer OECD-Studie fünfmal mit Steuerreduktionen auf „automatische“ Pensionskürzungen.
Der Verweis der Agenda Austria auf eine „schwedische Pensionsautomatik“, die verhindern sollte, dass Pensionen „Spielball der Politik“ werden, verkennt, dass angesichts der Notwendigkeit staatlicher Interventionen in Schweden wohl kaum von einem „Automatismus“ gesprochen werden kann. Zudem wird in der Argumentation der Agenda Austria der statistisch signifikante Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und sozialer Ungleichheit ignoriert.

Ebenso wenig wird thematisiert, dass die Vorschläge letztlich zu einer Umverteilung von unten nach oben in der Alterssicherung beitragen würden. Unbeachtet bleiben Alternativstrategien zur nachhaltigen Sicherung der Pensionen wie beispielsweise die Einbeziehung aller Bereiche der Wertschöpfung in die Finanzierung sozialer Sicherheit. Die Zukunft und das Ausmaß von Sozialstaatlichkeit werden maßgeblich von dem bestimmt, was der Schweizer Soziologe Franz-Xaver Kaufmann als die „kulturelle Herausforderung“ bezeichnet. Gemeint ist damit, dass wohlfahrtsstaatliche Sicherung auf einem weitgehend gemeinsamen sozialstaatlichen Werterahmen aufbaut. Agenda Austria und andere Thinktanks setzen hier an und versuchen, eine ideologische Spaltung voranzutreiben, die letztlich dazu beitragen soll, sozialstaatliche Sicherung als ineffizient und leistungshemmend zu diskreditieren und mittels marktradikaler Ansätze soziale Polarisierung und soziale Ungleichheit in die Mitte der österreichischen Gesellschaft zu tragen. Die starke Verankerung und Vernetzung mit finanzkräftigen privatwirtschaftlichen AkteurInnen – verbunden mit einer hohen medialen Resonanz – lassen weitere Angriffe auf Ausmaß und Grad der österreichischen Sozialstaatlichkeit befürchten.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen christine.stelzer-orthofer@jku.at und stephan.puehringer@jku.at oder die Redaktion aw@oegb.at

PS: Von Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit …
In den vergangenen Wochen haben wir erfahren müssen, auf welche Weise die Agenda Austria auf die Analyse der institutionellen und personellen Struktur der Agenda Austria und ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzungen reagiert.
So wird unser Beitrag in der SWS-Rundschau (1/2016), der sich dem Phänomen neoliberaler Thinktanks in österreichischen sozial- und wirtschaftspolitischen Debatten widmet, pauschal als „nicht von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn motiviert“ diskreditiert.
So sehen die AutorInnen der Agenda Austria im Umstand, dass (i) Veit Sorger, langjähriger Vorsitzender der Industriellenvereinigung (IV), nun im Vereinsvorstand der Agenda Austria und dort (ii) auch Senatspräsident für Fundraising ist, dass (iii) die drei letzten Präsidenten der IV im finanziellen Förderkreis der Agenda Austria sind, keine hinreichenden Indizien dafür, dass hier eine (finanzielle) Verbindung bestehe.
Stefan Pühringer, Christine Stelzer-Orthofer: Neoliberale Think-Tanks als (neue) Akteure in österreichischen gesellschaftspolitischen Diskursen, in SWS-Rundschau 1/2016, Neoliberale Sozialpolitik und ihre Alternativen, online abrufbar unter:
www.sws-rundschau.at

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Stephan Pühringer und Christine Stelzer-Orthofer, Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Johannes Kepler Universität Linz Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826560 Sie behaupten gerne, autonom und unabhängig zu agieren. Doch sind neoliberale Thinktanks wie die Agenda Austria oder das Hayek-Institut gut in internationalen Netzwerken verankert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826529 Von wegen Vereinbarkeit … Anne-Marie Slaughter ist zweifellos eine Powerfrau: Politikwissenschafterin in Princeton, Präsidentin des Thinktanks „New America“ und Mutter von zwei Söhnen. Ihren Job als Direktorin des außenpolitischen Planungsstabs von Hillary Clinton beendete sie 2011 mit der Begründung, sich nach zwei Jahren Fernbeziehung mehr um ihre Familie kümmern zu wollen. Jetzt ist ihr Buch „Was noch zu tun ist: Damit Frauen und Männer gleichberechtigt leben, arbeiten und Kinder erziehen können“ auf Deutsch erschienen. Wie weit es auch als Unterstützung oder Anregung für Hillary Clinton gedacht war, lässt sich schwer sagen. Es liefert jedenfalls einige Denkanstöße und Ratschläge – auch für ÖsterreicherInnen.
Die USA sind eines der wenigen Länder ohne allgemeinen, gesetzlich verankerten bezahlten Mutterschutz. In den einzelnen Staaten gibt es unterschiedliche Regelungen, in Kalifornien etwa sogar bezahlten Vaterschaftsurlaub. Doch im Wesentlichen sind die konkreten Bedingungen stark vom jeweiligen Arbeitgeber abhängig. Im Vergleich dazu wird in Österreich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Kindergeld, Elternteilzeit, Väterkarenz oder Pflegefreistellung durchaus deutlich erleichtert. Doch im Prinzip sind berufstätige Eltern überall im gleichen Dilemma: Kinder, die mehrmals im Jahr überraschend und plötzlich krank werden oder an manchen Tagen partout nicht in den Kindergarten wollen und sich an Mama oder Papa klammern. Betreuungseinrichtungen, die sich nicht mit Schichtdiensten und langen Ferienzeiten vereinbaren lassen, Elternabende, Schulaufführungen und Chauffeurdienste, die mit beruflichen Terminen kollidieren: All das strapaziert persönliche, zeitliche und/oder finanzielle Ressourcen.

Eineinhalb-ErnährerInnen-Modell
Unter besonders schwierigen Bedingungen arbeiten Alleinerziehende. Eine Vereinbarkeitsstudie im Auftrag der AK Wien ergab 2013, dass nur 55 Prozent die Möglichkeit haben, kurzfristig auf Kinderbetreuungspflichten zu reagieren. Befragt wurden ArbeitnehmerInnen mit mindestens einem Kind unter zwölf Jahren im Haushalt, in dieser Gruppe dominiert nach wie vor das Eineinhalb-ErnährerInnen-Modell. Nur bei 25 Prozent der DoppelverdienerInnen-Haushalte waren beide voll berufstätig. Und typischerweise häufen AlleinverdienerInnen besonders viele Überstunden an. Allgemein sind private Bezugspersonen nach wie vor die wichtigste Säule der Kinderbetreuung.
Der aktuelle AK-Wiedereinstiegsmonitor zeigt, dass die Rückkehrchancen von Müttern bis zum zweiten Geburtstag dann am größten sind, wenn der Vater ebenfalls in Karenz geht. Tatsächlich tun das auch immer mehr Väter, allerdings hat sich die Unterbrechungsdauer verkürzt. Auch Frauen wählen immer häufiger kürzere Modelle. Mangels adäquater Betreuungsmöglichkeiten haben Alleinerzieherinnen trotz höheren wirtschaftlichen Drucks mit 53 Prozent eine niedrigere Wiedereinstiegsquote als der Durchschnitt (58 Prozent). Dieser Rückzug vom Arbeitsmarkt ist nicht selten der erste Schritt in die Altersarmut.

Kein reines Frauenproblem
Immerhin ist es heute nicht mehr üblich, dass junge Paare quasi schweigend übereinkommen, dass Mütter ihre beruflichen Ambitionen jahrelang auf Eis legen und vielleicht irgendwann „dazuverdienen“. Die Generation Millennium hat bezüglich Vereinbarkeit weniger Illusionen und geht das Ganze durchaus strategischer an. Doch wie so vieles lässt sich auch dieser Lebensbereich nur äußerst selten zu 100 Prozent durch eigene Entscheidungen beeinflussen. Arbeitslosigkeit, chronische Krankheiten, pflegebedürftige Eltern und andere Ereignisse sind ebenso unvorhersehbar wie die psychischen Folgen von Elternschaft. Viele sind überrascht, wie eng die Bindung zum Kind sein kann und wie sehr sich Bedürfnisse und Prioritäten dadurch verändern. Und nicht wenige Frauen haben Probleme damit, Verantwortung im Haushalt und für die Kinder abzugeben. „Es ist eine Sache“, so Slaughter, „den Haushalt abzugeben. Wesentlich schwieriger ist es, nicht mehr länger der Mittelpunkt des kindlichen Universums zu sein.“
Trotzdem sei Vereinbarkeit kein Frauenproblem, sondern ein Betreuungsproblem. Immer häufiger beklagen auch Väter, dass Arbeit und Familie nur schlecht unter einen Hut zu bringen sind. Übliche Karriereratgeber würden Frauen nur dabei helfen, in der traditionell männlichen Welt der Firmenhierarchien auf Führungspositionen hinzuarbeiten. Dieses System mit einer Kultur der Arbeitsüberlastung sei antiquiert und hinfällig und es sei höchste Zeit, „dass sich Unternehmen an die Realitäten des modernen Lebens anpassen“.

Gütesiegel und Staatspreise
Egal ob als bescheiden bezahlte Pflegehelferin oder als Managerin – Frauen erleben täglich hautnah, dass unsere Gesellschaft persönlichen Ehrgeiz belohnt und Fürsorge bestraft, „obwohl es sich dabei um zwei gleichwertige, notwendige menschliche Antriebskräfte handelt, die essenziell sind für die Erhaltung der Art“, bringt es Slaughter auf den Punkt.
Kreative Lösungen für bessere Vereinbarkeit wie Gleitzeitangebote nach den Bedürfnissen der Beschäftigten, Teilzeit für Führungskräfte, ein Papamonat nach der Geburt oder Betriebskindergärten haben auch hierzulande Seltenheitswert. Gütesiegel, Preise und Audits für Familienfreundlichkeit können zwar Bewusstsein schaffen, bieten aber keine wirkliche Garantie für die/den einzelne/n Beschäftigte/n. „Zum Teil werden dabei Maßnahmen als vorbildlich gelobt, die per Gesetz ohnehin vorgeschrieben sind“, so AK-Expertin Helga Hess-Knapp. „Auch Absichtserklärungen, etwa Leitlinien, sind unverbindlich.“ In der Praxis erleben die AK-RechtsberaterInnen immer wieder, dass Unternehmen ihren Beschäftigten etwa bei der Elternteilzeit große Probleme machen. „Auf der sicheren Seite sind ArbeitnehmerInnen dann, wenn in einem Unternehmen neben der familienfreundlichen Unternehmenskultur auch eine verbindliche Betriebsvereinbarung vorhanden ist“, so die AK-Expertin.

Kleine und große Schritte
Gesellschaftliche Veränderungen laufen in der Regel eher langsam ab, aber zweifellos finden sie permanent statt. So wie wir uns an das Verschwinden der Anrede Fräulein gewöhnt haben, werden wir uns alle an (sprachliche) Gleichstellung wie das viel diskutierte Binnen-I gewöhnen. Entscheidend für nachhaltige Verbesserungen ist die richtige Mischung. Denn einzelne Maßnahmen wie etwa Quotenregelungen werden nur dann zum wirksamen Gleichstellungsinstrument, wenn parallel die Vereinbarkeit verbessert wird. Derzeit gewinnen häufig kinderlose Frauen den Kampf um die Topjobs.
Fast genauso wichtig wie die Forderung nach dem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen oder Ganztagsschulen ist für Slaughter ein allgemeines Umdenken. Sie sieht dabei durchaus auch Veränderungsbedarf bei sich selbst und ihren Geschlechtsgenossinnen. So sollten grundsätzlich nicht nur schwangere Frauen, sondern auch deren Partner auf die Vereinbarkeitsfrage angesprochen werden. Und man sollte Väter nicht länger für Dinge loben, die bei Müttern als selbstverständlich angesehen werden. Nicht nur Arbeitgeber, sondern wir alle sollten Zeiten der Kinder- oder Angehörigenbetreuung nicht mehr als Pause betrachten, sondern als Lebensabschnitt, der neue Erfahrungen ermöglicht. Damit wäre dann auch klar, dass typisch männliche Karrieren mit Überstunden und stetigem Vorwärtskommen nicht länger die Norm bleiben können.

Linktipp:
L&R Sozialforschung im Auftrag der AK Wien: Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung
tinyurl.com/jvacrqm

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826515 Übliche Karriereratgeber würden Frauen nur dabei helfen, in der traditionell männlichen Welt der Firmenhierarchien auf Führungspositionen hinzuarbeiten, kritisiert die US-Politikwissenschafterin Anne-Marie Slaughter. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826540 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470880826498 Sozialstaat bringt Leistung Die Erfahrungen im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise haben gezeigt, dass Länder mit einer starken sozialstaatlichen Absicherung deutlich besser durch die Krise gekommen sind als andere. Der Vorteil eines gut ausgebauten Sozialstaates liegt darin, dass er Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützt und gleichzeitig zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stabilität beiträgt.

Der Sozialstaat bringt allen etwas
In Österreich profitieren alle Menschen je nach Lebens- und Einkommenssituation in unterschiedlicher Intensität von sozialstaatlichen Leistungen. Dies gilt insbesondere für jene Lebenslagen, in denen die Menschen besonders verwundbar sind: Kinder erhalten Familienleistungen und besuchen das staatliche Schulsystem. Im Falle einer Krankheit gibt es dank Krankenversicherung eine weitgehend kostenfreie Behandlung. Wenn der Job verloren geht, bietet die Arbeitslosenversicherung einen Lohnersatz.
Die Leistungen des Sozialstaates werden durch das Abgabensystem finanziert: Steuern, Gebühren und Beiträge. Ein wichtiges Indiz dafür, wie viel in einem Land staatlich finanziert wird und wie viel jede Person für sich privat organisieren muss, ist die Abgabenquote. Diese ist im internationalen Vergleich vor allem in wirtschaftlich entwickelten Ländern mit einem gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat relativ hoch: Die OECD berechnet die höchsten Abgabenquoten für 2014 in Dänemark mit 50,9 Prozent, Frankreich mit 45,2 Prozent und Belgien mit 44,7 Prozent. Auch die österreichische Volkswirtschaft rangiert mit 43 Prozent im oberen Bereich. Eine deutliche Senkung der Abgabenquote kann nur erreicht werden, wenn öffentliche Leistungen etwa in den Bereichen Gesundheit, Bildung oder Pensionen gekürzt werden und folglich von den BürgerInnen privat auf oft teurerem Weg bezahlt werden müssen.
Um die Frage zu beantworten, wer die Finanzierung des Sozialstaates eigentlich trägt, lohnt sich eine Analyse der privaten Haushalte. Dafür nimmt man alle österreichischen Haushalte zusammen und teilt diese entlang der Höhe ihres Einkommens in drei Gruppen. Demnach erzielt das Drittel der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen 12 Prozent aller Bruttoeinkommen und zahlt 10 Prozent aller Steuern und Sozialabgaben. Umgekehrt erzielt jenes Drittel der Haushalte mit den höchsten Einkommen 60 Prozent aller Bruttoeinkommen und zahlt 63 Prozent aller Steuern und Sozialabgaben.

Lebenssituation als Kriterium
Die Haushalte im mittleren Einkommensdrittel wiederum erzielen 28 Prozent der Bruttoeinkommen und zahlen 26 Prozent der Steuern und Sozialabgaben. Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass das österreichische Abgabensystem nur wenig von reicheren zu ärmeren EinkommensbezieherInnen umverteilt − es ist im Wesentlichen proportional gestaltet. Zur Finanzierung des Sozialstaates tragen also alle Haushalte einen etwa gleich hohen Anteil ihres Einkommens bei. Gleichzeitig profitieren im österreichischen Sozialstaat auch alle Menschen im Laufe ihres Lebens von öffentlichen Leistungen: Eine Vielzahl der sozialstaatlichen Leistungen in Österreich sind universelle Leistungen, die unabhängig vom Einkommen allen BürgerInnen zustehen. Wesentliches Kriterium ist hingegen die Lebenssituation: Das Alter ist entscheidend für den Bezug der Familienbeihilfe, Gesundheitsleistungen können im Krankheitsfall in Anspruch genommen werden.

Positive Verteilungswirkung
Trotz seiner universellen Ausrichtung stärkt der Sozialstaat vor allem die Mittelschicht sowie Menschen mit geringen Einkommen: Vor allem dank positiver Verteilungswirkung der Staatsausgaben können Haushalte im unteren Einkommensdrittel ihren Anteil an den Gesamteinkommen von 12,5 Prozent auf 20 Prozent steigern. Auch der Anteil der Haushalte des mittleren Drittels steigt, wenn auch nur geringfügig, von 29 auf knapp 31 Prozent. Der Anteil des oberen Einkommensdrittels wiederum sinkt von 58,5 auf 49,5 Prozent.
Die positive Umverteilungswirkung geht in Österreich traditionell von den Staatsausgaben bzw. von öffentlichen Angeboten aus – und nicht von den Einnahmen. Der Grund liegt darin, dass das bereitgestellte öffentliche Angebot für die Mittelschicht und Personen mit geringem Einkommen oft überhaupt erst den Zugang zur jeweiligen Leistung ermöglicht: Müsste beispielsweise jenes Drittel der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen selbst für Bildungsausgaben aufkommen, so würde dies 44 Prozent ihres Einkommens auffressen und die Lebensbedingungen für Haushalte mit SchülerInnen drastisch verschlechtern. Ähnlich, wenngleich nicht ganz so drastisch, verhält es sich mit dem öffentlichen und gemeinnützigen Wohnbau.
Dieser bringt eine durchschnittliche Mietersparnis von 74 Euro pro Monat für jeden Haushalt. Die zehn Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen müssten ohne öffentlichen und gemeinnützigen Wohnbau 15 Prozent ihres Einkommens zusätzlich für Mietzahlungen ausgeben.

Stabile Sozialquote
Entgegen den üblichen Behauptungen der ApokalyptikerInnen des Sozialstaates, wonach die Sozialleistungen unfinanzierbar wären, zeigt der Blick in die Vergangenheit, dass die vorhergesagte „Kostenexplosion“ im Sozialsystem nicht stattgefunden hat. Und sie wird erfahrungsgemäß auch nicht stattfinden, im Gegenteil: Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (= Sozialquote) betrug in Österreich zwischen 1995 und 2014 durchschnittlich rund 29 Prozent und bewegte sich – letztendlich stark konjunkturbedingt – in einer vergleichsweise engen Bandbreite zwischen 27,2 (2007, Hochkonjunktur) und 30,1 Prozent (2014).
Ist der Befund damit gänzlich falsch, dass sich die Sozialausgaben seit Mitte der 1990er-Jahre nominell von 51 Milliarden auf 99 Milliarden Euro verdoppelt haben? Nein, die Zahlen sind per se sogar richtig. In der Darstellung „vergisst“ man nur zu erwähnen, dass sich die Wirtschaftsleistung (BIP) im Vergleichszeitraum ebenfalls nominell beinahe verdoppelt hat und somit eine Stabilisierung der Sozialquote möglich war.
Nicht nur aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre lässt sich folgende These für die Zukunft ableiten: Je mehr Menschen – in allen Altersgruppen zwischen 15 und 64 Jahren – am Arbeitsmarkt erfolgreich Fuß fassen, wodurch der Bedarf an sozialen Transferleistungen insgesamt sinkt, umso leichter kann die Sozialquote auch für die kommenden 20 Jahre relativ stabil gehalten werden.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, warum die Sozialausgaben nicht auch wesentlich steigen dürfen. Ein steigender Älterenanteil in der Gesellschaft (Stichwort demografischer Wandel), neue Anforderungen in der Arbeitswelt (Stichwort digitaler Wandel), Aufholprozesse zur echten Gleichstellung zwischen den Geschlechtern (Stichwort gesellschaftlicher/kultureller Wandel) und vieles mehr sprechen im Gegenteil dafür, dass mehr Budgets dorthin fließen sollten – und zwar dorthin, wo sie erstens gebraucht und zweitens sinnvoll investiert werden.

Finanzierung auf breite Basis stellen
Der Sozialstaat kann die zum Teil hohen Erwartungen der Menschen nur dann erfüllen, wenn auch seine Finanzierung auf eine breite und gerechte Basis gestellt wird. Und: Der Sozialstaat muss laufend angepasst und progressiv weiterentwickelt werden, um den aktuellen Herausforderungen, wie etwa der Auseinanderentwicklung von Arm und Reich, strukturellen Umbrüchen in Wirtschaft und Gesellschaft bzw. der Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise gerecht werden zu können.

Umbau als Devise für die Zukunft
Die Devise für die Weiterentwicklung des österreichischen Sozialstaates lautet deshalb: Umbau statt Abbau! Dies gilt natürlich besonders auf europäischer Ebene, wo sich gut ausgebaute, hochentwickelte Sozialsysteme gegenüber wirtschaftlichen Krisen und gesellschaftlichen Veränderungen als besonders resilient erwiesen haben.
Treffender als Helmut Schmidt kann man es wohl nicht formulieren: Der Sozialstaat ist „die größte kulturelle Leistung, welche die Europäer während des ansonsten schrecklichen 20. Jahrhunderts zustande gebracht haben“.
 
Linktipps:
Umverteilungsbroschüre des Sozialministeriums
tinyurl.com/jjsom4v
WIFO-Umverteilungsstudie
tinyurl.com/jfoxwst

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen romana.brait@akwien.at und adi.buxbaum@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Romana Brait, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien</br>Adi Buxbaum, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470880826444 Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691828633 Lasst die Hummeln fliegen! Abgesandelt ist noch ein Hilfsausdruck“, „Triple B aus Bürokratie, Belastung, Bestrafung“, „Reformstau“: Über Monate hinweg reihen missmutige Wirtschaftsfunktionäre ein abfälliges Schlagwort über den österreichischen Standort an das andere. Selbst dem Generaldirektor der voest, eines Unternehmens mit glänzenden Geschäftszahlen, dem jede Unterstützung von Politik und Gewerkschaften sicher ist, gerät jede Pressekonferenz trotz immer höherer Unternehmensgewinne zur Lamentiererei.
Die internationalen Wettbewerbsrankings, etwa des World Economic Forum, beruhen wesentlich auf Befragungen von ManagerInnen (siehe auch „Jährlich grüßt das Managertier“). Die selbstgeißelnde Stimmungsmache befeuert zusammen mit schwerwiegenden methodischen Problemen dieser Befragungen das Standort-Bashing. Das ist ziemlich gefährlich, denn schlechte Unternehmerstimmung kann zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden: Erklären die Unternehmen die Lage für schlecht, dann investieren sie nicht, das wiederum verschlechtert die wirtschaftliche Lage tatsächlich.

Selffulfilling prophecy
Zudem erschwert miese Stimmung die Lösung der durchaus bestehenden Probleme: hohe Arbeitslosigkeit, Herausforderung Integration, Defizite im Bildungssystem, Innovationsschwäche und zunehmende Ungleichheit in der Verteilung des Wohlstandes. Auf solider Ausgangsbasis und mit ein wenig Mut wären die Herausforderungen zu bewältigen, aber so?
In der Sozialpartnerschaft galt einmal der Grundsatz, die Fakten gemeinsam außer Streit zu stellen, um auf gesicherter Datenbasis Interessenunterschiede zivilisiert austragen zu können. Wie also ist die Ausgangssituation auf Basis von Fakten und Daten tatsächlich? Einerseits belastet die seit 2008 anhaltende weltweite Finanzkrise noch immer die heimische Wirtschaft: Wäre das reale Bruttoinlandsprodukt seit Beginn der Krise im Jahr 2008 so gewachsen wie in den zwei Jahrzehnten zuvor, so würde es um zwanzig Prozent höher liegen. Zusammen mit enormen Kosten der Bankenrettung von 37 Milliarden Euro hat die schwache Konjunktur die Staatsschulden um mehr als siebzig Milliarden Euro erhöht. Gemeinsam mit dem starken Zuzug ausländischer Arbeitskräfte hat die Krise die Arbeitslosenquote auf den höchsten Wert der Zweiten Republik gehoben. Die Ausgangslage ist also durchaus schwierig.
Doch andererseits ist die wirtschaftliche Lage in Österreich objektiv im Vergleich mit den anderen EU-Ländern recht gut: Die Produktion an Gütern und Dienstleistungen (BIP) pro Kopf lag im Jahr 2015 mit 36.400 Euro um 27 Prozent über dem EU-Durchschnitt, zu Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 betrug der Vorsprung nur 23 Prozent.
Vor uns liegen Luxemburg (Stadt mit Umland und Steuerdumping), Irland (Land der steuerminimierenden Multis ohne Ertrag für die heimische Bevölkerung) und die Niederlande (einstmals gefeiertes Modell, das kontinuierlich zurückfällt). Besorgniserregend ist, dass unser drittwichtigster Handelspartner Italien laufend an Wirtschaftsleistung verliert und nur noch an zwölfter Stelle der EU liegt. Erfreulich ist, dass unser mit Abstand wichtigster Handelspartner Deutschland nach langen Jahren der Stagnation nun endlich aufholt und Rang fünf einnimmt. Denn je besser es unseren Handelspartnern geht, desto günstiger ist dies für unsere Exportwirtschaft.

Grund für Optimismus
Exportiert werden in hohem Ausmaß Industriegüter, deren Produktion besonders im internationalen Wettbewerb steht. Im April 2016 lag der Produktionswert in Österreichs Industrie um 13 Prozent höher als im Jahr 2010, in Deutschland waren es zehn und in der Eurozone nur fünf Prozent. Mehrere Indikatoren lassen hier auch für die Zukunft optimistisch sein: Die Forschungsausgaben, entscheidende Voraussetzung für die Innovationskraft der Wirtschaft, haben drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschritten und Österreich hat damit zur Spitzengruppe der skandinavischen Länder aufgeschlossen. Großen Anteil daran hatten staatlich finanzierte Forschungsleistungen, Österreich liegt hier auf Platz eins der EU. Nun gilt es, mehr Augenmerk nicht nur auf die Forschungsmittel, sondern auch auf die Umsetzung der Forschungsergebnisse zu legen.
Die Investitionen der Unternehmen und der öffentlichen Hand weisen ein deutlich höheres Niveau auf als in Deutschland und der Eurozone. Die deutschen Unternehmen müssten um 30 Milliarden Euro und der Staat nochmals um 30 Milliarden Euro mehr investieren, um das österreichische Niveau zu erreichen. Dennoch schütten die heimischen Kapitalgesellschaften immer noch mehr ihres Gewinns in Form von Dividenden aus, als sie investieren. Die Gewinne verschwinden auf den internationalen Finanzmärkten und in Rotweinsammlungen, statt sie für die Gesamtwirtschaft nutzbar zu machen. Das muss sich ändern.

Realistische Einschätzung
Die Zahl der Erwerbstätigen steigt. Sie hat sich seit 2008 so wie in Deutschland um sechs Prozent erhöht, während sie in der Eurozone erst das Vorkrisenniveau erreicht. Seit Kurzem nimmt auch die Zahl der Vollzeitbeschäftigten wieder zu. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum kräftig gestiegen, vor allem weil immer mehr Leute wegen der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters am Arbeitsmarkt bleiben oder wegen des attraktiven Wirtschaftsstandorts aus dem Ausland zuziehen.
Angesichts dieser harten Fakten liegt eine realistische Einschätzung des österreichischen Wirtschaftsstandorts auf der Hand:

  • Die von Banken und Finanzmärkten ausgelöste Krise ist wirtschaftlich und sozial bei Weitem nicht überwunden, vor allem auf dem Arbeitsmarkt und bei den Staatsfinanzen.
  • Doch im Vergleich mit allen anderen EU-Ländern hält sich Österreich gut. Gerade die im internationalen Wettbewerb stehenden Sektoren reüssieren, während die schwache Binnennachfrage die Konjunktur bremst.

Doch wie ist es möglich, dass die miserable Unternehmerstimmung in solch krassem Gegensatz zu den harten Fakten steht? Das hat vor allem drei Ursachen. Erstens steckt dahinter politische Strategie. Sie besteht darin, durch eine einseitige Darstellung der Lage bei Lohnverhandlungen oder im Arbeitsrecht ein möglichst großes Stück des Kuchens für sich selbst herauszuholen. Blöd nur, dass bei einer einseitigen Betonung von Partikularinteressen der Kuchen insgesamt schrumpft und für alle weniger da ist.
Zweitens beobachten Unternehmensführer, wie weit der Sozialabbau in vielen EU-Ländern vorangekommen ist, ohne dass Ähnliches bislang in Österreich durchsetzbar war: etwa im Bereich der Pensionen, bei den kollektivvertraglichen Lohnverhandlungen oder im Angebot an öffentlichen Leistungen von der Gesundheit über die Bildung bis zum Verkehr. Würde Österreich gegenüber den neoliberalen Modellländern tatsächlich wirtschaftlich zurückfallen, dann wäre das Wasser auf die neoliberalen Mühlen.
Drittens prägen die an den Universitäten gelehrten Gesetze des Neoliberalismus das Denken der AkademikerInnen: In Forschung, Redaktionen und Unternehmensleitungen kann man sich schlicht nicht mehr vorstellen, dass ein gut ausgebauter Sozialstaat, ein System kollektiver Lohnverhandlungen, ein hoher Anteil des öffentlichen Sektors oder hohe Standards im Umweltschutz den Wirtschaftsstandort stabilisieren und stärken.

Theorie und Praxis
Das erinnert ein bisschen an jene Zeitgenossen, die nach den Gesetzen der Physik nachzuweisen versuchten, dass Hummeln gar nicht fliegen können: Die Flügel seien in Relation zum massigen Körper und der großen Lasten einfach viel zu klein. Die Hummeln kennen die Gesetze der Physik gar nicht, haben dafür elastische und gelenkige Flügel – und sie wissen, dass die zu tragenden Lasten Investitionen in die Zukunft des ganzen Volkes sind, und freuen sich am sicheren und schönen Flug.

Blogtipps:
Österreichs BIP pro Kopf in der EU-Spitzengruppe
tinyurl.com/jpu843q
Österreichs Wirtschaft investiert mehr als die deutsche
tinyurl.com/zjqawoz
Konjunktur – Was jetzt zu tun wäre
tinyurl.com/zs5jduc
Wo steht Österreich?
tinyurl.com/jkru8du

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Markus Marterbauer, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691828624 Hummeln können nicht fliegen? Das zumindest meinten Physiker, die befanden, die Last des Körpers sei zu groß für die kleinen Flügel. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691828604 Gescheiterte EU-Krisenpolitik Die europäische Wirtschaftspolitik war in den letzten Jahren zutiefst neoliberal geprägt. Egal ob Europäische Kommission, Europäischer Rat oder Europäische Zentralbank: Sie alle waren sich rasch darin einig, dass der Gürtel wieder enger geschnallt werden müsse. Ihre Argumentation: Wir können nicht länger über unsere Verhältnisse leben und müssen global wettbewerbsfähiger werden, um die Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden. Nur so könne das Vertrauen der Märkte zurückgewonnen, könnten die privaten Investitionen sowie der Export gesteigert und damit die Millionen arbeitslos gewordener Menschen wieder beschäftigt werden.

Imaginiertes Europa der Zwerge
Würde die europäische Wirtschaft in erster Linie aus winzigen Volkswirtschaften bestehen, die hochgradig vom Export von Waren und Dienstleistungen in aller Welt abhängen, könnte dieses wirtschaftspolitische Konzept sogar Sinn machen. Auch wäre das neoliberale Dogma der Alternativlosigkeit gültig, wonach hohe Steuern kaum durchsetzbar und Sparmaßnahmen nicht sonderlich schädlich wären. Wettbewerbs-orientierte Strukturreformen, die die Exportpreise senken, könnten das Produktionsniveau steigern. Zusammen wäre dies eine kleine Veränderung auf globaler Ebene, aber ein riesiger Schritt fürs imaginäre Europa der Zwerge, das mittels globaler Märkte wieder expandieren könnte.
Allein die neoliberalen Annahmen ignorieren die reale Situation. So ist die inländische Nachfrage in den meisten Mitgliedstaaten immer noch die relevantere Größe als der Exportsektor. Selbst in der relativ offenen österreichischen Volkswirtschaft entfallen auf Konsum und Investitionen im Inland knapp zwei Drittel der Gesamtnachfrage – auf den Export folglich „nur“ gut ein Drittel. Hinzu kommt, dass die exportierten Waren und Dienstleistungen nicht auf dem globalen Markt landen, sondern überwiegend in anderen Ländern der EU. So kommt es, dass auch in Zeiten der Globalisierung insgesamt sieben Achtel der in der EU produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen hier abgesetzt werden und nur ein Achtel in Drittstaaten exportiert wird.
Angesichts dieser Größenordnungen versteht es sich von selbst, dass eine Strategie des „Gürtel-enger-Schnallens plus Exporte“ in Europa kein erfolgreiches Rezept sein kann, um aus der Krise zu kommen. So waren auch nur Neoliberale überrascht, als die Wirtschaft der Eurozone – in der die europäische Wirtschaftspolitik sehr viel stärker greift als in der EU insgesamt – zwischen 2012 und 2013 neuerlich schrumpfte.
Hauptgrund dafür war die harte Sparpolitik, zu der ab 2011 (bis auf Deutschland) praktisch alle Länder gezwungen wurden – durch die europäischen Budgetregeln sowie den besonderen politischen Druck auf die sogenannten Krisenländer. Entgegen der Mehrheitsmeinung der Wirtschaftswissenschaft wollte die Europäische Kommission die Öffentlichkeit glauben machen, dass die Sparpakete die Wirtschaft fördern könnten. Der Nobelpreisträger Paul Krugman nannte dies das Märchen der Vertrauensfee, die gemäß Kommission auf wundersame Weise die Wirtschaftsakteure ermutigt, wieder zu investieren und zu konsumieren – obwohl ihnen weniger Geld zur Verfügung steht.

Im Reich der Träume
Es ist wenig überraschend, dass die Fee im Reich der neoliberalen Träume blieb. Statt Vertrauen in die Zukunft zu fassen und wieder mehr zu produzieren, fürchteten die Unternehmen die Konsequenzen höherer Massensteuern und Ausgabenkürzungen. Als Reaktion auf gefühlte und tatsächlich schlechtere Absatzmöglichkeiten schränkten sie Investitionen, Beschäftigung und Produktion weiter ein – insbesondere in Spanien, Portugal und Griechenland, wo die umfangreichsten Programme umgesetzt wurden.
Nur langsam kam es zu einem Umdenkprozess, eingeleitet ausgerechnet vom Internationalen Währungsfonds. Dieser steht nicht nur seit Jahrzehnten für die globale Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik, sondern hat im Rahmen der sogenannten Troika die Spardiktate in Griechenland und Portugal mit zu verantworten. Neue Berechnungen zeigen, dass die negativen Folgen der Sparpolitik viel stärker waren als ursprünglich angenommen. Nicht nur das: Sie verschärften die Krise sogar. Seitdem gibt es eine langsame Abkehr vom Dogma des rasch auszugleichenden Staatshaushaltes. Es dauerte drei Jahre, bis die Europäische Kommission erstmalig eine insgesamt leicht expansive Budgetpolitik in der Eurozone empfahl. Dass gänzlich vom Dogma des ausgeglichenen Staatshaushalts abgegangen wird, ist aufgrund der restriktiven Fiskalregeln, die sich die EU-Staaten gegeben haben, wenig wahrscheinlich. Das strikte Vorgehen gegen Portugal und Spanien mit relativ geringen Abweichungen zeigt, dass der budgetpolitische Lernprozess nicht geradlinig verläuft.
Je mehr klar wurde, dass harte Sparpolitik nicht aus der Krise führt, desto lauter wurde der neoliberale Ruf nach mehr Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen, um aus der Krise zu kommen. Im Kern geht es dabei um die Durchsetzung des Dogmas der freien Märkte: Es gibt ein Problem am Arbeitsmarkt? Dann braucht es eben eine weitgehende Deregulierung der Arbeitsbeziehungen, so die Argumentation.
Erstaunlich dabei ist, dass die Kommission in der Vergangenheit schon einmal pragmatischer war. Im Jahr 2002 definierte sie die Wettbewerbsfähigkeit noch als „die Fähigkeit der Wirtschaft, der Bevölkerung nachhaltig einen hohen und wachsenden Lebensstandard und eine hohe Beschäftigung zu sichern“. Von dieser Definition ist man inzwischen abgekommen. Heute sollen vor allem Exportunternehmen profitieren können, während „sich [die BürgerInnen] neuen Anforderungen, Trends und Herausforderungen anpassen“ sollen, wie es in einer Erklärung des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker heißt. Anders gesagt: Von der Bevölkerung werden Anpassungsleistungen an vermeintliche wirtschaftliche Sachzwänge verlangt. Die Relevanz der Nachfrageseite bzw. die Doppelrolle der Löhne – einerseits Produktionskosten, andererseits Einkommen, die für den Konsum verwendet werden – bleibt in dieser Logik ausgeblendet.

Alternative Wirtschaftspolitik gefragt
Folglich wird von einer verteilungs- und preisneutralen Lohnpolitik durch die Sozialpartner abgerückt. Stattdessen wird die Koppelung der Lohnkostenentwicklung an jene der wichtigsten Exportländer gefordert. Eine schlechte Lohnentwicklung in einem Land – wie vor der Krise insbesondere in Deutschland und nun in den Krisenstaaten – würde dann alle anderen nach unten ziehen. Dort wiederum würde sie zu zunehmender Kritik der Kommission an der lohnkostenseitigen Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ihren Handelspartnern führen, wie das in Frankreich bereits zu sehen ist.
Die Beispiele von Spanien und anderen Ländern zeigen, dass noch nicht einmal der Angebotseffekt funktioniert, da die geringeren Kosten kaum zu sinkenden Exportpreisen führen, sondern in erster Linie die Gewinne erhöhen – vom negativen Nachfrageeffekt ganz zu schweigen. Am Ende bringt ein verschärfter Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten eine insgesamt schlechte Nachfrage- und damit Wirtschaftsentwicklung, Verschlechterungen für die ArbeitnehmerInnen und eine Zunahme der globalen Ungleichgewichte durch destabilisierend hohe Leistungsbilanzüberschüsse. Obendrein sind zunehmende politische Spannungen wahrscheinlich, wenn aus KooperationspartnerInnen für „das Allgemeinwohl“ nun KonkurrentInnen um die „kostengünstigen“ Standards werden.
Die gescheiterte Krisenpolitik hat eine Alternative: Wohlstandsorientierung muss zum übergeordneten Ziel der Wirtschaftspolitik werden. Die Korrektur der Verteilungsschieflage, der Abbau der Arbeitslosigkeit, soziale und ökologische Investitionen und die Absicherung des Sozialstaates müssen in den Mittelpunkt der Politik rücken.
Die Stärkung der Binnennachfrage ist in erster Linie durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik sowie eine adäquate Finanzpolitik zu fördern. Zweite Säule muss eine beschäftigungsfreundlichere Fiskalpolitik sein, in deren Mittelpunkt die gesamteuropäische konjunkturelle Wirkung steht. Eine ausreichende Einnahmenbasis des Staates ist durch eine effektive Steuerkoordinierung sicherzustellen – insbesondere durch energischeres Vorgehen gegen Steuerbetrug, Steueroasen und aggressive Steuerplanung.

Linktipp:
AK-Stellungnahme zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion
tinyurl.com/j7ffybf

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.feigl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Georg Feigl, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691828598 Die harte Sparpolitik fördert die Wirtschaft? Nobelpreisträger Paul Krugman nannte dies das Märchen der Vertrauensfee. Diese sollte denn auch im Reich der neoliberalen Träume bleiben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691828573 Privatisierungen: Druck und Gegendruck Steigender Liberalisierungsdruck: Durch den Abschluss von Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA geraten öffentliche Dienstleistungen stärker unter Druck. Aber auch die EU selbst macht Druck in diese Richtung. Zuletzt versuchte die Kommission, über die Konzessionsrichtlinie die Marktöffnung bei der Wasserversorgung zu forcieren – und scheiterte am Widerstand der BürgerInnen. 1,9 Millionen Menschen aus 14 Mitgliedstaaten sprachen sich im Jahr 2013 in der europäischen BürgerInnen-Initiative „Right2Water“ gegen die Liberalisierung von Wasserdienstleistungen aus, darunter 63.000 ÖsterreicherInnen. Erfolg der Initiative: Zumindest bis 2020 ist die Wasserversorgung aus der Richtlinie ausgenommen.

Hohe Preise, schlechte Qualität: PrivatisierungsbefürworterInnen argumentieren häufig mit Preissenkungen und besserer Qualität. Erfahrungen aus Ländern mit privater Wasserversorgung widerlegen das jedoch. In London etwa führte das lecke Leitungsnetz zu Wasserverlusten von über 20 Prozent, zu schlechtem Wasserdruck und rostbraunem Trinkwasser. Wer die Wasserrechnung nicht bezahlen konnte, dem wurde der Wasseranschluss gesperrt. In Bordeaux stieg der Wasserpreis nach der Privatisierung in drei Jahren um 30 Prozent. Fehlende Investitionen in die Infrastruktur und die mangelhafte Wartung der Rohre verschmutzten das Trinkwasser und gefährdeten die Gesundheit der Bevölkerung. In Budapest verdoppelte sich der Wasserpreis innerhalb von fünfzehn Jahren.

Zunehmende Rekommunalisierung: Die negativen Erfahrungen mit privaten Wasserdienstleistern führen in immer mehr Gemeinden zum Umdenken. Vor allem soziale Bewegungen und politische Parteien sind der Motor der zunehmenden Rekommunalisierung, so zum Beispiel in Berlin (2013), Bordeaux (ab 2019), Grenoble (2000) oder Paris (2010). Mittlerweile haben in Frankreich mehr als 40 Kommunen die Wasserver- und Abwasserentsorgung wieder rückübertragen.

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Irene Steindl Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691828440 Neoliberalismus Als offizielle Geburtsstunde des Neoliberalismus gilt das „Colloque Walter Lippmann“: Bei diesem Seminar, das im Jahr 1938 in Paris stattfand, bezeichnete man die eigene Strömung als „neoliberal“.
Zu den Teilnehmern zählte unter anderem der Österreicher Friedrich August Hayek. Auf ihn geht die Gründung der Mont-Pèlerin-Gesellschaft zurück. Dieser Thinktank, auch „neoliberale Internationale“ genannt, übt bis heute großen Einfluss auf die wirtschaftspolitischen Debatten aus.

Die erste Generation Neoliberaler waren die Ordoliberalen. Sie sahen im Laissez-Faire-Charakter des Liberalismus eine der Ursachen für die Weltwirtschaftskrise. Zwar rücken auch sie den Markt ins Zentrum, dieser jedoch müsse reguliert werden, um faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Dem Staat gegenüber sind sie etwas weniger skeptisch als andere (Neo-)Liberale, da sie ihm durchaus eine Rolle bei der Herstellung von sozialer Sicherheit zugestehen. Ihre Grundideen sollten später in das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft einfließen.

Für Milton Friedman wiederum war die Geldmenge von Bedeutung. Deshalb wird diese Strömung Monetarismus genannt. Gemein ist allen neoliberalen Theoretikern, dass sie dem Staat eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik zuschreiben und damit auf Steuersenkungen als Krisenbewältigung setzen.

Zwar verweisen Neoliberale gerne auf die Vielfalt ihrer Theorien. In jenen Ländern, in denen neoliberale Reformen umgesetzt wurden, findet man allerdings immer die gleichen Grundzüge: Deregulierung, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Privatisierungen sowie Sozialabbau. Der Politologe Thomas Biebricher weist darauf hin, dass es immer bestimmte Pfade waren, die von bestimmten AkteurInnen vorangetrieben wurden. Zu diesen AkteurInnen zählen der Internationale Währungsfonds und die Weltbank. Ebenso interessant ist, dass die Umsetzung der neoliberalen Agenda gerade in Krisenländern als Krisenbewältigungsstrategie auferlegt wurde.

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Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691827837 Reportage: Wiens "Wasserfabrik" in den Alpen Weiße Quellwolken verdichten sich über dem kleinen Ort Kaiserbrunn zwischen Rax und Schneeberg. Regen ist in den Ostalpen so gewiss wie das Amen im Gebet. Alles, was sich hier über den Bergen ergießt, wird von diesen gefiltert, um später aus Wiens Wasserleitungen zu fließen. Denn hier, mitten in den niederösterreichischen Kalkalpen, liegt auf 522 Höhenmetern Wiens legendäre „Wasserfabrik“.
Selten werden WienerInnen außerhalb ihrer Stadtgrenzen so freundlich empfangen wie in Kaiserbrunn, wo die Stadt Wien im Zuge der Wasserversorgung zahlreiche Menschen beschäftigt. Auch Astrid Rompolt ist hier immer gerne gesehen. Als Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit von Wiener Wasser sorgt sie seit zwanzig Jahren dafür, die Qualität des Trinkwassers aus den Alpen im Bewusstsein der WienerInnen zu verankern. Ein- bis zweimal im Jahr fährt Rompolt die beiden Wasserleitungsmuseen entlang der Wiener Hochquellenleitungen ab und wird dabei nicht müde, JournalistInnen und PolitikerInnen Geschichte und Fakten über das weiße Wiener Gold zu erzählen. Dabei stößt sie auch außerhalb Österreichs auf interessierte Ohren. Ein japanisches Kamerateam hat Rompolt gerade in Beschlag genommen, um eine Reportage über das Wiener Wasser für das japanische Fernsehen zu drehen. „Für viele ist es schwer vorstellbar, dass dieses Gebirgswasser 90 Kilometer weiter nördlich ohne Zusatzstoffe 1,8 Millionen Einwohner in Wien versorgt“, so Rompolt.

143 Jahre Wiener Alpenwasser
Vor dem Wassermuseum in Kaiserbrunn lockt ein Trinkbrunnen die BesucherInnen zu einer Kostprobe des kühlen Gebirgsnasses. „Das Wasser hat aktuell sechs Grad Härte“, erklärt Eva Tauchner, die unter anderem das Kaiserbrunn-Museum betreut. „Die meisten mögen das. Mir ist es eine Spur zu weich.“ Mit sechs bis elf Grad Härte hat Wien eines der weichsten Wasser in Österreich. Oder anders gesagt: wenig Kalk, was wiederum Wasch- und Spülmaschinen guttut. An den Wochenenden erläutert Tauchner den Museumsgästen anhand der Schautafeln den Weg des Wassers durch die Alpen in die Stadt. Vor knapp 150 Jahren hat hier in Kaiserbrunn die Geschichte ihren Lauf genommen, als der Wiener Gemeinderat 1869 aufgrund der katastrophalen Trinkwassersituation in Wien den Bau der I. Hochquellenleitung in die Wege leitete. Schon davor ließ sich Kaiser Karl VI. auf Empfehlung eines Arztes den gesunden Gebirgstrunk auf einem Dreitagesritt nach Wien bringen.
Insgesamt 70 Quellen werden im Gebiet Schneeberg/Rax in Niederösterreich und im steirischen Hochschwabgebiet gefasst, kontrolliert und deren Wasser über zwei Hochquellenleitungen nach Wien transportiert, um die Stadt täglich mit bis zu einer halben Milliarde Liter Wasser zu versorgen. Mit dem Bau der II. Hochquellenleitung von 1900 bis1910 hat die Gemeinde dem rasanten Bevölkerungszuwachs in Wien Rechnung getragen. Das Besondere daran: Auf der gesamten Strecke bis nach Wien ist keine einzige Pumpe im Einsatz, das Wasser fließt nur durch natürliches Gefälle mit einem Höhenunterschied von 276 Metern.

Sanfter Tourismus und Bodenschutz
Das habe den Vorteil, dass die Wasserversorgung der Stadt auch bei einem Stromausfall gewährleistet ist, so Tauchner. Das kleine Museum ist eingebettet in ein riesiges Waldgebiet, umzäunt von den Spitzen der 2000er-Gebirgskette.  Den BesucherInnen scheint der beißende Wind nichts auszumachen, solange die Sonne scheint. Einige Wanderer haben ihre Autos vor der Gastwirtschaft mit der Aufschrift „Wiener Küche“ geparkt. Trotz der verlockenden Aussichten tummeln sich hier relativ wenige TouristInnen. Das hat einen Grund: Große Teile der Wassereinzugsgebiete sind im Eigentum der Stadt Wien, und um die Wasservorkommen zu schützen, können sie nicht uneingeschränkt betreten werden. Eineinhalbmal so groß wie die Bundeshauptstadt selbst ist die Fläche, auf der nur sanfter Tourismus und ressourcenschonende Forstwirtschaft erlaubt sind. Forststraßenbau, Bodenschutz, die Wahl und Nutzung der Bäume – alles obliegt strengen Regeln zugunsten der Trinkwasserqualität. „Je gesünder die Vegetation, umso besser das Wasser“, sagt Rompolt. Daher muss das Quellwasser nicht extra aufbereitet werden. Das Gestein, der Boden und die unterirdischen Klüfte wirken wie ein natürlicher Filter. Die Stadt greift dafür tief in ihre Taschen: 15 Millionen Euro fließen jedes Jahr allein in die Schonung der Flächen. Darunter fällt auch so manch skurrile Maßnahme. Vor einigen Jahren etwa hat ein Blitz zehn Kühe getötet. Sie wurden mit dem Hubschrauber ausgeflogen, damit sie den Boden nicht verseuchen. Doch so seltsam es klingen mag: „In Quellschutzgebiete zu investieren ist eine der nachhaltigsten und schlauesten Vorsorgen, um gute Trinkwasserqualität zu gewährleisten“, meint die AK-Wasserexpertin Iris Strutzmann. „Private Anbieter würden das wohl kaum investieren.“ Es ist nur einer der Gründe, weshalb sie gegen die Privatisierung der Wasserversorgung ist.

Europas größter Wasserbehälter
Szenenwechsel. Von Kaiserbrunn, wo das Wasser gefasst, kontrolliert und in Transportrohre geleitet wurde, geht es eine Dreiviertel-Autostunde weiter nach Neusiedl am Steinfeld, vorbei an dünn besiedelten Landschaften, Sonnenblumenfeldern und endlosen Baumalleen. Ausgerechnet hier, mitten im Nirgendwo, thront im Stillen der größte Trinkwasserspeicher Europas mit einem Fassungsvermögen von 600.000 Kubikmetern. „Bei seiner Eröffnung 1959 war er der größte weltweit“, erzählt Peter Polleres. Er ist einer von sechs Kollegen, die in Neusiedl den Verlauf des Wassers zwischen Ternitz und Wien überwachen und steuern. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Jegliches Wasser aus der I. Hochquellenleitung, das nach Wien will, muss hier vorbei. Auf den zehn Bildschirmen in der Steuerzentrale werden Wasserstand, Temperatur, Fließgeschwindigkeit und Trübungswerte sowie Zu- und Abfluss des Wassers in den vier Kammern gezeigt. Ist das Wasser zum Beispiel aufgrund von Starkregen zu sehr getrübt, leitet Polleres es rechtzeitig aus, bevor es Neusiedl erreicht. Seit 22 Jahren ist er bereits in Neusiedl beschäftigt, wartet Stollen und mäht den Rasen der 18 Hektar großen Wiesenfläche oberhalb des Behälters. Immer wieder kommen auch Leute hierher, so Polleres, um Wasser aus dem Trinkbrunnen in Kanistern abzufüllen. Es sei deutlich besser als das in Neusiedl oder aus dem Supermarkt. Warum dann auch in Wien viele Leute stilles Wasser in Flaschen kaufen? „Keine Ahnung“, meint der bärtige Mittfünfziger achselzuckend. Vielleicht wüssten viele WienerInnen nicht, wo ihr Trinkwasser herkommt. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dieses Wasser zu trinken: „Das ist halt wie mit dem Strom. Der kommt aus der Steckdose, das Wasser aus der Leitung.“

Zeugen einer vergangenen Epoche
Nach einer weiteren Qualitätskontrolle ist das Wasser in Neusiedl nun bereit für seine abenteuerliche Weiterreise. Das meiste fließt unterirdisch unter den Weinbergen der Thermenregion hindurch. Nur zum Queren der Täler wird es über Aquädukte geleitet. Insgesamt 30 monumentale Bauten ragen entlang der I. Hochquellenleitung wie Zeugen aus einer anderen Epoche aus der Landschaft. Einer dieser Bauten steht in Baden, 30 Kilometer südlich von Wien. Hier übernehmen Gerald Dorn und sein Team die Kontrolle über den Weg des Wassers durch das 840 Meter lange Aquädukt. Zwischen 2012 und 2015 wurde es erstmals seit seiner Eröffnung im Jahr 1873 generalsaniert. Sonne, Regen und Frost der letzten 140 Jahre haben Ziegeln und Naturstein schwer zugesetzt. Heute erstrahlt es in neuem Glanz. Kosten: zehn Millionen Euro. Auch die regelmäßigen Reinigungen und Instandhaltungen seien teuer.
Wenn viermal im Jahr die sogenannte Abkehr ansteht, wird die Wasserzufuhr für einige Tage abgeleitet. Dann heißt es Rohre waschen, Risse verfugen und Rohrnähte verschweißen. „Die Materialien, die dafür in Einsatz kommen, müssen vor allem trinkwassertauglich sein und schnell trocknen“, so der Betriebsleiter. Das sei zwar aufwendig, aber notwendig. Denn von den Materialien und den regelmäßigen Wartungen hänge massiv die Qualität des Trinkwassers ab.

Kurzsichtiges Sparen
Hier ließe sich leicht sparen – eine kurzsichtige Sparmaßnahme, wie Beispiele aus vielen Ländern mit privatwirtschaftlicher Wasserversorgung zeigen. In England und Frankreich etwa haben Einsparungen bei den Instandhaltungen zu Wasserverlusten von bis zu 20 Prozent geführt. Kompensiert wurden die Verluste, indem stark chloriertes Grundwasser eingespeist wurde. Die Folgen sind nachhaltig: schlechte Wasserqualität, beschädigte Rohre und langfristig höhere Preise für die KonsumentInnen. „Die Wasserverluste sind ein wichtiger Parameter für die Qualität der Rohrnetze“, so AK-Expertin Strutzmann. Mit elf Prozent Wasserverlusten gehört Wien zu den unteren Spitzenreiterinnen.

3.000 Kilometer durch die Stadt
Von Baden geht es weiter nördlich in den 13. Wiener Gemeindebezirk, genauer gesagt zu Wiens ältestem Wasserbehälter am Rosenhügel. Mit dem Auto ist man von Kaiserbrunn zwölfmal schneller hier als das Wasser, das nun eine 24-stündige Reise hinter sich hat. Am Rosenhügel, dem Ende der I. Hochquellenleitung, schlängelt sich das kühle Nass mäanderartig durch sechs Kammern und muss sich weiteren Qualitätskontrollen unterziehen, bevor es in über 3.000 Kilometer lange Leitungen durch den Bauch der Stadt fließen darf. Das entspricht etwa der Luftlinie von Wien nach Reykjavik.
Was aus den Wasserhähnen der WienerInnen strömt, ist zu fast 100 Prozent reines Quellwasser aus den Alpen. Nur bei extremen Wasserverbräuchen oder im Fall von Sanierungen wird Grundwasser beigefügt. Die gesamte Stadt wird nun mit dem frischen Gebirgswasser aus den niederösterreichisch-steirischen Kalkalpen versorgt. Wie kann es dann sein, dass das Wasser oberhalb der Donau anders schmeckt als in inneren Bezirken? „Das fragen viele“, lacht Walter Pichler, der als Mitarbeiter von Wiener Wasser alle 29 Wiener Wasserbehälter betreut. Das Wasser sei aber dasselbe, der unterschiedliche Geschmack komme nur daher, dass es ab und zu länger in der Leitung stehe. „Einfach das Wasser länger laufen lassen oder es ein paar Minuten in den Kühlschrank stellen. Dann hat es die ideale Temperatur von acht bis neun Grad und schmeckt, wie es schmecken soll.“
Obwohl die Stadt weiter wächst, sinkt seit drei Jahrzehnten der Wasserverbrauch kontinuierlich, erzählt Astrid Rompolt. Heute verbraucht ein Wiener oder eine Wienerin durchschnittlich 130 Liter Wasser am Tag, rund ein Viertel weniger als noch vor dreißig Jahren. Der Grund: moderne Haushaltsgeräte, sparsame WC- und Bewässerungsanlagen sowie penible Dichtungsarbeiten an den Rohrleitungen. Die größte Herausforderung für die Wasserversorgung Wiens sei aber nicht etwa eine sommerliche Hitzeperiode, sondern eine großmediale Sportübertragung wie die Fußball-Europameisterschaft 2016. In den Spielpausen, wenn die ZuseherInnen die Toiletten stürmen, hat sich der Wasserverbrauch in kurzer Zeit vervierfacht, wie in den Wasserbehältern und den Statistiken der MA 31 deutlich zu sehen ist.

Privatisierung ist ein Mythos
Wiens Wasserversorgung ist zu hundert Prozent in öffentlicher Hand. „Das soll auch so bleiben“, spricht Iris Strutzmann die klare Position der Arbeiterkammer aus. Denn nur so könne vorsorgend gewirtschaftet werden. Vor 150 Jahren, mit dem Bau der I. Hochquellenleitung, hat die Stadt bereits vorausgeplant, dass sie einmal 2,5 Millionen EinwohnerInnen haben werde, und eine entsprechende Wasserversorgung sichergestellt. Heute noch kauft die Gemeinde Grundstücke und Gebiete zum Schutz der Wasserressourcen auf. „In Quellschutz und öffentliche Netze zu investieren, bringt vielen Generationen etwas“, so Strutzmann. 65 Millionen Euro investiert Wien jährlich in die Instandhaltung der Anlagen und den Quellenschutz.
Um dessen einzigartige Qualität auch für künftige Generationen zu sichern, wurde das Wiener Trinkwasser im Jahr 2001 mit einer Verfassungsbestimmung geschützt. „Damit soll der Ausverkauf des ‚weißen Goldes‘ gestoppt werden“, heißt es dazu in der Wiener Wassercharta. Wirtschaftliche Maßnahmen sind demnach dem Allgemeinwohl unterzuordnen. „Vor einer europäischen Verordnung oder Richtlinie schützt diese Maßnahme freilich nicht“, mahnt AK-Expertin Strutzmann. „Aber die Charta ist ein wichtiges politisches Statement und bietet einen umfassenden Schutz durch die verfassungsrechtliche Verankerung im Wasserversorgungsgesetz.“ Eine Privatisierung des Wassers in Wien sei laut der AK-Expertin aber derzeit ohnedies unrealistisch.

Linktipp:
Argumentarium der Stadt Wien gegen die Liberalisierung des Wassersektors
tinyurl.com/gpfpf6d

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin Irene Steindl irene.steindl@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Steindl Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827818 In Kaiserbrunn, zwischen Rax und Schneeberg und mitten in den niederösterreichischen Kalkalpen, liegt auf 522 Höhenmetern Wiens legendäre "Wasserfabrik". http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827826 Am Rosenhügel schlängelt sich das kühle Nass durch sechs Kammern und muss sich weiteren Qualitätskontrollen unterziehen, bevor es in über 3.000 Kilometer lange Leitungen durch den Bauch der Stadt fließen darf. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827831 Der Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatz in Wien: Das hochschießende Wasser übt auf PassantInnen eine besondere Faszination aus. Die wenigsten wissen, dass dieses Wasser aus weit entfernten Quellen aus den Alpen kommt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691827753 Diskussion: Schnittmengen Arbeit&Wirtschaft: Würden Sie sich eigentlich selbst als neoliberal bezeichnen, Herr Schellhorn?

Franz Schellhorn: Das ist eine Frage der Definition. Wenn man es so definiert, dass die Neoliberalen die Antwort der 1930er-Jahre auf die ungezügelten Liberalen des 19. Jahrhunderts waren, dann würde ich mich nicht genieren, dazuzugehören. Die sind ja dafür eingetreten, dass man Finanzmärkte regulieren sollte, ihnen ein Regelwerk verpassen sollte. Was man aber heute mit neoliberal meint, ist eher ein Kampfbegriff.

A&W: Welche Bedingungen müssten noch erfüllt sein, damit Sie mit dieser Zuschreibung einverstanden sind?

Schellhorn: Dass man einen starken Staat akzeptiert. Der muss nicht groß sein, aber er muss stark sein.

A&W: Herr Marterbauer, teilen Sie diese Selbstzuschreibung?

Markus Marterbauer: Den Begriff neoliberal verbindet man am ehesten mit Friedrich August von Hayek, auf den sich die Agenda Austria ja auch beruft …

Schellhorn: Nein, tut sie nicht!

Marterbauer: Na ja, Christoph Kraus (Vereinsvorsitzender, Anm.) hat in einem Interview gesagt, Hayek sei ein Vorbild.

Schellhorn: Ja, das hat er aber vor der Gründung gesagt. Und bei uns ist der Vereinsvorstand nicht in die inhaltliche Ausrichtung involviert, sondern für die Kontrolle der geschäftlichen Gebarung zuständig.

Marterbauer: An sich ist Hayek einer der großen Ökonomen, der gerade, was die Bedeutung der Märkte betrifft, wirklich Wesentliches zur Erkenntnis beigetragen hat. Doch er war ein Bösewicht, weil Pinochet-Verteidiger und Anti-Demokrat.

Schellhorn: Ich finde halt, dass es etwas schwierig ist, in Österreich von Neoliberalismus zu reden – in einem Land, das 52 Prozent des BIP an Staatsausgaben und eine Steuern- und Abgabenquote von 44 Prozent hat. Ich glaube, dass man in Österreich mit „liberal“ seine Schwierigkeiten hat.

Marterbauer: Auch in der Wirtschaftspolitik? Wenn man es breit definiert, waren Keynes und Hayek beide liberal. Es sind unterschiedliche Ausprägungen von Liberalismus gewesen, halt sozialliberal versus neoliberal oder welches Präfix man immer vor das andere Liberal hängt. Wenn man nur von Wirtschaftspolitik spricht, haben Keynes und Hayek in Österreich eine große Bedeutung.

Schellhorn: Keynes ist sicher zu den liberalen Ökonomen zu zählen, auch nicht zu den schlechtesten. Was man in Österreich jetzt halt ganz gut sieht: dass seine Rezepte auch nicht unbedingt die Lösung bringen. Österreich hat in den letzten Jahren eine sehr keynesianische Krisenpolitik gefahren: Wir haben die Staatsausgaben nicht gekürzt, sondern ausgeweitet. Wir haben den Sozialstaat nicht zurückgefahren, sondern ihn mit der Mindestsicherung ausgebaut. Und jetzt stehen wir doch mit Nullwachstum und Rekordarbeitslosigkeit da. Das ist jetzt nicht die Schuld dieser Politik, die antizyklische Politik ist sicher richtig. Aber anders als von Keynes propagiert, sparen wir in guten Zeiten nicht.

Marterbauer: Der Keynesianismus hat bei uns in spezifischer Ausprägung, Austrokeynesianismus nämlich, zum Aufstieg des Landes beigetragen. Die austrokeynesianische Periode in den 1970er-, 1980er- und frühen 1990er-Jahren war die erfolgreichste Periode, die wir jemals hatten. Auch die Krisenbewältigung war nicht neoliberal, sondern eher eine gemäßigt keynesianische. Das war ein Grund dafür, warum wir relativ gut durch die Krise gekommen sind. Wir sind in einer Liga mit skandinavischen Ländern oder Deutschland. Auch von den Niveaus her sind wir einer der besten Wirtschaftsstandorte Europas. Mit diesem Stolz und diesem Selbstbewusstsein sollten wir an die Bewältigung der bestehenden Probleme gehen, die sicherlich vielfältig sind.

Schellhorn: Den Befund, wir sind abgesandelt, kann ich auch nicht teilen. Ich sehe nur, dass der Wirtschaftsstandort deutlich stärker unter Druck ist als in den letzten Jahren. Ich glaube, dass man den Abwärtstrend unterschätzt.

Marterbauer: Wichtig sind die Fakten, und gerade was den Standort betrifft, stehen wir mit der vierthöchsten Wirtschaftsleistung pro Kopf Europas gut da. Bei der Wettbewerbsfähigkeit geht es ja meistens um den Außenhandel, und die österreichische Exportquote hat sich enorm gut entwickelt: Beim EU-Beitritt hatten wir 35 Prozent Exportanteil am BIP und jetzt liegen wir bei 55 Prozent.
 Wir haben zwar extrem viele Herausforderungen, aber die sind viel leichter zu bewältigen, wenn man mit einem gewissen Selbstbewusstsein auftritt. Stimmungen, wie sie in Rankings zum Ausdruck kommen, können sehr leicht self-fulfilling werden: Wenn die Unternehmer glauben, der Standort ist schlecht, dann investieren sie nicht. Und wenn sie nicht investieren, entwickelt sich die Wirtschaft schlecht und der Standort wird wirklich schlecht.

Schellhorn: Ich glaube nur nicht, dass die Unternehmer deshalb nicht investieren, weil ihnen das Ranking sagt, dass die Stimmung schlecht ist, sondern dass sich umgekehrt die Stimmung in der Unternehmerschaft in Rankings niederschlägt. Einiges mag überzeichnet sein, aber wir waren 2007 auf dem Sprung in die Top 10 und sind dann zurückgereiht worden, weil man sich zu lange auf den Lorbeeren ausgeruht hat.

Marterbauer: Internationale Organisationen können seit Jahrzehnten nicht erklären, warum eine Wirtschaft wie die österreichische überhaupt so gut funktionieren kann. Sie unterschätzen völlig, wie wichtig der Sozialstaat für ein gutes Wirtschaftsklima ist, zum Beispiel durch funktionierende kollektive Lohnverhandlungen. Das WEF etwa hält dies für ein Problem, weshalb wir beim Thema Arbeitsmarkt in seinem Ranking unverhältnismäßig weit hinten liegen. Na, gerade das ist eine Stärke und für die Unternehmer ein enormes Asset! Denn weil sie sich darauf verlassen können, dass in vernünftiger Weise Löhne ausverhandelt werden, haben sie niedrige Transaktionskosten.

Schellhorn: Stimmt. Aber die Staatsgebarung wird sehr kritisch beurteilt, und das kann ich nachvollziehen: Wenn das Budget seit 1945 66-mal im Minus war und viermal im Plus, das letzte Mal 1962, dann würde Keynes den Finanzminister zur Rede stellen. Es soll in guten Zeiten eben nicht so sein, dass man sagt: Jetzt muss man alle am Erfolg beteiligen. Wir haben in Österreich völlig das Bewusstsein verloren, dass ausgeglichenes Haushalten nichts Negatives ist. In konjunkturell schlechten Zeiten zu sparen ist der schlechteste Zeitpunkt, aber offensichtlich der einzig mögliche.
 Auch gegen den Sozialstaat sagt niemand etwas. Sein Sinn sollte aber eigentlich sein, die ungleichen Startbedingungen auszugleichen. Mit der Zeit aber müssen mehr Leute das System tragen und nicht immer mehr Leute aus dem System entnehmen. Aber wir schaffen es nicht, eine größere Anzahl von Menschen zu ermächtigen, sondern gehen sehr stark auf die Daueralimentierung.

Marterbauer: Ich glaube auch, dass wir einen erheblichen Reformbedarf im öffentlichen Sektor haben. Ich würde ihn aber nur zum Teil in der Frage Defizit oder Überschuss sehen. Und so schlecht sind wir von der Staatsverschuldung her nicht: Wir waren bei Beginn der Krise bei 65 Prozent des BIP, das ist so wie Deutschland und der Euroraum.
 Den größten Reformbedarf sehe ich im Föderalismus. Es ist absurd, in einem so kleinen Land neun Bauordnungen zu haben, jetzt haben wir sogar wieder neun Militärmusikkapellen – eine große Errungenschaft!

Schellhorn: Ich stimme zu. Die Frage ist nur, wie man es löst.

Marterbauer: Ich sehe den Bund als wichtige Ebene, vor allem in der Stabilisierungs- und Verteilungspolitik, und die Städte und Gemeinden, weil sie ganz nahe am Bürger und an der Bürgerin sind. Diese Ebenen sollte man stärken.
Was aber den Sozialstaat betrifft, haben wir ganz unterschiedliche Einschätzungen. Ich glaube, dass er einer der größten Erfolge der Wirtschaftsgeschichte ist. Natürlich muss er dauernd an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Aber in den Sozialstaat zahlen alle ein und bekommen alle etwas heraus – und das ist seine große Stärke.  Der Sozialstaat ist zudem eine Ursache für den wirtschaftlichen Erfolg Österreichs, er ist die größte Errungenschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und er ist der Garant für die Freiheit der breiten Masse der Bevölkerung. Um den Sozialstaat muss man wirklich kämpfen. Ein solches Erfolgsrezept darf man auf keinen Fall aufgeben.

Schellhorn: Nur sind die Sozialausgaben mit 30 Prozent gemessen am BIP relativ hoch, und ich finde, dass man damit schon sehr viel bewältigen kann und vielleicht mehr machen könnte.

A&W: Neoliberalen wird nachgesagt, gegen öffentliche Investitionen zu sein. Wie sehen Sie das, Herr Schellhorn?

Schellhorn: Nicht jede öffentliche Investition ist schlecht, wie auch nicht alle öffentlichen Schulden schlecht sind. Es ist immer nur die Frage, wofür man das Geld ausgibt. Und wir sind halt sehr stark in Richtung Staatskonsum unterwegs.

Marterbauer: Was ist öffentlicher Konsum? Das sind die LehrerInnengehälter, Familienbeihilfen oder Pensionen. Ein guter Sozialstaat kommt auch in hohen öffentlichen Konsumausgaben zum Ausdruck. Bei den öffentlichen Investitionen muss man ganz genau schauen, welche effizient und sinnvoll sind. Aber in Österreich liegen sie bei drei Prozent des BIP und damit um einen Prozentpunkt höher als in Deutschland. Ein Drittel wiederum geht in Forschung und Entwicklung: Das ist unglaublich viel, und das halte ich für ganz gescheit.

Schellhorn: Ich bin nicht unbedingt ein Anhänger der These, dass das alles der Staat machen muss. 
Ich hätte ja gern, dass mehr Menschen in Österreich Wohnungseigentümer wären. Da wäre mir sogar mehr Verschuldung von privaten Haushalten lieber, als dass man zum Staat um eine billige Wohnung betteln gehen muss. Und wenn der österreichische Sozialstaat jedem eine Gemeindewohnung anbietet, der bis 3.170 Euro netto verdient, dann halte ich das einfach für pervers. Ich finde, diese sollten eher denen zur Verfügung stehen, die sie wirklich brauchen, und nicht jenen, die sich halt unter dem Argument der sozialen Durchmischung günstige Wohnungen krallen. 
In einem guten Sozialstaat könnte jeder, der eine Karriere im Einkommensbereich gemacht hat, gerne im Gemeindebau bleiben. Aber dann sollte er mehr Miete zahlen und mit diesen höheren Mieten baut man wieder neue Gemeindewohnungen oder investiert das Geld woanders. Dass 90 Prozent in Österreich theoretisch in den Genuss einer Gemeindewohnung kommen, halte ich eher für eigenartig. Da wäre es mir wie gesagt lieber, wir hätten mehr Eigentum. Das würde auch unsere Vermögensstatistiken wieder deutlich verbessern.

Marterbauer: Das Recht auf Wohnen ist ein elementares Recht im Sozialstaat. Ich bin deshalb der Meinung, dass die Wohnraumversorgung öffentlich organisiert werden muss. Bei uns läuft das ja viel stärker über den genossenschaftlichen Wohnbau als über Gemeindewohnungen. Das halte ich an sich für ein sehr gutes System. Es bedeutet im Wesentlichen, dass man einen öffentlichen Wohnungs-Stock organisiert, der nicht individuell vererbt wird, sondern an neue Generationen an Wohnungssuchenden weitergegeben werden kann. Außerdem hat es uns diese enormen Schwankungen bei den Immobilienpreisen erspart.

A&W: In der Krise fiel immer wieder das Stichwort „too big to fail“. Wie passt das mit kapitalistischen Ansprüchen zusammen?

Schellhorn: Gar nicht. Ich finde, dass das einer der größten Fehler war und auch eine der zentralen Lehren aus der Krise: Zwar sollte man Banken nicht in die Pleite gehen lassen, aber auch nicht die Aktionäre schützen. Denn wenn sie mit dem eigenen Vermögen untergehen, wenn etwas schiefläuft, dann ist das die wirksamste Form der Regulierung. 
Eine zweite Lehre ist, dass es keine gute Idee ist, dass man wie in Amerika Menschen – wenn auch aus einem guten politischen Motiv heraus – Wohnraum verschafft, die über keine Einkommen und über kein Vermögen verfügen.

Marterbauer: Für mich sind die Lehren aus der Krise: dass sie vom Finanzsektor ausgegangen ist. Und dass sie ein enormes Politikversagen zum Ausdruck gebracht hat, weil die Deregulierung des Finanzsektors ja in Europa und den USA seit den 1980er-Jahren Programm war. 
Ich glaube zwar, dass es leider notwendig war, die Banken im Jahr 2008 zu retten, denn wenn man die Banken in so einer schwierigen Situation in Konkurs gehen lässt, hat das Dominoeffekte und das ganze Wirtschaftssystem bricht zusammen – das ist eine Lehre aus den 1930er-Jahren. Aber die Rettung, ohne die Aktionäre heranzuziehen, war falsch. 
Die größte Lehre: Der Finanzsektor muss ein dienender Sektor für die Realwirtschaft sein. Die ganzen Spompanadeln, die wir auf den Finanzmärkten hatten, sodass das ganze zu einem großen Casino wurde: Das treibt die Realwirtschaft in den Ruin, und das gilt es zu verhindern. Der Finanzsektor muss systematisch verkleinert werden und auf die Rolle zurückgeführt werden, die wichtig ist, nämlich die Finanzierung von realwirtschaftlichen Aktivitäten.

Schellhorn: Aber im Moment haben wir eine Regulierungsasymmetrie, nämlich dass die am Markt etablierten Banken zu Tode reguliert werden – das wird übrigens auch die nächste Krise nicht verhindern – und dass wir einen sehr starken nicht regulierten Bereich haben, der jetzt auf den Markt drängt, auch mit der Digitalisierung. Im Finanzsektor ist viel schiefgelaufen, weil man nicht mehr gewusst hat, welche Produkte man überhaupt verkauft. Aber man kann die Politik nicht total aus dem Spiel lassen: Immerhin war es Clinton, der gesagt hat, jeder amerikanische Bürger habe Anspruch auf Wohnraum. Das war ein politischer Fehler, der dann von vielen Fehlern im Finanzbereich verstärkt wurde. Ich glaube nicht, dass man sich der Illusion hingeben soll, durch Regulierungen ließen sich weitere Krisen verhindern.

A&W: In einem Text der Agenda Austria heißt es: „Was wir von Griechenland lernen können.“ Was ist damit gemeint?

Schellhorn: Dass wir den Griechen Dinge vorschreiben, die wir selber nicht umgesetzt haben. Zum Beispiel haben die Griechen innerhalb kürzester Zeit eine Pensionsreform auf die Beine stellen müssen, man hat ihnen die komplette Sonntagsöffnung vorgeschrieben und so weiter.

Marterbauer: Ich glaube, dass man diesen Unfug weder selber machen noch den Griechen vorschreiben sollte. Das Ergebnis der Austeritätspolitik waren tiefe Wirtschaftseinbrüche und ab 2010 Massenarbeitslosigkeit.

Schellhorn: Bloß wenn in jedem einzelnen Jahr in Europa die Ausgaben deutlich stärker steigen als die Einnahmen, dann sehe ich die Austeritätspolitik nicht, sondern das ist das Gegenteil davon.

Marterbauer: Die Meinung würde ich nicht teilen, weil man nicht einfach Ausgaben und Einnahmen gegenüberstellen kann. Die Einnahmen hängen ja an der Wirtschaftsentwicklung, also am BIP. Und wenn man eine Unterauslastung der Kapazitäten hat, also eine schlechte Wirtschaftsentwicklung, bleiben die Einnahmen niedrig, die Ausgaben, die laufend anfallen, bleiben aber gleich hoch. Das heißt, ich habe immer höhere Defizite als Folge der Krise. 
In Europa wurde in den letzten Jahren eine völlig falsche Wirtschaftspolitik gemacht. Wenn man aufgrund der Finanzkrise eine derart starke Unterauslastung und einen derart starken Anstieg der Arbeitslosigkeit hat, dann bedeutet antizyklische Politik, dass man investieren muss. Jetzt wäre das richtige Rezept für die europäischen Staaten, gemeinsam in die Infrastruktur zu investieren. Dann sehen die Unternehmer, die Absatzerwartungen steigen wieder, und beginnen zu investieren, und so könnte man aus der Krise herauskommen. Leider ist Europa völlig auf dem anderen Dampfer. Hier bräuchten wir wirklich einen Kurswechsel. Das Ziel müsste sein, dass die privaten Investitionen wieder anziehen und so Beschäftigung und Einkommen entstehen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Interview: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827736 Wo gibt es beim Sozialstaat und bei den öffentlichen Finanzen Reformbedarf? Wie steht es um die Krisenbewältigung? Bei diesen Fragen wurde die Diskussion zwischen Markus Marterbauer und Franz Schellhorn lebendiger. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827744 Der Wirtschaftsstandort Österreich ist nicht abgesandelt, staatliche Investitionen können sinnvoll sein und der Sozialstaat soll Ungleichheiten ausgleichen: Darin konnten sich die beiden Diskutanten einigen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691827711 vida: Qualität auch für den Transport Seit März gelten verbindliche Bestbieterkriterien für öffentliche Auftraggeber im Baubereich. Diese müssen auch für Linienausschreibungen im Verkehrsbereich gelten, fordert Karl Delfs, Bundessekretär des Fachbereichs Straße in der Gewerkschaft vida. „Insbesondere im Busbereich stehen Betriebe mit sozialer Verantwortung, die auch älteres und gut ausgebildetes Personal zu fairen Konditionen beschäftigen, durch Lohn- und Sozialdumping der Billigstanbieter längst schwer unter Wettbewerbsdruck“, warnt Delfs.

„Wenn es Ziel der Politik ist, Menschen über 50 Jahre fair entlohnt länger in Beschäftigung zu halten, braucht es dafür entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen und Chancen“, so Delfs. „Das Billigstbieterprinzip führt sie aber derzeit in die Sackgasse der Altersarbeitslosigkeit.“ Der Verkehrsgewerkschafter appelliert an Regierung und Nationalrat, als ersten Schritt das Bestbieterprinzip bei der Ausschreibung von Busleistungen in der kommenden Novelle zum Bundesvergabegesetz zu verankern.
Betrachte man den Transportsektor, seien Lohn- und Sozialdumping vor allem im Bereich des Linienbusses bereits länger ein riesiges Problem für viele Ältere. Bei der Preisbildung im Busbereich liege der Personalkostenanteil bei 60 Prozent. „Viel Spielraum bei der Angebotsgestaltung bleibt da im beinharten Wettbewerb auf der Straße nicht übrig. Preiskämpfe werden hauptsächlich auf dem Rücken des Personals ausgetragen“, kritisiert Delfs.

Aber auch in anderen Dienstleistungsbranchen wie etwa in der Bewachung oder Reinigung (ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der vida) „beginnt der Hut zu brennen. Es wäre deshalb am gerechtesten, wenn zukünftig bei der Vergabe sämtlicher öffentlicher Aufträge das Best- statt des Billigstbieterprinzips zum Tragen kommen würde.“ Seit März 2016 müssen öffentliche Stellen Bauaufträge nach Bestbieterprinzip ausschreiben. Nun gilt es, die ausschreibenden Stellen vergabefit zu machen und Rechtssicherheit zu geben. 
Deshalb wurde von der Sozialpartner-Initiative „FAIRE VERGABEN sichern Arbeitsplätze!“ ein Bestbieter-Kriterienkatalog präsentiert. Dieser beinhaltet neben 13 qualitativen Zuschlagskriterien – acht wirtschaftliche, drei soziale sowie zwei ökologische – auch unterschiedliche Berechnungsmodelle, Erläuterungen und Ausschreibungstextbausteine.
Mit der Novelle wurde ein wichtiger Schritt gegen Lohn- und Sozialdumping am heimischen Arbeitsmarkt gesetzt.

Infos unter:
www.faire-vergaben.at

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Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470691827689 "Nicht zuletzt" ... Neue Aufklärung für Fortschritt Die Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts hatte den Anspruch, mit rationalem Denken jene überkommenen Strukturen – wie etwa den mittelalterlichen Aberglauben – zu überwinden, die den Fortschritt behindern.

Fakten außer Streit stellen
Naturgemäß spielen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik unterschiedliche Interessen und Ideologien auch heute eine zentrale Rolle. In der konkreten Politik Österreichs wurden sie in den letzten Jahrzehnten von zwei Prinzipien eingehegt, die auf aufklärerischen Ideen fußen. Erstens: Die wesentlichen Fakten wurden gemeinsam außer Streit gestellt. Besteht Einigkeit über Preissteigerungsraten, Produktivitätsentwicklung und Konjunkturaussichten, also die Hard Facts, dann ist es leichter, Interessenunterschiede auszudiskutieren. Zweitens: Die Verfechtung unterschiedlicher Interessen ist wichtig, ebenso wichtig ist es, die Möglichkeiten für einen Konsens zwischen den Interessengruppen auszuloten. Das sind die Grundprinzipien der Sozialpartnerschaft, und bei allen bestehenden Versäumnissen darf nicht übersehen werden, dass sie wesentlich zum enormen Erfolg dieses Landes beigetragen haben.
Österreich ist vom Armenhaus an die Spitze Europas aufgestiegen: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist heute die vierthöchste der EU, wir verfügen über eine exportstarke Industrie und eine gute Infrastruktur, Investitions- und Forschungsquoten liegen weit über dem EU-Durchschnitt, unser Sozialstaat gehört zu den besten der Welt. Auf Basis von Vernunft und harten Fakten ist es leichter, die bestehenden Probleme und Herausforderungen zu bewältigen, als auf jener von Vorurteilen und Aberglauben. Das sei gerade in Zeiten in Erinnerung gerufen, in denen das kontinuierliche Schlechtreden des Standorts, die Verunglimpfung des Erreichten, das Prinzip „Only bad news are good news“ mediale Berichterstattung und politische Auseinandersetzung bestimmen.

Kurswechsel in der EU
Als wichtigste Herausforderung erscheint mir die hohe Arbeitslosigkeit. Sie gefährdet die Stabilität von Gesellschaft, Wirtschaft und Sozialstaat und ist gefährlicher Sprengstoff für das europäische Projekt. Über ihre Ursachen besteht weitgehender Konsens, sie liegen in einer Kombination aus anhaltender Wirtschaftskrise in der EU und hoher Zuwanderung nach Österreich. Auch die Ansatzpunkte für erfolgreiche Beschäftigungspolitik liegen auf der Hand: ein Kurswechsel in der EU hin zu einer investitionsorientierten Wirtschaftspolitik und zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung der Herkunftsländer der Migration sowie aktive Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik in Österreich. Um die Umsetzung dieser Maßnahmen gilt es politisch zu ringen.

Erbe der ersten Aufklärung
Eine grundlegende Herausforderung sehe ich in der Bewahrung der Demokratie. Wir sehen erstens ausgehend von den USA und zunehmend auch in Europa den wachsenden Einfluss reicher Erben und Oligarchen auf Wirtschaft, Medien und Politik; zweitens gibt es zum Teil berechtigte Abstiegsängste bis tief in die Mittelschicht hinein; drittens erleben wir den markanten Verlust des Vertrauens in die Lösungsfähigkeit demokratischer Systeme, der etwa in niedrigen Wahlbeteiligungen von sozial deklassierten Menschen zum Ausdruck kommt. Doch aus der Geschichte wissen wir, wie demokratische Einbindung und Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an der Regelung des Gemeinwesens bessere Ergebnisse für alle mit sich bringen. Das ist ein Erbe der ersten Aufklärung des 18. Jahrhunderts und sollte ein Kernstück einer neuen Aufklärung bilden.

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Werner Muhm, ehemaliger Direktor der Arbeiterkammer Wien Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827683 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470276028694 AK: Gasnetz nicht verschleudern! Die staatliche Beteiligungsgesellschaft ÖBIB solle ein Angebot für die zum Verkauf stehenden 49 Prozent der Gas Connect legen, fordert die Arbeiterkammer. Die Gas Connect ist ein Tochterunternehmen der OMV und betreibt ein rund 900 Kilometer langes Erdgashochdruckleitungsnetz in Österreich. „Es darf nicht sein, dass Österreich die Kontrolle über ein zentrales Stück Versorgungsinfrastruktur aufgibt und sich damit gleichzeitig ein gutes Geschäft entgehen lässt! Das wäre unverantwortlich und pure ökonomische Unvernunft“, kritisiert AK-Direktor Christoph Klein.

Ein gutes Geschäft für Private rechnet sich auch für die Republik. Ein Einstieg der ÖBIB wäre mehr als vorteilhaft, handelt es sich bei Gas Connect doch um Infrastruktur, die stetige Erträge aufweist. „Was für mitbietende Versicherungsgesellschaften eine verlässliche Investition darstellt, rentiert sich auch für die ÖBIB“, so Klein. Fakt ist nämlich, dass sich die Republik deutlich günstiger refinanzieren kann als etwa private Versicherungsfonds. Der Zinssatz für österreichische Staatsanleihen betrug in den letzten Monaten stets unter ein Prozent. Die Rendite eines Gas-Connect-Engagements liegt jedoch deutlich darüber. „Wer sorgfältig mit dem Staatshaushalt umgehen will, muss daher auch den Einstieg bei der Gas Connect ernsthaft prüfen“, meint Klein.
Vor allem geht es aber darum, dass die Republik ihren Einfluss auf die Versorgung der Menschen in Österreich mit lebenswichtigen Gütern wahrt. Zentrale Infrastruktur darf nicht gedankenlos an Finanzinvestoren verscherbelt werden. Die Regierung muss sicherstellen, dass die Versorgungssicherheit des Standorts nicht vom Gutdünken ausländischer Unternehmen abhängt. Das Beispiel Telekom hat gezeigt, wie schnell Einflussmöglichkeiten verloren gehen, wenn die wirtschaftspolitische Verantwortung nicht früh genug wahrgenommen wird.

Die Gas Connect Austria ist für Energieunternehmen, KonsumentInnen und Industrie gleichermaßen zentral: Fast eine Million Haushalte heizt in Österreich mit Gas und ist somit von den Transportleitungen der Gas Connect abhängig. Indirekt sind es durch die Fernwärme noch einmal so viele. Die Industriezentren in der Ostregion und in Oberösterreich – insbesondere der Leitbetrieb voest – sind von den Transportkapazitäten der Gas Connect abhängig. Denn das gesamte Gas, das von Osten nach Westen durch Österreich fließt, wird über diese Leitungen transportiert.

Infos unter:
blog.arbeit-wirtschaft.at/gasconnect

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Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470276028689 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Diesmal legen wir Ihnen diese Beiträge besonders ans Herz:

  • Pathologischer Homo oeconomicus (Stephan Schulmeister)
  • Neun Wahrheiten zu Flucht und Asyl (Lucia Bauer)
  • EU-Spitzenwert beim BIP pro Kopf (Markus Marterbauer)

Pathologischer homo oeconomicus
Stephan Schulmeister beleuchtet in seinem Beitrag den sogenannten Homo oeconomicus. Das ist der idealtypische Wirtschaftstreibende in den Modellen der meisten ÖkonomInnen, der sich stets rational verhält, umfassend informiert ist und damit seinen individuellen Nutzen maximieren kann – egal ob eine profitmaximierende Unternehmerin oder ein Konsument. Obwohl dieses Gedankenkonstrukt mit der Realität wenig gemein hat, bildet es doch eine der wesentlichsten Grundlagen der neoklassischen Ökonomie und ihres Glaubens, dass Märkte und damit die Wirtschaft insgesamt stets gut funktionieren – wenn sie der Staat nur in Ruhe lässt. Das geht sogar so weit, dass Mainstream-ÖkonomInnen alternativen wirtschaftspolitischen Vorschlägen grundsätzlich ihre Glaubwürdigkeit absprechen, eben weil sie nicht vom Homo oeconomicus ausgehen und damit nicht logisch wären. Stephan Schulmeister folgert daraus, dass das von der „neoliberalen Gegen-Aufklärung“ geschaffene neue „höhere Wesen“ entthront werden muss, indem die negativen Folgen in der Praxis aufgezeigt werden.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ztq39q4

Neun Wahrheiten zu Flucht und Asyl
Lucia Bauer von der GPA-djp zeigt, dass sich in der öffentlichen Debatte über Flüchtlinge eine Vielzahl von Behauptungen hartnäckig hält, obwohl sich diese anhand von – großteils sogar online verfügbaren – Fakten leicht widerlegen lassen:
Während hierzulande darüber diskutiert wird, dass „wir ja nicht alle nehmen können“, beheimatet allein der Libanon (ärmer und kleiner als Österreich) mehr syrische Flüchtlinge als die gesamte EU.
Während in Österreich von 2014 bis 2016 allein rund 7,8 Milliarden Euro für weitere Kapitaltransfers an Banken da sind, wird ernsthaft darüber diskutiert, ob wir uns die 1,8 Milliarden Euro Aufnahmekosten für schutzsuchende Menschen leisten können.
Obwohl 2015 der Großteil der Flüchtenden aus den von Krieg und Verfolgung zerrütteten Staaten Syrien, Afghanistan und Irak kommt, glauben immer noch viel zu viele, dass nur „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu uns kommen.
Die gelernte Politologin erklärt zudem, warum AsylwerberInnen niemandem einen Arbeitsplatz wegnehmen können, die Grundversorgung alles andere als üppig ist, sie nicht für die – sowieso insgesamt sinkende – Kriminalität verantwortlich gemacht werden können und ihr Smartphone kein Zeichen von ohnehin ausreichenden eigenen Mitteln ist.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/hcm7h9v

EU-Spitzenwert beim BIP pro Kopf
Markus Marterbauer zeigt anhand der Anfang Juni erschienenen Daten über das Wirtschaftswachstum 2015, dass die heimische Ökonomie nicht abgesandelt ist, sondern vielmehr weiterhin international zur Spitzengruppe zählt. Mit (preisbereinigten) 36.400 Euro, die pro EinwohnerIn erwirtschaftet wurden, liegt Österreich – noch vor dem vielgepriesenen Deutschland – auf Platz vier in der EU, nur hinter Luxemburg, Irland und den Niederlanden. Während die ersten beiden durch unsolidarische Steuerkonstruktionen weder vergleichbar noch nachahmenswert sind, ist bei den Niederlanden der Trend zu beachten: Seit 2008 ging die Pro-Kopf-Produktion stetig zurück. Will man den Vorsprung zu Deutschland halten, ist nicht ein Abbau des Wohlstandes der ArbeitnehmerInnen anzuraten (wie es von der Wirtschaftsseite gefordert wird), sondern vielmehr eine ähnlich kräftig wachsende inländische Nachfrage. Mit der Steuerreform und der Wohnbauinitiative dürfte das 2016 gelingen.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/jpu843q

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Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470276028683 Zahlen, Daten, Fakten Einen Überblick über die A&W-Informationslandschaft und eine Darstellung der neoliberalen Thinktanks gibt es diesmal bei Zahlen, Daten, Fakten - zusammengestellt von Sonja Fercher.

Alle Details dazu entnehmen Sie bitte den Downloads.

 

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ÖGB; AK/ÖGB-Darstellung http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470276028659 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470276028652 Keine selbstkorrigierenden Kräfte
Eduard März von der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien veröffentlichte 1959 eine Aufsatzsammlung zu den damals aktuellen Positionen der Wirtschaftswissenschaften und deren politischer Konsequenz – die Artikel waren zuerst zwischen 1956 und 1958 in der Arbeit&Wirtschaft erschienen. März arbeitete dabei auch heraus, welchen Bruch die Analysen von John Maynard Keynes mit den traditionellen Positionen der wissenschaftlichen „Orthodoxie“ bedeuteten, und zeigte die negativen Konsequenzen des Glaubens an die Selbstregulierungskräfte des Marktes auf, wie sie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre deutlich sichtbar geworden waren.

Zu Beginn der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre standen noch die meisten zünftigen Nationalökonomen – insbesondere in der anglosächsischen Welt – unter dem Eindruck einer … „passiven“ wirtschaftspolitischen Philosophie. … Einer solchen Auffassung entsprach auch die Haltung der meisten konservativen Regierungen …, die jede aktive Maßnahme zur Behebung der Arbeitslosigkeit ablehnten, mit der Begründung, dass dies die regenerativen Kräfte unterbinden müsste. Aber als die Krise unvermindert fortdauerte, begann man sich … mit (den) großen Fragenkomplexen zu beschäftigen, für die die Ereignisse damals so großes Anschauungsmaterial lieferten. … Die keynessche Analyse der kapitalistischen Wirtschaftsordnung führte … zu dem Schluss, dass das bestehende System keine wirklich wirksamen selbstkorrigierenden Kräfte besitze, von denen die gleichsam automatische Erhaltung des Gleichgewichtszustandes auf einem Niveau der Vollbeschäftigung erwartet werden dürfe. …

Keynes hat … dem Fatalismus, mit dem die westliche Welt dem Wüten der Wirtschaftskrisen zu begegnen pflegte, einen tödlichen Schlag versetzt. Nach dem Erscheinen der „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung“ 1936 war die bis dahin geltende Auffassung von der wirtschaftspolitischen Abstinenz des Staates nicht mehr hoffähig. … (Dabei ist der) Grundsatz ausgesprochen, dass der Schwerpunkt der staatlichen Beschäftigungspolitik nicht auf dem Gebiet der öffentlichen Kredit- und Geldpolitik zu suchen sei, sondern in das Gebiet einer zielbewussten Budget- und Steuerpolitik verlegt werden müsse.

Eduard März schrieb seine Aufsätze, als das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit sich gerade erst zu regen begann und der Sozialstaat in Mode war. Die neoliberale Entwicklung ab den 1980er-Jahren mit ihrem Ziel, den Staat den Marktinteressen unterzuordnen, konnte er nicht voraussehen. Aber er erkannte schon ohne jeden Zweifel, dass die Reichen und Mächtigen den Eingriff des Staates in den Markt nur zähneknirschend dulden würden, und er forderte Wachsamkeit.

Die Bourgeoisie findet sich mit dem Keynesianismus in einer Stimmung der Resignation ab. … (H)üten wir uns davor, die gewaltige Kraft der amerikanischen, englischen und deutschen Kapitalistenklasse zu unterschätzen, die keineswegs gesonnen ist, ihre sozialen Privilegien auf dem Altar der reinen Demokratie kampflos hinzugeben.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470276028646 Eduard März musste 1938 vor dem NS-Terror fliehen. Er studierte in den USA, wo er auch für die Propaganda gegen Hitler-Deutschland arbeitete. 1953 kehrte er nach Wien zurück und leitete 1957 bis 1973 die wirtschaftswissenschaftliche Abteilung der AK Wien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470276028639 Standpunkt: Mehr Realität statt Mystik Der Markt sei dem Staat überlegen, entsprechend komme dem Staat nur die Aufgabe zu, alle Beschränkungen beim Zugang zum Markt zu beseitigen sowie wirtschaftliche Freiheiten und Privateigentum zu schützen. So weit die (neo-)liberale Theorie, in der noch dazu eine unsichtbare Hand und Selbstheilungskräfte den Markt zu einer Art Wunderwuzzi machen. Doch wirft man einen Blick auf die Realität neoliberaler Politik, so zeigt sich, dass es mit all diesen hehren Vorstellungen nicht weit her. Und doch scheint sich der Glaube an die Weisheit des Marktes bis heute zu halten. Nicht anders jedenfalls ist es zu verstehen, warum die europäische Krisenbewältigungspolitik weiterhin auf neoliberale Rezepte setzt.

Zu viele Ausflüchte
Dazu kommt ein anderes Phänomen: Weil man dem Staat misstraute, wollten ihm viele neoliberale Theoretiker Ketten anlegen. Der deutsche Politologe Thomas Biebricher vergleicht dies mit dem Mythos von Odysseus, der sich an einen Mast anbinden ließ, um dem Gesang der Sirenen nicht zu erliegen.
Der Vergleich zu Schuldenbremsen und allerlei anderen wirtschaftspolitischen Beschlüssen auf europäischer Ebene ist frappierend. Mindestens so frappierend ist, dass Neoliberale zwar jeglichen Fehler des Staates als weiteren Beleg dafür werten, dass dieser unbedingt seine Finger von der Wirtschaft lassen solle. Für das Marktversagen hingegen finden sie jede Menge Ausflüchte, während der Glaube an die angebliche Weisheit des Marktes ungebrochen bleibt.
Dabei hat eindeutig nicht der Staat die Krise ausgelöst, sondern vielmehr die Finanzmärkte. Diese sind völlig aus dem Ruder geraten, nachdem sie von Neoliberalen zuvor fleißig liberalisiert worden sind. Schlimmer noch, auf einmal erfüllte der Staat doch wieder eine Funktion: jene nämlich, die Verluste der zügellosen Privaten aufzufangen. In Wahrheit ist es noch perfider: Indem man etwa private Pensionsvorsorge förderte, waren von der Krise nicht nur die SpekulantInnen bedroht, sondern mussten auch einfache ArbeitnehmerInnen um ihre Lebensgrundlage im Alter bangen.
Deregulierung, Flexibilisierung, Privatisierung sowie die weitere Stärkung des Kapitals durch die Beschneidung von ArbeitnehmerInnenrechten: Wir haben erst vergangenen Sommer ausführlich über die negativen Konsequenzen dieser Maßnahmen in den europäischen Krisenländern geschrieben. Zwar gibt es in Europa inzwischen schüchterne Bemühungen in andere Richtungen. Der dringend nötige Kurswechsel aber lässt weiter auf sich warten. Stattdessen erleben allerlei neoliberale Mythen Hochkonjunktur. Die Realität aber ist: Die neoliberale Krisenpolitik ist gescheitert, der österreichische Wirtschaftsstandort und Sozialstaat sind gut aufgestellt und auch Maßnahmen im Interesse der ArbeitnehmerInnen wie Mindestlöhne haben positive Effekte. Wir stellen in diesem Heft die Fakten den Mythen entgegen.
Heute stellt der IWF das Mantra infrage, neoliberale Reformen würden mehr Wachstum bringen. Was sie stattdessen brachten, sind massive Ungleichheiten, die wiederum das Wachstum bremsen, wie der IWF festhält. Nicht nur das: Sie sind vor allem schlecht für die Menschen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes, wie der neuerliche Aufschwung des Rechtspopulismus deutlich zeigt.

Es müssen endlich Taten folgen
„Die Zeit“ verwies kürzlich auf die Erklärung der G20, die forderte, dass die Vorteile des Wirtschaftswachstums „breiter verteilt werden“ müssten. Die deutsche Wochenzeitung führte diesen Kurswechsel auf die Angst vor dem Erstarken von RechtspopulistInnen zurück. Bleibt zu hoffen, dass man sich intensiver mit diesen Erkenntnissen beschäftigt. Vor allem aber müssen ihnen endlich Taten folgen.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 12 Aug 2016 00:00:00 +0200 1470276028633 Coverstory: Geplatzte Blase Wer wird schon gern in einem Atemzug mit raffgierigen und rücksichtslosen SpekulantInnen genannt, die ein geradezu frivoles Leben führen, während andere Menschen ihre Arbeit und damit ihre Lebensgrundlage verlieren? Umso verständlicher ist es, dass man schon nicht in die Nähe von Theoretikern gebracht werden möchte, die aus heutiger Sicht eine Wirtschaft anstrebten, die zu solchen Auswüchsen führt. Von daher ist es also wenig verwunderlich, dass Neoliberale in Abwehrhaltung gehen, wenn man sie als solche bezeichnet. Neoliberalismus sei ein Kampfbegriff, mit dem man heutzutage alles bezeichne, was falsch laufe, meint etwa Franz Schellhorn von der Agenda Austria (siehe auch „Schnittmengen“).

Mehr Ungleichheit
In der Tat werden neoliberale Ideen immer mehr infrage gestellt. Selbst der IWF urteilt inzwischen: Neoliberalismus führe nicht zu mehr Wachstum, sondern zu mehr Ungleichheit. Mit einer völlig freien Wirtschaft, der Forderung nach gnadenlosen Privatisierungen und einer Entmachtung des Staates möchte denn auch der frühere Wirtschaftschef der „Presse“ lieber nicht in Verbindung gebracht werden. Er sei vielmehr für einen starken Staat. Auch zu Friedrich August Hayek, der gemeinhin als einer der wichtigsten Theoretiker des Neoliberalismus gilt, hält Schellhorn lieber Distanz. Doch was ist dann neoliberal an der Agenda Austria? Er würde sich schon als neoliberal bezeichnen, meint Schellhorn – aber nur dann, wenn damit auch der Glaube an einen starken Staat gemeint sei. Damit beruft er sich auf die sogenannten Ordoliberalen, sozusagen die erste Generation Neoliberaler. Spannend ist diese Aussage deshalb, weil sie auf die Vielfalt der neoliberalen Denker verweist. Zugleich wird eben diese Vielfalt gern angerufen, um negative Konsequenzen neoliberaler Politik als Auswüchse zu relativieren.
Die Tatsache, dass noch dazu bezweifelt wird, dass es Neoliberalismus in der Praxis überhaupt gebe, veranlasst den deutschen Politikwissenschafter Thomas Biebricher dazu, den Gangster Keyser Soze aus dem Film „Die üblichen Verdächtigen“ zu zitieren. Dieser sagt in Abwandlung eines Baudelaire-Zitats: „Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war, die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht.“

Was also hat es mit diesem Neoliberalismus auf sich, der fast wie eine heiße Kartoffel behandelt wird? Dafür lohnt ein Blick in die Geschichte. Neoliberale entstanden in Abgrenzung zu den Liberalen. Diese haben bei der Zurückdrängung der Monarchie eine wichtige Rolle gespielt. Zölle und Zünfte schränkten die wirtschaftliche Tätigkeit des Bürgertums ein, die staatliche Einmischung in die Wirtschaft war ihnen ein Dorn im Auge. Die Liberalen rückten den Markt in den Mittelpunkt. Einer der wichtigsten liberalen Denker ist Adam Smith. Auf ihn geht der Begriff der „unsichtbaren Hand des Marktes“ zurück. Diese sorge dafür, dass alles wirtschaftliche Handeln das Gemeinwohl fördert.
Dem Staat gestehen (Neo-)Liberale lediglich die Aufgabe zu, für die besten Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln zu sorgen. Ein anderes wichtiges Element für Liberale ist der Außenhandel: Die Länder sollten sich im Sinne einer internationalen Arbeitsteilung auf jene Produkte konzentrieren, die sie günstiger herstellen können als andere. 
So weit die Vorläufer. Von Bedeutung für die Entstehung des Neoliberalismus war die Weltwirtschaftskrise Anfang des 20. Jahrhunderts. Neoliberale sahen in den Auswüchsen des Liberalismus die Ursache für die Weltwirtschaftskrise. Ihr Ziel: den Liberalismus zu revitalisieren. 

Feigenblatt Ordoliberalismus
Die erste neoliberale Strömung waren die Ordoliberalen, die in Freiburg zu Hause waren. Sie waren davon überzeugt, dass auch die Wirtschaft eine gewisse Regulierung braucht, um möglichst faire Wettbewerbsbedingungen zu erreichen. Ein starker Staat, der aber nicht unbedingt groß sein muss: So definiert es auch Franz Schellhorn von der Agenda Austria. Im Übrigen waren Ordoliberale sozialpolitischen Aktivitäten gegenüber nicht an sich negativ eingestellt. So könne der Staat für eine soziale Grundsicherung und für einen gleichen Zugang zu Bildung sorgen oder Erbschaftssteuern einheben, um allen möglichst gleiche Startbedingungen zu ermöglichen.
Auf den österreichischen Wirtschaftswissenschafter Friedrich August Hayek wiederum geht die Vorstellung vom Markt als spontaner Ordnung zurück: „Mit dieser Grundidee des Marktes als einer spontanen Ordnung, die Wissen verarbeitet bzw. generiert und Handlungen dahingehend koordiniert, dass auf möglichst effiziente Art und Weise die Güter und Dienstleistungen produziert werden, für die eine Nachfrage besteht, ist schon viel impliziert“, fasst Biebricher zusammen. Nicht nur unsichtbares Händchen, sondern auch allwissender Markt sozusagen.

Angebot, Nachfrage oder Geldmenge?
Für den US-Ökonomen Milton Friedman wiederum war die verfehlte Geldpolitik der US-Notenbank für die Wirtschaftskrise von 1929 verantwortlich. Seine Forderung: Die Geldmenge müsse an das zu erwartende Wirtschaftswachstum gekoppelt sein und entsprechend konstant ausgewertet werden. Zudem sprach er sich für eine Ausweitung von Marktmechanismen auf andere Bereiche aus.
So weit, so theoretisch. So vielfältig die neoliberalen Theorien auch sein mögen, so sehr ähneln sich doch viele ihrer Grundgedanken. Vor allem aber zeigt der Blick auf jene Länder, in denen neoliberale Reformen umgesetzt wurden, wie groß die Überschneidungen sind.
Als „Wiege des Neoliberalismus als realpolitisches Projekt“ gilt Chile. Milton Friedman fungierte sogar selbst als Berater von Augusto Pinochet. Auch Hayek unterstützte diese Diktatur mit fragwürdigen Argumenten.
Zur chilenischen „Schock-Therapie“ gehörten:

  • Öffnung des Marktes für ausländische Investitionen
  • Senkung staatlicher Ausgaben
  • Deregulierung
  • Privatisierung von Sozialprogrammen und Staatseigentum

Nach ähnlichem Muster wurden in Brasilien, Uruguay und Argentinien Reformen umgesetzt – und zwar ähnlich wie Chile jeweils von einer Militärjunta. Länder wie Mexiko, Argentinien und Bolivien wiederum suchten nach Währungs- und Staatsschuldenkrisen beim IWF und der Weltbank um Rettungspakete an. Diese wurden an die Bedingung geknüpft, sogenannte Strukturanpassungsprogramme umzusetzen. Als Basis der Programme diente der sogenannte Washington Consensus. Vom Sparkurs über die Liberalisierung der Finanzmärkte und des Außenhandels, die Deregulierung der Wirtschaft bis hin zur Privatisierung von Staatseigentum enthält dieser Maßnahmenkatalog viele Rezepte, an denen man bis heute festhält.
Auch 36 afrikanische Länder erhielten vom IWF seit den 1980er-Jahren finanzielle Mittel um den Preis neoliberaler Reformen. Ähnlich verhielt es sich in vielen Ländern Asiens nach der Asienkrise im Jahr 1997. In all diesen Ländern kann von einem Erfolg der neoliberalen Rezepturen keine Rede sein: Die meisten afrikanischen Länder, die entsprechende Reformen durchführten, gehören heute zu den ärmsten Ländern der Welt. In Asien brach die Konjunktur ein und Armut und Arbeitslosigkeit nahmen massiv zu. Zwar verweist auch Biebricher auf bestimmte Verbesserungen, etwa gestiegenes Wirtschaftswachstum oder gestiegenen Wohlstand. Eines aber sei in allen Ländern gleich: „Die soziale Ungleichheit hat dramatisch zugenommen.“

In Großbritannien und den USA ist die neoliberale Agenda eng mit zwei Personen verbunden: Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Thatchers Rezept beinhaltete eine rigide Geldmengenpolitik sowie die Abkehr von der Arbeitslosenbekämpfung als staatliche Aufgabe. Obwohl dies eine schwere Rezession sowie den Verlust von zahllosen Arbeitsplätzen zur Folge hatte, wurde Thatcher wiedergewählt – was mit dem Falkland-Krieg begründet wird. In ihrer zweiten Amtszeit wandte sie sich einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu. Dazu gehörten:

  • Steuersenkungen vor allem für hohe Einkommen
  • Ein rigider Budgetkurs: Einsparungen bei staatlichen Ausgaben und im Gegenzug Erhöhung von degressiven Steuern, die einkommensschwache Haushalte stärker belasten als einkommensstarke.
  • Privatisierungen
  • Einschränkung des Streikrechts
  • Staatliche Regulierung von privaten Monopolen statt Wettbewerbspolitik gegen Monopole
  • Deregulierung des Finanz- und Börsengeschäfts: Was Thatcher jedenfalls gelungen ist, ist die Stärkung des Finanzplatzes London.
  • Thinktanks als Sprachrohre zur Verbreitung der eigenen Ideen

Schnittmengen zu dieser Politik fanden sich in Ronald Reagans Politik. Die Grundzüge:

  • Beträchtliche Einsparungen im sozialen Bereich
  • Steuersenkungen zugunsten der oberen Einkommensschichten. In einem Punkt machten die Reaganomics eine großzügige Ausnahme von ihrem rigiden Sparkurs: Das Militärbudget wurde massiv aufgestockt. Man spricht von Warfare Keynesianism.
  • Deregulierungen gerade im Finanzwesen: So wurden Zusammenschlüsse von Banken ermöglicht sowie Einschränkungen bei der Anlagentätigkeit von Spar- und Hypothekenkassen gestrichen. Zugleich wurden die Regulierungsbehörden geschwächt.
  • Maßnahmen gegen Gewerkschaften sowie Einschränkungen der Rechte von ArbeitnehmerInnen
  • Thinktanks

Die Reaganomics haben neben einem enormen Budgetdefizit eine Explosion der Armutsrate als Hypothek hinterlassen. „Zwischen 1979 und 1987 wuchs die Anzahl der Armen um mehr als sechs Millionen“, nennt Biebricher das dramatischste Ergebnis.

Ein konservatives Phänomen?
Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man Neoliberalismus allein bei konservativen oder liberalen Parteien vermuten würde. Erneut ist es das Tandem USA-Großbritannien, das neoliberale Reformen vornahm. Dieses Mal waren es linke Politiker, nämlich Bill Clinton und Tony Blair, die dafür verantwortlich zeichneten. Zwar sollte man ihre sozialpolitischen Maßnahmen nicht vernachlässigen. Dennoch klingt der Mix an Maßnahmen bekannt. Unterm Strich beruhen auch sie auf dem altbekannten Mix:

  • Sparkurs
  • Deregulierung vor allem in den Branchen Energie, Telekommunikation und Finanzwesen. Im Jahr 1999 wurde in den USA ein folgenreiches Gesetz verabschiedet, in dem die (übrigens 1933 eingeführte) Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken aufgehoben wurde.
  • Massive Privatisierungen
  • Workfare/Welfare to Work: Nach diesem Konzept will eine staatliche Transferleistung verdient sein. Die Folge war allerdings eine Vergrößerung des Niedriglohnsektors sowie eine Atypisierung der Arbeit.

Befremdliches Überleben
Zumindest für ArbeitnehmerInnen muss das Fazit der neoliberalen Agenda durchwachsen ausfallen: Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes führte zu einer Vergrößerung des Niedriglohnsektors sowie zur Atypisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Davon waren insbesondere Niedrigqualifizierte, Frauen sowie Angehörige von Minderheiten betroffen. Die Löhne und Einkommen im mittleren Bereich wiederum stagnierten. Die Einkommen der obersten Einkommensgruppen hingegen stiegen massiv an. „Das Gesamtergebnis ist eine Öffnung der Ungleichheitsschere in einem seit dem Zweiten Weltkrieg nie dagewesenen Umfang, die den langfristigen Egalisierungstrend, der alle drei Länder von 1945 bis in die frühen 1970er kennzeichnete, neutralisiert hat“: So lautet Biebrichers ernüchternde Schlussfolgerung.

Um mit Colin Crouch zu sprechen: Es ist wahrlich befremdend, warum der Neoliberalismus bisher überlebt hat, obwohl schon seine theoretischen Annahmen fragwürdig sind. Denn entgegen der Empirie hält man weiter an den neoliberalen Rezepten fest. Sie mögen zwar kein Werk des Teufels sein, schädlich aber sind sie allemal.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 6/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470276028626 Die Deregulierung der Finanzmärkte sorgte zwar zunächst für einen Boom ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827786 ... doch auf das Platzen der Blase folgte der große Crash in Form der Weltwirtschaftskrise 2008. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1470691827794 VerliererInnen der neoliberalen Rezepte waren Einkommensschwache, zu den GewinnerInnen zählten Einkommensstarke und Unternehmen, insbesondere die Finanzindustrie. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407650 Feigenblatt oder Kurswechsel? Die Europäische Kommission hat vergangenen März angekündigt, den Fokus ihrer Aktivität wieder stärker auf sozialpolitische Themen zu setzen. Unter dem Titel „Europäische Säule sozialer Rechte“ sollen Herausforderungen erkannt werden und Ziele für die Teilnehmerstaaten festgelegt werden. Der Vorschlag wird derzeit in einer öffentlichen Konsultation diskutiert, die noch bis Jahresende läuft. Könnte die soziale Säule einen politischen Kurswechsel einläuten oder ist sie nur ein weiteres soziales Feigenblatt der EU-Kommission: Mit dieser Frage beschäftigte sich Anfang Juni eine ganztägige Konferenz in Brüssel.

Verbindliche Standards
Die Finanzkrise hat in der EU zu einer massiven Legitimations- und Vertrauenskrise geführt. Fast ein Viertel der EuropäerInnen lebt laut der OECD an oder unter der Armutsgrenze. Die meisten der DiskutantInnen stimmten darin überein, dass das Vertrauen der Menschen nur zurückgewonnen werden kann, wenn die EU ihre Handlungsfähigkeit beweist und die sozialen Standards in den Mitgliedstaaten anhebt. „Angesichts der schlechten Erfahrungen mit sozialen Initiativen der EU-Kommission ist Skepsis angebracht“, fasste Bernhard Achitz die erste Reaktion der Gewerkschaften zusammen. Dennoch werden die Gewerkschaften sich aktiv in die Diskussion einbringen, denn „wir haben in der EU nicht zu viele, sondern zu wenige verbindliche soziale Mindeststandards“, betonte der Leitende Sekretär des ÖGB. Neue soziale Standards dürften sich nicht am niedrigsten Niveau in der EU orientieren.

Investition in die Zukunft
Den Fokus auf niedrigere Leistungen für Arbeitslose oder auf die weitere Schwächung des Pensionssystems zu legen, sei der völlig falsche Ansatz, hielt Achitz fest: „Entscheidend für den Erfolg der Initiative wird sein, ob wir starke Sozialsysteme nur als Kostenfaktor sehen oder als notwendige Absicherung und Investition in die Zukunft.“ Im Übrigen könne die Beschränkung der Initiative auf die Eurozone nur ein erster Schritt sein, denn soziale Standards müssten für alle EU-Staaten gelten.
Die beiden EU-Abgeordneten Udo Bullmann (SPD) und Thomas Händel (Die Linke) begrüßten die Kommissionsinitiative zumindest im Grundsatz. Händel ist Vorsitzender des Beschäftigungsausschusses und forderte die Durchsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Die meisten RednerInnen waren sich einig, dass verbindliche Standards nötig seien. Das sehen offenbar auch einige Regierungen so. „Ein sozialer Knigge reicht nicht, wir brauchen nach der Konsultation auch weitergehende Vorschläge für konkrete Richtlinien“, erklärte Susanne Hoffmann vom deutschen Arbeitsministerium. Verbesserungswürdig sei die Einbindung der Sozialpartner, wenn im Kommissionsdokument von Löhnen und Produktivität gesprochen werde. Andreas Botsch vom DGB kritisierte die von der Kommission empfohlene automatische Koppelung von Pensionsalter und Lebenserwartung. „Schaffen wir mit der sozialen Säule endlich den sozialen Aufbruch oder brechen wir Europa ab?“ sei die entscheidende Frage, so Botsch.

Gefährdetes Sozialmodell
Zum Abschluss betonten die TeilnehmerInnen die Wichtigkeit von Sozialinvestitionen. Der luxemburgische Sozialminister Nicolas Schmit kritisierte die Vorgangsweise der EU-Kommission: „Man diktiert Budgetregeln und überlässt die sozialen Aufgaben allein den Nationalstaaten.“ Ohne verstärkte Investitionen in den Sozialstaat sei die Stabilität des europäischen Sozialmodells akut gefährdet. Christof Cesnovar vom AK-Europa-Büro betonte die Mehrfachdividende von zukunftsgerichteten Sozialinvestitionen. So haben Studien der Arbeiterkammer Wien klar gezeigt, dass verstärkte Investitionen in die Kinderbetreuung positive Auswirkungen auf Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt haben.

Weitere Infos
www.akeuropa.eu
www.oegb-eu.at

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Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407621 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407603 Im Zeichen der Ratlosigkeit Die ArbeitnehmerInnen in Bosnien befinden sich zurzeit in einer Situation, die ohne Übertreibung an die Sklaverei erinnert“, sagt Ismet Bajramović, Vorsitzender des nationalen Verbands der Unabhängigen Gewerkschaften. „Bei vielen KollegInnen sitzt der Ärger schon sehr tief, vor allem nach der Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzbuchs, die wir letztes Jahr trotz aller Bemühungen und Proteste nicht verhindern konnten. Seitdem gibt es so gut wie keine Tarifverträge mehr, individuelle und kollektive Entlassungen sind jederzeit ohne große Probleme möglich, und selbst im öffentlichen Sektor geht es mittlerweile genauso hart zu wie in den kleinen Privatunternehmen, wo es kaum eine gewerkschaftliche Vertretung gibt.“ In der Tat spitzte sich die soziale Krise in Bosnien und Herzegowina in den letzten Jahren deutlich zu, und das in vielerlei Hinsicht. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 hatten erneut die nationalistischen Parteien gewonnen. Ihr Erfolgsrezept: das Versprechen nach Stabilität. Von Stabilität aber kann keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Bosnien-Herzegowina steht kurz vor einer neuen Eskalation der Proteste: Lehrkräfte, Gesundheitspersonal und ArbeitnehmerInnen in diversen Industriebranchen kündigten zahlreiche Aktionen für Sommer und Herbst an.

Ringen um Reformen
Seit anderthalb Jahren versuchen die politischen VertreterInnen der drei ethnischen Gruppen, sich über wichtige Reformen zu einigen. Doch bisher sind die einzigen Ergebnisse Beschneidungen von ArbeitnehmerInnenrechten und fragwürdige Privatisierungen, während die Lage der Wirtschaft miserabel bleibt. Statt auf Lösungen hinzuarbeiten, üben sich die PolitikerInnen in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Sie werfen den jeweils anderen Korruption vor und stellen manchmal sogar die Zusammenarbeit mit den jeweils anderen Ethnien infrage.

Damoklesschwert Teilung
In der Hoffnung, die verfestigte Situation in Bewegung zu bringen, hat die EU das lange blockierte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Bosnien in Kraft gesetzt. Doch am Tag danach verkündeten die VertreterInnen der serbischen Nationalisten in der Republika Srpska ihre Absicht, das Parlament bis auf Weiteres zu boykottieren, was das erforderliche Quorum für die Regierungsbildung monatelang praktisch unerreichbar machte. Kritische KommentatorInnen in Sarajevo unterstellen der Führung der ethnisch serbischen Entität, sie habe eigentlich kein Interesse am Aufbau eines funktionalen Staats. Vielmehr strebten sie mittelfristig eine Loslösung von Bosnien und einen Beitritt zu Serbien an. Ähnliches Gezänk gehört allerdings seit Langem zum Alltag der bosnischen Politik.

Zweifelhafte Ansprüche
Das Abkommen selbst sieht neben sinnvollen Maßnahmen, die den Rechtsstaat stärken sollen, viele problematische Punkte vor: Der bosnische Markt soll bald für EU-Firmen und europäische Produkte vollständig geöffnet werden, zahlreiche Subventionen sollen gestrichen, Kündigungsschutzgarantien weiter gelockert werden.
Um die EU und vor allem den Internationalen Währungsfonds (IWF) zumindest teilweise zu beschwichtigen, verabschiedeten die Parlamente der beiden bosnischen Entitäten im vergangenen Jahr eine umfangreiche Reform des Arbeitsrechts, die das Land „wettbewerbsfähiger“ machen sollte. Die Repräsentativitätskriterien für Gewerkschaften wurden verschärft, die Verpflichtung zur Verhandlung von Tarifverträgen abgemildert, genau wie die Regelung der Arbeitszeit. Die Gewerkschaften befürchten, dass die weiteren geplanten Reformen zu einer Vertiefung der bereits herrschenden sozialen Krise führen werden. Vor allem im Bildungs- und Gesundheitssektor, wo viele Frauen für sehr niedrige Gehälter arbeiten, wird in den kommenden Monaten erneut gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, gegen die chronische Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors und gegen die weiteren geplanten Kürzungen protestiert.
Die Innenstädte von Sarajevo und Banja Luka sind heute noch voll mit Wahlplakaten der Parteien aller Couleur, die „ein normales Land“ und „Lösungen statt Slogans“ versprechen – oder die Bekämpfung der horrenden Arbeitslosigkeit, die unter den jungen Menschen bei mehr als 60 Prozent liegt. Dabei bleiben die meisten BosnierInnen sehr skeptisch und das Land so gespalten wie eh und je. Dementsprechend stehen die Chancen für eine Überwindung der tiefen sozialen Krise alles andere als gut. Der Hauptgrund dafür liegt nahe: Das hochkomplexe und ineffiziente politische System, das 1995 mit den Dayton-Abkommen in der Verfassung des Landes festgeschrieben wurde, bietet wenig Spielraum für die Durchsetzung tiefgreifender Reformen, die die Wirtschaft ankurbeln und die Gesellschaft gerechter organisieren könnten.

Nicht nur die grassierende Korruption plagt die aufgeblähte öffentliche Verwaltung, die seit Jahren die EU-Hilfsgelder in den Taschen von PolitikerInnen und BeamtInnen versickern lässt. Auch die allgegenwertige nationalistische Rhetorik der wichtigsten Parteien verhindert systematisch die politische Willensbildung und stellt falsche Themen auf die Agenda. Mit Erfolg, denn bisher konnte keine echte Alternative identifiziert werden.
Dementsprechend verlieren viele Menschen die Hoffnung, dass das Land jemals funktionieren könnte. „Daran ist auch die EU schuld“, glaubt Feđa Kazlagić, ein 30-jähriger Deutschlehrer aus Banja Luka. „Es macht überhaupt keinen Sinn, uns mit Geld zu überfluten wie zum Beispiel nach der Hochwasserkatastrophe 2014. Man weiß ja ganz genau, dass nur ein Bruchteil dieser Summen dort ankommt, wo sie wirklich benötigt werden.“ Kazlagić unterrichtet an mehreren Schulen und auch privat, oft mehr als zehn Stunden am Tag, auch am Wochenende. „Alle wollen Deutsch lernen, damit sie später eine Stelle in Mitteleuropa finden. Ich selber würde mich natürlich freuen, wenn der Unterricht besser bezahlt wäre, dann hätte ich nämlich auch ein Privatleben. Zunächst muss ich aber froh sein, dass ich überhaupt Arbeit habe, ich gehöre ja insofern zu den Privilegierten, die sich ausbeuten lassen können“, sagt der junge Mann mit einem sehr typischen balkanischen Sarkasmus. 
Ähnlich sieht die Lage auch der 26-jährige Tamir Kuko, der Marketing studiert und abends als Kellner in einem Café in der Altstadt von Sarajevo arbeitet. Vor zwei Jahren hat er an den Protesten teilgenommen, die das Land erschütterten. „Wir wollen einfach normal arbeiten in einem normalen Land“, sagt der junge Mann. „Doch diese Perspektive rückt immer wieder in weite Ferne. Wenn hundert andere hinter dir auf einen Job warten, kann der Arbeitgeber alles machen, was er will. Schickt er dich, Blumen für seine Frau zu kaufen, dann gehst du halt – oder du fliegst raus.“ In Tuzla, wo die Proteste 2014 angefangen haben, kämpft die 55-jährige Emina Busuladžić seit Jahren für die Rechte der Beschäftigten. Die Waschmittelfabrik Dita, bei der sie als Chemietechnikerin arbeitete, wurde infolge einer gescheiterten Privatisierung geschlossen, zuvor hatte der Arbeitgeber monatelang die Löhne einfach nicht gezahlt. Busuladžić, eine der Hauptfiguren der Protestbewegung, war stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft, als sie und ihre KollegInnen gekündigt wurden. Es folgte eine lange Justizodyssee: „Bis heute haben wir nur einen Bruchteil unserer Gehälter aus den vergangenen zwei Jahren bekommen. Wenn der Staat nicht in der Lage ist oder den politischen Willen hat, gesetzliche Bestimmungen und Gerichtsbeschlüsse durchzusetzen, dann hilft auch Gewerkschaftsarbeit allein nur wenig. Du gewinnst den Prozess, und dann passiert doch nichts.“

Langer Weg
Deshalb beschloss Busuladžić im Jahr 2014, bei den Wahlen für eine der wenigen multiethnischen Linksparteien zu kandidieren. Mit Erfolg: Sie zog als Abgeordnete ins kantonale Parlament. „Wir haben einen langen Weg vor uns“, stellt sie fest. Ähnlich sieht die Lage übrigens auch Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der EU, die in regelmäßigen Abständen nach Bosnien reist, um die Politiker davon zu überzeugen, dass eine schnellere Annäherung an Europa und die dafür erforderlichen Reformen wichtiger sind als ethnische Spaltungen.
Die Bilanz der Besuche bleibt allerdings eher bescheiden: Zwar verpflichtete sich das neu gewählte Parlament dazu, das Stabilisierungsabkommen mit der EU zu implementieren. Doch die strukturellen Probleme bleiben. „Kein Weg führt daran vorbei, eine neue Verfassung ohne ethnische Kategorien zu schreiben“, meint Deutschlehrer Feđa Kazlagić. „Wir haben alle die gleichen sozialen Probleme und wir wollen fast alle abhauen. Vielleicht sollte das unsere neue Identität sein.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor silviumihai@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Silviu Mihai, Freier Journalist und Osteuropa-Korrespondent Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407586 Bosnien-Herzegowina steht kurz vor einer neuen Eskalation der Proteste. Lehrkräfte, Gesundheitspersonal und ArbeitnehmerInnen in diversen Industriebranchen kündigten zahlreiche Aktionen für Sommer und Herbst an. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407570 Widerstand gegen Flexibilisierung Frankreich. Anfang Juni. Während die Hollande-Valls-Regierung bereit ist, ein neues Arbeitsgesetz mit voller Härte durchzusetzen, wehren sich dagegen seit Monaten Millionen von Menschen. Demonstrationen, Streiks und Blockaden werden von der Polizei brutal angegriffen und demokratische Grundrechte von der Regierung ausgehebelt. All das erreicht hiesige Medien nur sehr langsam. Doch es sind die größten Proteste, die Frankreich seit Jahrzehnten erlebt hat.

Fit für welche Zukunft?
Das Arbeitsgesetz, benannt nach der Arbeitsministerin Myriam El Khomri, bedeutet einen Angriff auf grundlegende Errungenschaften der französischen ArbeiterInnenbewegung. Der Artikel 2 des Gesetzes soll es ermöglichen, sich durch Betriebsvereinbarungen über Kollektivverträge und das allgemeine Arbeitsgesetz hinwegzusetzen. Die französische 35-Stunden-Woche, die ohnehin schon aufgeweicht ist und durch Ausnahmen in der Überstundenregelung nicht für alle Betriebe gilt, soll endgültig beseitigt werden. „El Khomri“ sieht vor, den Rahmen des Arbeitstages auf zwölf Stunden, die Arbeitswoche auf 48 und in einzelnen Fällen sogar auf 60 Stunden pro Woche auszuweiten. Die Regierung und die Unternehmen argumentieren damit, dass so der Arbeitsmarkt fit für die Zukunft gemacht werde. Doch gerade die Jugend sieht in dem Gesetz alles andere als einen Fortschritt. Die letzten Monate voller Demonstrationen, Schulblockaden und Streiks haben besonders für viele junge Menschen eine massive Radikalisierung bewirkt. „Ich will nicht, dass wir zu Maschinen werden, ich will die Dinge verändern. Ich protestiere nicht nur gegen das Arbeitsgesetz, sondern kämpfe für eine andere Gesellschaft!“, sagt die 15-jährige Schülerin Lucie aus Paris.
Neben der Jugend sind es vor allem auch Teile der französischen Gewerkschaftsbewegung, die ihre kämpferischen Traditionen wiederbeleben. Allen voran die mächtige CGT, die besonders von ihren vielen aktiven und kämpferischen Mitgliedern in den Betrieben sowie den lokalen Strukturen lebt. Belegschaften privater sowie staatlicher Unternehmen stimmen bei Vollversammlungen selbst ab, ob gestreikt und blockiert wird oder nicht. Hunderte lokale Arbeitskämpfe um Löhne und Arbeitskonditionen in den Betrieben vereinen sich mit dem breiten Widerstand gegen das Gesetz. „Nuit debout“, eine neu entstandene Bewegung, die über das ganze Land zentrale Plätze besetzt, spielt eine wichtige Rolle bei der Verbindung zwischen den bestreikten Betrieben, den regelmäßigen Demonstrationen, der Jugend und den lokalen Nachbarschaften. Debout heißt auf Französisch aufrecht sein, stehen. Im übertragenen Sinn könnte man „Nuit debout“ mit „Stehend durch die Nacht“ übersetzen.

In dieser Situation sind es besonders Teile der Gewerkschaften, die ihre kämpferischen Traditionen neu entdecken. Die französischen Gewerkschaften organisieren sich als Richtungsgewerkschaften und stehen, anders als im einheitsgewerkschaftlichen ÖGB, in Konkurrenz zueinander. Trotzdem arbeiten zum Beispiel CGT, FO (der ÖGB war im Februar 2015 auf dessen Kongress eingeladen), FSU (Bildungsbereich) oder SUD und viele weitere Gewerkschaften auf verschiedenen Ebenen zusammen. Die PS-(Parti socialiste)-nahe Gewerkschaft CFDT befürwortet das Arbeitsgesetz und will lediglich einzelne Punkte ändern. Diese Meinung teilen jedoch nicht alle ihre Mitglieder, viele von ihnen beteiligen sich an gemeinsamen Demonstrationen und Streiks. Genau diese Streiks breiteten sich zuletzt auf immer mehr Sektoren aus. Zeitweise wurden alle Raffinerien des Landes blockiert, immer mehr Tankstellen gingen die Reserven aus. Der riesige Hafen von Marseille wurde bestreikt und Dutzende Schiffe mussten darauf warten, betankt zu werden. Auch auf den Energiesektor sind die Streiks übergeschwappt.

Wo es wehtut
Die Bewegung greift das System dort an, wo jeder und jede die Auswirkungen spüren kann. Gilles Guyomard, Vertreter der CGT im Energiesektor, fasst die allgemeine Radikalität von vielen Betrieben mit den Worten zusammen: „Wir müssen zuschlagen, wo es wehtut.“ Und das ist dort, „wo es die Geldbörsen der Bosse trifft“. Wenn sie wollte, könnte die Bewegung die Wirtschaft mit einem Generalstreik komplett blockieren. Obwohl die Ölreserven knapp werden, es an Tankstellen zu langen Warteschlangen und durch eine gedrosselte Energieproduktion zu Stromausfällen kommt, steht ein Großteil der Bevölkerung hinter den Mobilisierungen und Streiks. Nach wie vor lehnen je nach Umfrage 60 bis 70 Prozent der Französinnen und Franzosen das Arbeitsgesetz ab. Das zeigt, dass die französischen Gewerkschaften trotz eines sehr geringen Organisierungsgrads von 7,7 Prozent alles andere als „zu schwach“ sind, sondern tatsächlich einen sozialen Gegenpol im Land repräsentieren können.

Widerstände brechen
Als Vertreter der anderen Seite steht Pierre Gattaz, seines Zeichens Multimillionär und Kopf des französischen Pendants zur Industriellenvereinigung, des MEDEF. Er bezeichnet die GewerkschafterInnen und Jugendlichen als „Gauner“ und „Terroristen“ und ruft die Regierung dazu auf, „nur ja nicht nachzugeben“ – genau dies tut diese auch nicht. Das macht die Regierung zu einer der unbeliebtesten in Frankreichs Nachkriegsvergangenheit. Die ohnehin schon notorisch schlechten Umfragewerte von François Hollande haben einen neuerlichen Tiefpunkt erreicht: Gerade einmal 13 Prozent der Bevölkerung haben noch Vertrauen in Hollande. Die miese Stimmung gegenüber der Regierung färbt inzwischen auch auf Premierminister Manuel Valls ab. Stand dieser über lange Zeit in den Umfragen deutlich besser da als Hollande und erreichte selbst Zustimmungswerte von fast 50 Prozent, schafft er nun gerade noch 18 Prozent.
Um das Gesetz allen Widerständen zum Trotz durchzubringen, bedient sich die Regierung Valls eines Artikels der Verfassung, der es den Abgeordneten möglichst schwer macht, das Gesetz zu verhindern: Sie müssen die Regierung als Ganzes stürzen, um das Gesetz zu Fall zu bringen. Am 14. Juli muss es der Senat als letzte Instanz absegnen – der Nationalfeiertag, ein Entscheidungstag für die linke Regierung. Bei den Protesten wendet die Polizei extreme Gewalt gegen streikende ArbeiterInnen, demonstrierende SchülerInnen und Reporter an. Seit Ende Mai liegt ein Journalist im Koma und schwebt in Lebensgefahr – er wurde von einer explodierenden Tränengas-Granate getroffen. In Rennes verlor ein Schüler während Protesten ein Auge durch ein Hartgummigeschoss. Seit November besteht der Ausnahmezustand, der nach den Anschlägen im November ausgerufen und seitdem dreimal verlängert wurde. Dadurch können Gewerkschaftslokale ohne richterlichen Beschluss durchsucht werden, es kam dabei zu Verwüstungen. Jugendliche wurden zu haarsträubenden Strafen im Eilverfahren verurteilt und es wurden Demonstrationen verboten.
Doch selbst das bringt die Bewegung nicht zum Schweigen, gerade dort nicht, wo sie am stärksten ist. In Le Havre, einer Hafenstadt in der Normandie, konzentriert sich die kämpferische Stimmung im Land am meisten. „Man könnte behaupten, hier ist die Streik-Hauptstadt von Frankreich“, meinte ein CGT-Aktivist aus der Stadt. „Der Hafen ist blockiert, die Polizei wagt es nicht, es mit den Blockaden aufzunehmen, und jeden Tag gibt es Versammlungen von RepräsentantInnen aus allen Betrieben und auch von StudentInnen.“ In Le Havre kommt es im Übrigen zu keinen Übergriffen auf Jugendliche, denn die HafenarbeiterInnen haben angekündigt, im Falle von Polizeigewalt die ganze Stadt zu blockieren.
Kurz vor Beginn der Europameisterschaft stellte der CGT-Generalsekretär Philippe Martinez klar: „Wir werden die Leute nicht davon abhalten, zu den Fußballspielen zu gehen.“ Die Betonung liegt hier beim Wort „gehen“, denn in der ersten Woche der Meisterschaft streiken nicht nur die PilotInnen der Air France, sondern auch die EisenbahnerInnen der SNCF und die Pariser Metro-ArbeiterInnen. „Ich bin Bürger, Vater und Arbeiter – ich kann nicht zulassen, dass diese Regierung uns und unsere Kinder zu Sklaven macht!“, erklärte der wütende Ticketverkäufer Steve beim Streik der U-Bahn-Bediensteten erzürnt.

Angriffe auf Arbeitsstandards
Die Gewerkschaften bieten der Regierung zwar nach wie vor an, zurück an den Verhandlungstisch zu kommen. Doch ob ein Kompromiss die Bewegung stoppen kann, ist ungewiss. In Belgien ist ab Oktober ein Generalstreik gegen ein ähnliches Arbeitsgesetz angesetzt, und sämtliche Punkte von „El Khomri“ überschneiden sich mit Forderungen, die auch von der Industriellenvereinigung in Österreich bekannt sind. Sparpolitik und Angriffe auf Arbeitsstandards nehmen europaweit zu. Frankreich zeigt, wie wichtig starke Antworten der Gewerkschaften darauf sind.

Linktipps
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Stefan Gredler, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407549 Das Arbeitsgesetz der sozialistischen Regierung Hollande löste massiven Widerstand aus. Die Proteste dagegen sind die größten, die Frankreich seit Jahrzehnten erlebt hat. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407471 Lohnpolitik ohne Grenzen Die Lohn- und Tarifpolitik ist in der EU eine Domäne der nationalen Sozialpartnerorganisationen und in Ländern mit tripartistischer Lohnbestimmung eine der politischen AkteurInnen. Auf EU-Ebene wurden in den Jahren vor der Umsetzung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) zwar Institutionen etabliert, die einen Rahmen für ein europäisches System der Arbeitsbeziehungen schaffen können. Die europäischen Sozialdialoge beispielsweise ermöglichen es den europäischen Dachverbänden der ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber, in gemeinsamen Verhandlungen „Rahmenabkommen“ zu Mindeststandards in Bereichen der Arbeitspolitik abzuschließen. Die Sozialdialoge können auf branchenübergreifender und sektoraler Ebene stattfinden. Kernarbeitsbedingungen wie Löhne oder Arbeitszeit sind von den Sozialpartnerverhandlungen jedoch weitestgehend ausgenommen.

Ausnahmefall
Zu den Ausnahmen zählen die Rahmenabkommen zur Regulierung bestimmter Aspekte der Arbeitszeit in einigen Transportsektoren. In der Handelsschifffahrt wurde außerdem ein Rahmen für globale Tarifverhandlungen zwischen der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft (ITF) und dem globalen Arbeitgeberverband der Seeschifffahrt (IMEC) vereinbart. Dieses institutionelle Arrangement ermöglicht die weltweite Koordinierung der Löhne und Arbeitsbedingungen eines großen Teils der Seeleute. Darüber hinaus können Sozialpartnerverhandlungen auf der Ebene transnationaler Unternehmen (TNU) geführt werden. Europäische Betriebsräte (EBR) sowie nationale und internationale (europäische und globale) Gewerkschaften schließen mit dem Konzernmanagement transnationale Unternehmensabkommen ab. Gegenstand dieser Abkommen sind vor allem Unternehmensrestrukturierungen.

Widerstand der Konzerne
In zunehmendem Maße werden auch lohnbezogene Themen wie die Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmensgewinn und Bonussysteme geregelt. EBR haben sich aber als zu schwach erwiesen, um eine tarifliche Koordinierung auf grenzüberschreitender Unternehmensebene zu ermöglichen. Nur ein geringer Teil der EBR ist in der Lage, über die Funktionen der ArbeitnehmerInneninformation und -konsultation hinaus mit der Managementseite in Verhandlungen zu treten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gewerkschaften einer Ausweitung der tarifpolitischen Funktion von EBR ablehnend gegenüberstehen.
Die europäischen Arbeitgeberverbände haben an einer transnationalen Koordinierung der Tarifpolitik kein Interesse. Vor allem transnational operierende Unternehmen treffen ihre Investitionsentscheidungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Niveaus der Löhne und Arbeitsstandards in den EU-Staaten. Tatsächliche oder angedrohte Standortverlagerungen verleihen dem Management einen Vorsprung in der Verhandlungsposition gegenüber den ArbeitnehmerInnenvertretungen. Deren Mitgliederbasis ist national verankert und sie vertreten vor allem in Zeiten angespannter Arbeitsmärkte die Standortinteressen lokaler Belegschaften.

Asymmetrien
Die Europäische Kommission wiederum unterstützt eine wettbewerbsorientierte Lohnpolitik, wie sie auch von transnationalen Ebenen und europäischen Arbeitgeberverbänden gefordert wird. Dabei fordert sie die Sozialpartnerorganisationen dazu auf, Lohntarifverträge abzuschließen, die nominelle Lohnsteigerungen im Einklang mit der Preisstabilität vorsehen. Zudem sollen sie qualifikationsbezogene, regionale sowie sektorale Produktivitätsdifferenziale berücksichtigen. Die meisten Gewerkschaften hingegen bekennen sich zu einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik, die einen Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten verhindert und eine Beteiligung der Beschäftigten am Produktivitätswachstum garantiert. Die Interessen- und Machtasymmetrien werden auch auf der Ebene der EU-Institutionen deutlich. Im Gremium des makroökonomischen Dialogs, in dem sich VertreterInnen von Kommission, Rat, Europäischer Zentralbank und der europäischen Sozialpartner zur Abstimmung der Lohnpolitik mit der Geld- und Fiskalpolitik in der Eurozone beraten, ist die Gewerkschaftsseite de facto einflusslos.
Angesichts des Desinteresses der Arbeitgeberseite und mangelnder institutioneller Unterstützung auf EU-Ebene haben die nationalen und europäischen Gewerkschaften begonnen, ihre Tarifpolitiken unilateral über die Grenzen hinweg zu koordinieren. Da in der Eurozone der Mechanismus der Währungsabwertung zur Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Kostenwettbewerbsfähigkeit nicht mehr zur Verfügung stehen würde, befürchteten die Gewerkschaften eine Intensivierung des Wettbewerbsdrucks auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Um einen Lohnsenkungswettlauf zu vermeiden, begründeten die Gewerkschaften Initiativen zur transnationalen Koordinierung der Lohnpolitik. Kern dieser Koordinierungsansätze war die Verabschiedung sogenannter tarifpolitischer Leitlinien seitens des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des Europäischen Metallarbeiterbundes bzw. seiner Nachfolgeorganisation IndustriALL. Diese sehen vor, dass sich Lohnerhöhungen am Ausmaß der Summe der Steigerungen der durchschnittlichen Gesamtproduktivität und der Inflationsrate orientieren. Diese gewerkschaftlichen Initiativen zur Lohnkoordinierung blieben jedoch auf Industriebranchen wie die Metallindustrie sowie auf Länder mit ähnlichen Tarifsystemen und tarifpolitischen Traditionen wie Nordeuropa, Deutschland, Österreich, Belgien und die Niederlande beschränkt.

Perspektiven seit der Krise
In den ost- und mitteleuropäischen Staaten dominieren unkoordinierte und unorganisierte Arbeitsbeziehungen, z. B. fehlende ArbeitnehmerInnenorganisationen, schwache und zersplitterte Gewerkschaften, Tarifverhandlungen auf Unternehmensebene oder geringe Tarifbindungsraten. Mit dem Beitritt dieser Länder zur EU sind die transnationalen Koordinierungsbemühungen der Gewerkschaften an ihre Grenzen gestoßen. Kontinuierlich sinkende Organisationsgrade und die jüngsten Arbeitsmarkt- und Beschäftigungskrisen haben die finanziellen und personalen Ressourcen sowie die Legitimität für transnationale Aktivitäten verringert.
Auch die Entwicklungen auf EU-Ebene waren nicht förderlich für gewerkschaftliche Koordinierungsstrategien. Der als Reaktion auf die Schulden- und Fiskalkrise geschaffene Rahmen der „EU Economic Governance“ zur Forcierung der wirtschaftspolitischen Koordinierung ist einseitig auf die Kontrolle von Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten ausgerichtet – Überschüsse hingegen stehen weit weniger im Fokus der Überwachungsprozeduren. Die Eingriffe in die Tarifsysteme der südeuropäischen „Schuldnerländer“ wurden durch den strikten Kontroll- und Überwachungsrahmen legitimiert – gegen die in den EU-Verträgen festgeschriebene tarifpolitische Autonomie der nationalen Sozialpartner.

Mehr Anstrengungen nötig
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Tarifpolitik neben anderen haushalts- und steuerpolitischen Maßnahmen einen Ausweg aus der gegenwärtigen Wachstumskrise eröffnen könnte. Klar ist auch, dass sich durch die Internationalisierung der Märkte das Feld der Lohnpolitik geöffnet hat und es zu einer Veränderung der Machtverhältnisse gekommen ist. Gewerkschaften wie zum Teil auch kleinere und transnational weniger mobile Unternehmen müssen mehr Ressourcen einsetzen und stärkere Anstrengungen unternehmen, um ihr Interesse an einer koordinierten Lohnpolitik durchzusetzen. Neben der Stärkung und Wiederherstellung nationaler tarifpolitischer Institutionen können arbeitnehmerInnenseitige AkteurInnen dazu beitragen, transnationale Institutionen der Kooperation und Solidarität aufzubauen, wie zum Beispiel die Europäischen Betriebsräte oder transregionale tarif- und arbeitspolitische Kooperationen. So können sie zumindest in Teilbereichen wie transnationalen Unternehmen oder auch in bestimmten Branchen oder Regionen ein Gegengewicht zur wettbewerbsbasierten Lohnpolitik schaffen.

Linktipp
Glassner, V., Pernicka, S. und Dittmar, N. (2016) „Arbeit am Konflikt“ – eine Fallstudie zum Europäischen Betriebsrat von General Motors, WSI-Mitteilungen 4/2016, i.E.:
tinyurl.com/zjv58jv

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Vera Glassner, Institut für Soziologie an der Johannes Kepler Universität Linz Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407447 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407401 Drunter geht’s nicht Chicago, Illinois: Bei Regen und Sturm ziehen am 26. Mai rund tausend ServicemitarbeiterInnen vor das McDonald’s Hauptquartier in Oak Brook. Im Inneren des Gebäudes lauschen AktionärInnen bei der Hauptversammlung den Ausführungen der Geschäftsführung. Die unter dem Namen „Fight for 15“ versammelten DemonstrantInnen fordern einen Mindeststundenlohn von 15 Dollar. Seit 2009 beträgt der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn in den USA 7,25 Dollar. Bundesstaaten und Unternehmen können darüber hinaus eigene Regelungen treffen. Der Mindestlohn ist im US-Wahlkampf ein heißes Eisen: Hillary Clinton kann sich mindestens zwölf Dollar vorstellen, Bernie Sanders plädiert für 15 Dollar. Die DemonstrantInnen fordern zudem eine stärkere gewerkschaftliche Vertretung. „Der Organisationsgrad der Gewerkschaften und ihr Einfluss auf die Lohnpolitik ist in Europa ausgeprägter als in den USA“, erklärt Heinz Gärtner, Vorstand des Instituts für internationale Politik.

Mindest- oder Armutslohn?
Von Chicago nach Berlin: Deutschland hat im Jahr 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt und ist das jüngste Mitglied im Kreis jener 22 von 28 EU-Staaten, die einen Mindeststundensatz vorschreiben. Spitzenreiter ist Luxemburg mit einem Stundenentgelt von mindestens 11,12 Euro. Das ist etwa das Zehnfache des Schlusslichts Bulgarien. Deutschland liegt mit 8,50 Euro an siebenter Stelle. „Vom Mindestlohn soll ein Vollzeitbeschäftigter leben können, ohne staatliche Unterstützungsleistungen beziehen zu müssen“, erklärt Thorsten Schulten, Experte für Arbeits- und Tarifpolitik der Hans-Böckler-Stiftung. Doch das sei für viele schwierig. Gemessen am mittleren Einkommen verdient ein/e deutsche/r MindestlohnbezieherIn nur 48 Prozent. Einige ExpertInnen bezeichnen Löhne unterhalb von 50 Prozent des Durchschnittslohns als Armutslohn.
Dennoch feierten die Gewerkschaften nach zehn Jahren intensiver Verhandlungen die Einführung eines generellen Mindestlohns als Erfolg. Dabei hat Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren unter den Hochlohnländern. Vor der Einführung des Mindestlohns verdienten zwischen 4,8 und 5,4 Millionen Menschen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. In Ostdeutschland waren Vollzeitbeschäftigte betroffen, mehr als jedes zweite Arbeitsverhältnis wurde ohne Tarifvertrag geregelt. „Gerade im Dienstleistungsbereich war der Organisationsgrad zu schwach, um dem entgegenzuwirken. Es brauchte eine untere Grenze, die es ermöglicht, auf vernünftigem Niveau Tarifverhandlungen zu führen“, betont Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei ver.di.
Den Unkenrufen der Wirtschaft zum Trotz gab es im Jänner 2016 730.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. „Die Konjunktur ist die entscheidende Variable für den Arbeitsmarkt und nicht der Stundensatz“, erklärt Schulten. Die Böckler-Stiftung hat den deutschen Mindestlohn evaluiert. Im dritten Quartal 2015 stiegen die Verdienste im Westen um 1,7 Prozent, im Osten um 3,6 Prozent. Niedriglohnsektoren wie die Gastronomie verzeichneten deutliche Zuwächse. In Ostdeutschland waren es sogar 8,6 Prozent. Bei den Minijobs, hierzulande als geringfügige Beschäftigungen bekannt, gab es einen Rückgang. Dies wird aus gewerkschaftlicher Sicht als Erfolg gewertet, da viele dieser Jobs in reguläre Stellen umgewandelt wurden.

Hohe Tarifabdeckung
Österreich hat wie Dänemark, Schweden, Finnland, Italien und Zypern keinen gesetzlich verankerten Mindeststundenlohn. Vielmehr verhandeln diesen die Gewerkschaften in Österreich sozusagen über die Kollektivverträge. Anders als in Deutschland sind in Österreich 97 Prozent der Beschäftigten kollektivvertraglich erfasst. Hintergrund dafür ist nicht zuletzt die Pflichtmitgliedschaft bei den Vertretungen der Arbeitgeber. Dass der Mindestlohn in Deutschland eingeführt wurde, führt ÖGB-Experte Martin Müller denn auch darauf zurück, dass die kollektivvertragliche Abdeckung seit der Wiedervereinigung massiv gesunken ist, vor allem im Osten des Landes konnten sich viele ArbeitnehmerInnen nicht auf Mindeststandards berufen (zur kollektivvertraglichen Abdeckung in EU-Ländern siehe auch S. 25). Vor diesem Hintergrund haben die deutschen Gewerkschaften den Weg über den Gesetzgeber gewählt.
Hierzulande liegt der Fokus der Gewerkschaft auf den Kollektivverträgen. „Wir wollen die Verantwortung für gerechte Löhne nicht an den Gesetzgeber delegieren“, sagt Müller. Schließlich könnte dieser auch beschließen, den Mindestlohn zu kürzen. „Es ist gescheiter, wir haben die Tarifpolitik in der Hand. Dann können wir im Fall des Falles auch mit Kampfmaßnahmen reagieren“, begründet er die Haltung der Gewerkschaft. „Gegen den Gesetzgeber kann man zwar protestieren, aber es ist deutlich schwieriger, Druck aufzubauen. Gegen Arbeitgeber hingegen kann man streiken. Von daher ist das effizienter und damit auch letztlich besser, um die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchsetzen zu können.“ Die GPA-djp geht schon einen Schritt weiter: „Wir fordern von den Arbeitgebern, die Mindesttarife für Vollzeitbeschäftigte auf 1.700 Euro festzulegen“, so GPA-djp-Experte David Mum.
Und wie ist die Lage in anderen europäischen Ländern? In Griechenland wurde der Mindestlohn im Jahr 2012 um 22 Prozent auf 586 Euro gesenkt. Der Stundensatz liegt aktuell bei 3,35 Euro. „Immer mehr Länder sind im Vorjahr zur Normalität zurückgekehrt und haben die Mindestlöhne erhöht“, sagt Thorsten Schulten. In Großbritannien, wo es bereits seit Ende der 1990er-Jahre einen Mindestlohn gibt, gilt seit 1. April 2016 ein Stundensatz von 7,20 Pfund. Das ist ein Plus von 7,5 Prozent. Bis 2020 will Finanzminister George Osborne den „Living Wage“, wie der Mindestlohn in Großbritannien auch genannt wird, auf neun Pfund erhöhen.

Indikator Kaufkraft
Die Böckler-Stiftung unterscheidet drei Mindestlohngruppen: Nach den Hochlohnländern Luxemburg, Frankreich, Niederlande, Großbritannien, Irland, Belgien und Deutschland mit Löhnen zwischen 11,12 Euro und 8,50 Euro folgt eine mittlere Gruppe mit Löhnen zwischen 4,57 Euro in Slowenien und 3,19 Euro in Portugal. Slowenien weist unter den ehemaligen Ostblockstaaten das höchste wirtschaftliche Leistungsniveau auf. Die sieben Gewerkschaftsbünde kooperieren eng und haben Einfluss auf die Kollektivverträge. Laut Eurostat ist der Mindestlohn in Slowenien seit 2008 um 47 Prozent gestiegen. Die OECD fordert jedoch von Slowenien ein angemesseneres Verhältnis zwischen Mindestlohn und durchschnittlichem Bruttoverdienst, um die Einstellung von Jugendlichen und schlechter ausgebildeten Arbeitskräften zu fördern.
Ein wichtiger Indikator für einen Vergleich von Mindestlöhnen ist die Kaufkraft. Es kommt darauf an, wie viel man sich vom niedrigsten Stundensatz leisten kann. EU-Staaten wie Tschechien, Ungarn oder Polen profitieren von niedrigen Lebenshaltungskosten. Thorsten Schulten geht davon aus, dass ein höherer Mindestlohn zu höherer Kaufkraft führt. „Generell haben Menschen mit geringerem Verdienst eine niedrigere Sparquote und müssen den Verdienst ausgeben.“

Perspektiven
Die dritte Gruppe umfasst Mindestlöhne von unter drei Euro. Das ist in Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien der Fall. In Polen liegt der Mindestlohn aktuell bei umgerechnet 2,55 Euro. Ein Mindeststundensatz bei Dienstleistungsverträgen von rund drei Euro soll geplant sein. Rumänien lag am 1. Jänner 2016 mit 1,40 Euro auf dem vorletzten Platz im Ranking. Laut den GTAI-ExpertInnen erlebt das Land derzeit einen konsumgetriebenen Aufschwung. Im Mai erfolgte eine Anhebung um 19 Prozent. Der Mindestlohn beträgt nun nahezu die Hälfte des Durchschnittslohns. Beim Schlusslicht Bulgarien sind zwölf Prozent der Erwerbstätigen Mindestlohnbezieher. Pro Stunde verdienen sie 1,24 Euro.
Von Südosteuropa zurück in die Vereinigten Staaten: Der Protestmarsch zum McDonald’s Hauptquartier in Oak Brooks fand heuer das dritte Jahr in Folge statt. Die Proteste haben eines bewirkt: Der Fast-Food-Konzern kündigte im Jahr 2015 an, die Stundenlöhne von neun auf zehn Dollar erhöhen zu wollen. Der Haken daran: FranchisenehmerInnen müssen nicht mitziehen – und das sind 90 Prozent der Schnellrestaurants. Gute Nachrichten für die „Fight for 15“-Bewegung gab es unlängst aus den Bundesstaaten New York und Kalifornien: Bis 2020 sollen die Mindestlöhne sukzessive auf 15 Dollar steigen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Knopp und Udo Seelhofer, ÖGB-Sekretariat der Geschäftsleitung Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407389 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407371 Grenzenlos dagegenhalten Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen zu verbessern und soziale Gerechtigkeit zu schaffen, das ist schon seit der Gründung der Gewerkschaften ihr oberstes Ziel. Dazu gehört auch die internationale Vernetzung und Solidarität, die mit einer immer globaler agierenden Wirtschaft zunehmend in den Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit rückt. Die internationale Zusammenarbeit ist nicht nur aus Gründen der Solidarität wichtig, sondern auch, um den Druck von den einheimischen ArbeitnehmerInnen zu nehmen und um zu verhindern, dass Beschäftigte in unterschiedlichen Ländern gegeneinander ausgespielt werden. Im Jahr 2015 arbeiteten zum Beispiel fast 22.000 AusländerInnen im Burgenland, zwei Drittel von ihnen waren ungarische TagespendlerInnen. Viele dieser ArbeitnehmerInnen haben mangelnde Deutschkenntnisse, sie kennen ihre arbeitsrechtlichen Pflichten und Rechte nicht. Oft verdienen sie weniger als ihre burgenländischen KollegInnen, weil sie das, was ihnen zustehen würde, nicht einfordern können. Das verursacht einen enormen Verdrängungswettbewerb und erhöht den Druck am burgenländischen Arbeitsmarkt.

Info-Point beim ÖGB Burgenland
Das Beratungsprojekt des ÖGB Burgenland „MIG – Mehrsprachliche Beratungsstelle im Grenzraum“ versucht, genau diese Menschen mit verschiedensten Angeboten und Aktionen zu erreichen. „Für uns als ArbeitnehmerInnenvertreter gilt ganz klar: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Aus Erfahrung wissen wir, dass ausländische ArbeitnehmerInnen ihre Rechte einfordern, wenn sie sie kennen. Also geben wir ihnen die Informationen, die sie brauchen, in ihrer Muttersprache, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern“, erklärt MIG-Projektleiter Bertold Dallos. Seit 2004 führt der ÖGB Burgenland muttersprachliche Beratungen in Form von Projekten durch. Vor allem nach der Arbeitsmarktöffnung im Mai 2011 hat der ÖGB in den Grenzgebieten verstärkt auf Rechtsberatung auf Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch gesetzt. Ziel war und ist unter anderem, die ausländischen ArbeitnehmerInnen über die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich zu informieren. Zugleich sollte ein Erfahrungsaustausch ermöglicht werden, um eventuellen Handlungsbedarf am Arbeitsmarkt frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen setzen zu können.
Bis heute wurden mehr als 80.000 ArbeitnehmerInnen informiert und beraten – Tausende Fälle konnten positiv erledigt und Lohn- und Sozialdumping erfolgreich verhindert werden. Das neue Projekt „MIG“ läuft seit 1. April 2015 und ist als Nachfolger des Projektes „IGR – Zukunft im Grenzraum“ zu sehen. Damit hat der ÖGB wieder einen wichtigen Info-Point für ausländische ArbeitnehmerInnen geschaffen. Zwei Ungarisch sprechende MitarbeiterInnen, der Projektleiter Dallos, eine Juristin mit ungarischer Muttersprache und ein Rumänisch sprechender Jurist bilden das MIG-Team. Sie kümmern sich um die Anliegen der Beschäftigten, geben allgemeine Informationen und unterstützen die KollegInnen in den Fachgewerkschaften, der Arbeiterkammer und der Gebietskrankenkasse durch Dolmetsch- und Übersetzungstätigkeit. Das MIG-Team führt auch sehr oft Beratungen und Informationsaktionen vor Ort durch. So etwa in der Sonnentherme Lutzmannsburg oder im Designer Outlet Parndorf. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) sowie der Gewerkschaft vida waren zum Beispiel BetreuerInnen an den Grenzübergängen Hegyeshalom-Nickelsdorf, Sopron-Klingenbach und Fertöd-Pamhagen unterwegs, um Erstberatung im Arbeitsrecht anzubieten. „‚Bin ich richtig angemeldet‘ oder ‚Welche Sonderzahlung steht mir zu?‘ – die Fragen ziehen sich über mehrere Themenfelder. Arbeitsrechtliche Probleme stehen bei den Infogesprächen ganz oben auf der Liste“, sagt Dallos. Insgesamt nahmen an drei Tagen mehr als 200 Menschen diese in Anspruch.

Projekte in den EU-Staaten
„Wir leben in Zeiten eines völlig integrierten Arbeitsmarktes, Menschen können überall hingehen und überall arbeiten. Das Wichtigste für uns als Gewerkschaften ist, dass sie faire Arbeitsbedingungen vorfinden. Niemand soll benachteiligt werden, nur weil er oder sie aus einem anderen Land kommt. Das ist gut für alle, die heimischen und die neu hinzukommenden Beschäftigten, aber auch für Betriebe, denn es garantiert ihnen einen fairen Wettbewerb“, sagte Erich Foglar, ÖGB-Präsident, anlässlich der im März eröffneten muttersprachlichen Rechtsberatung auf Bulgarisch und Rumänisch im ÖGB. Plamen Dimitrov, Präsident der Konföderation der Unabhängigen Gewerkschaften Bulgariens, betonte in diesem Zusammenhang, dass ähnliche Projekte auch in vielen anderen europäischen Staaten gestartet wurden und vor allem in Krisenzeiten für bulgarische ArbeitnehmerInnen besonders wichtig sind. Bei einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Konferenz „Faire Mobilität 2014“ in Deutschland hob Dimitrov hervor, dass die Zusammenarbeit der Gewerkschaften zum „European Fair Mobility Project“ (Faire Mobilität) geführt hat – ein Kooperationsprojekt zwischen DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) und Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsbünden in Bulgarien, Rumänien und Slowenien. Das Ziel des Projektes ist, mobile ArbeitnehmerInnen bereits vor der Arbeitsaufnahme in Deutschland über ihre Rechte auf dem Arbeitsmarkt zu informieren. Das Projekt hat sechs Beratungsstellen in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Stuttgart, Kiel und München mit unterschiedlichen Kompetenzschwerpunkten und sprachlichen Ausrichtungen.

Broschüren zur Unterstützung
Da in der EU die Mobilität von Beschäftigten in den vergangenen Jahren durch den wirtschaftlichen Druck deutlich zugenommen hat, kommen auch immer mehr Menschen aus Südeuropa, wie etwa aus Spanien und Griechenland, nach Österreich und Deutschland. Gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di in Deutschland führte das Projekt „Faire Mobilität“ vor etwa zwei Jahren eine Informationsveranstaltung für spanische Fachpflegekräfte durch. Anlass dafür war, dass sich viele junge SpanierInnen, die sowohl in der häuslichen als auch stationären Pflege arbeiten, an Beratungsstellen vor allem mit Fragen zur Rückzahlung von Weiterbildungskosten wandten. Zudem beklagten die Beschäftigten Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, eine im Vergleich zu anderen KollegInnen schlechtere Bezahlung und fehlende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bei der Veranstaltung wurde mithilfe einer spanischen Dolmetscherin versucht, die Betroffenen über ihre rechtliche Situation zu informieren. Der DGB hat im selben Jahr mit einigen Kooperationspartnern die Broschüre „Wissen ist Schutz!“ für spanische BürgerInnen in Deutschland herausgegeben. Diese bietet Tipps, wie sie sich am besten auf den Arbeitsmarkt vorbereiten können und worauf sie achten müssen, vor allem aber auch, an wen sie sich in Deutschland zur Unterstützung wenden können. Inzwischen existiert die Broschüre auch auf Bulgarisch, Polnisch, Rumänisch und Griechisch sowie jeweils in einer deutschen Übersetzung.

Mit dem IGB weltweit vernetzt
Viele aktuelle Probleme können nicht innerhalb der eigenen Grenzen, sondern nur international gelöst werden. Mit allen Ländern der Welt laufend direkten Kontakt zu halten und sich auszutauschen, das ist aber für Gewerkschaften fast unmöglich. Brauchen sie jedoch Informationen, zum Beispiel aus Japan, dann bekommen sie Unterstützung vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB/ITUC), der im Jahr 2006 in Wien gegründet wurde. „Der IGB ist unser Auge und Ohr in der Welt“, erklärt Marcus Strohmeier, Internationaler Sekretär des ÖGB. Dem IGB gehören mehr als 300 Gewerkschaften an. Auch in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist der ÖGB vertreten. Anfang Juni besuchte eine Delegation der GBH die Jahreskonferenz der ILO. Thema waren weltweite Standards für ArbeitnehmerInnen. Parallel dazu wurde eine internationale Unterstützungsaktion der Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) für Arbeitsmigranten in Katar und deren Familien im Heimatland gestartet. Bisher verunglückten dort 1.993 indische und nepalesische Bauarbeiter tödlich. „Wenn es für den Fußball internationale Spielregeln gibt, verstehe ich nicht, warum das nicht auch für Arbeitsstandards möglich ist“, sagt Josef Muchitsch, GBH-Vorsitzender, und freut sich, dank dieser Unterstützungsaktion einen Beitrag zum Wiederaufbau von Infrastruktur leisten zu können
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Weitere Infos
www.oegb.at/Burgenland
www.mitgliederservice.at
www.gbh.at
www.dgb.de

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407345 Viele aktuelle Probleme können nicht innerhalb der eigenen Grenzen, sondern nur international gelöst werden. Unterstützung bietet der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB/ITUC). http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407041 Keine Alternative Arbeit war über lange Zeit hinweg für die meisten Menschen an einen Ort gebunden. Wer arbeitet, fährt in den allermeisten Fällen zu einem Arbeitsplatz – ein Büro, eine Fabrik oder ein Depot. Doch oft gehört der lokale Arbeitsplatz zu einem großen, international agierenden Unternehmen. Die Firmenzentrale kann sich in Österreich, vielleicht aber auch in Frankfurt oder London befinden, das lokale Unternehmen Teil eines internationalen Firmengeflechts sein. Umso schwieriger fällt natürlich die Organisierung der ArbeitnehmerInnen.

Fuß in die Tür
Wolfgang Greif weiß ein Lied davon zu singen. Bei der GPA-djp leitet er die Abteilung „Europa, Konzerne und Internationale Beziehungen“. In dieser Funktion beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten und Problemen gewerkschaftlicher Solidarität innerhalb großer internationaler Konzerne. Diese findet oft durch sogenannte Europäische Betriebsräte (EBR) statt. „Derzeit haben rund 25 Konzerne mit zentraler Unternehmensleitung in Österreich einen EBR“, erzählt er. „Doch viel häufiger sind österreichische Betriebsräte Teil eines EBR von Konzernen, die in Österreich agieren, aber ihre Unternehmensleitung im Ausland haben. Da werden zentrale wirtschaftliche Entscheidungen nicht mehr von der lokalen Geschäftsführung, sondern von der zentralen Unternehmensführung aus getroffen. Die EBR sind ein Mittel für lokale Betriebsräte, hier einen Fuß in die Tür der wirtschaftlichen Mitbestimmung zu bekommen.“
Letzteres gestaltet sich bei vielen internationalen Konzernen schwierig, so Greif. „Es gibt österreichische Unternehmen, die sich im Inland pipifein verhalten, aber kaum gehen sie nach Osteuropa, verhindern sie dort die Gründung von Gewerkschaften in ihrem Betrieb. Oder nehmen wir den schwedischen H&M-Konzern. In Schweden gewinnen sie alle möglichen Preise als besonders toller Arbeitgeber. Aber in Österreich haben wir viele Probleme mit ihnen. Deshalb ist es wichtig, einen internationalen Austausch zu entwickeln.“ Aber wie kann konkrete internationale Solidarität innerhalb eines Unternehmens entstehen? Was, wenn ein Konzern beispielsweise an einem Standort Arbeitsplätze abbaut? „Natürlich sind alle BelegschaftsvertreterInnen auch ‚ihren Leuten‘ verpflichtet“, meint Greif. „Dort sind sie gewählt und legitimiert. Insofern ist die Identität als Standortvertreter kein Fehler, sondern Ausgangspunkt grenzübergreifender Kooperation. Die Herausforderung ist es, eine wirkliche europäische beziehungsweise internationale Identität gegenüber der zentralen Konzernleitung zu gewinnen. Das ist nicht jedem in die Wiege gelegt und muss erarbeitet werden. Das hat viel mit Empowerment, Qualifizierung und europäischer Koordinierung der beteiligten Gewerkschaften zu tun.“
Genau das versucht unter anderem der internationale Dachverband UNI Global Union zu organisieren. Hinter diesem Namen versteckt sich ein im Jänner 2000 gegründeter Zusammenschluss internationaler Gewerkschaftsverbände im Dienstleistungssektor. 20 Millionen Beschäftigte in über 900 Mitgliedsorganisationen in mehr als 150 Ländern vertritt der Verband weltweit. Ein Beispiel für die Arbeit von UNI Global Union ist der im Jahr 2013 veröffentlichte Bericht „Aussagen von Mitarbeitern der Deutschen Telekom“. Hierbei handelt es sich um eine Studie über die Arbeitsbedingungen bei Tochterunternehmen der Deutschen Telekom außerhalb Deutschlands. An seiner Erstellung waren GewerkschafterInnen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, der Tschechischen Republik, Griechenland, Montenegro, Rumänien und den USA beteiligt, die eine Befragung der DT-MitarbeiterInnen in den jeweiligen Ländern organisierten.

Katastrophale Bedingungen
Der Bericht förderte katastrophale Arbeitsbedingungen zutage. Außerdem kam eine durch die erklärte Gewerkschaftsfeindlichkeit des Unternehmens beförderte Atmosphäre der Angst ans Licht: „Bei ihrer ersten Kontaktaufnahme mit den Arbeitnehmern erhielten die Gewerkschaften einen Einblick, wie die Unternehmen auf die Versuche von Gewerkschaften reagieren, mit den Angestellten in Kontakt zu treten. In der Regel hatten die Mitarbeiter Angst, sich öffentlich als Befürworter der Gewerkschaft zu ‚outen‘. Selbst in Ländern mit Gewerkschaftspräsenz und Kollektivverhandlungen wurden die Gewerkschaften mit Verboten konfrontiert, mit den Angestellten über die Befragung zu sprechen“, heißt es in dem Bericht.
Ein Ergebnis der Studie ist die Forderung von UNI Global Union an die Deutsche Telekom, ergebnisoffene Verhandlungen zur Erstellung eines globalen Rahmenvertrages aufzunehmen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Vereinigungsfreiheit: „Wir fordern eine konzernweite, schriftliche Verpflichtung zur Wahrung der Rechte aller Mitarbeiter von Geschäftsbereichen der DT auf der ganzen Welt, Gewerkschaften zu gründen, ihnen beizutreten und an Kollektivverhandlungen teilzunehmen.“

Verschiedene Mentalitäten
Im Kampf zur Durchsetzung solcher Forderungen treffen häufig sehr verschiedene gewerkschaftliche Mentalitäten aufeinander, so Wolfgang Greif. „Neben den oft sehr unterschiedlichen rechtlichen Lagen in den verschiedenen Ländern gibt es auch in den Gewerkschaften verschiedene Konzepte. Die einen setzen auf Kooperation, die anderen auf den Konflikt.“ Das lässt sich auch beim seit 2013 in Deutschland beim Internetversandhändler Amazon geführten Arbeitskampf der Gewerkschaft ver.di herauslesen. Mehr als 80-mal wurden die deutschen Lagerhäuser des Konzerns bereits bestreikt, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. Dieses Ziel wurde zwar noch nicht erreicht, wohl konnte aber eine stetig selbstbewusster werdende gewerkschaftliche Betriebsstruktur im Angesicht einer sehr feindlichen Stimmung vonseiten der Unternehmensführung aufgebaut werden.
Auch in diesem Arbeitskampf kommt internationaler gewerkschaftlicher Solidarität eine zentrale Rolle zu, wie die Journalisten Jörn Boewe und Johannes Schulten in einer lesenswerten Studie schreiben. Denn Amazon versucht, die Beschäftigten der verschiedenen Länder gegeneinander auszuspielen. Amazon hat „systematisch damit begonnen, Aufträge aus bestreikten Versandzentren ins Ausland, vor allem nach Polen, Tschechien und Frankreich, zu verlagern. Hier wird deutlich, wie dringend nötig es ist, die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften zu verstärken – und zwar nicht nur auf der Ebene der Vorstände, sondern auch und vor allem bei der direkten Vernetzung der betrieblichen Aktiven“, schreiben sie.
Dabei muss die Gewerkschaft ver.di diplomatisch vorgehen. So konkurrieren in Polen zwei Gewerkschaften miteinander. Eine davon unterstützte einen spontanen Solidaritätsstreik mit den deutschen KollegInnen, während die andere auf Sozialpartnerschaft setzt. Hier schlagen Boewe und Schulten eine Vermittlung vonseiten der Gewerkschaft ver.di vor. Wichtig sei es, „keine Partei zu ergreifen, sondern Hilfe anzubieten, das Verhältnis der beiden Organisationen zu entkrampfen, um negative Auswirkungen der unterschiedlichen politisch-strategischen und organisationspolitischen Konzepte auf die Auseinandersetzung mit dem Unternehmen möglichst zu begrenzen“.

Austausch und Koordinierung
Tatsächlich haben sich bei Amazon vielfältige internationale Beziehungen gebildet. Es gibt sowohl selbst organisierte Austauschtreffen von AktivistInnen an der Basis als auch durch UNI Global Union initiierte Koordinationstreffen auf der gewerkschaftlichen Führungsebene. Das ist kein Widerspruch, finden Boewe und Schulten: „Direkte horizontale Kontakte zwischen gewerkschaftlich Aktiven an verschiedenen Amazon-Standorten, sowohl national als auch grenzübergreifend, sind ein hohes Gut und in der Auseinandersetzung mit einem transnationalen Konzern unabdingbar. Sie sind keine Konkurrenzaktivität zur Kooperation auf Ebene des Dachverbandes UNI und der nationalen Ebene.“
Letztendlich gibt es für die Gewerkschaftsbewegung keine Alternative zum Aufbau lebendiger Solidarität innerhalb global operierender Konzerne. Geschieht dies nicht, droht ein globales Wettrennen um die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Diese Erkenntnis scheint sich langsam herumzusprechen
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Linktipps
Jörn Boewe, Johannes Schulten: Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten – Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel, Hg.: Rosa Luxemburg Stiftung, 2015:
tinyurl.com/jxjm4q9
Aussagen von Mitarbeitern der Deutschen Telekom: Ein Bericht über Geschäftsbereiche außerhalb Deutschlands, Hg.: UNI Global Union, 2013:
tinyurl.com/zkpa8vj
Website des Dachverbandes UNI Global Union:
www.uniglobalunion.org/de

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407035 In Europa treffen verschiedene gewerkschaftliche Mentalitäten aufeinander. Die einen setzen auf Kooperation, die anderen auf den Konflikt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042407017 Heterogene Herausforderungen Auf dem Weg in eine junge Demokratie hat der tunesische Gewerkschaftsbund Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT) eine zentrale Rolle gespielt. Für das Engagement erhielt die UGTT gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband, der Menschenrechtsliga und der Anwaltskammer im Jahr 2015 den Friedensnobelpreis. In Ungarn hingegen hat der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orbán die Gewerkschaften zu einer Farce verkommen lassen. Sie sind in den vergangenen sechs Jahren derart in der Versenkung verschwunden, dass die deutschsprachige Tageszeitung „Pester Lloyd“ kürzlich besorgt nachfragte, ob es die Gewerkschaften überhaupt noch gibt. In Italien wiederum haben die einflussreichen Gewerkschaften, vor allem der größte Gewerkschaftsbund Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), aufgrund der Wirtschaftskrise schmerzhafte Abstriche machen müssen. Trotz der Gewerkschaftsproteste zog Premier Matteo Renzi seine groß angekündigte Arbeitsmarktreform unbeirrt durch.

Zweiklassensystem
Italiens Wirtschaft besteht vornehmlich aus Mittelstands- und Kleinunternehmen, es sind oftmals Familienbetriebe, in denen es keine Betriebsräte gibt. In den vergangenen Jahrzehnten ist ein „Zweiklassensystem“ auf dem Arbeitsmarkt entstanden: Auf der einen Seite befinden sich gut abgesicherte ArbeitnehmerInnen mit Anstellungen und Privilegien. Auf der anderen Seite lebt eine immer größere Zahl jüngerer Leute in äußerst prekären Verhältnissen. Für die zurückhaltende Einstellungspolitik der Unternehmen werden strenge rechtliche Auflagen und die Unkündbarkeit angestellter MitarbeiterInnen verantwortlich gemacht. Nur noch in Ausnahmefällen wurden Kurzzeitverträge vergeben. Den Gewerkschaften wurde vorgeworfen, durch die Verteidigung des rigiden Kündigungsschutzes den Markt zu blockieren. Ein zentraler Punkt von Renzis „Jobs Act“ ist die Lockerung des in Italien traditionsgemäß sehr strengen Kündigungsschutzes. Das wäre noch vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen: Wenn die ArbeiterInnenbewegung zum Generalstreik aufrief, legten Millionen ArbeiterInnen das Land lahm und die Regierung zitterte. Der Ausstand dauerte so lange, bis die verantwortlichen PolitikerInnen schließlich den Forderungen nachgaben.
Regierungschef Renzi brüstet sich damit, durch die Reform 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Die Arbeitslosigkeit ist von 13,2 auf 11,3 Prozent gesunken. Im Süden des Landes allerdings ist laut Schätzungen weiterhin jeder zweite junge Mensch arbeitslos. Die CGIL-Vorsitzende Susanna Camusso kann über Renzis Optimismus nur den Kopf schütteln. „Interessant ist aber, dass im vergangenen Jahr Arbeitsgutscheine stark gewachsen sind“, sagt Camusso. „Der größte gesetzliche Sozialversicherungsträger hat hundert Millionen davon ausgestellt.“ Mit diesen Gutscheinen kann ein Unternehmer Zeitarbeit kaufen. Bei einem Zehn-Euro-Gutschein bekommt der oder die ArbeitnehmerIn 7,50 Euro, die restlichen 2,50 Euro sind ein minimaler Versicherungs- und Rentenbeitrag. Zehn Euro sind eigentlich als Stundenlohn gedacht, es kommt aber oft vor, dass dafür drei Arbeitsstunden geleistet werden. „Diese Gutscheine sind im Tourismus, in der Landwirtschaft und in Fabriken sehr verbreitet. Betroffen sind vor allem Jugendliche“, berichtet die Gewerkschafterin. Ein gesetzlicher Mindestlohn wurde in Italien bisher noch nicht eingeführt. Laut CGIL plant Renzis Regierungskoalition einen Mindestlohn von 5,50 Euro pro Stunde. „Ein Großteil der jungen Leute denkt angesichts der Lage daran, dass sich eine Zukunft nur anderswo aufbauen lässt. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird zunehmend tiefer. Ich verstehe nicht, wie man von einer Schönwetterlage sprechen kann, die es für die meisten ItalienerInnen gar nicht gibt“, wundert sich Camusso.

Fachkräftemangel
Auf der Suche nach einer besseren Zukunft brechen auch junge, gut ausgebildete UngarInnen in Scharen Richtung Ausland auf. Seit 2010 haben 600.000 UngarInnen ihre Heimat verlassen. Das führte zu einem Fachkräftemangel in vielen Sektoren, unter anderem in der Hotellerie. Kein Wunder bei Jobs, die mit einem minimalen Verdienst von weniger als zwei Euro entlohnt werden. So verdient eine Hotelfachkraft am Plattensee bestenfalls 600 Euro monatlich und in diesem Betrag ist ein großzügiges Trinkgeld bereits einberechnet. Eine Studentin aus Szeged hat sich schon fürs Auswandern entschieden: „Hier kommen wir mit unserem Verdienst nicht über die Runden. Im Ausland aber können wir uns nach ein paar Jahren ein Auto oder eine kleine Wohnung leisten. Auf jeden Fall will ich weg. Sobald mein Freund sein Diplom hat, gehen wir weg, wenigstens für ein paar Jahre“, sagt sie.

Prekärer denn je
Die Arbeitsbedingungen in Ungarn gestalten sich prekärer denn je: Entrechtung, zu niedrige Einkommen und Zukunftsangst sind die Hauptprobleme. Weitere Baustellen sind Lohndumping, fehlende rechtliche Absicherungen, ein marodes Rentensystem sowie fehlender Kündigungsschutz und Urlaubsanspruch. „Die europaweit gültigen Mindeststandards bei Kündigungsschutz und allgemein bei Arbeitsrechten wurden längst unterschritten. Orban hat den Kündigungsschutz bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht“, sagt ein Beobachter. Dazu kommt die prekäre gewerkschaftliche Situation. Die Gewerkschaft MSZSZ ist aus den drei größten Konföderationen des Landes entstanden. Sie ist kurz nach der Gründung im Jahr 2013 praktisch in der Versenkung verschwunden. Ihr gehören 250.000 ArbeiterInnen und Angestellte an. Bis auf regelmäßige Aussendungen, in denen MSZSZ-Chef László Kordás beteuert, dass „alles dank der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung gut laufe“, ist nichts mehr zu hören. Ab und zu finden ein paar kleine Demos statt, die allerdings mehr einen „Proforma-Charakter haben“, erklärt ein Beobachter der Politszene in Budapest. „Gewerkschaftsfunktionäre müssen den Mut haben, ihr Scheitern sowie ihre eigene Agonie und Weinerlichkeit einzugestehen. Nicht nur die demokratische Opposition, sondern auch die Gewerkschaftsbewegung wurde von Orbán und seinen Kommandos komplett zerschlagen.“
Während in Tunesien der führende Gewerkschaftsbund Union Générale Tunisienne du Travail in der postrevolutionären Phase stark mit politischer Arbeit beschäftigt war, legt er nun wieder stärker den Fokus auf die Kernambitionen: Aushandlungen akzeptabler Arbeitsverträge, Korruptionsbekämpfung sowie eine stärkere Einbeziehung der Basis und vor allem der Frauen stehen auf dem Programm. Weitere Prioritäten sind der Ausbau des Reformprozesses, der beruflichen Bildung und industrieller Beziehungen. Doch der Weg ist hürdenreich und von Drohungen des IS-Terrors gepflastert.

Macht und Gegenmacht
Unter dem Dach der UGTT sind 24 regionale Einzel- und 19 Branchengewerkschaften sowie 21 Basisorganisationen versammelt. Der größte und bis zur Revolution einzige legale Gewerkschaftsverbund tritt für die Interessen seiner 700.000 Mitglieder in jährlichen Lohnverhandlungen gegenüber dem Arbeitgeberverband ein. „Die UGTT war und ist eine sozioökonomische, aber auch eine politische Kontrollinstanz“, erklärt Gewerkschafter Mustapha Ben Ahmed. „Sie war immer hin- und hergerissen zwischen Macht und Gegenmacht“, analysiert das langjährige Gewerkschaftsmitglied. Im Gewerkschaftsverband habe es immer zwei Strömungen gegeben: jene, die in Opposition zum Regime standen, und jene, die den Staat unterstützten. „Aber in den wichtigen historischen Momenten hat sich die Gewerkschaft seit ihrer Gründung 1946 immer für die Opposition, für den Wandel entschieden.“ Unter der Diktatur von Ben Ali gab es außer der Gewerkschaft nichts, mit dem man Widerstand gegen das Regime leisten konnte. „Es gibt uns einen Freiraum gegen die religiösen Kräfte, die unsere Rechte einschränken wollen“, betont Gewerkschafterin Nejiba Bakhtri. Die Terroranschläge in Sousse und Tunis im vergangenen Jahr waren ein riesiger Rückschlag: Mit dem Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig im Land eingebrochen. Dutzende Hotels mussten schließen, Tausende TunesierInnen verloren ihre Arbeitsplätze. Finanzielle Hilfe gibt es für die Arbeitslosen keine. Die Gewerkschaft ist sich ihrer Verantwortung und des großen Drucks bewusst. Die Zeit rennt. Umso wichtiger ist es, appelliert Friedensnobelpreisträger und Gewerkschaftsführer Houcine Abassi, gemeinsam für den Traum einer offenen Gesellschaft einzutreten: „Die Terroristen wollen das genaue Gegenteil.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin für die österreichische Tageszeitung Kurier und Printmagazine Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042407008 Der Präsidentin der tunesischen Gewerkschaft Wided Bouchamaoui wurde dieses Jahr der Friedensnobelpreis verliehen. Im Parlament in Tunis gratulierte ihr Parlamentspräsident Mohamed Ennaceur zu dieser Würdigung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406994 Neue Verbindungen An Beispielen für Ausbeutung und miserable Arbeitsbedingungen – auch Lohn- und Sozialdumping genannt – mangelt es nicht: Cateringpersonal arbeitet in österreichischen Eisenbahnen zu ungarischen statt zu österreichischen Löhnen. BusfahrerInnen verzichten auf Lenk- und Ruhepausen, um den Fahrplan einzuhalten. Lkw-FahrerInnen sind über dubiose Firmenkonstruktionen für österreichische Speditionen in ganz Europa zu slowakischen Löhnen unterwegs.

Konkurrenzdruck
Offene Grenzen, Globalisierung und Dienstleistungsfreiheit haben den Konkurrenzdruck für die Unternehmen erhöht und letztendlich die Situation für viele ArbeitnehmerInnen verschlechtert.

Fair Transport Europe
In großem Maßstab denken, grenzüberschreitend vernetzen und handeln lautet daher immer öfter auch das Motto von Gewerkschaften. Eine Million Unterschriften will die Europäische TransportarbeiterInnenföderation ETF gemeinsam mit 231 Gewerkschaften aus 28 Staaten bis September für die Kampagne „Fair Transport Europe“ sammeln. In Form einer Europäischen BürgerInnen-Initiative (EBI) sollen europaweit Maßnahmen durchgesetzt werden, die den Beschäftigten im Verkehrsbereich gute soziale Bedingungen und faire Löhne garantieren. Ein weiteres Ziel ist es, auch in Zukunft zu gewährleisten, dass die Verkehrsversorgung Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge bleibt. Die wichtigsten Forderungen von „Fair Transport Europe“ sind:

  • Klare Definition von Sozialdumping sowie Harmonisierung der Sozialgesetzgebung und ihrer Durchsetzung in Europa;
  • eine „soziale Fortschrittsklausel“, welche die Sozial- und ArbeitnehmerInnenrechte mit den Grundsätzen der Personenfreizügigkeit verbindet;
  • Anerkennung der Gewerkschaften und ihrer Kollektivvertragsfähigkeit.

PilotInnen in Leiharbeit
Christian Horvath, Experte für Transport und Bahnverkehr bei der Gewerkschaft vida, kennt den aktuellen Stand: „Bisher haben wir rund 4.000 Unterschriften in Österreich gesammelt, mindestens 14.250 sind erforderlich für die Anerkennung als Teil der EBI. Die größte Hürde bei der Sammlung der Unterschriften ist die Angabe der Reisepass- bzw. österreichischen Personalausweisnummer.“ In Österreich sind rund 200.000 Personen im Transport- und Lagereiwesen beschäftigt, rund die Hälfte davon ist auf der Straße unterwegs. Mehr als 70 Prozent der Güter werden in der EU per Lkw transportiert. Auf den durch die Liberalisierung des Verkehrsmarktes entstandenen Konkurrenzdruck in Form von Preiswettkämpfen reagierten auch heimische Unternehmen mit der Reduktion des größten Kostenfaktors. Die Folge waren Personalkürzungen, Outsourcing sowie Sparmaßnahmen bei Löhnen und Gehältern. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments ergab etwa, dass nur rund 50 Prozent der PilotInnen, die für Billiglinien unterwegs sind, einen direkten, unbefristeten Arbeitsvertrag mit der jeweiligen Fluggesellschaft haben. Der Rest arbeitet selbstständig, befristet oder in Leiharbeit.

DACH-Allianz
Der Kosten- und Konkurrenzdruck bei Eurowings, der Billig-Fluglinie der Lufthansa, führte im April zur Gründung der DACH-Allianz. Damit haben vier Gewerkschaften und ein Verband ihren Schulterschluss demonstriert: Die PilotInnenvereinigung Cockpit und die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO) aus Deutschland, vida aus Österreich sowie kapers (Schweizerische Gewerkschaft des Kabinenpersonals) und AEROPERS (Verband des SWISS-Cockpitpersonals) aus der Schweiz treten an, um Qualitäts- und Sozialkriterien in der Arbeitswelt der Luftfahrt-Beschäftigten stärker in den Vordergrund zu rücken. „Globalisierung, Dienstleistungsfreiheit etc. sind für Unternehmen schon länger Selbstverständlichkeiten. Aber es stört sie, wenn ArbeitnehmerInnenvertretungen das Gleiche machen und sich international vernetzen“, berichtet Johannes Schwarcz, vida-Vorsitzender des Fachbereichs Luft- und Schiffverkehr. Geplant sind regelmäßige Treffen der DACH-Beteiligten, zum Teil auch gemeinsam mit Gewerkschaften aus Luxemburg.
Die gewerkschaftliche Zusammenarbeit endet selbstverständlich nicht an den EU-Grenzen, die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF) ist in zahlreichen Ländern sehr aktiv. Es laufen immer mehrere Kampagnen. Weltweit 130 ITF-InspektorInnen sind AnsprechpartnerInnen direkt vor Ort.
Seit fast 20 Jahren organisiert die ITF regelmäßig eine Aktionswoche für Gewerkschaften im Straßentransport, bei den Bahnen und im öffentlichen Personennahverkehr. Es begann 1997 mit einem Aktionstag für Straßentransportbeschäftigte unter dem Motto „Übermüdung tötet“. Im Oktober 2014 wurde im Rahmen der Aktionswoche unter anderem eine sektorenübergreifende Kampagne zum Thema Containersicherheit gestartet. Beteiligt war nicht nur die ETF, sondern auch Gewerkschaften aus vielen Ländern wie Ägypten, den Niederlanden oder Rumänien waren mit dabei.
Auf der Website der ITF finden sich zahlreiche Beispiele für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Aktuell ziehen beispielsweise seit April neun Gewerkschaften aus sechs Ländern gegen ein rasant expandierendes transnationales Unternehmen an einem Strang. Das US-amerikanische Logistikunternehmen XPO hat seit 2011 zahlreiche Verkehrsunternehmen aufgekauft. Das Umsatzvolumen ist seitdem von 177 Millionen auf 15 Milliarden Dollar hochgeschnellt, und die Beschäftigten befürchten, dass es durch den Fokus auf schnellen Profit zu schlechteren Arbeits- und Sicherheitsbedingungen sowie zu Stellenabbau kommen wird. An der ersten XPO-Strategiesitzung, die auf Einladung der ITF in Paris stattfand, nahmen GewerkschafterInnen aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Großbritannien und den USA teil. Sie erörterten den Geschäftsplan von XPO, seine derzeitigen Operationen und Übernahmen sowie seine Leitungsstrukturen und wichtigsten InvestorInnen und tauschten sich über ihre jeweiligen Erfahrungen mit dem Unternehmen aus. Außerdem wurden konkrete Maßnahmen erarbeitet, wie sich die Beschäftigten im Unternehmen zur Wehr setzen können.

Branchenübergreifende Vernetzung
Es klingt fast wie einem klassischen Sozialroman entnommen, aber tatsächlich sind ausstehende Heuern auch heute noch das häufigste Problem bei ITF-Kontrollen im Bereich Schifffahrt. Hier ist es möglich, dass sich Seeleute, die nicht bezahlt oder auf andere Weise unter Druck gesetzt werden, direkt an die ITF-InspektorInnen wenden. „Diese intervenieren dann entsprechend, egal in welchem Hafen sich das betreffende Schiff befindet. Das beschränkt sich keineswegs nur auf verbale oder schriftliche Interventionen, es kommt durchaus vor, dass das Schiff dann eben nicht entladen wird“, berichtet Christian Horvath.

Gegendruck
„Our Hub“ nennt sich ein branchenübergreifendes ITF-Projekt: Beschäftigte im Straßentransport, bei den Bahnen, in der Seeschifffahrt und den Häfen sowie in Raffinerien, Kraftwerken, Stahlwerken, Lebensmittel- und Lagerunternehmen und der Öl- und Gasindustrie stammen zwar aus unterschiedlichen Sektoren, arbeiten aber häufig alle rund um einen Schwerpunkt, beispielsweise einen Hafen oder einen Flughafen. Das Programm für industrielle Drehkreuze (Hub-Programm) will ArbeitnehmerInnen aus unterschiedlichen Sektoren zusammenbringen, um Kollektivmaßnahmen und gegenseitige Unterstützung zu ermöglichen, statt den globalen Arbeitgebern freie Hand zu lassen, sie gegeneinander auszuspielen.
Die britische Unite war die erste Gewerkschaft, die das Programm als Modellversuch umsetzte und Beschäftigte aus fünf Sektoren vernetzte. Von diesen Erfahrungen profitieren jetzt GewerkschafterInnen aus aller Welt, die die entsprechenden ITF-Schulungen besuchen.

Linktipps
Unterzeichnen der Initiative Fair Transport Europe:
www.fairtransporteurope.at
(gültig nur mit Reisepass- oder Personalausweisnummer)
Zahlreiche Infos über Kampagnen, Erfahrungsberichte etc. auch auf Deutsch:
www.itfglobal.org
AK/FORBA-Studie „Grenzenlose Mobilität – Grenzenlose Ausbeutung“:
tinyurl.com/zyojstc

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406982 Offene Grenzen, Globalisierung und Dienstleistungsfreiheit haben den Konkurrenzdruck für die Unternehmen erhöht und die Situation für viele ArbeitnehmerInnen verschlechtert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406888 Raus aus der Schokoladen-Falle Schokolade ist ein Massenprodukt. In verschiedenen Formen finden wir sie im Supermarkt und können es uns leisten, sie zu kaufen. Mehr als die Hälfte des Kakaos, der weltweit angebaut wird, stammt aus der Elfenbeinküste. Die meisten Schokoladeprodukte, die wir hierzulande kaufen, enthalten Kakao aus dieser Region. Während wir für die Schokolade einen leistbaren Preis zahlen, zahlen Menschen in der Region dafür einen hohen Preis.
Die ErntehelferInnen sind meistens Kinder und Jugendliche aus dem benachbarten Burkina Faso. Die Bäuerinnen und Bauern müssen von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben. Sie rechtfertigen den Einsatz von Kindern und Jugendlichen damit, dass sie es sich nicht leisten können, Erwachsene zu beschäftigen, weil die AbnehmerInnen ihnen keinen fairen Preis dafür bezahlen. Die Kinder und Jugendlichen werden, gelockt von der Hoffnung, ihre Familien finanziell unterstützen zu können, weitervermittelt. Es kann durchaus vorkommen, dass sie für ihre Leistungen nicht entschädigt werden. Darüber hinaus ist es auch nicht selten, dass sie Gewalt erfahren. Zumindest sind sie meist monatelang von ihren Familien getrennt. 

Arbeiten statt spielen und lernen
Dies hat zwei Auswirkungen: Einerseits gibt es weniger Arbeit für die Erwachsenen. Andererseits sind Kinder, die mit Lernen und Spielen beschäftigt sein sollten, schwersten Formen von Arbeit und Gewalt ausgesetzt. Gleichzeitig macht die kakaoverarbeitende Industrie, die sich auf einige wenige, aber sehr große Konzerne beschränkt, Millionengewinne. Soziale Verantwortung aber zeigen sie allzu selten. Was hat das mit uns zu tun? Auch Europa sieht sich mit Problemen konfrontiert, die aus der Globalisierung resultieren. Die Rechte von ArbeitnehmerInnen werden in vielen Ländern „flexibilisiert“, was gleichbedeutend mit ihrer Verschlechterung ist. Beispiele dafür sind etwa Frankreich, Italien oder Griechenland. Wenn es schon in Europa so schwierig ist, könnte man fragen: Warum sollten wir uns mit den Problemen anderer beschäftigen? Warum ist Entwicklungszusammenarbeit bzw. Solidarität wichtig, wenn das eigene Land oder der eigene Kontinent von Problemen gebeutelt wird?
Aufschlussreich dabei ist, einen Schritt zurückzugehen und zu fragen: Was bedeutet denn eigentlich Entwicklungspolitik? Bei der Gründung der NATO 1949 nahm der damalige US-Präsident Harry Truman zum ersten Mal den Begriff Entwicklungspolitik in den Mund. In einer Ansprache kündigte er an, Länder, die Unterstützung brauchen, sowohl militärisch als auch finanziell unterstützen zu wollen. Das erklärte Ziel: Freiheit und Sicherheit in den jeweiligen Ländern zu sichern. Auf der einen Seite war man damals geprägt von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Auf der anderen Seite hatte der Kalte Krieg schon längst begonnen. Die Entwicklungspolitik diente westlichen Ländern Jahrzehnte hinweg zur Durchsetzung der eigenen Interessen.
Zurück in die Gegenwart: Die Austeritätspolitik, die wir seit einigen Jahren in Europa erleben, wurde jahrzehntelang in Afrika durchgeführt. Länder im globalen Süden bekamen Geld von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Abgesehen von den Rückzahlungsplänen brachten die Kredite viele Auflagen mit sich: Kürzungen der sozialen Ausgaben, Flexibilisierung der ArbeitnehmerInnenrechte und sogenannte Strukturanpassungsprogramme. Diese neoliberalen Zugänge haben in ebendiesen Ländern ihre Spuren hinterlassen. Von den verlangten „Reformen“ haben vor allem Industrieländer profitiert – und einige wenige in den sogenannten Entwicklungsländern. Das Ziel der Entwicklung wurde jedenfalls verfehlt, die Armut ist im Gegenteil sogar durch diese Entwicklungspolitik gestiegen. 

Menschen- und Steuerflucht
Die Folgen dieser Politik und anderer Interessenpolitik sind derzeit in Europa spürbar. Menschen, deren Ursprungsländer zu lebensgefährlichen und menschenunwürdigen Orten werden, machen sich selbstverständlich auf die Suche nach „Lebensstandorten“, an denen sie sich eine Existenz aufbauen können. Ob sie jetzt Kriegsflüchtlinge oder WirtschaftsmigrantInnen genannt werden, ist letztlich sekundär. Denn ihre Heimat ist aufgrund der Interessenpolitik von außenpolitischen AkteurInnen zu einem nicht lebenswerten Ort geworden. Zugleich profitieren internationale Konzerne von fehlenden ArbeitnehmerInnenrechten oder Steuerbegünstigungen im globalen Süden und erzielen unvorstellbare Gewinne. Die allzu voreilig als „anders“ bezeichneten Menschen sind aber keine „Fremden“. Vielmehr sind sie KollegInnen und haben ähnliche Bedürfnisse wie alle ArbeitnehmerInnen: eine menschenwürdige Arbeit, ein friedliches Leben und soziale Sicherheit. Allein, in ihren Herkunftsländern werden diese Bedürfnisse nicht befriedigt, wenn nicht sogar ignoriert. Die Konsequenz ist jene Fluchtbewegung, deren ZeugInnen wir wurden und vermutlich weiterhin sein werden. Am besten lässt sich diese Situation dadurch verbessern, indem die Gegebenheiten in den Herkunftsländern verbessert werden. Da die Konflikte sehr komplex sind, muss auch die Bewältigung dieser sehr komplex sein. Einer der wichtigsten Schritte ist die Verbesserung der internationalen Arbeitsrechte.
Was können wir tun? Die Beantwortung dieser Frage ist vielseitig. Jedenfalls muss ein öffentliches Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie wichtig es ist, Solidarität mit den ArbeitnehmerInnen zu zeigen und bewusst zu konsumieren. Zurück zum Beispiel Schokolade: Um die Situation zu verbessern, wurde die europäische Kampagne „Make Chocolate Fair“ ins Leben gerufen. An dieser Kampagne haben sich diverse NGOs und Gewerkschaften beteiligt. 

Die Forderungen

  • Faire Bezahlung von Kakaobauern und -bäuerinnen und ihren Arbeiterinnen
  • Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte entlang der gesamten Kakao-Wertschöpfungskette und Ablehnung ausbeuterischer Kinderarbeit
  • Anwendung eines unabhängigen Zertifizierungs- und Kontrollsystems
    Unterstützung von Kakaobauern und -bäuerinnen bei der Umsetzung einer nachhaltigen und diversifizierten Landwirtschaft

Die Bewusstseinsbildung und der internationale Druck haben bereits Erfolge gezeitigt. Manche Firmen sind auf fair gehandelten Kakao umgestiegen. Damit die ArbeitnehmerInnen, die von dieser Ausbeutung betroffen sind, Chancen auf Verbesserung haben, ist es unabdingbar, dass sie sich organisieren können. In vielen Ländern der Welt ist es leider keine Selbstverständlichkeit, eine Gewerkschaft zu gründen. Gemeinsam mit ihnen müssen wir uns dafür einsetzen, dass das zu einer Normalität wird. Auch gesetzliche Rahmenbedingungen sowie Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Regeln müssen sichergestellt werden. Solange Arbeits- und Menschenrechte den Profiten im Wege stehen, wird sich die Situation nicht ändern. Viele Firmen bekennen sich auf dem Papier zu sozialen und ökologischen Standards, aber es scheitert an der Umsetzung. Daher ist es wichtig, dass diese Standards überprüft werden und es bei Verstößen Konsequenzen gibt.
Zugleich haben wir als KonsumentInnen Möglichkeiten: In einer kapitalistischen Weltordnung, in der Produkte AbnehmerInnen finden sollten, kann auch durch bewussten Konsum politisch ein Zeichen gesetzt werden.
Gerade bei Schokolade, die nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehört, können wir durch unser Konsumverhalten auch signalisieren, dass wir bei der Ausbeutung von KollegInnen nicht mitmachen. Einerseits kann man weniger Schokolade konsumieren, sie ist nicht überlebensnotwendig. Andererseits gibt es verschiedenen Zertifizierungen wie z. B. Fairtrade, bei denen sichergestellt ist, dass bestimmte Standards eingehalten werden.

Verpflichtung
Internationale Solidarität ist also nicht nur ein ideologischer Ansatz, sondern auf vielen Ebenen eine unerlässliche Handlungsverpflichtung. Wenn wir die ArbeitnehmerInnen international nicht in ihren Forderungen unterstützen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir mit den negativen Folgen unseres Nichtstuns konfrontiert sind. Dabei ist internationale Solidarität bisweilen ziemlich einfach. 

Linktipp
Europäische Kampagne für faire Schokolade:
at.makechocolatefair.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin banu.celik@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Banu Celik, Projektleiterin bei "weltumspannend arbeiten" Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406878 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406847 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406867 Die Textil-Karawane zieht weiter Wir leben in einer Zeit, in der viel Wert auf Außenwirkung gelegt wird. Ein gepflegtes Erscheinungsbild reicht oft nicht mehr aus: Die Kleidung sollte up to date sein, das gilt auch für dazu passende Schuhe und Accessoires. Junge Menschen sollten auf keiner Party mit demselben Outfit auftauchen und die Klamotten generell öfter runderneuern. ModebloggerInnen machen es vor. „Fast fashion“, „schnelle Mode“ heißt der Trend: Modemarken bringen jetzt statt zweimal im Jahr einmal wöchentlich eine neue Kollektion heraus.
Möglich macht das die globalisierte Kleidungsindustrie, die auch was für kleine Börsen bietet: T-Shirts um vier, Hosen um zehn, Schuhe um 15 Euro. Am anderen Ende der Wertschöpfungskette, in der Produktion, herrschen weitgehend untragbare Zustände: 16-Stunden-Arbeitstage, schlechte Luft, giftiges Material, düsteres Licht, einsturzgefährdete Gebäude, fehlende soziale Absicherung sowie Löhne, die bestenfalls vor dem Verhungern bewahren, sind in Produktionsländern wie Bangladesch, China, Kambodscha, in Südosteuropa und Afrika an der Tagesordnung. Überfluss hier, Armut da. Nicht vorhandene Lebensqualität dort scheint jene bei uns zu ermöglichen.

Großer Wurf mit Haken
Muss das so sein? Oder ist Solidarität über Ländergrenzen hinweg möglich? „In manchen Bereichen funktioniert internationale Solidarität sehr gut“, sagt Monika Kemperle, stellvertretende Generalsekretärin beim internationalen Gewerkschaftsverband IndustriALL mit Sitz in Genf und selbst ehemalige Näherin. Insbesondere seit dem Rana-Plaza-Einsturz in Bangladesch, bei dem 2013 mehr als 1.100 Menschen starben und rund 2.500 verletzt wurden, hat sich viel getan. „Es hat eine Wende in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch gegeben“, sagt Kemperle. Ein Rana-Plaza-Fonds wurde installiert: Ehemalige ArbeiterInnen und Hinterbliebene erhalten Kompensationszahlungen, die nicht wie bisher einmalig, sondern laufend erfolgen und auch die Ausbildung von Waisen und den Lohnentgang von Versehrten abdecken.
Außerdem gelang „ein sehr großer Wurf, mit dem niemand gerechnet hat“: Wenige Wochen nach dem Unglück wurde ein Abkommen über Brand- und Gebäudeschutz für Kleidungsfabriken in Bangladesch durchgesetzt, das bisher von 26 Marken unterzeichnet wurde, darunter H&M, C&A, Aldi, Mango, Kik, Tchibo und Benetton. Damit verpflichten sich die Ketten dazu, dass unabhängige InspektorInnen ihre Zulieferbetriebe überprüfen dürfen. Leichte Mängel müssen behoben werden, bei Einsturzgefahr setzt ein Mechanismus ein, der zur Schließung des Gebäudes führt. Das Ganze hat aber einen Haken: Der Vertrag wurde nur für fünf Jahre vereinbart und läuft 2018 aus. „Wir bemühen uns derzeit um Nachfolgeregelungen, aber wir wissen, dass das nicht leicht ist“, sagt Monika Kemperle. 26 Kleidungshändler sind zudem ein Minimalanteil der Firmen, die in Bangladesch nähen lassen. In anderen Ländern wäre man dennoch über eine solche Regelung heilfroh.
Gewerkschaften in den Betrieben wären ein wichtiger Schritt. Doch selbst die Gründung einer Gewerkschaft wird oft unterdrückt und mit Gewalt niedergeschlagen. In Andrew Morgans Dokumentarfilm „The True Cost“, der sich mit dem gesellschaftlichen und ökologischen Preis billig produzierter Kleidung beschäftigt, erzählt die Näherin Shima Akhter aus Bangladesch, dass sie eine Gewerkschaft gegründet hat. Nachdem das Team eine Liste mit Forderungen ans Management geschickt hatte, kam es zu einer Auseinandersetzung. „Danach schlossen die Manager die Tore und mit ihnen attackierten uns 30 bis 40 Angestellte und verprügelten uns. Sie verwendeten Stühle, Stöcke, Waagen und Dinge wie Scheren, um uns zu schlagen. Sie schlugen unsere Köpfe gegen die Wände. Sie schlugen uns zumeist in die Brust und in den Unterleib“, erzählt Akhter unter Tränen. „So etwas ist fast an der Tagesordnung“, sagt Monika Kemperle, die viel in Produktionsländern unterwegs ist. Ein sehr hoher Anteil von Frauen – und in der Textilindustrie arbeiten vor allem Frauen – ist laut Kemperle „täglichen Belästigungen jeder Form“ ausgesetzt, von verbalen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen.

140 Euro im Monat
In manchen Ländern, etwa Kambodscha, werden zuweilen Demonstrationen von FabrikarbeiterInnen gewaltvoll niedergeschlagen. Zwar erreichte man dort einen Mindestlohn von 140 Euro im Monat, das genügt aber kaum zum Überleben. Gerald Kreuzer von der Produktionsgewerkschaft PRO-GE sagt: „Nicht überall gibt es Arbeitnehmerrechten gutgesinnte Regierungen und funktionierende Verwaltungsapparate. Oft gibt es Probleme mit Korruption und Verstrickungen öffentlicher Einrichtungen mit Unternehmen.“ Häufig bestehen Gesetze, die ArbeitnehmerInnen schützen sollten, aber „Papier ist das Eine“, die Ahndung von Übertritten könne nicht garantiert werden. Die PRO-GE versuche über internationale Verbände, „entlang der Wertschöpfungskette ein gewerkschaftliches Kommunikationsnetz zu knüpfen“. Gibt es am anderen Ende der Welt Schwierigkeiten, können sich Gewerkschaften an Genf wenden: „In Einzelfällen funktioniert das sehr gut.“ Auch mit NGOs wie Clean Clothes, der Fair Wear Foundation oder Fairtrade arbeite man zusammen. Übergriffe gegen Gewerkschaften werden publik gemacht und so wird Druck auf Marken ausgeübt. Auch bei der Gewerkschaftsgründung unterstützt man einander: „Über unsere europäischen und weltweiten Verbände werden Seminare und Workshops abgehalten und es wird vermittelt, wie Gewerkschaften aufgebaut werden können. Hinter den Kulissen passiert schon sehr viel an internationaler Solidarität“, so Kreuzer.

Nach der Landwirtschaft
Die Kleidungsindustrie funktioniert nach dem Schema: Wo die Arbeit am billigsten ist und die Auflagen am geringsten sind, wird produziert. „Textil ist immer eine Pionierbranche, wenn sich eine Volkswirtschaft von der Landwirtschaft weg entwickelt. Sie beginnen oft mit der Erzeugung einfacher Produkte“, erzählt Kreuzer. Irgendwann reife die Volkswirtschaft und entwickle sich in eine andere Richtung, „siehe China“, das jedoch nach wie vor zu den größten Kleidungsproduzenten zählt. Vietnam werde für die Schuhindustrie immer interessanter. Südosteuropäische und baltische Staaten würden mit ihrer „Nähe zu Europa“ punkten. Im weiteren Trendverlauf „geht die Karawane in Richtung Nordafrika“.

Billige Ausrede
Gegen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen wird oft vorgebracht, dass die ArbeiterInnen keine oder noch schlimmere Arbeit machen müssten, hätten sie den Job in der Nähfabrik, der Färberei oder Gerberei nicht. Hartwig Kirner, Leiter von Fairtrade Österreich, findet dieses Argument „hinterlistig und fast ein bisschen erpresserisch – damit könnte ich auch in Europa Mindestlöhne wegdiskutieren“. Natürlich sollte nicht arbeitsplatzfeindlich agiert bzw. sollten nicht nur sofortige Änderungen akzeptiert werden, aber es sei eine „etwas billige Ausrede“, denn die Unternehmen könnten trotzdem faire Löhne zahlen.
Teuer zu kaufen heißt übrigens nicht, Ausbeutung zu verhindern, denn auch viele hochpreisige Marken lassen in denselben Fabriken wie Billigshops produzieren. Verantwortungsbewussten KonsumentInnen bleiben vor allem zwei Möglichkeiten: der Kauf von fair gehandelten und produzierten Produkten, wobei es nicht leicht ist, den Überblick über die Label zu behalten. Greenpeace empfiehlt etwa die Siegel der Fair Wear Foundation, von GOTS und jenes von Fairtrade, das sich bisher zwar nur auf Baumwollprodukte konzentriert, dort jedoch die gesamte Lieferkette einbezieht. Monika Kemperle empfiehlt als zweite Möglichkeit, sehr kritisch zu sein und Firmen mit Fragen zu belästigen, wo und unter welchen Bedingungen etwas produziert wurde: „Konsumenten, die nachfragen, fürchten die Unternehmen am meisten.“ Von einem Boykott rät sie strikt ab: „Damit gehen Arbeitsplätze verloren.“ Gerade für Frauen sei die Textilarbeit oft „die einzige Chance auf eine Beschäftigung, die ihnen ein wenig Unabhängigkeit bringt“.
 
Linktipps
Andrew Morgan: „The True Cost“, 2015, siehe:
truecostmovie.com
Überblick über Textilsiegel:
tinyurl.com/hwz4tdz

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406855 In der Textilproduktion herrschen weitgehend untragbare Zustände. Überfluss hier, Armut da. Nicht vorhandene Lebensqualität dort scheint jene bei uns zu ermöglichen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406842 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406797 IGB: Kurswechsel für Wachstum Mitte April fanden in Washington die „Frühjahrstagungen“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank auf MinisterInnenebene statt. In einer Erklärung forderten der Internationale Gewerkschaftsbund und seine Global-Unions-Partnerorganisationen die internationalen Finanzinstitutionen auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Erholung der Weltwirtschaft zu unterstützten: durch Investitionen in die physische und die soziale Infrastruktur einschließlich der Pflegewirtschaft sowie durch Lohnerhöhungen.
Der Hintergrund: Der IWF hatte seine globalen Wirtschaftswachstumsprognosen erneut nach unten korrigiert. Dies bestätigte den Trend einer gefährlichen Abwärtsspirale aus sinkenden Wachstumsraten und sogar einer Deflation in einigen Regionen. IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow: „Während sich die Spitzen des IWF langsam bewusst werden, dass es einer konzertierten globalen Anstrengung bedarf, um eine Konjunkturerholung zu erreichen und die Menschen wieder in Arbeit zu bringen, halten seine Fachabteilungen an erfolglosen Spar- und Deregulierungsmaßnahmen fest. Diese Maßnahmen führen zu noch größerer Ungleichheit.“

Die eigenen Untersuchungen des IWF belegen, dass eine Aushöhlung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen und der Arbeitsinstitutionen sowie eine Kürzung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Konjunkturerholung behindern und die Einkommensungleichheit vergrößern könnten. Dennoch fördert der IWF genau diese Maßnahmen in Ländern, die eine Rezession durchmachen oder ein langsames Wachstum zu verzeichnen haben.
Die jüngste Veröffentlichung der Weltbank zum Thema Arbeitsmarktregulierung bewerten die Gewerkschaften positiv. Erstmals werde in einem detaillierten Bericht der Bank unterstrichen, welchen Schaden eine zu geringe Regulierung und welche Kosten eine allzu starke Regulierung verursacht. Dies sei eine „willkommene Abweichung“ von bisherigen Berichten des IWF, die davon ausgingen, „dass sämtliche Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer nichts weiter sind als Geschäftshindernisse“, so Burrow. Die „wirkliche Nagelprobe“ wird für Burrow sein, inwieweit die Bank ernsthafte Schritte unternimmt, um dies in die Praxis umzusetzen.

Die Erklärung: tinyurl.com/hazjqct

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Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406786 IGB: Unter Beschuss wie noch nie Die Untergrabung der ArbeitnehmerInnenrechte in den meisten Regionen der Welt wird durch brutale Angriffe auf die Rede- und die Versammlungsfreiheit noch verschärft. Das geht aus dem Globalen Rechtsindex des IGB 2016 hervor. Die Beschränkungen der Rede- und der Versammlungsfreiheit, einschließlich gewaltsamer Übergriffe in einigen Ländern, haben um fast ein Viertel zugenommen, wobei in 50 der 141 untersuchten Länder Beschränkungen dokumentiert wurden.
„Wir erleben, wie demokratische Spielräume schwinden und wie Unsicherheit, Angst und Einschüchterungen für erwerbstätige Menschen zunehmen. Die Geschwindigkeit, mit der unsere Rechte unter Beschuss geraten, selbst in demokratischen Ländern wie Finnland und Großbritannien, macht einen alarmierenden Trend für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien deutlich“, erklärt IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow.
Die Unterdrückung der ArbeitnehmerInnenrechte geht Hand in Hand mit einer verstärkten staatlichen Kontrolle über das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlung und andere bürgerliche Grundfreiheiten. „Zu viele Regierungen versuchen, ihre eigene Macht zu konsolidieren, und stehen häufig auf der Seite von Großkonzernen, die grundlegende Rechte oft als unvereinbar mit ihrem Profitstreben um jeden Preis betrachten“, kritisiert Burrow.

Die schlimmste Region für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war wieder Nahost/Nordafrika. Zwar schneidet Europa im Index traditionell am besten ab, aber auch hier verschlechtert sich die Rechtslage weiter. Obwohl die Sparpolitik offensichtlich nicht gegriffen hat, hebeln viele Regierungen in Europa die Rechte der ArbeitnehmerInnen weiterhin aus. Die Tatsache, dass die meisten europäischen Länder ihren Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nicht nachkommen, unter anderem in Bezug auf das Recht auf Arbeit, verschärft das Problem zusätzlich.
Der Internationale Gewerkschaftsbund sammelt bereits seit über 30 Jahren Daten über weltweite Verletzungen des ArbeitnehmerInnenrechtes auf eine Gewerkschaftsmitgliedschaft und auf Tarifverhandlungen.

Infos unter: tinyurl.com/zcgu2ky

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Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406772 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Blogtipps der Woche

Diesmal legen wir Ihnen diese Beiträge besonders ans Herz:

  • Anhebung des Frauenpensionsalters als Scheindiskussion (Ingrid Mairhuber)
  • Expansive Budgetpolitik: Investitionen fördern, Beschäftigung schaffen (Romana Brait)
  • Wachsende Ungleichheit schadet gesamter Volkswirtschaft (Stefan Trappl)
  • Neues Blog-E-Book „Die Verteilungsfrage“ – holt es euch!

Anhebung des Frauenpensionsalters als Scheindiskussion

Seit Jahren wird von manchen Institutionen und politischen Parteien die frühere Anpassung des Frauenpensionsalters eingefordert. Laut Verfassungsbestimmung darf damit erst 2024 begonnen werden. Grundlage dafür war die Erkenntnis, dass mit einer Angleichung des Frauenpensionsalters eine „weitgehende Gleichstellung von Frauen und Männern in gesellschaftlichen, familiären und wirtschaftlichen Belangen“ einhergehen muss. Ingrid Mairhuber zeigt auf, dass dieses Ziel noch lange nicht erreicht ist. Nach wie vor sind es die Frauen, die vorwiegend die Kinderbetreuung übernehmen und daher überwiegend teilzeitbeschäftigt sind. Die Pensionshöhe zeigt dies deutlich: Frauen in Österreich erhalten im Durchschnitt noch immer um fast die Hälfte weniger Alterspension als Männer. Die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters ist daher eine Scheindiskussion, die vom eigentlichen Problem der anhaltenden Benachteiligungen von Frauen und ihren niedrigen Pensionsleistungen ablenkt.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/jal58v5

Expansive Budgetpolitik: Investitionen fördern, Beschäftigung schaffen

Für die Jahre 2016 und 2017 plant die Bundesregierung eine expansivere Budgetpolitik. Die neue AK-Analyse zeigt, dass dieser Kurswechsel angesichts der anhaltend schwachen Wirtschaftsdynamik richtig ist. Die Umsetzung der Steuerreform bringt wichtige Impulse für den privaten Konsum, gleichzeitig steigt der öffentliche Konsum infolge der Mehrausgaben für Arbeitsmarkt, Integration und Sicherheit an. Aus Sicht von Romana Brait reichen diese Anstrengungen aber nicht aus, um das drohende Anwachsen der Arbeitslosigkeit abzuwenden. Dafür braucht es weitere beschäftigungsfördernde Investitionen in Infrastruktur und soziale Dienstleistungen.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/hm72c8v

Wachsende Ungleichheit schadet gesamter Volkswirtschaft

Stefan Trappl nähert sich der Verteilungsfrage aus ethischer, sozialwirtschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive. Immer mehr junge Menschen sind selbst in Industriestaaten dem Problem der Arbeitslosigkeit ausgesetzt und fühlen eine Perspektivenlosigkeit. Welchen Einfluss hat eine ungleiche Einkommens- und Vermögensaufteilung auf das Wirtschaftswachstum? So kann die steigende Kluft zwischen Arm und Reich einer der Hauptgründe für das Auftreten von Wirtschaftskrisen sein. Eine kürzlich verfasste Studie zeigt, dass in den USA – wo die beiden größten Wirtschaftskrisen der letzten hundert Jahre, nämlich die „Great Depression“ (1929–1933) und die „Great Recession“ (seit 2007), ihren Ausgang nahmen – die personelle Einkommenskonzentration vor beiden Krisen tatsächlich deutlich zunahm.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/h4qljeu

Neues Blog-E-Book „Die Verteilungsfrage“ – Holt es euch!

Passend zum Blogbeitrag von Stefan Trappl: das neue Blog-E-Book „Die Verteilungsfrage“. Das E-Book geht den Fragen nach: Wie kommt es zur dramatischen Entwicklung, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht? Was heißt das für die Mittelschicht und was für jene am unteren Ende der Armutsskala? An welchen Schauplätzen des Verteilungskampfes geht es ans Eingemachte? Und: Mit welchen Ablenkungsmanövern wird das alles gerechtfertigt? Die AutorInnen dieses Buches liefern brandaktuelle Antworten auf die Mutter aller gesellschaftspolitischen Fragen: die Verteilungsfrage.
Das E-Book steht ab sofort gratis zum Download bereit: tinyurl.com/gussoar

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Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406763 "Nicht zuletzt" ... Solidarische Vorreiter Die Welt im Allgemeinen und Europa im Besonderen ist mit der größten Flüchtlingskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. In enger Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen und dem Internationalen Gewerkschaftsbund arbeiten wir darauf hin, dass Menschen, die vor Krieg, Hunger und Verfolgung fliehen, nicht nur ein sicherer Hafen gewährt wird, sondern auch gute Arbeit.

Verantwortung übernehmen
Die entwickelten Länder müssen Flüchtlinge aufnehmen und für ihre Unterkunft sorgen, denn auf lange Sicht werden die Flüchtlinge einen positiven Beitrag zur Wirtschaft der Aufnahmeländer leisten. Diese Verantwortung, die die europäischen Staaten nicht zuletzt in internationalen Abkommen übernommen haben, nehmen sie allerdings nicht wahr. Stattdessen bauen sie Mauern und errichten Hürden, um Flüchtlinge abzuwehren. Gewerkschaften kommt die Aufgabe zu, Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus zu bekämpfen, wo auch immer diese das Zusammenleben vergiften. Und die Gewerkschaften sind Vorkämpferinnen, wenn es um die Integration von und faire Arbeitsbedingungen für Flüchtlinge und MigrantInnen geht.
Menschenhandel und Zwangsarbeit sind im Aufwind. 1,2 Millionen Menschen in Europa und 45 Millionen Menschen weltweit arbeiten laut Globalem Sklaverei-Index in sklavenähnlichen Verhältnissen. EGB und IGB setzen sich gemeinsam dafür ein, dass Regierungen das ILO-Protokoll zur Abschaffung der Zwangsarbeit ratifizieren und Maßnahmen setzen, um Zwangsarbeit zu bekämpfen sowie deren Opfer zu unterstützen. 

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit innerhalb der EU zu fördern ist eine der zentralen Aufgaben des EGB. Eine Methode dafür sind Interregionale Gewerkschaftsräte (IRTUCs), die ArbeitnehmerInnen aus verschiedenen Ländern mit gleichen Interessen zusammenbringen. Wir machen Druck auf die EU-Kommission, damit sie sich für den Schutz jener ArbeitnehmerInnen einsetzt, die über die Entsenderichtlinie in andere Mitgliedstaaten geschickt werden, und dass sie ihre Bemühungen fortsetzt, das europäische Recht in diesem Bereich zu verbessern, und das Recht auf Gleichbehandlung aller ArbeitnehmerInnen gewährleistet. ArbeitnehmerInnen brauchen mehr Mitspracherechte in internationalen Konzernen. Der EGB unterstützt Gewerkschaften auf europäischer wie internationaler Ebene darin, in multinationalen Konzernen länderübergreifende Betriebsvereinbarungen zu verabschieden. Gleiches gilt für den Europäischen Betriebsrat, wenn dessen Mitglieder eine bessere Vertretung von ArbeitnehmerInnen im Vorstand der Unternehmen fordern. Ein zentrales Ziel ist es, zu verhindern, dass multinationale Konzerne die unterschiedlichen Steuerregime in der EU ausnutzen und damit die EU um wichtige Steuereinnahmen bringen.

New Deal
Die Idee des New Deals besteht darin, heilige Kühe der Wirtschaft zu schlachten, die Auslöser der größten globalen Krise waren und nun für Armut und Ungleichheit weltweit sorgen. Diese Idee wird von der UNO unterstützt und gewinnt immer mehr Zuspruch. Gemeinsam mit Gewerkschaften aus Amerika wird der EGB eine transatlantische Initiative für einen globalen New Deal starten, der öffentliche Investitionen in nachhaltige Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und Lohnerhöhungen vorsieht, um so die Nachfrage anzukurbeln und Ungleichheit zu bekämpfen.
Wir unterstützen die nachhaltige Entwicklungsagenda 2030 der UNO als Weg in die Zukunft und werden unser Engagement für internationale Solidarität fortsetzen.

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Luca Visentini, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406741 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406705 Internationale Gewerkschaftslandschaft in Zahlen Einen Überblick über die internationale Gewerkschaftslandschaft sowie den gewerkschaftlichen Organisationsgrad und die tarifvertragliche Abdeckung in Europa gibt es diesmal bei Zahlen, Daten, Fakten - zusammengestellt von Sonja Fercher.

Alle Details dazu entnehmen Sie bitte den Downloads.

 

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IGB, ÖGB, DGB; ETUI, Stand 2014. AK/ÖGB-Darstellung.</br>Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406696 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406646 Die Fahne der Solidarität Wien, Rathausplatz, Frühjahr 1930: Die freigewerkschaftlichen Organisationen der Verkehrs- und Transportbediensteten präsentieren eine dunkelrote Seidenfahne mit dem Logo der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF), die sie als Ehrengeschenk für ihre Mitwirkung an den Boykottaktionen des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) und der ITF 1920 erhalten hatten. In einem Dankbrief schrieb ITF- und IGB-Generalsekretär Edo Fimmen: Die Internationale dankt Euch dafür, was Ihr auf ihr Geheiß gebracht habt, und wird Euch Eure Hingabe und Euer rechtig-solidarisches Benehmen nicht vergessen. Bleibt, was Ihr bewiesen habt, die beste Truppe der internationalen Arbeiterarmee.

Der Hintergrund: Die ungarische Räterepublik war blutig zerschlagen worden und mit Duldung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs konnte Admiral Horthy ein autoritäres Regime errichten. Der IGB rief zum Boykott Horthy-Ungarns auf, um wenigstens eine Milderung des Regime-Terrors zu erreichen. Der Gewerkschaftsredakteur Richard Wagner schilderte den Verlauf der Aktion als Zeitzeuge:
Dem roten Terror folgte der viel grausamere weiße Terror, der die Arbeiterschaft blutig niedertrat. Am 20. Juli 1920 begann beschlussgemäß der internationale Boykott. Die österreichischen Arbeiter und Angestellten sperrten, allem Widerstand der Bourgeoisie zum Trotz, die Grenzen lückenlos ab. Der Güterverkehr stockte. Kein Brief, kein Telegramm ging über die Grenze. Aber die Nachbarländer verfügten nicht über die gleiche gewerkschaftliche Macht. Am 8. August wurde der Boykott abgebrochen.

Die ebenfalls beteiligten deutschen und jugoslawischen Freien Gewerkschaften hielten also nicht sehr lange durch, die christlichen Gewerkschaften lehnten eine Beteiligung am Boykott gegen Horthy-Ungarn, mit dem sie sympathisierten, grundsätzlich ab. Neben wirtschaftlichen Überlegungen führten sie an, sie wollten sich nicht an diesem Boykott beteiligen, der von dem von der internationalen Judenschaft ausgesprochenen Hass gegen das christliche Ungarn diktiert wurde.

Erfolgreicher war die Verhinderung von Waffenlieferungen nach Polen, zu der IGB und ITF aufriefen und an der sich Österreichs Freie Gewerkschaften ebenfalls beteiligten. Es ging darum, ein möglichst rasches Ende des Krieges zwischen dem wiedererstandenen Staat Polen und der noch vom Bürgerkrieg zerrissenen jungen Sowjetunion herbeizuführen – ein Krieg, der von 1919 bis 1921 dauerte und sich zu einem neuen großen Konflikt auszuweiten drohte.
Die Internationale beschloss, dem drohenden neuen Krieg die Waffen zu entziehen, berichtete Eduard Straas, der Vertreter der österreichischen Freien Gewerkschaften im IGB.

Es sollte kein Zug mit Kriegsmaterial nach Polen geführt werden, kein Schiff, das Kriegsgeräte führte, irgendeinen Hafen verlassen und kein einziger Soldat befördert werden. Diesen Beschluss durchzuführen, war nicht leicht. Aber es gelang. Als die Friedensverhandlungen zwischen Russland und Polen begannen, konnte die Aktion abgeschlossen werden.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406637 Die ITF-Fahne auf dem Wiener Rathausplatz 1930. Sie konnte 1935 außer Landes geschmuggelt und der Internationale zur Aufbewahrung übergeben werden. 1946 kam sie zurück; heute ist sie im Archiv der Gewerkschaft vida gelagert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406626 Standpunkt: Mehr als ein gutes Gefühl Solidarität: Dieses Wort hat in meinen Ohren einen sehr wohligen Klang. Es löst Assoziationen aus zu Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und vor allem gemeinsam gegen eine Ungerechtigkeit kämpfen. Bloß wenn ich es mir genauer überlege, merke ich: Hinter der romantischen Fassade steckt eine sehr unbequeme Realität, die sich Ungleichheit nennt. Diese ist der eigentliche Grund, weshalb Solidarität überhaupt erst notwendig wird.
Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen Mitgefühl und Solidarität. Ersteres ist eine sehr wichtige Emotion, die man unabhängig von konkreten Umständen für einen anderen Menschen empfindet, dem es gerade schlecht geht. Zweitere setzt voraus, dass man als Gruppe in einer benachteiligten Situation ist und hofft, gemeinsam stärker auftreten zu können. Oder aber jemand ist in einer privilegierten Situation und hält eben diesen Vorteil für nicht gerechtfertigt, weshalb man sich mit weniger Privilegierten solidarisch zeigt.

Immer noch aktuell
„Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht! Beim Hungern und beim Essen, vorwärts nie vergessen: die Solidarität!“ Es mag verstaubt wirken, an dieser Stelle Passagen aus dem Solidaritätslied zu zitieren. Immerhin hat sich tatsächlich einiges verändert, seitdem Bertolt Brecht den Text für dieses Lied geschrieben hat. Und doch müssen auch heute noch Menschen hungern oder mit Löhnen auskommen, die ihnen bei Weitem kein Überleben sichern. Selbst hierzulande werden Menschen noch heute ähnlich wie SklavInnen ausgebeutet. Dabei hat sich der Reichtum weltweit kontinuierlich vermehrt. Allein, von einer gerechten Verteilung kann bis jetzt keine Rede sein, auch nicht innerhalb der europäischen Nationalstaaten, die per Wohlfahrtsstaat zumindest theoretisch sehr viel für die Umverteilung getan haben.
Und so bleibt die ungerechtfertigte Ungleichheit auch innerhalb der europäischen Staaten eine der größten Herausforderungen, erst recht jedoch ist sie es, wenn man es auf globaler Ebene betrachtet. Zweifellos hat sich viel verbessert, nicht zuletzt aufgrund des Engagements von Gewerkschaften sowie zunehmend von NGOs, mit denen sich Gewerkschaften immer mehr vernetzen. An den Grundfesten der Ungleichheit zu rütteln vermochte bisher leider noch niemand.
„Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber! Endet ihre Schlächterei! Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein.“ Mit dieser Strophe spricht Brecht ein weiteres Thema an, das bis heute bedauerlicherweise nicht an Aktualität verloren hat. Leider aber hatte er in einem Punkt unrecht: ArbeitnehmerInnen lassen sich allzu leicht gegeneinander ausspielen – nur weil sie unterschiedliche Nationalitäten oder Religionen haben, während sie aber nach wie vor die gleichen Interessen verbinden wie zu Brechts Zeiten. Würden sie dem Gerede der Mächtigen nur weniger Glauben schenken und stattdessen mehr miteinander sprechen, würde sehr schnell klar, wie viel sie eigentlich gemeinsam haben.

Nicht entzweien lassen
„Wollen wir es schnell erreichen, brauchen wir noch dich und dich. Wer im Stich lässt seinesgleichen, lässt ja nur sich selbst im Stich.“ Es ist ein schwieriges Thema, denn wer schon in einer schwierigen Situation ist, hat auch jedes Recht zu sagen, dass er oder sie keine Kapazitäten mehr hat, sich auch noch zu engagieren.
Heutzutage gibt es allerdings deutlich mehr Möglichkeiten, aktiv zu werden. Das muss natürlich die Gewerkschaft berücksichtigen und entsprechende Angebote machen. Zugleich sind auch die ArbeitnehmerInnen gefragt, die Vertretung ihrer Interessen nicht zu delegieren, sondern dabei ein Wörtchen mitzureden. Es ist ein wechselseitiger Prozess, der aber nötig ist, denn auch darin hat Brecht recht: „Unsre Herrn, wer sie auch seien, sehen unsre Zwietracht gern, denn solang sie uns entzweien, bleiben sie doch unsre Herrn.“

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042406012 Reportage: Zu Hause an 100 Standorten Wolfgang Knes
ist Österreichs einziger Weltbetriebsrat.
Ein Berg voller Arbeit, das Handy stets griffbereit. Als Welt-Betriebsrat des global agierenden Papierkonzerns Mondi ist Wolfgang Knes von früh bis spät für seine KollegInnen erreichbar. 100 bis 120 E-Mails und Anrufe rieseln täglich beim 52-jährigen Kärntner ein. Was wie ein Einzelkampf aussieht, ist in Wahrheit ein gut aufgebautes Netz aus KollegInnen in ganz Europa. Nun will der Kärntner bis 2020 seine Netze über den gesamten Globus spannen. Ein schwieriges Unterfangen: Nicht überall auf der Welt ist Knes als Betriebsrat so willkommen wie in seiner Heimat Frantschach im Lavanttal.
 

Es hat 34 Grad in der Verladestation, als Wolfgang Knes vor die Arbeiter tritt und ihnen freundschaftlich die Hände schüttelt. Es ist 13.30 Uhr und 18 Männer in grauen Arbeitshosen und orangefarbenen Mondi-T-Shirts warten mit verschränkten Armen vor der Brust auf die Betriebsleitung. „Wir sind heute da, um die Situation zu beruhigen und eine Lösung zu finden“, eröffnet Knes die Betriebsversammlung in der Papierfabrik Mondi in Frantschach. Am Wochenende zuvor hat ihn der Anruf eines Kollegen ereilt – die Betriebsleitung will einen Mitarbeiter in der Nachtschicht einsparen. Die Arbeiter sind außer sich. Ein Kollege Mitte 50 fragt: „Wie stellt ihr euch das vor? Wenn wir so weitermachen, sterben hier der Reihe nach die Leute weg!“ Die Stimmung ist aufgeheizt, der Umgang dennoch respektvoll. Knes hört aufmerksam die Argumente der Betriebsleitung und jene der Arbeiter an, alles Männer zwischen 25 und 55 Jahren. Eine Stunde wird unter dem dröhnenden Lärm von Maschinen diskutiert, während Tausende Kilo schwere Papierrollen voll automatisiert durch die Halle rollen. „Das kommt sicher nicht infrage. Wir haben einen Schichtplan und der ist einzuhalten“, ergreift Knes das Wort und warnt die Betriebsleitung: „Wenn noch einmal so was vorkommt, ohne unser Wissen, dreh ich euch die Bude zu.“ Am Ende der Versammlung macht die Betriebsleitung das Zugeständnis, einen weiteren Mitarbeiter für die Nachtschicht vorzusehen.
Gespräche dieser Art sind business as usual, meint Knes. Einmal in der Woche versucht er, vor Ort in Frantschach zu sein. Christof Schlatte ist meist dabei. Der junge Betriebsrat hält in Kärnten die Stellung, wenn Knes zwischen Wien, Südafrika, Polen, der Türkei oder Russland pendelt. Seit Oktober 2015 vertritt der 52-jährige Kärntner mit silberblondem Haar und eiserner Miene die Anliegen von 26.000 ArbeitnehmerInnen in 30 Ländern. Dabei geht es vor allem darum, Lösungen zu finden und zwischen Beschäftigten, Gewerkschaften und Management zu vermitteln. Seit 20 Jahren funktioniert das im Europäischen Betriebsrat von Mondi so gut, dass der Konzernchef vergangenen Herbst meinte: „So Wolfi, jetzt kannst du gleich einen Welt-Betriebsrat gründen.“

Spinnennetz über Europa
In Frantschach ist der Betriebsratsvorsitzende gern gesehen. Hinter einer Glasscheibe winkt ein Mitarbeiter, der die Verladung der Papierrollen kontrolliert, ein anderer ruft aus der Ferne „Servas Wolfi!“. Hier hat die steile Karriere des gelernten Maschinenschlossers begonnen: Nach vielen Jahren im Betriebsrat wurde er 2008 zum Betriebsratsvorsitzenden von Mondi Frantschach gewählt, 2009 zum Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats und des Europabetriebsrats. Viermal im Jahr treffen sich unter seiner Leitung 32 Mitglieder aus den europäischen Ländern, um sich über die Arbeitssituation in Europa auszutauschen. Nicht alle sprechen Englisch. Bis zu zehn Übersetzer waren schon mit von der Partie, jetzt werden es noch mehr werden. „Ich habe Europa wie ein Spinnennetz eingeteilt“, berichtet Knes und deutet mit den Händen in die Himmelsrichtungen. „Jeweils ein Betriebsrat ist für den Norden, den Osten, den Süden und den Westen zuständig. Dann gibt’s noch Kollegen, die die Regionen dazwischen betreuen.“ Er habe dafür gesorgt, dass alle Mitglieder des Europäischen Betriebsrats mit Laptop und Handy ausgestattet sind, erzählt er stolz. Immerhin gab es in einigen Ländern bis vor Kurzem Betriebsräte, die nicht einmal ein Handy hatten. Eine reibungslose Kommunikation sei aber das Wichtigste in diesem Job. Bis 2020 soll der Weltbetriebsrat bei Mondi ebenso selbstverständlich sein wie der Europabetriebsrat heute.

Umfragen in 24 Sprachen
In den nächsten Jahren will Wolfgang Knes alle hundert Standorte abklappern. Und Mondi expandiert. Erst kürzlich hat der Papierkonzern ein Werk in der Türkei aufgekauft. „Ich würde mir wünschen, dass wir mit den Leuten auch so expandieren.“ Vor vierzig Jahren werkten noch 1.600 MitarbeiterInnen in Frantschach, heute sind es knapp über 400. Den Personalstand zu halten ist eine der größten Herausforderungen – weltweit. „Wir müssen realistisch sein: Jede Investition bedeutet Arbeitsplätze zu rationalisieren“, meint Knes. Die Produktivität steigt zunehmend, gleichzeitig sinkt die Zahl der MitarbeiterInnen.
In Deutschland hat ein Werk zugemacht und die gesamte Produktion wurde nach Spanien verlagert. Dort lässt es sich billiger produzieren. Was kann ein Betriebsrat da bewirken? „Verhandeln! Sozialpläne ausverhandeln und das Beste für die Beschäftigten rausholen!“ Während der 1,90 Meter große Betriebsrat erzählt, marschiert er mit schnellen Schritten durchs Werk.
Die Kollegen grüßt er alle beim Namen. Als Europabetriebsrat habe er schon einiges erreicht, meint er. Zum Beispiel konnte er in Thessaloniki die massiven Lohnkürzungen abwehren und den Drei-Schicht-Betrieb auf Vier-Schicht umstellen. Er hat auch eine weltweite MitarbeiterInnen-Umfrage über die Zufriedenheit am Arbeitsplatz eingeführt. Die Ergebnisse der ersten Umfrage waren katastrophal. An vielen Standorten beklagten Beschäftigte die schlechte Kommunikation mit der Betriebsleitung. „Wir haben sofort neue Kommunikationsregeln aufgestellt“, so Knes.

Alle zwei Jahre wird die Umfrage nun wiederholt, mittels Fragebogen in 24 Sprachen. Wichtig sei, dass die Arbeit der Betriebsräte Konsequenzen hat. „Wir treffen uns ja nicht zum Kaffeetratsch. Wir sitzen an einem Tisch und gehen jede Region durch: Was steht wo an, welche Probleme gibt es? Wenn irgendwo der Hut brennt, fahre ich persönlich hin.“
„Unlängst habe ich in Wien auf Englisch einen Kaffee bestellt. Das kann passieren, wenn man so viel unterwegs ist“, schmunzelt der Wolfsberger. Englisch, Italienisch und Spanisch spricht er mittlerweile fließend, Russisch macht ihm noch zu schaffen. Welche Skills braucht also ein Weltbetriebsrat? Wie aus der Pistole geschossen antwortet Knes: „Weitblick, Verständnis für andere Länder und ein gutes Netzwerk.“
Die Antworten fallen knapp aus, auch mit Reden ist keine Zeit zu verlieren. „In anderen Ländern sind nicht nur die Gesetze anders, auch die Kulturen. Das muss man berücksichtigen, sonst kommt man nicht weiter.“ In Russland zum Beispiel badeten Kinder der Beschäftigten in einem reißenden Fluss hinter dem Betriebsgelände. Das sei viel zu gefährlich, befand Knes und ließ kurz darauf einen Sicherheitszaun um den Fluss und einen riesigen Swimmingpool für die Kinder bauen. Manchmal sind es auch solche Themen, mit denen sich ein globaler Betriebsrat herumschlägt. Auch wenn der Weltbetriebsrat keine gesetzliche Grundlage hat, sei durch seine Arbeit nun vieles einfacher als früher. Bislang war es immer ein Goodwill der Geschäftsleitung, ihn zu empfangen, vor allem an Standorten, an denen kein Betriebsrat installiert ist. Wenn er heute vor verschlossenen Toren steht, wie kürzlich in der Türkei, reicht ein Anruf beim Konzernchef und schon wird er freundlich ins Werk gebeten. „Dafür braucht es eben auch Vertrauen und sehr gute Zusammenarbeit mit dem Topmanagement.“

Entspannung auf Knopfdruck
16.30 Uhr. Der nächste Termin wartet bereits. Die Woche darauf geht es für den Betriebsrat wieder nach Wien und St. Pölten. Neben seinen vielen gewerkschaftlichen Funktionen sitzt Knes auch im Nationalrat. „Manche meinen, ich bin ein Postenschacherer. Aber das stimmt so nicht.“ Er sei ja nicht nur anwesend, sondern lege sich immer ins Zeug, rund um die Uhr. Wie es mit kürzeren Arbeitszeiten für den Betriebsrat aussieht? Knes lacht. „Das geht nicht. Für die Kollegen ja, aber als Betriebsrat musst du immer erreichbar sein.“ Abschalten ist da nur schwer vorstellbar. Das sei aber kein Problem, meint Knes. Mittlerweile geht das auf Knopfdruck, am besten beim Wandern oder zu Hause. Dort ist er dann auch voll und ganz Familienmensch. „Natürlich braucht man eine Frau, die da mitspielt.“
Seine Frau hat sich an die vielen Reisen ihres Mannes gewöhnt. Sie packt sogar die Koffer, wenn auch mit Bauchweh. Denn ab und zu kann es richtig brenzlig werden. Zum Beispiel vor einigen Jahren in Russland:  Nur dem Zufall einer kurzfristigen Flug-Umbuchung ist es zu verdanken, dass der Betriebsrat zwei Stunden vor den tödlichen Anschlägen bereits auf dem Heimweg war. Bei den Anschlägen in Brüssel heuer saß er eine Stunde zuvor im Flieger. Ob er da selbst nie Angst habe? „Angst?“, fragt Knes erstaunt. „Nein. Wer Angst hat, hat in diesem Job verloren.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene.steindl@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Steindl, freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406239 Wolfgang Knes (rechts im Bild): Vom Stille-Post-Spiel hält der globale Betriebsrat wenig. Wenn es ein Problem gibt, werden alle Beteiligten zusammengetrommelt und die Karten offen auf den Tisch gelegt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406244 Ein Berg voller Arbeit, das Handy stets griffbereit. Als Welt-Betriebsrat des global agierenden Papierkonzerns Mondi ist Wolfgang Knes von früh bis spät für seine KollegInnen erreichbar. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406249 Tausende Tonnen Papier rollen vollautomatisiert durch die Werkshallen in Frantschach. Die Arbeitserleichterung hat ihren Preis: 1.200 Arbeitsplätze sind in den letzten 40 Jahren allein in Kärnten verloren gegangen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042405927 Interview: Verteilung mehr ins Zentrum Julia Hofmann
ist Assistentin am Institut für Soziologie der Johann Kepler Universität Linz, Abteilung Wirtschafts- und Organisationssoziologie.
Sie ist aktiv beim BEIGEWUM und beim Jahoda-Bauer-Institut, die 2014 gemeinsam das Projekt „Mythen des Reichtums“ ins Leben gerufen haben.
Sie forscht zu Gewerkschaften und Gewerkschaftsarbeit in Europa, zu den Chancen und Grenzen europaweiter gewerkschaftlicher Mobilisierungen, internationaler Solidarität sowie der Rolle von Abstiegsängsten bei der Organisierung von ArbeitnehmerInnen.
 

Arbeit&Wirtschaft: Haben wir derzeit denkbar schlechte Rahmenbedingungen für Solidarität?

Julia Hofmann: Verunsicherungen am Arbeitsmarkt, die Krise oder Abstiegsängste können auf jeden Fall zur Entsolidarisierung führen. Dabei ist es nicht so, dass diejenigen, die immer schon ganz unten waren, auf jene losgehen, die noch weiter unten sind. Es ist ein Mechanismus, der ganz stark aus der Mitte der Gesellschaft heraus kommt. Wenn man das Gefühl hat, dass man seinen Status nicht mehr halten kann, mit prekären Arbeitsverhältnissen konfrontiert ist, die eigenen Kinder finden keine Arbeit – das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass sich die Ängste nicht nur auf sich selbst beziehen, sondern auch auf die Kinder –, dann kann das dazu führen, dass man sich zunehmend auf sich selbst konzentriert. An diesem Punkt ist man anfällig für rechtspopulistische Ideen und Muster, für Vorurteile und für Entsolidarisierung.
Das soll nicht heißen, dass das ein Automatismus ist. Man kann dem sehr wohl entgegenwirken, wenn man Abstiegsängste thematisiert und die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt. Zeiten der Krise beinhalten auf jeden Fall ein Gefährdungspotenzial, solange es keine Kräfte gibt, die versuchen, Solidarität zu erzeugen – sondern vielmehr Akteure omnipräsent sind, die auf Entsolidarisierung und auf Spaltung setzen.

Sind diese nur aufseiten der Rechtspopulisten zu suchen?

Nein, zahlreiche Studien zeigen, dass der gesamtgesellschaftliche Diskurs nach rechts gewandert ist, also in Richtung Spaltung. Es ist ein Faktum, dass der Neoliberalismus stark auf den Individualismus abzielt und nicht auf das Kollektiv, auf Solidarität oder ein Miteinander. Vielmehr zielt er auf das Individuum ab, auf „Ich setz mich durch“, auf Leistung. Wir haben jetzt 30 Jahre ideologische Propaganda miterlebt, die natürlich nicht nur im Rechtpopulismus ihren Ausdruck findet, sondern durchaus Teil des öffentlichen Diskurses überhaupt ist.
In einer solchen Situation, noch dazu bei schwierigen materiellen Verhältnissen, ist es natürlich extrem schwierig, Solidarität zu erzeugen. Dann ist es ein noch größerer Kraftakt, als er es so schon ist. Die Vorstellung, dass es automatisch gemeinsame Interessen gäbe, ist falsch, diese Gemeinsamkeiten entstehen nicht automatisch. Vielmehr geht es immer darum, die gemeinsamen Interessen herauszuarbeiten. Im derzeitigen Kontext ist das eben schwierig.

Wie lässt sich Solidarität leichter erzeugen?

Ein wichtiges Element ist, dass man ein gemeinsames Framing, also Deutungsmuster von der Situation etabliert: Worum geht es denn eigentlich? Wogegen wenden wir uns? Was wollen wir überhaupt? Das ist das eine. Das andere ist, dass man gleichzeitig gemeinsame Problemlagen herausarbeiten und zeigen muss, warum das einem selbst auch ein Anliegen sein sollte. Es geht also auch darum, wie man das Anliegen konkret auf die eigene Situation, die betriebliche oder regionale Ebene herunterbricht: Wie äußert sich das dann? Was könnte man durchsetzen? Wo würde der Weg hingehen? Eine Kampagne nur für „ein anderes Europa“ ist schon wichtig und gut. Aber es muss auch klar sein, was man davon hat, sich daran zu beteiligen.

Wo könnte es solche gemeinsamen Interessen geben?

Wir haben in ganz Europa das Thema Dezentralisierung von Kollektivverträgen, Angriffe auf soziale und arbeitsrechtliche Standards, auf Lohnstandards et cetera. Diese Themen gehen alle etwas an. Wenn man wie in Spanien die Kollektivvertragabdeckung massiv senkt, ist das zwar natürlich etwas anderes, als wenn wir in Österreich noch mehr als 90 Prozent haben. Der Punkt ist aber: Es gibt auch hier ähnliche Angriffe. Das herauszuarbeiten und jeweils für den eigenen nationalen, regionalen und betrieblichen Kontext zu konkretisieren: Das ist das A und O. Solidarität ist ein Konstrukt, das heißt, man muss herausfinden, wo die gemeinsamen Problemlagen und die gemeinsamen Interessen sind.
Und man muss immer auf allen Ebenen aktiv sein und diese Ebenen miteinander kombinieren. Man kann nicht einfach sagen: Wir machen jetzt Aktionen oder Kampagnen nur auf der europäischen Ebene oder nur im Betrieb. Man muss zeigen, dass es wichtig ist, auf verschiedenen Ebenen aktiv zu werden, man muss sie verknüpfen und klar kommunizieren, warum sie zusammenhängen.
Das hat in der Krise nicht so gut funktioniert. Man hat es einerseits nicht geschafft, zu zeigen, warum es wichtig ist, prinzipiell Solidarität mit den ArbeitnehmerInnen in Griechenland oder in Spanien zu üben. Andererseits hat man auch nicht vermitteln können, dass das Kämpfe sind, die wir auch in Österreich führen. Dass Spanien oder Griechenland Experimentierlabore sind, weshalb wir uns an dem Kampf beteiligen müssen, weil es sonst zu einem Dammbruch kommen könnte.
Das war sicher extrem schwierig und es war eine extrem komplexe Situation. Dass man die Solidarisierung nicht geschafft hat, liegt sicher auch an unterschiedlichen Krisenbetroffenheiten. Natürlich ist es einfacher, wenn man gegen eine konkrete Maßnahme mobilisiert, wie etwa die Bolkestein-Richtlinie. Da wusste man einfach klar: Wogegen sind wir und warum trifft uns das? Das ist ein positives Beispiel, weil es da funktioniert hat. Deshalb kann man auch die Erfahrungen, die man dort gemacht hat, für zukünftige Auseinandersetzungen heranziehen.

Zugleich ist es nachvollziehbar, wenn ArbeitnehmerInnen in Österreich, bei denen es finanziell eng ist, meinen: Ich wäre ja gern solidarisch, aber ich kann nicht?

Das ist sicher ein Problem, und das muss man auch thematisieren. Natürlich kann man nicht moralisch drüberfahren und sagen: Die ArbeitnehmerInnen in Österreich sind so vorurteilsbelastet und extrem unsolidarisch. Man muss den Kontext betrachten, in dem solche Einstellungen entstehen oder rezipiert werden. Das heißt aber natürlich nicht, dass man nicht mit Aufklärungsarbeit und mit gezielten Informationskampagnen dagegenarbeiten kann.

Eine große Herausforderung besteht in der Digitalisierung, eine andere sind Standortverlagerungen. Wie lässt sich dieser Vereinzelung zum Trotz Solidarität erreichen?

Es gibt ja schon Versuche, Organisationen aufzubauen, um genau diesem globalen Standortwettbewerb etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel hat man Europäische Betriebsrate in multinationalen Konzernen eingesetzt. Das ist eine wichtige Innovation, und es hat auch schon erfolgreiche Kämpfe gegeben, in der Autoindustrie etwa konnten Standortschließungen verhindert werden. Da hat man sich mit dem Vorschlag durchgesetzt, die Produktion in einem Land zurückzufahren, damit der Standort in einem anderen Land bestehen bleiben kann. Das ist ein wichtiges, positives Beispiel dafür, dass es funktionieren kann, internationale Solidarität auch unter widrigen Bedingungen zu üben.
Das andere ist, dass der Eindruck vorherrscht, dass man gegen die multinationalen Konzerne nichts tun kann: Die sind so mobil und es ist schwer, deren habhaft zu werden. Dazu noch ein anderes wichtiges Argument: Das Kapital ist nicht so scheu, wie man immer tut. Mehrere ökonomische Studien zeigen, dass einiges an Kapital eigentlich nationalstaatlich verankert ist, weil es vor Ort präsent ist. Nicht jedes Kapital ist so mobil, wie man meint.

Die Digitalisierung bietet natürlich auch ein enormes Potenzial für den Austausch über Grenzen hinweg.

Ich habe für meine Dissertation mit Gewerkschaftern in verschiedenen Ländern geredet und mein Eindruck ist, dass diese Chance auch extrem genutzt wird. Sie sind alle extrem gut vernetzt, wissen eigentlich recht gut Bescheid darüber, was gerade bei den anderen passiert, haben stabile Netzwerke. Das Problem ist, dass sie teilweise fast schon zu viel an Information haben. Der nächste Schritt wäre, dass man diese internationale Vernetzung auch zum Leben erweckt. Soll heißen, dass man nicht nur in den Organisationen weiß, wer der Ansprechpartner oder die Ansprechpartnerin in einem anderen Land ist, dass man weiß, dass man in Brüssel die Vertretung hat und so weiter. Es geht darum, dass man nun die Mitglieder, die ArbeitnehmerInnen für internationale Arbeit mit an Bord holt. Nur dann kann es funktionieren. Ich glaube, da gibt es noch viel Potenzial.
Ich habe mir ja in meiner Dissertation angesehen, inwieweit man es schafft, Menschen zu mobilisieren, in Kampagnen einzubeziehen. Da kann man auch als Gewerkschaft, die vielleicht nicht immer so kampagnenaffin oder mitgliederorientiert ist, noch einiges lernen, auch von anderen Gewerkschaften. Da gibt es auch ein irrsinniges Wissen in Südeuropa. Sie haben viel an Protestwissen und ein Wissen, wie man gemeinsam mit Menschen etwas machen kann. Auch auf das müsste man in der internationalen Arbeit ein bisschen stärker den Fokus legen. Dann lebt die Organisation auch und ist nicht nur eine Lobbyorganisation, obwohl auch das natürlich sehr wichtig ist.
Der Widerspruch bleibt natürlich: So solidarisch man vielleicht mit ArbeitnehmerInnen sein möchte, aber was, wenn man sich fair produzierte Produkte schlichtweg nicht leisten kann?
Das ist ein wichtiger Punkt. Ich selbst habe beispielsweise ein Fairphone, aber das können sich viele Leute eben nicht leisten. Man darf aber auch da nicht moralisch werden, sondern muss die globalen Zusammenhänge aufzeigen. Außerdem muss Solidarität nicht immer nur über das Finanzielle laufen, man kann auch andere Instrumentarien dafür entwickeln. Genau deshalb machen diese Kampagnen Sinn, weil man dann im Betrieb oder in der Region partizipieren kann, und das kostet nichts außer Engagement und Zeit.

Muss fair kaufen automatisch mit Konsumverzicht einhergehen?

Ich glaube, dass man in eine Hölle reinkommt, wenn man auf dieses Diskussionsmuster reinfällt. Wir müssen da raus. Natürlich wäre es gut, wenn alle fair einkaufen würden, aber wir müssen das globaler sehen. Denn es geht darum, gute Arbeit zu guten Löhnen in allen Ländern durchzusetzen. Weil dann können sich die Leute das auch leisten.
Gleichzeitig sind wir damit auch bei einem anderen Thema: Es ist natürlich auch eine Machtfrage, und die gehört thematisiert, statt ArbeitnehmerInnen in Österreich vorzuwerfen, sie seien unsolidarisch. Denn es ist ein globales System, das auf Ungleichheit aufbaut, das auf Machtverhältnissen aufbaut – und das auch teilweise darauf aufbaut, Menschen gegeneinander auszuspielen. Stattdessen müsste man die Verteilungsfrage stellen, dann kann man aus der Spaltungslogik und dem Spaltungsargument rauskommen.

Das Problem besteht also darin, dass die Löhne zu niedrig sind?

Genau. Und dass es ein Prozent gibt, das massiv viel hat, während den anderen 90 Prozent kaum etwas vom Kuchen übrig bleibt. Und wenn argumentiert wird, die Löhne seien deshalb so niedrig, weil man nichts zu verteilen habe:: Das ist falsch.

Grundsätzlich geht es also um die Verteilungsfrage?

Das ist ein Thema, das man, wenn es um internationale Solidarität geht, viel stärker ins Zentrum rücken müsste und auch kann. Ich glaube, dass es auch ein Thema ist, wo man Mehrheiten finden kann. Wir haben erst vor Kurzem eine Studie gemacht über Einstellungen zu Reichtum und Gerechtigkeit in Österreich.
Und wir sehen, oben gibt es ein klares Muster, das sagt: Wir finden das legitim, und das ist gut, wie die soziale Ordnung funktioniert. Unten hingegen sind die Einstellungen extrem uneinheitlich, und ich glaube, dass man da Mehrheiten finden kann. Aber man muss die Verteilungsfrage auch zum Thema machen.

Wie lässt sich vermeiden, dass internationale Solidarität bevormundend wird?

Indem man die PartnerInnen vor Ort miteinbezieht. Indem man nicht hingeht und sagt: Wir erklären euch die Welt. Sondern indem man lokale Kräfte ernst nimmt und gleichzeitig offen ist, dass man dadurch etwas lernt. Dass man einen Schritt weitergeht und fragt: Was könnt ihr uns eigentlich lehren, wie können wir alle davon profitieren? Mittlerweile gibt es schon einige Ansätze, wo man das tut.
Ein gutes Beispiel dafür wäre ein Projekt des ÖGB mit der moldawischen Gewerkschaft, die gemeinsam eine Gewerkschaftsschule aufbauen. Natürlich gibt es Machtverhältnisse und es gibt finanzielle Unterschiede, und die kann man nicht negieren. Man kann aber auch etwas finanziell unterstützen, ohne davon auszugehen, dass man die Weisheit mit dem Löffel gefressen hat.

Faire Löhne zu verlangen scheint fast einem Frevel gleichzukommen. Wie könnten Gewerkschaften diesen Diskurs durchbrechen?

Ich höre oft eine Art Wehklagen: Wir versuchen ja alles, aber es funktioniert nicht. Ich glaube, dass man dabei bedenken muss, dass der Neoliberalismus auch 30 Jahre gebraucht hat, bis er quasi hegemoniefähig geworden ist, und dass das einfach ein langer, harter Kampf war, dass sich die Deutungsmuster durchgesetzt haben. Ich glaube, dass es ein genauso langer, harter Kampf ist, das wieder umzudrehen.
Natürlich könnte man sagen, dass das doch im ureigensten Interesse der Mehrheit der Bevölkerung sein müsste. Aber es wurde einfach so viele Jahre und Jahrzehnte in die andere Richtung argumentiert und dann ist es natürlich extrem mühsam, extrem schwer, diesen Diskurs umzudrehen. Ich glaube aber, dass man nicht aufgeben darf.
Die Vermögenssteuern etwa sind ein gutes Argument. Oder auch die Erbschaftssteuern, denn da haben viele Angst um Omas Sparbuch, ohne zu sehen, dass sie davon gar nicht betroffen wären. Man darf nicht aufgeben, nur weil man einmal verloren hat, sondern muss konsequent an diesem Thema dranbleiben. Und manchmal entstehen dann plötzlich Bewegungen und manchmal entstehen dann plötzlich Mehrheiten. Das war ja bei Occupy auch so, dass auf einmal die Hälfte der Amerikaner oder mehr mit der Bewegung solidarisch waren und deren Visionen unterstützt haben. Das ist also eine mühselige und lange Arbeit rund um Deutungsmacht und Deutungshoheiten, noch dazu in der widrigen Situation, mit der wir konfrontiert sind.

Die Fluchtbewegungen machen die globalen Ungleichheiten stärker zu einem europäischen Thema. Zugleich scheint es, als müssten nun die sozial Schwächeren die Rechnung dafür zahlen, Stichwort Kürzung der Mindestsicherung.

Diesem Diskurs darf man nicht auf den Leim gehen, sondern man sollte versuchen, ihn in eine andere Richtung zu drehen. Es kann nicht darum gehen, dass jene, die eh schon arm dran sind, noch etwas von dem Miniteil ihres Kuchens abgeben müssen. Vielmehr geht es um die Verteilungsfrage.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406225 "Das globale System baut auf Ungleichheit auf. Deshalb müsste man die Verteilungsfrage stellen, um aus der Spaltungslogik und dem Spaltungsargument herauszukommen." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042405794 Coverstory: Von Berlin nach Kabul Dass es im von Dekaden des Krieges geplagten Afghanistan eine aktive Gewerkschaft gibt, ist wohl vielen nicht bewusst. Dabei wurde die Nationale Union der Afghanischen Arbeiter und Angestellten (NUAWE) bereits im Jahr 1967 gegründet. Erst wenige Jahre zuvor, genauer gesagt 1964, war die konstitutionelle Monarchie eingeführt worden. Heute ist die NUAWE in 25 von 34 Provinzen mit einem Büro vertreten und kann die meisten AfghanInnen erreichen. Als im Jahr 2014 ein Mitarbeiter in seinem Büro von Taliban-Kämpfern enthauptet wurde, führte das zu einer großen spontanen Demonstration – Tausende Menschen schlossen sich an. „Das hat den Leuten Mut gemacht, wieder auf die Straße zu gehen“, weiß Tom Kehrbaum, 45, Projektleiter der internationalen gewerkschaftlichen Bildungsarbeit der IG Metall in Frankfurt (www.igmetall.de). Ausreichend Kraft, um auch gleich die alte Tradition des Maiaufmarsches wiederzubeleben – ebenfalls seit 2014 findet deshalb in der Hauptstadt Kabul am 1. Mai wieder eine Kundgebung statt. Lautstark wird für Arbeit, Bildung und Frieden demonstriert. Die IG Metall unterhält zahlreiche Bildungsarbeits-Projekte für BetriebsrätInnen und Vertrauensleute unter anderem in Lateinamerika, Tunesien, Ungarn und den USA. Kehrbaum: „Die gewerkschaftliche Bildungsarbeit spielt bei internationalen Kooperationen eine wichtige Rolle. Von vielen Gewerkschaften wird sie als Chance gesehen, innerorganisatorische Reformen mit anzustoßen.“ Die NUAWE wird seit zwei Jahren intensiv unterstützt. Projekte wie diese sind konkrete Beispiele dafür, wie internationale Solidarität in der Praxis konkret aussehen kann.

Grundgedanke
Solidarität: Sie ist der Grundgedanke von Gewerkschaften. Die internationale Dimension war und ist ein wichtiger Teil gewerkschaftlichen Engagements. Die Entstehung moderner Gewerkschaften etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Reaktion auf die globale Durchsetzung des Kapitalismus sowie der damit verbundenen (und bis heute) wachsenden Ungleichheit in und zwischen Klassen, aber auch Staaten und Regionen. Bereits um 1900 existierten in allen Industriestaaten starke, branchenübergreifende Gewerkschaftsbewegungen.
Am Beginn standen ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst exklusive Fachorganisationen, die mit dem Mittel des Streiks ihre Interessen durchzusetzen versuchten. Zeitgleich häufte sich bemerkenswerterweise der Begriff Solidarität im allgemeinen Sprachgebrauch. Für diese Vorläufer moderner Gewerkschaften bedeutete diese Parole vor allem die gegenseitige Unterstützung bei Arbeitskämpfen bzw. insbesondere die Abwehr von Streikbrechern, welche die Arbeitgeber aus unterschiedlichen Regionen Europas herbeischafften. Solidaritätsarbeit musste sich demnach überregional entwickeln, zumindest wenn sie effizient sein sollte. Es waren sozialistische Kräfte wie die Erste Internationale (IAA), die das erkannten und durch ihre Strukturen einen organisatorischen Rahmen anbieten wollten.
Die IAA leistete aber noch mehr für die Gewerkschaftsbewegung im Hinblick auf die internationale Solidarität. Sie beobachtete nämlich genau die Entwicklungen der Gewerkschaften in unterschiedlichen Ländern, insbesondere in Britannien. Im Mutterland der Industrialisierung war der Einfluss der IAA (und später der Sozialdemokratie) aus historischen Gründen zwar schwach, aber die Entwicklung der Gewerkschaften schon weit fortgeschritten. Bereits im Jahr 1868 wurde hier ein branchenübergreifender und gleichzeitig überregionaler, also im Gesamtstaat wirksamer und daher erfolgreicher Gewerkschaftsdachverband gegründet. Erfolgsmodelle wie dieses wurden von der IAA aufgegriffen, beworben und schließlich von der (zweiten) Sozialistischen Internationale ab 1889 auf dem europäischen Festland konsequent umgesetzt. In vielen Staaten konzipierten sozialistische GewerkschaftsaktivistInnen Dachverbände, die sich in den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg mit Leben und Mitgliedern füllten.

Inhaltliche und praktische Impulse
Weitere wichtige inhaltliche und praktische Impulse der Sozialdemokratie für diese wachsende Bewegung betrafen ebenfalls Fragen der internationalen Solidarität. Dazu gehörte beispielsweise der Beschluss der Zweiten Internationale, ArbeitsmigrantInnen überall zu organisieren und ihre Interessen gewerkschaftlich vertreten zu wollen, oder auch jener, am 1. Mai einen internationalen Streik- und Kampftag für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung durchzuführen. Insbesondere für die Gewerkschaften im Habsburgerstaat hatte die Umsetzung des „Ersten Mai“ eine hohe symbolische Bedeutung, weil hier immer wieder im tobenden Nationalitätenstreit ein gemeinsames Zeichen der ArbeiterInnenschaft gezeigt wurde. Ebenfalls bemerkenswert: Pro Kopf gerechnet leisteten die sozialistisch geprägten Freien Gewerkschaften der Monarchie die höchsten Geldbeiträge für die branchenübergreifenden Gewerkschaftsgremien auf internationaler Ebene, die ab 1902 entstanden.
So wichtig die internationale Solidarität den Gewerkschaften auch schien, so schwierig sollte es sich gestalten, diese mit Leben zu erfüllen. Denn die weitere Entwicklung der Gewerkschaften sollte auf nationalstaatlicher Ebene stattfinden. Alle wichtigen Entscheidungen sowie der überwältigende Anteil der Verfügungsgewalt über die gewerkschaftlichen Ressourcen blieben bei den nationalstaatlichen Verbänden. Explizit wurde von den internationalen Gremien sogar festgehalten, nicht über Unterstützungszahlungen bei Arbeitskämpfen entscheiden zu dürfen. Gegenüber dem Import von Streikbrechern konnte sich eine internationale Konferenz 1907 lediglich auf eine öffentliche Namensliste entsprechender Personen einigen. Angesichts der Globalisierung und der starken Machtposition des Kapitals wäre eine starke internationale Vernetzung umso wichtiger. Die Dominanz der nationalstaatlichen Verbände aber ist bis heute erhalten geblieben. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hält in seiner Satzung sogar fest: „Die Mitgliedsorganisationen bleiben auf nationaler Ebene uneingeschränkt autonom.“ Die Mitgliedsbeiträge und damit die Schlagkraft der internationalen Strukturen sind gering. Politisch verstehen sich diese Gremien vor allem als (Gegen-)Lobby in verschiedenen internationalen Organisationen. So pflegt der IGB Beziehungen zur Internationalen Arbeitsorganisation, UNO-Sonderorganisationen, OECD oder den G20, um dort die Interessen der ArbeitnehmerInnen voranzutreiben.

Voneinander lernen
Konkrete Solidaritätsarbeit wird vor allem von nationalen Verbänden, Fachgewerkschaften bzw. – grenzüberschreitend – durch interregionale Gewerkschaftsräte (IGR) geleistet. Aber auch hier sind strukturelle Probleme erkennbar. So räumte Marcus Strohmeier, der Leiter des Internationalen Referats des ÖGB, bei einer Buchpräsentation im Jahr 2015 ein, dass die Ansätze des ÖGB aufgrund mangelnder Finanzmittel begrenzt seien. Hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit bestünden die Aufgaben des ÖGB vor allem in der Reaktion auf dringende Notrufe und der Organisation von Seminaren für KollegInnen aus dem sogenannten Süden. Sepp Wall-Strasser ergänzte, dass die Arbeit des ÖGB darauf abziele, AkteurInnen unterschiedlicher Länder zusammenzuführen, damit diese voneinander lernen.
Bemerkenswert sind in diesem Kontext gewerkschaftliche Basisinitiativen wie die Unterstützung streikender BergarbeiterInnen in Südafrika (2012) oder die „Klinik der Solidarität“ in Griechenland. Ein Beispiel für transnationale Kooperationen ist eben die Zusammenarbeit der IG Metall mit der afghanischen Gewerkschaft NUAWE. Diese ist Mitglied im Welt-Gewerkschaftsdachverband und hat Frauen- wie Jugendorganisationen – nicht selbstverständlich in dieser Gegend. Zusätzlich wurde vor einem Jahr die Abteilung für gewerkschaftliche Bildung organisiert. „Wir unterstützen sie bei der Organisationsentwicklung, der politisch strategischen Entwicklung und bei der Ausbildung der BildungsreferentInnen“, erklärt Kehrbaum von der IG Metall. Eigens dafür wurden sechs junge Studierende – fünf Männer und eine Frau – eingestellt und von der IG Metall als TrainerInnen, etwa in Methodik oder Didaktik, ausgebildet. Die Ausbildungsmodule für GewerkschafterInnen finden in Indien (meist Neu Delhi) statt, denn in Kabul mit einem Alltag aus Anschlägen ist es zu gefährlich.

Ausbeutung und Missbrauch
Bildungsexperte Kehrbaum reiste öfters nach Afghanistan, spricht schon ein paar Brocken Dari und ist Referent bei allen drei Modulen des ersten Ausbildungsgangs in Indien. Die Module dauern je eine Woche und behandeln die Themen Kommunikation, Methodik und Didaktik. Der gelernte Mechaniker kam mit 18 Jahren zur IG Metall, arbeitet seit 1999 hauptberuflich dort und ist heute im Vorstand für die internationale Bildung zuständig. Kehrbaum hat dazwischen sogar ein Studium der Pädagogik und Philosophie abgeschlossen und promoviert nun. Welche immense Bedeutung gewerkschaftliche Bildungsarbeit und damit internationale Solidarität haben kann, zeigt sich auch durch die Altersstruktur der afghanischen Bevölkerung. „Afghanistan ist das einzige Land der Erde, in dem 65 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt sind“, sagt Tom Kehrbaum.
Der Krieg hat vielen Älteren und Männern das Leben gekostet – Frauen sind gezwungen, ihre Familien allein zu ernähren. „Dadurch sind sie absoluten Ausbeutungsverhältnissen und zum Teil Missbrauch ausgesetzt.“ Wenig verwunderlich: Familien, gerade die verbliebenen älteren Menschen, legen ihre gesamten Ersparnisse aus dem Verkauf letzter veräußerbarer Habseligkeiten zusammen, damit ihre Kinder oder Enkel in eine bessere Welt flüchten können. Diese Mütter und Großmütter rechnen nicht damit, die jungen Leute jemals wiederzusehen.

Fluchtursachen bekämpfen
Die sogenannte Willkommenskultur und das Begrüßen ankommender Flüchtlinge verschafften den Angehörigen etwas Seelenfrieden: „Die Menschen hören Wochen oder Monate nichts von ihren Kindern. Wenn sie dann sehen, dass sie begrüßt werden, und dann erhalten sie auch noch einen Anruf, ist das für sie das Wichtigste auf der Welt.“ Doch NUAWE versucht freilich gegenzusteuern und die Zukunft Afghanistans im Land zu halten. „Sie organisiert Demos gegen die Flucht und beschwört die Jungen: Bleibt hier, baut gemeinsam das Land auf und engagiert euch auch politisch!“
Die überwiegende Armut der Bevölkerung macht es der NUAWE allerdings nicht leichter. Manche Provinz bietet Bedingungen, die mittelalterlich anmuten. Anders verhält es sich rund um Kabul und die großen Städte der Provinzen – dort ist die Wirtschaft nach den Grundbedürfnissen ausgerichtet. Kehrbaum: „Der Mensch muss essen, er muss Kleidung haben und irgendwo wohnen. Industrie kann man es nicht nennen, aber es gibt eine nicht unerhebliche Agrarwirtschaft, eine Textilwirtschaft und die Herstellung von Baumaterialien.“

Koran und Mindestlohn
Die Verarbeitung der Wolle zu Textilien ist zumeist Frauensache, in der Herstellung von Ziegeln wiederum grassiert die Kinderarbeit – die Jüngsten müssen mitarbeiten, um die Familien zu ernähren. „Die Gewerkschaften fahren mehrgleisig. Sie wollen gegen absolute Ausbeutung vorgehen – Übergriffe und Missbrauch werden thematisiert“, weiß der Projektleiter der internationalen Bildungsarbeit. Auf politischer Ebene ist gerade eine Kampagne für den Mindestlohn von 10.000 Afghani gestartet worden.
„Bezahle deinen Arbeiter, solange sein Schweiß noch nass ist“ – so ähnlich besagt es eine Regel im Koran. „Die Taliban haben grundsätzlich nichts gegen Gewerkschaften. Im Koran wird auch Grundsätzliches wie gerechter Tausch und kein Mehrwert wie Zinsen angesprochen. Es gibt Regeln, die Gewerkschafter verwenden können, und sie arbeiten auch auf den Prinzipien der Religion“, erzählt Kehrbaum. Der NUAWE-Modernisierungskurs mit Forderungen nach Bildung und Gleichstellung wird in Kreisen der Taliban und des IS naturgemäß nicht gutgeheißen. Modernisierung heißt in einem Land wie Afghanistan auch Mut.
Sind die gewerkschaftlichen Vertreter derzeit noch mehrheitlich ältere Männer, liegt der Fokus auf den jungen Menschen und Nachwuchskräften. Kehrbaum: „Wir haben sie darin bestärkt, dass sie in Zukunft auf die Jungen setzen. Auch im Vorstand arbeiten schon viele junge Leute. Die sind auf Zack, wenn es um Computer geht, und sprechen auch gut Englisch.“ An ihrer Seite steht während der Ausbildung auch Kehrbaums junger Kollege Sultan Amini, der mit 17 Jahren von Afghanistan nach Deutschland geflohen ist und ebenfalls beim Vorstand der IG Metall arbeitet. Ende Juli und Ende August finden das zweite und das dritte Modul statt. „Gerade wird ein Seminarkonzept entwickelt, um im nächsten Jahr wieder drei Module anbieten zu können. Es wird verstärkt um Arbeitsrecht, politisches Campaigning und Kommunikationstraining gehen.“
Zurück zum Thema internationale Solidarität. Aus globaler Perspektive spiegelt sich in den Schwerpunkten der Solidaritätsarbeit letztlich die reale Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung wider: Im Süden bzw. teilweise wieder im Osten Europas liegen auch jetzt die Wachstumsregionen der Gewerkschaften. Beispielsweise haben einige Organisationen in Indien ihre Mitgliedsstärke in den letzten 20 Jahren verdoppelt oder sogar verdreifacht. In einzelnen Staaten – wie etwa Afghanistan – mussten Gewerkschaften überhaupt erst (wieder) aufgebaut werden. Umgekehrt bläst diesen KollegInnen seit jeher jener raue Wind entgegen, der auch in (West-)Europa inzwischen zu spüren ist. Eben aufgrund dieses rauen Windes bedarf es einer starken wie grenzüberschreitenden Organisierung der ArbeitnehmerInnen, auf dass deren Interessen wieder mehr Gewicht bekommen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen john.evers@vhs.at und sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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John Evers, Sophia Fielhauer-Resei Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406102 In Afghanistan legen die älteren Menschen ihre gesamten Ersparnisse zusammen, damit ihre Kinder oder Enkel in eine bessere Welt flüchten können: Afghanistan ist das einzige Land der Erde, in dem fast zwei Drittel unter 25 Jahre alt sind. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406119 In einer normalen afghanischen Familie müssen sieben Menschen mit dem monatlichen Durchschnittslohn von 5.000 Afghani ernährt werden. Rund 64 Euro sind das umgerechnet. Pro Person und Tag bleiben somit rund 24 Afghani bzw. 30 Cent. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406094 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 20 Jun 2016 00:00:00 +0200 1466042405782 Internationale Solidarität begleitet moderne Gewerkschaften seit ihrer Entstehung Internationale Solidarität wird immer wieder in Festtagsreden beschworen. Gleichwohl habe der Begriff an Strahlkraft und Wirkmächtigkeit verloren, behauptet die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Eine (neo)liberale Website beschreibt (internationale) Solidarität demgegenüber zynisch als „Plastikwort“, das beliebig im politischen Alltag eingesetzt werde.

In ihrem Beitrag zum Momentum-Kongress im Jahr 2010 mit dem Titel „Solidarität im Kapitalismus“ kommentieren Stephan und Markus Pühringer: „Wie viele der zentralen Begriffe des politischen Diskurses scheint auch Solidarität kaum greifbar und in einem stetigen Spannungsverhältnis zwischen verschiedensten Deutungsmustern und Ideologien. Im modernen Sprachgebrauch wird er inflationär verwendet.“ Selbst für Militärinterventionen, bei denen es tatsächlich um strategische Interessen oder Rohstoffe geht, wird der Begriff der Solidarität bemüht. Auch bei der sogenannten Griechenlandrettung wurde behauptet, aus einer ethisch motivierten internationalen Solidarität heraus zu handeln.

Die Momentum-Autoren führen drei Konzepte der Solidarität auf: die Gemeinschafts-Solidarität aus der christlichen Soziallehre, die Kampf-Solidarität, wie sie die ArbeiterInnenbewegung geprägt hat, und eine revolutionär-marxistisch orientierte, emanzipatorische Solidarität. Während das erste Konzept ebenfalls ethisch – im Sinne der christlichen Nächstenliebe bzw. Brüderlichkeit – aufgeladen ist, argumentierte z. B. Marx seine Vorstellung von (internationaler) Solidarität praktisch. Die Kapitalseite agiert international, effiziente Gegenwehr bzw. die Überwindung des Systems ist daher nur durch einen weltweiten Zusammenschluss der ArbeiterInnenschaft möglich. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“, wurde im Jahr 1848 schließlich proklamiert. Für die Gewerkschaften ist die Frage der internationalen Solidarität bis heute ein wichtiges Anliegen. Die praktische Arbeit allerdings ist von vielerlei Spannungsfeldern geprägt. Eines davon entsteht daraus, dass Gewerkschaften vorrangig auf nationalstaatlicher Ebene organisiert sind. Das andere Spannungsfeld lässt sich mit dem Schlagwort Augenhöhe zusammenfassen: Internationale Solidarität soll nicht mehr einer asymmetrischen Logik folgen, wonach Gewerkschaften der Industrieländer dem Rest der Welt erklären, wie Gewerkschaftsarbeit funktioniert.

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Arbeit&Wirtschaft 5/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1466042406133 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219905 Coverstory: Mehr gute Arbeitsplätze Es ist schon eine unangenehme Vorstellung: Man selbst ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, allein zu duschen. Vielleicht wird es sogar zur Herausforderung, es rechtzeitig auf die Toilette zu schaffen. Als wäre das alles nicht schon unangenehm genug, ist man noch dazu auf die Unterstützung einer anderen Person angewiesen. Diese leistet eine körperlich wie psychisch anstrengende Arbeit – und das in der privaten Pflege meist zu sehr bescheidenen Löhnen. Was also würde näher liegen, als diese Arbeiten von einem Roboter machen zu lassen?
Am weitesten geht man in der Hinsicht in Japan. Dort gibt es nicht nur Roboter, die Menschen beim Aufstehen unterstützen oder diese gar tragen können. Auch eine Lösung für die Intimpflege hat man entwickelt: In einer eiförmigen Wanne wird man mithilfe von Düsen gewaschen, ohne umfallen zu können. Im Übrigen hatte es die japanische Firma bereits in den 1970er-Jahren mit einer solchen Dusche für Privathaushalte auf dem Markt versucht. Durchgesetzt hat sich dies damals ebenso wenig wie heute, zu teuer ist die aktualisierte Version in der Pflege. Der Fantasie scheinen aber wenig Grenzen gesetzt. Andere Roboter sollen Menschen ihre Mobilität zurückgeben. Ein anderes Feld sind technische Geräte zur Sicherheit wie eine Bodenmatte, die ein Signal an die Station schickt, wenn eine Person aufsteht, ob aus dem Bett oder vom Sessel. Damit soll vermieden werden, dass die Menschen stürzen. So kann ein Pfleger oder eine Pflegerin schnell herbeieilen und zu Hilfe kommen. Selbst wenn Personal zu spät kommen sollte, ist so immerhin sichergestellt, dass die betroffene Person gleich versorgt werden kann, so dies nötig ist.
Manchen wird wohl bei der Vorstellung ein kalter Schauer über den Rücken laufen, sich in so sensiblen, weil intimen Bereichen von Robotern betreuen zu lassen. Zu groß scheint die Einsamkeit alter Menschen schon jetzt zu sein. Auch das Argument, dass damit weitere Arbeitsplätze vernichtet werden, ist nur schwer von der Hand zu weisen. Aber wäre es nicht sinnvoller, PflegerInnen für andere Tätigkeiten einzusetzen? Sie könnten sich mit den SeniorInnen beschäftigen, sich mit ihnen unterhalten, mit ihnen Karten spielen oder ihnen die Einsamkeit auf andere Arten nehmen. Was es dafür braucht, sind natürlich Konzepte. Diese wird es angesichts des demografischen Wandels aber ohnehin brauchen.

Momentan aber wird die Demografie eher in einem anderen Zusammenhang ins Spiel gebracht: die Finanzierbarkeit des Pensionssystems, besser gesagt, dessen angebliche Unfinanzierbarkeit. Hier wird gerne mit großen Zahlen jongliert. Mehr als zehn Milliarden Euro mehr sollen künftig notwendig sein, um die Pensionen zu sichern, lautet eine düstere Prognose. Auch wenn niemand den demografischen Wandel leugnen wird, so gibt es doch lautstarke Einwände gegen die Gleichsetzung „Je mehr alte Menschen, desto unsicherer die Pension“. Hier werden Äpfel mit Birnen vermischt, halten Erik Türk und Josef Wöss in ihrem Beitrag für das Buch „So sicher ist Ihre Pension“ fest. Allzu voreilig wird eine weitere Kürzung der Pensionen gefordert, während die eigentliche Herausforderung woanders liegt. Die beiden AK-Pensionsexperten finden dazu klare Worte: „It’s the Arbeitsmarkt, stupid!“

Beschäftigung schaffen
Es kommt eben nicht nur auf die Anzahl von jungen und alten Menschen an, wie es in der politischen Debatte meist verkürzt dargestellt wird. Zentral ist vielmehr das Verhältnis zwischen PensionistInnen und Arbeitslosen auf der einen Seite und BeitragszahlerInnen auf der anderen. Im sogenannten Abhängigkeitsquotenrechner hat die AK diesen Zusammenhang rechnerisch belegt. Wenn man also dafür sorgt, dass möglichst viele Menschen arbeiten können, bleibt das System finanzierbar. Bestätigt wird diese These von niemand Geringerem als der EU-Kommission. In ihrem Demografie-Report 2008 hält sie fest: „Die Anhebung der Beschäftigungsquoten ist die effektivste Strategie, mit der sich Länder auf die Alterung der Bevölkerung vorbereiten können.“
Allerdings kommt es nicht nur auf die Anzahl an Arbeitsplätzen an, sondern auch auf deren Qualität. „Mehr und bessere Arbeitsplätze sind die beste Antwort, wenn es darum geht, die Relation zwischen Pensionisten und Erwerbstätigen trotz massiver Verschiebung der Altersstruktur im Lot zu halten“, so Türk und Wöss. Der Trend aber geht in eine völlig andere Richtung, Stichwort Prekarisierung. Die Pflegekräfte sind dafür ein gutes Beispiel. Im Jahr 2007 wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dem die 24-Stunden-PflegerInnen legalisiert wurden. Die meisten von ihnen kamen schon damals aus Osteuropa, die meisten waren illegal beschäftigt. Nun sind sie Selbstständige mit Gewerbeschein. Dies war ohne Zweifel ein wichtiger Fortschritt, weil sie nun angemeldet und damit auch sozial abgesichert sind, Pension inklusive. Auf der anderen Seite aber sind sie weiterhin schlecht bezahlt, und das obwohl sie nicht nur eine körperlich wie psychisch schwere Arbeit verrichten, sondern noch dazu zu völlig entgrenzten Arbeitszeiten haben.

Trotz dieser sehr prekären Situation wird die Pflege gerne als Jobmotor der Zukunft genannt. Das ist keineswegs falsch, schließlich ist abzusehen, dass es in diesem Feld auf lange Perspektive mehr denn weniger zu tun geben wird. Dazu kommt, dass Investitionen in soziale Dienstleistungen nicht zuletzt Frauen entlasten, da diese etwa Pflege oder Kinderbetreuung nicht mehr privat organisieren müssen. Damit können auch sie wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Zugleich arbeiten in diesen Bereichen viele Frauen. Win-win also? Jedenfalls dann nicht, wenn man auch hier wieder den Maßstab anlegt, dass es nicht nur auf die Anzahl der geschaffenen Jobs, sondern auch auf deren Qualität ankommt. Eben diese Qualität müsste sich dann auch in der Bezahlung widerspiegeln. Die vergleichsweise geringe Bezahlung aber passt so gar nicht zu einem Beruf, der als zukunftsträchtig angepriesen wird. Und um zurück zu den Robotern zu kommen: Wenn diese auch noch viele Tätigkeiten übernehmen, gehen erst wieder Arbeitsplätze verloren, wovon Frauen verhältnismäßig stärker betroffen sind. Nicht nur das, es stellt sich erst recht die Frage, wo denn nun die Arbeitsplätze herkommen sollen, die das Pensionssystem finanziell auch weiter absichern sollen?

Man kann die Geschichte aber auch aus einem anderen Winkel betrachten: Genau in diesem Bereich besteht großes Potenzial für Innovationen. Vorsicht ist auch hier angebracht, denn so mancher Job in der Forschung und Entwicklung ist ebenfalls prekär. Der Trend zur Prekarisierung ist nicht auf Österreich beschränkt: Mehr als 50 Prozent der seit 1995 in den OECD-Ländern neu geschaffenen Arbeitsplätze sind prekär, hält etwa Eva Belabed von der OECD fest (siehe auch „Löchriger Schutzschild“, „Mehr Schein als Sein im Prekariat“, „Pension? Das ist schwierig“). Da ein Grundprinzip der österreichischen Pensionsversicherung die sogenannte „Lebensstandardsicherung“ ist, ist die Pension gerade für prekär Beschäftigte in der Tat ein Unsicherheitsfaktor. Denn wer wenig verdient, erhält später entsprechend weniger Pension. Geradezu absurd mutet vor diesem Hintergrund die von Wirtschaftsseite propagierte Lösung an, stärker auf kapitalgedeckte Systeme zu setzen. Denn wer schon im staatlichen Pensionssystem aufgrund von geringen Löhnen und Gehältern Gefahr läuft, in die Armutsfalle zu geraten, dem wird es mit einer privaten Versicherung auch nicht besser gehen, ganz im Gegenteil.
Die Prekarisierung hat aber noch eine weitreichendere Wirkung: „Diese Flexibilisierung der Erwerbsarbeit wird dazu führen, dass die Mindestsicherungselemente wichtiger werden. Diese Flexibilisierungskosten werden damit langfristig auf den Staat und damit die Steuerleistenden überwälzt“, so WIFO-Expertin Christine Mayrhuber. Noch dazu fehlen dem Versicherungstopf wertvolle Einnahmen, denn wer weniger verdient, zahlt auch weniger ein.

Erwünschtes System
Ist es also doch marod, das Pensionssystem? Es ist nicht so krank, wie es gerne hingestellt wird, hält David Mum fest. Der Leiter der Grundlagenabteilung der GPA-djp verweist darauf, dass die Pensionsausgaben zurzeit in Relation zum Bruttoinlandsprodukt bei 14 Prozent liegen und bis 2035 nur um 0,7 Prozent steigen werden. WIFO-Expertin Mayrhuber bringt noch einen weiteren Aspekt in die Kosten-Diskussion ein: Ein Sozialstaat spiegelt sich auch im Pensionssystem wider. So sind Kranken-, Rehabilitations- oder Arbeitslosengeld pensionsrechtlich relevante Versicherungszeiten. Sprich obwohl die Betroffenen mangels Beschäftigung keine Beiträge zahlen, werden diese Zeiten bei ihrer Pension berücksichtigt. Der Bund kommt auch für Kindererziehungsersatzzeiten oder Hinterbliebenenleistungen auf. „Diese Steuermittel sind erwünscht und müssen in einem sozialen System Platz haben“, betont Christine Mayrhuber.
David Mum fasst seine größte Befürchtung folgendermaßen zusammen: Im Glauben, das Pensionssystem zukunftsfit zu machen, verschlechtert man es so sehr, dass die Leistungen den Jungen später keine gute Absicherung mehr gewährleisten. Er verweist darauf, dass Deutschland vor fünfzehn Jahren die öffentlichen Pensionen stark gekürzt hatte und der Fokus auf die private Vorsorge gelegt wurde. „Jetzt stehen sie vor dem Problem, dass das Pensionsniveau nur halb so hoch sein wird wie in Österreich und Altersarmut auch für Leute droht, die jahrzehntelang gearbeitet haben. Steuerliche Förderungen im Privatpensionssystem hätten nichts verbessert. Dementsprechend wäre es gut, wenn wir in Österreich diesen Fehler gar nicht erst machen würden“, sagt Mum.
In Österreich sind in den letzten Jahren zahlreiche Reformen beschlossen worden: „Bei der Pensionsberechnung zählt nun jedes einzelne Versicherungsjahr, früher waren es nur die besten Jahre“, zählt AK-Experte Wöss auf. „Der Zugang zu Frühpensionen wurde massiv erschwert. Bei Pensionsantritt vor dem Regelpensionsalter gibt es nun hohe Abschläge, bei späterem Antritt hohe Zuschläge. Die Anpassung der laufenden Pensionen erfolgt nur mehr mit der Inflationsrate.“
Außerdem wird das Frauenpensionsalter langfristig an das der Männer angeglichen und die BeamtInnenpensionen an die Angestellten-Pensionen angepasst. Dazu kommen Maßnahmen zur Prävention von Invaliditätspensionen, neuerdings gilt etwa der Grundsatz Reha vor Pension.

Arbeitslosigkeit bekämpfen
Viele dieser Reformen zeigen Wirkung. So steigt das Pensionsantrittsalter, während die Zahl der vorzeitigen Alterspensionen sinkt. Das wirkt sich allerdings auch auf die Arbeitslosigkeitsstatistik aus – und zwar negativ. So ist die Arbeitslosigkeit der ArbeitnehmerInnen über 50 um 76 Prozent gestiegen, jene der 50- bis 55-Jährigen ist gar um 110 Prozent angewachsen. Dadurch wird die angestrebte Erhöhung des Pensionsantrittsalters für viele zur Makulatur. Wie man es also dreht und wendet: Die große Baustelle sind nicht die Pensionen, vielmehr ist es der Arbeitsmarkt. AK-Experte Wöss mahnt vor diesem Hintergrund: „Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die Tendenz zu Prekarisierung einzudämmen, dann werden wir sehr viele Probleme haben, auch bei den Pensionen.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Frauen und Pensionen: Neue Anreize geschaffen

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219880 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219893 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219869 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219834 Frauen und Pensionen: Neue Anreize geschaffen Das „Frauenpensionsantrittsalter erhöhen“: Diese Forderung wird von Teilen der ÖVP und anderen WirtschaftsvertreterInnen geradezu gebetsmühlenartig wiederholt. Eine vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters würde aber zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit führen. Schon jetzt mangelt es an Arbeitsplätzen, und Unternehmen setzen ältere ArbeitnehmerInnen bei der erstbesten Gelegenheit auf die Straße – davor warnte der ÖGB immer wieder und das bestätigte auch erst kürzlich eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). 
Eine Umsetzung dieser Forderung konnte ein weiteres Mal erfolgreich verhindert werden. Stattdessen wurden neue Anreize für längeres Arbeiten in der sogenannten „Bonusphase“ beschlossen: Für Frauen, die mit 60 Jahren noch einen Arbeitsplatz haben und die über das Regelpensionsalter hinaus arbeiten können und wollen, erhöht sich die Pension pro weiteres Jahr der Erwerbstätigkeit um circa zehn Prozent. Weiters werden die Pensionsbeiträge für alle halbiert, die in der Bonusphase über das Regelpensionsalter hinaus arbeiten.
 
Altersarmut verhindern
Dass die Ausgleichszulage für Alleinstehende steigen soll, ist aus Frauensicht ein weiterer positiver Schritt. Denn für alle, die mindestens 30 Jahre gearbeitet haben, beträgt die Mindestpension dann 1.000 Euro (bisher 883 Euro). Davon profitieren vor allem jene, die lange teilzeitbeschäftigt waren, und Langzeiterwerbstätige mit schlechtem Einkommen – in diesem Fall ganz besonders Frauen. Zudem können bis zu 96 Monate an Kindererziehungszeiten dafür verwendet werden, um Anspruch auf eine Ausgleichszulage zu bekommen – die Anrechnung der Kindererziehungszeiten wird auf alle ab 1955 geborenen Frauen ausgeweitet. 

Ausgeweitetes Pensionssplitting
Die Nachteile, die Frauen entstehen, die sich länger der Kinderbetreuung widmen, werden durch die Änderungen beim sogenannten Pensionssplitting verringert. Dabei kann der eine Elternteil zugunsten des anderen, der sich der Kindererziehung widmet, auf bis zu 50 Prozent seiner Teilgutschrift für das Pensionskonto verzichten. Bisher war das für die ersten vier Jahre nach der Geburt des Kindes möglich, in Zukunft werden pro Kind bis zu sieben Jahre möglich sein – maximal sind 14 Jahre gestattet. 

Auf gutem Weg
„Ich bin sehr froh, dass die Kürzungen bei den Pensionen, die im Raum gestanden sind, abgewehrt werden konnten und dass es für Frauen entscheidende Verbesserungen geben wird. Der Einsatz für ein sicheres, zukunftsorientiertes Pensionssystem hat sich gelohnt“, zeigte sich AK-OÖ-Präsident Johann Kalliauer nach dem Pensionsgipfel erfreut. ÖGB-Präsident Erich Foglar betonte, dass es auch in Zukunft gilt, diesen Weg weiterzugehen.

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Amela Muratovic Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219893 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219831 Eckdaten zum Pensionssystem 1980 - 2012 1980er: 

  • Durchrechnungszeitraum steigt von fünf auf zehn Jahre
  • Schul- und Studienzeiten werden nicht mehr angerechnet

1991:

  • Anrechnung Kindererziehungszeiten 
  • Bonus bei späterem Pensionsantritt

1992: 

  • Schrittweise Erhöhung des Antrittsalters für Frauen ab 2024
  • Gleitpension

1993: 

  • Durchrechnungszeitraum auf „die besten 15 Jahre“ erhöht
  • Berufsunfähigkeitspension
  • Bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten
  • Deutliche Anhebung des Ausgleichszulagenrichtsatzes
  • Nettoanpassung der Pensionen
  • Volle Hinterbliebenenversorgung auch für Witwer 

Erstmals explizite Festschreibung der Drittel-Finanzierung über den Bundesbeitrag durch einen neu eingeführten § 79a ASVG.

1996: 

  • Zu- und Abschläge Pensionsantritt nach dem 56./61. Lebensjahr
  • Strengere Regeln bei Frühpensionen
  • Rehabilitation vor Pension
  • Pensionsanpassung ausgesetzt

1997:

  • Erhöhung des Durchrechnungszeitraums auf 18 Jahre ab 2003 
  • Verschärfungen bei Frühpensionen
  • Einbeziehung geringfügig Beschäftigter sowie neuer Selbstständiger
  • Höherbewertung von Kindererziehungszeiten ab 2000
  • Altersteilzeit
  • Erleichterungen bei Gleitpension

2000: 

  • Verschärfungen bei Frühpensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit
  • Zugangserleichterungen zur Invaliditätspension
  • Kürzungen bei Invaliditätspension 
  • Kürzungen bei Witwen-/Witwerpension
  • Bonus-Malus in der Arbeitslosenversicherung für Ältere

2002:

  • Abfertigung neu

2003:

  • Reform bzw. Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen
  • Schrittweise Ausweitung des Bemessungszeitraums auf 40 Jahre
  • Höhere Abschläge bei Frühpensionen
  • Absenkung der Steigerungsbeiträge
  • Verlustdeckelung auf maximal 10  %
  • „Prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge“
  • Verbesserungen Kindererziehungszeiten

2004:

  • „Pensionsharmonisierung“: Allgemeines Pensionsgesetz (APG) wird beschlossen
  • Pensionskonto für alle 
  • Lebenslange Durchrechnung
  • Verschlechterungen für Arbeitslose
  • Verbesserungen bei Kindererziehungszeiten
  • Korridorpension als neue Form der Frühpension
  • Nachhaltigkeitsfaktor

2006: 

  • Ausgleichszulagenrichtsatz wird erhöht

2007: 

  • „Hacklerregelung“ wird bis 2010 verlängert 
  • Abschläge bei der Korridorpension reduziert 

2008: 

  • Erhöhung Ausgleichszulagenrichtsatz
  • Pensionskonto kann abgerufen werden 

2009: 

  • Pensionsreform im öffentlichen Dienst

2011: 

  • Nachkauf von Schul- und Studienzeiten wird teurer

2012:

  • Mehr Versicherungsjahre bei Korridorpension nötig
  • Invaliditätspension: Tätigkeitsschutz erst ab 60 Jahren
  • Reform der Altersteilzeit
  • Pensionserhöhung unter der Inflation
  • Neue Formel für Umrechnung der Pensionen aus dem Altrecht
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Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219822 Pensionspläne 2016 Wiedereinstieg nach langer Krankheit
Es soll möglich sein, mit weniger Stunden an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen müssen dazu eine Vereinbarung treffen, möglich ist eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 50 bis 75 Prozent für eine bestimmte Zeit. Um den Gehaltsunterschied auszugleichen, soll eine neue Sozialleistung geschaffen werden. Den Betroffenen entstehen dadurch aber keine Nachteile bei der Abfertigung. Außerdem gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit, und es gibt einen Motivkündigungsschutz. 

Rehabilitation statt Invalidität
Um Invaliditätspensionen möglichst zu vermeiden, sollen Versicherte nach vier Wochen Krankenstand zu einem klärenden Gespräch in die Gebietskrankenkassen kommen. Kranken- und Pensionsversicherung sowie das AMS sollen möglichst eng zusammenarbeiten. In einem Rehabilitationsmonitoring soll der Erfolg von eingeleiteten Maßnahmen gemessen werden. Geplant ist außerdem eine Studie, mit der berufliche Reha-Möglichkeiten analysiert werden sollen. Auch Menschen ohne Berufsschutz sollen in Zukunft Anspruch auf berufliche Rehabilitation haben. Betriebe mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Krankenständen sollen verpflichtet sein, sich beraten zu lassen. 

Pensionskommission neu
Die Pensionskommission soll „deutlich verkleinert“ werden. In Zukunft sollen ExpertInnen ohne Stimmrecht kooptiert werden können, und zwar jeweils eine Person von Wirtschaftsforschungsinstitut, IHS, Pensionsversicherungsanstalt und Beamtenversicherung sowie zwei internationale Fachleute. Über die Bestellung des/der Vorsitzenden sowie des Stellvertreters/der Stellvertreterin entscheiden Kanzleramt, Sozial- und Finanzministerium gemeinsam.
Künftig wird die Kommission nicht nur für den Bereich der ASVG-Versicherten, Bauern, Gewerbetreibenden zuständig sein, sondern auch für BeamtInnen. Ein regelmäßiges Monitoring im öffentlichen Dienst ist geplant. Die Bundesregierung muss den Nationalrat über Vorschläge der Pensionskommission informieren oder „alternative, für das Pensionssystem gleichwertige Maßnahmen“ vorlegen.

Anreize für längeres Arbeiten
Für jedes Jahr, das eine Person übers Pensionsantrittsalter hinaus arbeitet, erhöht sich die Pension um rund zehn Prozent. Niedrigere Beiträge bei längerer Beschäftigung: Arbeiten ArbeitnehmerInnen drei Jahre übers gesetzliche Antrittsalter hinaus, entfallen die Pensionsversicherungsbeiträge für ArbeitnehmerInnen und Dienstgeber bis zur Hälfte. Die Pension reduziert sich dadurch nicht, vielmehr wird der volle Betrag am Pensionskonto gutgeschrieben. 

Harmonisierung
Die Regierung plant die weitere Harmonisierung der Pensionssysteme. Ziel ist es, ein einheitliches Pensionssystem zu schaffen.

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Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219377 Kleine Enzyklopädie der Pension Abhängigkeitsquoten-Rechner: In der Diskussion über Pensionen wird landläufig davon ausgegangen, dass die Finanzierung des Pensionssystems allein auf der demografischen Entwicklung beruht, also dem Verhältnis zwischen Jung und Alt.
Diese Relation zwischen verschiedenen Altersgruppen wird demografische Abhängigkeitsquote genannt. Gewerkschaften und AK halten dem entgegen, dass das Verhältnis von BezieherInnen von Transferleistungen wie Pension oder Arbeitslosengeld zu Erwerbstätigen sehr viel wichtiger und aussagekräftiger ist.
Der Fachausdruck dafür ist die ökonomische Abhängigkeitsquote, und diese sollte in der Diskussion über die Nachhaltigkeit der Pensionen im Vordergrund stehen.
Die AK Wien hat einen Rechner entwickelt, der eine anschauliche Darstellung sowohl des demografischen Wandels als auch der ökonomischen Abhängigkeitsquote erlaubt. Insbesondere lässt sich die Auswirkung verschiedener Arbeitsmarktszenarien auf die künftige Entwicklung der ökonomischen Abhängigkeitsquote rechnerisch ermitteln und bildlich darstellen.
Die zentrale Botschaft lautet: Hohe Beschäftigung auf Basis hochwertiger Arbeitsplätze und die effektive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der bestehenden Beschäftigungsbarrieren (Mängel bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Fehlen altersgerechter Arbeitsplätze etc.) sind die zentralen Stellschrauben im Umgang mit dem demografischen Wandel.

Ausgleichszulage: Bei niedrigem Einkommen bzw. einer geringen Anzahl an Versicherungsjahren kann der Pensionsanspruch sehr niedrig ausfallen. Um Armut zu vermeiden, gibt es die „Ausgleichszulage“. Diese kann bezogen werden, wenn das Gesamteinkommen (Bruttopension, sonstige Nettoeinkünfte und eventuelle Unterhaltsansprüche) einen bestimmten Betrag – den sogenannten Richtsatz – nicht erreicht.
Derzeit beträgt der Ausgleichszulagen-Richtsatz 882,78 Euro pro Monat. Niedrigere Pensionen werden bis zu diesem Betrag ausgeglichen, wenn man einen entsprechenden Antrag stellt. Weitere Richtsätze gibt es für Paare, die im gleichen Haushalt leben, ob verheiratet oder in einer eingetragenen Partnerschaft, Witwen sowie Waisen.
224.000 Personen haben im Jahr 2014 die Ausgleichszulage bezogen, dies entspricht 14 Prozent aller PensionsbezieherInnen in Österreich.
Im Schnitt betrug die Aufzahlung 302 Euro. Ältere Menschen, die aufgrund unzureichender Versicherungszeiten keinen Anspruch auf eine Pension und folglich auch nicht auf die Ausgleichszulage haben, sind auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen.

Automatismus: Unter „Automatismus“ wird ein Pensionssystem verstanden, in dem das Pensionsantrittsalter automatisch an die gestiegene Lebenserwartung angepasst wird.

Beitragsgrundlage: Diese ist die Basis, von der die Beiträge berechnet werden, die ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber an die Sozialversicherung zu leisten haben. Grundsätzlich entspricht sie dem (Brutto-)Einkommen (siehe Pensionsbeitrag).

Betriebspension: Dabei handelt es sich um eine komplementäre Leistung zur gesetzlichen Pension, die auf freiwilliger Basis beruht, die der Arbeitgeber den ArbeitnehmerInnen gewähren kann. Es muss keine reine Altersversorgung sein, sondern kann auch eine Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- oder Hinterbliebenenpension umfassen. Geregelt wird die Betriebspension seitens des Arbeitgebers im Einzelarbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder im Kollektivvertrag.

Bruttoinlandsprodukt: Das Bruttoinlandsprodukt entspricht dem Geldwert aller in einer bestimmten Periode von inländischen Wirtschaftseinheiten produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen nach Abzug des Wertes der im Produktionsprozess als Vorleistung verbrauchten Güter.
Den Pensionsaufwand misst man in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. So kann festgestellt werden, welcher Anteil des Gesamteinkommens bzw. der Gesamtproduktion den PensionistInnen zur Verfügung gestellt wird.
Gemäß den Projektionen der EU-Kommission, die die Daten vom österreichischen Finanzministerium bezieht, betragen die öffentlichen Pensionsausgaben im Jahr 2014 14 Prozent des BIP und steigen bis 2060 auf 14,4 Prozent des BIP. Die Prognosen der EU-Kommission sagen zudem einen Höchststand im Jahr 2037 voraus, in dem die Pensionsausgaben 14,7 Prozent des BIP ausmachen werden. Dies ist nämlich jenes Jahr, in dem die sogenannte Baby-Boom-Generation das Pensionsalter erreicht.

Bonus-Malus-System: Im Regierungsprogramm ist ein Bonus-Malus-System als Anreiz bzw. als Druckmittel für Unternehmen vorgesehen, um eine entsprechende Zahl an Arbeitsplätzen für ältere ArbeitnehmerInnen zu schaffen und zu sichern. Betriebe, die ältere Menschen beschäftigen, sollen stärker gefördert werden, wer hingegen zu wenige beschäftigt, wird zur Kasse gebeten.
Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer sprachen sich stets gegen die Umsetzung dieses Gesetzes aus. 2015 wurde daher im Parlament eine abgeschwächte Variante beschlossen, die hinter dem ursprünglichen Konzept zurückbleibt.

Demografie: Der Begriff kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus den beiden Wörtern „démos“ (Volk) und „graphé“ (Beschreibung, Schrift) zusammen.
Die Bevölkerungswissenschaft befasst sich mit der Entwicklung von Bevölkerungen und ihren Strukturen, angefangen von der geografischen Verteilung und dem alters- und zahlenmäßigen Aufbau als auch den Faktoren, die für die Veränderungen innerhalb der Bevölkerung verantwortlich sind – Umwelt- und soziale Faktoren. Die aktuellste Prognose des Österreichischen Statistischen Zentralamts aus dem Jahr 2014 schätzt für das Jahr 2050 die Bevölkerung Österreichs auf 9,5 Millionen Einwohner.

Faktisches Pensionsalter: Das faktische Pensionsalter ist jenes Alter, in dem die Menschen durchschnittlich tatsächlich ihre Alterspension antreten – dabei werden auch die Invaliditätspensionen berücksichtigt. Bei Frauen beträgt dieses 58,6, bei Männern 60,8 Jahre. Verglichen mit den 1990er-Jahren ist dieses stark gestiegen, nämlich um 2,7 Jahre bei Männern und 1,9 bei Frauen. Berücksichtigt man nur die Alterspensionen – ohne Invaliditätspension –, ist das durchschnittliche Antrittsalter bei den Männern 63,2 und bei den Frauen 59,8 Jahre.

Freiwillige Höherversicherung: Dabei handelt es sich um eine freiwillige Zusatzversicherung, die den Versicherten auf Antrag ermöglicht, durch eine vom Einkommen unabhängige zusätzliche Beitragszahlung den Pensionsanspruch zu erhöhen. Die Voraussetzung für den Abschluss einer Höherversicherung ist eine Pflicht-, Weiter- oder Selbstversicherung in der Pensionsversicherung.
Die Höherversicherung kann jederzeit begonnen oder beendet werden. Dabei gilt: je jünger die AntragstellerInnen, desto höher der Prozentsatz. Die Höhe der Zusatzpension steht dabei in direktem Verhältnis zur Höhe der einbezahlten Beiträge, diese werden auch entsprechend aufgewertet.
Die Besonderheit der Höherversicherung ist die Versteuerung, denn 75 Prozent sind steuerfrei, die restlichen 25 Prozent werden gemeinsam mit der gesetzlichen Pension versteuert.

Höchstbeitragsgrundlage: Der Beitragssatz für die gesetzliche Pension beträgt 10,25 Prozent des Bruttomonatslohns. Liegt der Bruttomonatslohn jedoch über 4.650 Euro, ist jener Teil beitragsfrei, der darüber liegt, und wird bei der Pensionsbeitragsberechnung nicht berücksichtigt.

Gender Pension Gap: Als Gender Pension Gap wird die Pensionslücke zwischen Frauen und Männern bezeichnet. Laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger erhalten Frauen in Österreich um rund 48 Prozent weniger Alterspension als Männer. Die geschlechtsspezifische Pensionsschere hat sich trotz erhöhter Erwerbsbeteiligung der Frauen in den letzten Jahrzehnten kaum verringert.

Kapitaldeckung: Das Kapitaldeckungsverfahren ist der Gegensatz zum Umlageverfahren, das in Österreich in der gesetzlichen Pensionsvorsorge gilt.
Während beim Umlagesystem die Erwerbstätigen die Gruppe der PensionistInnen finanzieren, wird beim Kapitaldeckungssystem das eingezahlte Geld auf dem Kapitalmarkt veranlagt. Dieses Verfahren, so meinen seine VerfechterInnen, sei als Ergänzung zum staatlichen System dringend nötig, um die BeitragszahlerInnen zu entlasten.
Zudem seien die Renditen auf den Kapitalmärkten höher als die Wachstumsraten der Löhne und der Beschäftigung, weshalb kapitalgedeckte Systeme den Einzahlenden höhere Pensionen bescheren würden.
Nicht zuletzt die Finanzkrise hat gezeigt, dass diese Argumentation auf tönernen Füßen steht, immerhin haben Pensionsfonds im Jahr 2008 fast ein Viertel ihres Werts verloren.

Mindestpension: In Österreich gibt es keine gesetzliche Mindestpension. Daher fällt bei sehr niedrigem Einkommen und/oder kurzer Versicherungszeit ein sehr niedriger Pensionsanspruch aus. Dies kann durch die Ausgleichszulage (siehe oben) ausgeglichen werden.

Pensionsarten: Der gesetzliche Versicherungsschutz umfasst Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenpensionen. Zusätzlich gibt es verschiedene Varianten der Alterspension, neben der „normalen“ Alterspension gibt es noch die Korridorpension. Diese ist in der Praxis hauptsächlich für Männer von Bedeutung, da für Frauen ein niedrigeres Pensionsantrittsalter gilt.
Bei Pensionsantritt müssen derzeit folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Vollendung des 62. Lebensjahres und 474 Versicherungsmonate, das sind umgerechnet 39,5 Jahre. Ab 2017 sind 480 Monate, umgerechnet 40 Jahre notwendig.
Außerdem gibt es die Hacklerregelung, in der Fachsprache Langzeitversicherungspension genannt. Grundsätzlich können sie Frauen ab dem 55. Lebensjahr in Anspruch nehmen, wenn sie 40 Beitragsjahre haben. Männer wiederum können ab dem 60. Lebensjahr bei 45 Beitragsjahren in Hacklerpension gehen.
Voraussetzung für die Schwerarbeitspension wiederum sind 45 Versicherungsjahre, zusätzlich muss man in den 20 Jahren vor Pensionsantritt 120 Monate lang Schwerarbeit geleistet haben.
Was Schwerarbeit ist, definiert der Gesetzgeber, berühmt geworden sind die Kalorien-Regeln: bei Männern 2.000, bei Frauen 1.400 Arbeitskilokalorien bei einer achtstündigen Arbeitszeit. Unter Schwerarbeit fallen aber auch Pflege in der Hospiz- oder Palliativmedizin, Schichtdienste unter bestimmten Bedingungen oder Tätigkeiten bei Hitze, Kälte oder mit chemischen oder physikalischen Einflüssen.

Pensionsbeitrag: Beitragssatz lautet der Fachbegriff für jenen Prozentsatz der Beitragsgrundlage, der als Beitrag zur Pensionsversicherung zu leisten ist. Dieser ist gesetzlich festgelegt und beträgt seit dem Jahre 1988 22,8 Prozent des versicherten Erwerbseinkommens. Bei Unselbstständigen werden 10,25 Prozent als ArbeitnehmerInnen-Beitrag vom Bruttolohn abgezogen. Der Rest wird von den ArbeitnehmerInnen entrichtet und bildet einen Teil der Lohnnebenkosten.

Prämiengeförderte Zukunftsvorsorge: Seit 2003 werden von Versicherungen und Banken spezielle Versicherungs- und Investmentfondsprodukte angeboten, die mit staatlichen Prämien gefördert werden.
Die gesetzlichen Grundlagen für die Produkte als auch die Förderungen sind im Einkommensteuergesetz festgelegt, mit Voraussetzungen wie einer Mindestbindungsfrist von zehn Jahren sowie dem Bezug der lebenslangen Pension, sofern die Sparphase vereinbarungsgemäß eingehalten wurde.
Auch die staatliche Prämie ist im Einkommensteuergesetz geregelt, während die VerbraucherInnen die Einzahlung garantieren müssen. Zudem schreibt das Gesetz vor, dass die Einzahlungen zu festgelegten Sätzen in Aktien – unter festgelegten Aktienquoten – angelegt werden müssen.
Die staatliche Prämie kann, je nach Marktzinsniveau, zwischen 4,25 und 6,75 Prozent der jährlichen Einzahlungen betragen. Während der Einzahlungsphase fallen für den Verbraucher keine Kapitalertrags-, Einkommen-, Erbschafts- oder Versicherungssteuern an, bezieht man die Pension, fällt keine Einkommensteuer an.

Regelpensionsalter: Wird das Regelpensionsalter erreicht, kann die reguläre Alterspension angetreten werden. Derzeit ist das Regelpensionsalter bei Frauen das vollendete 60., bei Männern das vollendete 65. Lebensjahr. Bis zum Jahr 2024 gilt dieses geschlechtsspezifische Antrittsalter, ab dann wird das Regelpensionsalter der Frauen schrittweise an jenes der Männer angepasst, ab 2033 gilt ein einheitliches Alter für beide Geschlechter.

Säulen des Pensionssystems: Die Altersvorsoge in Österreich steht auf den sogenannten drei Säulen. Die erste Säule stellt die gesetzliche Pension dar, die auf dem Umlageverfahren beruht. Bei der zweiten und dritten Säule handelt es sich um die betriebliche Vorsorge und die private Zusatzpension.

Teilversicherungszeiten: Zeiten von Präsenz- oder Zivildienst, Kindererziehungszeiten, Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gelten als Teilversicherungszeiten. Obwohl sie nicht zu Lücken führen, wirken sie sich teilweise verringernd auf die Bemessungsgrundlage aus.

Umlageverfahren: Jede Generation finanziert mit ihren Pensionsbeiträgen nicht ihre eigene Altersvorsorge, sondern jene ihrer Eltern und Großeltern. Dies wird Umlagesystem genannt, da die Pensionsversicherungsbeiträge der heutigen ArbeitnehmerInnen direkt an die heutigen PensionistInnen ausbezahlt – also umgelegt – werden.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219371 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219347 Blick über die Grenzen Medial schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: Um die Zukunft des österreichischen Pensionssystems wäre es gar nicht gut bestellt, schrieben hiesige Zeitungen im Oktober des vergangenen Jahres. Sie beriefen sich dabei auf eine Studie des Beratungsunternehmens Mercer, das nationale Systeme zur Altersvorsorge in einen internationalen Vergleich stellte. Vor allem Staaten mit privaten, kapitalgedeckten Vorsorgeformen schnitten in dem Index besonders gut ab. Was die österreichischen Medien nicht erwähnten: Das private Unternehmen Mercer ist selbst im Bereich der Altersvorsorge tätig, weshalb hinter der Studie unternehmenseigene (Kapital-)Interessen vermutet werden können.

Zurückhaltender Staat
In Österreich nimmt der Staat allerdings eine verhältnismäßig große Rolle in der Altersvorsorge ein. Nicht überall ist das so, vielerorts agiert der Staat in Bezug auf die Alterssicherung eher zurückhaltend. Und doch lässt sich allgemein sagen: In allen Ländern besteht die Alterspension aus einem Gemisch aus staatlich und privat. In Diskussionen um die Zusammensetzung von Pensionen dreht sich die Frage deshalb vornehmlich darum, wie viel von den beiden Finanzierungsarten in die Altersvorsorge einfließen soll.
Ein gutes Beispiel ist Großbritannien. Der staatliche Teil der Pensionsvorsorge, der ebenso wie in Österreich umlagefinanziert ist, besteht aus einer Grundrente und einer einkommensabhängigen Zusatzrente. Die Basispension beträgt dabei monatlich etwas mehr als 100 Euro, was rund 16 Prozent des Durchschnittsverdienstes der BritInnen entspricht. Da dieser Betrag natürlich keineswegs zum Leben reicht, sorgt die staatliche Zusatzpension für die notwendige Existenzsicherung, wobei die Höchstgrenze bei 150 Euro pro Woche angesetzt ist. Insgesamt ist die Leistung aus dem staatlichen Pensionstopf relativ gering, sie beträgt nur etwas mehr als 40 Prozent des Durchschnittsverdienstes der BritInnen. Auch deshalb setzen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung – sofern vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt – auf betriebliche oder private Formen der Altersvorsorge und lassen sich von der geringen staatlichen Zusatzrente befreien.
Staaten, die so wie Österreich auf ein fast ausschließlich umlagefinanziertes öffentliches Pensionssystem setzen, gibt es wenige. Vielmehr haben sich Mischformen zwischen staatlicher und privater Vorsorge etabliert, bei denen Pensionsbeiträge in kapitalgedeckten, teils vom Staat subventionierten Fonds angelegt werden. Dies ist zum Beispiel in den USA, den Niederlanden und Deutschland der Fall. Unser Nachbar etwa hat zu Beginn des Jahrtausends eine massive Absenkung der staatlichen Pensionen beschlossen. Diese Kürzungen auf öffentlicher Seite sollten durch eine privaten Zusatzpension, der sogenannten Riester-Rente, sowie betriebliche Vorsorgekassen ausgeglichen werden. Dadurch wurde die staatliche Alterssicherung in Teilen durch kapitalgedeckte private Pensionsfonds übernommen. Ähnliche Reformpläne hatte 2003 die schwarz-blaue Regierung in Österreich. Diese scheiterten aber am Widerstand der Gewerkschaften.

Extreme Erfahrungen in Polen
Extreme Erfahrungen mit der Auslagerung staatlicher Kompetenzen hin zu kapitalgedeckten Formen der Altersvorsorge musste man in Polen machen. Unter Anleitung und Applaus der Weltbank nahm das osteuropäische Land Ende der 1990er-Jahre eine radikale Privatisierung seiner Alterssicherung vor. Ab 1999 mussten alle PolInnen unter 30 Jahren mehr als ein Drittel ihrer Pensionsbeiträge verpflichtend in privaten Rentenfonds anlegen, die extra zu diesem Zweck aus dem Boden gestampft worden waren. Über 30-Jährige konnten in diese Art der Vorsorge hineinoptieren, was etwa 80 Prozent aller PolInnen auch taten, immerhin versprachen der Börsenboom der 1990er-Jahre und die massiven Werbekampagnen von Regierung und Pensionsfonds hohe Renditen. Womit zu dieser Zeit aber offenbar niemand rechnete, war ein Börsencrash wie jener im Jahr 2008, der ein beträchtliches Loch in den polnischen Budgethaushalt reißen sollte. Die Reaktion vonseiten des Staates kam prompt: Ab 2010 wurde die Umleitung von Beiträgen aus der staatlichen in die kapitalgesteuerte Pensionsvorsorge drastisch zurückgefahren und seitdem versucht, die Privatisierung der Altersvorsorge einzudämmen bzw. so weit als möglich rückgängig zu machen. Von solchen Auswirkungen der Finanzkrise blieb Österreich weitestgehend verschont. Seit jeher setzte man entgegen dem Privatisierungstrend der 1990er-Jahre und dem schon oft prophezeiten Ende des Generationenvertrags auf eine hohe Beteiligung des Staates an der Pensionsfinanzierung.
In vielen Staaten, in denen private Finanzierungsformen vorherrschen, hat der späte Pensionsantritt mit der Unsicherheit der Systeme zu tun. Oftmals reichen die privat angesparten Renten nicht aus, um einen finanziell abgesicherten Lebensabend zu garantieren, oder jemand hatte aufgrund niedrigen Einkommens während des Erwerbslebens keine Möglichkeit, ausreichend in eine private Altersvorsorge zu investieren. Es entsteht die Notwendigkeit, über das durchschnittliche Pensionsantrittsalter hinaus weiterzuarbeiten, will man nicht in die Altersarmut abrutschen.
In den USA etwa, wo stark auf betriebliche Pensionsanlageformen gesetzt wird und diese Art der Vorsorge auf Freiwilligkeit beruht, machte sich vor allem die Finanzkrise des Jahres 2008 in der Alterssicherung stark bemerkbar. Die Pensionsfonds verloren damals im Durchschnitt rund ein Viertel ihres Wertes, gekürzt wurde bei den privaten Zusatzrenten. Zwar gewährt der Staat zur Vermeidung von Altersarmut zusätzlich zur geringen staatlichen Pension eine bedarfsorientierte Altersleistung. Diese reicht aber in vielen Fällen nicht für ein adäquates Leben, sodass das Pensionsantrittsalter in den USA heute besonders hoch ist.

Unleistbare Riester-Rente
In Deutschland wird seit der Pensionsreform vermehrt vor einem möglichen Anstieg der Altersarmut gewarnt. Die bisherigen Erfahrungen mit der freiwilligen Zusatzvorsorge durch die Riester-Rente fallen eher enttäuschend aus. Trotz der staatlichen Subventionen ist sie für Menschen mit geringem Einkommen meist nicht leistbar. Auch in Staaten wie den Niederlanden, wo man ähnlich wie in Deutschland auf eine staatliche Volkspension setzt und diese mit hohen kapitalgedeckten Zusatzleistungen kombiniert, zeigen sich die Auswüchse des Finanzmarktes. Infolge der Wirtschaftskrise mussten Renten gekürzt werden und das Pensionsantrittsalter wurde von 65 auf 67 angehoben. 
Zwar ist Österreich den Kapitalmärkten nicht in demselben Ausmaß ausgeliefert wie andere Staaten. Dennoch steht auch hierzulande das Thema Finanzierung der Pensionen immer wieder auf der Tagesordnung. Derzeit liegt das Pensionsantrittsalter im Durchschnitt niedriger als in anderen Staaten, weshalb laut KritikerInnen auch das umlagefinanzierte System keine sichere Rente mehr garantieren könne.

Vorbild Schweden?
WirtschaftsvertreterInnen fordern deshalb ein Pensionssystem nach schwedischem Modell, das eine Selbstregulierung der Alterssicherung verspricht und die Finanzierbarkeit des Pensionssystems ohne Zuzahlung von Steuermitteln garantieren soll. Das Pensionsalter wächst dort praktisch mit der Lebenserwartung mit, orientiert sich die Höhe der Rente doch daran, wie lange sie voraussichtlich noch bezogen werden wird. Dadurch ist die Gefahr der Altersarmut in Schweden deutlich geringer als anderswo. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass auch im Norden immer wieder staatliches Geld in das Pensionssystem gepumpt werden musste, um Rentensicherheit zu schaffen. Auch deshalb bestehen in Österreich Zweifel daran, ob dieses Modell hierzulande funktionieren könnte.

Linktipp:
Kapitaldeckung auf dem Prüfstand
tinyurl.com/jjyud4d

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin info@hannasilbermayr.com  oder die Redaktion aw@oegb.at

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Hanna Silbermayr, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219338 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219324 Mehr Schein als Sein im Prekariat Nach acht Jahren im Unternehmen wurde ein Grafiker vor die Wahl gestellt: Entweder er wird selbstständig – oder gekündigt. Die Auftragslage habe sich leider rapide verschlechtert, lautete die Begründung. Der Arbeitsalltag des Grafikers hat sich nicht verändert. Er hat fixe Arbeitszeiten, muss um Urlaub anfragen und bezieht seine Honorare von seinem früheren Arbeitgeber. Aber sein Einkommen ist um die Hälfte geschrumpft, da er seine Sozialbeiträge nun selbst zahlen muss.

Junge unter Druck
Das ist nur einer von vielen Fällen, die der „Watchlist Prekär“ (
www.watchlist-prekaer.at) der GPA-djp anonym gemeldet wurden. Wird eine Scheinselbstständigkeit vermutet, wird sie an die Gebietskrankenkasse zur Überprüfung weitergeleitet. Bis zu zwei Drittel der freien Dienst- und WerkvertragsnehmerInnen sind nach Einschätzung der Gewerkschaft als Scheinselbstständige einzustufen. Erweist sich der Verdacht als begründet, müssen Unternehmen ausständige Ansprüche, etwa zur Pensionsversicherung, bis zu fünf Jahre rückwirkend nachzahlen.
Angesichts des angespannten Arbeitsmarktes wagen aber viele nicht, sich über unfaire Arbeitsbedingungen zu beschweren. „Je höher die Arbeitslosigkeit, desto mehr nehmen Menschen in Kauf, um den Job zu behalten“, erklärt Veronika Kronberger, Verantwortliche für die Interessengemeinschaft
work@flex, welche die Watchlist bei der GPA-djp betreibt. Auch gut Ausgebildete hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, in der Hoffnung, eine feste Anstellung zu finden. Doch das gelingt immer seltener. „In vielen Fällen werden Praktikanten aus Kostengründen durch Praktikanten ersetzt“, kritisiert Kronberger.
Die Zahl jener, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, ist von 2011 bis 2015 um 6,6 Prozent auf 463.300 gestiegen. Zu den atypischen Beschäftigungen zählt die Statistik Austria Neue Selbstständige, zeitlich befristete Jobs, LeiharbeiterInnen oder freie DienstnehmerInnen. Im Jahr 2015 wurden bei der Wirtschaftskammer Österreich 290.061 Unternehmen als sogenannte Einpersonenunternehmen (EPUs) geführt – das sind fast 60 Prozent der Mitglieder. Laut Umfragen der Wirtschaftskammer starten sogar 80 Prozent der GründerInnen ihr Unternehmen ohne MitarbeiterInnen. Zu den EPUs kommen 48.469 Neue Selbstständige, die keinen Gewerbeschein besitzen und als FreiberuflerInnen auf Werkvertragsbasis arbeiten. Im Schnitt verdienen die Einpersonenunternehmen rund 11.600 Euro. Nicht ohne Grund befürchten diese Personengruppen also, später keine existenzsichernde Pension zu haben.
Die Gewerkschaft hat sich in den vergangenen Jahren im Kampf gegen Scheinselbstständigkeit starkgemacht. Ziel war eine Regulierung atypischer Dienstverhältnisse – mit Erfolg: Diese sind mit circa einem Prozent aller unselbstständig Beschäftigten inzwischen die kleinste Gruppe der „atypisch“ Erwerbstätigen. Im Jahr 2008 wurde quasi die sozialversicherungsrechtliche Gleichstellung eingeräumt, dazu kamen weitere ArbeitnehmerInnenrechte. Seitdem ist ihre Zahl um 24.000 Personen zurückgegangen, ein Minus von 39 Prozent. Rund 70 Prozent der freien DienstnehmerInnen haben übrigens mindestens die Matura oder einen Universitätsabschluss.

Pensionsloch
Geringfügige Jobs, auch Minijobs genannt, sind für viele Menschen notwendig, weil das Einkommen vom Hauptjob zu gering ist. Für manche sind sie der einzig verfügbare Job, und gerade für Junge sind sie die Möglichkeit zum Einstieg ins Berufsleben. KritikerInnen merken an, dass die Betroffenen meist nicht sozialversichert sind – was der eigentliche Witz an der Sache ist –, allerdings fallen sie dadurch um wichtige Pensionsmonate um. Sie können sich freiwillig versichern, der Versicherungsbetrag beläuft sich auf rund 59 Euro. „Ich kann, trotz des niedrigeren Gehalts, jungen Leuten nur empfehlen, sich kranken- und pensionsversichern zu lassen, um wertvolle Beitragszeiten zu sammeln“, sagt WIFO-Expertin Christine Mayrhuber.
Von der Arbeitszeit hängt das Einkommen ab. Wer 2.100 Euro netto pro Monat verdient, arbeitet laut einer aktuellen AK-Erhebung im Schnitt 40,5 Stunden pro Woche. In der niedrigsten Einkommensstufe mit 800 Euro sind es 25,9 Stunden pro Woche. Die Teilzeitquote ist mit rund 48 Prozent bei Frauen sehr hoch. „Es ist einerseits positiv, dass Frauen am Arbeitsmarkt stärker Fuß gefasst haben und durch Teilzeitjobs versichert sind. Aber das Pensionssystem ist auf Vollzeitjobs angelegt“, betont Mayrhuber. Viele Frauen haben deshalb durch längere Teilzeitarbeit später keine existenzsichernde Pension.
Vom Arbeiten in prekären Jobs sind ältere ArbeitnehmerInnen ab 55 Jahren besonders betroffen, ebenfalls von Arbeitslosigkeit. „Das Problem ist, dass die Arbeitsplätze für Ältere oft nicht da sind und viele von der Arbeitslosigkeit in die Pension wechseln“, sagt AK-Arbeitsmarktexpertin Ilse Leidl-Krapfenbauer. Sie hält ein Bonus-Malus-System für sinnvoll, um Arbeitgeber zu motivieren, Menschen, die älter als 55 Jahre sind, zu beschäftigen.

Mehr und bessere Jobs
Eine Gruppe, die besonders oft auf Arbeitssuche oder auch in prekären Jobs beschäftigt ist, sind Menschen mit Behinderung. Zwar gibt es hohe Lohnkostenzuschüsse, Arbeitgeber entscheiden sich – wohl auch angesichts des derzeit großen Angebots an Arbeitskräften – oftmals für Bewerber ohne (offensichtliche) Behinderung. Dabei müssen Betriebe ab 25 Mitarbeitern auch Menschen mit Behinderungen anstellen, sonst wird eine „Ausgleichstaxe“ fällig, die je nach Betriebsgröße monatlich zwischen 251 und 374 Euro liegt. „Das ist viel zu wenig, dass sie Betriebe zum Umdenken bewegt“, so Leidl-Krapfenbauer.
„Prekäre Beschäftigungen gibt es in immer mehr Bereichen, vom Handel übers Gastgewerbe bis hin zu Reinigungsdiensten“, sagt Sozialwissenschafter Jörg Flecker. Auch im öffentlichen Dienst finden sich immer wieder Fälle. Eine ausreichende Altersvorsorge ist mit einem Gehalt, das oft unter der Armutsgefährdungsgrenze liegt, unmöglich. Flecker sieht in unsicheren Niedriglohnjobs zudem eine Bedrohung für das Pensionssystem, weil diese Beschäftigtengruppe entsprechend niedrige Beiträge leistet. Der Sozialwissenschafter fordert, dass sozial- und arbeitsrechtliche Bestimmungen stärker kontrolliert werden. Außerdem brauche es mehr Jobs: „Das geht wohl nur über Arbeitszeitverkürzung“, so Flecker. Vollzeitbeschäftigte arbeiten hierzulande über 40 Stunden pro Woche. Der Sozialwissenschafter plädiert für eine 30-Stunden-Woche. Finanziert werden könnte das durch eine Entlastung der Lohnnebenkosten in Branchen mit besonders vielen Arbeitskräften. Kapitalintensive Branchen, die weniger Beschäftigte haben, könnten stärker zur Kasse gebeten werden.
AK-Experte Gernot Mitter hält eine privilegierte Behandlung bestimmter Formen prekärer Beschäftigung bei der Pensionsversicherung für machbar. Er denkt dabei an eine Erhöhung der „Mindestpension“: Eine solche gibt es in Österreich indirekt über die Ausgleichszulage, die jene erhalten, deren Pension unter 882,78 Euro liegt. Finanziert werden könnte dies durch einen Zuschuss aus Steuermitteln. „Die Frage ist aber, in welcher Höhe sich eine Mindestpension – ob man sie jetzt Volkspension oder wie in Österreich Ausgleichszulage nennt – gesellschaftlich durchsetzen lässt.“ Mitter kritisiert den Verlauf der öffentlichen Diskussion zu diesem Thema, die sich nur darum drehe, dass die ÖsterreicherInnen sparen und länger arbeiten müssen, „weil wir uns die Pension sowieso nicht leisten können. In so einem politischen Umfeld wird das schwierig werden.“

Solidarische Lösung nötig
Eine individuelle Vorsorge für prekär Beschäftigte ist für Mitter keine Lösung. Wer mit seinem Geld „gerade so übers Monat kommt“, könne sich keine Altersvorsorge leisten: „Da braucht es solidarische Systeme.“ Für Scheinselbstständige oder EPUs, die von nur wenigen Auftraggebern abhängig seien, bedeute das, dass man für die Betroffenen Mindesthonorarhöhen durchsetzen müsse.
Vom Kapitalmarkt abhängige Ansparformen, wie zum Beispiel Pensionsfonds, sind für Mitter zu unsicher: „In den USA sind die Pensionen der über 70-jährigen in der Finanzkrise weggeschmolzen.“ Die Arbeiterkammer hält deshalb weiter am Umlageverfahren fest, bei dem einbezahlte Beiträge unmittelbar für die Finanzierung der Leistungsberechtigten benutzt, also an diese wieder ausgezahlt werden. Denn, so Mitter: „Ökonomisch Schwächere haben so eine Absicherung.“

Linktipp:
Aktuelle Brennpunkte am Arbeitsmarkt
tinyurl.com/hlaasve

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Knopp und Udo Seelhofer, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219315 Kampf gegen Scheinselbständigkeit, Arbeitszeitverkürzung und eine privilegierte Behandlung bestimmter Formen prekärer Beschäftigung: So könnte man bessere Einkommen von prekär Beschäftigten erreichen und damit auch eine bessere Pension. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219303 Durch die pinke Brille: Neoliberale Mythen In regelmäßigen Abständen wird das österreichische Pensionssystem infrage gestellt. KritikerInnen stützen sich auf die Analysen ihnen nahestehender WissenschafterInnen und neoliberaler LobbyistInnen. Bestimmte Mythen des österreichischen Pensionssystems werden von neoliberalen IdeologInnen immer wieder ins Spiel gebracht. 

Mythos „Auskommen ohne Steuern“
„Jedes Pensionssystem braucht eine strikte Deckungsgleichheit zwischen Pensionsbeiträgen und -ausgaben, da es sich ansonsten um ein defizitäres System handelt.“
Fakt ist: Zu den Grundprinzipien des österreichischen Pensionssystems gehört, dass die Finanzierung auf mehrere Säulen verteilt ist. Bei ArbeiterInnen und Angestellten leisten sowohl DienstgeberInnen als auch DienstnehmerInnen ihren Beitrag, geregelt ist dies im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG). Zusätzlich steuert der Staat Geld aus dem Steuertopf bei, um die Pensionen zu finanzieren. Bei Selbstständigen, FreiberuflerInnen und Bauern bzw. Bäuerinnen muss der Staat im Übrigen deutlich mehr an Steuergeldern zu den Pensionen zuschießen als beim ASVG.
Österreich hat ein solidarisches und leistungsorientiertes Umlagesystem. Neoliberale IdeologInnen wollen, dass ein- und ausbezahlte Beiträge strikt im Gleichgewicht sind. Aus Steuermitteln soll kein zusätzlicher Euro in die Pensionskassen fließen, lautet ihre Forderung.
Im Mittelpunkt sollte aber vielmehr die Pensionsleistung stehen. Sinn macht ein Pensionssystem nur dann, wenn die Menschen von ihrer Pension später auch leben können. Würde man die Steuerbeiträge streichen, würde wohl kein Weg an Pensionskürzungen vorbeiführen – und am Ende müsste man das eingesparte Geld vermutlich ohnehin wieder in Form anderer Sozialausgaben investieren.

Mythos „Besser mit Fonds“
„Es braucht eine stärkere staatliche Förderung der betrieblichen Pensionskassen sowie der privaten Pensionsfonds, um das staatliche Pensionssystem zu entlasten.“
Fakt ist: Grundsätzlich ist jedes Pensionsmodell vom Wirtschaftswachstum, der Beschäftigungsquote sowie von der demografischen Entwicklung abhängig. Egal ob leistungsorientiertes System, solidarisches Umlagesystem mit steuerlichem Finanzierungsanteil oder beitragsorientiertes, kapitalgedecktes Pensionssystem: Für alle Modelle brauchen die Menschen ein ordentliches Erwerbseinkommen, um davon Beiträge einzahlen zu können.
In Phasen der wirtschaftlichen Stagnation kommt jedes Pensionssystem unter Druck. Denn in dieser Situation zahlen weniger Menschen in den Pensionstopf ein und die Beiträge, die vom Einkommen berechnet werden, sind dementsprechend niedriger. Der Vorteil unseres Systems ist, dass in einer wirtschaftlich schwierigen Situation der Staat durch den steuerfinanzierten Anteil gewährleisten kann, dass die Pensionen nicht gekürzt werden müssen, womit Menschen vor Altersarmut geschützt werden.
Nicht zuletzt die Krise von 2008 hat gezeigt, wie schnell kapitalgedeckte Systeme in die Bredouille kommen, wenn die Finanzmärkte einbrechen. Hunderttausende PensionistInnen haben in den USA ihre in Wertpapieren angelegten Pensionen schlagartig verloren. Diese Situation wird durch die aktuelle Niedrigzinspolitik der EZB noch verschärft, weil damit das verbliebene Vermögen nicht ausreichend wächst. Es ist folglich nicht nachvollziehbar, warum private Pensionskassen und -fonds mit Steuermitteln subventioniert werden sollten.
Als weiteres Argument für die privaten Pensionskassen werden die angeblich geringeren Verwaltungskosten ins Feld geführt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gesamtkosten in einem kapitalgedeckten System sind sogar höher als in staatlichen Umlagesystemen.

Mythos: Vorbild Schweden
„Das gesetzliche Pensionsantrittsalter muss flexibel erhöht werden können, je nachdem wie sich die Lebenserwartung der Menschen entwickelt. Schweden hat in diesem Zusammenhang ein gutes System umgesetzt.“
Fakt ist: Schweden ist ein Musterbeispiel – nämlich für das völlige Versagen der Pensionsautomatik. Die automatische Selbstregulierung des Pensionsantrittsalters bzw. der Pensionshöhe ist nicht praktikabel und sozial unverantwortlich. Mit dem Pensionsautomatismus ist im Wesentlichen gemeint, dass eine steigende Lebenserwartung automatisch zu einem höheren gesetzlichen Pensionsalter bzw. zu etwaigen Kürzungen bei der Pensionsberechnung führen soll.
Schweden hat diesen Pensionsautomatismus vor ein paar Jahren eingeführt. Auf Basis der automatischen Berechnungen wäre es aber bereits mehrmals zu drastischen Pensionskürzungen gekommen, hätte der Staat nicht wiederholt durch Steuergutschriften korrigierend eingegriffen. Nur so konnte Schweden Zigtausende PensionistInnen vor Altersarmut schützen.
In Österreich hat der Gesetzgeber bereits bei den Pensionsreformen der vergangenen Jahre den künftigen Anstieg der Lebenserwartung mitbedacht. Insofern haben wir für das neue Pensions-recht schon angepasste Einkommensersatzraten. Darüber hinaus führt ein höheres Pensionsalter zu einer höheren Arbeitslosigkeit, wenn – wie derzeit Realität – ältere ArbeitnehmerInnen am Arbeitsmarkt systematisch benachteiligt werden.

Mythos „Auf Kosten der Jungen“
„Die Alten leben über ihre Verhältnisse, und das auf Kosten der Jungen.“
Fakt ist: Neoliberale IdeologInnen stützen ihre Argumentation für Pensionskürzungen in der Regel auf den angeblich zu hohen steuerfinanzierten Pensionsanteil.
Der arbeitenden Generation werde somit aufgebürdet, die hohen Pensionen der SeniorInnen zu finanzieren, während sie selbst unter der hohen Steuerlast stöhnen. Nun sind die Steuerausgaben für die Pensionen tatsächlich angestiegen, allerdings wurden sie durch die Reformen der letzten Jahre bereits stark gedämpft.
Die Erhöhung der steuerlich finanzierten Pensionssäule hat ihre Ursache in der Demografie: Es gibt mehr ältere Menschen im pensionsreifen Alter als noch vor 20 Jahren, man muss die Generation 50 plus also länger in Beschäftigung halten.
Was Neoliberale bewusst verschweigen, ist, dass die zentrale Spaltungslinie in unserer Gesellschaft nicht entlang altersbezogener Grenzen verläuft. Unsere Gesellschaft ist in erster Linie in „Reich“ und „Arm“ gespalten.
Betrachtet man nur die Pensionen, so zeigt sich: Rund 200.000 PensionistInnen bekommen in Österreich aufgrund ihrer niedrigen Pension eine Ausgleichszulage und damit eine Mindestpension von rund 882 Euro. Gleichzeitig arbeiten junge Menschen oftmals in unbezahlten Praktika oder stecken in prekären Arbeitsverhältnissen fest. Sie können deshalb wenig und nur unregelmäßig in die Pensionskassen einzahlen.
Der Blick auf die Verteilung in der Gesellschaft zeigt: Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt fast ein Viertel des Gesamtvermögens. Die ärmste Hälfte der Bevölkerung wiederum besitzt lediglich 2,8 Prozent des Vermögens. Als GewerkschafterInnen verwehren wir uns dagegen, dass Jung und Alt gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr braucht es eine verteilungspolitische Trendwende in Österreich.
Fakt ist: Nur ein solidarisches, leistungsorientiertes Umlagesystem kann ältere Menschen wirklich vor Armut schützen. Dieses bewährte System gilt es nachhaltig zu sichern. Dafür müssen wir insgesamt mehr Menschen in Beschäftigung bringen und die Generation 50 plus im Erwerbsleben halten. Zudem sollten alternative Finanzierungsmodelle wie eine stärker steuerbasierte Pensionsfinanzierung angedacht werden, beispielsweise über eine sogenannte Maschinensteuer oder über höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern.
 
Linktipps:
Vermögen in Österreich. Bericht zum Forschungsprojekt „Reichtum im Wandel“
tinyurl.com/j699gmc
Kapitalgedeckte Pensionssysteme – Niederlande, USA, Polen und Deutschland im Vergleich
tinyurl.com/jfef4qw

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor jakob.luger@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Jakob Luger, ÖGB-Sekretariat der Geschäftsleitung Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219294 Nur ein solidarisches, leistungsorientiertes Umlagesystem kann ältere Menschen wirklich vor Armut schützen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219285 Die Schwarzmaler In den vergangenen Monaten verging kaum eine Woche ohne Dutzende Meldungen zum österreichischen Pensionssystem. Besonders im Vorfeld des Pensionsgipfels Ende Februar mutierten die Pensionen zum Thema Nummer eins und beherrschten die österreichische Medienlandschaft wie fast kein anderes. Wen wundert’s, wollte doch jede Expertin und jeder Experte ihren oder seinen Senf dazugeben. Da in Österreich seit Jahrzehnten über das „P-Thema“ diskutiert und am „P-System“ herumgedoktert wird, müssten die ÖsterreicherInnen an so manche Argumentation und an so manchen Unsinn, der permanent zu hören war, gewöhnt sein. Auffällig war dieses Mal, dass sich vermehrt neoliberale Thinktanks wie die Agenda Austria zu Wort meldeten und versuchten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Die Agenda Austria wurde 2013 auf Initiative der Industriellenvereinigung gegründet und betont, autonom und politisch unabhängig zu agieren. Betrachtet man aber ihren Förderkreis, so ist nicht zu übersehen, dass sich dieser aus finanzkräftigen Unternehmen zusammensetzt, weshalb die Agenda Austria im Zuge ihrer Gründung auch als „Denkfabrik der Millionäre“ bezeichnet wurde.

Privat vorsorgen – leistbar?
Die Menschen werden immer älter und verbringen somit auch mehr Jahre in Pension. Dieser Zustand führe dazu, dass die Kosten explodieren, sind WirtschaftsvertreterInnen überzeugt. Also nutzten sie die Gunst der Stunde Anfang des Jahres, um die Menschen noch mehr zu verwirren, etwa mit Sätzen wie „Die private Pensionsvorsorge muss gestärkt werden“. Hier stellt sich aber die Frage: Wie sollen sich das DurchschnittsverdienerInnen leisten können, neben den täglichen Kosten für Wohnen, Heizen, Essen …? Will man nämlich auf 1.000 Euro Privatpension im Monat plus Urlaubs- und Weihnachtsgeld kommen, und das geschätzte 20 Ruhestandsjahre, braucht man etwa 280.000 Euro. Um das zusammenzubekommen, müsste man 45 Arbeitsjahre lang Monat für Monat mehr als 500 Euro auf die Seite legen.

Wunderlösung Automatik?
Ähnlich wie der Ruf nach privater Vorsorge verunsicherten auch viele Stimmen, die das österreichische Pensionssystem als „schrottreif“ und „nicht finanzierbar“ bezeichneten. Eine der Aussagen stammt von Martin Gleitsmann, dem Leiter der sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich: „Die Altersversorgung strapaziert das Budget jetzt schon über Gebühr. Steigen die Kosten weiter, bleibt für Zukunftsausgaben wie Bildung und Forschung nichts übrig.“ Eine Lösung, damit sich der Staat Geld erspart, sahen die WirtschaftsvertreterInnen in der Pensionsautomatik, wonach das gesetzliche Pensionsalter regelmäßig mit der Lebenserwartung erhöht werden soll. Diesen Vorschlag, der auf einen substanziellen Abbau hinausläuft und Altersarmut vorprogrammiert, brachten aber nicht nur sie ins Spiel. Auch bei der Agenda Austria steht die Pensionsautomatik hoch im Kurs. Was die Wirtschaft aber geflissentlich unter den Tisch fallen ließ: Bei allen vergangenen Pensionsreformen haben die ArbeitnehmerInnen ihren Preis gezahlt, immerhin hat jede Reform dazu geführt, dass die Menschen später in Pension gehen und weniger Geld bekommen.
„Mehr und bessere Arbeitsplätze sind die beste Antwort auf die steigende Lebenserwartung – und nicht Pensionskürzungen“, betonte Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, vor dem Pensionsgipfel. Am Arbeitsmarkt liegen die Lösungen für die künftige Finanzierbarkeit des Pensionssystems, so Achitz. Man könne der Zahl der ArbeitnehmerInnen nicht einfach nur die Zahl der PensionistInnen gegenüberstellen, sondern müsse auch die der Arbeitslosen in die Rechnung miteinbeziehen. „Wenn nämlich die Zahl Letzterer sinkt, kann die Zahl der PensionistInnen ruhig steigen, und das System bleibt trotzdem finanzierbar“, erklärte Achitz.

An die eigene Nase fassen
Bereits beschlossene Reformen werden dafür sorgen, dass das faktische Pensionsalter steigen wird. Dazu gehören etwa das Auslaufen der Hackler-Regelung für Frauen vor 60 bis 2020, längere Wartezeiten bei der Korridorpension und vorzeitiger Alterspension (ab 2017: 40 Jahre), hohe finanzielle Anreize, später in Pension zu gehen, der Ausbau der beruflichen und medizinischen Rehabilitation und einige andere. Statt der ständigen Verunsicherung forderte der ÖGB einen Beitrag der Wirtschaft, damit Menschen länger in Beschäftigung bleiben können. Dafür schlug Achitz unter anderem eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes, ein Vorziehen des für ab 2018 geplanten Bonus-Malus-Systems, eine Arbeitszeitverkürzung, aber auch einen Schwerarbeitsbeitrag vor. „Man kann nicht erwarten, dass Schwerarbeiter bis 65 arbeiten“, sagte er.
In gewohnter Manier verteidigten die Experten der Wirtschaft und der Industrie die Interessen ihrer Klientel und versuchten, die Vorschläge des ÖGB und der Arbeiterkammer als „Retro-Ideen“ darzustellen. „Die Lösung aller Probleme in zusätzlichen Belastungen der Unternehmen zu suchen zeugt von der Reformverweigerung mancher Protagonisten“, war die prompte Antwort des Vize-Generalsekretärs der Industriellenvereinigung, Peter Koren. Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, forderte in der Tageszeitung „Die Presse“ sogar: „Drehen wir die Frühpensionen ab.“
Beiträge von Beschäftigten erwarten und über starke Belastung der Betriebe klagen: Das können Wirtschaftstreibende sehr gut. Zum Pensionssystem tragen sie aber offensichtlich zu wenig bei, indirekt und direkt. Entsprechend viel müssen die SteuerzahlerInnen zu den Pensionen der UnternehmerInnen zuschießen: Bei pensionierten Gewerbetreibenden liegt der Bundeszuschuss bei 11.150 Euro, bei pensionierten ArbeitnehmerInnen nur bei 3.740 Euro.

Ein ewiges (Frauen-)Thema
Unerwähnt kann auch nicht bleiben, dass immer wieder gefordert wurde, das gesetzliche Pensionsantrittsalter der Frauen (derzeit 60 Jahre) an das der Männer (65 Jahre) anzugleichen. Der Sozialwissenschafter und Pensionsexperte Bernd Marin kritisierte das niedrigere Pensionsantrittsalter von Frauen ziemlich hart. Dass viele Frauenorganisationen, darunter auch die ÖGB-Frauen, gegen eine vorzeitige Angleichung sind, solange es keine wirkliche Gleichstellung am Arbeitsmarkt gibt, findet er „zu dumm“. Obwohl alle Arbeitsmarktzahlen der vergangenen Monate zeigen, dass immer mehr ältere Personen auf Jobsuche sind und Statistiken bestätigen, dass die Zahl jener Frauen, die aus der Arbeitslosigkeit in Pension gehen, enorm hoch ist, spricht Marin von „zu viel Sozialkitsch“.
Marin, der seit 2015 Direktor der Webster University in Wien ist, 27 Jahre das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik leitete und Regierungen und PolitikerInnen volkswirtschaftlich bei Pensionsfragen berät, glaubt nämlich, dass das frühe Antrittsalter den Frauen schadet und eine Anhebung zu mehr Beschäftigung führen würde. Die Wahrheit ist eine andere: Arbeitsplätze fehlen, und gerade Ältere werden von vielen Unternehmen bei der erstbesten Gelegenheit auf die Straße gesetzt. Für viele Frauen würde eine Anhebung des Pensionsalters bedeuten, dass sie länger arbeitslos sind.
Auch Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice, bestätigt, dass das Problem der älteren Generation jenes ist, dass sie ganz schwer einen neuen Job finden, wenn sie ihren verlieren. Dass Marins Kritik fehl am Platz ist, zeigt die Tatsache, dass die Angleichung des Frauenpensionsantrittsalters an das der Männer sowieso in wenigen Jahren beginnt – nämlich 2024. Das Pensionsalter von Frauen und Männern liegt auch nur auf dem Papier um fünf Jahre auseinander, beim tatsächlichen Antrittsalter ist der Unterschied viel geringer: Frauen gehen mit durchschnittlich 59 Jahren und zwei Monaten in Pension, Männer mit 61 Jahren und drei Monaten. Es besteht also kein Grund zur Eile.

Entfernte Gleichstellungsziele
„Es gibt andere Punkte, wo man schleunigst für Gleichstellung sorgen muss, vor allem bei der Bezahlung“, sagt dazu Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende. Ab 2024 wird die reguläre Alterspensionsgrenze in Halbjahresschritten angehoben. Die Angleichung wurde beschlossen, weil man angenommen hatte, dass bis dahin Gleichstellung bei Einkommen und Karriere herrschen würde. Doch von diesen Zielen ist man in Österreich noch weit entfernt.

Linktipp:
Neoliberale Think-Tanks
tinyurl.com/znzot3g

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219273 Im Vorfeld des Pensionsgipfels Ende Februar mutierten die Pensionen zum Thema Nummer eins und beherrschten die österreichische Medienlandschaft. Wen wundert’s, wollte doch jede Expertin und jeder Experte ihren oder seinen Senf dazugeben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219262 Löchriger Schutzschild „Wir werden ohnehin ewig arbeiten müssen und Pension bekommen wir auch keine.“ Davon sind viele junge Menschen heutzutage überzeugt. In der Tat stellt der wirtschaftliche Wandel das Pensionssystem vor neue Herausforderungen, auch wenn diese nicht automatisch dazu führen müssen, dass die erwähnten Befürchtungen Realität werden.
„Der Automatismus ‚Job ist gleich Pensionsversicherung‘ wird durch den Trend zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen immer mehr aufgebrochen“, sagt WIFO-Expertin Christine Mayrhuber. Dazu zählt sie Teilzeitjobs, saisonale und geringfügige Jobs. Ebenfalls dazu gehört das Phänomen der „neuen Selbstständigkeit“, bei der Unternehmen einzelne Aufgaben, die bisher Angestellte im Haus verrichtet haben, an Selbstständige outsourcen. Um Versicherungszeiten und die Altersvorsorge müssen sich diese Menschen selbst kümmern – und das oft mit einem geringen Einkommen (siehe auch „Mehr Schein als Sein im Prekariat“).

Neuverteilung und Neubewertung
Die neuen Bedingungen am Arbeitsmarkt erfordern also auch Reformen bei den Pensionen. „Im jetzigen System wird honoriert, wer lange viel verdient hat und wenige Erwerbsunterbrechungen hat“, erklärt Mayrhuber. Jene, die lange keine Vollzeitstelle finden, brauchen im Alter oft eine Ausgleichszulage, um auf den Mindestbetrag von derzeit 870 Euro monatlich zu kommen (siehe auch „Kleine Enzyklopädie der Pension“). Die Arbeitsmarktexpertin fordert daher eine Neuverteilung und Neubewertung der bezahlten Arbeit.
Das Problem in Österreich besteht aktuell darin, dass manche jetzt schon geradezu pausenlos arbeiten, während andere keinen Job haben. Vollzeitbeschäftigte arbeiten hierzulande im Schnitt 41,5 Stunden pro Woche, inklusive Überstunden. Länger wird nur in Großbritannien und Portugal gearbeitet. Vielfach setzen Unternehmen nicht auf neue Arbeitskräfte, sondern auf All-in-Verträge, bei denen Überstunden pauschal abgegolten werden. Das betrifft rund 15 Prozent der unselbstständig Beschäftigten, Tendenz steigend.
Überstunden kommen aber nicht nur den Arbeitgebern entgegen, sondern auch vielen ArbeitnehmerInnen, die mit Überstunden ihr schlechtes Grundgehalt aufbessern wollen. Dazu kommt, dass Unternehmen ihre Arbeitskräfte flexibler einsetzen. So ist etwa ein Sechstel der Arbeitslosigkeit darauf zurückzuführen, dass Betriebe die Beschäftigung bei sinkender Nachfrage kurzfristig abbauen. Konkret tut dies ein Viertel der Betriebe.
Lange von der Wirtschaft gefordert, ist die Flexibilisierung inzwischen also für viele Beschäftigte eine Realität. Mayrhuber tritt daher für eine stärkere Regulierung des Arbeitsmarktes ein: „Unternehmen sollten wieder stärker in die Pflicht genommen werden. Wenn sie auf flexible Modelle zurückgreifen, sollten sie eine Zeit lang einen höheren Beitrag zur Arbeitslosen-, Kranken- oder Pensionsversicherung bezahlen“, fordert sie.

Andere Lohnpolitik
Eine andere Ebene sind die Löhne selbst. David Mum, Leiter der Grundlagenabteilung der GPA-djp, fordert etwa: „Die Mindestlöhne müssen umgesetzt werden.“ Die Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne ist schon viele Jahre ein zentrales Anliegen der Gewerkschaften. In Österreich verdienen immer noch knapp zwölf Prozent der Vollzeitbeschäftigten unter 1.500 Euro brutto. Im Jahr 2008 einigten sich die Sozialpartner auf einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1.000 Euro, inzwischen sind 1.500 Euro brutto durch Kollektivvertragsabschlüsse in vielen Branchen Realität. Die GPA-djp fordert nun eine weitere Erhöhung der Mindestlöhne, und zwar auf 1.700 Euro brutto bei Vollzeitbeschäftigung. In eine ähnliche Richtung argumentiert Mayrhuber: „Wir brauchen eine vernünftige Lohnpolitik für Menschen, die unter der Höchstbeitragsgrundlage arbeiten.“ Bessere Löhne seien in zweierlei Hinsicht von Vorteil, argumentiert die Wissenschafterin: „Es bedeutet nicht nur für die Individuen, dass sie eine bessere Absicherung haben, sondern dass auch langfristig die Finanzierung der Pensionsversicherung verbessert wird.“ Denn wer mehr verdient, zahlt auch höhere Beiträge ein.
Jede längere Erwerbsunterbrechung hingegen wirkt sich negativ auf die spätere Pension aus. So verliert man als Arbeitslose/r zwar keine Versicherungszeit, allerdings sind die eingezahlten Pensionsbeiträge gering – und das wiederum wirkt sich negativ auf die spätere Pension aus. Aktuell sind 438.654 Menschen als arbeitslos oder in Schulung beim AMS vorgemerkt. Die hohe Arbeitslosigkeit ist eine Folge des geringen Wachstums und eines Überangebotes an Arbeitskräften. „Wir haben festgestellt, dass das Arbeitsvolumen hierzulande zwar stabil ist, sich aber auf immer mehr Beschäftigte verteilt. Wir brauchen mehr Arbeit im Land“, hält AK-Arbeitsmarktexperte Gernot Mitter fest. Um den Arbeitsmarkt wieder in Schwung zu bringen, fordert er die „Golden Rule“, nach der Investitionen in Bildung, soziale Dienste und Integration aus dem Budgetdefizit herausgerechnet werden. „So könnten öffentliche Investitionen erleichtert werden und neue Arbeitsplätze entstehen“, erklärt Mitter den Hintergrund.

Zwei Seiten einer Medaille
Arbeitsmarktpolitik ist die eine Seite der Pensionsmedaille, die andere lautet Bildung. Wer verhindern will, dass Menschen überhaupt erst arbeitslos werden, muss in die Bildung investieren.
So abgedroschen es klingen mag, so wahr ist leider immer noch: je niedriger die Qualifikation, desto schlechter die Chancen am Arbeitsmarkt – und in der Folge desto niedrigere Pension. Entsprechend spannt sich der Bogen vom Kindergarten bis zum lebenslangen Lernen. Wer nämlich schon in jungen Jahren zu wenig Bildung genießen konnte, der spürt die Folgen sogar noch Jahre später, weil er oder sie auch bei Weiterbildungsmaßnahmen zu kurz kommt. Jugendliche ohne abgeschlossene Ausbildung laufen Gefahr, sich später durch immer rarer werdende Hilfsarbeiterjobs über Wasser halten zu müssen – und kaum Pensionsansprüche anzusparen. Im Jahr 2014 schlossen sieben Prozent der 18- bis 24-Jährigen weder die Pflichtschule noch eine weiterführende Ausbildung ab.
Um dem entgegenzuwirken, wurde die Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr beschlossen. Ab Herbst 2016 müssen Jugendliche nach dem Abschluss der Pflichtschule eine weiterführende Ausbildung absolvieren. BildungsexpertInnen fordern außerdem, dass LehrerInnen rechtzeitig reagieren, wenn Jugendliche schulmüde werden. In einem solchen Fall können sie etwa das Jugendcoaching kontaktieren. Das Angebot richtet sich an SchülerInnen im letzten Pflichtschuljahr und zielt darauf ab, deren Stärken und Fähigkeiten festzustellen und Perspektiven zu entwickeln. MentorInnen zeigen den Jugendlichen Alternativen auf beziehungsweise unterrichten sie im Erstellen von Bewerbungsunterlagen.
Doch zunächst gilt es, die Zielgruppe zu erreichen: „Sozialarbeiter müssen zu den Jugendlichen kommen, ihr Vertrauen gewinnen und ihnen Perspektiven aufzeigen“, sagt Judith Pühringer, Geschäftsführerin von arbeit plus, dem Bundesdachverband für Soziale Unternehmen. Viele junge Menschen seien von der Schule frustriert. Pühringer spricht sich für einen weiteren Ausbau des „Jugendcoachings“ aus. „Man hält die Jugendlichen länger in einem System, kann sie betreuen und Unterstützung anbieten“, so Pühringer.

Mehr Kinderbetreuungsangebote
Für eine hohe Beschäftigungsquote braucht es auch gute Kinderbetreuungseinrichtungen. Hier könnte sich Österreich einiges von Skandinavien abschauen, findet GPA-djp-Experte Mum. „Die nordischen Länder haben schon viel früher begonnen, in solche Angebote mit entsprechenden Öffnungszeiten zu investieren. Man hat dort eine hohe Frauen- und Männererwerbsbeteiligung.“
„Alles, was die Erwerbsbeteiligung erhöht und eine faire Bezahlung sicherstellt“ – so fasst David Mum die wichtigsten Ziele aus Sicht der Gewerkschaften zusammen. Man müsse dafür Sorge tragen, dass die Menschen gut qualifiziert sind. Auch er fordert Investitionen in soziale Dienstleistungen. Damit können gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: einerseits eine Erhöhung der Beschäftigungsquote, andererseits ein besseres Betreuungsangebot. Sein Fazit: „Je mehr Menschen arbeiten, desto leichter kann man auch die Pensionen finanzieren.“
 
Linktipp:
Bildung und Arbeitsmarkt
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Sandra Knopp und Udo Seelhofer, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219253 Eine andere Lohnpolitik, höhere Mindestlöhne, öffentliche Investitionen und bildungspolitische Maßnahmen: So könnte erreicht werden, dass Menschen Pensionen bekommen, von denen sie auch leben können. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219237 Bumerang schlechte Arbeit Wenn es um die Pensionen geht, wird ein Thema allzu voreilig an den Rand geschoben: der Arbeitsmarkt. Dabei müsste dieser bei jeglicher Diskussion über die Pensionen im Mittelpunkt stehen. Der Blick über die Grenzen veranschaulicht, dass junge Menschen mit einer äußerst schwierigen Arbeitsmarktsituation konfrontiert sind. Dies gefährdet ihre aktuellen Arbeits- und Lebenschancen, aber auch ihre Absicherung im Alter.

Mantra
Der demografische Wandel, der sich durch die an sich positive Entwicklung kennzeichnet, dass mehr Menschen länger leben: Wie ein Mantra wird rund um die Finanzierung des Pensionssystems der Begriff der Generationengerechtigkeit getrommelt. Dabei wird unterstellt und propagiert, dass aufgrund der höheren Zahl an PensionsbezieherInnen die Finanzierung der Pensionen gefährdet sei und somit die Jugend von heute um ihre Pensionen fürchten müsse.
Im Sinne eines Generationenvertrages erscheine dies als ungerecht. Völlig außer Acht lässt dieses Verständnis einer Generationengerechtigkeit, dass für die Finanzierung des Pensionssystems der Arbeitsmarkt entscheidend ist. Anders ausgedrückt: Es geht darum, wie viele Menschen wie ins Erwerbssystem integriert sind. Gerade was die Integration in die Arbeitswelt betrifft, fühlen sich viele junge Menschen in Europa von der Politik und Gesellschaft „alleingelassen“ und ausgenutzt.

Hauptbetroffen von der Krise
Junge Menschen zählen zu den Erst- und Hauptbetroffenen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Seit nun fast acht Jahren hat sich ihre Situation am Arbeitsmarkt kaum verbessert. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist nach wie vor auf Rekordniveau. In der EU-28 waren im Jahr 2015 fast fünf Millionen Menschen unter 25 Jahren ohne Beschäftigung. Die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen stieg seit dem Jahr 2008 von 15,9 auf 20,3 Prozent in der EU-28. In vielen europäischen Ländern kletterte die Jugendarbeitslosigkeit sogar über die dramatische 30-Prozent-Schwelle.
Besonders problematisch ist die Verfestigung der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen: In den Ländern Bulgarien, Griechenland, Spanien, Kroatien, Italien und Slowakei ist fast jede/r zweite arbeitslose Jugendliche bereits länger als zwölf Monate arbeitslos. Die Konsequenzen von Langzeitarbeitslosigkeit sind umfassend erforscht und verdeutlichen, dass ehemalige arbeitslose Jugendliche die negativen Folgen oft bis zu 20 Jahre nach der Arbeitslosigkeitserfahrung spüren.
In der Literatur wird von „scarring effects“ gesprochen, also Narben, die den Jugendlichen aufgrund der Arbeitslosigkeitserfahrungen lange anhaften. Dies schränkt in der Zukunft Beschäftigungs- und Einkommenschancen ein, erhöht ein wiederkehrendes Arbeitslosigkeitsrisiko und führt zu Dequalifizierung. Darüber hinaus kann die Arbeitslosigkeitserfahrung zu einem schlechteren Gesundheitszustand und einer geringeren Lebenszufriedenheit beitragen.
In einem umlagefinanzierten Pensionssystem wirken sich diese Effekte negativ auf die individuellen Pensionen aus, und dem System an sich entgehen Beitragszahlungen. Aber auch für ein kapitalgedecktes Pensionssystem birgt eine hohe Arbeitslosigkeit Gefahren, da arbeitslose Jugendliche vermutlich kaum in der Lage sind, privat für die Altersvorsorge anzusparen.
Jugendliche haben entweder keinen Anspruch oder nur ein sehr geringes Arbeitslosengeld, das hauptsächlich für die Deckung der untermittelbaren Bedürfnisse benötigt wird. Damit werden durch das Phänomen der Jugendarbeitslosigkeit nicht nur Talente und Fähigkeiten von Jugendlichen verschwendet, sondern es kann auch zum Bumerang für die Finanzierung von Pensionssystemen – sowohl von privaten als auch von öffentlichen – werden.

Unsichere Verhältnisse
Der abrupte Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit beim Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise steht in engem Zusammenhang mit den unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Für viele junge Menschen beginnt die Berufslaufbahn mit atypischen Beschäftigungsformen, die sich durch befristete Verträge und wenig arbeits- und sozialrechtliche Absicherung kennzeichnen. In der Krise waren es denn auch Jugendliche, die als Erste den Job verloren haben. Im Jahr 2008 hatten vor allem die Länder Slowenien (69,8 Prozent), Polen (62,8 Prozent), Spanien (59,2 Prozent), Portugal (54,6 Prozent), Schweden (53,6 Prozent), aber auch Deutschland (56,7 Prozent) extrem hohe Anteile an befristeten Beschäftigungsverhältnissen unter Jugendlichen.
In Österreich lag der Anteil bei 34,8 Prozent. Auffallend ist, dass seit Beginn der Krise die befristeten Beschäftigungen noch deutlich zugenommen haben. Im EU-Durchschnitt stieg ihr Anteil bei Jugendlichen von 40,2 Prozent im Jahr 2008 auf 43,4 Prozent im Jahr 2014. In Spanien gab es einen enormen Anstieg von 59,2 Prozent auf 69,1 Prozent.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Teilzeitbeschäftigten: Seit dem Jahr 2008 hat diese Form bei Jugendlichen nicht nur generell zugenommen, sondern insbesondere die unfreiwillige Teilzeitarbeit. Besonders dramatisch war der Anstieg etwa in Italien, wo der Anteil von 52,6 auf 82,9 Prozent anstieg, in Griechenland von 46,8 auf 66,2 Prozent, in Zypern von 39,2 auf 65,6 Prozent und in Spanien von 32,7 auf 59,1 Prozent. Dies bedeutet, dass sich die prekäre und vulnerable Position von Jugendlichen angesichts der enormen Knappheit an Arbeitsplätzen noch einmal verschärft hat. Somit müssen sie Arbeitsverhältnisse annehmen, mit denen später nur geringe Pensionsleistungen zu erwarten sind.

Schwerer Kampf gegen Ursachen
Die Austeritätspolitik in vielen europäischen Ländern führt zu Kürzungen von Staatsausgaben, die nicht nur die öffentliche Nachfrage senken und die Konjunkturentwicklung schwächen. Sie schränkt zusätzlich noch die politischen Handlungsmöglichkeiten zur Bekämpfung der Ursachen von Jugendarbeitslosigkeit ein.
Eine kürzlich veröffentliche Studie vom Thinktank Bruegel betont, dass es in der EU zu Kürzungen der Staatsausgaben insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Familienförderung gekommen ist, also in jenen Bereichen, von denen Jugendliche besonders betroffen sind. Dabei wären vor dem Hintergrund des Strukturwandels und des hohen Arbeitslosigkeitsrisikos von Geringqualifizierten höhere öffentliche Investitionen in die Bildung angezeigt. Auch eine Intensivierung der Gesundheitspolitik ist angesichts der gut nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Desintegration in der Arbeitswelt notwendig.

Klare Prioritäten nötig
Einen Teil der jungen Menschen hindert auch eine fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeit an einer Erwerbstätigkeit. Ein Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten würde die Vereinbarkeit von jungen Familien und Beruf erleichtern und zusätzlich Arbeitsplätze schaffen. Kürzungen in diesen Bereichen wirken sich somit negativ auf die individuellen Arbeitsmarktchancen aus, was wiederum negative Konsequenzen auf die Pensionssysteme hat.
Die Zusammenhänge zwischen Pensionssystem und Arbeitsmarkt offenbaren eine klare Prioritätensetzung: Oberste Priorität muss eine auf Vollbeschäftigung orientierte Politik haben, die die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse nicht außer Acht lässt. Der Weg dorthin wird aber nur über mehr – und nicht weniger – öffentliche Investitionen gelingen. Bekommt man die Herausforderungen am Arbeitsmarkt einmal in den Griff, werden sich die Fragen zur Generationengerechtigkeit des Pensionssystems wie von selbst lösen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor tamesberger.d@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen stellen die private Ansicht des Autors dar und decken sich nicht notwendigerweise mit jener der AK Oberösterreich. Für hilfreiche Anmerkungen danke ich Rudolf Moser.

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Dennis Tamesberger, Referent für Arbeitsmarktpolitik in der AK Oberösterreich Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219225 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219189 Eine Frage der Verteilung „Wohlstand für alle“: In den 1950ern rief der damalige deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard dieses Ziel aus. Heute ist dies nur noch eine Illusion, wie der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, in seinem neuen Buch festhält. Deutschland biete nur noch Wohlstand für wenige und die Zukunftsperspektive verdüstere sich angesichts steigender Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen.
„Verteilungskampf“ ist nicht nur der Titel dieses medial gefeierten Buches. Es ist auch eine passende Beschreibung für die wiederkehrenden Diskussionen über Kürzungen im Sozialsystem.

Falscher Fokus
Anders als dies medial gerne inszeniert wird, ist Generationengerechtigkeit kein Kampf zwischen Alt und Jung. Vielmehr geht es dabei um die Verteilung des Reichtums in unserer Gesellschaft und deren Auswirkungen auf zukünftige Generationen. Es geht um die soziale Polarisierung zwischen Reich und Arm.
Von neoliberaler Seite wird gerne argumentiert, dass das österreichische Pensionssystem nur noch für wenige Alte Wohlstand bringe, während die Pensionen für Junge nicht mehr zu finanzieren seien. Tiefgreifende Reformen seien notwendig, um für Generationengerechtigkeit zu sorgen. Diese Debatte schafft bei jungen Menschen große Verunsicherung, denn der Grundtenor lautet, dass nur drastische Einschnitte ins Pensionswesen die soziale Absicherung zukünftiger Generationen gewährleisten können.

Reiche profitieren
Von diesen Kürzungsdebatten, die infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise spürbar an Intensität gewonnen haben, profitiert vor allem eine Gruppe: die Reichsten in unserer Gesellschaft. Denn sie stehen nun nicht mehr im Rampenlicht, nachdem sie in den vergangenen Jahren mehrfach im Fokus steuerpolitischer Vorschläge zur Finanzierung wichtiger Investitionen für zukünftige Generationen waren. Von großen Einschnitten wie Erbschafts- und Vermögenssteuern blieben sie bislang verschont.
Langsam schwindet auch die drastische Ungleichheit mit all ihren negativen Begleiterscheinungen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei könnte man mit einem gerechten Beitrag der Vermögendsten der Unsicherheit über die zukünftige Finanzierbarkeit wohlfahrtsstaatlicher Leistungen den Wind aus den Segeln nehmen.
Vermögensungleichheit und Generationengerechtigkeit sind eng miteinander verwoben. Das ergibt sich einerseits aus der trivialen Erkenntnis, dass die Vermögenskonzentration von heute – zur Erinnerung: das reichste Prozent der Haushalte besitzt 37 Prozent des Nettovermögens – die Chancengleichheit der nächsten Generation erheblich hemmt. Zahlreiche Studien zeigen, dass Bildung, berufliche Aussichten und Einkommen auch in Österreich stark vom finanziellen Familienhintergrund abhängen. Andererseits werfen direkte und sehr ungleich verteilte Vermögensübertragungen von einer Generation an die andere die Frage nach Gerechtigkeit auf.
In Österreich muss ein Haushalt ohne Erbschaft auf der Einkommensleiter die Hälfte aller Haushalte überspringen, um mit seinem Arbeitseinkommen eine durchschnittliche Erbschaft ausgleichen zu können. Oder anders ausgedrückt: Mit Arbeit können junge Menschen die ErbInnen größerer Vermögen nicht mehr einholen.

Vermögenskonzentration
Die immense Schieflage bei den leistungslosen, vererbten Vermögen ist hauptverantwortlich dafür, dass Gerechtigkeit zwischen Generationen ausgehebelt wird. Die Vererbung von Ungleichheit über Generationen hinweg führt zu einer fortschreitenden Verschärfung der Vermögenskonzentration, einer Verringerung von Chancengleichheit, ungleicher Abhängigkeit von den Leistungen des Wohlfahrtsstaates und zuletzt gefährdet sie auf lange Sicht auch die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Drohende Refeudalisierung
Die Entkopplung des obersten Verteilungsrands und das Zurückbleiben weiter Bevölkerungsteile erfordern konsequente politische Gegenmaßnahmen.
Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse von Piketty und Co gilt es klar zu sagen, dass eine Steuer auf sehr große Vermögen, die nur einen kleinen Teil der Erträge abschöpft, die Vermögensverhältnisse nicht nachhaltig verändert. Dass eine Steuersenkungspolitik für Spitzeneinkommen, Top-Vermögen und große Konzerne nicht höheres Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze bedeutet, sondern im Gegenteil die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates untergräbt. Dass Erbschaften nicht nur äußerst ungleich verteilt sind, sondern ohne wesentliche Besteuerung gesellschaftliche Verhältnisse über Generationen einzementieren und Chancengleichheit für kommende Generationen aushebeln. Dass angehäufter Reichtum nicht neutral ist, sondern seinen BesitzerInnen wirtschaftliche und politische Gestaltungsspielräume schafft.
Solche Einflussmöglichkeiten variieren in ihrer Form von Lobbying-Aktivitäten bis hin zur Finanzierung von interessengeleiteten Denkfabriken. Es ist augenscheinlich, dass der politische Einfluss gezielt dazu eingesetzt wird, den Reichtum einiger weniger abzusichern, Umverteilungsmaßnahmen zu blockieren und den politischen Diskurs in eine für sie vorteilhaftere Richtung zu lenken – auch auf Kosten zukünftiger Generationen. Der deutsche Soziologe Sighard Neckel warnt in diesem Zusammenhang vor einer „Refeudalisierung“ sozialer Ungleichheit, bei der die Vereinigung von wirtschaftlicher und politischer Macht an Zeiten vor der Französischen Revolution erinnert. Der britische Politikwissenschafter Colin Crouch mahnt vor einem Rückfall in vordemokratische Zeiten, wenn durch die Konzentration von Vermögen private Interessen die Institutionen des Gemeinwesens bestimmen.
Es ist somit eine berechtigte Sorge von jungen Menschen, dass sie im Ver-gleich zu ihren Eltern einen geringeren Lebensstandard haben werden, weil sie nicht auf große Erbschaften hoffen können und gleichzeitig scharfe Angriffe auf die Grundpfeiler des Wohlfahrtsstaates erleben.
Ein gut ausgebautes Sozialwesen ist in unterschiedlichen Lebensphasen ein wichtiger Sicherheitsanker und ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen. Um eine Refeudalisierung sozialer Verhältnisse zu verhindern, muss den durch falsch verstandene Generationengerechtigkeit angeheizten Kürzungsdebatten eine Verteilungspolitik im Sinne heutiger und zukünftiger Generationen entgegengestellt werden.

Instabile Finanzmärkte
Als konservativer Politiker hatte Ludwig Erhard eine klare Meinung, wie „Wohlstand für alle“ erzielt werden könne: durch freie Märkte und Wettbewerb. Nicht zuletzt die globale Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass ein deregulierter, finanzmarktgetriebener Kapitalismus nicht für breiten Wohlstand, sondern für Instabilität und Unsicherheit sorgt. Nur ein gut ausgebauter, institutionell stark verankerter Wohlfahrtsstaat kann für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und soziale Absicherung für alle sorgen.

Tiefgreifende Reform
Das österreichische Sozialsystem hat sich in der Krise bewährt und ist trotzdem laufend den Angriffen von neoliberaler Seite ausgesetzt. Eine Verteidigungshaltung gegen drohende Einschnitte wird aber zu wenig sein, um für Generationengerechtigkeit zu sorgen. Diese erfordert vielmehr tiefgreifende, offensive Maßnahmen gegen die immense Vermögenskonzentration und deren Vererbung auf zukünftige Generationen.

Linktipp:
„Falscher Fokus“
tinyurl.com/h428hzy

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor matthias.schnetzer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Matthias Schnetzer, Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219177 Generationengerechtigkeit ist eine Frage der Verteilung zwischen Arm und Reich und nicht zwischen Alt und Jung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219197 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623219168 Not in Our Name! Ein heute 20-jähriger Deutscher muss nach 45 Berufsjahren mit einer staatlichen Pension auskommen, die weniger als 38 Prozent seines bisherigen (Brutto-)Einkommens beträgt. Dieselbe Person darf in Österreich mit einem beinahe doppelt so hohen Einkommen im Alter rechnen, beläuft sich die (Brutto-)Ersatzrate in Österreich doch auf knapp 80 Prozent.

Private Lücke
Das Beispiel Deutschland zeigt also, wohin Pensionsreformen führen können. Bei unseren NachbarInnen wurde nämlich der Anspruch aufgegeben, über das öffentliche, umlagefinanzierte Pensionssystem den Lebensstandard im Alter zu sichern. Staatlich geförderte Betriebspensionen und die private Pensionsvorsorge sollten die Lücke schließen, allein sie werden dazu nicht in der Lage sein. So rechnet die OECD selbst unter Miteinbeziehung dieser beiden „Säulen“ und einer günstigen Entwicklung mit einer Pension von nur rund 50 Prozent des (Brutto-)Einkommens. Jeder zweiten Person, die 2030 in Deutschland in Pension geht, droht Altersarmut
Diese alarmierende Bestandsaufnahme hat nun auch in unserem Nachbarland eine Diskussion ausgelöst. Die SPD, aber auch Teile der CDU haben erkannt, dass es vielen Menschen schlicht nicht möglich ist, am Ende des Monats noch Geld für Pensionsvorsorge beiseitezulegen. Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert nun eine „umfassende Reform“ mit dem Ziel, die Absenkung des Rentenniveaus zu stoppen.
Dennoch werden von wirtschaftsliberaler Seite und der privaten Versicherungswirtschaft „Riester“-ähnliche-Reformen für Österreich gefordert. Als Kernargument dient dabei eine vermeintliche Kostenexplosion des Pensionssystems. So müsse immer mehr Geld aus dem Steuertopf für staatliche Pensionen zugeschossen werden. Um die „Pensionen“ der Jungen zu sichern, müssten demnach also Pensionsansprüche gekürzt werden.

Die Kostenexplosion gibt es nicht
Doch die immer wieder behauptete Kostenexplosion gibt es nicht. Obwohl der Anteil der über 65-Jährigen von derzeit rund 18 Prozent bis zum Jahr 2060 auf knapp 29 Prozent ansteigen wird, steigt der Pensionsaufwand laut EU-Kommission „nur“ um einen halben Prozentpunkt, und zwar von 13,9 Prozent des BIP auf 14,4 Prozent. Der Anteil, der aus Steuermitteln zur Finanzierung der Pensionen (inklusive jener der BeamtInnen) aufgewendet werden muss, wird demnach geringfügig von 6,0 auf 6,4 Prozent zunehmen. Das zeigt sehr klar, wie gravierend die vielen bereits durchgeführten Pensionsreformen in die Zukunft wirken werden.
Wer vor dem Hintergrund dieser Zahlen dennoch eine weitere „große Pensionsreform“ fordert, kann daher nur eine drastische Kürzung der Pensionen meinen – wovon vorwiegend die heute jungen Personen betroffen sind. Über das Motiv dahinter kann angesichts der Faktenlage nur gemutmaßt werden. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass die Lobby der Versicherungswirtschaft beste Kontakte in die Politik pflegt. Und deren Interesse ist klar: Das gut funktionierende öffentliche System soll zumindest teilweise durch private Versicherungsprodukte abgelöst werden. Diesen Zusammenhang erkennt auch der ehemalige deutsche Sozialminister und CDU-Politiker Norbert Blüm: „Das Umlagesystem ermöglicht zwar weniger Gewinne für private Pensionsversicherer, aber höhere Pensionen und/oder niedrigere Beiträge für die Versicherten.“

Die Lobby dahinter
„Die einflussreiche Lobby der Versicherungswirtschaft“: Das mag für manche nach Verschwörungstheorie klingen. Doch tatsächlich zeigt ein Blick ins Firmenbuch oder auf die Spenderliste eindeutige Zusammenhänge.
Besonders deutlich wird die Macht des Netzwerks am Beispiel Andreas Zakostelsky. Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete und Vorsitzende des Finanzausschusses ist seit Anfang des Monats Vorstand der größten privaten Pensionskassa Österreichs (VBV-Gruppe). Als Sonderberater der Valida Holding AG, der Pensionskassa des Raiffeisenkonzerns, bleibt der Manager auch seinem bisherigen Arbeitgeber eng verbunden. Zakostelsky ist aber nicht der einzige ÖVP-Abgeordnete mit Naheverhältnis zur Versicherungswirtschaft.
Allein im Finanzausschuss haben fünf der sieben ÖVP-Abgeordneten eine oder mehrere Führungs- bzw. Aufsichtsfunktionen in Banken oder Versicherungen.
Außerhalb der politischen Parteien macht vor allem der neoliberale Verein „Agenda Austria“ Stimmung gegen das öffentliche, umlagefinanzierte Pensionssystem. Dabei ist man auch nicht verlegen, einseitige Studien aus dem Dunstkreis der privaten Versicherungen wie etwa die sogenannte „Mercer-Studie“ zu zitieren. Kein Wunder, finanziert sich der Verein, der sich selbst als „unabhängig, aber nicht neutral“ bezeichnet, doch – neben zahlreichen Privatstiftungen und einigen Industriellen – vor allem über Spenden von Banken. Neben der Oberbank AG und der Erste Bank sind es gleich mehrere Unternehmen aus dem Raiffeisenkonzern, die zur „Unabhängigkeit“ der Agenda Austria beitragen.

Falsch verstanden
Nimmt man das Schlagwort „Generationengerechtigkeit“ ernst, so sind die zu drehenden Stellschrauben jedenfalls ganz andere. Demografische Verschiebungen sind nämlich nur ein Faktor, der noch dazu kaum beeinflussbar ist. Worauf es tatsächlich ankommt, ist die Relation zwischen LeistungsbezieherInnen (PensionistInnen, Arbeitslose etc.) und Erwerbstätigen. Irreführend ist in dem Zusammenhang, wenn die Zahl der Menschen im Erwerbsalter mit der Zahl der Erwerbstätigen gleichgesetzt wird. Schließlich sind es die Pensionsversicherungsbeiträge der aktiv Beschäftigten, die zum größten Teil die Pensionen finanzieren. Da die Pensionsversicherungsbeiträge als fixer Anteil der Löhne und Gehälter berechnet werden, ist das Wachstum der Lohnsumme für die Dynamik des Beitragsaufkommens entscheidend.
Dementsprechend stellt die hohe Arbeitslosigkeit die größte Herausforderung für die Finanzierung der Pensionen dar. Um die Pensionen zu sichern, bedarf es folglich in erster Linie einer aktiven Beschäftigungspolitik. Ebenso wichtig ist eine produktivitätsorientierte Lohnentwicklung, die eine gerechte Verteilung des erwirtschafteten Wohlstandes zwischen Arbeit und Kapital und damit eine breite Finanzierungsbasis sicherstellt.
Nichtsdestotrotz gibt es Handlungsbedarf im Pensionssystem. Die Situation jener, die von Altersarmut betroffen sind, muss verbessert werden. Davon betroffen sind in erster Linie prekär Beschäftigte sowie Personen mit brüchigen Erwerbskarrieren – allen voran Frauen mit langjährigen Betreuungspflichten. Demgegenüber stehen notwendige Einschränkungen von Sonderregelungen kleiner, privilegierter Gruppen sowie der Steuerbegünstigung privater Zusatzpensionen. Aber auch eine Harmonisierung der Beitragssätze würde zu mehr Gerechtigkeit zwischen den unterschiedlichen Versicherungsträgern und deren Versicherten beitragen. Die ASVG-Pensionen, die das Gros des öffentlichen Pensionssystems ausmachen, sind solide finanziert und wachsen nicht in den Himmel. Wer mit einer großen Pensionskürzungsreform das ASVG-System im Visier hat, handelt ideologisch und übersieht zudem das Wesentliche.

Ganzheitliche Sicht
Für einen Pensionsanspruch, der den Lebensstandard sichert, ist eine gute Erwerbsbiografie entscheidend. Dafür braucht es entsprechende Rahmenbedingungen. Diese reichen von einem guten Ausbildungssystem über verbesserte Berufseinstiegsmöglichkeiten und gute Entlohnung bis hin zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nur durch eine derartige ganzheitliche Sichtweise kann auch der Lebensstandard der heute Jungen in ihrer Pension gesichert werden. Andernfalls führt die bevorstehende Pensionsreform zu Leistungskürzungen – und diese treffen vor allem jene, denen heute eingeredet wird, ihre Pensionen würden damit gerettet.

Linktipp:
„Mercer Pensionsstudie: Und ewig grüßt das Murmeltier“:
tinyurl.com/jg3a8lm

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor josef.thoman@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Josef Thoman, Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623219156 Nimmt man das Schlagwort "Generationengerechtigkeit" ernst, so muss man vor allem an einer Stellschraube drehen: dem Arbeitsmarkt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218688 Die Pensionen in Zahlen Von Kostenexplosion kann keine Rede sein! Die Anzahl der Älteren wächst zwar, aber es wird nur ein moderater Anstieg der Pensionsausgaben prognostiziert.
Rund 3,8 Millionen Menschen zahlen in die Pensionsversicherung ein.
29 Milliarden Euro bezahlen BeitragszahlerInnen. 10 Milliarden Euro schießt der Staat zum Beispiel zur Armutsvermeidung zu.
Rund 2,3 Millionen Pensionen werden ausbezahlt.
Durchschnittlich werden 1.766 Euro an Männer und 1.043 Euro an Frauen ausbezahlt.
Rund 200.000 Menschen erhalten über die Ausgleichszulage sozusagen eine „Mindestpension“.

Alle Details dazu und noch viel mehr Zahlen, Daten, Fakten entnehmen Sie bitte den Downloads.

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Hauptverband der Sozialversicherungsträger, BMASK, Arbeiterkammer, Ageing Report 2015, AK/ÖGB-Darstellung. </br>Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623218638 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218617 "Nicht zuletzt" ... Panik? Nein danke! Während ich mich noch über meinen ersten Gehaltszettel freute, gelangten auch schon die ersten Unkenrufe an mein Ohr: „Früher haben wir vier Prämien im Jahr bekommen. Warum jetzt nicht mehr?“ Daraufhin begann eine lange Diskussion darüber, was früher war und jetzt ist. Auch bei der Pension, die ich laut meinen KollegInnen nicht mehr bekommen werde. Nicht nur sie, sondern auch viele Medienberichte können einen an der eigenen, sicheren Zukunft zweifeln lassen. Es sind einige wenige, die verunsichern und dabei vor allem eines im Sinn haben: junge Menschen zu motivieren, ihr Geld in Produkte zu investieren, die morgen schon unsicherer sind als eine Pension in weiter Ferne. Schlägt man heute eine Zeitung auf, in der von unsicheren Pensionen geschrieben wird, sind oftmals auf der nächsten Seite die Anzeigen für eine private Vorsorge. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung muss hier gegenhalten und den Irreführungen die Fakten gegenüberstellen. Meine Generation darf das Vertrauen in das Pensionssystem nicht verlieren!

Reformen wirken
Die größte Irreführung in der Pensionsdebatte ist die Behauptung, die Pensionen seien nicht ausreichend finanziert. Das Problem ist aber nicht, dass wir uns die Pensionen nicht mehr leisten können, sondern dass bestimmte politische Kräfte genau das nicht wollen. Nämlich jene, die mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen und im Alter nicht von einer Pension abhängig sind.
Sicher, wir werden immer älter. Die Zahl der Menschen über 65 Jahre wird bis zum Jahr 2060 deutlich ansteigen. Aber das ist etwas Schönes und kein Grund, in Panik zu geraten. Denn der Anteil der Pensionskosten an der Wirtschaftsleistung Österreichs (BIP) wird im selben Zeitraum nur moderat ansteigen. Das zeigt, dass die bisherigen Reformen wirken. Das faktische Pensionsantrittsalter ist beispielweise schon jetzt stärker gestiegen als erwartet. Deshalb muss die Politik die Zügel auch weiterhin in der Hand behalten. Österreich braucht kein automatisches Anheben des Pensionsantrittsalters.

Mehr Lehrstellen und Arbeitsplätze
Wir kehren die Probleme nicht unter den Tisch, man muss aber sagen, wo man wirklich ansetzen kann. Statt weiterhin das Pensionssystem kaputt zu jammern, müssen wir für mehr Lehrstellen und Arbeitsplätze sorgen. Denn nur eine gute Ausbildung, ein fairer Berufseinstieg und kollektivvertraglich geregelte Löhne sind die Grundlage für eine sichere Pension – und nicht etwa ein höheres Pensionsantrittsalter. Denn die Jobs, um bis ins hohe Alter zu arbeiten, gibt es nicht.
In unserer täglichen Arbeit erzählen uns viele ArbeitnehmerInnen, dass es gang und gäbe ist, ältere MitarbeiterInnen abzuservieren. Einer 56-jährigen Frau wurde ins Gesicht gesagt: „Du kannst so lange arbeiten, bis die Förderung aus dem 50-plus-Programm ausläuft, dann musst du gehen.“ Nicht alle Betriebe sind so, aber genügend Firmen nutzen es aus: Sie holen sich dank Steuergeldern gratis LeiharbeiterInnen.

Normal statt prekär
Auch bei den Arbeitsverhältnissen müssen die Unternehmer ihre gesellschaftliche Verantwortung wieder stärker wahrnehmen. Für viele aus meiner Generation ist es leider normal, prekär beschäftigt zu sein und nicht zu wissen, ob man in der nächsten Woche noch den Job hat. Oder nur einen Teilzeitjob angeboten bekommt.
Die Unternehmer diktieren vor allem jungen Menschen Arbeitsverträge und Arbeitszeitverkürzungen, von denen nur sie profitieren. Es zählt nur ihr Gewinn. Rücken wir das Wohl aller wieder in den Vordergrund, schaffen wir sichere Arbeitsverhältnisse für Junge und alternsgerechte Arbeitsplätze für Ältere, dann müssen wir auch keine Angst um den Sozialstaat und das Pensionssystem haben.

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Sascha Ernszt, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623218608 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218597 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Blogtipps der Woche

Diesmal legen wir Ihnen diese Beiträge besonders ans Herz:

  • Panama: Steuerflucht mit System
  • Leistungsbilanz: Deutschland und Österreich leben unter ihren Verhältnissen (Markus Marterbauer)
  • Öffentlich-private Partnerschaften – des Kaisers neue Kleider? (Michaela Schmidt)
  • Buurtzorg – vom Pilotprojekt zum größten Non-Profit-Unternehmen in der mobilen Pflege (Gerlinde Hauer)

Panama – das Wegschauen hat System
Gleich drei Beiträge widmen sich den Panama-Papers, die bislang bekannte Schätzungen über versteckte Vermögen in Steueroasen bestätigen – und den Verdacht verifizieren, dass Steuerflucht mit System organisiert wird. Gertraud Lunzer etwa beschreibt die Rolle von Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmen sowie Banken, ohne die Kapitalflucht nicht möglich wäre. Gabriel Zucman, Autor von „Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird“, fordert die automatische Erfassung von Vermögen. Denn nur so könne die „Vermögensschutz-Branche“ effektiv reguliert werden. David Walch wiederum verdeutlicht die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft und stellt fest: „Der Kampf gegen Steuerhinterziehung der Reichen und gegen eine Politik für das ‚eine Prozent‘ ist ein entscheidender Test für unsere Demokratie.“
Lesen Sie mehr:
tinyurl.com/hcohrp3
blog.arbeit-wirtschaft.at/panama-leak
blog.arbeit-wirtschaft.at/panama-papers

Wir leben unter unseren Verhältnissen
Wann, wenn nicht jetzt? Österreich hat, ähnlich wie Deutschland oder die Niederlande, im vergangenen Jahr einen deutlichen Exportüberschuss erwirtschaftet. Dies macht einmal mehr deutlich, dass es Österreich nicht an Wettbewerbsfähigkeit mangelt. Der Leistungsbilanzüberschuss ist aber auch Ergebnis der schwachen Inlandsnachfrage und bringt damit ein gefährliches Importdefizit zum Ausdruck. Markus Marterbauer fordert daher eine nachhaltige Erhöhung der Konsum- und Investitionsnachfrage in Österreich und den anderen Überschussländern. Dafür braucht es eine expansive Budgetpolitik, in deren Mittelpunkt öffentliche Infrastrukturinvestitionen stehen. Diese sind notwendig und können zurzeit günstig finanziert werden. Zur Steigerung der Konsumnachfrage sind kräftige Lohnerhöhungen notwendig. Gleichzeitig muss von oben nach unten, also von den sparfreudigen zu den konsumfreudigen Einkommensgruppen umverteilt werden.
Lesen Sie mehr:
tinyurl.com/zotd225

Des Kaisers neue Kleider?
Staatsschulden und verschärfte Budgetregeln erschweren derzeit die Finanzierung von Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur. Der Einsatz von privatem Kapitel über sogenannte „Öffentlich-private Partnerschaften“ (ÖPP) wird als Teil der Lösung dieser Finanzierungsprobleme beworben. Tatsächlich sind ÖPP aber Teil des Problems. Michaela Schmidt verweist auf internationale Erfahrungen, die deutlich machen, dass bei ÖPP-Projekten die Finanzierungskosten hoch sind, es zu intransparenten und ineffizienten Vergabeverfahren kommt und die BürgerInnen mit Qualitätsverschlechterungen rechnen müssen. Dementsprechend führen Privatisierungen durch ÖPP-Projekte zu höherer Staatsverschuldung und entsprechenden langfristigen Kosten durch schlechte Infrastruktur. Anstatt auf eine versteckte Form der Privatisierung durch ÖPP zu setzen, müssen öffentliche Investitionen wieder möglich gemacht werden. Dazu braucht es eine Anpassung der europäischen und nationalen Fiskalregeln.
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tinyurl.com/zanegwc

Vom Piloten zum größten Non-Profit-Unternehmen in der mobilen Pflege
In knapp zehn Jahren hat sich die niederländische Buurtzorg vom Pilotprojekt zum größten Non-Profit-Unternehmen in der mobilen Pflege entwickelt. Dem Unternehmen ist es gelungen, eine höhere Qualität in der Pflege mit besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und einem wirtschaftlichen Konzept zu verbinden. Gerlinde Hauer warf einen genauen Blick auf die Erfolgsfaktoren. Weitgehend selbstverantwortliche Pflegekräfte-Teams nutzen informelle und formelle nachbarschaftliche Netzwerke, um ihre KlientInnen bestmöglich zu versorgen. Dies macht eine einfache, kosteneffiziente Verwaltung möglich und Ressourcen für gute Pflegearbeit frei.
Lesen Sie mehr:
tinyurl.com/gw9xgwk

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Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218586 GPA-djp/PRO-GE/vida: Höhere Löhne in Industrie und Tourismus Für die rund 200.000 Beschäftigten im Hotel- und Gastgewerbe gibt es seit Mai mehr Lohn und Gehalt. Der neue Mindestlohn bzw. das neue Mindestgehalt liegt bei 1.420 Euro. Ein deutliches Plus gibt es auch bei den Lehrlingsentschädigungen: Sie erhöhen sich um durchschnittlich 2,96 Prozent, mindestens aber um 20 Euro. Die vida hat zudem durchgesetzt, dass erstmals seit Jahren der Nachtarbeitszuschlag wieder nach oben gesetzt wird, er beträgt ab Mai 21 Euro. Berend Tusch, Vorsitzender des vida-Fachbereichs Tourismus: „Die Erhöhung des Mindestlohns ist ein gutes Signal. Dieser Weg muss auch bei kommenden Verhandlungen fortgesetzt werden. Das im letzten Jahr vereinbarte Ziel von 1.500 Euro bis 2018 muss erfüllt werden!“ 

Für Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg wurden die Weichen für neue Lohn- und Gehaltstabellen gestellt. „Wir haben vereinbart, dass ab Mai 2017 in diesen Bundesländern auf ein neues fünfstufiges Festlohnsystem umgestellt wird. Unterschiedliche Tabellen und Bezahlung gehören dann großteils der Vergangenheit an“, freut sich Tusch. Das Festlohnsystem garantiert den Beschäftigten ein höheres Grundgehalt und sie sind nicht mehr abhängig vom Umsatz. Auch für rund 50.000 Beschäftigte der Elektro- und Elektronikindustrie (EEI) konnten die Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp Erhöhungen bei Löhnen sowie Lehrlingsentschädigungen erreichen. Ab 1. Mai beträgt der KV-Mindestlohn damit 1.715,96 Euro. Zudem ist der 31. Dezember künftig bei Entgeltfortzahlung arbeitsfrei. Und die Lehrlinge der EEI erhalten in Zukunft die Fahrtkosten zum Berufsschulinternat in voller Höhe ersetzt.
In der Chemischen Industrie beträgt der neue KV-Mindestlohn 1.815,17 Euro. Dazu wird ebenfalls der 31. Dezember bei Fortzahlung des Entgelts arbeitsfrei. In der Papierindustrie wurde neben der Erhöhung der KV-Mindestlöhne und der Lehrlingsentschädigungen zum zweiten Mal in Folge die Möglichkeit der Freizeitoption beschlossen. Auch in der Textilindustrie wurde eine Erhöhung der Löhne und der Lehrlingsentschädigung erreicht. Nach mehrjährigen Bemühungen wurde zudem eine Systemumstellung des Lohngruppenschemas erreicht. Das alte, zum Teil noch aus dem Jahr 1946 stammende und rein auf Tätigkeiten aufbauende Schema wird mit 31. Oktober durch ein modernes, auf Qualifikation basierendes ersetzt. Für Beschäftigte wie für Betriebe bringt dies nicht nur eine Vereinfachung, sondern auch Rechtssicherheit.

Infos unter:
tinyurl.com/jgh9c4g
tinyurl.com/jckh9pn

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Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218583 ÖGB: Arbeitszeit verkürzen „Obwohl immer mehr Menschen Arbeit finden, steigt gleichzeitig die Arbeitslosigkeit weiter an“, erklärte Bernhard Achitz anlässlich des weiteren Anstiegs der Arbeitslosigkeit im April.
Das Fazit des Leitenden ÖGB-Sekretärs: „Damit für all die arbeitslosen Menschen Jobs entstehen, bräuchte Österreich ein enormes Wirtschaftswachstum, doch das ist weit und breit nicht in Sicht. Die Lösung ist daher: Teilen wir die vorhandene Arbeit neu auf, verkürzen wir die Arbeitszeit.“ Während sich die einen mit Überstunden kaputt arbeiten, sind die anderen zur Untätigkeit verdammt. „Wir müssen auf allen Ebenen ansetzen: kürzere Wochenarbeitszeiten, weniger Überstunden, mehr Urlaub“, so Achitz. Überstunden müssten für die Arbeitgeber um einen Euro teurer werden, die Einnahmen sollen in die Arbeitsmarktförderung und ins Gesundheitssystem fließen. Kürzere Wochenarbeitszeiten müssen so umgesetzt werden, dass der Lebensstandard der ArbeitnehmerInnen gesichert ist.
Beim Urlaub muss die Gesetzeslage endlich der Realität angepasst werden: Laut Gesetz hat man nach 25 Jahren sechs Wochen Urlaubsanspruch – aber nur, wenn man sehr lang in ein und derselben Firma beschäftigt ist. „Als das Gesetz beschlossen wurde, war das noch der Normalfall. Heute erwarten die Arbeitgeber immer mehr Mobilität, Jobwechsel sind auf der Tagesordnung“, so Achitz. „Also brauchen wir eine Neuregelung: Sechs Wochen für alle, die 25 Jahre lang gearbeitet haben, egal, für wie viele Unternehmen.“ Laut aktuellem Arbeitsklima Index der AK Oberösterreich sprechen sich 88 Prozent für diese Forderung aus. Immerhin reicht für fast ein Viertel der Beschäftigten in Österreich der Urlaub nicht aus, um sich von den Strapazen des Berufs zu erholen und ausspannen zu können. Vor allem Menschen im Handel und in Gesundheitsberufen schaffen es oft nicht, im Urlaub abzuschalten und sich auszuruhen.
Kürzere Arbeitszeiten sind aber nur einer der notwendigen Punkte, wenn die Lebensarbeitszeit verlängert werden soll. „Wenn wir das faktische Pensionsalter weiter anheben wollen, dann müssen die Menschen entsprechend lang gesund und arbeitsfähig bleiben. Das geht nicht, wenn sie von verschärften und unmenschlichen Arbeitsbedingungen krank gemacht werden“, so Achitz. Deshalb sei auch die vom Sozialministerium gestartete Kampagne ein wichtiger Schritt, um darauf aufmerksam zu machen, dass gesunde Arbeitsplätze auch schon für junge ArbeitnehmerInnen im Mittelpunkt stehen müssen.

Infos unter:
tinyurl.com/hg7yy7c

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Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218556 Standpunkt: Erfrischt in die Pensionszukunft Jünger als 35 Jahre sollten die AutorInnen dieser Ausgabe sein. Denn sie sollte in erster Linie von jenen gestaltet sein, die mögliche Pensionsreformen direkt betreffen. Diese Altersgrenze ist, wie Sie sicherlich bereits bemerkt haben, nicht die einzige Besonderheit des vorliegenden Hefts. Die Arbeit&Wirtschaft erscheint nun in einem frischen Layout. In gewissem Sinne erinnert mich der Prozess an die Pensionsreform. Eine völlig neue Zeitschrift haben wir aus der A&W nicht gemacht. Dazu waren wir von den Grundprinzipien zu überzeugt. Sehr wohl aber wollten wir das Gesamtkonzept auf neue Beine stellen. Um es auf die Pensionen umzumünzen: Es stand außer Frage, dass wir am umlagefinanzierten System festhalten.

Fragwürdige Alternativen
Keine von den immer wieder ins Spiel gebrachten Alternativen konnte uns bisher überzeugen, schon gar nicht liefern jene, die lautstark eine Reform fordern, triftige Gründe, weshalb man am System selbst rütteln soll. Dass es Schwächen hat, war und ist für uns Ansporn, das System besser zu machen. Hohe Arbeitslosigkeit, Reallohnverluste bzw. der Anstieg von Teilzeit und prekären Arbeitsverhältnissen lassen eine gute Pension im Alter tatsächlich unrealistisch erscheinen. Hier sehen wir großen Reformbedarf. Gleichzeitig aber haben wir die Reformschritte im Auge behalten, die das System bereits an verschiedenen Stellen verbessert haben, nicht zu vergessen die große Reform, die vor gerade einmal zwölf Jahren beschlossen wurde.
Um es wieder auf die A&W umzumünzen: Die große Reform des Pensionssystems hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel, unsere ist druckfrisch. Wir haben allerdings in den vergangenen Monaten schon an kleinen Stellschrauben gedreht, während die Vorbereitungen für die große Reform liefern. Im Unterschied zur Pensionsreform, die eine Vereinheitlichung vulgo Harmonisierung zum Ziel hatte, haben wir uns vorgenommen, die Zeitschrift abwechslungsreicher zu gestalten. Dass sich die Artikel sehr geähnelt haben, haben wir durch eine ausgefallene Bildsprache auszugleichen versucht. In Zukunft haben wir verschiedene Varianten, die sich in Fotogröße unterscheiden werden – ohne dass wir auch nur ein Zeichen im Artikel gestrichen haben. Wir halten die Länge unserer Artikel für ein Qualitätsmerkmal.

Ständig weiterentwickeln
So weit zu den kleineren Änderungen. Neu eingeführt haben wir die Coverstory, sozusagen ein Pensionskonto. In dieser werden wir Ihnen einen Einstieg ins jeweilige Schwerpunktthema bieten, um das sich die übrigen Artikel im Heft drehen werden. Bei der Neugestaltung des Interviews haben wir uns von folgendem Gedanken leiten lassen: Es ist nicht nur interessant, was die befragte Person sagt, interessant ist auch die Person des/der Interviewten selbst. Deshalb wird er/sie in Zukunft auf einem größeren Foto gezeigt werden. Damit möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst ein noch besseres Bild von der Person zu machen, die versucht, Ihnen Erklärungen über einen bestimmten Ausschnitt der Realität zu liefern. Schon bisher haben wir immer wieder Reportagen gehabt. Wir aber fanden, dass da noch mehr drinnen ist. Denn eine Reportage lebt nicht nur von intensiven Schilderungen, sondern auch von Bildern. Deshalb haben wir dieses „Format“, wie man in der journalistischen Fachsprache sagt, nun eingeführt in der Hoffnung, dass Sie sich noch stärker „mittendrin“ fühlen können.
Und um noch eine letzte Parallele zum Pensionssystem zu bemühen: Kein System ist jemals fertig, auch eine Zeitschrift muss sich ständig weiterentwickeln. Wir hoffen, dass es uns gelungen ist, die Arbeit&Wirtschaft für Sie noch attraktiver zu gestalten. Sollten Sie weiteren Reformbedarf sehen, melden Sie sich bitte bei uns. Derweil bleibt mir nur, Ihnen eine spannende Lektüre zu wünschen.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218543 Für den anderen Feierabend Und wenn ich Jahr für Jahr entbehrt,/Gefroren und mich schlecht ernährt, um jeden zu bezahlen?/ Was hab’ ich, wenn ich schwach und alt,/Gebeugt zur traurigsten Gestalt,/Alsdann von allen Qualen?
Dann wank’ ich still von Haus zu Haus/und bitt’ mir eine Gabe aus,/Bis dass mich greift, den Alten./Bin ich dann schimpflich arretiert/ Und ins Gefängnis abgeführt,/Dann, dann wird’ ich erhalten.

Das sind die letzten zwei Strophen des von einem Unbekannten verfassten Gedichts „Abendgedanken eines Arbeiters“. Es wurde im Leitartikel „Feierabend“ der Septembernummer 1905 der Zeitschrift „Der Jugendliche Arbeiter“ zitiert, wo der Kampf für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Freizeit als Voraussetzung für Lebenschancen das Thema war. Eigene gewerkschaftliche Jugendorganisationen gab es damals noch nicht, diese bildeten sich erst in den 1920er-Jahren, aber innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung organisierten sich die männlichen Jugendlichen eigenständig, unabhängig von Partei und Gewerkschaft – „Der Jugendliche Arbeiter“ war ihr Medium.

Der Leitartikel „Feierabend“ erschien nicht umsonst 1905. Damals ging es um eine große Novelle zur Gewerbeordnung, einschließlich der Arbeitszeitbestimmungen für Jugendliche und der Bestimmungen zur Lehrlingsausbildung mit dem verpflichtenden Besuch der Gewerbeschule nach dem harten Arbeitstag. Gleichzeitig stand die Einführung der Angestelltenpension zur Debatte, nicht aber eine Alterspension für ArbeiterInnen. Vor diesem Hintergrund verknüpften die Jugendorganisationen ihre Forderung nach Arbeitszeitverkürzung und Tagesunterricht an der Gewerbeschule mit der Forderung, auch den ArbeiterInnen den „anderen Feierabend“ im Alter zuzugestehen:

Und heiliger Kampfeszorn wird wach in jedem Proletarierherzen, das alle Bitternisse des heutigen elenden Feierabends überdenkt. Hat es ja doch schon das Kind empfunden, dass ihm der Vater und nur zu oft überdies die Mutter bei Lebzeiten schon zu lange geraubt und endlich allzu früh durch den Tod entrissen wurde, weil der Feierabend zu kurz, die vorausgegangene Anstrengung aber zu groß war.
Wenn aber der Jugend Arbeitszeit herankommt, dann merken die Gequälten bald, dass ihre Arbeitszeit oft nach der Gehilfen Feierabend noch lange nicht zu Ende ist. Und selbst, wenn sie zu Ende wäre, nehmen die Gewerbeschulen Zeit und Kraft des jugendlichen Arbeiters in Anspruch.
So lernt schon die Jugend in der bitteren Schule des ausgebeuteten Lebens, wie ein wichtiges Ziel des großen Proletarierkampfes eine kürzere Arbeitszeit ist. …
Und noch einem anderen Feierabend gilt unser Kampf, dem Feierabend des Lebens! – An den eigenen alten Eltern oder doch an den alten Arbeitern seines Berufes kann der jugendliche Arbeiter sehen, was ihm selbst im Alter blüht. Und doch dienten diese alten Proletarier und Arbeiterinvaliden der Gesellschaft und dem Staate mit Einsatz ihrer Gesundheit und Lebenskraft; und sie wären doch einer Altersversorgung mindestens ebenso wert wie andere Pensionisten.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623218537 Titelbild des "Jugendlichen Arbeiters" vom September 1905 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218498 Reportage: "Pension? Das ist schwierig" Freitag, 9.30 Uhr. Das Angebot ist noch ganz gut an diesem Morgen im April. Rund 20 Männer in Arbeitskleidung warten in der Sonne vor einer Blumenhandlung in der Wiener Triester Straße auf Kundschaft. Manche sitzen auf dem türkisfarbenen Fenstersims des Geschäfts, manche trinken Dosenbier. Alle fünf bis zehn Minuten fährt ein Auto, Kleinbus oder Lkw vor und nimmt einen Teil der Männer mit. Eine gute Stunde später hat sich die Bühne gelichtet. „Zu haben“ sind noch eine Handvoll Männer im Alter zwischen 50 und Ende 60 und ein 37-jähriger Algerier. Er ist vor einem halben Jahr nach Österreich geflohen und hat hier um Asyl angesucht. Als Asylwerber dürfte er eigentlich nicht arbeiten, deshalb will er seinen Namen lieber nicht nennen. Die deutsche Sprache bereitet ihm sichtlich Schwierigkeiten, aber er bemüht sich. „Männer, die 18 Jahre alt sind, bekommen hier schnell einen Job“, sagt er sinngemäß. Er selbst muss oft länger warten bis er einsteigen darf.

Schwere körperliche Arbeit
Auch zwei Rumänen kommen täglich hierher. Sie erzählen, dass sowohl Flüchtlinge ohne Arbeitsbewilligung als auch Ältere bei den Kunden nicht so gefragt sind. Die Männer arbeiten am Bau und leisten dort entsprechend schwere körperliche Arbeit. Dafür ist es nicht unbedingt von Bedeutung, dass sie ausführliche Konversationen auf Deutsch führen können, was deutlich spürbar ist. Wichtiger ist die körperliche Verfassung. Gar nicht Deutsch sprechen zu können, das ist allerdings ein Nachteil: Die Auftraggeber bevorzugen jene, die Arbeitsaufträge richtig verstehen und entsprechend umsetzen können.
Ein älterer Mann etwa lächelt nur, er spricht keine Sprache außer Rumänisch. „Die Alten verdienen fünf oder sieben Euro in der Stunde“, sagt ein kleiner, stämmiger Rumäne, „und auch die Illegalen.“ Er selbst vereinbart oft Pauschalen: „Ich arbeite manchmal drei Tage für insgesamt 1.000 Euro.“ Wer Männer ohne Arbeitserlaubnis engagiert, macht sich strafbar. Dieses Risiko gehen manche Auftraggeber ein – freilich nur unter der Voraussetzung, dass es billig ist.
Die Rumänen haben einen klaren Startvorteil: „Wir haben Papiere.“ Will heißen: Als EU-Bürger dürfen sie hier arbeiten. Sie werden angestellt, jedenfalls wenn es sich um längerfristige Aufträge handelt. Für kurze oder private Einsätze macht man sich dem Vernehmen nach nicht immer die Mühe, einen Vertrag aufzusetzen und die Arbeiter anzumelden.
Immer wieder preisen die Männer ihre eigene Arbeitskraft an: „Brauchst du was? Spachteln, Fliesen legen, schweißen, Garten?“ Wichtig ist für sie, dass sie an diesem Tag noch irgendwie Geld verdienen können. Aber was, wenn sie krank werden? Und vor allem: Wie steht es um die spätere Pension? Ein Rumäne Ende 30 schaut fragend. Als er nach einer Weile doch versteht, worum es geht, deutet er auf seinen Rücken und erklärt: „Ich passe auf.“ Und wenn er sich nicht gut fühlt? „Dann trinke ich Schnaps. Am nächsten Tag geht es wieder, kein Problem.“
Die Pension ist für ihn gedanklich in weiter Ferne, für ihn zählt, dass er alle zwei bis drei Monate zu Frau und Kindern in die Heimat fahren kann. Er freut sich, dass das hier verdiente Geld dort mehr wert ist. Sein Kollege im selben Alter erzählt: „Ich habe drei Kinder. Jedes bekommt ein Haus. Eines habe ich schon gebaut.“ Stehen auch Haus zwei und drei, will er nicht mehr hier arbeiten. Ob er auch an den Lebensunterhalt im Alter gedacht hat, ist nicht zu erfahren.
Viele MigrantInnen, die als GastarbeiterInnen oder Kriegsflüchtlinge eingewandert sind, erreichen jetzt das Pensionsalter. Dabei stellt sich oft heraus, dass sie aufgrund schlecht bezahlter Arbeit wenig Pension bekommen. Deshalb arbeiten sie oft weiter: Im Jahr 2012 gingen 50 Prozent der Männer ohne Migrationshintergrund vor dem 65. Geburtstag in Pension, aber nur gut 20 Prozent der männlichen Migranten der ersten Generation. Das geht aus der vom Sozialministerium und der Kepler Universität durchgeführten Studie SHARE hervor. Hinzu kommt, dass MigrantInnen laut Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen unter schlechteren sozialen Verhältnissen leben und öfter gesundheitliche Probleme wie Bluthochdruck, hohes Cholesterin, Diabetes, Lungenkrankheiten und Krebs sowie psychische Beschwerden, vor allem Depressionen, haben. So auch Mirsad Koricic (Name von der Redaktion geändert): Der 59-Jährige erlitt im Jahr 2012 einen kompletten Zusammenbruch, verbunden mit Existenzängsten, Panikattacken, Verfolgungswahn und sogar einem Selbstmordversuch.
„In Jugoslawien, vor dem Krieg, war ich sehr glücklich. Ich habe studiert und dann acht Stunden täglich gearbeitet“, erzählt der 59-jährige Mirsad Koricic. „Für mich gab es nur Pyjama und Arbeitsanzug. Ich habe immer für zwei gearbeitet“, sagt er rückblickend über sein altes Leben.
Das Motto auf den Baustellen, wo Koricic als Monteur arbeitete, war stets: „Gemma, gemma!“ Um seiner damaligen Frau und dem Sohn ein gutes Leben zu ermöglichen, arbeitete er oft zehn bis 14 Stunden täglich am Bau – „immer bei einer Leihfirma“. Er war immer befristet angestellt und ein Teil wurde schwarz bezahlt. Damals war ihm das recht: „Ich habe mit Überstunden und Arbeit am Wochenende 2.500 oder sogar 4.000 Euro verdient. Früher war das gut, aber jetzt, für die Pension, ist es schlecht.“
Heute ist Geld nicht mehr das Wichtigste für ihn: „Jeder Mensch braucht Geld, aber auch ein Leben.“

Fehlende Zulage
Wie gut MigrantInnen für das Alter abgesichert sind, lasse sich nur schwer verallgemeinern, meint Johannes Peyrl von der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien.
Prinzipiell gelte: Wer unter der Geringfügigkeitsgrenze verdient, muss nicht in die Pensionsversicherung einzahlen, kann dies aber freiwillig tun „Die Pensionsversicherung gilt auch für den unrechtmäßig Aufhältigen“, betont Peyrl – und das seien Kolporteure oft. Allerdings bekommen sie in der Pension keine Ausgleichszulage, wie die soziale Leistung in Österreich heißt, die den Menschen quasi eine „Mindestpension“ sichert.
Auf die Zulage verzichten müssen auch Personen, die sich in einem Kalenderjahr länger als acht Wochen im Ausland aufhalten. Zwar kann sie danach wieder beantragt werden, aber mit dieser Regelung fallen jene, die in der Pension ins Heimatland zurückkehren, um die Ausgleichszulage um. Und allgemein gilt: Wer weniger als 15 Versicherungsjahre hat, hat gar keinen Anspruch auf eine Pension.
Mit weiteren Herausforderungen haben MigrantInnen zu kämpfen, wenn sie nicht nur in einem Land gearbeitet haben: „Wer seine Pensionsanspruchszeiten in verschiedenen Ländern erworben hat, muss oft Jahre warten, bis das Feststellungsverfahren in seinem Herkunftsland ermittelt wird. Bis dahin leben die Betroffenen am Existenzminimum“, berichtet etwa „Der Standard“. Dabei gibt es Unterschiede je nach Herkunftsland.

Umfallen um die Pension
Zurück nach Favoriten. Nicht weit von  der Triester Straße liegt der Viktor-Adler-Markt: Ein kurzer Spaziergang über die Gudrunstraße, einmal rechts abbiegen und kurz danach ist man dort. Täglich außer sonntags sind in einer Seitengasse des Marktes Obst- und Gemüsestände aufgebaut – mit allem, was die Natur und spanische Glashäuser zu bieten haben. Es ist halb eins. Bevor um 13 Uhr zusammengepackt und auf den Gehsteigen wieder Platz für parkende Autos gemacht wird, geht es oft besonders laut und eng zu. So mancher Standbetreiber reduziert die ohnehin niedrigen Preise noch einmal ordentlich. Wer hier einkauft, kommt zwangsläufig am Kolporteur im gelben Mantel mit Zeitungslogo am Rücken vorbei. Vor ihm steht ein Klapptischchen, auf dem aktuelle Zeitungen und Magazine liegen.
Wie ein Wächter steht der 50-jährige Inder am Markteingang und blickt gelassen auf das rege Geschehen. In bruchstückhaftem Deutsch erzählt er, er verdiene 400 bis 500 Euro. „Ja, pro Monat“, bestätigt er auf Nachfrage. 150 Euro bezahlt er für die Wohnung, die er sich mit anderen teilt. Hat er Familie? „Ja, in Delhi. Eine Frau und drei Kinder.“ Der jüngste Spross ist 15 Jahre alt. In Österreich ist er seit 16 Jahren und schickt regelmäßig Geld nach Hause. Kann er in Krankenstand gehen? „Ja“, sagt er. Angesprochen auf die Pension gibt er nur unklare und widersprüchliche Antworten. Eine davon lautet: „Pension? Das ist schwierig.“ Klar ist: An eine Rückkehr nach Indien denkt er nicht.

Gott und die Welt
An einer anderen Ecke des Marktes hat die Caritas einen Stand, der fast so gemütlich eingerichtet ist wie ein Wohnzimmer. Im Gespräch über das Thema Migration und Pension fällt einem Mitarbeiter ein älterer Inder ein, der sicher gerne darüber sprechen würde. Er sei meist am Brunnenmarkt anzutreffen. „Super! Aber wie erkennen wir ihn? Gibt es ein Foto?“ Glück gehabt: Der Inder hat schon einmal bei einem Projekt der Caritas mitgemacht, sein Foto ziert einen Beitrag in einer Caritas-Broschüre. Schnell also mit dem Handy abfotografiert. Sein weißer Bart, die buschigen weißen Augenbrauen, das freundliche Lächeln und der blaue Turban sollten es eigentlich nicht allzu schwer machen, ihn zu finden. Sollte man meinen ...

Weiter vorne
Eine gute halbe Stunde zwischen den Gemüse-, Fleisch-, Käse- und Kleidungsständen des Brunnenmarktes: Trotz des Schönwetters tummeln sich an diesem Freitagnachmittag hier erstaunlich wenige Menschen. Der Inder ist trotzdem nicht zu entdecken. Als ein Verkäufer das Foto sieht, nickt er. „Sie finden den Mann weiter vorne“, sagt er. Auch ein anderer Standverkäufer weiß sofort weiter: „Ich habe ihn vorhin dort gesehen, schauen Sie mal zum Lokal an der Ecke.“ Und tatsächlich: In einem Schanigarten zwischen den Marktständen sitzt der Mann gemeinsam mit einem Freund. „Bitte setzen Sie sich“, sagt er freundlich.
Nirmal Singh ist 72 Jahre alt und hat hier viele Jahre selbstständig einen Marktstand betrieben. „Ich lebe seit 2001 in Österreich und war zwischen 1984 und 1989 auch schon hier“, erzählt er auf Englisch, obwohl er Deutsch gut zu verstehen scheint. Auch seine Frau hat zwölf Jahre hier gelebt: „Sie war krank. Sie ging nach Indien zurück und ist dort gestorben.“ Als Singh 70 Jahre alt wurde, wurde ihm seine Arbeit zu beschwerlich: „Im Winter bin ich physisch nicht so fit.“ Er suchte um eine Pension an. Die schlechte Nachricht: Seine Pensionszeiten reichen nicht aus, er hatte noch keine 180 Monate beisammen.
Zum Glück halfen die Behörden und Singh bekommt jetzt Mindestsicherung, bis er ab 2017 eine Pension beziehen kann. „Ich weiß nicht, wie viel es sein wird“, sagt er. Sein Freund geht davon aus, dass es die Mindestpension sein wird. Bis dahin muss Nirmal Singh von der Mindestsicherung jeden Monat die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Obwohl da nicht viel zum Leben bleibt, ist er dankbar für die staatliche Unterstützung. Immer wieder betont er: „Die Leute am Sozialamt waren so freundlich und hilfsbereit. Das sind gute Menschen.“

Weiterarbeiten
Auch Sukhdeep Singh, Nirmal Singhs fünf Jahre jüngerer Freund, kann kommendes Jahr in Pension gehen. „Solange ich gesund bin, möchte ich meinen Stand behalten und geringfügig weiterarbeiten“, sagt Singh in sehr gutem Deutsch. Er verkauft Textilien am Brunnenmarkt. Da er schon seit 32 Jahren hier lebt und genug in die Pensionskasse eingezahlt hat, wird er sich nicht mit der Mindestpension zufriedengeben müssen. Niemals sei er zum AMS gegangen, nie habe er Sozial- oder Wohnbeihilfe bezogen: „Wenn man hart arbeitet, hat man ein ganz anderes inneres Gefühl.“ Für ihn und seine Familie ist Österreich zur neuen Heimat geworden. Auch seine Frau ist Unternehmerin und hat ein Geschäft in der Wiedner Hauptstraße – noch bis Oktober, dann wird sie ihre Pension antreten.

Für die Familie
Sukhdeep Singh ist stolz auf das, was er hier erreicht hat, obwohl er keine gute Ausbildung hat: „Ich habe das ganze Leben für meine Familie gearbeitet, in der Kälte und in der Hitze. Aber ich habe mich selbst so entschieden.“ Seine drei Kinder haben gute Jobs, eines arbeitet sogar bei der Weltbank in Washington, worauf er ganz besonders stolz ist.
Es ist Freitag, 16 Uhr. Die beiden trinken weiter Tee und vertiefen sich wieder in ihre Gespräche. Der Frühling zeigt sich von seiner besten Seite, sodass sie die Sonne genießen können. Zurück bleibt ein Gefühl der Ratlosigkeit. Auch wenn die Betroffenen die prekären Verhältnisse vorziehen, weil sie immer noch besser sind als in ihren Herkunftsländern: Wie könnte für schwer arbeitende MigrantInnen eine Altersvorsorge aussehen, die ihnen ein Altern in Würde ermöglicht? Wie könnte das ganze Pensionssystem besser mit prekären Verhältnissen wie diesen umgehen?

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Alexandra Rotter, freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623218492 Der 72-jährige Nirmal Singh und sein fünf Jahre jüngerer Freund Sukhdeep Singh (rechts) können 2017 in Pension gehen. Nirmal kann nur mit einer Mindestpension rechnen. Sukhdeep hat 32 Jahre lang in Österreich gearbeitet hat und wird mehr erhalten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623220288 Zeitungskolporteure sind in der Regel selbstständig und verdienen sehr wenig. Viele schicken ihren Familien in der Heimat regelmäßig Geldbeträge, die hier wenig und in Ländern wie etwa Indien viel wert sind. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 20 May 2016 00:00:00 +0200 1463623218456 Diskussion: Ist die Pension zukunftsfit? Arbeit&Wirtschaft: Werden Sie eine sichere Pension bekommen?

Stefan Bartl: Ich glaube schon, dass wir eine Pension haben, von der wir auch leben können. Es gibt derzeit gewisse Defizite am Arbeitsmarkt, die ins Pensionssystem reinspielen. Meiner Ansicht nach ist das Wichtigste, dass wir versuchen, die Beschäftigung zu heben und die prekären Beschäftigungsverhältnisse zu eliminieren. Aber wenn man die steigende Lebenserwartung sieht, glaube ich schon, dass wir faktisch länger arbeiten werden. Ich glaube aber auch, dass unser momentanes Pensionssystem sehr gut ist und dass es nachhaltig finanzierbar ist.

Veronika Kronberger: Man kann die Frage nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten, weil wir gerade in einer Phase sind, in der es relativ viele relativ starke Umbrüche gibt. Würde der Status quo so bleiben, wie er jetzt ist, und würden sich auch die Arbeitsbedingungen nicht maßgeblich verändern, würde ich sagen: Ja. Würden sich gewisse politische Fraktionen wie ÖVP, FPÖ oder Neos, die für Kürzungen eintreten, durchsetzen bzw. würden Tendenzen, die wir jetzt am Arbeitsmarkt haben, wie arbeitsrechtliche Umgehungen und Lohn- und Sozialdumping, weiter zunehmen, dann bin ich eher skeptisch.

Nikolaus Griller: Ich glaube, dass wir selbst dann, wenn wir die Beschäftigung heben, trotzdem ein Problem haben, weil die Lebenserwartung schneller gestiegen ist und noch immer schneller steigt als das Antrittsalter. Und das kann sich einfach nicht ewig ausgehen. Ich sehe die Gefahr, dass das Pensionssystem zumindest teurer wird. Ich sage nicht, dass es deshalb nicht sicher ist, aber dass es für den Staat teurer wird. Dass es öffentlich mitfinanziert wird, ist notwendig und gut. Nur ich habe das Gefühl, dass nicht allen bewusst ist, wie stark es finanziert wird und wie stark es in der Zukunft finanziert werden wird. Das Pensionssystem muss sich in 20, 30 Jahren noch immer ausgehen, und dafür gehört noch mehr gemacht, als bisher schon getan worden ist.

Bartl: Bereits bei der Schaffung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) hat man sich auf das Prinzip der Drittelfinanzierung geeinigt:
Ein Drittel Arbeitnehmer, ein Drittel Arbeitgeber und ein Drittel soll über das öffentliche Steuersystem finanziert werden. Was mir in der Diskussion ein bisschen ungut aufkommt, ist, dass dieser Beschluss immer infrage gestellt wird. Dass die Steuermittel, die vom Bund zugeschossen werden, immer in der Kritik stehen. Das ist politisch gewollt, dass etwas aus dem Steuersystem ins Pensionssystem zugeschossen wird. Und deshalb sehe ich den nominalen Geldbetrag, was das Pensionssystem kostet, nicht so arg, weil man eben darauf schauen muss, ob die ausgewogene Finanzierung eingehalten wird.

Kronberger: Die Pensionskommission hat 2014 festgestellt, dass das Pensionssystem seit den 1980er-Jahren um ganze 1,8 Prozentpunkte des BIP teurer geworden ist. Ich behaupte jetzt einmal, dass das kein wahnsinnig drastischer, schwerwiegender Anstieg ist. Besonders was die Demografie angeht: Der wird aktuell ziemlich stark entgegengewirkt. Es gibt Migration, es gibt Fluchtbewegungen. Das ist in dem Fall äußerst positiv, weil dadurch natürlich die Demografie eine andere wird und viele junge Menschen kommen.

Griller: Ich sehe das in Milliarden Euro, die jedes Jahr beigetragen werden und die laut einer Studie der Jungen Industrie weit mehr als ein Drittel sein werden und die bei gewissen Pensionen auch viel mehr sind, weit mehr als 50 Prozent. Wenn du dir ausrechnen würdest, wie viel du im Laufe deines Arbeitslebens beigetragen hast, zu dem, was du ausgezahlt bekommst, siehst du, dass das Drittel, Drittel, Drittel einfach nicht immer funktioniert. Wenn das stimmt, dass wir Zuwanderung dazu nutzen können, dass wir mehr Beschäftigte haben, die auch Beiträge zahlen, und mehr Arbeitgeber für die Beschäftigten, dann bin ich vollständig einverstanden. Nur das ist eine ziemlich optimistische Aussicht, wenn du davon ausgehst, dass Flüchtlingsbewegungen zu einem so starken Beschäftigungszuwachs führen, dass die Babyboomer, die jetzt in Pension gehen, alle damit abgedeckt sind.

Bartl: Wir kriegen ein Problem, wenn wir das Pensionssystem nur auf der Finanzierungsfrage aufhängen. Weil was heißt das, wenn sich die Finanzierung nicht ausgeht? Dann müssen wir die Pensionen noch weiter kürzen. Das würde Altersarmut bedeuten. Altersarmut kann nicht das Ziel des Pensionssystems sein.

Griller: Ich glaube auch, dass Kürzung in Bausch und Bogen keine gute Lösung ist. Die Dauer des Anspruchs wird wahrscheinlich irgendwann einmal zu lang sein. Wenn wir davon ausgehen, dass das Antrittsalter in den letzten Jahren kaum gestiegen ist, gleichzeitig aber die Lebenserwartung in einem überschaubaren Zeitraum um über zehn Jahre gestiegen ist, dann hat man eine wesentlich längere Bezugsdauer. Und das ist der Punkt, wo man ansetzen muss.

Bartl: Aber das ist ja in den letzten Pensionsreformen reingerechnet worden.

Griller: Meiner Meinung nach müssen manche Dinge schneller umgesetzt werden.

Was genau?

Griller: Wenn ich sage, ein System muss irgendwo tragbar sein, dann gibt es einen gewissen Geldbetrag, den ich beischießen kann. Wenn ich den zusätzlich zur Umlage umrechne, dann habe ich eine Dauer von sagen wir 15 Jahren, die ich eine Pension im Durchschnitt beziehen kann. Das heißt, das Pensionsantrittsalter muss mindestens bei 65 Jahren liegen. Ich glaube, das Schlaueste wäre immer noch, wenn man in einem regelmäßigen Abstand schauen würde, wie weit die Lebenserwartung gestiegen ist und wie weit das Antrittsalter angehoben werden muss.

Also eine Automatik?

Griller: Ja, man muss es ja nicht jedes Jahr machen. Dass aber das Antrittsalter an der tatsächlichen demografischen Entwicklung aufgehängt ist, wäre schon wichtig.

Bartl: Aber das Pensionsantrittsalter anzuheben bringt sehr wenig, wenn die begleitenden Maßnahmen nicht passieren. Zum Beispiel steht im Regierungsprogramm ein Bonus-Malus-System für Unternehmen drin, weil ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einfach das Problem haben, dass sie aus der Firma rausgehaut werden, wenn sie älter werden. Das faktische Pensionsantrittsalter kann man zum Beispiel mit dem Bonus-Malus-System steigern. Da wehrt sich die Wirtschaft dagegen.

Warum tut sie das?

Griller: Ich glaube, dass das ein bisschen eine falsche Perspektive ist, dass es immer die Unternehmer sind, die Leute raushauen. Es gibt extrem viele Leute in Österreich, die in Wahrheit ab ihrem 25. Geburtstag schauen, wie lange sie noch brauchen, bis sie in Pension gehen können. Und die sehr wohl kalkulieren: Gehe ich in Frühpension oder warte ich bis zu meinem tatsächlichen Regelpensionsantrittsalter?

Bartl: Wenn, dann gehen sie mit hohen Abschlägen.

Griller: Ja, aber wenn du ein Malus-System hast, dann hat der Arbeitgeber auch noch eine Belastung dadurch, dass jemand ohnehin in Pension gehen möchte. Die Frage ist: Muss man die Unternehmer dafür bestrafen, dass offensichtlich Beschäftigung nicht immer bis zum Regelpensionsantrittsalter funktioniert?

Bartl: Ich würde die Gewichtung schon sehr stark auf die Arbeitgeber legen. Es gibt einen sehr starken Anreiz über das normale Regelpensionsalter drüber zu kommen, aber es geht de facto einfach nicht, weil die Beschäftigung nicht da ist und weil es der Gesundheitszustand in manchen Branchen nicht zulässt.

Kronberger: Was man bei dieser Debatte immer vergisst: Was ist mit den Leuten im Alter zwischen 20 und 30, die früher regulär zu arbeiten begonnen haben? Sprich sie haben eine Ausbildung gemacht und sie haben gearbeitet. Jetzt machen sie ein, zwei unbezahlte Praktika, dann ein Volontariat, dann haben sie einen freien Dienstvertrag für ein halbes oder Dreivierteljahr. Dann wird ihnen ein Werkvertrag in Aussicht gestellt, und wenn sie Glück haben, kriegen sie nach zwei, drei Jahren eine Anstellung. Eine Studie vom Wissenschaftsministerium zeigt, dass es bei 25 Prozent der Studierenden fünf Jahre dauert, bis sie in einem unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis sind, beim Durchschnitt dauert es drei Jahre. Gleichzeitig wissen wir von der Studierendensozialerhebung, dass die Leute durchschnittlich bis zum Alter von 27, 28 Jahren studieren. Wenn man jetzt drei bis fünf Jahre Praktika dazurechnet, dann sind die Leute Anfang, Mitte 30, bis sie beginnen können, ordentlich ins System einzuzahlen. Warum redet niemand davon, dass die Jungen am Anfang ihrer Erwerbskarriere so viele Jahre verlieren?

Griller: Das ist ein Problem, das vor allem in Dienstleistungsunternehmen auftaucht. In Industriebetrieben ist das normalerweise nicht so.

Kronberger: Eben nicht. Und was ist mit den Frauen, die Kinder bekommen, die weniger verdienen und zusätzlich auch die gesamte soziale Last des Staates tragen, wenn es um die Versorgung und Pflegearbeit von Familienangehörigen geht? Warum sollen die jetzt später in Pension gehen?

Griller: Das sind zwei verschiedene Sachen. Das eine ist, dass die Pension für die geleistete Arbeit ausreichend und fair sein sollte, auch für die Arbeit, die nicht so leicht quantifizierbar ist. Das andere ist die Frage, ob man deswegen forcieren sollte, dass Frauen früher in Pension gehen. Wo kommt der Grundgedanke dafür her?

Kronberger: Das ist der kleinste Ausgleich, der mir als Frau noch zusteht. Es sind die Frauen, die großteils die Kinder erziehen, die die Alten pflegen und die Nachbarschaftshilfe leisten. Gleichzeitig müssen sie arbeiten gehen, werden dafür diskriminiert, dass sie Teilzeit arbeiten, weil sie Betreuungspflichten haben, und dann sollen sie zusätzlich noch länger arbeiten?

Griller: Wie wäre es, wenn man den Ausgleich auf einer halbwegs gleichen Ebene führen würde, vor allem im Verhältnis der Gehälter miteinander?

Kronberger: Großartig. Sagt ihr bitte Ja zu verpflichtenden, nicht freiwilligen und transparenten Einkommensberichten.

Macht es sich die Industrie nicht zu leicht, wenn sie Verschärfungen fordert, aber keinen Beitrag leistet?

Griller: Ich verkaufe 95 Prozent meiner Produkte im Ausland, und alle meine Mitbewerber sitzen in anderen Ländern. Ich bin ein Unternehmer, der relativ viele Arbeitsplätze in Österreich hält und halten möchte. Nur bei jeder weiteren Belastung des Unternehmens, und wir sind im internationalen Vergleich ziemlich stark belastet, gefährden wir irgendwo einen Arbeitsplatz. Von mir aus führen wir weitere Belastungen ein, die die Unternehmen betreffen, aber es wird à la longue nicht vorteilhaft für die österreichische Wirtschaft sein.

Bartl: Du hast in Österreich eine sehr starke Produktivität. Deshalb wirst du dein Unternehmen in Österreich haben.

Verschlechtert ein höheres Pensionsantrittsalter die Jobchancen von Jungen?

Kronberger: Natürlich.

Bartl: In gewissen Bereichen schon, in anderen nicht. Wenn ich die Frühpension abschaffen oder stark einschränken würde, dann wäre es sicher der Fall, dass ein höheres Antrittsalter die Beschäftigung von den Jüngeren eher benachteiligen würde.

Griller: Es gibt schon Fälle, wo Unternehmen davon profitieren, wenn Leute länger im Job bleiben. Wenn jene, die nicht länger arbeiten wollen, länger bleiben und Innovationsprojekte übernehmen, bringen sie dem Unternehmen eigentlich so viel Wert, dass dadurch sogar Stellen entstehen können. Aber ist es nicht eigentlich ein Problem, dass unser System offensichtlich darauf abzielt, dass es den Leuten gut geht, die weit über 50 sind, und gleichzeitig bei Menschen unter 35 Wohlstand reduziert?

Bartl: Das ist jetzt ein bisschen die Neiddiskussion, in der man immer versucht, die Jungen gegen die Alten auszuspielen. Da gibt es ein komplett anderes Rezept. Zum Beispiel, indem man schaut, dass die Jungen mehr verdienen, raus aus dem Prekariat kommen, die Lebensverdienstkurve abgeflacht wird und es starke Lohnerhöhungen in den Klein- und Mittelbetrieben gibt, wo die große Beschäftigungsanzahl ist. Wir brauchen Leute, die Kaufkraft gewinnen, und über die Lohnerhöhungen lässt sich auch das Pensionssystem besser finanzieren.

Kronberger: Ja es stimmt, die Älteren profitieren vom System derzeit anders als die Jungen. Nein, ich führe es nicht auf eine Neiddebatte zurück, sondern auf Kurzsichtigkeit. Es ist aber schon eine Tatsache, dass wir einen Vertrauensschutz in Österreich haben. Das heißt, wenn wir jetzt über Pensionskürzungen diskutieren, wen betreffen die? Meine Mama ist schon in Pension. Wir sind jung und wir reden davon, dass wir uns selber etwas wegnehmen wollen. Und das unter dem Deckmantel „Generationengerechtigkeit“, das ist absurd.

Griller: Erstens geht es nicht nur um Leute wie uns, sondern auch um jene, die inzwischen in Pension gehen. Ziel sollte sein, das faktische Pensionsantrittsalter anzuheben. Das ist eine Kürzung der Pensionsbezugsdauer, aber es ist keine Kürzung im Monat. Es ist keine Gefährdung für Altersarmut, wenn du länger arbeitest, im Gegenteil, die letzten Verdienstjahre sind meist die einkommensstärksten. Zweitens denke ich eine Generation weiter. Ich habe selber kleine Kinder zu Hause, und ich möchte, dass auch die noch ein funktionierendes Pensionssystem haben.

Werden Junge bei dem Thema Pensionen gehört?

Griller: Nein.

Bartl: Die ältere Generation ist deutlich besser repräsentiert.

Kronberger: Ich persönlich bin für Quoten für Frauen, für Menschen mit Migrationshintergrund, für Junge und Alte auf allen Ebenen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Das Gespräch führte Katja Dämmrich für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 4/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1463623218441 Stefan Bartl (26 Jahre, ÖGB-Bundesjugendsekretär), Veronika Kronberger (29 Jahre, Vorsitzende Generation Praktikum) und Nikolaus Griller (33 Jahre, Vorsitzender der Jungen Industrie Wien) im Gespräch über ihre Pensionszukunft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209909 Die Flucht in Zahlen 60.000.000 Menschen sind nach UNHCR-Schätzungen weltweit auf der Flucht. Fast 60 % sind Binnenflüchtlinge. Von jenen, die über die Grenzen fliehen, kommt fast die Hälfte aus nur drei Ländern.
Betrachtet man die weltweiten Flüchtlingsströme, so kann von einer Massenwanderung nach Europa keine Rede sein. 86 Prozent
der Flüchtlinge weltweit finden in Entwicklungsländern Zuflucht, davon 25 Prozent in den am wenigsten entwickelten Ländern.

AsylwerberInnen wird oft unterstellt, sie würden sehr viel Geld bekommen. Wir haben ihre Sozialleistungen mit jenen von Arbeitslosen verglichen.

Alle Details dazu und noch viel mehr Zahlen, Daten, Fakten entnehmen Sie bitte den Downloads.

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Ausgewählt und zusammengestellt von Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599209880 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209848 "Nicht zuletzt" ... Seiltanz in die Freiheit Diesen Satz hat Ödön von Horváth uns ÖsterreicherInnen schon vor fast 100 Jahren ins Stammbuch geschrieben. Spätestens seit den über 70 Leichen in einem abgestellten Kleinlaster im Burgenland im Herbst 2015 und der Silvesternacht in Köln scheint es die „österreichische Seele“ wieder zu zerreißen: Hier die „Refugees welcome“-Transparente, dort die „Ausländer raus“-Parolen.
Dazwischen eine brisante Mischung: Flüchtlinge, AsylwerberInnen, subsidiär Schutzberechtigte … Unzählige Begriffe, die gerne verwechselt, vermischt oder sonst wie durcheinandergebracht werden, bis sich niemand mehr auskennt. Dazu eine Politik, die immer schneller zwischen Hilflosigkeit und Brachial-Maßnahmen hin- und herschwingt. Zäune, die nicht so genannt werden dürfen, und Richtwerte, die vielleicht auch Obergrenzen sein könnten. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte diese brisante Mischung ganze Kabarettabende füllen. So aber werden andere politische Themen in Österreich zugedeckt und es entsteht ein wirklich gefährlicher Sog nach unten.

Angst ist kein guter Ratgeber
Brisante Mischungen erzeugen oft diffuse Ängste. Daher gilt: nicht verharmlosen und nicht dramatisieren, sondern Fakten darstellen. Als meine albanische Familie vor über 50 Jahren nach Österreich flüchtete, war nicht nur die Sprache zu erlernen. Wir Kinder waren mehrfache „Dolmetscher“ für die Familie, weil es ja auch riesige kulturelle Unterschiede gab. Die Richtung für unsere Integration gab dabei mein Vater mit dem Satz vor: „Man muss so tanzen, wie die Musik spielt.“

Bevorzugte Region
Gar zu leicht vergessen wir in Österreich, dass wir in einer bevorzugten Region der Welt leben. Nicht nur, dass Demokratie und Menschenrechte fixer Bestandteil unserer Kultur sind und auch aus unseren Wasserhähnen wirklich gutes Trinkwasser fließt, gilt es an 1955 zu erinnern, als am Balkon des Belvedere der Ruf erklang: „Österreich ist frei!“
Damit ist bei uns Realität, wovon Menschen in vielen Teilen der Welt, wo Diktatur und Korruption herrschen, nur träumen. Wenn diese den Mut haben, ihre Heimat für immer zu verlassen, werden sie bei uns als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet. Es sollte schon mindestens ein Bürgerkrieg toben, damit wir unsere Mischung aus Angst und Zynismus ablegen und über Integration nachdenken.
Noch schwieriger wird es, wenn wir versuchen – am Beginn des 21. Jahrhunderts –, unsere Kultur zu beschreiben, in welche sich ja die „Neu-Hinzugekommenen“ integrieren sollen. Längst ist die Wirtschaft mit dem Zauberwort „Markt“ zur treibenden Kraft geworden und hat den Einfluss von Politik, Religion und Kunst weit zurückgedrängt. „Hast du etwas anzubieten? Rechnet es sich?“ erscheinen so als die einzig zulässigen Fragen dieses Marktes.
Weil aber der Mensch mehr ist als nur arbeitender Konsument und weil in unserem Leben auch andere Werte gelten sollen als nur jene, die über den Ladentisch gehen, müssen wir eine neue Balance finden. Das ist ein schwieriges Unterfangen, vergleichbar mit einem Seiltanz.

Bestimmend für einen neuen Kurs
Als GewerkschafterInnen können wir uns nicht mit den Defiziten einer Gesellschaft zufriedengeben, wie sie der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner beschreibt: Er sieht den Mangel an Gerechtigkeit, den Mangel an Gemeinschaft und den Mangel an Sinn als wesentlich.
Wir müssen diese Mängel bekämpfen und unsere Gesellschaft in eine soziale Ausgewogenheit bringen, die auch Aufnahme und Integration ermöglicht. Irgendwelche Integrationskurse werden da nicht ausreichen, vielmehr müssen wir dem derzeitigen „Sog“ entgegentreten und bestimmend für einen neuen Kurs werden!

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Andreas Gjecaj, ÖGB-Sekretär/Generalsekretär der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209840 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Webtipps der Woche

Wir legen ihnen diese Beiträge besonders ans Herz:

  • Arbeitszeitverkürzung schafft Beschäftigung (Philipp Poyntner)
  • Konjunktur: Was jetzt zu tun wäre (Markus Marterbauer)
  • Nachteile von Ausschreibungen (Heinz Högelsberger, Thomas Moldaschl)

Arbeitszeitverkürzung schafft Beschäftigung
Kann eine Verkürzung der Arbeitszeit Beschäftigung schaffen? Ja, argumentiert Philipp Poyntner. Dies zeigen Erfahrungen in Europa und zahlreiche Studien – zumindest wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, beispielsweise die Möglichkeit zur Reorganisation der Arbeit und eine moderate Lohnstückkostenentwicklung.
So hat die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich vor 15 Jahren mehr Beschäftigung gebracht: Je nach Schätzung gab es ein Plus von 3,4 bis 7 Prozent. Auch Überlegungen zur Verteilung der Arbeitszeit und zu Gesundheit sprechen für eine Arbeitszeitverkürzung.
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Konjunktur: Was jetzt zu tun wäre
Österreichs Wirtschaft erholt sich seit dem Frühjahr 2015 Schritt für Schritt. Es ist eine vom Export ausgehende Belebung, die nach und nach auch die Industrieproduktion und die Investitionen erfasst hat. Die Arbeitslosigkeit bleibt trotzdem das Problem Nummer eins. Deshalb gilt es jetzt, den konjunkturellen Rückenwind zu nutzen, schreibt Markus Marterbauer.
Die Regierung müsste sofort zusätzlich massiv in Aus- und Weiterbildungsplätze investieren, was mittelfristig günstig auf das Qualifikationsniveau wirken und kurzfristig den Arbeitsmarkt entlasten würde. Zusätzlich ist eine Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage notwendig, etwa im Wohnbau oder bei den beschäftigungsintensiven sozialen Dienstleistungen.
Jetzt muss rasch und in großem Stil investiert werden – auch in Europa: Die EU-Mitgliedsländer sollen ihre öffentlichen Investitionen koordiniert und kreditfinanziert im Ausmaß von mindestens einem Prozent des BIP 2016 und 2017 erhöhen. Der Bedarf ist da: Ausbau der Energienetze, Investitionen in Elektromobilität und öffentlichen Verkehr, in Wohnbau sowie andere soziale Infrastruktur und vieles andere mehr.
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Nachteile von Ausschreibungen
In der Idealvorstellung einer Ausschreibung wird davon ausgegangen, dass man für einen genau definierten Auftrag mehrere Angebote bekommt und daraus das Beste auswählen kann. Durch den Wettbewerb sollen öffentliche Dienstleistungen besser und billiger werden.
Ausschreibungen bringen auch eine Reihe von Nachteilen, auf die Heinz Högelsberger und Thomas Moldaschl hinweisen: Gute Ausschreibungen sind extrem aufwendig und teuer. Die hohen Anforderungen und der damit verbundene Rechtsaufwand auf Bieterseite können gerade klein- und mittelgroße Unternehmen oder gemeinnützige Organisationen abschrecken. Auch für Behörden – vor allem bei kleineren Einheiten – sind sie aufwendig und kostspielig und sie schränken die Gestaltungsspielräume ein. Außerdem senken sie die Möglichkeit, flexibel auf geänderte Bedingungen zu reagieren.
Damit sowohl bei AuftraggeberInnen als auch bei -nehmerInnen größte Klarheit über die zu erbringende Dienstleistung besteht, werden bei Ausschreibungen möglichst viele Parameter fixiert. Auf kurzfristige Veränderungen kann nur schwer reagiert werden. Selbiges gilt, wenn im Nachhinein festgestellt wird, dass bestimmte Anforderungen in der Vertragsgestaltung nicht berücksichtigt wurden. Nachverhandlungen sind kostspielig.
Und: Ausschreibungen führen oft zu Sozialdumping. In der gelebten Praxis von Ausschreibungen nach dem Billigstbieterprinzip sind die Personalkosten die wichtigste Stellschraube, um wettbewerbsfähig zu sein und Aufträge zu bekommen. Oft wird damit argumentiert, dass ohnehin viele Qualitätsmerkmale als Mindestkriterien vorgesehen sind. Da diese Mindestkriterien ohnehin von allen BewerberInnen erfüllt werden müssen, zählt erst recht der niedrigste Preis. Und der geht oft zulasten der ArbeitnehmerInnen.
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Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209828 Gekommen, um zu bleiben Die Diskussion um die Flüchtlingswelle hat sich in den vergangenen Monaten immer emotionaler gestaltet. Wie oft ist in der Asylfrage das Argument gefallen: „Das sind noch Wirtschaftsflüchtlinge, die haben doch gar kein Recht auf Asyl!“ Während das Wort heute wie eine despektierliche Bezeichnung klingt, wird oft vergessen, dass bereits eine Welle von sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ über Österreich und Deutschland schwappte. In den 1960ern hießen sie jedoch noch Gastarbeiter.

Österreich wesentlich geprägt
Sie stammten damals aus der Türkei, aus Italien, aus Kroatien. Sie sind gekommen, um zu bleiben, und haben Österreich wesentlich geprägt – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Sie haben zum Wirtschaftsboom in den 1960er- und 1970er-Jahren beigetragen und auch zu einem wesentlichen demografischen Wandel. 2015 stammten 20 Prozent der ÖsterreicherInnen aus dem Ausland – dies bedeutet, dass jede/r Fünfte einen Migrationshintergrund hat.
Wie hat sich jedoch die Integration der „GastarbeiterInnen“ in der österreichischen Arbeitswelt gestaltet? Mit welchen Vorurteilen hatten und haben sie zu kämpfen, welche Rolle spielen sie in der Arbeitswelt? Wie werden ihre Interessen in den ArbeitnehmerInnenvertretungen repräsentiert? Fühlen sie sich überhaupt vertreten?
Diesen und noch mehr Fragen gingen vier TeilnehmerInnen der SOZAK auf den Grund, um das Ergebnis im Buch „In Arbeit geeint“ festzuhalten. Thom Kinberger, Robert Könitzer, Malgorzata Peterseil und Mehmet Soytürk haben sich im Rahmen ihrer Projektarbeit auf die türkischstämmigen ArbeitnehmerInnen fokussiert, und ausgewählte KollegInnen und Kollegen interviewt. Mit spezifischen Fragestellungen und der Darstellung der einzelnen subjektiven Ansichten und Erfahrungen möchten sie einen Beitrag zum zielgruppenorientierten Dialog leisten. „In diesem Buch kommen die Betroffenen selbst zu Wort und liefern interessante, einfache wie bestechende Einblicke und Lösungsansätze für den Umgang mit dem Thema Migrantinnen und Migranten im Arbeitsleben“, sagt Co-Autor Robert Könitzer.

Auf Vorurteile reduziert
Die InterviewpartnerInnen der vier SOZAK-TeilnehmerInnen waren unter anderem BetriebsrätInnen von Coca-Cola und der Post, Arbeiter bei Opel und Siemens und Mitarbeiter des ÖGB. Das Ergebnis war ernüchternd. Denn ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund werden nicht mehr in ihrer Vielfalt wahrgenommen. Sie werden nach wie vor nicht als Bereicherung gesehen, sondern vielmehr auf Vorurteile reduziert. Die Befragten stellen einen fortwährenden Graben zwischen österreichischen und türkischen ArbeitnehmerInnen fest und kritisieren die nach wie vor fehlende Gleichberechtigung. „Eine Abgrenzung gibt es sehr wohl“, sagt Nicholas Hauser von der GPA-djp, er ist als Betreuer der IG
work@migration tätig. „Beide Seiten müssen sich aneinander anpassen. Hier stellt sich die Frage: Was bin ich bereit, für diesen Prozess zu tun?“ Türkischstämmige Menschen werden immer noch als „BürgerInnen zweiter Klasse“ wahrgenommen und sehen sich weiterhin Diskriminierungen ausgesetzt. „Man spürt schon manchmal, dass ausländische Kollegen etwas unterhalb des Ansehens sind als Österreicher“, bestätigt Yücel Eser, ArbeiterInnenbetriebsrat bei Coca-Cola.
Dabei haben türkischstämmige ArbeitnehmerInnen die gleichen Probleme und Schwierigkeiten wie andere MigrantInnen auch – und auch wie die KollegInnen ohne Migrationshintergrund. „Ich wüsste nicht, welchen besonderen Status türkische Migranten haben sollten. Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie andere Arbeitnehmer“, sagt Dursun Altun, Arbeiter bei Opel. Mit einem kleinen Unterschied, denn laut Altun würden sie im Gegenzug zu ihren österreichischen KollegInnen gar nicht auf ihre Rechte pochen. Altun ist nicht der Einzige, der dies behauptet, auch die anderen Interviewten stellten fest, dass die türkischen KollegInnen sich nicht trauen, ihre Stimme zu erheben.

KandidatInnen gesucht
Die Gründe erklärt Altun ganz lapidar: „Erstens aus dem Bewusstsein heraus, ein Ausländer zu sein, zweitens hat er Angst, die Stelle zu verlieren, und davor, eine Arbeit machen zu müssen, die noch schlechter ist.“ Die Befragten, auch Dursun Altun, plädieren dafür, dass mehr MigrantInnen zur Betriebsratswahl kandidieren. Es würden sich zu wenige ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund als BetriebsrätInnen aufstellen lassen: „Die Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund werden aber in der letzten Zeit wieder mehr, auch durch die Leiharbeiter. Deshalb wäre das wichtig, solche Leute im Betriebsrat zu haben, auch den türkischen Arbeitnehmern eine Bestätigung zu geben, dass die Entscheidungen objektiv sind und sie beteiligt sind“, sagt er. Yücel Eser vertritt die ArbeiterInnen bei Coca-Cola, seine türkischstämmigen KollegInnen wenden sich mit ihren Problemen und Fragen gerne direkt an ihn: „Sie vertrauen mir, weil ich auch Türke bin. Speziell wenn es um wichtige Dinge geht, wie die Angst vor Kündigung. Dabei geht es besonders stark um Vertrauen, und deshalb kommen sie dann zu mir. Wichtig ist natürlich auch die Sprache.“

Mehr Sensibilisierung
Aber auch die eigenen, gewerkschaftlichen Reihen werden in den Interviews kritisch beäugt. Denn die Haltung des ÖGB gegenüber ArbeitnehmerInnen aus dem Süden war früher nicht so positiv. „Ich würde sagen, dass die Gruppe der Migrantinnen und Migranten innerhalb der Gewerkschaft keine vorrangige Gruppe war“, meint Nicholas Hauser. „Mittlerweile sind viele politische Akteure draufgekommen, dass das eine demografisch wachsende Gruppe ist, die mittlerweile die Staatsbürgerschaft besitzt und auch bei Wahlen aktiv ist und die man nicht mehr vernachlässigen kann.“ Die Gewerkschaften bemühen sich jetzt auch um die KollegInnen aus der Türkei, trotzdem gibt es viel zu tun, vor allem im Bereich des Personals – der BetreuerInnen und BeraterInnen. „Dieses gehört sensibilisiert und geschult und muss sich interkulturelle Kompetenzen aneignen können“, sagt Azem Olcay, Rechtsberater beim ÖGB. „Weiters gehören interkulturelle Bildungsmethoden und Didaktik in die Ausbildung der Ausbildnerinnen und Ausbildner aufgenommen. Jene also, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ausbilden, gehören zuerst selbst sensibilisiert und ausgebildet.“
Eine oft genannte und hier bereits mehrfach erwähnte Herausforderung im (Arbeits-)Alltag stellt die Sprache dar. Die jüngeren Interviewten beherrschen die deutsche Sprache und sehen keinen Bedarf an muttersprachlicher Beratung oder Broschüren. So wie Yildiz Can, Arbeiterin bei Siemens: „Für mich ist es wirklich egal. Aber es gibt schon Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen, und für die wäre es natürlich ein Vorteil.“ Für Aydin Sari, den Betriebsratsvorsitzenden des Cafés Schwarzenberg, ist die muttersprachliche Beratung sehr wichtig: „Als Arbeitnehmer ist es so: Wenn ich etwas gebraucht habe und ich mich artikulieren konnte, ist auf meine Bedürfnisse eingegangen worden. Es gibt aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich nicht so artikulieren können.“

Teil der Gesellschaft
Auch Hasan Tanyeli, Betriebsrat im Bundesrechenzentrum, spricht sich für fremdsprachige Beratung aus, damit die Betroffenen sich besser ausdrücken, aber auch besser verstehen können. „Aber nicht dafür, um in einer Parallelgesellschaft zu bleiben. Ich will, dass wir gemeinsam agieren, denn wir sind ein Teil dieser Gesellschaft.“ Und in der Arbeit sind alle ArbeitnehmerInnen geeint – dies lässt auch der Titel des Buches vermuten – und gemeinsam natürlich stärker. Egal, ob österreichischer, tschechischer, türkischer oder bosnischer Herkunft. „Die Zeiten werden immer härter“, sagt Aydin Sari. „Deshalb sollten wir uns als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausspielen lassen.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210175 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210204 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209818 Privates Anpacken sucht öffentliche Hand Österreichs Hilfsorganisationen warten noch auf das ihnen zustehende Geld aus dem Jänner und Februar. Doch statt der Gutschrift am Konto fanden Rotes Kreuz, Johanniter NÖ-Wien, Volkshilfe Wien oder Train of Hope eine unerfreuliche Nachricht in ihren Postfächern vor. „Förderungen Transitflüchtlinge; Berücksichtigung des Spendenaufkommens“ lautete der Betreff des 21-seitigen Schreibens, das vom Innenministerium an zwölf NGOs ausgesandt wurde. Kurzgefasster Inhalt: Der Bund will jeweils erhaltene Spenden für die Flüchtlingsbetreuung von den zu ersetzenden Kosten abziehen.

Für den Staat einspringen
Erich Fenninger, Chef der Volkshilfe Österreich, reagierte empört: „Wir waren da, als die Regierung uns dringend gebraucht hat, und haben Leistungen erbracht, die der Bund bei uns bestellt hat. Die Regierung verabschiedet sich von ihren hoheitlichen Aufgaben.“ Fenninger machte auch deutlich: „Das ist eine Form von Privatisierung der Republik. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung – dagegen wehren wir uns.“ Noch einige Tage zuvor hatte der Direktor der Diakonie Österreich, Michael Chalupka, erklärt: „Die Zivilgesellschaft hat viel geleistet. Es war aber von Anfang an eine Ersatzleistung für fehlende Strukturen oder Missmanagement in den öffentlichen Strukturen. Die Zivilgesellschaft hat etwas ersetzt, was eigentlich die Aufgabe der öffentlichen Hand wäre. Das geht eine Zeit lang, aber nicht über mehrere Monate oder Jahre.“

Monatelang geht es bereits für Sabrina Schandel. Im Frühsommer 2015 startete die Dürnkruterin gemeinsam mit ihrer Freundin Nina Klaus die Initiative „Weinviertel hilft“. „Die Situation der Flüchtlinge war so unerträglich, dass wir beschlossen haben, etwas dagegen zu tun“, erklärt Schandel. Die Mutter einer kleinen Tochter ist noch bis kommendes Jahr in Karenz, beschäftigt ist sie in der IT-Abteilung der Gewerkschaft PRO-GE. Mit einer Facebook-Seite riefen die beiden zu Spenden auf, fuhren mit einem VW-Bus durch die Region, holten Güter auf zentralen Plätzen – von Gänserndorf bis Korneuburg – ab. Die Waren für Flüchtlinge – erst in Traiskirchen, dann auch für Nickelsdorf und AsylwerberInnen in Privatunterkünften – wurden in einer Garage verstaut und oft von 20 Uhr bis Mitternacht geordnet. Hunderte Pakete mit Unterhosen, Socken, Duschgel oder Rasierzeug wurden geschnürt. Wenn die Garagentüre der Hitze wegen im Sommer offenstand, kam es auch zu Anfeindungen, und AnrainerInnen riefen die Polizei, weil HelferInnen-Autos nicht vorschriftsmäßig geparkt waren. Schandel weiß: „Traiskirchen ist eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“
Was als Projekt in kleinem Rahmen begann, erreichte beachtliche Ausmaße – die Freundinnen und Mütter waren gut drei Tage pro Woche beschäftigt. Eine kleine syrische Familie – Vater Moneeb, Mutter Fatima und ihre kleine Tochter Shahd – lernte Schandel in Traiskirchen kennen. „Moneeb hat mich angesprochen, weil er ein Paar Schuhe für sich suchte.“ Als er sie anprobierte, drückte er Schandel das Mädchen in die Arme. „Die Kleine schaut mich mit ihren großen Augen an, da war es um mich geschehen.“ Bei einem Gespräch zeigte sich, wie verzweifelt die Familie im Lager war. „Wir haben versprochen, dass wir uns um eine Unterkunft kümmern.“ Ein paar Tage wohnten Moneeb, Fatima und Shahd bei Schandel und ihrem Freund, dann wurde ein Haus im Nachbarort als Unterkunft gefunden.

Zwei Baustellen
Mit dem neuen Jahr hat sich auch bei „Weinviertel hilft“ einiges verändert, die Freundinnen arbeiten nun auf zwei Baustellen: Während Nina Klaus weiter für Traiskirchen aktiv ist, hilft Sabrina Schandel regional. „Ich betreue die Flüchtlinge privat und Nina an den Grenzen oder in Traiskirchen.“ Schandel kümmert sich derzeit um 20 Flüchtlinge – die meisten haben ihr Interview vor der Behörde bereits hinter sich. „Da kann man sich schon vorbereiten und ein Gefühl kriegen, in welche Richtung das Ganze geht.“
Fragen, etwa wie viel Geld sie haben oder wo die Eltern wohnen, gehören dazu. Doch die verständliche Nervosität der Flüchtlinge erschwert die Situation. Schandel kennt Fälle, wo der Bescheid sehr schnell ausgestellt wurde, andere mussten vier Monate warten. Derzeit engagiert sich die Helferin für syrische Familien. Unter Betreuung versteht sie: Vorbereitung auf das Interview, Fahrten zur Bezirkshauptmannschaft, zum Deutschkurs, zum Arzt oder ins Krankenhaus – auch mitten in der Nacht. Ebenfalls dazu gehören Übersetzungen von Schriftstücken oder gemeinsames Einkaufen, denn es gibt nur selten Geschäfte in Gehweite. „Das ist durchaus ein Fulltime-Job“, weiß Schandel. Sie arbeitet freilich nicht allein. „Ich habe ein Team von zehn HelferInnen und wir sprechen uns ab. Ein eingespieltes Team ist wichtig, damit nicht dauernd jemand vor der Tür steht, den die Leute nicht kennen“, erklärt Schandel. Auf diese Weise konnte Vertrauen aufgebaut werden, das Verhältnis zwischen HelferInnen und Flüchtlingen ist eng: „Wir sind Freunde und wir machen das, weil sich Freunde auch helfen.“

Vom Staat kaum unterstützt
Bis jetzt haben alle Flüchtlinge Asyl erhalten, eine der Familien, die von einem Bekannten betreut wird, erhielt Asyl auf Zeit. „Sie hatten erst vor Kurzem ihr Interview, und es hängt sehr stark von der Person ab, die das Asylverfahren bearbeitet.“ Schandel und dem ganzen Team war es wichtig, den Flüchtlingen auch kleine kulturelle Feinheiten näherzubringen: etwa vor einer Kasse in der Schlange zu stehen und sich nicht vorzudrängen oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Österreich. „Wenn der Bus um 7.39 Uhr fährt, dann kommt er auch um diese Zeit – er wartet nicht auf dich, habe ich erklärt. Besonders in den ersten drei Monaten ist es noch schwierig.“
Moneeb, Fatima und Shahd sind seit nunmehr sieben Monaten in Österreich. Das entscheidende Interview, ob die Familie Asyl erhält, findet bald statt. Die Eltern machen gerade ihren A2-Deutschkurs. „Ihre Entwicklung ist unglaublich, sie sprechen inzwischen sehr gut Deutsch und verstehen sogar Mundart.“
Schandel war die erste im Ort, die Flüchtlinge aufgenommen hat – jeder Schritt wurde genau beobachtet, Fehler durfte sie sich keine erlauben. „Die Blicke sind immer auf dich gerichtet, und das stresst“, erinnert sich die Helferin. Neugier hat der Gewohnheit Platz gemacht: Es wird gegrüßt und manche NachbarInnen kommen auf einen Kaffee vorbei. In anderen Ortschaften in der Nachbarschaft sieht es anders aus, in Mistelbach fanden Demonstrationen statt, vor eine Asylunterkunft wurden Böller geworfen. Von staatlichen Stellen fühlt sich Schandel eher allein gelassen. „Wenn Flüchtlinge privat unterkommen, interessieren sie sich nicht die Bohne für dich.“

Staatliche Unterstützung gibt es für AsylwerberInnen, die eigenständig leben. Sie haben 200 Euro pro Monat für Verpflegung (Kinder: 90 Euro) und 120 Euro für die Miete (gesamte Familie: 240 Euro) zur Verfügung. Besser funktioniert die Zusammenarbeit mit der Diakonie. Eine Sozialarbeiterin besucht die Flüchtlinge regelmäßig. Sabrina Schandel: „Ohne sie wäre einiges nicht gegangen.“
In Facebook hat Schandel die Gruppe „Kostenlose Möbel für Asylwerber“ gegründet. Aus den anfangs 50 Mitgliedern sind bereits 2.000 geworden. „Menschen können Möbel, die sie nicht mehr brauchen, Flüchtlingen anbieten – sie werden dann von den Flüchtlingen oder BetreuerInnen österreichweit abgeholt.“ Das Angebot funktioniert auch deshalb so gut, weil kein Lager benötigt wird. 2017 endet ihre Karenz. Schandel hat vor, wieder in ihren Job einzusteigen. Sie ist überzeugt, dass dann alle von ihr betreuten Menschen so selbstständig sind, dass sie allein zurechtkommen.

Kurzsichtigkeit
Wie viel die Republik vom Engagement Tausender HelferInnen profitierte und auch weiter profitiert, wurde zwar immer wieder erwähnt. Allerdings scheint weiterhin die Kurzsichtigkeit zu regieren: Politische Entscheidungen orientieren sich immer mehr an jenem Teil der Bevölkerung, die Fremden den Einstieg in unsere Gesellschaft möglichst erschweren wollen. Währenddessen ist es weiterhin die Zivilgesellschaft, die sich geradezu unermüdlich dafür engagiert, was von der Politik wortreich gefordert wird: die Integration der neuen BewohnerInnen zu fördern.

Linktipps:
Kostenlose Möbel für AsylwerberInnen:
tinyurl.com/zcmdoem
Weinviertel hilft:
Auf
www.facebook.com in der Suche „Weinviertel hilft“ eingeben.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sophia.fielhauer@chello.at und resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sophia Fielhauer, Christian Resei, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210161 Die Zivilgesellschaft packte tatkräftig an, um jene Lücke zu schließen, die der Staat bei der Versorgung von Flüchtlingen hinterließ. Vom Staat fühlen sie sich meist im Stich gelassen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209811 Informieren und helfen Das Jahr 2015 wird wohl niemand in Österreich so schnell vergessen: Millionen Menschen sind weltweit vor Bürgerkriegen auf der Flucht, vor allem aus Syrien, aber auch aus Pakistan, Afghanistan und einigen Staaten Afrikas. Zahlreiche von ihnen suchen Schutz in Europa und nehmen unvorstellbare Strapazen und Gefahren auf sich, um die Chance auf Asyl zu erhalten.
Doch nicht nur die Flüchtlingskrise wird vielen in Erinnerung bleiben, sondern auch die große Hilfsbereitschaft der vielen freiwilligen HelferInnen, die sich täglich um die Versorgung dieser Menschen auf der Flucht kümmerten – in Flüchtlingsunterkünften, an Bahnhöfen in Wien und Salzburg, aber auch an den österreichischen Grenzen.

Eindrucksvolle Initiativen
Auch für den ÖGB und die Gewerkschaften war es von Anfang an klar, dass diese leidgeplagten Menschen unterstützt werden müssen. Zahlreiche eindrucksvolle Initiativen wurden von FunktionärInnen ins Leben gerufen, um Kriegsflüchtlinge zu unterstützen.
So hatte beispielsweise der ÖGB Salzburg beschlossen, sein Haus in Seekirchen am Wallersee für Flüchtlinge zu öffnen. Für rund 30 Personen hätte es dort eine Unterkunft gegeben. Mitte August 2015 wurde vor dem Haus allerdings ein Feuer gelegt, die Täter setzten Gartenmöbel in Brand. ÖGB-Landesgeschäftsführerin Heidi Hirschbichler zeigte sich entsetzt über den Brandanschlag und betonte, dass „Hetzer nicht die Oberhand gewinnen dürfen“.

Engagement statt Negativberichten
Auch die ÖGB-Jugend bewies Menschlichkeit. Einige Male fuhren der ÖGB-Jugendsekretär Sumit Kumar und der Wiener PRO-GE-Landesjugendsekretär Thomas Holy mit voll beladenem Kleintransporter nach Traiskirchen, um für die Flüchtlinge Zahnbürsten, Windeln, Rucksäcke, Schlafmatten, Kleidung und vieles mehr abzugeben. „Wir konnten die negativen Berichte nicht mehr sehen, die Kommentare nicht mehr hören. Wir mussten etwas machen“, begründeten beide, deren Eltern selbst als Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, ihr Engagement.
Als im Flüchtlingsnotquartier im Ferry-Dusika-Stadion Hilfskräfte und freiwillige HelferInnen gebraucht wurden, halfen zahlreiche GewerkschafterInnen aus. Unter ihnen war Wolfgang Brandl, ein Mitarbeiter des ÖGB-Verlags. Er sammelte Geld- und Sachspenden, besorgte Hygieneartikel, Essen und was sonst benötigt wurde und transportierte alles dorthin, wo es am meisten gebraucht wurde – und zwar über mehrere Wochen lang.
Im ÖGB-Haus selbst wurden auch fleißig Spenden gesammelt. Auf Betreiben der Gewerkschaft vida wurde eine Sammelbox des Arbeiter-Samariter-Bundes aufgestellt, um Schulsachen für minderjährige unbegleitete Mädchen zu sammeln. Dass es viele hilfsbereite und weltoffene Menschen gibt und Österreich nicht von Ausländerfeindlichkeit dominiert wird, bewiesen viele GewerkschafterInnen im Rahmen eines Aktionstages der Gewerkschaft vida Mitte September des vergangenen Jahres. Etliche KollegInnen packten mit an und unterstützten die Einsatzkräfte am Grenzübergang Nickelsdorf im Burgenland. Sie verpackten am Grenzübergang tonnenweise Kleidung und sortierten Hilfsgüter in Schachteln und machten diese fertig für den Weitertransport.
Dass sich auch Erich Mauersics, Landesvorsitzender der vida Burgenland, mit seinem Team am vida-Aktionstag beteiligte, war für ihn absolut klar: „Die Hilfesuchenden sind auf der Flucht. Sie kommen zu uns, um Schutz zu suchen. Wir müssen sie hier menschenwürdig versorgen und sie unterstützen. Wir müssen aber auch den vielen Hilfsorganisationen unter die Arme greifen. Alleine ist für sie diese Riesenaufgabe schwer bewältigbar.“

Gemeinsame Erleichterung
Kräftig mitgeholfen hat auch der gebürtige Burgenländer Patrick Nikitser. Besonders berührt hat den Mitarbeiter des vida-Organisationsreferats der Augenblick, als eine Gruppe von rund 20 Flüchtlingen über die Grenze gekommen ist: „Die Männer hatten Kinder auf den Armen, und man konnte in ihren Gesichtern sehen, wie erschöpft sie waren. Man hat aber auch gesehen und gespürt, dass sie einfach froh waren, es geschafft zu haben. Vor Ort wurden sie dann sehr gut von den Hilfskräften versorgt.“
Der Hilfseinsatz in Nickelsdorf war für den vida-Vorsitzenden Gottfried Winkler, der selbst an der Grenze mitgeholfen hat, ein Beweis dafür, für welche Werte die Gewerkschaft steht: Solidarität, Verantwortung, Respekt vor der Menschenwürde und Hilfsbereitschaft.

Humane Flüchtlingshilfe
Die Gewerkschaft younion hatte aufgrund der immer wieder aufkommenden Hassbotschaften ihre Mitglieder aufgerufen, sich davon nicht irritieren zu lassen, sondern Herz zu zeigen und den Flüchtlingen zu helfen. „Viele helfende Hände können einiges erreichen, wie die Situation in den ersten Wochen gezeigt hat. Als Gewerkschaft stehen wir hinter jenen KollegInnen, die bei der Flüchtlingskrise ihr Bestes geben – sei es freiwillig oder im Dienst“, betonte younion-Vorsitzender Christian Meidlinger.
So sind Bedienstete aus Gesundheitsberufen im Einsatz, ebenso Feuerwehr, Sozialberufe, Müllabfuhr, Kanzleibedienstete etc. KünstlerInnen geben Solidaritätskonzerte und SportlerInnen verschenken Karten für ihre Spiele. „Jede/r hilft dort, wo sie/er kann.“ In diesem Sinne unterstützte auch der ÖGB das Solidaritätskonzert der Volkshilfe „Voices for Refugees“ für ein menschliches Europa am Wiener Heldenplatz.

„Flüchtlingswelle“, „Wirtschaftsflüchtlinge“ und so weiter und so fort: In den letzten Monaten wurde in sozialen Medien wie Facebook und auf anderen Online-Plattformen gegen Flüchtlinge vermehrt gehetzt und diesen gedroht. In manchen Tageszeitungen wurden falsche Behauptungen über Flüchtlinge verbreitet. Auf diese Hetze reagierten Gewerkschaften und der Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) mit Fakten und Tatsachen. In Form von Ausstellungen, Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen wurden Interessierte informiert. Einer, der vor Ort an der Grenze war und genau schildern kann, wie der große Andrang bewältigt werden kann, ist Erich Weisz, Vizebürgermeister von Nickelsdorf und ÖBB-Betriebsrat.
Bei der VÖGB-Podiumsdiskussion „Flüchtling sein in Österreich. Herausforderungen heute und morgen“ Ende Jänner schilderte er: „In kürzester Zeit kamen Tausende Flüchtlinge, die versorgt werden mussten. Dies funktionierte sehr gut, weil mit allen Beteiligten offen kommuniziert wurde, viele Engagierte mithalfen, die Infrastruktur aufgrund des Nova-Rock-Festivals bereits vorhanden war, aber auch, weil alle gehandelt haben, als es notwendig war, und nicht erst um Erlaubnis gefragt haben.“

Eine weitere Informationsveranstaltung fand Mitte Februar in der ÖGB-Zentrale statt: die vida-Fachtagung unter dem Titel „Flüchtlingssituation“. Rund 140 BetriebsrätInnen und FunktionärInnen hatten sich eingefunden, um die aktuelle Lage zu erörtern, aber auch zu hören, wie Sozialeinrichtungen oder auch die ÖBB mit der großen Zahl von flüchtenden Menschen im Herbst umgegangen sind. Zu Beginn der Veranstaltung gab der Flüchtlingskoordinator der Stadt Wien, Peter Hacker, einen Überblick: So sind seit September 2015 rund 300.000 Menschen durch Wien gezogen. Derzeit sind weniger als 20.000 in der Grundversorgung, bekommen also unter anderem eine Unterkunft, sind krankenversichert und werden verpflegt. 44 Prozent der Asylsuchenden sind in privaten Unterkünften untergebracht, der Rest in organisierten Quartieren.

Wachsam bleiben
Bei der Fachtagung erklärte der Flüchtlingskoordinator, dass es ihm besonders wichtig ist, dass Österreich seine Willkommenskultur nicht über Bord wirft: „Wir müssen wachsam bleiben und dürfen unsere Grundprinzipien wie Solidarität nicht aufweichen lassen. Was wir derzeit erleben, geht in eine andere Richtung. Eines ist für mich klar und ich werde es immer und immer wieder wiederholen: Ich lasse mir sicher nicht einreden, dass es unanständig ist, anständig zu sein.“

Linktipps:
Weitere Infos und Veranstaltungshinweise finden Sie auf folgenden Websites:
www.oegb.at
www.voegb.at
www.diefachbuchhandlung.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210150 FunktionärInnen von ÖGB und Gewerkschaften haben zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen, um Kriegsflüchtlinge zu unterstützen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209804 Integration macht Schule Sie heißen Mohammed, Nubia oder Nadim, sie sind minderjährig und aus Krisengebieten nach Österreich geflohen, vor allem aus Afghanistan, Syrien und Somalia. Hier besuchen sie gemeinsam mit österreichischen Kindern und Jugendlichen die Schule und lernen neben Deutsch-Vokabeln, Multiplizieren und Neuen Medien vor allem eines: einen geregelten Tagesablauf. Denn in Österreich sind alle jungen Flüchtlinge bis zum 15. Lebensjahr berechtigt und verpflichtet, die Schule zu besuchen – unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status. Derzeit sind das laut Innenministerium rund 12.000 Flüchtlingskinder.
Österreichs Schulsystem muss rasch lernen, mit dem massiven Zustrom junger Flüchtlinge in Schulen umzugehen, und die Weichen für ein neues schulisches Grundverständnis stellen. Denn fest steht: Dieser Ausnahmezustand wird Normalzustand sein.

Integration als Regel
In den Wiener Pflichtschulen werden derzeit fast 2.000 Flüchtlingskinder unterrichtet, mehr als 300 zusätzlich in diversen Formen der Oberstufe – wobei AHS keine Flüchtlinge aufnehmen müssen. Bildungsministerium und Schulleitungen möchten Flüchtlingskindern so rasch wie möglich einen Platz in der Schule bieten, um den Weg der Integration von klein auf vorzubereiten. Im besten Fall und überwiegend geschieht das in Regelklassen, also durch die Integration in bestehende Schulklassen. Wie viele Flüchtlinge das pro Schule und Klasse sind, ist völlig unterschiedlich.
Einige Schulen haben ein bis zwei Kinder aufgenommen, in anderen Schulen ist der Zulauf so groß, dass eigene Flüchtlingsklassen installiert wurden. Zehn solcher Klassen gibt es derzeit in Wien. Das sollen jedoch Ausnahmen bleiben. Nach spätestens einem Jahr und intensiven Sprachförderkursen werden die Jugendlichen in Regelklassen integriert.
Wer in welche Schule kommt, entscheidet der Landesschulrat. Ausschlaggebend dafür ist der Ort, an dem die Flüchtlinge untergebracht sind. Je besser also die Verteilung der Flüchtlingsquartiere, umso besser die Verteilung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen in Schulen.

Ein paar Stunden Alltag
Viele junge Flüchtlinge sind durch die Fluchterfahrungen traumatisiert. 2015 stellten mehr als 9.000 Minderjährige einen Asylantrag in Österreich, die ohne ihre Eltern oder Begleitung nach Österreich geflohen sind.
Diese unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge (UMF) sind oft besonders traumatisiert. Einige waren mehrere Jahre auf der Flucht, wurden misshandelt, haben ihre Eltern verloren. Die Schule bietet ihnen einen „geschützten Raum“ und einen geregelten Tagesablauf. „In der Schule lernen sie Verbindlichkeiten kennen wie Pünktlichkeit oder Aufgaben machen und sie lernen, Verantwortung zu tragen“, so Renate Belschan-Casagrande, Expertin für berufliche und pädagogische Bildung in der AK Wien. Das läuft natürlich nicht immer wie am Schnürchen: Manchmal kommen einige zu spät oder gar nicht in die Schule.

Herausforderungen
„Für Flüchtlingskinder ist das ja zum Teil auch eine völlig neue Situation“, weiß die Bildungsexpertin. Zahlreiche derer, die jetzt auf der Schulbank sitzen, haben noch nie zuvor eine Schule besucht – wegen Krieg, Armut oder fehlender Infrastrukturen. „Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Schulen Werte vermitteln“, so Belschan-Casagrande. Werte, das sei so ein strapazierter Begriff, meint die Bildungsexpertin. Und dennoch trifft es den Kern: Schule vermittelt wie sonst kaum im Leben soziale Kompetenzen, etwa das Miteinander.
Die traumatischen Fluchterfahrungen können zu Verhaltensauffälligkeiten führen. Einige SchülerInnen sind gewaltbereit, andere verschließen sich völlig. Etliche Flüchtlinge können weder lesen noch schreiben, andere sind schulisch gut vorgebildet.
Das heißt: Lehrende sind seit 2015 vermehrt mit immens heterogenen Klassen und zum Teil traumatisierten Jugendlichen konfrontiert. „Viele LehrerInnen sind unglaublich engagiert, aber auch überfordert und ausgelaugt“, so Belschan-Casagrande.
Wie soll man denn mit Kindern umgehen, die depressiv sind oder plötzlich ausrasten?

Die Arbeiterkammer Wien und die Kompetenzstelle für Mehrsprachigkeit und Migration (K.o.M.M.) der Pädagogischen Hochschule Wien haben sich darüber Gedanken gemacht, welches Wissen Lehrkräfte nun am dringendsten brauchen. Das sind vor allem Kenntnisse in Traumapädagogik und Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Aus diesen Überlegungen ist die Veranstaltungsreihe „Migrations- und Fluchtbewegungen und deren Auswirkungen auf den Schulalltag“ entstanden.
In mehreren Modulen erhalten LehrerInnen seit Februar 2016 Hilfestellungen für den Unterricht, von „Anfangsunterricht konkret“ über „Fluchterfahrung und Trauma bei Kindern“ bis zu schulrechtlichen Grundlagen. „Das große Interesse zeigt uns den enormen Bedarf“, so Belschan-Casagrande. LehrerInnen müssen dringend entlastet werden – durch Supervision und durch zusätzliches Personal, etwa SozialarbeiterInnen, SchulpsychologInnen und DaZ-TrainerInnen. Vor allem braucht es LehrerInnen, die die Erstsprache der SchülerInnen sprechen. „Klar kostet das alles eine Menge Geld“, so die Bildungsexpertin. Noch mehr Geld koste es aber langfristig, die Kinder sich selbst zu überlassen.

Ende der Schulpflicht: und dann?
Knapp 90 Prozent der minderjährigen Flüchtlinge, die in Österreich leben, sind älter als 15 Jahre und somit nicht mehr schulpflichtig. Sie können weiter in Schulen gehen, müssen aber nicht. Ebensowenig müssen Schulen sie aufnehmen. Um eine weiterführende Schule in Österreich besuchen zu können, bedarf es zumindest eines Pflichtschulabschlusses – den viele junge Flüchtlinge nicht haben.
Für Jugendliche, die wenig oder geringe Schulbildung mitbringen, ist der Besuch von Basisbildungskursen möglich. Genau daran spießt es sich aber. Denn die Angebote an Basisbildungskursen sind ein Tropfen auf den heißen Stein, wie der Verein PROSA – Bildung für alle! kritisiert. PROSA ist österreichweit einer der wenigen Anbieter von Pflichtschulabschlüssen und Basisbildungskursen für Flüchtlinge. Derzeit besuchen rund 160 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren die bis zu zweijährigen Lehrgänge des Vereins, 700 stehen auf der Warteliste.
„Unter den jungen Flüchtlingen sind sehr viele Talente“, so PROSA-Geschäftsführer Sina Farahmandnia. Aber die Motiviation sinkt, wenn sie nichts zu tun und keine Ausbildungsmöglichkeiten haben. Einerseits wird ihnen enormer Druck gemacht, Deutsch lernen zu müssen, gleichzeitig gibt es viel zu wenige Angebote für Deutschkurse. Das ist so, als würde man ein Kind zwingen, mit dem Löffel zu essen, und ihm diesen gleichzeitig wegnehmen. Im Frühjahr 2017 wird daher in Wien ein Jugendcollege für 1.000 AsylwerberInnen und Asylberechtige zwischen 15 und 21 Jahren seine Pforten öffnen. In manchen Bundesländern fehlen Angebote völlig.
„Schule spiegelt im Kleinen das öffentliche Leben wider. In der Schule vorbereitet zu sein heißt, in der Gesellschaft vorbereitet zu sein“, so Belschan-Casagrande. „Wir können noch so oft bedauern, dass Jugendliche schlecht ausgebildet sind – das wird an der Situation nichts ändern. Wir müssen also besser ausbilden.“

Bessere Vorbereitung
Dazu braucht es Unterstützung der LehrerInnen. Außerdem müsse bereits im Curriculum verankert werden, wie man mit kultureller und sprachlicher Diversität umgeht. „Lehrkräfte müssen darauf vorbereitet werden. Denn die Situation jetzt ist kein Phänomen, das kurz auftaucht und wieder verschwindet. Die Situation wird so bleiben“, meint die Bildungsexpertin. Wer für junge Flüchtlinge heute keine Ausbildungsmöglichkeiten schafft, darf sich morgen nicht über Integrationsprobleme wundern. Denn darin sind sich alle einig: Nirgends gelingt Integration besser als in der Schule.

Linktipps:
„Migrations- und Fluchtbewegungen und deren Auswirkung auf den Schulalltag“. Veranstaltungsreihe von AK und K.o.M.M.:
podcampus.phwien.ac.at/komm
„Flüchtlingskinder und -jugendliche an österreichischen Schulen“ – Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Frauen (2015):
tinyurl.com/gu4stx2

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Irene Steindl, Freie Redakteurin Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210139 In den jungen Flüchtlingen schlummern sehr viele Talente. Damit diese auch gefördert werden, muss noch mehr getan werden, nicht zuletzt brauchen LehrerInnen Unterstützung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599209796 "In einer solchen Situation nimmst du jeden Job" MigrantInnen in Österreich haben häufig keinen freien Arbeitsmarktzugang und müssen daher undokumentiert arbeiten. Am Beispiel von AsylwerberInnen werden die unmenschlichen Auswirkungen dieses Systems besonders deutlich, da ArbeitgeberInnen deren Situation häufig ausnutzen. Vor einigen Jahren floh Zoheir Sameri aus dem Iran. Im Jahr 2010 stellte er in Österreich einen Asylantrag. Die Situation von Menschen, die aktuell nach Europa fliehen, kennt er aus eigener Erfahrung gut: „Als Asylwerber hast du in Österreich keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Du darfst nur in der Saisonarbeit arbeiten. Es gibt zu wenig leistbare Deutschkurse. Die Grundversorgung ist sehr niedrig, du bekommst 40 Euro Taschengeld im Monat. Und du findest kaum Arbeit. In einer solchen Situation nimmst du jeden Job.“ Heute hält Zoheir Workshops für ArbeitnehmerInnen ab, die ohne Papiere arbeiten müssen.

Unsicher und schlecht bezahlt
ArbeitnehmerInnen, die keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben, befinden sich in einer äußerst prekären Lage. Dies weiß auch Filiz Kalayci von der UNDOK-Anlaufstelle zu berichten: „Unsere Beratungserfahrung zeigt: Solange der Arbeitsmarkt beschränkt ist, müssen Menschen undokumentiert oder (schein)selbstständig arbeiten.“ Die UNDOK-Anlaufstelle informiert und berät MigrantInnen ohne freien Arbeitsmarktzugang kostenlos, anonym und in mehreren Sprachen über ihre Rechte und unterstützt sie dabei, ihre arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche gegenüber ihren ArbeitgeberInnen einzufordern und nötigenfalls auch vor Gericht durchzusetzen. Denn unabhängig davon, ob ArbeitnehmerInnen mit oder ohne Papiere arbeiten: Sozialversicherungsgesetze, Arbeitsrecht und kollektivvertragliche Mindeststandards gelten für alle ArbeitnehmerInnen.

Vorenthaltene Löhne
Eines der häufigsten Probleme, mit denen sich ArbeitnehmerInnen an die UNDOK-Anlaufstelle wenden, sind vorenthaltene Löhne sowie Löhne weit unter dem Kollektivvertrag. Dies zeigt der folgende Fall: Herr O. flüchtete aus Pakistan nach Österreich und befindet sich seit drei Jahren im Asylverfahren.
Da er als Asylwerber nur beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt hat – unselbstständig nur in der Saisonarbeit –, musste er als (schein)selbstständiger Zeitungszusteller arbeiten, um sich erhalten zu können. Für das Auf- und Abhängen der Wochenendzeitungen war mit seinem Arbeitgeber ein Stundenlohn von 4,70 Euro vereinbart. Doch dieser hielt sich nicht an die Abmachung. Immer wieder wies Herr O. seinen Arbeitgeber auf den ausstehenden Lohn hin. Doch dieser zahlte nicht.

Ein weiteres typisches Merkmal undokumentierter Arbeit sind extrem lange Arbeitszeiten: Zehn bis zwölf Stunden am Tag, und das sechs bis sieben Tage die Woche. Auch das Nichteinhalten von Schutzstandards, Kündigung im Fall von Krankheit, Unfall oder fortgeschrittenem Alter sowie körperliche und sexuelle Übergriffe sind leider keine Seltenheit.
AsylwerberInnen dürften zwar gemäß Ausländerbeschäftigungsgesetz nach drei Monaten im zugelassenen Asylverfahren arbeiten. Ihr Arbeitsmarktzugang ist jedoch aufgrund des sogenannten „Bartenstein-Erlasses“ des Sozialministeriums aus dem Jahr 2004 stark eingeschränkt. Arbeiterkammer und ÖGB fordern die Aufhebung des geltenden Erlasses. Doch auch ohne Erlass wäre der Arbeitsmarktzugang nach wie vor stark eingeschränkt.
Der ÖGB-Bundesvorstand sieht im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsbewegung auch die Arbeitgeberseite in der Verantwortung. In einem einstimmigen Beschluss forderte er dazu auf, zu einer gelungenen Integration am Arbeitsplatz beizutragen. Trotz zahlreicher Proteste von schutzsuchenden Menschen sowie NGOs und obwohl das De-facto-Arbeitsverbot von zahlreichen ExpertInnen als rechtswidrig eingestuft wird, gilt dieses nach wie vor und macht AsylwerberInnen gegenüber Arbeitgebern leichter erpressbar und ausbeutbar.

Erleichterungen notwendig
Dies bestätigt auch Julia Bock-Schappelwein vom Wirtschaftsforschungsinstitut, die sich mit der Integration von Asylsuchenden in den österreichischen Arbeitsmarkt beschäftigt hat. Sie sieht besonders Probleme bei der Anerkennung von Qualifikationen, geringen Sprachkompetenzen aufgrund des mangelhaften Angebots an leistbaren Deutschkursen sowie fehlenden sozialen Netzwerken von AsylwerberInnen.
„Diese Menschen haben in ihren Heimatländern, aber auch auf ihrer Flucht oft Schreckliches erlebt. Viele sind schwerst traumatisiert und brauchen Zeit, um sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden.“ Aus Sicht von Bock-Schappelwein ist nicht nur ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt für alle Branchen notwendig. Darüber hinaus warnt sie vor Dequalifizierung und plädiert für nachhaltige Maßnahmen für eine wirtschaftliche und soziale Integration von AsylwerberInnen.

Recht haben und Recht bekommen
ArbeitnehmerInnen ohne freien Arbeitsmarktzugang haben Rechte. Deren Durchsetzung ist jedoch oft nicht einfach, wie Gernot Mitter von der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien bestätigen kann: „Arbeitgeber melden diese KollegInnen weder bei der Sozialversicherung an, noch beantragen sie für diese eine Beschäftigungsbewilligung. Undokumentiert Arbeitende müssen daher nachweisen, dass sie gearbeitet haben. Sie sind gegenüber Arbeitgebern in der schwächeren Position.“
Darüber hinaus fürchten undokumentiert Arbeitende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen, wenn sie sich gegen den Arbeitgeber wehren. Bei AsylwerberInnen im laufenden Verfahren, wie dies bei Herrn O. der Fall ist, besteht jedoch kein solches Risiko. Die UNDOK-Anlaufstelle machte die Ansprüche von Herrn O. gegenüber dessen Arbeitgeber geltend. Eine Woche später lenkte der Arbeitgeber ein. In der Zwischenzeit hat Herr O. seinen ausstehenden Lohn erhalten. Das größte Problem aber ist: Viele KollegInnen wissen nicht, dass sie Rechte haben.

Organisiert gegen Ausbeutung
Othmar Danninger von der Gewerkschaft Bau-Holz ist überzeugt: „Mit dem Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungs-Gesetz haben wir in Österreich ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung betrügerischer Praktiken am Arbeitsmarkt geschaffen. Ergänzend dazu ist aber auch die direkte Unterstützung der betroffenen KollegInnen notwendig. Wenn wir als Gewerkschaft bestimmte Branchen erfolgreich organisieren wollen, dann müssen wir MigrantInnen unterstützen und als Mitglieder gewinnen.“ Ein Blick in die benachbarte Schweiz zeigt, dass es dafür spezielle Strategien braucht. Aurora García, Migrationssekretärin der Gewerkschaft Unia, weiß aus eigener Erfahrung, worauf es ankommt: „Früher haben wir uns für Kontingente für ausländische Beschäftigte eingesetzt. Doch wir haben diese Politik geändert. Denn die Diskriminierung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt schwächt alle ArbeitnehmerInnen. Das heißt, als Gewerkschaft müssen wir alle ArbeitnehmerInnen organisieren, unabhängig vom Pass.“

Positivbeispiel
Heute versteht sich die Gewerkschaft Unia als größte MigrantInnenorganisation der Schweiz, denn mittlerweile haben 55 Prozent ihrer Mitglieder keinen Schweizer Pass. Und selbst in Branchen mit hohem MigrantInnenanteil, die als schwer organisierbar gelten, wie Pflege, Baubereich und Reinigung, ist die Gewerkschaft Unia mittlerweile verankert und wächst wieder.

Linktipps:
ÖGB-Position zur Flüchtlingskrise:
tinyurl.com/gv3ugxt
Frequently Asked Questions (FAQs) – Arbeitsmarktzugang für Asylwerber_innen:
arbeitsmarktzugang.prekaer.at

Wissen:
UNDOK-Anlaufstelle
Die UNDOK-Anlaufstelle wird von einem breiten Netzwerk getragen – bestehend aus NGOs und Beratungseinrichtungen aus dem fremden- und asylrechtlichen Bereich, migrantischen Selbstorganisationen, Interessenvertretungen und antirassistischen AktivistInnen sowie mehreren Fachgewerkschaften und der Arbeiterkammer Wien.
Mehr Infos unter: undok.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin s.stern@undok.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Stern, In der UNDOK-Anlaufstelle und im gewerkschaftlichen Bildungsbereich tätig Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210125 Unabhängig davon, ob ArbeitnehmerInnen mit oder ohne Papiere arbeiten: Sozialversicherungsgesetze, Arbeitsrecht und kollektivvertragliche Mindeststandards gelten für alle. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599208890 Andere langweilen sich zu Tode Ich arbeite sehr gerne hier und freue mich, dass ich diese Chance bekommen habe“, sagt der 20-jährige Zainullah Ataee langsam, aber deutlich auf Deutsch. Ataee ist erst im November 2015 nach einem Monat Flucht in Österreich angekommen. Der Afghane versteht bereits einfache Sätze und verblüfft seine KollegInnen immer wieder mit seinen Deutschkenntnissen. Er leistet in der Gebietsbetreuung Brigittenau, die zur Gemeinde Wien gehört, rund zwölf Stunden pro Woche Hilfstätigkeiten.
Durch eine Fehde zwischen verfeindeten Gruppen seines Dorfes war das Leben für den jungen Mann in seiner Heimat nicht mehr sicher. Auf Drängen seines Großvaters hin machte er sich auf die gefährliche Reise, die er zum Glück gut überstanden hat. Ataee hat um Asyl angesucht und unterstützt die Gebietsbetreuung seit Jänner. Unter anderem hilft er, Plakate für eine Ausstellung aufzuhängen, macht Botendienste zwischen den beiden Lokalen der Gebietsbetreuung und unterstützt einen Praktikanten bei der Erhebung leer stehender Gebäude, indem er diese fotografiert.

Hilfsdienste erledigen
Im Grundversorgungsgesetz, Paragraph 7, ist festgelegt, dass AsylwerberInnen zum einen ehrenamtlich in ihrer Grundversorgungseinrichtung – etwa beim Putzen oder Kochen – helfen dürfen. Zum anderen dürfen sie „für gemeinnützige Hilfstätigkeiten für Bund, Land, Gemeinde“ herangezogen werden, was in Wien seit November passiert. Als Beispiele werden Landschaftspflege und -gestaltung, die Betreuung von Park- und Sportanlagen und die Unterstützung in der Administration genannt. Sowohl die Hilfe in der Betreuungseinrichtung als auch im öffentlichen Bereich beruht auf Freiwilligkeit – für Zweitere bekommen die Betroffenen einen „Anerkennungsbeitrag“, also eine Aufwandsentschädigung. Dafür arbeiten sie wie Ataee meist einige Stunden pro Woche.

Drei bis fünf Euro die Stunde
In Wien erhalten die AsylwerberInnen für diese Tätigkeiten maximal 110 Euro pro Monat – so viel können sie in der Bundeshauptstadt maximal dazuverdienen, ohne aus der Grundversorgung herauszufallen. Die Direktive seitens des Fonds Soziales Wien (FSW), der sich in der Hauptstadt um die Koordination kümmert, lautet: Sie sollten zwischen drei und fünf Euro pro Stunde bekommen.
Ataee arbeitet rund zwölf Wochenstunden in der Gebietsbetreuung, umgerechnet liegt sein Stundensatz also bei rund 2,30 Euro – und damit unter der vom Fonds Soziales Wien genannten Grenze. Angesprochen auf diese Diskrepanz, betont man im FSW, die drei bis fünf Euro seien „eine unverbindliche Empfehlung“.
Nun ist das Geld, das AsylwerberInnen bezahlt wird, eine Sonderform: Es ist ein Anerkennungsbeitrag und somit kein Entgelt im rechtlichen Sinn. Damit unterliegt es auch nicht der Einkommensteuerpflicht. Dennoch ist es eine Gratwanderung, wenn öffentliche Einrichtungen Menschen, die für sie arbeiten, derart wenig bezahlen. Auch sind die AsylwerberInnen durch ihre prekäre Situation ohnehin in einer schwierigen Situation, die von manchen Privaten auch ausgenutzt wird. Dies hält Renate Christ, Koordinatorin des Projekts beim FSW, in der Stadt Wien für unwahrscheinlich. Sie betont: Sie instruiere alle DienststellenleiterInnen, welche die Fürsorgepflicht für die AsylwerberInnen haben, im Vorfeld genau.
Im Fonds Soziales Wien ergänzt man: Wenn sich AsylwerberInnen dennoch ausgenutzt oder ungerecht behandelt fühlen, können sie sich an ihre Dienststellenleitung oder an Renate Christ wenden. Auch Arbeitsplätze seien nicht in Gefahr, betont Christ: „Wir sparen keine Dienstposten ein, sondern geben den Asylwerberinnen und Asylwerbern ähnlich wie FerialpraktikantInnen für einige Wochen oder Monate die Chance, in eine Tätigkeit hineinzuschnuppern.“

Ressourcenbindung
Zainullah Ataee ist seinen KollegInnen eine Hilfe, aber er ist auch langsamer. Seine KollegInnen schildern dies anhand eines Beispiels: Ataee wurde zum Baumarkt geschickt, um Leisten zu besorgen. Er kam mit dem richtigen Material zurück, doch es hat länger gedauert, als wenn es ein/e MitarbeiterIn gemacht hätte. Wenig überraschend, denn nicht zuletzt die Sprache ist für den jungen Mann eine Herausforderung. Auch Renate Christ spricht dieses Spannungsfeld an: „AsylwerberInnen sind im Idealfall eine Hilfe, aber sie binden auch Ressourcen.“ Bei Ataee ist das besonders der Fall, denn ihm werden auch Dinge beigebracht, die er gut brauchen kann, um vielleicht eines Tages in seinem Wunschberuf arbeiten zu können. Er hat in Kabul ein Jahr Bauingenieurswesen studiert, bevor er in sein Dorf zurückkehrte und schließlich von dort floh. Wenn alles gut geht und er bleiben darf, will er weiter studieren. Der Architekt Peter Mlczoch, der als Auftragnehmer für die Gebietsbetreuung Brigittenau arbeitet, führt ihn in ein CAD-Programm ein, mit dem ArchitektInnen und IngenieurInnen Pläne zeichnen.

Bestmögliche Vorbereitung
Ataee hat das Glück, dass die Architektin Saloumeh Tosun, eine weitere Kollegin, seine Sprache spricht, weil sie als Kind aus dem Iran nach Österreich kam. Seine Arbeitszeiten richten sich nach ihren, damit sie übersetzen kann, doch in letzter Zeit bittet er sie immer wieder, Deutsch mit ihm zu sprechen.
Wie Ataee besuchen manche AsylwerberInnen schon Deutschkurse, am schnellsten verinnerlichen sie die Sprache aber, wenn sie sie im Alltag anwenden und idealerweise sogar Fachvokabular lernen, das für ihre späteren Tätigkeiten wichtig wird. Renate Christ betont: „Ich möchte dazu beitragen, dass die AsylwerberInnen bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind, und sie unterstützen, besser Deutsch zu lernen sowie einen Einblick in die Arbeitswelt und -kultur zu bekommen. Dadurch tun sie sich später leichter, wenn sie Asylrecht bekommen und sich beim AMS melden.“
Solange sich am restriktiven Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen – den auch FSW-Chef Peter Hacker immer wieder kritisiert – nichts ändert, spricht zweifellos viel dafür, dass sie einer Beschäftigung nachgehen können, während sie auf das Ergebnis ihres Asylverfahrens warten. Das Modell Gemeindearbeit, das nicht nur in Wien zum Einsatz kommt, ist eine Möglichkeit. Gernot Mitter, stellvertretender Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien und Mitglied des AMS-Landesdirektoriums Wien, hält das Modell für sinnvoll, aber nur als Ergänzung: „Die Zeit des Asylverfahrens sollte vor allem für eines genutzt werden: zum Lernen.“
AsylwerberInnen müssten professionelle Deutschkurse zur Verfügung gestellt werden, fordert Mitter. Junge Menschen ab 15 Jahren wiederum sollten eine Ausbildung beginnen oder fertig machen dürfen, wobei mitgebrachte Qualifikationen anerkannt bzw. auf österreichisches Niveau gebracht werden müssten. Jedenfalls sollte das Mitter zufolge für jene Flüchtlinge gelten, die eine gute Chance auf Bleiberecht haben. Die zentrale Kritik: „Man tut all das erst, wenn die Menschen asylberechtigt sind. Die Dauer des Asylverfahrens lässt man ungenutzt verstreichen.“

Das Angebot des Fonds Soziales Wien wird gut angenommen. Bisher wurden 50 AsylwerberInnen in Wien vermittelt – geplant sind langfristig bis zu 500. „Die Nachfrage seitens der AsylwerberInnen übersteigt das Angebot deutlich“, berichtet Renate Christ. Sie ruft die Magistratsabteilungen durch und fragt, ob sie jemanden aufnehmen würden, für wie lange und welche Tätigkeit.
Wenn ja, nimmt sie Kontakt zu nahe gelegenen Grundversorgungseinrichtungen auf, damit die dortigen LeiterInnen erheben können, wer das gerne machen würde.
Wenn möglich, versucht Christ, mitgebrachte Fähigkeiten zu berücksichtigen. Prinzipiell kämen nur Aufgaben in Frage, die nicht essenziell seien. Als Beispiel nennt sie die Reinigung öffentlicher Orte: „Wien ist eine wunderbar saubere Stadt, unsere Straßenreinigung funktioniert. Genau genommen bräuchten wir niemanden zusätzlich, der Papiere aufklaubt. So wird eben noch ein bisschen mehr gereinigt.“ In Betracht kämen also auch „Nice to have“-Tätigkeiten, die man sonst nicht gemacht hätte, weil keine Ressourcen dafür zur Verfügung standen.

Sinnvolle Alternative zum Nichtstun
Spricht man mit Zainullah Ataee, gewinnt man den Eindruck, dass das Angebot für ihn sinnvoll ist. Er besucht Deutschkurse, hilft in der Gebietsbetreuung aus und trainiert nebenbei bei seinem Bruder, der seit zehn Jahren in Wien lebt, Kung Fu. Mit seinem ausgefüllten Alltag ist er aber eine Ausnahme: „Die anderen sechs Asylwerber in meiner WG sitzen den ganzen Tag herum und langweilen sich zu Tode.“

Linktipp:
Fonds Soziales Wien:
www.fsw.at/fluechtlinge

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210111 Der afghanische Asylwerber Zainullah Ataee arbeitet für die Gebietsbetreuung in einem Wiener Bezirk. Unter anderem unterstützt er einen Praktikanten bei der Erhebung leer stehender Gebäude, indem er diese fotografiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599208882 Hürdenlauf zum Arbeitsmarkt Selbst wer wild entschlossen ist, sich möglichst rasch in Österreich zu integrieren, also Deutsch zu lernen, Werte, Sitten und Gebräuche wie Händeschütteln oder Pünktlichkeit anzunehmen: Er oder sie wird am Integrationskriterium „Arbeitsplatz“ erst einmal scheitern. Denn nicht nur die Asylverfahren dauern zum Teil viele Monate, sondern meist auch die Berufsanerkennungen. Die Probleme sind allen Beteiligten bekannt: Bis heute vergeht zu viel Zeit, bis (anerkannte) Flüchtlinge Deutsch lernen können, bis man ihre Fähigkeiten und den Bildungsstatus kennt und bis sie in ihren Berufen arbeiten oder eine Ausbildung beginnen können.

Eingeschränkter Zugang
An sich sind AsylwerberInnen nicht gänzlich zur Untätigkeit verurteilt. Sie dürfen Arbeiten in Zusammenhang mit der Unterbringung sowie Hilfstätigkeiten für Bund, Land oder Gemeinde (jeweils gegen Anerkennungsbeiträge) durchführen. Ebenso möglich sind kurzfristige Beschäftigungsbewilligungen für Saison- oder Erntearbeiten. Drei Monate nach Zulassung zum Asylverfahren dürfen AsylwerberInnen in einem freien Beruf selbstständig tätig werden. Jugendliche unter 25 können in Bereichen mit Lehrlingsmangel mit Bewilligung des AMS eine Lehre beginnen.
Für das Gros der Flüchtlinge heißt es allerdings warten. Derzeit setzen die meisten Maßnahmen zur Integration nämlich erst mit dem offiziellen Status als anerkannter Flüchtling ein. Deutschkurse für AsylwerberInnen gibt es zwar, doch zu wenige. Und tatsächlich kommt es nicht selten vor, dass auch Asylberechtigte lange Zeit auf Kurse warten müssen.

Fehlende Papiere
Prinzipiell gibt es für Angehörige von Nicht-EU-Ländern drei Möglichkeiten der Berufsanerkennung:

  • Anerkennung von Lehrabschlüssen: In den meisten Ländern gibt es für HandwerkerInnen keine formalisierten Ausbildungen. Daher werden Kenntnisse und Fertigkeiten unter anderem durch Praxistests festgestellt. Diese Tests finden vorwiegend in Betrieben statt, seit Kurzem auch im Rahmen der Kompetenzchecks. Sebastian Paulick, Sprecher des AMS Wien: „Für Menschen mit Berufsausbildung bemühen wir uns sehr stark um einen österreichischen Bildungsabschluss, das wird wohl vor allem ein Lehrabschluss sein. Dafür müssen in der Regel noch Prüfungen abgelegt werden, das kann Monate bis wenige Jahre dauern. Aber die Jobchancen sind dann natürlich wesentlich größer als nur mit Pflichtschule.“
  • Nostrifikation von Schul- und Reifezeugnissen: Falls einzelne Gegenstände oder Inhalte nicht ausreichend nachgewiesen werden können, sind entsprechende Zusatzprüfungen erforderlich.
  • Nostrifizierung akademischer Abschlüsse: Für die Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses wird zuerst geprüft, ob dieser der österreichischen Ausbildung gleichzusetzen ist. Das größte Problem ist, dass Flüchtlinge die erforderlichen Papiere nur selten mit sich führen. Es ist eher die Ausnahme, wenn Unterlagen in Folie geschweißt heil bis hierher gebracht werden. Wann immer möglich, werden Dokumente von FreundInnen und Verwandten aus der Heimat nachgeschickt. In jedem Fall wird dann gemeinsam mit der Universität und der Anerkennungsstelle (AST) geklärt, ob die Nostrifizierung sinnvoll und möglich ist oder ob die Ausbildung eher einem österreichischen Lehrabschluss etwa im technischen Bereich entspricht. Danach erfolgt die entsprechende Weichenstellung. Zu ergänzende Ausbildungsteile können Betroffene als außerordentliche StudentInnen nachholen. Während des Nostrifizierungsverfahrens dürfen beispielsweise MedizinerInnen ihren Beruf nicht ausüben. Dabei wären diese ÄrztInnen zur Unterstützung bei der Versorgung von Flüchtlingen optimal geeignet.

Zu wenig Brückenangebote
Es gibt auch zahlreiche nicht geregelte Berufe, für die keine bestimmte Ausbildung vorgeschrieben ist wie etwa Büroassistenz, VerkäuferIn oder JournalistIn. Hier sind meist mangelnde Sprachkenntnisse das Problem. „Allgemein gibt es zu wenig Fach-Deutschkurse“, weiß Milica Tomic vom Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen. „Die meisten werden in Wien und hauptsächlich für den Pflege- und Medizinbereich angeboten.“
Auch „Brückenangebote“, also fachspezifische Weiterbildungen, die den Anschluss an den hiesigen Arbeitsmarkt ermöglichen, fehlen weitgehend. Denn in sehr vielen Berufen muss man nicht nur die hierzulande üblichen Geräte, sondern auch Standards und (Sicherheits-)Vorschriften kennen, um tatsächlich arbeiten zu können.
Im Jahr 2015 waren rund 17.300 Asylberechtigte arbeitssuchend gemeldet (aktuell: 22.140), davon konnten 6.200 vermittelt werden. Um die beruflichen, aber auch die nicht formal erworbenen Fähigkeiten von Asylberechtigten ohne bzw. mit unklaren formalen Abschlüssen einschätzen zu können, führt das AMS seit Kurzem österreichweit Kompetenzchecks durch. Man rechnet mit rund 13.500 Checks bis Jahresende. Das Verfahren wurde in einem Pilotprojekt in Wien mit rund 900 Asylberechtigten getestet.

Betreuung weiter ausbauen
Dabei hat sich unter anderem herausgestellt, dass der Check für weibliche Flüchtlinge von fünf Wochen (à 10 Stunden) auf sieben verlängert werden muss. „Viele dieser Frauen hatten in ihrem Heimatland überhaupt nicht vor, einen Beruf zu ergreifen“, erklärt AMS-Sprecher Paulick. „Sie machen sich hier in Österreich erstmals darüber Gedanken, wo ihre Talente und Interessen liegen oder welche Ausbildung sie anstreben könnten.“
Bald soll in Wien eine neue Beratungs- und Betreuungseinrichtung die Menschen unterstützen, mit den Erkenntnissen aus dem Kompetenzcheck ihren Weg weiterzugehen. Die Einrichtung werde in allen Belangen des Arbeitsmarkts oder der Ausbildung bis zur Kinderbetreuung helfen, aber auch als Anlaufstruktur für Freiwillige und MentorInnenen dienen, kündigte Petra Draxl, Chefin des AMS Wien, im Jänner an.
Kompetenzchecks, 30.000 Deutschkursplätze im Jahr 2016, Förderungen für Ausbildungen, Weiterqualifizierungen sowie für Nostrifikationen und Nostrifizierungen, Eingliederungsbeihilfen für Unternehmen usw. – das AMS bietet vieles an, doch die Ressourcen sind zu knapp. KritikerInnen wie Josef Wallner, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien, bemängeln grundsätzlich, dass Integrationsmaßnahmen zu spät ansetzen: „Schon für AsylwerberInnen sollte ein Integrationspfad definiert werden: Was ist zu tun, was fehlt noch, damit die betreffende Person arbeiten kann? Dementsprechend sind Sprachkurse auch schon im Asylstatus nötig. In Deutschland kommen Delegationen der Bundesagentur für Arbeit schon in die AsylwerberInnen-Unterkünfte, um mit der Integration möglichst früh zu beginnen. Dafür wurde das Personal um 3.600 Beschäftigte aufgestockt. In Österreich würde das AMS also rund 400 zusätzliche MitarbeiterInnen brauchen.“

Langwierige Verfahren
Anerkennungsverfahren in Österreich sind selbst mit ausreichenden Sprachkenntnissen kompliziert und zeitaufwendig. Je nach Ausbildungsart und -ort sind unterschiedliche Universitäten, Ministerien oder die Länder zuständig. Trotz der 2013 entstandenen interaktiven Plattform
www.berufsanerkennung.at und speziellen Anlaufstellen für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen gibt es noch reichlich Verbesserungsbedarf.

Unübersichtlichkeit
Tatsächlich ist eine Novelle des 2012 entstandenen Anerkennungsgesetzes geplant. Die entsprechenden Änderungen gehen allerdings nicht weit genug, kritisiert AK-Experte Wallner: „Wir begrüßen zwar die geplanten Verbesserungen wie spezialisierte Beratungsstellen und eine Plattform, über die Anträge zur Anerkennung und Bewertung mitgebrachter Qualifikationen elektronisch eingebracht werden können. Aber die Unübersichtlichkeit bezüglich Zuständigkeiten und Verfahren bleibt in diesem Entwurf weiter bestehen. Sinnvoll wäre außerdem die Angleichung der Verfahren für EWR- und Drittstaatsausbildungen, wie es auch im deutschen Anerkennungsgesetz vorgesehen ist.“

Linktipps:
Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen:
www.migrant.at
Anlaufstelle für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen:
www.anlaufstelle-anerkennung.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210099 Bis heute vergeht zu viel Zeit, bis Flüchtlingen Deutschkurse angeboten werden, bis man ihre Fähigkeiten und den Bildungsstatus kennt und bis sie in ihren Berufen arbeiten oder eine Ausbildung beginnen können. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599208879 Als die BosnierInnen kamen Ich war acht Jahre alt, als der Krieg in Bosnien ausbrach, und ich bin einer dieser Flüchtlinge, die bis heute in Österreich leben. Wenn ich die aktuellen Bilder sehe, erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich an meine eigene Flucht denke.
Obwohl viele Jahre vergangen sind, ist es unmöglich, Bilder und Erlebnisse vor, während und nach der Flucht aus dem Gedächtnis zu verdrängen. Es sind Bilder weinender Mütter, die keine Medikamente für kranke und kein Essen für hungrige Kinder haben, emotionale Worte wie „Geht, überall ist es sicherer als hier“. Es sind auch Bilder von hilfsbereiten Menschen, die mit Händen und Füßen versuchen, zu erklären, man brauche keine Angst mehr zu haben. Sie alle haben sich ins Gedächtnis eingebrannt
.
Tausende Menschen fliehen vor Krieg, Zerstörung, Verfolgung und Gewalt nach Europa. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Somalia oder dem Irak. Es sind junge Frauen und Männer, Kinder, ältere Personen und Verletzte, die sich mit dem nötigsten Hab und Gut auf den Weg nach Europa gemacht haben – in der Hoffnung auf ein sorgenfreies, vor allem aber gewaltfreies Leben.

Realität für wenige
Dass diese Hoffnung nur für wenige Realität wird, zeigen all jene Maßnahmen der Flüchtlingspolitik, die seit den letzten Wochen beschlossen und umgesetzt werden. Den Anfang machten in Österreich Obergrenzen, gefolgt von verschärften Grenzkontrollen und Tageskontingenten. Mittlerweile sind die Grenzen dicht, und wegen dieser europäischen Abschottungspolitik riskieren viele Menschen ihr Leben.
Die dramatischen Bilder der Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze, die eiskalte Flüsse überqueren oder in provisorischen Zelten mitten im Winter auf die Weiterreise hoffen, wecken bei vielen Erinnerungen: Im Jahr 1992 flohen rund 90.000 Menschen vor dem Krieg in Bosnien und Herzegowina nach Österreich, mehr als 60.000 blieben hier und fanden ein neues Zuhause.
Unsere Flucht hat rund zwei Wochen gedauert, die Reise heutiger Flüchtlinge ist viel anstrengender und länger. Daher stellt sich für mich die Frage: Hatte ich einfach nur das Glück, auf dem „richtigen“ Kontinent auf die Welt gekommen zu sein, damit mir geholfen wird?

Erfolgsbeispiel
Der Tonfall gegenüber Flüchtlingen hat sich geändert. „Die Balkanroute bleibt geschlossen, und das dauerhaft.“ Mit diesem Satz bestätigt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner die neue, raue Abschottungskultur. Zu glauben, dass Menschen in ein Kriegsgebiet zurückkehren werden, wo sie so viel Leid, Elend und Tod gesehen und am eigenen Leib erfahren haben, ist naiv und enorm gefühllos. Für viele ehemalige Flüchtlinge, aber auch für ÖsterreicherInnen ist die aktuelle Flüchtlingspolitik absolut unverständlich, zeigt doch die Erfahrung aus Zeiten des Balkankriegs, dass auch menschenwürdige Lösungen zum Ziel führen.
Bosnische Flüchtlinge wurden großteils als „De-facto-Flüchtlinge“ betreut, sie galten nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Ihnen wurde ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gewährt, durch den „Bosnien-Erlass“ erhielten sie leichter Beschäftigungsbewilligungen.

Vorteile für beide Seiten
Die 60.000 BosnierInnen, die hier eine neue Heimat gefunden haben, sind ein Beispiel dafür, dass es für beide Seiten Vorteile hat, flüchtenden Menschen offener gegenüberzustehen. Im Vergleich zu anderen MigrantInnengruppen haben sie sich viel besser in den Arbeitsmarkt integriert. Das bestätigte eine Statistik-Austria-Studie über die Arbeitsmarktsituation von MigrantInnen. Demnach liegt die Arbeitslosigkeit unter BosnierInnen bei 6,7 Prozent, bei TürkInnen sind es mehr als 15 Prozent. Rund 65 Prozent der TürkInnen und 55 Prozent der SerbInnen im arbeitsfähigen Alter haben einen Job – bei BosnierInnen sind es über 70 Prozent.
Ein Grund für die gelungene Arbeitsmarktintegration liegt im positiven Umgang mit den Flüchtlin-gen, aber auch in der Arbeitsmarktöffnung, die relativ rasch beschlossen wurde. Damit wurde es Frauen und Männern aus Bosnien ermöglicht, ihr eigenes Geld zu verdienen und sich ein neues Leben aufzubauen. Besonders die jüngere Generation profitierte, denn die gute Ausbildung, die sie in Bosnien genossen hatte, half bei der Jobsuche – auch wenn die meisten nach wie vor in Jobs arbeiten, die ihren Qualifikationen nicht entsprechen.

Flucht als letzter Ausweg
Vor dem Krieg hatte ich eine unbeschwerte Kindheit, meine Eltern eine solide Ausbildung und gute Jobs, die uns ein unbeschwertes Leben ermöglichten. Feiertage wurden gefeiert, Konzerte besucht und Urlaube am Meer gemacht. Das alles lässt man nicht freiwillig zurück.
Die endgültige Entscheidung, das Land zu verlassen und die Kinder in Sicherheit zu bringen, fiel nicht von heute auf morgen, sondern erst, als jede Hoffnung verloren war, die Lage vor Ort würde sich beruhigen. Fabriken und Schulen wurden geschlossen, auf die Straße traute sich kaum jemand, Keller wurden zu Schutzbunkern, Augenzeugen berichteten von Massenmorden, Vergewaltigungen und Verschleppungen.
Auf der Flucht zu sein ist mit Abstand eines der schrecklichsten Erlebnisse, die ein Mensch durchleben kann. Vor allem bei Erwachsenen – so auch bei meiner Mutter – verursacht es ein Ohnmachtsgefühl: Einerseits verlässt du dein Zuhause und deine Familie, ohne zu wissen, ob du sie jemals wiedersehen wirst. Auf der anderen Seite wissen die meisten nicht, ob die Flucht gelingen, das Geld ausreichen und wie das Leben – wo auch immer – aussehen wird, ohne Sprachkenntnisse, Job und finanzielle Mittel.
Obwohl sich die Situation der Bevölkerung in Syrien laut dem Bericht „Fuelling the Fire“ im vergangenen Jahr dramatisch verschlechtert hat, die Kriegsparteien Nothilfe verhindert und ganze Städte von jeglicher Versorgung abgeschnitten haben, fürchtet sich Europa vor den Flüchtlingen, vor allem vor den muslimischen. Auch der Großteil der bosnischen Flüchtlinge waren MuslimInnen. Und auch sie mussten hasserfüllte Kommentare über sich ergehen lassen, jedoch nicht aufgrund ihrer Religion und schon gar nicht im heutigen Ausmaß – und das, obwohl es auch nicht möglich war, abzuschätzen, ob und wie viele von ihnen in Österreich bleiben werden. Im direkten Vergleich zu heute wurden keine Debatten um Obergrenzen und Grenzschließungen geführt. Flüchtlingsunterkünfte wurden nicht geschlossen – schon gar nicht in Brand gesetzt, niemand musste im Freien am Boden schlafen.

Damals und heute
Da mein Bruder gleich bei der Ankunft in Österreich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, entschied sich eine Familie aus Wien, uns bei sich aufzunehmen. Trotzdem war ich oft in Flüchtlingsunterkünften, um Familienangehörige zu besuchen. Ich kann mich erinnern, wie mein Opa erzählte, dass es nicht immer sehr einfach wäre, mit 500 anderen Menschen unter einem Dach zu leben. Jeder von ihnen hätte seine eigene Last zu tragen und Erinnerungen, mit denen er leben muss. Vor allem am Anfang war es nicht immer einfach, die Emotionen zu kontrollieren. Die Menschen hatten keine Arbeit, hatten alles verloren und mussten sich an das neue Leben gewöhnen.
Ein weiterer großer Unterschied zwischen der Flüchtlingskrise heute und der aus dem Jahr 1992 ist die Medienberichterstattung. Über die Kriegsgebiete wurde 1992 berichtet, die österreichische Bevölkerung konnte sich ein Bild von den Schrecken des Krieges machen. Die Solidarität war groß. Viele Freiwillige brachten Essen, Kleidung und Schulutensilien, gaben Deutschkurse und halfen bei der Jobsuche. Auf diese Art wurden gleich zu Beginn Barrieren abgebaut, ÖsterreicherInnen und BosnierInnen lernten einander kennen. Auch heute ist die Zivilgesellschaft wieder aktiv.
Inzwischen finden die unzähligen Aktivitäten nicht mehr im Scheinwerferlicht der Medien statt wie noch im Sommer des vergangenen Jahres. Doch weiterhin sind viele Menschen darum bemüht, auch den heutigen Flüchtlingen die Ankunft in Österreich zu erleichtern und sie in ihrer Mitte aufzunehmen.
Es scheint, als würde sich die Gesellschaft immer schneller radikalisieren und die Stimmen jener, die Hass, Feindbilder und Ängste schüren, immer mehr werden. Doch die ÖsterreicherInnen haben in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie Menschen in Not helfen und keine Abschreckungspolitik unterstützen – etwa am Westbahnhof, als Tausende Flüchtlinge aus Ungarn ankamen. Als ehemaliger Flüchtling sage ich DANKE!

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210088 "Ich bin einer dieser Flüchtlinge, die bis heute in Österreich leben", schreibt Amela Muratovic. Mit acht Jahren floh sie vor dem Krieg, heute arbeitet sie in der ÖGB Kommunikation und ist treue Autorin der Arbeit&Wirtschaft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599208766 Zwischen Hetze und "Lügenpresse" Sie gehören inzwischen zum Online-Alltag: Botschaften auf sozialen Medien, in denen über angebliche sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge auf Frauen geredet wird, von ihrem angeblichen Luxusleben – oder auch jene, in denen Flüchtlinge als Invasoren dargestellt werden. Dies geschieht oft auf sehr emotionale Weise, mit vielen Großbuchstaben und Rufzeichen versehen. Ein Beispiel, allerdings ohne Großschreibung:
„Meine Cousine erzählte mir heute, dass ihre Kollegin vorgestern aufgelöst auf die Arbeit kam. Der Grund: Ihre Freundin, die als Reinigungskraft in einem Flüchtlingsheim gearbeitet hatte, wurde vorgestern dort mehrfach vergewaltigt und getötet auf einem Klo gefunden!!!!!! Die Presse hat nicht mal einen Berichtigt darüber veröffentlicht, weil sie befürchtet, dass die leute ausrassten werden!!! Diese arme unschuldige Frau!!!! Ist sie denn gar nichts wert gewesen, nur weil sie Deutsche war?!?!?!?!“

Bewusst gestreut
Dieser Facebook-Kommentar ist einer Handreichung der deutschen Amadeu Antonio Stiftung entnommen. In Kooperation mit der Initiative „Netz gegen Nazis“ hat sie sich mit solchen Postings auseinandergesetzt und diese analysiert. Dabei stellte sich heraus: Bei der überwiegenden Mehrheit der Postings über angebliche Vergewaltigungen, sexualisierte oder sonstige Straftaten durch Asylsuchende handelt es sich um Fälschungen. Sie werden von rechtsextremen Organisationen bewusst gestreut. Immer mehr Menschen schenken diesen Nachrichten Glauben. Und das nicht erst seit den Ereignissen der Silvesternacht von Köln.

Selektive Wahrnehmung
Karl Öllinger von der österreichischen Initiative „Stoppt die Rechten“ sieht hier das Beispiel einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: „Auf rechten Blogs sind schon seit Jahren Massenvergewaltigungen durch Zuwanderer herbeigeschrieben worden. Köln hat diesen Kreisen die Bestätigung geliefert. Jetzt behaupten sie, dass ihnen damit der Beweis gelungen sei.“ Dabei wird durchaus selektiv vorgegangen. In der Handreichung der Amadeu Antonio Stiftung findet sich das Beispiel eines Dorfes, in dem Neonazis angebliche Vergewaltigungen durch Flüchtlinge anprangerten – Vergewaltigungen, die es nicht gegeben hat. Dennoch demonstrierten regelmäßig 100 Menschen gegen das örtliche Flüchtlingsheim. Das Pikante: Zur selben Zeit wurden reale Missbrauchsfälle unter der einheimischen Bevölkerung von den Menschen im Ort unter den Teppich gekehrt und verharmlost. Den „eigenen Leuten“ traute man „so etwas“ wohl nicht zu. Den Flüchtlingen aber scheinbar schon, und zwar pauschal allen.
Solche Falschmeldungen sind eine seit Jahrhunderten gut einstudierte Propagandastrategie der Rechtsextremen. Seit es Rassismus gibt, verbreiteten interessierte Kreise Falschmeldungen: seien es Gräuelgeschichten über angeblich durch Menschen jüdischen Glaubens vergiftete Brunnen oder das Klischee vom schwarzen Mann, dem unterstellt wird, „unsere Frauen“ rauben zu wollen. Doch noch nie war die Verbreitung solcher Lügenpropaganda so einfach wie jetzt. Musste man früher mühsam Flugblätter drucken, reicht heute ein Internetposting. Mit oft großem Erfolg.
So erreichte das rechte Verschwörungstheorieorgan „Netzplanet“ im Juni 2015 Platz 14 der deutschsprachigen Social Media Charts. „Warum werden deutsche Obdachlose nicht in Luxus-Hotels untergebracht, aber Asylanten?“, war eine der damals von dieser Publikation verbreiteten Falschmeldungen.

Abkehr von konventionellen Medien
Im Februar 2016 war „Netzplanet“ nur noch auf Platz 76 der von der Webseite 1000flies.de veröffentlichten Charts. Dafür fanden sich unter den Top 100 zahlreiche rechtspopulistische bis rechtsradikale Publikationen, darunter auf Platz 26 die Zeitung „Junge Freiheit“, auf Platz 36 „Kopp Online“ und auf Platz 61 die österreichische Seite „Unzensuriert.at“, als deren Initiator der frühere FPÖ-Nationalratspräsident Martin Graf gilt. Es handelt sich um Hunderttausende Menschen, die diese Geschichten lesen und weiterverbreiten.
„Das Problem ist, dass viele Menschen den Medien nicht mehr glauben“, analysiert Karl Öllinger. „Das Schlagwort von der Lügenpresse macht immer mehr die Runde. Das bedeutet eine Abkehr von normaler Information. Selbst Alltagsmeldungen wird nicht mehr geglaubt, etwa wenn es um Krieg, Hunger und Tod in Syrien geht. Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung hat sich da völlig ausgeklinkt. Diese Leute halten die syrischen Flüchtlinge für eine Invasionsarmee und die Kriege im Nahen Osten für eine Lüge.“
Ein Beispiel für dieses Misstrauen wurde am 17. März von der „Internationalen Koordinationsstelle zur Bekämpfung von Internetmissbrauch“ aufgezeigt. Ein Bild von Flüchtlingen, die einen Fluss in der Nähe von Mazedonien überqueren und dabei von HelferInnen unterstützt werden, erregte den Unmut von NutzerInnen in sozialen Medien. Weil die Flüchtlinge Gummistiefel trügen und von zahlreichen FotografInnen umgeben seien, könne es sich ja nur um Lügenpropaganda handeln, so eine Argumentation. Das Ereignis fand aber wirklich statt. Die Gummistiefel kamen von Hilfsorganisationen.

Falschmeldungen als Strategie
Um die Propaganda von rechts zu kontern, greifen manche zur Satire. „Als sich in Wien eine rechte Bürgerwehr gründen wollte, sprossen sofort diverse Satire-Accounts auf Facebook aus dem Boden“, erzählt Sebastian Kugler vom Wiener antifaschistischen Bündnis „Offensive gegen Rechts“. „Die echte Facebook-Seite der Bürgerwehr konnte von den Satireseiten nicht mehr un-terschieden werden, die Bürgerwehr musste einpacken.“
Doch manche rechte Webseiten ficht Satire nicht an. So verlinkte „Netzplanet“ einen Satirebeitrag einer anderen Webseite über angeblich von der deutschen Bundesregierung, den USA und Freimaurern finanzierte Internettrolle, die rechte soziale Netzwerke unterwandern sollen. „Netzplanet“ verbreitete die Satire als Wirklichkeit und viele LeserInnen schenkten dem Glauben.

Vetrauenskrise
Die FPÖ nutzt strategisch rassistische Ressentiments aus der österreichischen Medienlandschaft aus. Strache verlinkt gerne Nachrichten der „Krone“. So teilte er am 17. März den „Krone“-Aufmacher „Millionen in Schnellbote investiert: Albaniens Mafia lotst die Flüchtlinge nun über Adria“. Dass der FP-Chef auch öfters Falschmeldungen verbreitet, schadet ihm nicht und ist Teil seiner Strategie.
Es gibt gute Gründe, warum die rechte Medienstrategie aufgeht, sagt Karl Öllinger: „In den letzten Jahren ist eine Vertrauenskrise in die politische Klasse entstanden. Ein wichtiges Beispiel ist die Finanzkrise und die daraus resultierenden Belastungen für die Gesellschaft. Das wird jetzt alles zu einem Gebräu gemischt.“ Hier könnten Gewerkschaften kontern, findet Sebastian Kugler. „In den vergangenen Monaten sind von AK und Gewerkschaften gute Beschlüsse gefasst worden, die eine Aufklärungskampagne gegen die Rechten in den Betrieben vorsehen. Das muss man umsetzen.“ Auch Karl Öllinger sieht das so: „Die FPÖ konnte sich in den letzten Monaten als soziale Heimatpartei etablieren, dabei ist sie neoliberal. Die Betriebe sind gut geeignete Orte, um die Auseinandersetzung zu vertiefen, denn hier kommen KollegInnen unterschiedlicher Nationalitäten und Hautfarben zusammen.“
Allerdings müsse man hier eine geschickte Vorgangsweise finden, so Kugler: „Manchmal wird etwa ein Lehrling entlassen, weil er Hasspostings auf Facebook geteilt oder verbreitet hat. So manche AntifaschistInnen tappen dann in die Falle, wiederum auf sozialen Netzwerken Häme über den Lehrling auszukippen. Der aufklärerische Effekt davon ist jedoch gleich null. Man muss viel früher ansetzen.“

Linktipps:
Literatursammlung des ÖGB-Verlags zum Thema „Extreme Rechte“:
tinyurl.com/gldutjt
Das Bild des „übergriffigen Fremden“ Warum ist es ein Mythos? Wenn mit Lügen über sexualisierte Gewalt Hass geschürt wird (Amadeu Antonio Stiftung, Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur):
tinyurl.com/zfz3hrr

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210062 Noch nie war die Verbreitung von Lügenpropaganda so einfach wie jetzt. Musste man früher mühsam Flugblätter drucken, reicht heute ein Griff zum Handy und schnell geht die Lüge in die ganze Welt hinaus. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210070 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599208728 It’s the Economy Keine Frage, die Arbeitsmarktsituation in Österreich ist angespannt: höchste Arbeitslosigkeit seit den 1950er-Jahren, Zunahme atypischer, oft prekärer Beschäftigungsverhältnisse, steigende Arbeitsmigration aus dem EU-Ausland und daraus resultierende Verdrängungseffekte. Neu hinzu kamen 2015 Zehntausende Flüchtlinge. Allein in Österreich haben 2015 fast 90.000 Menschen Asyl beantragt. Im Dezember 2015 waren 21.154 Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte beim AMS gemeldet, für 2016 rechnen AMS und Sozialministerium mit weiteren 30.000 Flüchtlingen, die dem österreichischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Die Integration Zehntausender Arbeitssuchender in den Arbeitsmarkt ist eine enorme Herausforderung, ohne Zweifel. Allerdings verleitet sie nur allzu schnell zu populistischen Schnellschüssen. Da wurde das Aussetzen der Personenfreizügigkeit in der EU als Lösung für die Arbeitsmarktprobleme gefordert. Oder man meint, den Arbeitsmarkt vor neuen Arbeitskräften „schützen“ zu können, indem man auf alten Zugangsbarrieren beharrt oder neue aufzieht.

Folge der Austeritätspolitik
Alle diese Maßnahmen sind hinsichtlich Rechtmäßigkeit, Durchführbarkeit, aber auch tatsächlicher Wirkung hoch umstritten. Insbesondere setzen sie nicht an den Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit an. Arbeitsmarktprobleme entstehen nämlich nur bedingt am Arbeitsmarkt selbst, sondern haben tiefer liegende Gründe: Sie sind Folge einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Im Falle Europas und Österreichs ist es eine Politik, die auf rigoroses Sparen setzt. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 waren in Österreich 212.000 Menschen arbeitslos gemeldet. In den ersten Krisenjahren wurde noch gegengesteuert – mit Kurzarbeit, Konjunkturpaketen, der Steuerreform I. Die kräftige Lohnerhöhung im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen 2008 stabilisierte die gesamtgesellschaftliche Nachfrage. Die automatischen Stabilisatoren – insbesondere das Arbeitslosengeld, aber auch die in der Krise eingeführte Mindestsicherung – trugen zusätzlich dazu bei.
In den ersten Jahren der Krise gelang es so, den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten – dank einer entsprechenden Wirtschaftspolitik. Von 2008 bis 2012 stiegen die Arbeitslosenzahlen auf 260.600 Personen, ein Plus von knapp 49.000 innerhalb von vier Jahren. Danach sollte sich die Entwicklung beschleunigen: In den folgenden zwei Jahren stieg sie um 60.000 Personen. Zuletzt  erreichte sie im März 2016 einen Wert von 368.000 Arbeitslosen.
Die Gründe für diesen massiven Anstieg sind in den restriktiven Budgetvorgaben auf europäischer Ebene zu suchen. Milliardenschwere Bankenrettungspakete sowie steigende Sozialausgaben bei rückläufigen Steuereinnahmen als Folge der Krise ließen Budgetdefizite wie auch öffentliche Schuldenstände ansteigen. 2009 brach die „Eurozonen-Krise“ aus, Griechenland war zahlungsunfähig geworden und ein erstes „Rettungspaket“ – tatsächlich ein brutales Sanierungspaket, das massive Einschnitte in soziale Sicherungssysteme, Löhne, öffentliche Ausgaben brachte – wurde geschnürt.

Immerwährende Austerität?
Spätestens dann fand eine Umdeutung der Krise statt: Statt von einer Finanzkrise war nun zunehmend von einer Staatsschuldenkrise die Rede. Primäres Ziel europäischer Wirtschaftspolitik wurde nun der Rückbau der Budgetdefizite und der öffentlichen Schuldenstände – und das ausgerechnet mitten in der Krise! Insbesondere Deutschland erhöhte den Druck auf die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Auf europäischer Ebene wurden entsprechend strenge Budgetregeln verabschiedet und ein strikter Konsolidierungskurs vorgegeben. Mit dem 2012 beschlossenen „Fiskalpakt“ wurde das Sparkorsett schließlich endgültig zugezogen und „austerity forever“, immerwährende Austerität, auch in der österreichischen Gesetzgebung festgeschrieben.
Die Folgen waren europaweit fatal: Die öffentliche Investitionstätigkeit ging zurück, infolge von Sparmaßnahmen und Ausgabenkürzungen stiegen die Arbeitslosenzahlen an und liegen nach wie vor deutlich über dem Vorkrisenniveau. Zusätzlich wurde das ohnehin nur zaghafte Wachstum abgewürgt. Damit biss sich die Katze in den Schwanz: Weil das Wachstum einbrach, kam es tatsächlich zu einem Anstieg der Staatsschuldenquoten. Die wirtschafts- und sozialpolitisch desaströsen Ergebnisse der Austeritätspolitik ließen selbst den Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende 2014 Abstand von der Sparpolitik nehmen. Den EU-Staaten empfahl er, die öffentliche Investitionstätigkeit wieder aufzunehmen.
Für eine Wende am Arbeitsmarkt – weg von steigenden Arbeitslosenzahlen hin zu mehr Beschäftigung – braucht es also einen grundlegenden Kurswechsel: eine Abkehr von der Spar- hin zu einer expansiven Fiskalpolitik (ohne die übrigens auch die derzeit von der EZB betriebene Null-Zins-Geldpolitik nicht greift) mit einer deutlichen Ausweitung öffentlicher Investitionstätigkeit. Arbeitsmarktpolitik – von Qualifizierung und Weiterbildung bis hin zu Integrationsmaßnahmen und insbesondere Arbeitszeitverkürzung – kann dabei unterstützen. Auch kann sie die Chancen von „Risikogruppen“ wie SchulabbrecherInnen oder Niedrigqualifizierten erhöhen, einen stabilen, qualitativ hochwertigen und entsprechend bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Ansonsten drohen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen allerdings zu verpuffen.

Investitionen nötig
Zurück zu den Flüchtlingen: Die Integration Zehntausender Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ist nicht leicht, aber bewältigbar. Dazu braucht es arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Arbeitszeitverkürzung. Vor allem aber ist eine verstärkte öffentliche Investitionstätigkeit auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene nötig: Investitionen in öffentliche Infrastruktur, in Bildung, in soziale Dienste, in öffentliche Verkehrsmittel, in den Wohnbau, in Klimaschutzmaßnahmen und so weiter. Kurzum, es braucht Investitionen, die Beschäftigung und Wachstum schaffen. Ja, und Investitionen in Flüchtlinge selbst – in Integration, in ihre Ausbildung, aber auch in ihre soziale Absicherung und ihre Versorgung.
So eigenartig es klingen mag: Die Flüchtlingsbewegungen des letzten Jahres führen tatsächlich – gemessen an den Ausgaben – zu einem ganz ordentlichen Wachstumsschub. Nationalbank (OeNB), IHS und WIFO sehen in ihren Wachstumsprognosen für 2016 positive Effekte, die aus der „Flüchtlingskrise“ entstehen. Die Rechnung an sich ist einfach: Grundversorgung, Wohnungen, Lebensmittel, Deutschkurse, Mindestsicherung und Ähnliches kosten den Staat natürlich Geld. Sie bringen aber gleichzeitig Beschäftigung, weil eben Wohnraum geschaffen werden muss, Lebensmittel verkauft und DeutschlehrerInnen eingestellt werden und weil die ausbezahlte Mindestsicherung praktisch vollständig in den Konsum fließt und so die Nachfrage stabilisiert.
Die OeNB hat für das erste Halbjahr 2016 einen Wachstumseffekt von 0,2 Prozent des BIP er-rechnet, bei direkt veranschlagten Mehrausgaben des Bundes für Flüchtlinge sind dies rund 613 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das entspricht jenem Wachstumsimpuls, den sich die OeNB von der Steuerreform erwartet, die sich 2016 mit einem Entlastungseffekt von 3,975 Milliarden Euro niederschlagen soll. Ähnlich sehen es IHS und WIFO: Die Ausgaben für Betreuung und Grundversorgung von Flüchtlingen sowie für die Mindestsicherung würden eine Steigerung des privaten wie öffentlichen Konsums nach sich ziehen – mit dem entsprechend positiven Konjunkturimpuls. Ausgaben, die zwar über eine höhere Staatsverschuldung getätigt werden, aber zu mehr Wachstum führen. Vorsicht ist bei dieser Prognose jedoch geboten: Denn werden anderswo Ausgaben gekürzt, wäre der Wachstumseffekt ungleich geringer.

Widersinnig
Womit einmal mehr bestätigt wäre: So lange am Spar- und Kürzungskurs festgehalten wird, droht auch die Beschäftigungskrise zu bleiben. Nicht Flüchtlinge, nicht Migration sind für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich, sondern eine verfehlte Krisenpolitik in Europa, die auf Sparen statt Investitionen setzt – und das ausgerechnet zu einer Zeit, wo angesichts der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank Kredite so günstig zu haben wären wie noch nie ...

Linktipps:
OeNB-Konjunkturindikator Februar 2016:
oenb.at/Presse/20160219.html
WIFO-Konjunkturprognose März 2016:
tinyurl.com/hl9nx6h

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.koza@ug-oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Markus Koza , Ökonom, Vorsitzender der Unabhängigen GewerkschafterInnen (UG) im ÖGB und Mitglied des ÖGB-Vorstandes Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210051 Allzu schnell müssen Flüchtlinge als Sündenböcke für die hohe Arbeitslosigkeit herhalten. Das Problem ist aber die Sparpolitik. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1460599208725 Von Antrag bis Zulassung Asylantrag: Kommen Asylsuchende nach Österreich, reicht es zunächst, dass sie zu einem Polizisten oder einer Polizistin das Wort „Asyl“ oder „Schutz“ sagen. Das ist niederschwellig, aber notwendig, weil von den Menschen nicht erwartet werden kann, komplizierte Formalismen einzuhalten. Das Verfahren wird ohnehin schnell komplex. Nach einer ersten Befragung kommt es zum „Zulassungsverfahren“. Darin wird zunächst überprüft, ob Österreich überhaupt zuständig ist, das Asylverfahren zu führen (siehe „Dublin-Regelung“). So lange bleiben die Betroffenen AsylwerberInnen und haben entsprechend eingeschränkte Rechte. Kann das Asylverfahren nicht schnell auf diese Art beendet werden, sieht die Theorie vor, dass das Verfahren „zugelassen“ wird und die Personen in ein bestimmtes Bundesland gebracht werden. Es ist offensichtlich, dass dies derzeit gar nicht funktioniert.
Ist Österreich zuständig, wird überprüft, ob einer der Fluchtgründe laut Genfer Flüchtlingskonvention zutrifft (Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, bestimmter sozialer Gruppe oder wegen politischer Gesinnung). Wenn dem nicht so ist, kann der sogenannte subsidiäre Schutz gewährt werden: Diesen erhalten Flüchtlinge, wenn sie nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, weil ihnen dort Folter oder unmenschliche Behandlung droht oder sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines Konflikts fürchten müssen.
Trifft kein Fluchtgrund zu und kann auch kein subsidiärer Schutz gewährt werden, müssen Flüchtlinge grundsätzlich das Land wieder verlassen. Davor muss jedoch geprüft werden, ob eine „Rückkehrentscheidung“ zulässig ist: Durch jahrelange Verfahren haben diese Menschen oft FreundInnen, soziale Beziehungen, EhegattInnen, eingetragene PartnerInnen oder auch Kinder in Österreich. Wiegt ihr Interesse, aus diesen Gründen in Österreich zu bleiben, schwerer als das Interesse des Staates, dass sie zurückkehren, können sie in Österreich bleiben. Ist das nicht der Fall, können sie entweder im Rahmen eines Rückkehr-Programms in ihr Heimatland zurückkehren, oder ihnen droht die Abschiebung. Im Jahr 2015 wurden 7.447 Personen abgeschoben. Viele Menschen können aber nicht zurückkehren, weil ihr Herkunftsstaat keine Dokumente ausstellt und sie schlicht nicht wieder einreisen lässt. In diesem Fall bleiben sie – faktisch rechtlos – in Österreich. 

Asyl auf Zeit: Es liegt ein Gesetzesentwurf im Parlament, nach dem Asyl zunächst nur befristet für drei Jahre erteilt werden soll. Wenn nach dieser Zeit keine Aberkennung des Asylstatus möglich ist, soll dieser Status automatisch in ein unbefristetes Aufenthaltsrecht übergehen. Diese Regelung ist noch nicht beschlossen. Es ist zu befürchten, dass zwar Menschen verunsichert werden, aber diese Regelung keine greifbaren Auswirkungen haben wird: In den meisten Fällen ist eine Rückkehr nach drei Jahren kaum denkbar. Zudem ist bereits jetzt (!) geltendes Recht, dass Asyl zwingend abzuerkennen ist, wenn die Voraussetzungen für die Asylgewährung weggefallen sind.

Arbeiten: AsylwerberInnen ist die Ausübung einer unselbstständigen Tätigkeit nicht grundsätzlich verboten. Drei Monate nach Zulassung zum Verfahren darf ihnen nämlich eine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden. Bis zu dieser Zulassung kann im Übrigen deutlich mehr als ein Jahr vergehen, in dieser Zeit sind sie zum Nichtstun gezwungen.
Aufgrund eines Erlasses des Sozialministeriums aus dem Jahr 2004 (oft auch „Bartenstein-Erlass“ genannt) dürfen Beschäftigungsbewilligungen an AsylwerberInnen noch dazu nur in der Saisonarbeit ausgestellt werden. Nur im Rahmen dieser Kontingente dürfen AsylwerberInnen eine Bewilligung bekommen. Diese Regelung ist sozialpolitisch unbefriedigend, besonders weil sie auch AsylwerberInnen, die bereits lange Zeit in Österreich leben, vom Arbeitsmarkt ausschließt. Die AK fordert daher, dass AsylwerberInnen nach sechs Monaten ab Antragstellung eine Beschäftigungsbewilligung auch in anderen Berufen bzw. Branchen erhalten können. 
Selbstständige Arbeit ist grundsätzlich möglich. Oft sind diese Personen daher als Scheinselbstständige tätig, die noch leichter ausgebeutet werden können. Übrigens: Die oft erzählte Geschichte, dass AsylwerberInnen nur als SexarbeiterInnen arbeiten dürfen, ist zumindest überholt: Früher durften AsylwerberInnen auch keinen Gewerbeschein bekommen – und da eben faktisch auch kaum eine unselbstständige Arbeit möglich war (und ist), blieben vielfach neue selbstständige Berufe, für die keine Gewerbeberechtigung nötig war: eben unter anderem Sexarbeit.     

Dublin-Regelung: Nach der Dublin-III-Verordnung der EU ist theoretisch jener EU-Mitgliedstaat zuständig, ein Asylverfahren zu führen, in dem der/die AsylwerberIn zuerst in die EU eingereist ist. Abgesehen davon, dass das System nicht mehr funktioniert, ist offensichtlich, dass es de facto zu existieren aufgehört hat. Umso dringender wär es, sinnvolle Alternativen zu suchen.

EU-Quote: Schon länger wird in der EU über eine Quote innerhalb der EU zur Aufteilung der Flüchtlinge diskutiert. Dabei wäre eine größere Beachtung der (allfälligen) Wünsche der AsylwerberInnen sinnvoll, zumindest wenn sie (erweiterte) Familie in einem anderen Mitgliedstaat haben oder andere berücksichtigungswerte Gründe vorliegen. Wesentlich ist aber, dass eine Betreuung der AsylwerberInnen in allen Mitgliedstaaten funktionieren muss. Vergangenes Jahr wurde die Verteilung von insgesamt 160.000 Personen von Italien und Griechenland auf andere Mitgliedstaaten beschlossen. Bislang haben von dieser Regelung aber weniger als 1.000 Personen tatsächlich profitiert.   

EU-Türkei-Deal: Eine „Vereinbarung“ der EU mit der Türkei besagt, dass neu in Griechenland ankommende Flüchtlinge wieder in die Türkei zurückgeführt werden. Sollten diese Personen in Griechenland einen Asylantrag stellen, soll dieser binnen weniger Tage entschieden werden, wobei im Wesentlichen die Türkei als sicherer Drittstaat gelten soll. Für jede zurückgeführte Person soll ein Flüchtling von der EU aufgenommen werden. Die Absurdität liegt auf der Hand: Würden keine Personen mehr versuchen, unrechtmäßig von der Türkei nach Griechenland zu gelangen, müsste die EU auch keine Flüchtlinge übernehmen.

Familiennachzug: Flüchtlinge (eingeschränkt subsidiär Schutzberechtigte) dürfen nach Anerkennung ihre EhegattInnen (nur wenn die Ehe im Herkunftsland bestanden hat) und ihre minderjährigen Kinder nachholen, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auch ihre Eltern. Diese Rechte sollen nun massiv beschnitten werden – durch Wartezeiten bzw. unrealistische Unterhaltsanforderungen.    

Mindestsicherung: Asylberechtigte (Flüchtlinge) haben nach Europarecht und der Genfer Flüchtlingskonvention Anspruch auf Mindestsicherung wie ÖsterreicherInnen. Pläne in einzelnen Bundesländern, in den ersten Jahren weniger Mindestsicherung zu zahlen, sind daher rechtswidrig. Es könnte allerdings einige Zeit dauern, bis diese Einschränkungen von einem Gericht – spätestens vom EuGH – aufgehoben werden. Es ist rechtlich umstritten, ob subsidiär Schutzberechtigte ebenfalls einen Mindestsicherungsanspruch haben oder ob die Grundversorgung (siehe „Die Flucht in Zahlen“) ausreichend ist. Einige Bundesländer gewähren dieser Gruppe bereits nur diese Grundversorgung. 

Obergrenze: Die österreichische Regierung hat beschlossen, dass maximal 37.500 Flüchtlinge im Jahr 2016 in Österreich einen Asylantrag stellen dürfen. Dabei bewegt sich Österreich auf sehr dünnem rechtlichem Eis. Zuletzt brachte die Regierung eine Notfallsklausel (Artikel 72) aus dem EU-Vertrag ins Spiel, der es Österreich ermögliche, den Zustrom zu begrenzen, wenn die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ bzw. der „Schutz der inneren Sicherheit“ gefährdet sei. In dem von der Regierung in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten halten die beiden Juristen allerdings fest, dass damit „nur der Zusammenbruch des Asylsystems oder ähnliche gravierende Umstände gemeint sein“ könnten. Unklar ist außerdem, ob Österreich einen Asylantrag nicht doch behandeln müsste, wenn etwa eine Person diesen an der italienischen oder slowenischen Grenze gestellt hat. Wie schon erwähnt, reicht dafür, einem Beamten oder einer Beamtin das Wort „Asyl“ zu sagen. Schon gar nicht ist nachvollziehbar, warum die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich objektiv gefährdet sein sollte.

Linktipp:
AK Stadt „Flucht nach Wien“:
tinyurl.com/j358z9v

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor johannes.peyrl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Johannes Peyrl, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210030 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416088 Zeit für mehr Sachlichkeit Es ist ein heißer Tag Mitte August und im Park wuselt es nur so. In einem Eck spielt eine Gruppe Frisbee, in einem anderen Eck spielt eine andere Gruppe Völkerball – Männer, Frauen mit und ohne Kopftuch und Kinder bunt durchgemischt. Wieder in einem anderen Eck vergnügen sich Kinder damit, einen Kleiderständer auf Rollen durch die Gegend zu schubsen. Zwischen diesen Inseln sitzen Menschen in Grüppchen herum und plaudern oder picknicken. Nur ein Geruch ist auf einer Seite des Parks nicht zu überriechen: Urin. Das und die vielen Sachspenden, die überall herumkugeln – sie lassen erkennen, dass sich hier keine durchschnittliche Sonntagsgesellschaft aufhält.
Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als Traiskirchen weit über die Gemeinde- und Landesgrenzen hinweg traurige Bekanntheit erlangte. „Schrecklich, wie es hier aussieht“, beschwert sich ein älterer Traiskirchner. Wirft man einen genaueren Blick auf die Spenden, möchte man dem am liebsten entgegenhalten: Schrecklich, was manche Leute aus den Tiefen ihres Kellers geholt haben und hier wie Sperrmüll abgeladen haben.

Chaotisch ...
Und doch ist gut gemeint in diesem Fall nicht das Gegenteil von gut gemacht, denn neben so manchem Krempel findet man jede Menge nützliche Dinge. Recht hat aber auch er: Es herrscht schon ein ordentliches Chaos. Wie so oft beim Thema Migration reicht ein kurzer Blick nicht. Vielmehr muss man wirklich genauer und vor allem öfter hinsehen, um sich ein Bild von der Situation machen zu können.
Der Bilder gibt es in der Flüchtlingskrise viele und es ist Vorsicht geboten. Immerhin können sie immer nur Ausschnitte einer ausgesprochen komplexen Realität zeigen – und erwecken oft genug einen falschen Eindruck. Die vielen Menschen, die an den österreichischen Bahnhöfen und an der Grenze ankamen und dazu gezwungen waren, im Freien zu übernachten, die vielen Zelte: Diese Bilder etwa nährten den Eindruck, dass es „einfach zu viele“ Flüchtende sind, dass Österreich diesem „Ansturm“ nicht gewachsen sei.

Bilder- und Zahlenspiele
In der Tat sind im vergangenen Jahr deutlich mehr Flüchtlinge nach Österreich gekommen: Fast 90.000 Menschen haben einen Antrag auf Asyl gestellt – ein Anstieg um 212 Prozent (siehe „Die Flucht in Zahlen“). Doch auch mit den Zahlen ist das so eine Sache. So könnte man dem entgegenhalten, dass Österreich auch zu den reichsten Ländern der Erde gehört und dem Land von daher auch zugemutet werden kann, einen größeren Teil der Last zu tragen. Auch kann man die Zahl ins Verhältnis mit der EinwohnerInnenzahl setzen: Bei 8,5 Millionen EinwohnerInnen machen die Flüchtlinge nur etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung aus. Im Libanon kommen fast 30-mal so viele Flüchtlinge auf eine/n EinwohnerIn als in Österreich. Um ein anderes europäisches Beispiel zu nennen: Serbien hat rund eine Million weniger EinwohnerInnen als Österreich und verzeichnete im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Anträge. Doch es wäre unfair, so zu tun, als würde sich Österreich aus der Verantwortung stehlen. Es zählt zu jenen europäischen Ländern, die sehr viele Flüchtende aufgenommen haben, besonders wenn man es im Verhältnis zur EinwohnerInnenzahl betrachtet.

Der Blick auf die Situation weltweit lässt die Sache noch einmal komplizierter werden. Das UN-HCR geht davon aus, dass inzwischen über 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind. Das ist mehr, als Italien EinwohnerInnen hat. Allerdings kommt nur ein kleiner Teil davon nach Europa. Die Mehrheit verlässt ihr Land überhaupt nicht, es sind die sogenannten Binnenflüchtlinge. Jene, die ihr Land verlassen, bleiben in der Region: Ganze 86 Prozent der Flüchtenden finden in sogenannten Entwicklungsländern Zuflucht, 25 Prozent sogar in am wenigsten entwickelten Ländern. Nur 14 Prozent flüchten also in die sogenannten Industrieländer.
Von jenen Flüchtenden, die nach Europa kommen, kommt wiederum nur ein Teil nach Österreich, auch wenn dieser im Verhältnis nicht so gering ist. Aber auch hier müssen mehrere Aspekte bedacht werden. Dass die Flüchtenden in Österreich im vergangenen Sommer nicht angemessen untergebracht werden konnten, ist nämlich zum Teil hausgemacht. Inzwischen ist man sich darin einig, dass die Kürzung der Nahrungsmittelhilfe für die Flüchtlinge eine der wesentlichen Ursachen dafür war, dass sich so viele auf den gefährlichen Weg in Richtung Europa gemacht haben.

Auch Österreich war bei den Zahlungen säumig. Dazu kommt eine innenpolitische Dimension: Im Juni 2015 hatten noch zwei Drittel der Gemeinden keine Flüchtenden untergebracht – im September sollte das viel zitierte Durchgriffsrecht beschlossen werden. Auch muss fairerweise daran erinnert werden, dass ein Großteil der Flüchtlinge im Sommer in Richtung Deutschland durchgewinkt wurden.

Veränderung zum etwas Besseren
Seither hat sich einiges verändert. Im Innenministerium selbst kann man erstaunlicherweise nicht mit Zahlen dienen. Nur auf Ebene der Bundesländer liegen diese vor, ORF-Journalist Jakob Weichenberger trägt diese kontinuierlich zusammen. Allein seit September ist die Zahl der Unterkünfte um 60 Prozent gestiegen. Inzwischen bringt nur noch ein Drittel der Gemeinden keine Flüchtenden unter. Aber auch dieses Argument lässt sich natürlich umdrehen: Immer noch ein Drittel der Gemeinden kommt ihrer Verpflichtung nicht nach. Aber weil auch das noch viel zu einfach wäre: Im Gemeindebund verweist man darauf, dass viele Gemeinden bereits Unterkünfte angeboten hätten, die Bürokratie aber verhindere, dass dort Flüchtende auch tatsächlich untergebracht werden. Auch Privatpersonen beschwerten sich in den vergangenen Monaten immer wieder über bürokratische Hürden.
In der aktuellen politischen Debatte ist das Thema Unterbringung an den Rand gedrängt worden, wie so viele andere Aspekte der Flucht. Zumindest vonseiten der Regierung scheint alles einem Ziel untergeordnet: möglichst zu verhindern, dass „zu viele“ Flüchtende nach Österreich kommen – wie viel dieses „zu viel“ auch immer sein mag. Natürlich ist das Argument nachvollziehbar, man wolle eine Überforderung vermeiden. Genauso ist wenig dagegen einzuwenden, dass man nur so viele Menschen aufnehmen möchte, wie man an Kapazitäten zur Verfügung habe, gerade bei der angespannten Lage am Arbeitsmarkt.
Ebenso ist die Forderung nachvollziehbar, dass es eine gerechtere Verteilung auf europäischer Ebene brauche. Eine sachliche Diskussion über all diese Aspekte findet allerdings leider kaum noch statt. Vielmehr scheinen sich die Fronten immer weiter zu verhärten. Das wiederum ist der Integration der neu Angekommenen keinesfalls dienlich.

Schon bei der Erstversorgung der Flüchtenden ist die Zivilgesellschaft eingesprungen. Auch zur lautstark geforderten Integration tragen viele Menschen in Österreich bei: Es werden Patenschaften mit Flüchtenden abgeschlossen, Deutschkurse aus dem Boden gestampft, Ausflüge organisiert und vieles mehr. Auch wenn derzeit die negativen Berichte in den Medien zu dominieren scheinen: Die Zivilgesellschaft engagiert sich weiterhin tatkräftig.

... oder ordentlich?
Rückblende in den August 2015: Auch im Park in Traiskirchen machen SpenderInnen weitaus mehr, als „nur“ Sachen abzuladen. Die einen spielten einfach mit, andere picknicken gemeinsam mit den Flüchtlingen oder reden mit ihnen. Auf der anderen Straßenseite hängt ein Gartenschlauch über einen Zaun, daneben ist eine Abbildung angebracht, versehen mit dem Text in mehreren Sprachen, dass dies Trinkwasser ist.
Vom Völkerballspiel erhitzt, löscht ein kleines Grüppchen junger Frauen und Männer nicht nur den Durst, sondern findet auch eine willkommene Abkühlung. Lachend spritzen sie sich gegenseitig an. Indessen verteilt eine Helferin Müllsäcke und ruft die Anwesenden dazu auf, beim Aufräumen mitzuhelfen. Nur wenig später ist der ganze Park aufgeräumt. „Wie ordentlich die doch sind“, könnte denken, wer nun am Park vorbeispaziert.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599210012 Wie so oft reicht ein kurzer Blick nicht. Vielmehr muss man schon genauer und auch öfter hinsehen, um sich ein Bild machen zu können. Hier zu sehen: Die neue Pariser Philharmonie. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599209992 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416082 Fluchterfahrung Austrofaschismus und Nationalsozialismus sahen in unabhängigen, nur den Interessen der ArbeitnehmerInnen verpflichteten Gewerkschaften eine besondere Gefahr. Deshalb wurden viele engagierte GewerkschafterInnen zu Flüchtlingen. Unter ihnen waren „prominente“ wie der letzte gewählte AK-Präsident Karl Weigl, der aus dem Bereich der heutigen ÖGB-Gewerkschaft vida kam. Oder der Metaller Johann Schorsch, Erster Sekretär des Bundes der Freien Gewerkschaften. Aber auch unzählige andere. Nach dem Verbot der Freien Gewerkschaften im Jahr 1934 war die noch demokratische Tschechoslowakei das erste Fluchtland, mit Beginn des nationalsozialistischen Terrors 1938 suchten die Gefährdeten und Verfolgten Schutz rund um den Globus.
Für die Jugendorganisation der kaufmännischen Angestellten, der größten Vorläufergewerkschaft der GPA-djp, ist eine Liste der Exilländer erhalten geblieben, in denen ihre KollegInnen Aufnahme fanden: Argentinien, Brasilien, England, Mexiko, Israel, Schweden, USA.

Es war alles andere als einfach, ein Aufnahmeland zu finden und dort Fuß zu fassen. In England fürchtete man besonders, dass mit den Flüchtlingen verkappte Nazis eingeschleust würden, sie galten bis zum Gegenbeweis als „feindliche Ausländer“. Sie mussten individuell ihre Verlässlichkeit als Antinazi vor Tribunalen beweisen, vor denen jeder Flüchtling zu erscheinen hatte.
Die FunktionärInnen und Mitglieder, die während der austrofaschistischen Diktatur in den Untergrundgewerkschaften aktiv waren, riskierten Schauprozesse und Haft. Mit Beginn der NS-Herrschaft befanden sie sich in Lebensgefahr, Jüdinnen und Juden zusätzlich als rassisch Verfolgte.

Für jene, die entkommen konnten und auf dem europäischen Kontinent blieben, begann die Flucht mit dem Vorrücken der Deutschen Wehrmacht immer wieder aufs Neue. So erging es auch Manfred Ackermann, dem ehemaligen Vorsitzenden der Angestelltenjugend. Über Italien, die Schweiz, Frankreich, Spanien und Portugal kam er schließlich mit seiner Familie in die USA, aber erst nach einer Intervention der US-Gewerkschaften und des jüdischen Arbeiterkomitees bei Präsident Franklin D. Roosevelt. Auch bei der Überfahrt war die Angst noch ständige Begleiterin, erzählte Ackermann später:
Einmal sind wir aufgewacht, weil die Maschinen plötzlich still waren. … Wir waren stundenlang in Angst, dass wir von den Deutschen angehalten worden sind – das wäre das Ende gewesen.

Die Gewerkschafterin und Bankbeamtin Mela Ernst-Grünberg musste Österreich schon 1937 verlassen. Sie half bei der Verteidigung der spanischen Republik und musste nach dem Sieg des Franco-Faschismus neuerlich fliehen. In Frankreich fiel sie dann doch 1941 dem NS-Regime in die Hände und wurde in das Frauen-KZ Ravensbrück deportiert. Da sie keine Jüdin war, gelang es ihr im Gegensatz zu ihrer Leidensgenossin Käthe Leichter, der ersten Frauenreferentin der AK, zu überleben. Sie spielte beim Aufbau der internationalen Widerstandsorganisation von Ravensbrück eine führende Rolle, starb aber wenige Jahre nach der Befreiung an den Folgen der KZ-Haft.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599209984 Die Lagergemeinschaft Ravensbrück der KZ-Überlebenden widmete Mela Ernst-Grünberg 1950 dieses Grabdenkmal. Die von ihr mitbegründete Widerstandsorganisation versuchte vor allem die Kinder im Lager zu schützen und besonders gefährdete Häftlinge zu retten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416074 EGB: Panama Papers: Steuerhinterziehung stoppen!

 

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB/ETUC) ist empört über das Ausmaß an Steuervermeidung, das durch die sogenannten Panama Papers ans Tageslicht kommt. „Es ist eine Schande, dass diese Fälle von Journalistinnen und Journalisten aufgedeckt werden mussten, während die EU und die nationalen Regierungen unfähig waren, diese Betrüger zu stoppen“, sagt die stellvertretende EGB-Generalsekretärin Veronica Nilsson. „Während die Reichen und Mächtigen das System austricksen, müssen die einfachen Menschen den Preis bezahlen: Austeritätspolitik, steigende Kosten und stagnierende Einkommen. Der EGB fordert Steuergerechtigkeit und wirksame Reformen, um Steuerhinterziehung zu verhindern.“
Der EGB fordert deshalb eine EU-weite Steuerbehörde, EuroTax, um in Fällen von Steuerhinterziehung und -vermeidung gegen Reiche, Unternehmen und Kriminelle zu ermitteln. Um effektiv gegen Steuerbetrug vorgehen zu können, muss dringend in die nationalen Steuerbehörden investiert werden.
Auch die  Finanztransaktionssteuer muss endlich in allen EU-Ländern eingeführt werden. Und es braucht eine Verpflichtung für multinationale Konzerne, ihre Steuerkonten offenzulegen – in jedem Land, in dem sie tätig sind.
Mehr als elf Millionen nun bekannt gewordene Dokumente der Kanzlei Mossack Fonseca zeigen, dass einige der reichsten und mächtigsten Menschen der Welt Steuern vermieden und ihr Geld in zwielichtigen Briefkastenfirmen versteckt haben – in Firmen, die auch in Geldwäsche sowie Waffen- und Drogengeschäfte verwickelt sind.
Das ist nicht neu. Trusts oder Briefkastenfirmen: All das macht eine Zuordnung der Steuerpflicht schwierig bis unmöglich. Vermögende Privatpersonen und multinationale Konzerne haben selbst innerhalb des gesetzlichen Rahmens in den Ländern, in denen sie tätig sind, die Möglichkeit, ihre Steuerplanung zu gestalten.
Der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments schätzt, dass die EU-Länder wegen Steuervermeidungspraktiken jährlich 70 Milliarden Euro an Steuereinkommen verlieren. Das entspricht mehr als 16 Prozent der öffentlichen Investitionen. Der französische Ökonom Gabriel Zucman, das Tax Justice Network oder die EU-Kommission schätzen den Schaden durch Steuerausfall weltweit sogar auf eine Billion Euro jährlich. Das Schweigen wurde nun gebrochen, dank der Arbeit von JournalistInnen aus mehr als 80 Ländern.

Infos unter:
www.etuc.org

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Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416071 vida: Klare Worte im Henry-Konflikt „Nicht der Herr Dogudan ist das Opfer und die Gewerkschaft der Täter, wie er das jetzt gerne hindrehen möchte.“ Mit diesen klaren Worten begegnet ÖBB-Betriebsrat Roman Hebenstreit den absurden Vorwürfen des Unternehmers Attila Dogudan im Konflikt um den Caterer Henry am Zug. „Es hat im Lauf der vergangenen Jahre mehrere Gespräche mit Herrn Dogudan gegeben, wo er mehrmals darauf hingewiesen wurde, dass er in Sachen Arbeitszeit und Entsenderichtlinie nicht gesetzeskonform unterwegs ist!“
Dogudan sei sehr wohl bewusst gewesen, dass die Vorwürfe der Arbeitszeitverstöße berechtigt seien, sagt Hebenstreit, der auch stellvertretender Vorsitzender der vida ist: „Ich habe vor drei Wochen, als die Verstöße und die drohenden Verwaltungsstrafen öffentlich wurden, mit ihm telefoniert. Da hat Dogudan gesagt, er sei sich seiner Fehler in dieser Beziehung bewusst. Da gebe es überhaupt nichts zu entschuldigen, da habe er die alleinige Verantwortung. Uns jetzt vorzuwerfen, dass wir Arbeitsplätze vernichten, ist eine Farce. Zuerst werden die MitarbeiterInnen um die Arbeitszeit geprellt und dann wird ihnen auch noch Angst um ihre Arbeitsplätze gemacht. Es gibt einen Vertrag mit den ÖBB und den muss Henry am Zug einhalten!“
Auch Berend Tusch, Vorsitzender des vida-Fachbereichs Tourismus, weist Dogudans Vorwürfe klar zurück: „Wir vernichten nicht Arbeitsplätze sondern gehen davon aus, dass mehr Arbeitsplätze entstehen würden, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten würden – denn dann bräuchte man mehr Personal.“

Infos unter:
tinyurl.com/jtobyho

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Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416065 ÖGB: Das letzte Netz muss halten „Die aktuelle Flüchtlingssituation darf nicht zum Vorwand für schleichenden Sozialabbau genommen werden, der zuerst die Asylberechtigten träfe – und als nächsten Schritt dann womöglich auch alle anderen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind“, hält ÖGB-Präsident Erich Foglar fest. Um Armut in Österreich auch in Zukunft zu bekämpfen, muss die Bedarfsorientierte Mindestsicherung vielmehr weiterentwickelt werden. Der ÖGB-Bundesvorstand spricht sich daher in einer Resolution klar gegen Kürzungen oder Deckelungen im Bereich der Mindestsicherung aus. Die Resolution wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen.
Die direkte Koppelung der Mindestsicherung an das AMS hat dazu geführt, dass viele BezieherInnen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Manche Menschen schaffen diesen Weg zurück aber nicht, sei es aus persönlichen Gründen wie Krankheit, sei es aus gesellschaftlichen Gründen wie der herrschenden Rekordarbeitslosigkeit. Foglar: „Für sie muss die Mindestsicherung als letztes soziales Netz auch ein dicht geknüpftes Netz sein, das hält.“
Auch ÖsterreicherInnen verstehen die Mindestsicherung als Mittel zur Armutsbekämpfung: Mehr als 70 Prozent sind laut einer Befragung der Volkshilfe dieser Meinung und sehen sie nicht als „soziale Hängematte“. Eine Kürzung der Mindestsicherung wäre auch aus volkswirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv. Denn sie sichert den Ärmsten einen Rest an Kaufkraft und kurbelt somit die Wirtschaft an und schafft Arbeitsplätze.

Die ÖGB-Resolution:
tinyurl.com/h6gptez

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Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416062 Keine Sonderrechte für Konzerne Noch heuer soll das Handels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) beschlossen werden, jenes mit den USA (TTIP) soll fertig verhandelt werden.
Beide Abkommen stoßen nicht nur bei AK und Gewerkschaften auf Gegenwehr. Im April setzte sich EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in den Räumen der Arbeiterkammer mit den KritikerInnen ihrer Handelspolitik auseinander.
AK-Präsident Rudi Kaske würdigte, dass sich die Handelskommissarin einem „ausgesprochen kritischen Publikum“ stellte, nämlich Renate Anderl vom ÖGB, Leonore Gewessler von Global 2000, Alexandra Strickner von Attac und Valentin Wedl von der AK Wien.
Multinationale Konzerne sollen etwa Staaten auf Schadenersatz klagen können, wenn diese Gesetze erlassen, die ihre Gewinnerwartungen schmälern. „Ich sage daher ganz entschieden: Nein zu Sonderklagsrechten für Konzerne, egal, wie sie heißen“, hielt AK-Präsident Kaske fest. „Öffentliche Gelder können sinnvoller eingesetzt werden als zur Abwehr von Klagen.“
„Es steht zu befürchten, dass mit diversen Abkommen sowohl unsere hohen öffentlichen Standards als auch die demokratiepolitischen Entscheidungsprozesse aufs Spiel gesetzt werden“, lautet eine weitere Kritik des AK-Präsidenten. Bei den derzeitigen Vorschlägen sei dies aber weiterhin Fall. Nicht zuletzt müsse die Daseinsvorsorge völlig von solchen Abkommen ausgeklammert sein.

Video zur Veranstaltung:
tinyurl.com/jjortqd

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Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599209961 AK-Präsident Rudi Kaske bezweifelt die positiven Erwartungen der BefürworterInnen der Handelsabkommen. Neben ihm EU-Kommissarin Malmström und ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Anderl. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1460599209969 In Österreich wuchs der Widerstand gegen TTIP und die Kritik an diesem Abkommen. Nach aktuellen Eurobarometer-Umfragen sind über 70 Prozent der Befragten dagegen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994416044 Standpunkt | Empathie im Sinne der Integration Es ist noch gar nicht so lange her. Noch nicht einmal 50 Jahre sind vergangen, seitdem meine Eltern Österreich verlassen haben und nach Deutschland gezogen sind, weshalb ich dort geboren wurde. Als Kind war es für mich völlig normal, dass der Alltag in Deutschland stattfand und der Urlaub in Kärnten. Und doch war es ein einschneidendes Erlebnis für mich, als wir nach Wien umzogen. Ich war damals zehn Jahre alt. Warum erzähle ich das? Weil mir in letzter Zeit eines fast schon schmerzlich fehlt: Einfühlungsvermögen. Genau daran möchte ich nun appellieren. Ich habe selbst erlebt, was es bedeutet, die wohlvertraute Umgebung zu verlassen. Ich habe selbst erlebt, wie sehr das einen Menschen aus der Bahn werfen kann. Wie schwer es fallen kann, in einer neuen „Heimat“ Fuß zu fassen. Bis mir dies gelungen ist, hat es eine ganze Weile gedauert – dabei musste ich fast keine sprachlichen Hürden überwinden, wenn auch einige kulturelle.

Erinnerungen
Nun würde ich nie behaupten, dass ich wüsste, was die Flüchtenden mitgemacht haben, die es in den vergangenen Monaten nach Österreich geschafft haben. Aber ich kann mich ein bisschen in ihre Situation hineinversetzen. Bis heute erinnere ich mich an den Moment, als ich zum letzten Mal mit meinen SchulfreundInnen die Stiege vor der Volksschule hinunterging – wissend, dass ich nun in eine fremde Stadt gehen würde (damals habe ich „Treppe“ vor der „Grundschule“ gesagt, die ich „runtergegangen bin“). Woran ich mich auch noch sehr deutlich erinnere, ist der Schmerz, den ich in meinem neuen Zuhause fühlte. Wie sehr mir meine FreundInnen fehlten, wie sehr mir der Spielplatz fehlte, wie sehr die Natur, in der ich als Kind so viel Glück empfunden habe, wie sehr mir so manches Essen und auch so manche Gerüche fehlten. Ich erinnere mich wieder an den Schmerz, den ich empfand, weil ich auf einmal anders sprechen musste, anders schreiben, weil ich auf einmal anders war. Dieser Schmerz steigerte sich geradezu ins Unerträgliche, wenn mir wieder einmal gesagt wurde, dass ich doch bitte zurückgehen solle, wenn es mir hier nicht passt. „Wenn ich nur könnte!“, schrie ich innerlich lautstark.
An all das muss ich heute zurückdenken. Zugleich weiß ich, dass all das nicht mit den Erlebnissen der heutigen Flüchtenden vergleichbar ist. Menschen, die vor fallenden Bomben fliehen mussten. Die vielleicht gerade noch ein bisschen Hab und Gut zusammenkratzen konnten. Die es rechtzeitig geschafft haben, sich und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Die sich danach erst recht wieder in Lebensgefahr begeben mussten, um übers Meer in Richtung sicheres Europa zu kommen. Die auch ihre Kinder diesem Risiko aussetzen mussten. Und die nun vor verschlossenen Grenzen stehen und in Elendslagern leben müssen.

Dialog in Ruhe
Zu viel Tränendrüse? Möglich, dabei ist die Stimmung eh schon so aufgeheizt. Genau deshalb aber halte ich es für hilfreich, wieder einmal einen Schritt zurückzugehen und sich in die Lage dieser Menschen hineinzuversetzen. Dazu muss man nicht Ähnliches erlebt haben und schon gar nicht muss man deshalb am Ende eine andere Position vertreten. Nur weil man sich in die Situation von Flüchtenden hineinversetzt, heißt das nämlich noch lange nicht, dass man deren Wahrheit als einzige Wahrheit ansieht. Es bedeutet aber, dass man auch die eigene Wahrheit nicht als einzige Wahrheit ansieht. Es bedeutet, offen auf Menschen zuzugehen und mit ihnen einen Dialog zu führen – mit dem bei diesem Thema nötigen Respekt. Dieser gebietet überdies, dass man dieses Thema in all seinen Facetten und in Ruhe diskutiert. Dazu gehört mehr Nachdenklichkeit statt markiger Sprüche. Letztlich ist ein solcher Dialog auch die Voraussetzung dafür, dass Integration überhaupt erst beginnen und hoffentlich auch gelingen kann.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994415991 Willkommens- oder Abwehrkultur? Der Umgang mit Flucht und Migration war bereits bei Gründung der Zweiten Republik ein Thema. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa ca. 30 Millionen Displaced Persons (DPs; größtenteils ehemalige ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge) bzw. deutschsprachige Vertriebene aus Osteuropa.
Die österreichische Politik verhielt sich zunächst gegenüber beiden Gruppen abwehrend, in der Bevölkerung dominierten Vorurteile und Ablehnung. Im Gegensatz zu den DPs entwickelte man aber für die „Volksdeutschen“ ab dem Ende der 1940er-Jahre durchaus erfolgreiche Integrationsangebote. Ab 1954 konnten diese beispielsweise die österreichische Staatsbürgerschaft per Deklaration erwerben.

Ausnahmeerscheinung
Schon vorher war der Zugang zum Arbeitsmarkt und den Sozialsystemen für diese spezielle Gruppe geöffnet worden. Solche Integrationsmaßnahmen blieben jedoch eine Ausnahmeerscheinung. Als in den 1960ern der Bedarf nach Arbeitskräften aus dem Ausland stieg, wurden MigrantInnen zwar medienwirksam bei der Ankunft begrüßt. Gleichzeitig aber galt die Vermeidung jeder Aufenthaltsverfestigung lange als erklärtes Ziel der österreichischen Politik.
Bis in die jüngste Vergangenheit mussten daher zahlreiche Gleichstellungsmaßnahmen – wie das passive Betriebsratswahlrecht (2006) – über die Höchstgerichte eingeklagt werden.
Erst 1992 wurde mit dem „Wiener Integrationsfonds“ eine relevante Einrichtung gebildet, die sich positiv mit „Integrationsfragen“ auseinandersetzen sollte. Auf Bundesebene allerdings blieb langfristig vor allem der Geist der „Abwehrkultur“ bestehen: Seit der Regierungszeit von Schwarz-Blau zwingt eine „Integrationsvereinbarung“ zu Sprachkursen. Inzwischen gilt sogar das Prinzip „Deutschnachweis vor Zuwanderung“, während gleichzeitig der Familiennachzug sehr restriktiv gehandhabt wird. Ebenso wurde – im Gegensatz zu vielen EU-Staaten – die Möglichkeit der Einbürgerung erschwert.
Flucht und Migration werden zudem vorwiegend als sicherheitspolitisches Problem und Bedrohung „unserer Werte“ präsentiert. So lagen die Integrationsagenden lange Zeit in den Händen des oder der jeweiligen Innenministers/-ministerin. Eine entsprechende Haltung prägt auch den „Nationalen Integrationsplan“, den die damalige Innenministerin Maria Fekter im Jahr 2009 vorgelegt hat.
Auch der aktuelle „50-Punkte-Plan zur Integration von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten“ beginnt mit den Worten: „Die Integration von anerkannten Flüchtlingen stellt eine wachsende Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Sicherung des sozialen Friedens in Österreich dar.“ Christian Schörkhuber, Geschäftsführer der Volkshilfe OÖ, meint dazu: „Schon alleine aus der Präambel wird ersichtlich, dass Flüchtlinge nicht als Chance, sondern als Bedrohung angesehen werden. Knapp 14.000 Anerkennungen gab es im Jahr 2015 beim Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen. Bei dieser Anzahl von der Gefährdung des sozialen Friedens zu reden entbehrt jeder Grundlage.“

Die Sache mit den Werten
Im Zentrum des neuen „Inte
grationsplans“ stehen verpflichtende Wertkurse. Cornelia Kogoj, Generalsekretärin der Initiative Minderheiten, kommentiert diese wie folgt: „Im Grunde geht es in der Debatte um Integration immer um eine ‚Bringschuld‘ der MigrantInnen. Es geht darum, was MigrantInnen erbringen müssen – und nicht die staatlichen Institutionen –, um gute StaatsbürgerInnen zu werden. Vermischt werden hier soziale Fragen mit jenen von Kultur und Sprache.“
Interessant findet sie auch, dass rechte PolitikerInnen, die sich bis jetzt weder für den Feminismus noch für Lesben- und Schwulenrechte starkgemacht haben, nun genau diese „Werte“ verteidigen. „Wenn es heißt: ‚Österreich hat einen fest etablierten Wertekanon, der nicht verhandelbar ist‘, dann frage ich mich, was dieser ‚fest etablierte Wertekanon‘ bedeutet? Diese Diskussion um die Wertevermittlung sagt übrigens mehr über ‚uns‘ aus als über die ‚anderen‘“, so Kogoj.
Vieles an dieser aktuellen „Wertedebatte“ erinnert an die alten Diskussionen, die der konservative US-Politologe Samuel Huntington Ende der 1990er-Jahre mit seinem „Kampf der Kulturen“ ausgelöst hat. Die Idee festgefügter, sich feindlich gegenüberstehender Kulturen als Begründung für militärische und gesellschaftliche Konflikte wurde seitdem allerdings auch vielfach zurückgewiesen. Nobelpreisträger Amartya Sen warnte beispielsweise bereits vor zehn Jahren vor einer „Identitätsfalle“: „Eine Person kann gänzlich widerspruchsfrei amerikanische Bürgerin, von karibischer Herkunft mit afrikanischen Vorfahren, Christin, Liberale, Frau, Vegetarierin, Langstreckenläuferin, Feministin, Heterosexuelle, Tennisfan etc. sein“, schreibt er. Der französisch-libanesische Schriftsteller Amin Maalouf ergänzt, dass Menschen dazu neigen, sich in der am stärksten angegriffenen Identität wiederzuerkennen – ein Umstand, der beispielsweise seit einiger Zeit auf viele MuslimInnen zutreffen würde.

Zusammenfließende Kulturen
Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté zeigen demgegenüber in ihrem Buch „Kampfabsage“ nicht nur, dass K
ulturen in Wirklichkeit ständig zusammenfließen. Die Autoren weisen auch auf die zahlreichen historischen und politischen Zweideutigkeiten des „Westens“ im Umgang mit Werten wie „Freiheit“ hin. Mit Sebastian Kurz’ Bildern von „unserer gemeinsamen Wertbasis“ – vorwiegend Berge, Kleinfamilien, Feuerwehr und Gugelhupf, wie man sie etwa in der „RWR-Fibel“ finden kann – hätte wohl auch Mark Terkessidis ein grundlegendes Problem. Terkessedis beschreibt Migration als eine für alle beteiligten Seiten massiv verändernde Kraft. Von Integration – im Sinne der Aufnahme in ein fest bestehendes Ganzes – könne daher nicht die Rede sein. Er plädiert vielmehr für den systematischen Umbau von Institutionen (Schulen etc.) im Sinne einer neuen „Interkultur“.
Die große Schwäche von Terkessidis und einigen anderen AutorInnen besteht darin, dass sie die bestehende neoliberale Weltordnung zwar oft kritisch, aber letztlich als nicht veränderbar betrachten. In den (globalen) Machtverhältnissen und (sozialen) Interessengegensätzen liegen aber Ursachen und Wirkungen aktueller Formen von Flucht und Migration.
So müssen sich Gewerkschaften derzeit in verschiedenen europäischen Staaten mit „wohlmeinenden“ Vorschlägen auseinandersetzen, einen neuen Niedrigsektor aus dem Pool der Flüchtenden zu bilden. Zwischen solchen mehr oder weniger bewusst geschürten Spaltungslinien und einer ebenfalls entsolidarisierenden Abschottung gilt es für moderne Gewerkschaften seit jeher, eine eigenständige Linie zu finden. Bereits 1907 erklärte der Internationale Sozialistenkongress von Stuttgart im Übrigen seine Solidarität mit den „Wandernden“ und verband den Kampf um Freizügigkeit mit der gemeinsamen Verteidigung erreichter Standards.
Cornelia Kogoj regt eine Art neues Sozial-Bündnis an: „Es wäre wichtig, eine grundlegendere Diskussion über soziale Gerechtigkeit zu führen. Denn die Frage ist ja, wie können die Leute, die jetzt kommen, so schnell wie möglich an der Gesellschaft teilhaben. Hier kommt den Bildungseinrichtungen eine Schlüsselposition zu. Ebenso wichtig ist die Schaffung von leistbarem Wohnraum. Und das würde letztendlich allen zugutekommen.“

Hand in Hand
In das gleiche Horn stößt Christian Schörkhuber: „Ratifizieren wir endlich die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller WanderarbeitnehmerInnen und ihrer Familienangehörigen.“ Dann würden WanderarbeitnehmerInnen und ihre Familienangehörigen in Bezug auf die soziale Sicherheit die gleiche Behandlung genießen wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Sein Appell: „Beenden wir die hysterisch geführten ‚Das Boot ist voll‘-Debatten. Hier könnte die Gewerkschaftsbewegung Hand in Hand mit den Zehntausenden freiwilligen FlüchtlingshelferInnen marschieren, die sich in den letzten Monaten vorbildlich engagierten.“

Linktipps:
Aktuelle Materialien für Workshops und Unterricht zum Thema Flucht und Migration:
tinyurl.com/zd76hhf
lernen-im-vorwärtsgehen.com

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor john.evers@vhs.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415938 Integrare: Lateinisch für erneuern, auch geistig auffrischen. Tatsächlich wehte 2015 ein frischer Wind der Solidarität durch das Land. Inzwischen wurde von oben das Ende der Willkommenskultur beschlossen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415927 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994415819 Fortgesetzte Abhängigkeit Soha nahm mit ihren vier Töchtern ein Boot in Richtung Europa. Bereits in Küstennähe begann das Schiff zu sinken, nur sie trug eine Rettungsweste, an der sich die Töchter festhielten. Sie war viel zu schwach, um allen Halt zu geben, und doch unfähig zu entscheiden, welche Tochter sie loslassen sollte, um den anderen das Überleben zu sichern. Die Zeit nahm ihr die Entscheidung ab: Nach zwei Stunden starb ihr jüngstes, dreijähriges Kind, einige Stunden später sanken die beiden älteren Geschwister ins Meer – und nach sechs Stunden rettete die Küstenwache Soha und ihre älteste Tochter. Sohas Geschichte wurde vom Journalisten Karim El-Gawhary aufgezeichnet. Das Besondere: In den meisten anderen Flüchtlingserzählungen sind die Protagonisten Männer.

Unterschiedliche Erfahrungen
Amscha wiederum steht für viele jesidische Frauen: Vor ihren Augen erschoss der IS ihren Bruder und ihren Vater, sie wurde verkauft und bis zu ihrer Flucht versklavt und missbraucht. Geflüchtete Frauen dienen als Referenzpunkt für hochemotionale Berichterstattung oder wenn es um sexuelle Gewalt geht. „Gewöhnliche“ Geschichten wie jene von Ruba Suleimane, die sich mit ihrer Tochter allein nach Europa durchgeschlagen hat, nachdem ihr Mann an der Grenze zurückgeschickt wurde, erfährt man kaum. Sie erzählte sie bei der Veranstaltung „Frauen auf der Flucht“ der Universität Hamburg. Kriegerische Konflikte betreffen Frauen mehrfach und intensiver. Zu allen Zeiten gehörten systematische Vergewaltigungen zum Repertoire der Kriegsführung. Dazu kommen: Genitalverstümmelung, sexualisierte Folter, Frauenmord, Zwangssterilisation, Zwangsverheiratung, Steinigung und Arbeits- und Bildungsverbot.
In vielen Ländern, aus denen Frauen derzeit fliehen, werden sie faktisch und/oder rechtlich diskriminiert. Irene Khan, Generaldirektorin der International Development Law Organization, sagte dazu am Barbara-Prammer-Symposion zu Jahresbeginn: „Frauen stehen vielfach unter männlicher Vormundschaft. In vielen Ländern mangelt es an Rechtsstaatlichkeit und rechtlicher Gleichstellung. Oft fehlt Frauen die Möglichkeit zur eigenständigen Gestaltung ihres Lebens, zu Bildung und Selbstbestimmung über Körper und Eigentum.“ Und wo es kaum Gleichheit und Unabhängigkeit gibt, steigt die Gewalt gegen Frauen. „Wer Flüchtlingsfrauen effektiv beschützen will, muss bereit sein, die rechtliche Diskriminierung von Frauen weltweit zu bekämpfen“, so Khan.
Im Übrigen kennt die Genfer Flüchtlingskonvention keine frauenspezifischen Fluchtgründe. In der Praxis fallen frauen- und geschlechtsspezifische Verfolgung (wozu auch Homosexualität gehört) unter Verfolgung als „soziale Gruppe“. So bleiben die tatsächlichen Gründe unsichtbar. Seit 2005 wird in Deutschland geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt, in Österreich nicht. In der Rechtspraxis soll es zwar berücksichtigt werden, unterliegt aber starken Schwankungen, wie NGOs kritisieren. Im Jahr 2013 definierte eine EU-Aufnahmerichtlinie Frauen mit Gewalterfahrungen als „schutzbedürftige Personen“ mit besonderem Anrecht auf medizinische und psychologische Betreuung. In Österreich wurde diese Richtlinie jedoch bisher nicht umgesetzt. Die Frauenorganisation LEFÖ forderte daher speziell geschultes und sensibilisiertes Personal im Asylverfahren. Derzeit kann nur das Geschlecht des/der Asyl-Interviewers/-Interviewerin gewählt werden.

Unterwegs in den sicheren Hafen?
„Restriktive Migrations- und Fluchtpolitik erhöhen die Möglichkeit von Ausbeutung, Gewalt, Druck, Erpressung von Frauen drastisch“, kritisiert Renate Blum von LEFÖ. Neben finanzieller Ausbeutung sind Frauen auf der Flucht sexueller Gewalt und Nötigung ausgesetzt. Die extremen Fluchtbedingungen wie kilometerlange Märsche durch die Wüste oder Gebirge setzen Frauen besonders zu. Oft verzichten sie nahezu völlig auf das Trinken, um sich nicht in kompromittierende Situationen zu begeben. Das Netzwerk Africa-Europe-Interact organisierte in Rabat (Marokko) eine Rasthaus-Wohnung, um Frauen und ihren Kindern zumindest für einige Wochen Schutz auf ihrer Odyssee zu bieten.

Volle, unsichere Heime
Frauen haben oft Schwierigkeiten, Wasser, Lebensmittel oder Hilfsgüter für den alltäglichen Gebrauch zu erhalten, da sie sich als Familien ohne männliches Familienoberhaupt weniger durchsetzen können. Angekommen in Europa, sind die Massenquartiere der Lager oft kein sicherer Hafen. Sexuelle Belästigungen oder gar Übergriffe, nicht nur von Mitflüchtlingen, und viele Konflikte gehören zum Alltag. Die Organisation „Women in Exile“ etwa klagte die Übergriffe des Sicherheitspersonals in einem Flüchtlingslager in Köln an: „Wir sind alle täglich betroffen von sexueller Belästigung im Lager. Es gibt keine Frauen, die nicht eine Geschichte von aufdringlichen Blicken, widerlichen Kommentaren, unerwünschtem Anfassen oder gar versuchter oder tatsächlicher Vergewaltigung erzählen könnten.“ In Österreich gibt es ein Haus für allein reisende geflüchtete Frauen mit ihren Kindern, in Traiskirchen wird ein Trakt eigens bewacht, was als Anerkennung der problematischen Situation zu werten ist.
Mit der Anerkennung des Asylstatus beginnt der lange Prozess des Heimisch-Werdens. Für Frauen gibt es dabei mehrere Hürden, die meist damit beginnen, dass sie später Deutschkurse und arbeitsmarktpolitische Förderung erhalten als Männer. Frauen, die über die Familienzusammenführung nach Österreich kommen, erhalten meist einen Aufenthaltstitel, der über ihre Ehemänner definiert ist. Kommt es zur Scheidung, laufen die Frauen Gefahr, abgeschoben zu werden.
Frauen sind zudem oft von doppelter Diskriminierung betroffen, sexistischer wie rassistischer. Vermehrt berichten Frauen, die ein Kopftuch tragen, bespuckt, beschimpft, bedroht und belästigt zu werden. Die meisten Frauen möchten arbeiten, doch als (kulturübergreifend) Hauptverantwortliche der Familienarbeiten starten sie mit einer Doppelbelastung. Die ersten Schritte in den Arbeitsmarkt gehen oft in die Care-Ökonomie, oft sind sie mit einer Dequalifizierung verbunden – und sie sind meist prekär. Reinigungskräfte sind meist die Einzigen, bei denen es tragbar zu sein scheint, dass sie auch mit Kopftuch arbeiten. 

Globale Ketten
Die Arbeitsteilung im Privathaushalt wiederum erinnert die Wissenschafterin Brigitte Young an das Verhältnis von Herrin und Magd: Frauen der Mehrheitsgesellschaft mit vergleichsweise stabilen, gut bezahlten Jobs beschäftigen Migrantinnen, abhängig und schlecht bezahlt. In der Soziologie spricht man von „globalen Betreuungsketten“. Zugespitzt gesagt: Die Polin putzt und betreut in Österreich, währenddessen sorgt sich eine Weißrussin um ihre Kinder. „Migration ist die Antwort auf globale Ungleichheit“, bringt es Assimina Gouma auf den Punkt, Mitbegründerin der Kritischen Migrationsforschung (KriMi). Und sie ist eine „soziale Bewegung“, die eine gesellschaftliche Veränderung erfordert. Wie dieser Wandel mitzugestalten ist, wäre eine Aufgabe der Politik. Diese suggeriert, dass es sich bei der „Flüchtlingskrise“ um ein zeitlich begrenztes Phänomen handelt, klammert sich an eine Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen, als würden Begrifflichkeiten wie diese Migration stoppen.

Mehr Gleichheit und Autonomie
„Es braucht legale, sichere und geordnete Einreisemöglichkeiten für Menschen, die auf der Flucht sind“, fordert LEFÖ. Dies sei eine wesentliche Voraussetzung, um das grausame Schlepperwesen und die Erpressbarkeit von Frauen tatsächlich zu bekämpfen. In Zeiten wie diesen traut sich kaum jemand, öffentlich globale Reisefreiheit zu fordern. Für die Freiheit globaler Finanzbewegungen hingegen gibt es namhafte BefürworterInnen. Solidarität brauchen nicht nur Frauen, die nach Europa geflüchtet sind, sondern auch solche, die in ihren Heimatregionen bleiben – Unterstützung für mehr Gleichstellung und Autonomie.

Linktipp:
Initiative für geflüchtete Frauen:
frauenaufderflucht.wordpress.com

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Beatrix Beneder, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415805 Frauen haben viele Gründe zu fliehen und doch gibt es in der Genfer Flüchtlingskonvention keine frauenspezifischen Fluchtgründe. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415794 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994415722 "Es gibt viele Gründe für die Flucht" Amara L. sitzt in einem Internet-Café und telefoniert mit seiner Familie in Algier auf Skype. L. ist auf abenteuerlichen Wegen über Marokko per Schiff nach Frankreich und weiter mit Bus und Zug nach Deutschland und schließlich nach Österreich gekommen. Sein größter Wunsch ist, endlich eine Wohnung und Arbeit zu finden, um seine Familie nachholen zu können. Doch vor allem sein unsicherer Aufenthaltsstatus erschwert ihm die Integration. Seit Österreich dem deutschen Beispiel folgt und die Liste sicherer Herkunftsstaaten um nordafrikanische Länder wie Algerien und Marokko erweitert, macht sich Hoffnungslosigkeit breit. Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Maßnahmen scharf.

Misshandlungen und Folter
Wer von Europa nach Algerien oder Marokko abgeschoben wird, dem droht sofortige Haft. Noch am Flughafen werden die Personen abgeführt. Denn das illegale Auswandern steht unter Strafe. Dieses Gesetz wurde auf Druck der EU zur Bekämpfung der Migrationsströme verabschiedet. Amnesty International berichtet von schweren Misshandlungen und Folter in marokkanischen und algerischen Gefängnissen.
Die Online-Plattform der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), die jährlich einen World Report zu den Menschenrechtsentwicklungen in über 90 Staaten herausgibt, listet detailliert alle Menschenrechtsverstöße auf.
„Aus Angst vor Terroranschlägen und dem massenhaften Zustrom von Flüchtlingen bewegen sich viele westliche Regierungen beim Schutz der Menschenrechte rückwärts“, kritisiert HRW-Direktor Kenneth Roth. „Diese Rückschritte bedrohen die Rechte aller Menschen, ohne dass sie nachweislich einen effektiven Schutz für die Bürger bewirken“, warnt er. Für die Flucht etwa aus nordafrikanischen Staaten gibt es zahlreiche Gründe, wirtschaftliche wie politische. „Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, die Aussichten für junge Menschen sind schlecht. Menschenrechte werden massiv eingeschränkt. Die Presse ist nicht frei, Minderheiten werden verfolgt, es gibt willkürliche Inhaftierungen und Misshandlungen“, berichtet Pro-Asyl-Referent Karl Kopp.
Der algerische Journalist Hassan Bouras wurde wegen regierungskritischen Berichten mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Die beiden Blogger und Menschenrechtsaktivisten Adel Ayachi und Tijani Ben Derrah wurden im November 2015 von der Polizei festgenommen, nachdem sie an einer Demo für Pressefreiheit teilgenommen hatten.
In Algerien, Marokko, Ägypten und Libyen erschweren Repression, Korruption, Vetternwirtschaft, Willkür und gesellschaftliche Stagnation den Alltag. Politik und Wirtschaft sind in den Händen einer Elite, die den Kontakt zu den Menschen verloren hat und nur am eigenen Wohlergehen interessiert scheint. In Marokko etwa gewährte der Monarch begrenzte Befugnisse an das Parlament, behielt aber die wichtigsten Machtinstrumente unter seiner Kontrolle.

Niedriger Ölpreis
Dass junge NordafrikanerInnen auf der Suche nach einer besseren Zukunft auf Europa setzen, ist für die Maghreb-Expertin bei Amnesty International, Sirine Rached, nur verständlich: „Die meisten Menschen verlassen diese Staaten, um der schlechten Wirtschaftslage zu entkommen. In Marokko sind Schätzungen zufolge bis zu 50 Prozent aller jungen Akademiker arbeits- und perspektivlos. Algerien leidet noch heute unter den Folgen des blutigen Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren. Die Ökonomie des Landes hängt massiv vom Verkauf von Öl und Gas ab. Derzeit macht dem Land der niedrige Ölpreis zu schaffen. Gleichgeschlechtliche Handlungen sind in Marokko und Algerien strafbar.“
Die institutionelle Korruption sei in beiden Ländern extrem. In dem vom Wirtschaftsmagazin „The Economist“ berechneten Demokratieindex werden Algerien und Marokko als autoritäre Regime eingestuft. Bei der Anzahl der Asylanträge in Österreich liegen Marokko und Algerien nur im schwachen Mittelfeld. Mit rund 25.000 Asylanträgen im Jahr 2015 liegt Afghanistan an erster Stelle, gefolgt von Syrien mit rund 24.000 Anträgen. Lediglich 942 Asylanträge stammten aus Algerien und 730 aus Marokko.
In seinem neuen Buch „Ohrfeige“ stellt der irakische Schriftsteller Abbas Khider seinen Protagonisten Karim Mensy in den Mittelpunkt, dessen Asylgrund kein politischer ist. „Ich wollte die Erwartung der Leser nicht erfüllen. Wenn ich über das Thema Asyl schreibe, nimmt man an, dass es um Folter geht, weil man das durch meine Geschichte nachvollziehen kann. Mit dem Überraschungseffekt wollte ich gegen dieses Schubladendenken über politische Flüchtlinge versus Wirtschaftsflüchtlinge anschreiben. Es gibt viele Gründe, warum Menschen ihre Heimatländer verlassen“, sagt Khider.

Waffenlieferungen
Nicht nur politische Gründe und Krieg, sondern Hunger, Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven, Gewalt, Unterdrückung, fehlende Freiheiten, Verfolgung von Minderheiten zwingen Menschen zur Flucht. Der 43-jährige Autor ist selbst 1996 nach politischer Verfolgung aus Bagdad geflohen und lebte als „illegaler“ Flüchtling in verschiedenen Ländern. Die Hürden des europäischen Verwaltungssystems sind ihm nicht fremd. „Ich habe das alles mitgemacht, wie die Tausenden Menschen, die jetzt hier sind. Ich war in vielen Asylunterkünften, darunter auch in einem Obdachlosenheim. Ich habe die Schikanen durch die Behörden erlebt. Ich weiß, dass es sogar in der Demokratie diese Unmenschlichkeit gibt“, sagt Abbas Khider in einem Interview mit dem Standard. Wie viele AktivistInnen appelliert auch er dringend an alle westlichen Regierungen, sie sollten endlich aufhören, Waffen zu liefern. Dem Westen müsse klar sein, dass die Menschen vor diesen Waffen flüchten. „Man schickt Waffen in alle Welt. Warum hat der Westen ein Problem mit dem Iran und dem Jemen und liefert Waffen nach Saudi Arabien? Im Irak herrscht immer noch Chaos, auch in Libyen. Und falls in Syrien der IS verschwindet, wird es noch lange dauern, bis für die Menschen Ruhe einkehrt. Es gibt im Land so viele Gruppierungen, die alle bewaffnet wurden“, sorgt sich Khider. Er könne kaum glauben, dass wieder Zäune und Mauern errichtet werden, als gäbe es eine Welt erster und zweiter Klasse: „Damit machen wir uns vor der Geschichte lächerlich.“
Dass es auch anders geht, hat Italien zu Jahresbeginn mit der Errichtung eines humanitären Korridors bewiesen. Syrische Kriegsflüchtlinge werden direkt aus dem Libanon, Subsahara-Flüchtlinge aus Marokko und vor allem SomalierInnen, EritreerInnen und SudanesInnen aus Äthiopien nach Rom geflogen. Insgesamt 1.000 Menschen wird durch eine sichere legale Einreise die lebensgefährliche Überfahrt über das Meer erspart bleiben. Der Korridor wurde in Zusammenarbeit zwischen kirchlichen Organisationen, die für Unterkunft und Verpflegung sorgen, und dem italienischen Außenministerium, das die Visa ausstellt, ins Leben gerufen. Die ankommenden Menschen – Kinder, Familien, darunter auch viele Kriegsverletzte – wurden auf dem römischen Flughafen Fiumicino von Außenminister Paolo Gentiloni persönlich begrüßt. „Humanitäre Korridore“ seien nicht die Lösung für die Flüchtlingskrise, aber sie seien „ein Teil der Antwort“, sagte der Minister und forderte: „Um diese Krise zu meistern, brauchen wir jetzt keine neuen Mauern und Zäune.“ Er erhofft sich von der humanitären Aktion eine „ansteckende Botschaft“, damit auch andere Länder Flüchtlinge direkt aufnehmen.

Taube Ohren
Das stößt in Österreich auf taube Ohren. Hier verfolgt die Regierung einen rigiden Kurs der Grenzschließung und führte von der EU scharf kritisierte Flüchtlingsobergrenzen ein. Der damit gezielt provozierte Dominoeffekt der Grenzschließungen entlang der Balkanroute hat katastrophale Folgen. Im griechischen Flüchtlingslager Idomeni mit Zehntausenden Menschen droht eine humanitäre Katastrophe.

Linktipps:
Demokratieindex 2015:
tinyurl.com/hx8erc7
Interview mit Abbas Khider:
tinyurl.com/zbz2n3z

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin u. a. für die Tageszeitung "Kurier" Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415728 In Algerien, Marokko, Ägypten oder Libyen erschweren Repression, Korruption, Willkür und Stagnation den Alltag. Und doch werden MigrantInnen aus diesen Ländern von manchen nicht als Flüchtlinge angesehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415742 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 14 Apr 2016 00:00:00 +0200 1459994415415 Viele unbekannte Größen Zur Person
Julia Bock-Schappelwein
ist Arbeitsmarktexpertin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Die Volkswirtin begann im Jahr 2000 als Projektmitarbeiterin im WIFO, wo sie für die Themen Arbeitsmarkt, Bildung und Migration zuständig war. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin war sie an zahlreichen Studien zum österreichischen Arbeitsmarkt, zum Arbeitsmarktzugang von Asylsuchenden sowie zur Gleichstellung der Geschlechter beteiligt. Aktuell beschäftigt sie sich mit dem technologischen Wandel und dessen Auswirkungen auf das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt sowie die Arbeitsbedingungen.

 

Arbeit&Wirtschaft: Laut der letzten Arbeitsmarktdaten steigt die Arbeitslosigkeit vor allem bei den Flüchtlingen. Woher kommt das?

Julia Bock-Schappelwein: Wenn Sie anerkannter Flüchtling sind bzw. subsidiär schutzberechtigt, arbeitsfähig und Mindestsicherung beantragen, dann müssen Sie sich beim AMS als arbeitslos melden. Im Jahresdurchschnitt 2015 waren rund 17.000 anerkannte Flüchtlinge bzw. subsidiär schutzberechtigte Personen als „arbeitslos“ oder „in Schulung“ registriert. Jetzt sind es ungefähr 22.700. Im Vergleich zum März des Vorjahres haben wir einen Anstieg um 7.600. Man findet also zunehmend die anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten in der Statistik. Das AMS nimmt an, dass diese Zahl heuer noch ungefähr um 30.000 ansteigen wird. Dafür ist die Verfahrensdauer zentral. Im Moment sagt man, dass diese ungefähr sechs bis neun Monate dauert – und es gibt einen Rückstau von 60.000 Anträgen noch aus dem Jahr 2015.
Wenn man sich anschaut, wann diese starke Zuwanderungswelle gekommen ist: Zwar sind voriges Jahr von Anfang an viele Flüchtlinge gekommen, aber im September und Oktober hat sich das noch einmal dynamisiert. Wenn Sie jetzt also die sechs Monate dazurechnen, braucht es noch eine Zeit, bis sich auch das in der Statistik niederschlägt. Es ist damit zu rechnen, dass dieser Anstieg in der zweiten Jahreshälfte noch zunehmen wird.
In den Jahren vor 2014 sind rund 10.000 Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Das war eine vergleichsweise geringe Zahl. Zwar hat es schon in der Vergangenheit immer wieder Peaks gegeben, aber nicht in der Größenordnung. Der letzte Peak war in den Jahren 2001 und 2002 bei der Afghanistan-Krise, damals haben wir knapp 40.000 Anträge gehabt. Das ist also nicht vergleichbar mit der gegenwärtigen Situation.

Es wird argumentiert, das große Problem sei, dass der Arbeitsmarkt ohnehin angespannt ist. Gab es Versäumnisse?

Man muss einmal ganz klar sagen, dass Flüchtlingsmigration eine ganz spezifische Art von einer Wanderungsbewegung ist. Das passiert sehr schnell und ist von der geopolitischen Situation abhängig. Wenn wir voriges Jahr zur gleichen Zeit hier gesessen wären, hätten wir sicher über ein anderes Thema gesprochen. Dazu kommt, dass sich auch die Zusammensetzung zunehmend verändert hat. Die nächste Herausforderung besteht darin, dass wir die Zielgruppe von möglichen Maßnahmen nicht wirklich kennen, vor allem die SyrerInnen. Noch dazu haben diese keine Netzwerke in Österreich – und das ist das Essenzielle für die Arbeitsmarktintegration. Wir dürfen auch nicht den Fehler machen, die jetzige Situation mit der Migrationswelle während des Jugoslawien-Krieges zu vergleichen: Die hatten existierende Netzwerke, und das ist der springende Punkt.
Dazu kommt die regionale Komponente. Man weiß, dass Männer und Frauen in unterschiedlichen Bereichen ihre Einstiegsbranchen haben. Wenn nun in Wien sehr viele auf einen Job warten und es einen hohen Anteil an Dienstleistungen gibt und nur einen kleinen Produktionsbereich, ist davon auszugehen, dass es für Männer besonders schwierig sein wird, Fuß zu fassen.

Apropos: Wie sieht denn eigentlich die Qualifizierungsstruktur der Flüchtlinge aus?

Es kommt drauf an: Die Ergebnisse des Kompetenzchecks für Wien zeigen, auch wenn sie nicht repräsentativ sind, eine große Differenzierung zwischen den Gruppen auf. Man muss sich etwa dessen bewusst sein, dass die Altersstruktur ein wesentliches Kriterium ist, wie Menschen am Arbeitsmarkt Fuß fassen. Der Großteil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Alter zwischen 14 und 18 Jahren kommt aus Afghanistan. Nun wissen wir aus der Vergangenheit, dass diejenigen, die im Alter zwischen 15 und 19 nach Österreich gekommen sind, diejenigen sind, die die größten Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben. Warum? Die können de facto nicht mehr haben als einen Pflichtschulabschluss, weil sich das ja von der Schulkarriere gar nicht ausgeht. Sie sind also an der Schnittstelle von der Pflichtschulausbildung. Gleichzeitig haben sie noch nicht die Möglichkeit, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Ein weiteres Kriterium ist die Zusammensetzung nach Geschlecht: Man hat gesehen, dass in zunehmendem Maße Familien gekommen sind, vor allem bei den SyrerInnen. Deren Qualifikationsstruktur wiederum ist eher bipolar: Auf der einen Seite gibt es vergleichsweise viele, die höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, aber auf der anderen Seite viele mit einer akademischen Ausbildung – viele haben wahrscheinlich die akademische Ausbildung im Herkunftsland begonnen und mussten dann flüchten.
Das Nächste, was man ansprechen muss: Wir wissen durch Studien etwas über die letzten zehn Jahre, aber können immer noch nichts über die letzte Gruppe an Flüchtlingen sagen. Deswegen halte ich die Kompetenzchecks für einen wichtigen Schritt, um zu Informationen darüber zu kommen, wer die Personen sind und wie sie sich zusammensetzen.

Eine Kritik der AK lautet, dass während jener Zeit, in der die Menschen auf den Asylbescheid warten, beispielsweise keine Deutschkurse vorgesehen sind. Wie sehen Sie das?

Es ist wichtig, dass sie ehest baldig mit Sprachkursen beginnen. Bei der Arbeitsmarktintegration ist die Möglichkeit der sprachlichen Qualifikation zentral und für diese spezifische Gruppe sogar relevanter als beispielsweise für ArbeitsmigrantInnen.
Wenn ich mir die aktuellen Arbeitsmarktdaten ansehe: Wir haben wieder einen deutlichen Beschäftigungszuwachs, vor allem im Dienstleistungssektor. Dort ist die Sprache ein zentrales Element auch für Geringqualifizierte, und zwar egal in welchem Bereich, auch in der Reinigung oder gerade dort. Wenn Sie in einer Reinigungsfirma arbeiten: Sie müssen mit den Leuten in den Unternehmen kommunizieren können, Sie müssen lesen können, wofür die verschiedenen Mittel verwendet werden. Im Produktionssektor ist das anders.
Zudem müsste man den Druck aus dem gering qualifizierten Arbeitsmarkt herausnehmen. Es gibt zwar eine bestimmte Zahl an gering qualifizierten Tätigkeiten, aber diese werden zunehmend durch andere Qualifikationen ersetzt. Es wäre also wichtig zu schauen, welche Qualifikationen Flüchtlinge in Österreich haben. Wenn man ausbildungsadäquater beschäftigt, würde ich meinen, dass man den Druck ein bisschen herausnehmen kann.

Für Asylwerbende ist der Zugang zum Arbeitsmarkt eingeschränkt. Was halten Sie davon?

Jetzt ist die rechtliche Regelung so, dass es drei Monate ab Zulassung zum Asylverfahren eine Arbeitsmarktprüfung gibt und sie gegenwärtig in den Saisonbranchen arbeiten dürfen. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, eine Phase zu haben zwischen Zulassung und Möglichkeit des Zugangs. Unsere Position ist außerdem, dass es wichtig ist, die Arbeitsmarktprüfung beizubehalten, also dass Sie ein Regulativ haben. Aber uns wäre wichtig, dass die Beschränkung auf die Saisonbranchen und die Saisonbeschäftigung fällt und dass man die Beschäftigung für alle Branchen öffnet.
In unserer Studie sagen wir auch: Es ist von der regionalen Verteilung abhängig. Denn die Kontingentbewilligung bekommt man ja nur in der Land- und Forstwirtschaft und im Tourismus. Wenn Sie jetzt aber in einer bestimmten Region sind und dort braucht nun ein Handwerksbetrieb jemanden, hat der keine Chance, einen Flüchtling aufzunehmen.

Und es könnte auch für die regionale Wirtschaft von Vorteil sein.

Das schon, wobei man schon die individuelle Familienkonstruktion berücksichtigen muss. Wenn ich alleinstehend bin, ist das wahrscheinlich leichter zu organisieren, als wenn ich zum Beispiel schon Familie habe und mein Kind in einer Schule integriert ist – da würde ich meinen, dass es einen anderen Weg braucht. Aber für Alleinstehende würde ich meinen, dass das schon vorstellbar wäre.

Was sagen Sie zu dem Argument, der österreichische Arbeitsmarkt sei durch Migration sowie GrenzgängerInnen ohnehin schon angespannt, weshalb ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge schwierig sei. Wie sehen Sie das?

In der Ostregion arbeiten natürlich PendlerInnen aus den osteuropäischen Staaten. Aber da ist natürlich die Frage: In welchen Bereichen würden anerkannte Flüchtlinge Beschäftigungsmöglichkeiten finden, sind das ähnliche Bereiche oder andere? Ich weiß nicht, ob sie vergleichbar sind mit anderen Gruppen von MigrantInnen.
Gerade mit der letzten Gruppe, die nach Österreich angekommen ist, wissen wir einfach nicht, wie die Arbeitsmarktintegration funktionieren wird.

Was halten Sie von der Rechnung: eingeschränkter Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen heißt weniger Arbeitslosigkeit von ÖsterreicherInnen?

Nein, denn es gibt ja eh die Arbeitsmarktprüfung als Regulativ.

Auch könnte man fragen, wie sinnvoll es ist, auf die Erfahrungen und Qualifikationen von Asylwerbenden so gar keine Rücksicht zu nehmen und sie nur in den angesprochenen zwei Branchen zu beschäftigen.

Deswegen: aktiv nutzen und vor allem auch ehestmöglich ansetzen. Bei den Jugendlichen sollte man schauen, dass sie eine über die Pflichtschule hinausgehende Erstausbildung bekommen. Natürlich sollte man die Kinder nicht vergessen: dass sie im Bildungssystem adäquat Fuß fassen können, vor allem die schulpflichtigen Kinder.

Im Moment scheint man beim Thema Integration fast ein bisschen übereifrig zu sein, um nur ja nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Erwartet man sich zu viel?

Integration dauert: Sie müssen die Sprache erlernen, sie müssen Fuß fassen am Arbeitsmarkt. Und man sieht es von den Erfahrungen aus anderen Ländern: Das dauert!

Noch einmal zum Thema Netzwerke: Wurde deren Bedeutung beim Thema Integration bisher zu wenig berücksichtigt?

Das konnte man in der Vergangenheit auch zwischen der ersten und zweiten Generation MigrantInnen sehen. Die erste Generation hat in den stagnierenden Branchen Beschäftigung gefunden, und da sind auf einmal die Arbeitsplätze weggebrochen. Und die Kinder? Früher war es ja so, dass in der Umgebung gefragt wurde: „Du, ich habe ein Kind, das hat die Ausbildung gerade abgeschlossen. Wie schaut’s aus, kann das im Unternehmen anfangen?“ Das war der erste Schritt. Wenn das aber fehlt, dann ist es enorm schwierig, sich neu zu orientieren. Weil wenn sie auch Konzentrationen in bestimmten Branchen haben, wenn ich also das Umfeld nicht habe und somit auch nicht die Möglichkeit habe, jemanden übers Umfeld zu fragen: Kennst du jemanden? Dann wird es um das deutlich schwieriger.

Ist der österreichische Arbeitsmarkt vielleicht doch noch zu traditionell geprägt und zu wenig offen?

Nein, nein! Wir sind eine offene Volkswirtschaft! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen nach Österreich einpendeln.
Wir sind zunehmend ein Land, das eine sehr heterogene Zusammensetzung hat. Schauen Sie sich an, wie viele Zuzüge wir pro Jahr haben, wie viele Wegzüge. Es gibt nicht mehr die stabilen Größen. Oder Sie haben die PendlerInnen, Sie haben eine zunehmend andere Zusammensetzung der Arbeitskräfte, eine größere Heterogenität.
Früher hat man immer gesagt, dass der österreichische Arbeitsmarkt bipolar ist. Zum Beispiel galt: Die EU-15-Arbeitskräfte sind stärker im hoch qualifizierten Bereich und die Arbeitskräfte aus den ehemaligen Gastarbeiterregionen Türkei, Jugoslawien im unteren Qualifikationsbereich. Auch das wird zunehmend differenzierter, denn jetzt kommt in der Mitte sehr viel hinzu. Es gibt eben nicht mehr dieses klare Bild, ganz im Gegenteil! Die österreichische Bevölkerung, die österreichischen Arbeitskräfte sind in der Zusammensetzung zunehmend diversifizierter.

Das macht es natürlich unübersichtlicher.

Es ist unübersichtlich, aber das ist so. Das ist die Gegenwart. Es gibt nicht mehr das klare Bild. Und es ist nicht mehr schwarz-weiß, sondern es gibt sehr viele Grauschattierungen dazwischen. Und natürlich macht das auch alles rundherum vergleichsweise schwieriger.
Wenn Sie sich beispielsweise anschauen, welche unterschiedlichen Gruppen von MigrantInnen es gibt: ArbeitsmigrantInnen, PendlerInnen, BildungsmigrantInnen, also die aus Bildungszwecken nach Österreich kommen, Personen, die aus familiären Gründen nach Österreich gekommen sind – Familienzusammenführung, -nachzug oder Menschen, die als Kind nach Österreich gekommen sind –, und Asylmigration.
Wenn man sich diese fünf Gründe anschaut, dann haben die Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Was ist bei den ArbeitsmigrantInnen und vor allem bei PendlerInnen relevant? Das große Thema des ÖGB: Lohn- und Sozialdumping, sprich dass die KVs eingehalten werden. Anders ist es für jene, die hier niedergelassen sind, denn für sie ist wahrscheinlich die Anerkennung der formalen Qualifikation ein großes Thema. Das Bildungssystem ist das Thema der zweiten Generation und der Integration der Flüchtlinge.
Und dann Soziales: Darüber haben wir überhaupt noch nicht gesprochen. Wie schaut’s aus mit Altern in der Fremde? Im Pflegebereich sprechen wir immer nur über die Pflegekräfte. Aber wir haben die erste Gastarbeitergeneration Ende der 1960er, Anfang der 1970er-Jahre gehabt, also man wird erstmals alt in der Fremde. Was heißt das für die Krankenversorgung, gerade in Wien? Was heißt das für die Infrastruktur? Wie gehe ich mit einer diverser werdenden Bevölkerung um? Das sind sehr viele Dinge, die zunehmend eine Herausforderung darstellen werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 3/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1459994415403 Neben Sprachkenntnissen sind Netzwerke essenziell für die Arbeitsmarktintegration von Menschen, und zwar egal welcher Herkunft, hält Julia Bock-Schappelwein fest. Eben diese Netzwerke fehlen vielen der nun neu ankommenden Flüchtlinge. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827666 "Nicht zuletzt" ... Denn gute Arbeit ist zumutbar! Damit würden Arbeitslose aus der Arbeitslosigkeit geholt und in Beschäftigung gebracht – so lautet die zweifelhafte Begründung. In Erinnerung ist noch der Sager des WKÖ-Präsidenten Christoph Leitl, der meinte: „Wäre ich arbeitslos, würde ich gern was annehmen, allein wegen des Sinnerlebnisses in meinem Leben.“

Lohndruck verhindern

Nun ist es allerdings so, dass viele ArbeitnehmerInnen dazu gezwungen sind, arbeiten zu gehen – und zwar nicht wegen des Sinnerlebnisses, sondern zu ihrer Existenzsicherung. Genau aus diesem Grund gibt es die gesetzliche Arbeitslosenversicherung mit dem Ziel, einerseits die Existenz in der Arbeitslosigkeit zu sichern. Andererseits soll so Lohndruck verhindert werden, damit Arbeitslose ihre Arbeit nicht aus wirtschaftlicher Not zu allen beliebigen Bedingungen verkaufen müssen.
Die geltenden Regeln sollen eine Einzelfallgerechtigkeit gewährleisten sowie den Druck auf Arbeitsrechtsstandards und Löhne verhindern. Zugleich muten diese Regeln den Arbeitslosen schon jetzt Eigenanstrengungen zur möglichst raschen Wiedererlangung einer Arbeit zu, um die Versicherungsgemeinschaft (BeitragszahlerInnen) nicht mehr als erforderlich zu beanspruchen. Wer Vollzeit arbeitet, soll auch davon leben können: Dieser wichtige Grundsatz wird offenbar zunehmend ignoriert.
Die immer wieder ins Spiel gebrachten Zumutbarkeitsdebatten verfolgen den Zweck, von den wahren Ursachen der Arbeitslosigkeit abzulenken, um Sozialleistungskürzungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu befördern. Die ExpertInnen sind sich einig: Strengere Zumutbarkeitsregeln und Leistungskürzungen würden die Arbeitslosenzahlen nicht verringern. Vielmehr braucht es dringend (wirtschaftspolitische) Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit – nicht gegen die Arbeitslosen. Denn die Hauptursache von Arbeitslosigkeit liegt im schwachen Wirtschaftswachstum. Im Februar 2016 gab es 35.800 offene Stellen – diesen standen 405.722 Arbeitssuchende gegenüber. Anders ausgedrückt ergibt das 11,3 Arbeitssuchende auf eine offene Stelle.
Ein Beispiel, um zu illustrieren, wie wenig die hohen Arbeitslosenzahlen am mangelnden Willen der Arbeitslosen liegen: Das AMS in Ostösterreich hat große Probleme, neue Stellen zu akquirieren, weil viele Betriebe lieber die PendlerInnen aus den Nachbarländern einstellen, die sich direkt im Betrieb melden. Die Forderung nach einer Verschärfung der Zumutbarkeit ist also nichts anderes als eine Zumutung für jene Menschen, die sich ehrlich darum bemühen, einen neuen Job zu finden.
Jenen wiederum, die solches fordern, kann zugemutet werden, Vorschläge vorzulegen, wie die Konjunktur weiter angekurbelt und damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. In der Hinsicht sind sie allerdings erstaunlich still. Auch ist es zumutbar, dass man sich auf europäischer Ebene Gedanken macht, wie die Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen nicht länger dazu missbraucht wird, um Lohn- und Sozialdumping zu betreiben und somit die Wettbewerbsgleichheit auszuhebeln.

Mindestlöhne erhöhen

Zugleich sollte man auch einen Blick auf jene Zumutungen werfen, denen ArbeitnehmerInnen im Arbeitsleben ausgesetzt sind. So ist es eine Zumutung, wenn der Druck auf die ArbeitnehmerInnen immer mehr steigt – und sie dafür noch einmal bestraft werden sollen, indem man bei den Pensionen die Schraube ansetzt.
Finanzminister Hans-Jörg Schelling meinte im Sommer 2015: „Es ist manchmal schwer, Leute zu vermitteln, weil das Arbeitseinkommen gegenüber dem Arbeitsloseneinkommen zu gering ist.“ Ja, da hat er recht: Es braucht eine Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne. Denn gute Arbeit ist zumutbar!

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Alice Kundtner, Vizedirektorin der Arbeiterkammer, Leiterin des Bereichs Soziales Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827661 Frisch gebloggt In voller Länge finden Sie diese sowie jede Menge anderer aktueller Debattenbeiträge zum Nachlesen auf blog.arbeit-wirtschaft.at.

Webtipps der Woche

Wir legen ihnen diese vier Beiträge besonders ans Herz:

  • Deutsches Lohndumping (Ulrike Herrmann)
  • Grotesker Reichtum, konstruierte Knappheit (Bettina Csoka)
  • Industrie 4.0 – Jobmaschine oder Jobvernichterin? (Enzo Weber)
  • Wer wird LehrerIn? Die soziale Herkunft von Lehramtsstudierenden an Universitäten und PH (Iris Schwarzenbacher)

Deutsches Lohndumping
Die deutsche Ökonomin und Bestsellerautorin Ulrike Herrmann erklärt in ihrem Blogbeitrag anschaulich, warum die deutsche Strategie des Lohndumpings für andere EU-Staaten, darunter auch Österreich, ruinös war und ist. Österreich und andere Länder sind Opfer eines Wirtschaftskriegs geworden, den Deutschland bewusst angezettelt hat.
Die Deutschen haben in den letzten 15 Jahren Lohndumping betrieben und die Arbeitskosten gezielt gesenkt, um auf den Auslandsmärkten zu expandieren. Die Euro-Einführung machte diese Strategie möglich. Herrmann plädiert dafür, dass sich andere EU-Länder gegen den Wirtschaftsnationalismus aus Deutschland auflehnen und nicht blind deutsche Reformen und Strategien kopieren. Denn selbst wenn Österreich oder Frankreich die Reformen bis ins kleinste Detail kopieren würden, hätten sie ökonomisch keine Chance mehr aufzuholen. tinyurl.com/zmjzmzx

Grotesker Reichtum
Bereits Ende Jänner – genauer gesagt am 26. Jänner 2016 – haben die Vermögendsten in Österreich so viel Wertzuwachs erwirtschaftet, wie die von AK und ÖGB geforderte Reichensteuer ausmachen würde, nämlich zwei Milliarden Euro. Bettina Csoka, Ökonomin in der Arbeiterkammer Oberösterreich, weist auch auf die zunehmende globale Schieflage zwischen Einkommen und angehäuftem Vermögen hin. Und die Prognosen sind trist: Wenn man nichts ändert, wird diese Schieflage rasch weiter zunehmen. Und in Österreich? Hierzulande diskutiert man darüber, wie man bei den Ärmsten kürzen kann – bei der Mindestsicherung oder bei den Flüchtlingen, die Bevölkerung soll sich um die letzten „Krümel“ des Wohlstands streiten. Grotesk angesichts des angehäuften Reichtums in Österreich und der Steuervermeidungsstrategien multinationaler Konzerne in der EU. tinyurl.com/zgojzyl

Industrie 4.0 und Jobs
Schreckensszenarien begleiten ja die Berichterstattung zur vierten industriellen Revolution und der Digitalisierung der Wirtschaft – Hunderttausende Menschen werden ihre Jobs verlieren. Doch das Thema erfordert eine seriöse Betrachtung, und die ermöglicht eine neue Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Enzo Weber, Researcher am IAB in Deutschland, fasst die wesentlichen Ergebnisse am Blog zusammen: Es werden Jobs entstehen und Jobs vernichtet, in Summe wird sich das jedoch die Waage halten. Aber es entstehen neue Berufe und die Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskräften wird weiter zurückgehen. Hier kommt der Bildung und Weiterbildung eine zentrale Rolle zu. Man müsse die Weichen in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik rasch stellen, fordert der Ökonom. tinyurl.com/zzeobu2

Wer wird Lehrerin?
MigrantInnen sind unterdurchschnittlich in Lehramtsstudien an Unis oder Pädagogischen Hochschulen (PH) vertreten, Frauen befinden sich überdurchschnittlich oft in einer LehrerInnen-Ausbildung. Iris Schwarzenbacher hat in der Analyse einer Sonderauswertung der Studierendenerhebung zudem gezeigt, dass Studierende an Pädagogischen Hochschulen sozial breiter durchmischt sind, d. h. sie vermehrt aus Haushalten kommen, wo die Eltern maximal einen Pflichtschulabschluss aufweisen. Sie sind im Schnitt auch zehn Jahre älter als Uni-Lehramtsstudierende.
Die neue gemeinsame PädagogInnenbildung, die ab Herbst 2016 flächendeckend eingeführt sein soll, kann und sollte als Chance genutzt werden: Sie muss die Vorteile der Ausbildung an der Uni (z. B. breite wissenschaftliche Ausbildung) und jene der PHs (z. B. soziale Durchmischung und Praxisbezug in der Ausbildung) vereinen. Sollte das nicht gelingen, droht der Zugang zur LehrerInnen-Ausbildung sozial selektiver zu werden. Die Umstellung der Ausbildung muss auch aktiv dafür genutzt werden, damit MigrantInnen vermehrt einen Lehrberuf ergreifen möchten und können. tinyurl.com/hmh5zfn

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Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827637 Instrument Wirtschaftsgespräch In Österreich haben BetriebsrätInnen einen Anspruch darauf, mit der Geschäftsleitung über die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens zu sprechen und zu diskutieren. Dieses Recht ist sogar im Arbeitsverfassungsgesetz verankert.

Von Informationen profitieren

Der Betriebsrat „genießt“ besondere Informations-, Interventions- und Beratungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Dabei umfasst das allgemeine Informationsrecht der BelegschaftsvertreterInnen alle Aspekte, die die Interessen der ArbeitnehmerInnen betreffen – sei es wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher oder kultureller Natur. Daher sind aufgrund des Beratungsrechtes zumindest vierteljährlich Beratungen mit der Geschäftsleitung durchzuführen, diese ist laut Gesetz dazu verpflichtet, den Betriebsrat über wichtige Angelegenheiten zu informieren. Das sogenannte Wirtschaftsgespräch gilt als eines der wichtigsten Instrumente, die den BetriebsrätInnen zur Verfügung stehen, um die Interessen der Belegschaft im Betrieb durchzusetzen. Von einem gut geführten Wirtschaftsgespräch profitiert gleich die ganze Belegschaft, die einen zusätzlichen Blick in das Innere des Unternehmens gewinnen kann.

Vorbereitung und Nerven

Wirtschaftsgespräche mit der Geschäftsleitung zu führen fordert von BetriebsrätInnen viel Vorbereitung und Nerven. Sie stellen für viele eine große Herausforderung dar, denn wenn die Beziehung zur Geschäftsleitung nicht die Beste ist oder das wirtschaftliche Fachwissen fehlt, begibt man sich nicht nur auf ein unsicheres, sondern auch gefährliches Terrain.
Um BelegschaftsvertreterInnen zu unterstützen, hat die SOZAK im Rahmen der Projektgruppen das Wirtschaftsgespräch zum Thema gemacht und die TeilnehmerInnen aufgefordert, sich mit diesem Instrument intensiv auseinanderzusetzen. BetriebsrätInnen wird somit eine Hilfestellung für Fragen angeboten wie: Wo kann ich mir als BelegschaftsvertreterIn Hilfe und Unterstützung holen? Was muss ich bei der Vorbereitung für ein Wirtschaftsgespräch beachten? Wie gehe ich das Gespräch an? Wie kann ich das Gespräch führen? Wie sieht die Nacharbeit aus?
Ali Dogan, Karl Orthaber, Mario Schmidt, Patrick Christian Bauer und Peter Marchsteiner beschäftigten sich einige Monate mit dem Wirtschaftsgespräch. Das „hilfreiche“ Ergebnis ist die Broschüre „Machtinstrument Wirtschaftsgespräch“, die Fragen beantwortet, Unsicherheiten nehmen will und als Hilfestellung für das Gespräch dienen soll. Es werden sogar Muster für das Gespräch als Leitfaden bereitgestellt sowie ein Überblick über die grundlegendsten Informationen über Gesetze und Wirtschaft.

Wissen ist Macht

Eine gründliche Vorbereitung ist schon einmal die halbe Miete für ein gelungenes Wirtschaftsgespräch. Hierfür haben die SOZAK-TeilnehmerInnen eine Checkliste erarbeitet, die in der Planungsphase zur Orientierung herangezogen werden kann. Idealerweise beginnt man bereits einen Monat vor dem Gespräch, Informationen wie Rechnungen, Statistiken, Hintergrundinfos, Studien etc. zu sammeln, Unterlagen anzufordern und gegebenenfalls die zuständige Gewerkschaft oder Arbeiterkammer zurate zu ziehen. Die AK kann zum Beispiel bei der Analyse der Bilanz behilflich sein.
Nach dieser Phase wäre es ratsam, eine Betriebsratssitzung abzuhalten, um im Vorfeld die wichtigsten Fragen zu erläutern und Rahmenbedingungen abzustecken. Wenn es klar ist, in welche Richtung das Wirtschaftsgespräch geht, welche Themen behandelt und welche Probleme angesprochen werden sollen, gehört es sich, eine Agenda für das Gespräch zu erstellen und diese der Geschäftsleitung im Vorhinein zu übermitteln.

Kommunikation als Vorbereitung

Im Leitfaden „Machtinstrument Wirtschaftsgespräch“ geben die fünf Autoren wertvolle Tipps zur optimalen Vorbereitung, Gesprächsführung und -aufarbeitung. So raten sie, in der Vorbereitungsphase ExpertInnen einzubinden. Dies ermöglicht nicht nur einen besseren Ein- und Überblick über die Situation der ArbeitnehmerInnen im Unternehmen, sondern spricht den BetriebsrätInnen ganz nach dem Motto „Wissen ist Macht“ mehr Kompetenz im Gespräch zu. Auch die KollegInnen des Betriebsratsgremiums müssen rechtzeitig ins Boot geholt werden, bestenfalls sollte eine Sitzung vor und eine nach dem Gespräch einberufen werden. So haben die BetriebsrätInnen die Möglichkeit, Fragen und Forderungen zu stellen, die dann im Reflexionsgespräch noch einmal angesprochen und beantwortet werden können. Genauso wichtig ist es, die ArbeitnehmerInnen zu berücksichtigen, sie laufend über die Situation und Geschehnisse im Betrieb zu informieren, aber auch ihr Feedback, Meinungen, Stimmungsbilder und ihre Expertise einzuholen. Die Autoren raten zu simplen Gesprächen mit einzelnen KollegInnen, in denen sich „Erfahrungen mit Ängsten und Gerüchten vermischen“. Diese soll der Betriebsrat aufgreifen, sammeln und im Wirtschaftsgespräch als Fragen anwenden.
Drei Punkte sind wesentlich für ein gutes Wirtschaftsgespräch: Geschäftsleitungen übernehmen gut und gerne die Führung des Gesprächs, BetriebsrätInnen haben oft wenig oder kaum die Chance, zu Wort zu kommen. Dies kann man unterbinden, indem man mit sachlichen Zwischenfragen sanft unterbricht. Oft greifen Geschäftsführer Themen auf, in denen oft kein unmittelbarer Zusammenhang zur Belegschaft zu stehen scheint oder die Konsequenzen für diese nicht sofort erkennbar sind. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte der Betriebsrat immer wieder detailliert nachfragen.
Die Autoren empfehlen zudem, dass immer zwei BetriebsrätInnen zusätzlich anwesend sind, von denen einer stets ein schriftliches Protokoll führt. Dies signalisiert, dass der/die Betriebsrat/-rätin das Gespräch nicht nur ernst nimmt, sondern auch kontrolliert. Die Protokolle erleichtern auch das Vergleichen der Aussagen der Geschäftsleitung mit den wirtschaftlichen Berichten des Unternehmens. Zudem werden im Protokoll Übereinkünfte und Zugeständnisse seitens der Geschäftsführung schriftlich festgehalten. Sollten diese nicht umgesetzt werden, kann dies beim nächsten Wirtschaftsgespräch thematisiert werden. Nicht zuletzt spielt wie bei jedem wichtigen Gespräch das korrekte Auftreten eine wesentliche Rolle. Die richtige Wortwahl und gutes Zuhören mit Know-how und Hintergrundwissen attestieren Professionalität, so erwirbt man sich nicht nur von der Geschäftsleitung Respekt.

Reflektieren und informieren

Permanente Follow-ups nach Gesprächen sind ebenfalls unerlässlich. Jedes Wirtschaftsgespräch sollte innerhalb des Betriebsratsgremiums reflektiert und zudem der Status quo präsentiert werden, um noch vorzeitig Maßnahmen oder notwendige Strategien zu entwickeln. Hier können die BetriebsrätInnen auch immer auf die Unterstützung von Gewerkschaften und Arbeiterkammer zurückgreifen. Neben der Reflexion ist die Kommunikation zu den MitarbeiterInnen eine weitere wichtige Aufgabe, die der Betriebsrat wahrnehmen muss. Die Belegschaft sollte stets transparent über die laufenden Vorgänge informiert werden, sei es über E-Mail-Gruppen oder Betriebsversammlungen, einen Aushang am Schwarzen Brett oder in persönlichen Gesprächen.

Offene Gesprächskultur notwendig

Wirtschaftsgespräche können sich – je nach Verhältnis des Betriebsratkörpers zur Geschäftsleitung – als große Herausforderung erweisen. Schwierig wird es, wenn Unternehmen den BetriebsrätInnen nicht positiv gesinnt sind und über die wirtschaftliche Entwicklung nur wenig oder widerwillig Auskunft geben. Davon sollen BetriebsrätInnen sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Durch permanente Einforderungen der Wirtschaftsgespräche durch die BetriebsrätInnen kann die Geschäftsleitung erkennen, dass diese Gespräche mit der Belegschaftsvertretung unverzichtbar sind. So können – und sollen – Wirtschaftsgespräche ein Teil der Unternehmenskultur werden.

Linktipp:
Die AbsolventInnenplattform:
tinyurl.com/zoow92w

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827650 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827604 Das Rennen in den Abgrund Das österreichische Sozialsystem als „allerletztes Auffangnetz“, das „nicht zu einer generellen Option“ werden dürfe. „Das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet Zumutbarkeit“, erklärte im Februar 2015 der Tiroler Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer. „Einerseits müssen die Zahlungen den Leistungsträgern zumutbar sein. Andererseits kann den Empfängern zugemutet werden, alles zu unternehmen, um bei nächster Gelegenheit wieder aus dem System auszusteigen. Dazu gehören unter anderem die sogenannten Zumutbarkeitsbestimmungen bei der Annahme von Arbeitsangeboten.“ Dies ist nur eine von vielen Stimmen von Wirtschaftsseite, die sich für die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen aussprechen.

Verkürzt

Es wäre verkürzt, würde man meinen, dass es sich um eine österreichische Debatte handelt. Vielmehr lassen sich Vorstöße wie diese in einen größeren Kontext einordnen: Es ist eine klassische Forderung nach Errichtung eines „Workfare“-Regimes. Workfare ist ein sozialstaatliches Konzept, das sich in Europa während der letzten 20 Jahre immer weiter ausgebreitet hat.
Als absoluter europäischer Vorreiter gilt Großbritannien, aber auch skandinavische Staaten wie Schweden und Norwegen, die traditionell als Paradebeispiele sozialpartnerschaftlicher Sozialpolitik angesehen werden – doch damit ist es schon lange vorbei.

Workfare und die Pflicht zur Arbeit

Workfare bedeutet, dass Sozialleistungen und Arbeitslosenunterstützung kein Grundrecht mehr für alle in einem Land lebenden Menschen sind. Stattdessen wird staatliche Hilfe zu einem „Privileg“ umgedeutet. Entsprechend haben sich die Menschen anzustrengen, um es „genießen“ zu können. Das Motto ist: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Und man soll jede Arbeit annehmen, egal ob sie schlechter bezahlt ist als der vorherige Job, egal ob man dafür über- oder unterqualifiziert ist, egal ob man dafür in eine andere Region ziehen muss.
In Norwegen wurde das Recht auf Sozialhilfen schon in den frühen 1990er-Jahren mit dem „Recht und der Pflicht auf Arbeit“ verknüpft. Seit 1998 sind Arbeitslose verpflichtet, jede Arbeit in jedem Landesteil Norwegens anzunehmen, die ihnen vermittelt wird. Gleichzeitig wurden Programme eingeführt, die Arbeitslose zur Arbeit in staatlichen Programmen verpflichten. Gezahlt wird nur der niedrigste Sozialhilfesatz, der auf jeden Fall niedriger ist als ein etwaiger kollektivvertraglicher Lohn. So sollen Arbeitslose beweisen, „ernsthafte Arbeitssuchende zu sein“.
In Dänemark gab es in den 1980er-Jahren noch einen unbefristeten Anspruch auf Arbeitslosengeld. Voraussetzung war aber die Teilnahme an regelmäßigen Fortbildungskursen. In den 1990er-Jahren wurde dieser Anspruch schrittweise eingeengt. Hatten Arbeitslose zunächst noch sieben Jahre Anspruch auf Arbeitslosengeld, sank diese Zahl bis 1998 auf nur mehr vier Jahre. Innerhalb dieser vier Jahre muss man drei Jahre für „obligatorische Vollzeitaktivierung“ zur Verfügung stehen. Jugendliche unter einem Alter von 25 Jahren müssen nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit an Ausbildungs- und Trainingsmaßnahmen teilnehmen. Allen, die sich solcher „Aktivierung“ verweigern, wird die Sozialhilfe um 20 Prozent gekürzt.
Auch in Schweden müssen Arbeitslose seit 1998 verpflichtend an Arbeitsmaßnahmen in ihren Gemeinden teilnehmen. Als „Lohn“ gibt es nur die niedrigste Stufe der schwedischen Sozialhilfe. Die Gemeinden kommen so an billige Arbeitskräfte und können kollektivvertraglich bezahlte Jobs einsparen. Wer sich weigert, mitzumachen, wird mit dem Entzug von Beihilfen bestraft.

Minderheit arbeitslosenversichert

Eine schwedische Besonderheit ist die gewerkschaftliche Verantwortung für die Arbeitslosenversicherung. 2007 zwang der Staat diese zur Erhöhung der Beiträge. Besonders stark wurden die ArbeitnehmerInnenbeiträge für die Sozialversicherung ausgerechnet in jenen Berufsgruppen erhöht, in denen die Arbeitslosigkeit am drastischsten anstieg. Davon waren unter anderem Zehntausende IndustriearbeiterInnen betroffen, die aufgrund der Weltwirtschaftskrise ihren Arbeitsplatz verloren hatten.
Durch diese Neustrukturierung der Arbeitslosenversicherung verloren die schwedischen Gewerkschaften zwischen 2007 und 2013 273.000 Mitglieder. Viele ArbeitnehmerInnen können oder wollen sich die erhöhten Beiträge nicht leisten. Somit kam im Jahr 2013 nur ein Drittel aller Arbeitslosen in Schweden in den Genuss der Arbeitslosenversicherung, die übrigens maximal für 300 Arbeitstage ausgezahlt wird. Als letzten Notnagel gibt es noch eine von den Gemeinden verwaltete Notstandshilfe. Auf die hat aber nur Anspruch, wer keinerlei eigenes Vermögen besitzt.  
Workfare soll Menschen in Arbeit bringen. Doch das scheint nicht zu klappen. Allein die Jugendarbeitslosigkeit steht in Schweden stabil bei weit über 20 Prozent. Die BefürworterInnen von Workfare sprechen gerne von einer notwendigen „Aktivierung“, die man den Arbeitslosen angedeihen müsse: Wenn man nur genug Druck ausübe, dann würden sich die Menschen schon anstrengen, einen Job zu finden.

Unbeschränkte Zumutbarkeit

Mancherorts sind längst nicht mehr „nur“ Arbeitslose gezwungen, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen.
In Großbritannien müssen sich längst auch dauerhaft krank geschriebene Menschen sowie Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen sogenannten „Arbeitsfähigkeitstests“ unterziehen, die vom ATOS-Konzern organisiert werden. Immer wieder werden Selbstmorde von Menschen bekannt, die zuvor von ATOS als „arbeitsfähig“ deklariert wurden.
Begleitet werden diese Maßnahmen mit einem fast täglichen Trommelfeuer in den Tageszeitungen über das angebliche „arbeitsscheue Gesindel“, welches den Sozialstaat missbrauche. Dabei greift die britische Regierung auch arbeitende Menschen an, etwa indem Beihilfen für Familien mit Kindern gekürzt werden sollen. Außerdem gilt eine sogenannte „benefit cap“ – wegen ihr darf etwa ein Ehepaar nur höchstens 500 Pfund Sozialhilfe im Monat beziehen. Unter dem Deckmantel, Arbeitslose, „zurück an die Arbeit“ schicken zu wollen, werden die Sozialstandards für alle Menschen abgesenkt.

Fragwürdige Jobchancen

Wer laut ATOS-Test arbeitsfähig ist, muss ins „Arbeitsprogramm“. Dort wird man zu ehrenamtlicher Arbeit verpflichtet. Ähnlich wie in skandinavischen Ländern werden „Arbeitsfähige“ unter anderem zur Verrichtung kommunaler Dienstleistungen verpflichtet. Dazu gehören Tätigkeiten wie das Anstreichen von Zäunen.
Aber bekommen die so „aktivierten“ Menschen dadurch Jobs? Neue Statistiken geben Anlass zur Skepsis. So bekamen zwischen 2011 und 2014 nur 21 Prozent aller sich im sogenannten „Arbeitsprogramm“ befindlichen Menschen einen Job. Bei Menschen mit geistigen Behinderungen sieht es noch schlechter aus. Nur sechs Prozent von ihnen fanden im selben Zeitraum einen Arbeitsplatz. Das geht aus neuen Statistiken der britischen Sozialorganisation „Mind“ hervor. 
Dem zunehmenden Aushebeln sozialer Standards für Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen stehen Angriffe auf die Rechte von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften gegenüber.

Kehrseite

Ein Beispiel ist das neue, im Jahr 2015 in Kraft getretene norwegische Arbeitsgesetz. Dieses führt den Zehnstundentag als Normalarbeitszeit ein und ermöglicht außerdem den Zwölfstundentag. Letzteres ist eine auch in Österreich wohlbekannte Forderung der Wirtschaftskammer, die immer noch aufrecht ist. Hier liegt die Kehrseite der Zumutbarkeitsdebatte.
Je stärker der Druck auf arbeitslose Menschen wird, jede Arbeit anzunehmen, desto größer der Druck auf Gewerkschaften, Verschlechterungen im Arbeitsleben zuzustimmen. Es droht ein „race to the bottom“ – ein Rennen in den Abgrund.


Linktipp:
Beigewum – Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen – Heft 4/​2009,
State(s) of Workfare, Wandel der Sozialhilfe- und Arbeitsmarktpolitik:
tinyurl.com/hume6b9

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827617 Debatten wie jene über die Zumutbarkeit in Österreich lassen sich in einen größeren Kontext einordnen: Es ist eine klassische Forderung nach einem "Workfare"-Regime. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827264 Sackgasse Hartz IV Deutschlands Arbeitsmarktdaten sind gut: Die Arbeitslosigkeit sinkt beständig, die Beschäftigungszahlen steigen. Hat Deutschland die richtigen Arbeitsmarktreformen gesetzt? Brauchen wir Hartz IV etwa auch in Österreich? Diese Diskussion beschäftigt uns in Österreich seit geraumer Zeit. Enge wirtschaftliche und gesellschaftliche Verflechtungen bedingen eine lange Tradition des Vergleichs mit unserem „großen Nachbarn“.

Vermeintlich erfolgreich

In Österreich war man lange Zeit stolz darauf, im europäischen Vergleich die niedrigsten Arbeitslosenquoten zu haben. Im Jahr 2013 hat Deutschland Österreich überholt und verteidigt seitdem den neuen Spitzenplatz in der EU. Was liegt also näher, als sich die deutschen Arbeitsmarktreformen – die unter dem Namen „Hartz-Reformen“ bekannt wurden – als Vorbild zu nehmen, damit Österreichs Arbeitsmarkt wieder zurück auf die Erfolgsspur kommt? Doch hier gilt es, eine genaue Analyse vorzunehmen und nicht blind vermeintlich erfolgreiche Rezepte zu übernehmen. 
Nur nach den oberflächlichen Kennzahlen betrachtet befindet sich Deutschland nämlich tatsächlich auf der Überholspur: Die Beschäftigungsquote lag dort im Jahr 2014 bei 73,8 Prozent, in Österreich bei 71,1 Prozent, die Arbeitslosenquote betrug in Deutschland fünf Prozent, in Österreich 5,6 Prozent. Doch wie so oft ist nicht alles Gold, was glänzt: Betrachtet man die Entwicklung des Arbeitsvolumens in Deutschland, kann man erkennen, dass das scheinbare deutsche Beschäftigungswunder vor allem auf das Wachstum von Teilzeitbeschäftigung und geringfügiger Beschäftigung – den sogenannten Minijobs – zurückzuführen ist.

Demografie

Nicht unwesentlich bei der Betrachtung des Arbeitsmarktes ist die demografische Entwicklung. Sie ist nämlich ein wesentlicher Grund, warum die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückgeht, während sie in Österreich weiter steigt. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sinkt in Deutschland bereits seit 1998 tendenziell, während sie in Österreich noch zunimmt. Von 2008 bis 2014 ging die Erwerbsbevölkerung in Deutschland um 2,5 Prozent zurück, während sie im selben Zeitraum in Österreich um 2,3 Prozent stieg. Damit verringert sich in Deutschland das Arbeitskräfteangebot, was dazu führt, dass weniger Menschen einen Job suchen.
Dazu kommt, dass in den letzten Jahren der Zuzug von ausländischen Arbeitskräften in Österreich stärker ausgeprägt war als in Deutschland. Die meisten ausländischen ArbeitnehmerInnen kamen übrigens aus Deutschland. Menschen, die dort keine existenzsichernde Arbeit bekommen, versuchen oft ihr Glück in Österreich. Ein oft noch besseres Lohnniveau und ein freier Hochschulzugang machen den Standort Österreich zu einer attraktiven Alternative.
Die Hartz-Reformen waren, darin sind sich viele einig, eine der radikalsten Reformen der Arbeitsmarktpolitik in einem EU-Land. Man hat das System der sozialen Absicherung für Arbeitslose, aber auch für Beschäftigte mit geringem Einkommen komplett umgebaut. Aus dem deutschen Arbeitsmarktservice wurden die Bundesagentur für Arbeit bzw. die kommunalen Jobcenter mit entsprechend anderen Anforderungen.
Vor den Hartz-IV-Reformen hatte Deutschland ein dreistufiges System der Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit: das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe. Daraus wurde mit den Reformen ein zweistufiges Modell: Seit 2005 gibt es Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II – Letzteres wurde unter dem Titel „Hartz IV“ bekannt.

Keine Pensionszeiten

Das Arbeitslosengeld II ist eine „bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung“ und trat als solche an die Stelle der Sozialhilfe für erwerbsfähige Personen. Die Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft. Der Begriff „Arbeitslosengeld II“ ist etwas irreführend, denn die Leistung wird nicht mehr aus der Arbeitslosenversicherung finanziert, sondern aus dem allgemeinen Budget. Der wesentliche Unterschied: Sie richtet sich nicht mehr nach dem vorherigen Einkommen. Das bedeutet, dass die Menschen in Deutschland nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes (in der Regel nach zwölf Monaten) auf die deutlich niedrigere Fürsorgeleistung Hartz IV absacken und damit auch keine entsprechenden Zeiten in der Pensionsversicherung mehr erwerben.

Zwei Klassen von Arbeitslosen

Die Höhe der Hartz-IV-Leistung setzt sich aus einer Unterstützung für Unterkunft und Heizung (sofern diese angemessen sind) und einem pauschalierten Betrag für den sogenannten Regelbedarf von 399 Euro für Alleinstehende (2015) zusammen.
Unter dem Titel „Kein Recht auf Faulheit“ – ausgerufen vom damaligen Kanzler Schröder – hat man die Vermittlung in Arbeit bzw. Aktivierung als oberstes Paradigma in der Arbeitsmarktpolitik verankert. Mit den Arbeitsmarktreformen wurden Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit stark gefördert, die sogenannten Ein-Euro-Jobs forciert und auch die vormals geringfügige Beschäftigung unter dem Titel der „Minijobs“ reformiert und attraktiviert.
Die Folge dieser Politik war das Entstehen einer Zweiklassengesellschaft unter den Arbeitslosen: Viele Hartz-IV-EmpfängerInnen sind in der Sackgasse, denn sie bekommen nur mehr sehr schwer eine (nachhaltige bzw. existenzsichernde) Beschäftigung. Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland zwar gesunken, aber sie ist auch stark segmentiert: Zwei Drittel der Arbeitslosen sind Hartz-IV-BezieherInnen, nur noch ein Drittel bezieht Arbeitslosengeld. BezieherInnen von Arbeitslosengeld haben deutlich bessere Chancen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden: Auf sie entfielen im Jahr 2014 zwei Drittel der Beschäftigungsaufnahmen. Hartz-IV-BezieherInnen hingegen werden an den Rand des Arbeitsmarktes gedrängt und sind gezwungen, Jobs zu teilweise sehr schlechten Konditionen anzunehmen.
Der Anteil von NiedriglohnempfängerInnen ist in Deutschland der höchste innerhalb der EU-15. Auch der Anteil der „Working Poor“ – jene Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können – ist in Deutschland in den letzten Jahren stetig angewachsen, und zwar von 6,8 Prozent im Jahr 2009 auf 9,9 Prozent im Jahr 2014.

Versprechen nicht eingehalten

Gerade das Versprechen, dass mit den Reformen eine zunehmende Aktivierung der Langzeitarbeitslosen gelingen würde, konnte nicht eingelöst werden. Die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt ist sogar gesunken und die Langzeitarbeitslosenquote ist in Deutschland besonders hoch: Sie lag 2014 bei 44 Prozent, in Österreich betrug sie 27 Prozent. Dazu kommt, dass mehr als zwei Drittel der deutschen Arbeitslosen armutsgefährdet sind – das ist die EU-weit die höchste Armutsgefährdungsquote in dieser Gruppe.
Es gibt also ein zeitliches Zusammentreffen zwischen den Hartz-Reformen und der verbesserten Arbeitsmarktsituation in Deutschland, jedoch keinen inhaltlichen Zusammenhang. Die Hartz-IV-Reformen haben im Gegenteil zu einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit und einer Zunahme von Armut bei arbeitslosen Menschen geführt. Sie haben ein System geschaffen, wo nicht die optimale Betreuung und nachhaltige Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt im Vordergrund steht, sondern die kurzfristige Aktivierung auf Kosten der Individuen und ohne Berücksichtigung der realen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Manche Elemente der Hartz-Reformen wurden bereits wieder zurückgenommen, und es gibt Studien, die zeigen, dass die Reformen die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands eigentlich gehemmt haben. Dazu kommt, dass entsprechende Reformen nicht an den grundlegenden Problemen des österreichischen Arbeitsmarktes ansetzen würden: dem schwachen Wirtschaftswachstum auf der einen Seite und dem steigenden Arbeitskräfteangebot auf der anderen. Dafür braucht es andere Rezepte.

Linktipp:
Arbeitsmarkt im Fokus 1/2015:
tinyurl.com/j9wwvk6

Blogtipps:
Gesund durch Hartz IV?:
tinyurl.com/laebrw7
Schleichender Abschied:
tinyurl.com/j3g4lrr

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin ilse.leidl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Ilse Leidl-Krapfenbauer, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827274 Nur nach den oberflächlichen Kennzahlen betrachtet befindet sich Deutschland tatsächlich auf der Überholspur. Doch wie so oft ist nicht alles Gold, was glänzt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827243 Zumutung sexuelle Belästigung Frau J. ist Lehrling in einer Tischlerei. Dort gibt es einen älteren Kollegen, der sehr beliebt ist. Er hat den Ruf, sehr gesellig zu sein, manche munkeln, dass er ein „Frauenheld“ sei. Frau J. findet seine Witze im Gegensatz zu den anderen nicht lustig. Es geht dabei immer wieder um Sex, und Frau J. ist dies unangenehm. Sie zeigt sich reserviert, bleibt aber freundlich und sagt nichts. Als sie einmal mit dem Kaffeekochen dran ist, folgt ihr der Kollege und berührt sie im Sozialraum an den Armen, am Po und streicht ihr über die Wangen. Frau J. ist starr vor Schreck und weiß nicht, was sie tun soll. Der Kollege meint nur, sie sei wohl ein wenig „unterkühlt“. Danach umarmt sie der Kollege nun öfter, aber nie, wenn andere dabei sind.
Frau J. nimmt all ihren Mut zusammen und geht zum Chef. Dieser verspricht ihr, dass er mit dem Kollegen sprechen wird. Frau J. geht es in der Zwischenzeit immer schlechter, da sie unentwegt darauf bedacht ist, dem Kollegen nicht allein zu begegnen. Nach ein paar Wochen fragt sie nach. Der Chef meint, dass ihm der Kollege gesagt habe, alles sei nur ganz freundschaftlich gemeint gewesen.

Beispielhaft

Es ist dies ein anonymisierter Fall aus der Beratung der Gleichbehandlungsanwaltschaft, der beispielhaft für viele Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz steht – und damit für Zumutungen, mit denen Frauen im Arbeitsalltag konfrontiert sind. Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) schützt vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, und zwar aufgrund des Geschlechtes, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion und Weltanschauung, des Alters und der sexuellen Orientierung.

Objektiver und subjektiver Maßstab

Eine immer noch sehr häufig vorkommende Diskriminierungsform ist die der (sexuellen) Belästigung. Um festzustellen, ob eine solche vorliegt, muss man sowohl einen objektiven als auch einen subjektiven Maßstab berücksichtigen. Objektiv muss die physische oder psychische Integrität verletzt werden oder im Fall der sexuellen Belästigung die sexuelle Selbstbestimmung.
Eine solche „Beeinträchtigung der Würde“ muss ein Mindestmaß an Intensität aufweisen. Das Verhalten muss auch subjektiv als Grenzüberschreitung wahrgenommen werden und unerwünscht, unangebracht oder anstößig sein. Die Perspektive der diskriminierten Person hat also Gewicht. Dabei ist wesentlich, dass die Belästigung nicht ein „Verschulden“ des/der Belästigers/Belästigerin voraussetzt – auch wenn die Person es „nicht so gemeint hat“, liegt eine Belästigung vor.
Es kann daher schon bei den anzüglichen Witzen eine sexuelle Belästigung vorliegen. Eine reservierte Haltung und körperliche Abwendung sollten ausreichen, um die subjektive Unerwünschtheit zu erkennen. Gerade bei körperlichen Berührungen ist es nicht nur nach menschlichem Ermessen, sondern auch juristisch zumutbar, dass man sich vorher davor vergewissert, dass die andere Person dies auch will.

Wahrnehmung zählt

Eine Belästigung liegt auch vor, wenn explizit in beleidigender Form z. B. auf die sexuelle Orientierung Bezug genommen und dies auch als feindselig wahrgenommen wird. Dazu folgender Fall aus der Beratung der Gleichbehandlungsanwaltschaft als Beispiel:
Herr Z. ist als Handelsangestellter beschäftigt. Er erwähnt bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Filialleiter und den KollegInnen, dass er homosexuell ist, um spätere Irritationen auszuschließen. Einmal hält sich Herr Z. gemeinsam mit drei Arbeitskolleginnen und dem Filialleiter im Pausenraum auf. Gesprächsthema ist eine Tanzsendung im Fernsehen, bei der in der gerade laufenden Staffel ein gleichgeschlechtliches Tanzpaar antritt. Während eine Arbeitskollegin das Tanzpaar als „süß und charmant“ bezeichnet, sagt Frau F.: „Schwule haben in der Öffentlichkeit nicht zu tanzen, das schickt sich nicht.“
Während Frau F. dies sagt, sucht sie Blickkontakt zu Herrn Z. und lächelt. Frau K. schließt sich dieser Auffassung an: „Schwule brauchen sich auch nicht in der Öffentlichkeit zu küssen.“ Um diese Aussage noch zu verstärken, meint Frau K. weiter: „So ein Verhalten hätte in früheren Zeiten zu Konsequenzen geführt.“ Auch Frau K. schaut während dieser Äußerung Herrn Z. an und lacht provozierend. Herr Z. beteiligt sich nicht an der Unterhaltung, die Aussagen empfindet er als zutiefst kränkend. Der Filialleiter schweigt zu dem Vorfall.

Kommt einem Arbeitgeber zu Ohren, dass einer oder eine der MitarbeiterInnen (sexuell) belästigt wurde, ist er verpflichtet, angemessene Abhilfe gegen die Belästigung zu schaffen. Der innerbetriebliche Umgang mit (sexueller) Belästigung stellt eine große Herausforderung dar. Oft steht Aussage gegen Aussage, die Übergriffe werden abgeschwächt und verharmlost, manche KollegInnen berufen sich beispielsweise bei homophoben oder rassistischen Aussagen auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung.
Demgegenüber steht jedoch die Verpflichtung der Arbeitgeber, geeignete Maßnahmen zu setzen, um die oder den Betroffene/n vor weiteren Belästigungen zu schützen. Juristisch spricht man von „angemessener Abhilfe“, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu setzen ist. Das kann von der Ermahnung über die Versetzung bis hin zur Kündigung oder Entlassung gehen. Im eingangs geschilderten Fall darf der Chef also nicht einfach dem Kollegen glauben, sondern er muss die Schilderung der Betroffenen ernst nehmen. Diese empfindet das Verhalten ihres Kollegen eben gerade nicht „freundschaftlich“. Die Übergriffe dürfen also nicht als „Kavaliersdelikte“ verharmlost werden.

„Verlängerter Arm“

Im zweiten Fall ist der Filialleiter, der als „verlängerter Arm“ des Arbeitgebers zu sehen ist, bei dem Übergriff selbst anwesend. Er hätte daher einschreiten und arbeitsrechtliche Konsequenzen androhen müssen. Gerade bei pauschalen, nicht direkt gegen die Person gerichteten homophoben oder auch rassistischen Äußerungen, die im vorliegenden Fall sogar die Verfolgung homosexueller Menschen in den Raum stellen, berufen sich BelästigerInnen immer wieder auf „freie Meinungsäußerung“. Das Gericht hat dazu hingegen festgestellt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung keinesfalls Äußerungen rechtfertige, die dem Gleichbehandlungsgesetz zuwiderlaufen.

Machtverhältnisse

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft hat im Umgang mit Fällen von (sexueller) Belästigung langjährige Erfahrungen. Erst aus vielen Einzelfällen zeigen sich die dahinterliegenden strukturellen Muster der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.
Die Gleichbehandlungsanwaltschaft bringt unter anderem einen „Fall des Monats“ auf der Website heraus, um diese Zusammenhänge und einzelne Fallkonstellationen sichtbar zu machen. Aus der Beratungserfahrung zeigt sich zudem, dass ein einmaliges Handeln durch den Arbeitgeber oft nicht ausreicht, um tatsächlich ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Nicht selten kommt es zu einer Gruppendynamik, in der zwei Gruppen von ArbeitnehmerInnen entstehen, die sich jeweils auf die eine oder andere Seite schlagen. Die betroffene Person wird so oftmals als die/der eigentlich Schuldige angesehen, die dem oder der BelästigerIn geschadet oder diese/n gar hinausgedrängt hat. Diese Situation stellt auch für den Betriebsrat eine besondere Herausforderung dar. Aus Sicht der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) wird in diesen Konstellationen sichtbar, dass die Unternehmenskultur, die Belästigungen erst ermöglicht hat, in keiner Weise geändert wurde. Die GAW rät in solchen Situationen – neben einem klaren Statement der Führungsebene – unter anderem zu Teamsupervisionen. Sinnvoll sind vor allem spezielle innerbetriebliche Workshops zum Thema (sexuelle) Belästigung.
Im Rahmen des Schwerpunktthemas „Gleichbehandlung Unternehmen“ werden derartige Workshops auch auf der Website explizit angeboten. Die Erfahrung der Gleichbehandlungsanwaltschaft kann so genutzt werden, um ein zumutbares, diskriminierungsfreies Arbeitsklima aktiv zu gestalten.

Linktipps:
App der Gleichbehandlungsanwaltschaft:
tinyurl.com/joyttlz
Beratung, Unterstützung und Information zum Thema Gleichbehandlung:
www.gleichbehandlungsanwaltschaft.at
Seminar für BetriebsrätInnen: „Gleichbehandlung in der Arbeitswelt“:
tinyurl.com/jnz8cgd

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sandra.konstatzky@bka.gv.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sandra Konstatzky, Gleichbehandlungsanwaltschaft Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827256 Es ist zumutbar, dass man sich vorher vergewissert, was die andere Person akzeptiert und wo eine Grenze überschritten wird - und zwar egal, ob es um eine anzügliche Bemerkung oder gar um eine körperliche Berührung geht. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827222 Wer über die Zeit verfügt Grundsätzlich wird die Arbeitszeiteinteilung vereinbart. Dafür gibt es Regelungen im Kollektivvertrag oder in der Betriebsvereinbarung. Doch selten bleibt die einmal vereinbarte Arbeitszeiteinteilung für längere Zeit unverändert. Es gibt Bedarf an Mehrarbeit, es gibt das Bedürfnis nach freien Tagen: Und schon stellen sich Fragen nach der Möglichkeit des Abweichens von der einmal vereinbarten Zeiteinteilung.

Eine der häufigsten Fragen ist wohl: „Kann der Arbeitgeber einseitig meine Arbeitszeit verändern?“ Wie so oft lautet der erste Satz der Antwort: „Es kommt darauf an.“ Zunächst kommt es nämlich einmal darauf an, was die kollektiven Normen, also Kollektivvertrag (KV) und Betriebsvereinbarung (BV), dazu sagen. Meist gibt es entsprechende Regelungen, die genau beschreiben, unter welchen Bedingungen und mit welcher Vorlaufzeit die Arbeitszeiteinteilung zu erfolgen hat. Doch selbst wenn es keine kollektiven Regelungen gibt, kann der Arbeitgeber nicht einfach nach Gutdünken die Arbeitszeiteinteilung verändern. Schließlich sieht auch das Arbeitszeitgesetz entsprechende Regelungen vor.

Keine Schikane

So muss die Änderung zunächst einmal sachlich gerechtfertigt sein. Ein Herumschieben der Arbeitszeit aus reiner Schikane ist also nicht möglich. Weiters muss eine Änderung mindestens zwei Wochen im Vorhinein mitgeteilt werden. Schließlich müssen sich die betroffenen Beschäftigten darauf einstellen können. Außerdem dürfen keine berücksichtigungswürdigen Interessen des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin der Veränderung entgegenstehen. Hier gilt es natürlich abzuwägen. Betreuungspflichten werden ein solches berücksichtigungswürdiges Interesse darstellen, die Kegelrunde wohl eher nicht. Und schließlich darf keine Vereinbarung der Veränderung entgegenstehen. Wenn also im Dienstvertrag, dem KV oder der BV keine entsprechenden Regelungen vorkommen, kann der Arbeitgeber die Arbeitszeit auch nicht einseitig verändern.

Ausnahmen bei Überstunden

Und was, wenn sich an der Arbeitszeiteinteilung an sich nichts ändert, sondern Mehrarbeit gefordert wird: Darf der Arbeitgeber Überstunden anordnen? Und darf der/die Beschäftigte diese ablehnen? Zunächst sind der Mehrarbeit gewisse Grenzen gesetzt. Mehr als zehn Stunden Arbeitszeit pro Tag sind nicht zulässig – von speziellen Ausnahmen abgesehen. Pro Woche sind nicht mehr als 50 Stunden erlaubt. Dadurch ergibt sich einmal eine natürliche Grenze an zulässigen Überstunden. Jedoch darf auch diese Grenze nicht ständig erreicht werden. Grundsätzlich gilt: Fünf Überstunden in der Woche sind zulässig und darüber hinaus weitere 60 verteilt auf das Kalenderjahr. Das sind zunächst einmal die maximalen gesetzlichen Schranken. Kollektivvertraglich können zusätzliche Überstunden ermöglicht werden.
Kann der Arbeitgeber nun innerhalb dieser Schranken nach eigenem Ermessen die Überstunden anordnen? Nein, kann er nicht. Auch hier gibt es Regeln, die einzuhalten sind. So muss zunächst geklärt sein, ob die Leistung von Überstunden überhaupt vertraglich vereinbart ist. Denn wenn sich aus Dienstvertrag oder Kollektivvertrag keine derartige Verpflichtung ergibt, können Überstunden natürlich auch ganz abgelehnt werden. Doch diese Variante ist, zugegeben, eher von theoretischer Natur. Denn schon allein wenn man in der Vergangenheit öfter unwidersprochen Überstunden geleistet hat, reicht dies aus, um daraus eine schlüssige Vereinbarung zu interpretieren. In aller Regel wird man daher von der grundsätzlichen Verpflichtung zu Überstunden ausgehen können. Doch grundsätzliche Verpflichtung heißt noch nicht, dass sie im konkreten Fall jedenfalls geleistet werden müssen. So können dem etwa berücksichtigungswürdige Gründe des oder der Beschäftigten entgegenstehen. Das können natürlich die bereits erwähnten Betreuungspflichten sein. Aber auch die bereits gekauften teuren Konzertkarten können ein Grund sein oder die Feier zu Omas 75. Geburtstag.

Rechtzeitig

Schließlich ist noch die Frage von Bedeutung, wann die Überstunde angeordnet worden ist. Eine Anordnung am selben Tag wird nur im Ausnahmefall noch als rechtzeitig anzusehen sein. Da muss schon sehr viel an unvorhersehbaren Umständen eingetreten sein. In der Regel kann gesagt werden: Je früher die Anordnung, desto eher muss die Überstunde auch geleistet werden. Jugendliche und Schwangere dürfen übrigens gar nicht zur Überstundenleistung herangezogen werden.

Keine Einseitigkeit

Grundsätzlich sind Überstunden zu bezahlen. Es kann allerdings auch die Abgeltung in Zeitausgleich vereinbart werden. Das Wesentliche daran ist die Vereinbarung. Es kann also nicht angeordnet werden, dass die Mehrarbeit zu einem späteren Zeitpunkt als Zeitausgleich konsumiert wird. Und selbst wenn die Abgeltung in Zeitausgleich vereinbart wird, so kann der Arbeitgeber den Zeitpunkt, an dem die freie Zeit genommen wird, nicht einseitig bestimmen. Grundsätzlich wird auch der Zeitpunkt des Zeitausgleichs vereinbart. Dies sollte innerhalb von sechs Monaten passieren. Geschieht das nicht, so hat der oder die Beschäftigte sogar die Möglichkeit, den Zeitpunkt des Zeitausgleichs selbst festzulegen. Also: Zeitausglich bedarf immer der Vereinbarung, sowohl beim Entstehen der Zeitgutschrift als auch beim Abbau des Zeitguthabens. Einseitige Anordnung seitens des Arbeitgebers geht gar nicht.
Eine besondere Form der Arbeitszeiteinteilung ist die Gleitzeit. Das bedeutet, dass die Beschäftigten Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit selbst in einem bestimmten Ausmaß festlegen können. Dafür kann dann zuschlagsfrei täglich zehn Stunden und wöchentlich fünfzig Stunden lang gearbeitet werden. Dafür bedarf es aber einer Betriebsvereinbarung. Ausnahmsweise kann in Betrieben, in denen es keinen Betriebsrat gibt, Gleitzeit auch im Einzelvertrag vereinbart werden. Es müssen dabei jedenfalls bestimmte Dinge geregelt sein wie etwa die Dauer der Gleitzeitperiode, also jener Zeit, innerhalb der sich Plus- und Minusstunden ausgleichen sollten. Auch der Gleitzeitrahmen, also jener tägliche Rahmen, der den frühestmöglichen Beginn und das spätestmögliche Ende der Arbeitszeit angibt, muss vereinbart sein. Weiters muss vereinbart sein, wie viel an Zeitguthaben oder Zeitschuld in die nächste Periode übertragen werden kann. Nicht zuletzt muss eine fiktive Normalarbeitszeit vereinbart sein. Das ist ein virtueller Dienstplan, der etwa definiert, welche Zeit im Fall von Dienstverhinderungen oder Urlaub gutgeschrieben wird.
Natürlich kann es auch bei Gleitzeit vorkommen, dass der Arbeitgeber von einem oder einer Beschäftigten eine Arbeitsleistung zu einer bestimmten Zeit verlangt. Das kann etwa durch eine Kernzeit geregelt werden, also eine definierte Zeit, in der der oder die Beschäftigte jedenfalls am Arbeitsplatz anwesend ist. Möglich ist auch die Definition eines täglichen Mindestausmaßes an zu leistender Arbeitszeit. Fehlen derartige Vereinbarungen, dann wird wohl die fiktive Normalarbeitszeit als Richtschnur dafür gelten müssen, über welche Zeit der Arbeitgeber verfügen kann. Angewiesene Tätigkeiten außerhalb dieses Rahmes sind dann trotz Gleitzeitregelungen als Überstunden anzusehen – und auch als solche abzugelten.
Nun ist, gerade in der heutigen Zeit, in der man via Mobiltelefon immer erreichbar ist, schlussendlich auch die Frage interessant, ob der Arbeitgeber mich jederzeit zur Arbeit rufen kann. Diese „Rufbereitschaft“ ist grundsätzlich möglich. Nur nicht unbegrenzt und auch nicht unentgeltlich. So ist Rufbereitschaft außerhalb der Arbeitszeit nur an zehn Tagen und nur während zwei Wochenenden im Monat zulässig. Auch die Abgeltung der Rufbereitschaft muss vereinbart werden. Sollte dann tatsächlich zur Arbeit gerufen werden, ist diese Zeit selbstverständlich zusätzlich als Arbeitszeit abzugelten.

Interessen der Beschäftigten

Es gibt also verschiedenste Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung, von denen hier nur wenige beispielhaft angeführt sind. Allen Modellen ist gemein, dass sie auf Vereinbarungen beruhen – entweder auf einem Kollektivvertrag oder auf einer Betriebsvereinbarung, zumindest aber auf dem Arbeitsvertrag. Nur in ganz wenigen Fällen kann der Arbeitgeber Arbeitszeit einseitig anordnen. Und auch dann sind die Interessen der Beschäftigten zu berücksichtigen.

Linktipp:
Rechtsinfos der AK:
tinyurl.com/hv5t6wl

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.mueller@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Martin Müller, ÖGB Sozialpolitik Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827232 Nur in ganz wenigen Fällen kann der Arbeitgeber Arbeitszeit einseitig anordnen. Er muss aber die Interessen der Beschäftigten berücksichtigen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827204 Die Karotte vor der Nase Etwas, das es arbeitsrechtlich gar nicht gibt: So zumindest bezeichnet Barbara Kasper, Bundesjugendsekretärin der GPA-djp, das freiwillige Praktikum, das viele nach abgeschlossener Ausbildung machen. Vielmehr handelt es sich dabei um normale, befristete Dienstverhältnisse, die in der Regel gar nicht oder kaum bezahlt werden.

„Für die Unternehmen sind PraktikantInnen billige Arbeitskräfte. Es geht nicht um Ausbildung, sondern um Umgehung der Kollektivverträge“, kritisiert Kasper. „Die PraktikantInnen arbeiten produktiv mit und werden im Unternehmen gebraucht. Sie kriegen nur nichts bezahlt.“ Viele Praktika sind auf drei bis sechs Monate befristet. „Wir kennen aber auch Fälle, in denen die Praktika länger als zwölf Monate dauerten.“ Die PraktikantInnen erhielten monatlich nur wenige Hundert Euro. Insgesamt werden laut Statistik Austria nur 75 Prozent der Praktika bezahlt, 30 Prozent davon unter der Geringfügigkeit. Die Unternehmen ersparen sich aber nicht nur die kollektivvertraglichen Gehälter und Löhne, sondern auch Abgaben und Steuern.

Rechtliche Grundlage

Aus rechtlicher Sicht existieren nur das Pflichtpraktikum und das Volontariat. Das Pflichtpraktikum ist in einigen Lehr- und Studienplänen vorgeschrieben, damit SchülerInnen und Studierende zusätzlich zur theoretischen Ausbildung praktische Erfahrungen sammeln. Es ist damit ein Ausbildungs- und kein Arbeitsverhältnis. Ob und in welcher Höhe etwas bezahlt werden muss, ist häufig im Kollektivvertrag geregelt. Das Volontariat besteht aus ein paar Schnuppertagen, in denen man sich im Betrieb die Arbeitsabläufe anschaut. Es bestehen keine Arbeitspflicht und kein Anspruch auf Bezahlung. „Das Problem ist, dass all die Begriffe unterschiedlich verwendet werden“, sagt die Gewerkschafterin. Aus rechtlicher Sicht sind die Unterschiede aber gravierend.

Vollzeit-Job für 200 Euro

Von freiwilligen Praktika sind meist junge und gut ausgebildete Menschen betroffen. Rund 30 Prozent aller Studierenden haben während ihrer bisherigen Studienzeit schon mindestens ein freiwilliges Praktikum absolviert. Etwa acht Prozent der AkademikerInnen sind nach ihrem Studienabschluss als PraktikantInnen beschäftigt. „Dass sie dabei in irgendeiner Form mitarbeiten, ist klar. Aber Mitarbeit ist etwas anderes als eigenständige Arbeit“, sagt die GPA-djp-Bundesjugendsekretärin. Ein Beispiel aus ihrem Beratungsalltag: „Bei uns hat sich eine ehemalige Praktikantin gemeldet, die allein im Verlag saß und für ein Ressort allein zuständig war. Das ist normale Arbeit von 9 bis 17 Uhr, dafür bekam sie 200 Euro gezahlt.“
Dass es sich bei den meisten Praktika um normale Arbeitsverhältnisse handelt, zeigt auch das Beispiel eines jungen, arbeitslosen Mediendesigners. Eine Firma bot ihm ein Praktikum an und beschrieb ihm genau, welche Aufträge er übernehmen könnte. Er hätte dafür aber seinen eigenen Laptop mitnehmen müssen. „Fixanstellungen werden den BerufseinsteigerInnen wie die sprichwörtliche Karotte vor die Nase gehalten, wenn sie sich zuvor als PraktikantInnen beweisen“, so Kasper. „Oft heißt es: ‚Wir haben jetzt keine Stelle, aber in einem halben Jahr.‘ Und dann bist du halt noch einmal ein halbes Jahr dort, und dann gibt es die Stelle doch wieder nicht.“ Probleme gibt es aber nicht nur in der Medienbranche. Bei der GPA-djp melden sich auch viele Personen, die im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in technischen Berufen arbeiten.

Später Berufseinstieg

Die Gründe für den schwierigen Berufseinstieg für AkademikerInnen: Der öffentliche Sektor fällt als Arbeitgeber immer öfter weg, und für die Privatwirtschaft sind die Praxiserfahrung und das Verwerten von Wissen wichtiger geworden.
Die abgeschlossene Ausbildung allein zählt für Unternehmen wenig. Wie sich die heutige „Generation Praktikum“ entwickeln konnte, zeigt die historische Entwicklung der letzten 40 Jahre: Mit dem Anstieg an MaturantInnen und Studierenden Ende der 1970er-Jahre sind mehr qualifizierte junge Leute auf den Arbeitsmarkt geströmt. Ende der 1990er-Jahre begannen die Unternehmen, berufsadäquate Erfahrungen bereits beim Arbeitseintritt zu fordern – Erfahrungen, die vielen Studierenden fehlen und nach ihrer Ausbildung durch Praktika nachgeholt werden.
Der Bologna-Prozess verschärfte die Forderung. Die Hochschulreform wurde damit begründet, dass der Arbeitsmarkt ein schnelleres Studium erfordert. Doch wirklich groß ist die Freude über die Turbo-Studierenden auf Unternehmensseite nicht. Diese kritisiert schnurgerade Einheitslebensläufe.
Firmen wollen, dass etwas im Lebenslauf heraussticht, und wenn es ein einjähriger Roadtrip durch China ist. „Es heißt immer, man braucht Berufserfahrung, ohne die Berufserfahrung wird man nicht mehr eingestellt. Was aus unserer Sicht ein Widerspruch ist. Die Betriebe wollen die jungen Leute, die gut ausgebildet sind, denn sie lassen sie ja selbstständig mitarbeiten. Die Firmen wollen sie nur nicht korrekt bezahlen“, so die GPA-djp-Bundesjugendsekretärin.
Wer keine Berufsausbildung hat und keine Praktika gemacht hat, muss bei Bewerbungsgesprächen häufig erklären, was er oder sie während der Studienzeit gemacht hat. Dass viele Studierende neben dem Studium kellnern oder einen anderen StudentInnenjob haben, um Geld zu verdienen, scheint für Arbeitgeber nicht zu zählen.

Einbußen

Schon jetzt haben sich die fixen Anstellungen im Vergleich zu den 1990er-Jahren um fünf bis zehn Jahre verschoben. Ein guter und fairer Berufseinstieg ist aber die Grundlage für die Lebens- und Karriereplanung. Die Folgen der späteren Berufseintritte: Frauen bekommen später Kinder und die Kaufkraft junger Erwachsener verschiebt sich nach hinten. Außerdem sind mit dem späteren Eintritt ins Erwerbsleben Einbußen bei den Pensionsansprüchen verbunden.

Watchlist Praktikum

Barbara Kasper rät jungen Menschen, von Stelleninseraten die Finger zu lassen, über denen „Praktikum“ steht, hinter denen aber ein Arbeitsverhältnis steckt. „Wenn eine spezielle Ausbildung oder Erfahrung in dem Bereich verlangt wird, wenn angegeben wird, in welchen Bereichen man selbstständig arbeitet, und wenn man flexible Arbeitszeiten hat, dann sind das Beschreibungen für ein Arbeitsverhältnis und nicht für ein Praktikum.“ Wer ein Praktikum absolviert, sollte in jedem Fall die Arbeitszeit und die genauen Aufgaben mitschreiben. „Wenn es in irgendeiner Form Arbeitsaufträge gibt, sollte man sie zur Beweissicherung aufbewahren. Das sind gute Beweise, um glaubhaft zu machen, dass es sich bei dem Praktikum um ein normales Arbeitsverhältnis handelte.“
Die GPA-djp berät (ehemalige) PraktikantInnen und vertritt sie, wenn sie Mitglieder sind, im äußersten Fall auch vor Gericht. „Man kann sein Praktikum auch anonym auf unserer Plattform ‚Watchlist Praktikum‘ schildern. Die Angaben werden zur Prüfung an die jeweiligen Gebietskrankenkassen weitergeleitet. Wenn es sich bei dem Praktikum um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hat, dann müssen die Betriebe zumindest die Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Allerdings führt das nicht dazu, dass die Betroffenen ihr Geld kriegen – das können PraktikantInnen nur persönlich einklagen“, erklärt Kasper. Die vor einem Jahr gestartete „Watchlist Praktikum“ bestätigt mit hunderttausend Aufrufen und Hunderten Einträgen mit konkreten Schilderungen über Missstände das Problem der Praktika-Verhältnisse.

Nicht ausnutzen lassen

Obwohl viele Praktika nicht richtig entlohnt werden, wagen die wenigsten PraktikantInnen den Schritt zur Klage. Viele haben Angst, vor allem wenn die Branche, in der man arbeiten möchte, klein ist. „Dann ist man gleich einmal verschrien, und es ist schwieriger, in der Branche einen Job zu bekom-men“, bestätigt die Bundesjugendsekretärin. Mit Informationen und Aktionen versucht die GPA-djp, die Betroffenen auf ihre Rechte aufmerksam zu machen und auf die Möglichkeiten, die sie haben. Damit ihre Not nicht zur Ausbeutung führt.

Linktipp:
Plattform „Watchlist Praktikum“:
www.watchlist-praktikum.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin katja.daemmrich@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Katja Dämmrich, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827214 Oft werden PraktikantInnen vertröstet: "Wir haben jetzt keine Stelle, aber in einem halben Jahr." Doch die Anstellung kommt nie. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827184 Unsanfter Einstieg Laut Gesetz sind Überstunden für Jugendliche unter 18 Jahren verboten. Trotzdem leistet jeder dritte jugendliche Lehrling regelmäßig Überstunden. Fast ebenso hoch ist mit 31 Prozent der Anteil all jener, die häufig oder sehr häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten herangezogen werden. Dies ergab der Lehrlingsmonitor von AK und ÖGB, eine bundesweite Befragung unter Lehrlingen im letzten Lehrjahr.
Das Thema Lehrlinge wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert: Lange Zeit klagten etwa die UnternehmerInnen über untragbare Einschränkungen durch allzu strenge Schutzbestimmungen. Hier gab es in der Vergangenheit bereits einige Veränderungen im Berufsausbildungsgesetz (BAG), zum Teil im Sinne der Wirtschaft. So wurde etwa die Probezeit für Lehrlinge verlängert, die Behaltepflicht nach dem Lehrabschluss verkürzt und die Kündigung erleichtert. Zuletzt wurde mit dem Arbeitsrechtspaket die Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden für über 16-jährige Lehrlinge bei aktiver Reisezeit beschlossen, in Kraft seit Anfang 2016.

Knappes Gut Lehrstellen

Derzeit sind vor allem die Bildungslücken der SchulabgängerInnen ein großes Thema. Allgegenwärtig ist auch das Schlagwort „Fachkräftemangel“. Der allerdings – falls tatsächlich so vorhanden, wie oft kolportiert – wäre nicht wirklich verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Lehrbetriebe und Lehrstellen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken ist. Das führt dazu, dass die Lehrstellen knapp sind, obwohl ohnehin immer mehr Jugendliche nach höherer Bildung streben.

Basisinformationen

Ein weiteres bedenkliches Phänomen: Der Anteil der Erfolgsquoten bei der Lehrabschlussprüfung geht bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Die Zeit war also reif für den ersten Lehrlingsmonitor. Rund 6.500 Lehrlinge im letzten Ausbildungsjahr nahmen zwischen November 2014 und April 2015 an der bundesweiten Online-Befragung teil, die in einigen Bereichen Handlungsbedarf aufgezeigt hat.
Prinzipiell fallen Lehrlinge vor dem vollendeten 18. Lebensjahr unter das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz. Dieses sieht zahlreiche Beschäftigungsverbote und -beschränkungen vor, zum Beispiel bei Arbeiten mit gefährlichen Arbeitsstoffen oder Arbeitsmitteln. Für alle Altersgruppen unter den Lehrlingen bzw. für die Lehrbetriebe gilt außerdem das Berufsausbildungsgesetz. Durch diese Gesetze sind Jugendliche grundsätzlich sehr gut abgesichert. Die aktuelle Arbeitsmarkt-Situation inklusive Lehrstellenmangel führt allerdings dazu, dass viele Lehrlinge belastende, zum Teil nicht gesetzeskonforme Arbeitsbedingungen hinnehmen.
Laut Berufsausbildungsgesetz dürfen Lehrlinge nur für Tätigkeiten herangezogen werden, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind. Fragt man die Lehrlinge danach, so zeigt sich, dass weniger als die Hälfte ausschließlich für ausbildungsbezogene Tätigkeiten verwendet wird.
Ein Drittel der Lehrlinge gibt sogar an, (sehr) häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten eingesetzt zu werden. „Typisches Beispiel ist, wenn Lehrlinge im ersten Lehrjahr überwiegend Hilfstätigkeiten wie Zusammenkehren erledigen“, erklärt Alexander Prischl, Leiter des ÖGB-Referates Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.
Ein anderes, gerne zitiertes Beispiel ist der Lehrling, der losgeschickt wird, um Wurstsemmeln für die Belegschaft zu holen. Prischl hat damit unter der Bedingung kein Problem, dass sich alle MitarbeiterInnen dabei abwechseln. „Wenn sich die Beschäftigten in einem Betrieb kollegial auch in der Pause unterstützen, ist es natürlich durchaus in Ordnung, wenn auch einmal die Lehrlinge drankommen“, so der Arbeitsmarktexperte. „Aber dass Lehrlinge überwiegend ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, ist schlichtweg verboten. Die jungen Leute sollen schließlich einen Beruf erlernen.“

Unfreiwillig und unbezahlt

Überstunden sind, obwohl für Jugendliche verboten, auch bei jedem dritten Lehrling unter 18 an der Tagesordnung – und das nicht immer freiwillig. Zusätzlich leistet ein Drittel der Betroffenen die Überstunden manchmal sogar gratis. Das Ergebnis im Bereich Tourismus sticht besonders hervor: 27 Prozent der Lehrlinge geben an, unfreiwillige Überstunden leisten zu müssen. Hier war auch der Anteil an unbezahlten Überstunden auffallend hoch, ebenso im Gastgewerbe und bei den FriseurInnen.
Dass der Eintritt ins Berufsleben für Lehrlinge in manchen Branchen besonders hart ist, das ergab 2014 auch die IQUAL-Studie „Migration und Lehre“, für die im Auftrag der AK Jugendliche in Wien und Vorarlberg befragt wurden: „Lehrlinge leisten nicht selten […] zahlreiche Überstunden, sie müssen zum Teil schon um 4.00 Uhr früh aus dem Bett, erzählen von zweistündigen Mittagspausen und von zwölfstündigen Arbeitstagen, von denen sie dementsprechend spät völlig müde nach Hause kommen. An das Arbeiten an Wochenenden, inklusive Sonntag und Feiertag, gewöhnen sie sich besonders schwer. Als besondere Belastung empfinden sie dabei die soziale Ausgrenzung, die mit einer Wochenendarbeit verbunden ist.“

Im Besenkammerl auf Abruf

Sind mehrstündige Mittagspausen zumutbar? Das ist eines der seltenen Beispiele für den „Graubereich“ Zumutbarkeit im Lehrlingsbereich. Zunehmend stellen sich derartige Fragen aber auch in Bezug auf Lehrstellen fernab der elterlichen Wohnung. Ist es für eine/n Jugendliche/n aus Niederösterreich zumutbar, eine Lehrstelle in einem Tiroler Hotel anzutreten? „Keine einfache Entscheidung“, gibt Alexander Prischl zu bedenken. „Das hängt vor allem vom Reifegrad der Betroffenen ab. Ich kenne Fälle, wo Jugendliche in einer Art Besenkammerl schlafen und immer wieder auf Abruf arbeiten mussten.“
Sich gegen unzumutbare oder illegale Arbeitsbedingungen zu wehren, fällt auch den meisten Erwachsenen schwer, umso belastender sind solche Situationen für Jugendliche. Im Gegensatz zum oft kolportierten Bild des selbstbewussten Youngsters, der oder die schnell mal seine/ihre Rechte auf dem Handy googelt und sich bei Konflikten zu helfen weiß, vermeiden viele Lehrlinge Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz oder leisten unbezahlte Überstunden. Sie wissen, dass Lehrstellen knapp sind, und wollen die spätere Anstellung nach der Lehrabschlussprüfung nicht gefährden.

Da muss man durch?

Generell ist es im Falle von Unzumutbarkeiten, Konflikten oder Gesetzesübertretungen empfehlenswert, sich möglichst frühzeitig an den/die Jugendvertrauensrat/-rätin zu wenden bzw. sich von AK- oder ÖGB-ExpertInnen beraten zu lassen. „Denn“, so berichtet Markus Schüller, AK-Arbeitsrechtsexperte im Beratungszentrum Ost, „bei Konflikten sind nach Monaten oder Jahren Konsenslösungen tendenziell schwieriger möglich. Auch das Auffinden einer neuen Lehrstelle ist in der Regel aussichtsreicher, wenn die Lehrzeit noch nicht so weit fortgeschritten ist.“
Die jeweilige Ausbildungsordnung definiert detailliert und nach Lehrjahren gegliedert, wann welche Ziele vom Ausbildungsbetrieb erreicht werden müssen, welche Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln sind.

Sinkende Erfolgsquoten

Laut Lehrlingsmonitor wissen mehr als 70 Prozent der Befragten über Ausbildungsziele und Inhalte Bescheid, allerdings sind elf Prozent sogar noch am Ende der Lehrzeit darüber nur unzureichend informiert. Wie weit Jugendliche über Beschränkungen beim Arbeiten mit gefährlichen Stoffen oder bestimmten Maschinen tatsächlich informiert sind, wurde übrigens nicht erhoben. Die Ausbildungsordnungen für die verschiedenen Lehrberufe sind online einfach abrufbar und eignen sich durchaus auch als Basisinformation für eine Berufsentscheidung.

Nachlese:
AK-Ratgeber „Lehrlings- und Jugendschutz am Arbeitsplatz“ zum Download:
tinyurl.com/ztxkn6d

Linktipps:
team4young, Informationskampagne der Arbeitsinspektion für LehrerInnen, SchülerInnen und Lehrlinge:
tinyurl.com/zkjeomo
So geht es den Lehrlingen in Österreich:
www.lehrlingsmonitor.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827189 Ein Drittel der Lehrlinge muss (sehr) häufig ausbildungsfremde Tätigkeiten wie zum Beispiel Zusammenkehren erledigen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827178 Zumutbarkeiten und Zumutungen ArbeitnehmerInnen wird vieles zugemutet. Als Beschäftigte gehen sie oft krank arbeiten und werden sogar im Krankenstand gekündigt.
Als Arbeitssuchende müssen sie viel auf sich nehmen, um trotz der geringen Zahl offener Stellen einen Arbeitsplatz zu finden.
Viele von ihnen haben einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben, der aber so niedrig ist, dass sie eine Aufzahlung aus der Mindestsicherung brauchen. Dafür wird ihnen zugemutet, alles was sie besitzen, offenzulegen.

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Ausgewählt und zusammengestellt von Adi Buxbaum und Sybille Pirklbauer, Arbeiterkammer Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578829196 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827163 "Risiko" Mensch abgewälzt Wieder einmal flammt die Debatte um die Einschränkung von Sozialleistungen auf. Dabei schwingt der Vorwurf mit, Menschen würden das Sozialsystem ausnutzen, wie es etwa bei der Mindestsicherung immer wieder unterstellt wird. Zusätzlich stehen auch Themen wie die Erhöhung des Pensionsantrittsalters, längere Arbeitszeiten und der ewige Ruf der Arbeitgeberseite nach der Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten regelmäßig auf der Tagesordnung. Demgegenüber steht eine ganz andere Wirklichkeit. Denn viele Arbeitgeber ersparen sich viel Geld auf Kosten ihrer MitarbeiterInnen – und diese Praxis treibt fleißig Blüten.

Altes Eisen ausgedient?

Während von Wirtschaftsseite derzeit wieder die Erhöhung des Regelpensionsalters und der Pensionsautomatismus angepriesen werden, sind ältere ArbeitnehmerInnen mit eher düsteren Prognosen am Arbeitsmarkt konfrontiert. Der Anteil an älteren Arbeitslosen steigt stärker an als der Durchschnitt und ältere Arbeitslose bleiben auch um ein Drittel länger ohne Beschäftigung.
Trotzdem trommelt die Wirtschaftsseite verstärkt die Forderung nach einer vorzeitigen Anhebung des Frauenpensionsalters. Dabei wird gerne übersehen, dass die Arbeitslosenquote bei den 55- bis 59-jährigen Frauen stetig steigt. Fast ein Drittel aller Frauen geht bereits nicht aus einer Beschäftigung heraus in die Alterspension. Und die Frauen, die bis zum Erreichen des Regelpensionsalters einen Arbeitsplatz haben, sind oft spätestens dann mit Kündigungen konfrontiert. Auch wenn das kaum bekannt ist: Das ist eine unzulässige Diskriminierung, die bei Gericht bekämpft werden kann. Hier braucht es ein Umdenken aufseiten der Unternehmen.
Diesen Fakten zum Trotz sollen ArbeitnehmerInnen immer länger arbeiten. Wenn sie früher in Pension gehen, müssen sie mit empfindlichen Abschlägen rechnen. Zugleich wollen viele Unternehmen die teureren oder vielleicht gesundheitlich schon angeschlagenen älteren Arbeitskräfte durch billigere, jüngere ArbeitnehmerInnen ersetzen.
Davor bietet das Arbeitsverfassungsgesetz zwar einen gewissen Schutz, dieser stößt aber in der Realität oft an seine Grenzen. Kündigungen können wegen Sozialwidrigkeit bei Gericht bekämpft werden. Dabei wird die gesamte wirtschaftliche und soziale Situation des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin berücksichtigt und geprüft, ob der Verlust dieses Arbeitsplatzes zumutbar ist – dabei spielt es eine wesentliche Rolle, ob der oder die Betroffene die Chance auf einen Job anderswo hat.
Die Rechtsprechung stellt hier stark auf den Einzelfall ab. Grob gesagt wird eine Arbeitssuche von bis zu einem halben Jahr und ein Einkommensverlust von bis zu zehn Prozent als zumutbar erachtet. Da die meisten Anfechtungsverfahren in einem finanziellen Vergleich und nicht mit der Weiterbeschäftigung der betroffenen ArbeitnehmerInnen enden, sind diese ihren Arbeitsplatz dann los. Und wer auf dem eng gewordenen Arbeitsmarkt keinen Platz mehr findet, landet in der Arbeitslosigkeit, in Rehabilitationsmaßnahmen oder anderen sozialen Sicherungssystemen, die von der Allgemeinheit finanziert werden – während die Unternehmen Kosten sparen.

Krank und gekündigt

Einer der häufigsten Irrtümer im Arbeitsrecht ist der Glaube, dass man im Krankenstand nicht gekündigt werden kann. Weit gefehlt: Häufige oder lang andauernde Krankenstände sind unter Umständen sogar eine rechtliche Rechtfertigung für den Arbeitgeber, ArbeitnehmerInnen zu kündigen. Krankenstände können nämlich sogenannte „personenbezogene Kündigungsgründe“ darstellen. Zwar ist die Kündigung im Krankenstand für den Arbeitgeber dadurch weniger attraktiv, weil er sich der Entgeltfortzahlung nicht entziehen kann – sie gilt über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus. Die Wirklichkeit zeigt allerdings, dass das viele Arbeitgeber trotzdem nicht von Kündigungen abhält. Noch schlechter ist die Situation, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigten oder die Beschäftigte zu einer einvernehmlichen Auflösung überredet oder wenn die Lösung während eines Krankenstandes in der Probezeit stattfindet: Hier endet der Entgeltanspruch sofort. Die Arbeitgeber können in diesen Fällen ihre Personalkosten direkt auf die Allgemeinheit (z. B. Krankengeld als Sozialversicherungsleistung) abwälzen.
Eine Umfrage der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2013 zeigte: Fast jede/r zehnte Befragte wurde zumindest einmal im Zusammenhang mit Krankenstand bereits zu einer einvernehmlichen Lösung oder Selbstkündigung gedrängt. Elf Prozent der Befragten wurden bereits einmal im Krankenstand gekündigt oder entlassen. Wen wundert es da noch, dass ArbeitnehmerInnen krank arbeiten gehen? Neun von zehn Personen gaben das in der Umfrage an, oft schlicht aus Angst vor Jobverlust. Ein besserer Kündigungs- und Entgeltschutz im Krankenstand wäre also dringend notwendig.
Auch schwangere Arbeitnehmerinnen kämpfen regelmäßig mit der Angst vor einem Arbeitsplatzverlust. Immer wieder kommt es vor, dass schwangere Arbeitnehmerinnen, die sich in der Probezeit befinden, unmittelbar nach Bekanntwerden einer Schwangerschaft gekündigt werden. Bei anderen Frauen wird die Befristung aufgrund dessen nicht verlängert. Das sind verbotene Diskriminierungen.
Der Schutz nach dem Gleichbehandlungsgesetz greift in der Praxis aber nur bedingt: In den seltensten Fällen kehren die Frauen nach einer Klage an den Arbeitsplatz zurück. Entweder gehen die Verfahren verloren, weil die Diskriminierung schwierig zu beweisen ist, oder sie enden in einem Vergleich. Diese Frauen landen daher in vielen Fällen im Arbeitslosengeldbezug oder in der Mindestsicherung.

Überstunden bis zum Umfallen

Eine indirekte Form, Kosten auf die Allgemeinheit zu übertragen, sind Überstunden. Allein im Jahr 2014 leisteten die ArbeitnehmerInnen in Österreich 269 Millionen Überstunden – 57 Millionen davon wurden nicht bezahlt. Unbezahlte Überstunden bedeuten eine Bereicherung der Arbeitgeber an Arbeitskraft und Wertschöpfung – ohne Gegenleistung, somit letztlich Ausbeutung. Für die ArbeitnehmerInnen bedeutet ein Zuviel an Überstunden höhere Belastungen, weniger Zeit für körperliche und psychische Regeneration und damit Überarbeitung mit negativen gesundheitlichen Folgen.
Ein erster guter Schritt wäre es, wenn Arbeitgeber je geleistete Überstunde einen Euro zusätzlich ins Gesundheits- und Arbeitsmarktbudget einzahlen müssten und so zur Abfederung der gesamtgesellschaftlichen Folgen von Überstundenarbeit einen fairen Beitrag leisten.
Auch die Diskriminierung von Frauen bei der Entlohnung bedeutet auf Dauer eine Ersparnis für die Arbeitgeber und ein Abwälzen von Verantwortung an den Staat bzw. die Arbeitnehmerinnen selbst. Nach wie vor haben Frauen einen Einkommensnachteil von 15 Prozent, der nicht mit objektiven Faktoren (Ausbildung, Branche, Beruf etc.) erklärt werden kann. Seitens der Arbeitgeber wird dieser gerne kleingeredet. Als Rechtfertigung fällt nicht selten der Satz: „Frauen verdienen deshalb weniger, weil sie schlechter verhandeln.“ Das Verhandlungsgeschick von Frauen ist aber gerade keine sachliche Rechtfertigung für eine Schlechterstellung beim Entgelt. In der Praxis passiert Diskriminierung dennoch sehr häufig. Die Frauen begleitet dieses Minus ein Leben lang – und oft genug muss der Staat ausgleichend einspringen und Geld zuschießen, damit etwa Pensionen den Frauen ein Überleben sichern.
All das sind nur einige Beispiele für Praktiken von Arbeitgebern, die das Sozialsystem belasten und die in den Diskussionen über Reformen bzw. vielmehr Kürzungen von Sozialleistungen allzu selten vorkommen. Zeit also, den Blick dorthin zu lenken, wo die Unternehmen das „Risiko“ Mensch auf die Allgemeinheit abschieben. Und höchste Zeit, dass die Wirtschaft Verantwortung für die Menschen übernimmt, von deren Arbeitskraft sie jeden Tag profitiert.

Linktipps:
Rechtsinfos der AK:
tinyurl.com/zpn2hcc
Broschüre Arbeitsrecht griffbereit:
tinyurl.com/zwyf9ao

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen bianca.schrittwieser@akwien.at, ruth.ettl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Bianca Schrittwieser, Abteilung Frauen und Familie der AK Wien</br>Ruth Ettl, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827171 Die Verstaatlichung des "Risikos" Mensch: Manche Unternehmer nutzen den Sozialstaat aus, um sich Kosten zu sparen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827145 Das zugemutete Minimum Aktuell sind 1,6 Millionen Menschen in Österreich von Armut und Ausgrenzung betroffen. Doch nur rund 256.000 von ihnen beziehen die sogenannte Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Ein Grund für diese große Kluft ist, dass BMS-AntragstellerInnen deutlich mehr zugemutet wird als anderen LeistungsbezieherInnen. Wenn also aktuell über die Mindestsicherung diskutiert wird, müsste die Frage eigentlich vielmehr lauten: Wie kann man alle Armutsgefährdeten erreichen?, statt: Wie kann man am besten kürzen? Schließlich ist die BMS das letzte soziale Netz – darunter gibt es nichts mehr.

Wer Mindestsicherung bezieht

2014 bezogen 256.400 Menschen Mindestsicherung. Dafür wurden 673 Millionen Euro aufgewandt, das ist weniger als ein Prozent des Sozialbudgets. Der überwiegende Teil der LeistungsempfängerInnen sind ÖsterreicherInnen. AusländerInnen erhalten diese Leistung nur dann, wenn sie zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt sind. AsylwerberInnen sind das nicht, EU-BürgerInnen nur dann, wenn sie hier einen Job haben (als ArbeitnehmerInnen) oder schon fünf Jahre in Österreich gemeldet waren (Aufenthalt).
So manche denken bei Mindestsicherungs-BezieherInnen an Menschen, die untätig zu Hause sitzen und eine Leistung kassieren, für die sie nichts eingezahlt haben. Die Wirklichkeit schaut aber anders aus: Drei von vier BezieherInnen haben nur eine „Aufzahlung“ aus der Mindestsicherung, sie bekommen also nur einen Teilbetrag – entweder weil sie zu wenig verdienen, um ihre Familie erhalten zu können, oder weil ihr Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe zu gering ist („Aufstocker“). Das zeigt vor allem auf, dass die Leistungen in der Arbeitslosenversicherung zu niedrig sind, um davon leben zu können. In Wien sind sogar neun von zehn BezieherInnen der Mindestsicherung „AufstockerInnen“.
In den Medien werden Berechnungen für alle möglichen Beispiele nur so herumgereicht. Aber fangen wir einmal ganz einfach an: Der Richtsatz für eine alleinstehende Person beträgt 838 Euro pro Monat, also so viel wie bei der „Mindestpension“. Allerdings wird die Pension 14-mal, die BMS jedoch nur zwölfmal im Jahr ausgezahlt. Die Armutsschwelle wird damit bei Weitem nicht erreicht, die liegt nämlich bei 1.160 Euro pro Monat (zwölfmal im Jahr). Ein großer Fortschritt der BMS im Vergleich zur Sozialhilfe war, dass die BezieherInnen jetzt voll krankenversichert sind. Aus menschlicher wie ökonomischer Sicht ist es nämlich wesentlich besser, wenn kranke Menschen so schnell wie möglich zum Arzt gehen und nicht warten, bis die Behandlung wirklich langwierig und damit möglicherweise erst recht teuer wird.
Lebt eine zweite erwachsene Person im Haushalt, die ebenfalls Mindestsicherung beantragt hat, bekommt das Paar noch einmal die Hälfte vom Alleinstehenden-Richtsatz dazu, also gesamt 1.257 Euro. Dahinter steht die Annahme, dass es bei einem gemeinsamen Haushalt Einsparungen gibt, etwa bei der Miete. Das ist sicher nicht ganz falsch. Allerdings bedingt die Hälfte von einem schon niedrigen Satz ein insgesamt schwieriges Auskommen, wenn man bedenkt, wo die Schwelle für die Armutsgefährdung für eine Person liegt.

Zweifelhaftes Sparpotenzial

Für Kinder gibt es mindestens 151 Euro, die meisten Bundesländer haben aber höhere Richtsätze. Ab dem vierten Kind wird jedoch zum Teil wieder reduziert. Die andiskutierte Deckelung mit 1.500 Euro pro Familie würde rund 40.000 Kinder treffen, und das, obwohl Kinder schon jetzt überdurchschnittlich von Armut betroffen sind.
Zudem ist ein Viertel der Mindestsicherung für Wohnkosten reserviert – bei Alleinstehenden sind dies kärgliche 208 Euro. Können die Kosten nicht nachgewiesen werden, etwa weil der Vermietende das Geld lieber „schwarz“ möchte oder eigentlich nicht untervermieten darf, wird dieser Anteil abgezogen. BMS-BezieherInnen bleibt oft nichts anderes übrig, als auf so schlechte Bedingungen und gar Mietwucher einzusteigen, etwa indem sie nur ein Bett in einem Zimmer mit mehreren Personen vermietet bekommen, weil sie sonst schlicht obdachlos wären. Bei den viel diskutierten Sachleistungen wäre es daher sinnvoll, beim Wohnen anzusetzen. Essensmarken und Ähnliches brächten hingegen eine Reihe von Problemen: Neben einem hohen Verwaltungsaufwand würden die BezieherInnen auch gehindert, wirklich billige Einkaufsmöglichkeiten wie (Floh-)Märkte oder kleine Lebensmittelhändler zu nutzen. Eingespart würde dabei jedenfalls nichts. Einkommen, Arbeitslosengeld, Unterhaltszahlungen u. Ä. werden jeweils angerechnet und reduzieren den BMS-Anspruch. Der überwiegende Teil der BMS-BezieherInnen hat solche Einkünfte, deswegen liegen die tatsächlichen Auszahlungsbeträge weit unter den Richtsätzen, nämlich im Schnitt bei 535 Euro im Monat.

Arbeitskraft voraus

Bei der Mindestsicherung besteht Arbeitspflicht. Wer im Erwerbsalter und arbeitsfähig ist, muss eine zumutbare Arbeit annehmen und auch an Maßnahmen wie Qualifizierungen oder Arbeitstrainings teilnehmen. Sonst wird die Mindestsicherung gekürzt. Ausgenommen davon sind nur Menschen mit Betreuungspflichten für Kinder unter drei Jahren oder diejenigen, die einen pflegebedürftigen Angehörigen mit mindestens Stufe 3 betreuen. Allerdings wäre es für die Betroffenen, meist Frauen, oft hilfreicher, wenn ihnen eine Betreuung für das Kind oder den Angehörigen angeboten würde und sie so wieder erwerbstätig sein könnten. Dazu müsste das Pflegeangebot allerdings deutlich ausgebaut werden.
Wer den (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben schafft, muss zwar die vorher bezogene Mindestsicherung nicht zurückzahlen, jedoch wird das zusätzliche Einkommen von der laufenden Mindestsicherung bis auf einen kleinen Freibetrag abgezogen. So bleiben beispielsweise einer Alleinerziehenden, die eine geringfügige Beschäftigung mit 350 Euro annimmt, nur knapp 59 Euro über. Es wäre daher dringend notwendig und wichtig, die Freibeträge beim Einstieg deutlich anzuheben, damit das zusätzliche Einkommen auch wirklich spürbar für die Betroffenen ist. Diese sollten dann nur langsam sinken und irgendwann enden, damit die Mindestsicherung nicht zu einer dauerhaften Lohnsubvention wird. Da würde nämlich die Gefahr drohen, dass Arbeitgeber das ausnützen.
Bevor man die Mindestsicherung bekommt, muss das eigene Vermögen aufgebraucht werden. Maximal knapp 4.190 Euro (2016) darf man behalten. Die meisten BezieherInnen haben aber ohnehin keine Ersparnisse. Auch wer ein Auto besitzt, muss dieses verkaufen – außer das Gefährt ist berufs- bzw. behinderungsbedingt notwendig. Ein Porsche oder BMW fällt da mit Sicherheit nicht darunter.
Der Zwang zur Vermögensverwertung ist ein Grund, warum viele Menschen die Mindestsicherung nicht beantragen, obwohl sie sie brauchen könnten. Die weitverbreitete Angst, sein Eigenheim aufgeben zu müssen, besteht allerdings zu Unrecht. Niemand muss wegen der Mindestsicherung aus einer Eigentumswohnung ausziehen, allerdings trägt sich das Sozialamt nach einem halben Jahr Bezug ins Grundbuch ein. Das ist eine gute Lösung: Der oder die BezieherIn muss den billigen Wohnraum nicht wegen der Mindestsicherung aufgeben. Umgekehrt gibt es natürlich keinen Grund, das Erbe für die Nachkommenschaft mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren.

Alles unter Kontrolle

Kaum eine Leistung wird so häufig unter dem Titel Missbrauch diskutiert wie die Mindestsicherung. Dabei wird nirgends so streng kontrolliert wie hier. So sind schon beim Antrag die Kontoauszüge für mehrere Monate, allfällige Sparbücher, Bausparverträge, Lebensversicherungen und Ähnliches vorzulegen. Wer diese Auskünfte unzumutbar findet, dessen Antrag wird gleich gar nicht bearbeitet.

Wenig Missbrauch

Zudem werden in den Bundesländern laufend Kontrollen durchgeführt. Die Zahl der Fälle mit widerrechtlichem Bezug liegt jedoch im Promillebereich. Österreichweit betrug der Anteil der Mindesthilfe-BezieherInnen mit Bezugssperren lediglich 0,8 Prozent. Es scheint also zuzutreffen, was PrüferInnen aus Niederösterreich festhielten: „Generell wird der Spielraum für einen missbräuchlichen Bezug der BMS als sehr gering angesehen.“ Der Aufwand für die Kontrollen lohnt sich also finanziell kaum – oder wäre beim Kampf gegen Steuerhinterziehung oder Lohn- und Sozialdumping sehr viel besser eingesetzt, wo sich Unternehmen Tausende, wenn nicht gar Millionen von Euro durch die Umgehung der Gesetze „ersparen“.

Linktipps:
Faktencheck Mindestsicherung:
tinyurl.com/gp7qvue
„In der Mitte angekommen“:
orf.at/stories/2285355/2285356

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sybille Pirklbauer, Abteilung Frauen und Familie der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827156 Nirgends wird so streng kontrolliert wie bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Schon beim Antrag sind die Kontoauszüge für mehrere Monate, Sparbücher, Bausparverträge, Lebensversicherungen und Ähnliches vorzulegen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578827120 Die Solidaritätsfrage Ein sozialpolitischer Fortschritt in einem Europa, das gerade dabei war (und ist), sich selbst kaputtzusparen und bei dieser Gelegenheit sozialen Kahlschlag zu betreiben: Genau das ist die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, die am 1. Dezember 2010 an die Stelle der Sozialhilfe trat. Mittlerweile sind über fünf Jahre vergangen und die Situation in Europa hat sich nicht verbessert. Im Gegenteil: Der Druck auf die öffentlichen Haushalte hat EU-weit weiter zugenommen, auch in Österreich wird immer öfter der Rotstift angesetzt, und doch will der dadurch erhoffte Wirtschaftsaufschwung nicht eintreten – oder vielmehr genau deshalb.
Bund und Länder haben sich zuletzt zusammengesetzt und Änderungen bei der Mindestsicherung verhandelt. Die Aussichten auf wesentliche Verbesserungen – und es gibt viele Baustellen – sind jedoch gering, der finanzielle und ideologische Druck hin zu Leistungskürzungen dafür umso größer.

Die Tücken der Reform

Eines der wichtigsten Ziele, die man mit der Mindestsicherung erreichen wollte, war die Vereinheitlichung der Leistungen der Bundesländer. Denn die von den Bundesländern verwaltete Sozialhilfe hatte sich im Lauf der Jahrzehnte davor sehr weit auseinanderentwickelt. In der Mindestsicherung sollte eine einheitliche Grundleistung bestehen, den Ländern würde die Möglichkeit bleiben, diese nach ihren Vorstellungen zu ergänzen. Fünf Jahre nach Einführung der Mindestsicherung hat die jeweils eigene Interpretation der Regelung aus dem Jahr 2010 in den Bundesländern für beträchtliche Auslegungsunterschiede gesorgt. Hier sollte bei den Neuverhandlungen eine gemeinsame Position gefunden werden, was jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten einhergeht. Die wenigsten Bundesländer waren nämlich gewillt, ihre eigene Auslegung der bisherigen Vereinbarung zugunsten eines anderen Bundeslandes aufzugeben. Dazu kommen ideologisch-parteipolitische Kraftspiele, beispielsweise bei der Neugestaltung des Freibetrags beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Zusätzlich kosten Neuregelungen meistens Geld, zumindest dann, wenn sie Lücken schließen sollen, die bei der ursprünglichen Vereinbarung nicht berücksichtigt worden sind.
Vor diesem Hintergrund ist Entwicklung schwierig – jedenfalls eine, die zu Verbesserungen für die Betroffenen führt. Die Mindestsicherung läuft mittlerweile Gefahr, dass diejenigen, die von ihrer Arbeitsleistung mehr schlecht als recht leben können, gegen jene ausgespielt werden, die kaum etwas haben (die BezieherInnen der Mindestsicherung). Das gilt es zu vermeiden, soll nicht die Mindestsicherung als Auffangnetz für sozial Schwache grundsätzlich infrage gestellt werden.

Von Deckelung und Kinderarmut

Alleinstehende erhalten aktuell maximal 837 Euro pro Monat. Paare bekommen mehr, ebenfalls Familien, je nach Anzahl der Kinder. Der „Grundbetrag“ entspricht grundsätzlich der Ausgleichszulage (Mindestpension). Ein entscheidender Unterschied ist jedoch, dass Mindestsicherung nur bekommt, wer kein relevantes Vermögen mehr besitzt. Zudem wird die BMS maximal zwölfmal im Jahr ausgezahlt, die Ausgleichzulage 14-mal. Dazu muss man wissen, dass die Mehrheit der Mindesthilfe-BezieherInnen nur einen Teil der 837 Euro erhält. Diese Menschen sind entweder beschäftigt oder beziehen eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe).
Personen oder Gruppen fordern nun eine Deckelung der Mindestsicherung. Ihr Argument: Die Mindestsicherung dürfe nicht „lukrativer“ sein als eine Erwerbsarbeit. Diesem Argument ist zweifellos etwas abzugewinnen, es ignoriert nur eine wichtige Tatsache: Niemandem, der arbeitsfähig ist, steht es frei, sich auszusuchen, ob er oder sie arbeiten möchte oder nicht. Wer die Arbeitsaufnahme verweigert, dem wird die Mindestsicherung gekürzt. Das ist nicht neu. Die Mindestsicherung beruht auf dem Grundsatz der Subsidiarität. Das bedeutet, dass Menschen ihren Möglichkeiten entsprechend bereit sein müssen, ihre Arbeitskraft einzusetzen, wenn sie Anspruch auf eine Mindestsicherungsleistung haben wollen.
Außerdem muss allen, die eine Deckelung fordern, klar sein, dass das zu einer Verschärfung von Kinderarmut führt. Eine Deckelung bei 1.500 Euro bedeutet schlicht, dass für das zweite Kind weniger Geld ausbezahlt wird als für das erste – und für das dritte oder vierte gar nichts mehr. „Bereits mehr als 400.000 Kinder von Armut bedroht“ ist eine Überschrift, die vor wenigen Wochen in einer österreichischen Tageszeitung zu lesen war. Eine Deckelung der Mindestsicherung wird dieses Problem sicher nicht lösen, sondern eher das Gegenteil bewirken.
Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Jahr 1988 ein Richtsatzsystem mit einer Leistungsdeckelung, die nicht auf die Größe der „Bedarfsgemeinschaft“, sprich Familie, Rücksicht nimmt, in der (Kärntner) Sozialhilfe als unsachlich und daher unzulässig beurteilt (VfGH 15.03.1988, G158/87; G229/87; V141/87).

Die Angst vor dem Missbrauch

KritikerInnen der Mindestsicherung argumentieren oft, dass es für die Betroffenen leicht sei, eine vermeintliche Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zu signalisieren, ohne dass sie in Wirklichkeit die Absicht hätten, eine Beschäftigung aufzunehmen. So könne die Pflicht zur Arbeitsaufnahme umgangen werden.
Ist Missbrauch in der Mindestsicherung (oder bei anderen Leistungen der öffentlichen Hand) auszuschließen? Wohl kaum. Es ist schlicht unmöglich, soziale und andere Systeme so zu gestalten, dass gar kein Missbrauch möglich ist. In der Mindestsicherung wird allerdings besonders stark auf Missbrauchsvermeidung geachtet – wahrscheinlich mehr als in jeder anderen Sozialleistung.
In der Praxis zeigt sich, dass Missbrauch kaum vorkommt. Anfragen bei den zuständigen Landesbehörden haben gezeigt, dass die Kontrollen extensiv und die Missbrauchsfälle wenige sind. Das ist aufgrund der strengen Antragsprüfungen durch die Sozialämter und der angespannten finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte (wir befinden uns im achten Jahr der Wirtschaftskrise) auch nicht weiter verwunderlich.
Abgrenzung nach „unten“ statt Blick auf die wahren Probleme: So könnte man die aktuelle Debatte zusammenfassen. „Arbeit lohnt sich nicht! Zumindest nicht, wenn z. B. bei schlecht bezahlter Teilzeitarbeit weniger Geld übrig bleibt, als die Unterstützung aus der Mindestsicherung ausmacht“: So lautet ein häufiger Einwand gegen eine vermeintlich zu großzügige Mindestsicherung. Aber ist das tatsächlich die Frage, um die es in der momentanen Situation geht?
Die öffentlichen Haushalte sind europaweit unter enormem Druck, ihre Ausgaben und Leistungen zu kürzen – vor allem die sozialen. ArbeitnehmerInnenvertretungen müssen in Süd- und Osteuropa fast aussichtslose Abwehrschlachten um hart erkämpfte Rechte wie Kündigungsschutz oder Mindestlöhne führen. Und in Österreich werden diejenigen, die gerade noch im Erwerbssystem integriert sind – wie GeringverdienerInnen oder atypisch Beschäftigte mit geringer sozialer Absicherung –, gegen jene ausgespielt, die auf den Sozialstaat angewiesen sind. Die Angst, (noch weiter) abzusteigen, stärkt immer auch das Bedürfnis nach Abgrenzung gegenüber jenen, deren Situation noch misslicher ist.

Abgrenzung nach „unten“

Diese angestachelte Abgrenzung nach „unten“ scheint auch den gewünschten Effekt zu haben. Sie lenkt vom zentralen Problem unserer Zeit ab: der stetig wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, mit den trotz aller Krisen größer werdenden Vermögen auf der einen und der zunehmenden Prekarisierung der Lebensverhältnisse auf der anderen Seite. Die ArbeitnehmerInnenbewegung muss sich dessen bewusst sein!

Blogtipp:
Arbeit&Wirtschaft-Blog:
tinyurl.com/jok93ax

Linktipp:
„In der Mitte angekommen“:
orf.at/stories/2285355/2285356

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor norman.wagner@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Norman Wagner, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827132 Die Debatten über die Mindestsicherung haben die Abgrenzung nach "unten" erneut angestachelt. Sie scheinen den gewünschten Effekt zu haben: die Ablenkung von der stetig wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827137 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826979 Zumutbarer Gemeinnutzen? Immer wieder wird von politischer Seite überlegt, den Erhalt des Arbeitslosengeldes bzw. der Mindestsicherung an die Durchführung gemeinnütziger Aktivitäten zu knüpfen. In Deutschland ist die Aufnahme von Billigjobs „im öffentlichen Interesse“ für Dauerarbeitslose verpflichtend. Das „Arbeitstraining“, mit dem der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein im Jahr 2000 Langzeitarbeitslosen gemeinnützige Tätigkeit verordnen wollte, ist zwar gescheitert. Doch immer wieder werden mehr oder weniger explizite Rufe danach laut. Etwa der Sager von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl im Sommerloch 2015: Wäre er arbeitslos, würde er jede Tätigkeit annehmen. Schon wegen der Sinnstiftung.

Gemeinnützige Projekte

Die Forderung nach gemeinnütziger Arbeit für Arbeitslose in Österreich stünde „zum Glück“ nicht auf der politischen Agenda, sagt Marius Wilk, Experte des Arbeitsmarktservice (AMS). Für Langzeitarbeitslose stehen die mittlerweile „klassischen“ Instrumente, wie sozialökonomische Betriebe (SÖB), die gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte (GBP) und die gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung, zur Verfügung. Mit der Novelle 2007 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) hatte die rot-schwarze Regierung dem Artikel 9 den Absatz 7 hinzugefügt. Damit wird „ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis eines SÖB oder GBP für zumutbar“ erklärt.
„Dieser erhöhte Druck führt nicht ans Ziel“, heißt es auf der Homepage von arbeit plus, vormals Bundesdachverband für Soziale Unternehmen. Das Netzwerk gemeinnütziger arbeitsmarktpolitischer Unternehmen vergibt ein Gütesiegel an die „arbeitsmarktintegrativen“ sozialen Unternehmen, wie sozialökonomische Betriebe (SÖB) oder gemeinnützige Beschäftigungsprojekte (GPB). Voraussetzung zum Einstieg in den Begutachtungsprozess ist die Erfüllung der Grundwerte, darunter Einhaltung der Arbeitsrechte.

Deutschlands Ein-Euro-Jobs

Mit sogenannten Ein-Euro-Jobs können sich deutsche Langzeitarbeitslose ein Taschengeld zur „Arbeitslosen“ dazuverdienen. Dabei gilt: Die Beschäftigung muss im öffentlichen Interesse liegen, darf aber keine regulären Arbeitsplätze verdrängen. KritikerInnen zweifeln an der Wirksamkeit dieser Maßnahme. Sie helfe vor allem, die Arbeitslosenstatistik aufzuhübschen, denn die Billig-Jobber werden nicht als arbeitslos gezählt. Der frühere Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele hatte die Maßnahme mit der Sinnhaftigkeit von Schwalbenzählen auf Helgoland verglichen.
Bekannt wurde der erste (aber nicht der letzte) Ein-Euro-Jobber an der Universität Hamburg. Er habe für einen Euro pro Stunde geforscht und ein Projekt über Ausgrabungen in Äthiopien geleitet, berichtete er. Die Bundesagentur für Arbeit vergibt inzwischen immer weniger Jobs dieser Art. Sie führten in weniger als zehn Prozent der Fälle zu einem erfolgreichen Einstieg in sozialversicherungspflichtige Arbeit, begründete Heinrich Alt von der deutschen Bundesagentur für Arbeit, den Abbau.
Nunmehr sollen in Deutschland knapp 100.000 bislang nur Hartz-IV-EmpfängerInnen angebotene Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge geschaffen werden, geht es nach den Plänen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). „Sie mögen zwar kurzfristig bei der sozialen Integration hilfreich sein“, kritisierte der deutsche Arbeitsmarktexperte Ronald Bachmann, „längerfristig sind sie aber kaum ein gutes Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt.“

Asylwerbende

Asylwerbende in Österreich dürfen – bis auf Ausnahmen in der Erntehilfe und Saisonarbeit – keine bezahlte Tätigkeit aufnehmen. Doch das Grundversorgungsgesetz des Bundes 2005 bietet die Möglichkeit der gemeinnützigen Beschäftigung in Einrichtungen von Bund, Land und Gemeinden. Vorteile, wie soziale Integration, Akzeptanz in der Bevölkerung, stehen den Nachteilen, wie Gefahr der Ausbeutung von billigen Arbeitskräften, gegenüber. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter Caritas und Volkshilfe, haben daher Qualitätsstandards für die gemeinnützige Beschäftigung von Asylwerbenden erstellt, allen voran die Freiwilligkeit.
Wie gerne Menschen gemeinnützig tätig sind, zeigt der erste Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich aus dem Jahr 2009, demzufolge rund 45 Prozent der ÖsterreicherInnen in Organisationen, Vereinen oder der Nachbarschaftshilfe aktiv sind. „Der Bericht zeigt, dass ein hohes Maß an bezahlter Beschäftigung und sozialer Sicherheit die beste Voraussetzung für freiwillige Betätigung schafft“, schrieb der damalige Sozialminister Rudolf Hundstorfer im Vorwort des Berichtes.

Zweiter Arbeitsmarkt

Die Auseinandersetzung um den zweiten Arbeitsmarkt besteht, seit es beschäftigungspolitische Maßnahmen gibt. „Je nach Zielsetzung und politischer Grundstimmung in sehr unterschiedlicher Ausprägung“, hatte der damalige Mitarbeiter des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft, Rainer Klien, im Februar 2001 im A&W-Beitrag „Gegen Einheitsdenken und Zwangsarbeit. Zweiter Arbeitsmarkt und innovative Beschäftigungspolitik“ geschrieben. „Geschützte Werkstätten für Behinderte, ‚Notstandsarbeiten‘ wie Kanalisation, Autobahn, Arbeitshäuser zur Disziplinierung oder reguläre Arbeitsplätze im Non-Profit-Bereich zur Befriedigung wichtiger gesellschaftlicher Bedürfnisse.“ Je nach Machtverhältnis sei der zweite Arbeitsmarkt mit Zwang oder Freiwilligkeit verbunden. Mit Taschengeld oder regulärem Lohn, mit demütigender Beschäftigung in gesellschaftlich geächteten Bereichen oder in sinnvollen attraktiven Beschäftigungsnischen.

Fehlende Jobs

Von den innovativen Programmen der 1980er-Jahre, als unter Sozialminister Alfred Dallinger der zweite Arbeitsmarkt als Teil einer experimentellen Politik geschaffen wurde, ist heute keine Rede mehr. Von einer „Log-in-Falle“ spricht Martin Mair, Obmann der 2009 gegründeten Selbsthilfeorganisation „Aktive Arbeitslose“. „Wer einmal am zweiten Arbeitsmarkt ist, bleibt auch dort. Hauptproblem sind nicht die schrecklichen Vermittlungshindernisse der Menschen, sondern die fehlenden Jobs.“ Er kritisiert unter anderem die „Vermischung von Betreuungs- und Schulungsmaßnahmen“, die Zuweisungen mit Sanktionsdruck vom Arbeitsmarktservice (AMS) und die Umgehung von Kollektivverträgen durch Transitarbeitslöhne.
Seit der im Februar 2014 gestarteten Aktion 50+, mit der langzeitarbeitslose Personen vorrangig am zweiten Arbeitsmarkt integriert werden sollen, verzeichnet er steigende Beschwerden, vor allem von qualifizierteren älteren Menschen. So würden etwa Frauen mit langjähriger Erfahrung weit unter ihren Fähigkeiten an sozialökonomische Betriebe zugewiesen. Martin Mair: „Eine ehemalige Geschäftsführerin und Akademikerin durfte bei der Caritas zum Hungerlohn Fetzen schlichten.“

Ziel verfehlt

Auch die VerfasserInnen der WIFO-Studie (November 2014) „Evaluierung von sozialen Unternehmen im Kontext neuer Herausforderungen“ orten Reformbedarf. So könne etwa die gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung auch eine Sackgasse sein. Nicht selten würden die ProbandInnen nie verleast und häuften nur „Stehzeiten“ an. Tatsächlich wurden österreichweit nur ein Viertel, in Wien nur jeder fünfte Arbeitslose an einen Beschäftigerbetrieb überlassen.
Die aktivierenden Arbeitsmarktpolitiken haben ihr Ziel verfehlt, meinen auch die AutorInnen des 2012 erschienenen Buches „Aktivierung in die Prekarität“: „Sie haben zur Ausdehnung unsicherer und niedrig entlohnter Beschäftigung geführt.“ Der Zugang zu Leistungen aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz sei sukzessive erschwert und die Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft worden.

Blogtipp:
Aktive Arbeitslose Österreich:
www.aktive-arbeitslose.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826996 Der ehemalige Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele verglich Mini-Jobs mit der Sinnhaftigkeit von Schwalbenzählen auf Helgoland. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578827001 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826958 Zumutbar in die Zukunft Die Zumutbarkeitsregeln der Arbeitslosenversicherung stehen wieder im Zentrum der politischen Diskussionen. Mit mehr Druck sollen Arbeitslose zu rascher Annahme von Arbeit, egal welcher, gezwungen werden: Das ist die Absicht der einen. Sie als Hebel zu Zwangsarbeit zu demaskieren die der anderen. Über diesen Diskussionen geht eine zentrale Frage unter: Genügen diese Regeln eigentlich den aktuellen und absehbaren Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt? Diese lauten: anhaltender Mangel an Arbeitsplätzen insgesamt, steigende Anforderungen an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten, ihre beruflichen Qualifikationen und Leistungskraft sowie immer stärkere Instabilität und Prekarität von Beschäftigung.

Dafür lohnt es sich, zwei grundlegende Fragen miteinander zu verbinden: Erstens, was sind eigentlich die Kernfunktionen von Zumutbarkeitsregeln der Arbeitslosenversicherung? Zweitens, genügen diese Regeln für einen Arbeitsmarkt, auf dem letztlich Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Qualifikation im Wettbewerb um zu wenige Arbeitsplätze entscheiden?

Schutz und Disziplinierung

Die Zumutbarkeitsregeln bestimmen Inhalt und Grenzen für eine jener Voraussetzungen, die man erfüllen muss, wenn man Arbeitslosengeld und Notstandshilfe beziehen will: die sogenannte Arbeitswilligkeit. Sie entfalten eine doppelte Wirkung: Sie legen sowohl das Maximum an Einkommensverzicht fest als auch die Arbeitsqualität, die Arbeitssuchende bei einer neuen Beschäftigung akzeptieren müssen. Sie wirken somit als Schutz vor zu niedrigen Löhnen und gegen widrige Arbeitsbedingungen. Mit den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen legen sie den Mindestpreis für Arbeit auf einem Arbeitsmarkt fest und sind damit wichtig, um Armut zu vermeiden.

Strukturwandel unterstützen

Zumutbarkeitsregeln beeinflussen maßgeblich, in welchem Unternehmen bzw. auf welchem Arbeitsplatz die Produktivität der arbeitslos gewordenen ArbeitnehmerInnen wieder genutzt wird – damit hemmen sie im schlechtesten Fall den wirtschaftlichen Strukturwandel oder unterstützen ihn.
Sie sind weiters ein wichtiger Hebel der in Österreich spätestens seit dem EU-Beitritt verfolgten „aktivierenden“ Arbeitsmarktpolitik: Arbeitslose sind angehalten, an Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen und auch Beschäftigungsverhältnisse auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt zu akzeptieren. Sie verlangen von Arbeitssuchenden somit mehr, als sich nur vermitteln zu lassen. Zugleich ist damit ihre disziplinierende Wirkung auf Arbeitssuchende mindestens so wichtig geworden wie die Schutzwirkung.
Alle Prognosen und alle Szenarien der wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich legen eines nahe: Die Qualifikation der Beschäftigten, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Bereitschaft zur Anpassung an Veränderungen in der Arbeitswelt sind der entscheidende Faktor für Erfolg im globalen Wettbewerb, beim Einsatz neuer Technologien, neuer Geschäftsmodelle und neuer Formen der Arbeitsteilung. Auch wenn es nicht die alleinige Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik ist: Sie macht nur Sinn, wenn sie auch auf die Erhöhung des sogenannten Humankapitals und die Sicherung der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit von Personen im Erwerbsalter ausgerichtet ist.
Diese Zielsetzungen müssen durch die Regeln der Arbeitslosenversicherung unterstützt werden, und zwar unter anderem durch Zumutbarkeitsbestimmungen, die eine Verschlechterung der beruflichen Laufbahn von ArbeitnehmerInnen durch Arbeitslosigkeit verhindern und gleichzeitig gestatten, dass ArbeitnehmerInnen die Arbeitslosigkeit für einen bestmöglichen Neustart auf dem Arbeitsmarkt nutzen können.

Moderne Kernziele

Damit rückt der Einkommens- und Berufsschutz in die Aufmerksamkeit. Die geltenden Zumutbarkeitsbestimmungen bei Arbeitslosigkeit schützen die Qualifikation für 100 Tage, das erreichte Einkommen für 120 Tage.
Dieses Schutzniveau ist unzureichend, denn in viel zu vielen Fällen bedeutet Arbeitslosigkeit einen lang nachwirkenden Knick beim Einkommen und bei der beruflichen Entwicklung. Arbeitssuchende haben wegen der Zumutbarkeitsbestimmungen und des im EU-Vergleich niedrigen und kurzen Arbeitslosengeldes ganz einfach zu wenig Zeit für die Suche nach einem Arbeitsplatz, der ihrem Qualifikations- und Einkommensstand entspricht.
Auch die Ausweitung der Zumutbarkeitsregeln auf die Teilnahme an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gewährleistet Schutz und Ausbau von beruflichen Qualifikationen nur unzureichend. Arbeitssuchende müssen laut Gesetz zwar dazu bereit sein, sich „zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen“ zu lassen bzw „an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“ teilzunehmen“.
Diese Regeln müssen ergänzt werden, wenn eine Politik der Höherqualifizierung durch die Arbeitslosenversicherung unterstützt werden soll. Die „berufliche Um- oder Nachschulung“ sollte zumindest auf ein höheres Qualifikationsniveau zielen. Zugleich sollte sie auf den festgestellten Eignungen und Neigungen der Arbeitssuchenden beruhen müssen.

Rechtzeitig wechseln

Unzulänglich sind auch der Schutz und die Entwicklung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Denn der Verlust der Arbeitsfähigkeit stellt sich meist nicht schlagartig ein. Vielmehr kündigt er sich in der Regel über viele Jahre hinweg an. In vielen Fällen wäre es notwendig, dass die ArbeitnehmerInnen rechtzeitig die Tätigkeit oder den ausgeübten Beruf wechseln. In den aktuellen Zumutbarkeitsregeln spielt dies jedoch keinerlei Rolle.

Höherqualifizierung als Ziel

Die Stoßrichtungen einer den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt angepassten Weiterentwicklung der Zumutbarkeitsregeln sind bereits sichtbar geworden: Sie sollten nicht nur auf eine rasche Arbeitsaufnahme ausgerichtet sein. Denn der Preis einer dauerhaften Verschlechterung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen sowie des Vergeudens beruflichen Wissens ist zu hoch – für die Betroffenen, für die Gesellschaft.
Zukunftsfähig sind Zumutbarkeitsregeln nur dann, wenn sie eine Arbeitsmarktpolitik zur „Vermehrung der besten Köpfe“ unterstützen. Anders ausgedrückt: Berufliche Höherqualifizierung sollte das zentrale Ziel einer modernen Arbeitslosenversicherung sein. Die Messlatte für die Qualifikation der Beschäftigten bleibt ihr Einkommen. Der Ausbau des Einkommensschutzes wird damit zur notwendigen Triebfeder einer Arbeitsmarktpolitik, die auf Erhalt und Ausbau des beruflichen Wissens und Könnens von Arbeitssuchenden zielt.
Aus- und Weiterbildung können aber sinnvollerweise nicht von Amts wegen verordnet werden. Mitwirkung und -bestimmung durch die Arbeitssuchenden müssen daher in die Zumutbarkeitsbestimmungen eingebaut werden. Ein möglicher Weg könnte darin bestehen, lediglich „Maßnahmen der beruflichen Wiedereingliederung“ als zumutbar gelten zu lassen, die auf einer gemeinsamen Beurteilung von Potenzial und Stoßrichtung einer beruflichen Höherqualifizierung durch AMS und Betroffene beruhen. Die Alterung der Erwerbsbevölkerung und die hohen Produktivitätserfordernisse der Wirtschaft erfordern eine deutlich bessere Berücksichtigung von Gefährdungen der Arbeitsfähigkeit auch in den Zumutbarkeitsregeln. Die Berücksichtigung arbeitsmedizinischer Prognosen sollte im Bedarfsfall bei der Beurteilung der Zumutbarkeit Eingang finden, um so eine „alternsgerechte“ Arbeitsmarktpolitik zu unterstützen.

Möglichkeiten verbessern

Mit solchen Veränderungen verlieren die Zumutbarkeitsbestimmungen zu einem guten Teil ihre Bedeutung als „Knüppel“ der Arbeitsmarktpolitik. Bei anhaltendem Mangel an Arbeitsplätzen geht es nicht um das Bedienen des Ressentiments „Wer Arbeit will, findet auch eine“. Es geht darum, in die Verbesserung von Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten zu investieren. Das ist sowohl im Interesse der Einzelnen als auch der Volkswirtschaft als Ganzes.

Blogtipp:
„Reform der Arbeitslosenversicherung: Notwendig und überfällig“:
tinyurl.com/glo2ymn

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gernot.mitter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gernot Mitter, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826965 Moderne Zumutbarkeitsbestimmungen sollten eine Arbeitsmarktpolitik zur Vermehrung der "besten Köpfe" unterstützen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826931 Unternehmen STOP Seit 1969 galten das Berufsausbildungsgesetz, das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz und die Jugendschutzbestimmungen galten schon viel länger. Der Betriebsalltag der Lehrlinge und jugendlichen ArbeiterInnen verlief aber oft so, als würden diese Gesetze gar nicht existieren. 1972 startete die Gewerkschaftsjugend deshalb eine österreichweite Kampagne, um gegen diese Missstände anzugehen. Die Lehrlinge wurden animiert, fünfzig Fragen schriftlich zu beantworten, parallel dazu begann die ÖGJ mit Aktionen, die unzumutbare Bedingungen in einzelnen Betrieben aufs Korn nahmen. Eine Resolution der ÖGJ Vöcklabruck in Oberösterreich prangerte zum Beispiel die Zustände in einem Gastgewerbebetrieb an. Sie wurde der Bezirkshauptmannschaft, dem Arbeitsinspektorat, der Arbeiterkammer und der Handelskammer (heute Wirtschaftskammer) übermittelt und per Verteilaktionen auf einem Flugblatt öffentlich gemacht – die Möglichkeiten, die das Internet bietet, gab es ja noch lange nicht. In dieser Resolution hieß es:

Die zuständigen Behörden werden aufgefordert, Maßnahmen zu setzen, um die unzumutbaren Ausbildungszustände der Lehrlinge im Gasthaus X, Vöcklabruck, (Besitzer Herr Y) abzustellen. Es geht nicht an, dass Lehrlinge unter dem Deckmantel des Lernens als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden… Es müsste den Behörden in der Zwischenzeit bekannt sein, dass der Betrieb im Gasthaus X scheinbar nur unter Verletzung der Bestimmungen … aufrecht erhalten werden kann. Da alle bis jetzt getroffenen Maßnahmen Herrn Y nicht umstimmen konnten, fordern wir die zuständigen Behörden auf, Herrn Y das Recht auf Ausbildung (Ausbeutung) zu entziehen.

Auf der Deckseite des Flugblatts stand die Aufforderung: Unterstützt die Fragebogenaktion der Gewerkschaftsjugend zur Einhaltung der Gesetze zum Schutz der arbeitenden Jugend.

Mit der Fragebogenaktion wurden die ÖGJ-Mitglieder und darüber hinaus alle erreichbaren Jugendlichen als AktivistInnen direkt angesprochen:
Es ist gar nicht leicht, ein Unternehmen dieser Größenordnung durchzuführen, nicht einmal für eine Organisation von der Stärke der Gewerkschaftsbewegung. Darum brauchen wir Hilfe. Und die können wir nur von Ihnen bekommen. Von Ihnen ganz persönlich. Denn nur wenn Sie diesen Fragebogen beantworten und an uns einsenden, wenn Sie nicht denken, dass sowieso genug andere es tun und damit ihnen das Handeln abnehmen werden, nur dann haben Sie die Gewähr, dass tatsächlich etwas geschieht.
Als Kampagnenziele formulierte der Fragebogen: Das UNTERNEHMEN STOP will aufräumen mit

  • der Ausbeutung von Lehrlingen als billige Arbeitskräfte unter dem Deckmantel des Lernens;
  • der Verwendung von Lehrlingen zu berufsfremden Arbeiten …;
  • der Ausnutzung jugendlicher Arbeitnehmer aufgrund ihrer relativen Unerfahrenheit – zum Beispiel durch Heranziehung zu unbezahlten Überstunden, … und ähnliches; ….

Etwa 10.000 Fragebögen kamen ausgefüllt zurück – ein Riesen-Mobilisierungserfolg. Ihre Auswertung stellte das Arbeitsprogramm der ÖGJ auf eine neue Basis.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826942 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826907 Rezeptur des Scheiterns Wenn der aktuelle europäische Beschäftigungs- und Sozialbericht der EU-Kommission eines zum Ausdruck bringt, dann ist es das Scheitern der bisherigen Austeritätspolitik in Europa. Zumindest können zunehmende Verarmung, eine verfestigte Arbeitslosigkeit jenseits der 20-Millionen-Marke, verfehlte EU-2020-Ziele und eine Zunahme der sozialen Verwerfungen in den meisten EU-Staaten wohl kaum anders interpretiert werden.

Doch statt akuten Handlungsbedarf und eine kritische Reflexion der „Rezeptur des Scheiterns“ aus den vorliegenden knapp 500 Seiten abzuleiten, schafft die Pressestelle der EU-Kommission das „Unmögliche“: Sie vergibt quasi einen „Persilschein“ für das unsoziale Fehlmanagement im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Der entsprechende Pressetext unterstellt den Bereichen Beschäftigung und Soziales in der EU eine „weiterhin positive“ Entwicklung – und das entgegen der umfangreichen und detaillierten Analyse, die im Bericht selbst vorgenommen wird.

Dramatik

Der Bericht bringt neuerlich eine Dramatik zutage, die erstaunlicherweise beinahe „unbeachtet“ bleibt. Einige Zahlen aus dem Bericht: 122 Millionen Menschen sind laut Bericht armutsgefährdet oder sozial ausgegrenzt – das ist also fast jede/r Vierte EU-BürgerIn, davon rund 40 Millionen Kinder und Ältere. Es gibt elf Millionen Langzeitarbeitslose, die also mindestens ein Jahr lang nicht arbeiten konnten, sieben Millionen davon sind für über zwei Jahre ohne Job.

Rezepte – unzumutbar!

Was also tun als Antwort auf die soziale Frage und Massenarbeitslosigkeit? Nicht minder zynisch mutet die Empfehlung zu mehr selbstständiger Erwerbstätigkeit und „Entrepreneurship“ an – Selbstständigkeit als Erfolgsrezept für (Langzeit-)Arbeitslose, Menschen mit Behinderung oder mit gesundheitlichen Einschränkungen oder für andere benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt? „Abgerundet“ wird die Rezeptur noch mit der Empfehlung zu „mehr Mobilität“.
Gemeint ist hier leider kein Masterplan für Infrastrukturinvestitionen oder ähnliche klassische Konjunkturpakete, sondern schlicht der Befund, dass nur vier Prozent der EU-Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren in einem anderen Mitgliedstaat als dem Geburtsland leben. Hier stellt man traditionell gerne den Vergleich mit den USA an, wo etwa 30 Prozent der Bevölkerung diese (Arbeits-)Migration auf sich nehmen, wodurch niedrigere Arbeitslosigkeit und höhere Prosperität möglich wären. Dass sich allein aus diesem Vergleich „Nachahmungs-Potenziale“ irgendwelcher Art ergeben sollen, ist nicht wirklich nachzuvollziehen.
Zusammengefasst gelten also Selbstständigkeit und Arbeitsmigration als die Heilbringer für die soziale Frage in Europa.
Nun wäre es unfair, eine Forderung der zuständigen EU-Kommissarin Marianne Thyssen unter den Tisch fallen zu lassen, die da lautet, „mehr in die Menschen zu investieren“. Fraglich ist jedoch deren Substanz. Menschenzentrierte Investitionen wären nämlich besonders wünschenswert. Sie sind jedenfalls überzeugender als die aktuelle Rezeptur, die auf den konzertierten Rückbau des Sozialstaats, den Abbau der ArbeitnehmerInnenrechte oder fanatische Marktgläubigkeit baut. Auf den zweiten Blick werden aber viele der grundsätzlich sinnvollen Überlegungen wie Investitionen in Bildung, Qualifizierung oder Kinderbetreuung von vornherein durch den hegemonialen Sparstift gerade im Sozialbereich zunichtegemacht.
Die kurzsichtige, übertriebene Budgetdisziplin in vielen EU-Mitgliedstaaten wird damit weder den konjunkturellen Erfordernissen noch den brennenden sozialen Herausforderungen gerecht. Im Gegenteil: Gerade das konzertierte Sparen führt in Europa zu einer Investitions- bzw. Nachfragelücke und gefährdet damit den sozialen Zusammenhalt, da viele Problemlagen nicht gelöst und damit nur zeitlich verschleppt bzw. perpetuiert werden.

Flexicurity – unzumutbar!   

Die Wortschöpfung „Flexicurity“ hat im EU-Kommissions-Wording mittlerweile eine jahrzehntelange Tradition. Sie kombiniert die beiden Worte „Flexibilität“ und „Sicherheit“ und suggeriert, dass beides – einst nach dänischem Vorbild formuliert – gleichzeitig realisierbar wäre. Dem Grundgedanken, dass eine dynamische Arbeitswelt auch flexible Antworten bei gleichzeitiger Wahrung der ArbeitnehmerInnenrechte bzw. hoher Sozialschutzniveaus braucht, ist per se nicht verwerflich.
Die Realität zeigt aber, dass es sich weder um eine friedliche Koexistenz beider Ziele handelt, noch dass die EU-Kommission beide Ziele gleich intensiv verfolgt. Seit Jahren wird unter massivem Druck der Arbeitgeber-Lobbys eine „Zug um Zug“-Strategie eingefordert, die zuerst den ArbeitnehmerInnen eine hohe Flexibilität abverlangt, während Schutzbestimmungen für sie nachrangig, somit später – oder vielleicht auch nie – diskutiert werden.
Bildlich gesprochen: Während die Forderung nach mehr Flexibilität der ArbeitnehmerInnen stets großgeschrieben wird, vergisst die EU-Kommission gerne darauf, ihre Versprechen hinsichtlich einer besseren (sozialen) Absicherung der Beschäftigten anzugehen bzw. einzulösen, die sie ohnedies meist nur vage andeutet.

Fachkräftemangel – unzumutbar!

Angesichts der horrenden (qualifizierten) industriellen Reservearmee ist die Spitze der Unverfrorenheit der Befund, dass vier von zehn Unternehmen Schwierigkeiten hätten, qualifizierte MitarbeiterInnen zu finden. Natürlich ist die Unterstellung mangelnder Arbeitswilligkeit oder schlechter Ausbildung eine mittlerweile salonfähige Variante, um nicht selten von schlechten Arbeitsbedingungen, mangelnden Perspektiven im Unternehmen und unattraktiver Bezahlung abzulenken.
Diese Vorurteile sind auch in Österreich stets präsent, wie die aktuell wieder aufgeflammten Diskussionen über verschärfte Zumutbarkeitsbedingungen und andere Einfallstüren für schmerzhafte Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung zeigen. Sie sind ein logisches Manöver, um die Perspektive von der Verantwortung der Unternehmen wegzurichten.

Abstiegsangst – unzumutbar!

Ländern wie Dänemark oder Schweden werden vergleichsweise hohe Sozialschutzniveaus und günstige Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt zugeschrieben.
Wenn dort aber mehr als die Hälfte der Beschäftigten Angst hat, nach einem Jobverlust einen anderen Job mit einem vergleichbaren Einkommen zu finden, dann spricht das eine eindeutige Sprache. Europaweit geben vier von zehn ArbeitnehmerInnen laut European Working Conditions Survey 2015 an, dass ein möglicher Jobverlust aus ihrer Sicht mit dauerhaften Einkommensverlusten verbunden wäre. Existenz- und Abstiegsängste sind damit zu einem weitverbreiteten Phänomen geworden. Der oder die Einzelne fühlt sich durch die Machtungleichgewichte am Arbeitsmarkt verunsichert und verwundbar.
Statt aus den Fehlern der verfolgten Austeritätspolitik zu lernen, hält die EU-Kommission stur an ihrem wirtschafts- und sozialpolitischen Irrweg der letzten Jahre fest. Noch immer werden, wie es der Ökonom Stephan Schulmeister treffend nennt, marktreligiöse, neoliberale Rezepte verfolgt.
Das Ignorieren der Arbeitslosigkeit und der sozialen Frage in Europa hat definitiv einen hohen Preis: menschliche Tragödien, steigende Ungleichheit, Verunsicherung bis hin zu einer tiefgreifenden Gefährdung der Demokratie. Alles in allem: schlichtweg eine Zumutung!


Linktipps:
Europäischer Beschäftigungs- und Sozialbericht:
tinyurl.com/jnrjxun
ETUI-Hintergrundanalyse:
tinyurl.com/hgcfds8
AK-Studie „Sozialinvestitionen haben eine Mehrfachdividende“:
tinyurl.com/gpq5awr
WIFO-Monatsberichte 2014 zu Flexicurity:
tinyurl.com/zbywv4c
European Working Conditions Survey 2015:
tinyurl.com/zlgnpsa
Stephan Schulmeister – „Neoliberales Christentum und seine Propheten“:
tinyurl.com/hu6ht82

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor adi.buxbaum@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Adi Buxbaum, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826914 Die EU-Kommission vergibt quasi einen "Persilschein" für das unsoziale Fehlmanagement nach der Finanz- und Wirtschaftskrise: Sozialabbau, Einschränkungen der ArbeitnehmerInnenrechte, Marktgläubigkeit. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826883 Soziale Rechte sind kein Gnadenakt Sie ist ja nur ein Feigenblatt: Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ wird von konservativen und neoliberalen Kräften zum Anlass genommen, wieder einmal ganz grundsätzlich eine Debatte zur Kürzung von Sozialleistungen zu führen. Dass sich sogar prononcierte Christlichsoziale dafür öffentlich hergeben, irritiert einigermaßen. Gehört das In-Frage-Stellen eines gesellschaftlichen Grundkonsenses nach dem Motto „Der Herr gibt’s – der Herr nimmt’s“ zu den Ritualen eines Wohlfahrtsstaates oder darf man es einfach als Zumutung empfinden, dass, anstatt konkrete Lösungen für konkrete Probleme zu finden, polemische Debatten auf dem Rücken von Menschen geführt werden, die in unserer Gesellschaft keine oder keine besonders laute Stimme haben?

„Zivilisierung“

Dazu zunächst etwas Grundsätzliches. Was treibt eigentlich eine Gesellschaft dazu, sich in Form eines Staates zu organisieren? Anders gefragt: Ergibt es vielleicht auch für die Besitzenden einen Sinn, sich einem Sozialstaat zu unterwerfen, und kann man bitte aufhören, ihn infrage zu stellen? In der Römerzeit beschreibt Ovid in seinen Metamorphosen das sogenannte goldene Zeitalter, wo alle Menschen freiwillig und ohne Gesetz richtig lebten (sine lege fidem rectumque colebat). Erst später – so stellt es sich Ovid vor – benahmen sie sich so wild und ungehobelt, dass man eine Rechtsordnung schaffen musste, um jenen Regeln zu geben, die sich nicht von selbst sozial verträglich verhielten.
Auch die ganz frühen neuzeitlichen Staatentheoretiker wie z. B. Thomas Hobbes und John Locke im 17. Jahrhundert sahen – unter dem Eindruck der Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges – unter anderem den Schutz des Eigentums als Grund, den sogenannten „Naturzustand“ (nämlich das ungeregelte, unorganisierte, lose Nebeneinanderleben von Menschen) zu beenden. Einer der führenden Vertreter der Aufklärung, Jean-Jacques Rousseau, schreibt im 18. Jahrhundert in seinem „Gesellschaftsvertrag“, dass dem „Naturzustand“ ein Gemeinwille gegenübersteht, der auf das Wohl aller Menschen abzielt. Dieser wiederum ist die Grundlage der Unterwerfung unter ein politisches Staatssystem.
Auf diesen Gedanken aufbauend wurde 1776 von Thomas Jefferson die erste Erklärung von Menschenrechten verfasst, die das Recht auf Freiheit, aber auch das Streben nach Glück (pursuit of happiness) beinhaltete. Als gelernte Österreicherin würde ich annehmen, dass ein unantastbares Grundniveau von Menschenrechten und ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben Konsens ist – und dass uns das als Gesellschaft teuer und wert ist.
Aber sind das die Werte, auf denen die heutige Gesellschaft beruht? Aktuell ist eine Diskussion über diese Werte aufgeflammt – leider recht schlampig und populistisch geführt. So kann es vielleicht wenig wundernehmen, wenn Menschen bei einer ORF-Straßenbefragung als wesentliche Werte unserer Kultur nicht z. B. „Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau“ oder Ähnliches nennen – sondern „Trachten“ und „der Krampus“. Befremdlich bleibt es.

Sozialstaat weiterentwickeln

Ich persönlich empfinde es als Zumutung, wenn ich Selbstverständlichkeiten wie die völkerrechtlich verbindlichen und geistesgeschichtlich nicht gerade taufrischen Menschenrechte oder die Grundfrage Sozialstaat ja oder nein diskutieren soll, wenn es eigentlich darum gehen sollte, wie und nicht dass wir die Arbeitswelt und den Sozialstaat weiterentwickeln.
Lieber wird aber das Bild des faulen Menschen reaktiviert, den es zu zivilisieren gelte. Typen wie Charles Bukowskis Held Henk Chinaski, den er in seinem Roman „Faktotum“ von einer sinnlos empfundenen Arbeit zur nächsten ziehen lässt: Die mag es vereinzelt geben. Mit Gelegenheitsjobs hantelt er sich von Vollrausch zu Vollrausch, viel mehr erwartet er sich auch nicht vom Leben. Für die allermeisten von uns sind gute Arbeit, Wertschätzung und Anerkennung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft aber ganz wichtige Werte.
Findet das Streben nach Glück – zu dem für die meisten von uns eine sinnstiftende Arbeit gehört – in unserer Arbeitswelt ausreichend Anerkennung? So gut wie alle ArbeitnehmerInnen möchten nicht nur irgendeine „Hacken“. Sie möchten das, was sie tun, nicht nur monetär belohnt bekommen, sondern sich auch anerkannt und als Person respektiert fühlen. Was halten Sie davon, wenn ein 54-jähriger Speditionsfachmann im Großraumbüro vom Chef als „Blader, der sich offensichtlich nicht mal beim Essen beherrschen kann“, tituliert wird.
Oder vielleicht etwas weniger krass: Wie ordnen Sie die Anweisung einer Supermarktkette ein, wonach sich Menschen, die an der Feinkosttheke arbeiten, bei der Arbeit infantile Weihnachtsmann-Mützen aufsetzen müssen – nicht aus hygienischen, sondern aus angeblich verkaufsfördernden Gründen? Wie passt es zu unseren angeblichen Werten (Respekt vor Frauen), dass Frauen in Österreich nach wie vor nicht gleich bezahlt werden wie Männer (teilzeitbereinigt, nicht mit objektiven Kriterien erklärbar 15 Prozent weniger)?
Oder dass sie wegen ihres Geschlechts an eine „gläserne Decke“ stoßen, wenn es um den Aufstieg in Top-Jobs geht? Wie empfinden Sie es, dass es mittlerweile als Selbstverständlichkeit angesehen wird, dass man zu Beginn des Arbeitsverhältnisses einen Vertrag vorgelegt bekommt, zu dem man nur ja oder nein sagen kann – und der noch dazu Leckerbissen wie eine Konventionalstrafe „in Höhe von sechs Bruttomonatsentgelten für jeden Einzelfall eines Verstoßes“, z. B. für angeblichen „Geheimnisverrat“, vorsieht?
Oder die Möglichkeit, „innerhalb Österreichs“ auf jeden anderen „auch geringerwertigen“ Arbeitsplatz versetzt zu werden? Die Mitarbeiterin darf sich im Gegenzug darauf freuen, permanent videoüberwacht zu werden – Sicherheit und so. Oder es wird gar von ihr verlangt, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen, sei es auch nur dadurch, dass stundenlang nichts getrunken wird, weil eine Toilettenpause organisatorisch nicht drinnen ist? Sollte ihr das Unternehmen Geld schuldig bleiben, so ist es nicht sicher, dass sie ein Recht auf Bezahlung hat. Kurze Verfallsfristen sorgen dafür, dass arbeitsrechtliche Ansprüche rasch in der Versenkung verschwinden. Wie nennen Sie das? Ich nenne es Zumutung.
Tayloristische Messmethoden durch EDV, Standortdiskussion, Angst vor Arbeitsplatzverlust, Unhöflichkeiten bis zu offener Aggression durch Vorgesetzte und KundInnen, psychische Belastungen wie schlechte Vorgaben und mangelhafte Führung, miese Stimmung im Unternehmen: All das gehört nicht zu einer menschenwürdigen Arbeit in einer demokratischen Gesellschaft.

Zumutung flexible Arbeitszeit

Auch ausufernde Arbeitszeiten und die Verdichtung der Arbeit sind eine Zumutung, weil sie den Menschen ein Leben und Freiheit außerhalb der Arbeit zunehmend verunmöglichen. Ein Blick über die Grenze nach Deutschland zeigt: Der Stress wird immer größer. Laut DGB-Index fühlt sich jede/r zweite ArbeitnehmerIn gehetzt: 29 Prozent arbeiten am Wochenende, 24 Prozent müssen in der „Freizeit“ erreichbar sein, 57 Prozent arbeiten unter Zeitdruck.
Die Liste weiterer Zumutungen ist lang. Das demokratische Recht einer Belegschaft, zu verhindern, sich einen Betriebsrat zu wählen, wird als Kavaliersdelikt gesehen und ebenso – nicht – bestraft. Wirtschaftsgespräche mit dem Betriebsrat nicht oder mit flapsigen Angaben zu führen, hat für den oder die GeschäftsführerIn in der Praxis kaum Folgen. Betriebsratsmitgliedern ihre Arbeit mutwillig zu erschweren und ihnen Steine in den Weg zu legen, führt oft dazu, dass sie ihr Engagement für die KollegInnen in einigen Bereichen als Zumutung empfinden müssen.

Recht statt Gnadenakt

Wir dürfen und müssen daher alle, die mit uns in diesem Staat leben, an die Grundsätze unseres Rechtsstaates erinnern. Soziale Rechte sind kein Gnadenakt. Und nein, es ist nicht so, dass man das Recht beugen darf und soll, bis sich die Balken biegen. Dem, der sich nicht geniert, für andere eine Zumutung zu sein, sei zumindest die Kant’sche Ethik ins Stammbuch geschrieben: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Oder auf gut Deutsch: „Was du nicht willst, das man dir tu – das füg auch keinem and’ren zu!“

Linktipp:
„Fremdbestimmung verursacht Stress“
Böckler Impuls 3/2016:
tinyurl.com/zrh6nzx

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin silvia.hruska@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Silvia Hruška-Frank, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826890 Typen, die sich mit Gelegenheitsjobs von einem Vollrausch zum nächsten hanteln, mag es vereinzelt geben. Für die allermeisten Menschen sind gute Arbeit, Wertschätzung und Anerkennung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft aber ganz wichtige Werte. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826862 Stimmung gegen Arbeitslose Arbeitslosigkeit erleben viele Menschen als Ohnmacht – ausgeliefert an Arbeitsmarkt und AMS-BeraterIn. „Man ist ja abhängig. Man muss wirklich alles tun, was die sagen, weil sie am längeren Hebel sitzen“, beschreibt ein Arbeitsloser die Situation in einer AK-Studie. Im Sommer 2015 sorgte eine launige Bemerkung des Finanzministers über die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Aufregung. AMS-Chef Johannes Kopf stellte damals klar: „Im Zusammenhang mit Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist das Thema überbewertet.“ Es sei zudem eine „hoch politische Thematik“. Bei fast einer halben Millionen Arbeitssuchender mangelt es immerhin an Stellen und nicht an Motivation. „In den letzten 30 Jahren folgte jedem neuen Höchststand der Arbeitslosigkeit eine Sozialschmarotzerdiskussion. Es vermittelt der Bevölkerung, dass die Arbeitslosen selbst an ihrem Schicksal schuld seien. Anders dürfte der Skandal der Arbeitslosigkeit nicht zu verkraften sein“, kommentierte der Soziologieprofessor Jörg Flecker die Debatte.

Stempeln gehen

Der Verdacht mangelnder Arbeitswilligkeit ist so alt wie die Arbeitslosenversicherung selbst. Auch 1933, am Höhepunkt der Wirtschaftskrise, warnte der christlich-soziale Alexander Hryntschak vor der „immer mehr auf öffentliche Betreuung und öffentliche Unterstützung eingestellten Psychologie der Massen“. Der Bezug war mit starken Kontrollen verbunden, in puncto Zumutbarkeit und Lebensumstände. Die Behörde, oder am Land die Gendarmerie, befragte Angehörige, NachbarInnen und vormalige Arbeitgeber zum Lebenswandel des Arbeitslosen und überprüfte den Verdacht auf Pfusch oder Gelegenheitsarbeit. Die Kriterien zumutbarer Arbeit beruhten auf den gleichen Säulen wie heute, 1920 hieß es etwa im Gesetz, dass Arbeitslose eine Arbeit anzunehmen hätten, „die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in dem erlernten Beruf nicht wesentlich erschwert“.
Doch welche Arbeit wird heute als zumutbar erachtet? Im Arbeitslosenversicherungsgesetz sind verschiedene Bedingungen festgehalten: Die Zumutbarkeit muss seitens der Behörde bewiesen werden. Günther Krapf, Arbeitslosenversicherungs-Experte der AK, nennt ein Beispiel: „Eine Stubenfrau trat eine Stelle nicht an, weil sie nach längerer Arbeitszeit starke Rückenschmerzen bekommt. Sie wurde gesperrt, aber seitens des AMS gab es einen Feststellungsmangel. Jetzt muss der medizinische Nachweis der Zumutbarkeit erbracht werden.“ Zumutbare Arbeit muss mit den Betreuungspflichten von Eltern für Kinder bis zum zehnten Lebensjahr vereinbar sein, das entspricht einer Wochenarbeitszeit von 16 Stunden. Erhält eine alleinerziehende Mutter eine Stelle als Kellnerin mit Nachtdienst, kann sie diese ablehnen. AlleinerzieherInnen geraten öfters in ein Dilemma: Ohne Job kein Anspruch auf einen öffentlichen Kinderbetreuungsplatz, ohne Kinderbetreuung kein Arbeitslosengeld. Eine Arbeitssuchende brachte ihr Kind zu einem Kontrolltermin mit, was mit den Worten quittiert wurde: „Dafür können Sie gesperrt werden, es bedeutet, dass Sie für den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen“ – ein weiteres Beispiel aus der bereits erwähnten AK-Studie. Ein anderer Punkt ist angemessene Wegzeit: Für einen Vollzeitjob sind es zwei Stunden für den Hin- und Rückweg, für Teilzeit bis zu 1,5 Stunden.
Zentral für die Zumutbarkeit einer Arbeit ist der Berufs- und Entgeltschutz, der seit 2000 beständig abgebaut wird. Nur noch in den ersten 100 Tagen des Arbeitslosengeldbezugs darf in keinen anderen Tätigkeitsbereich vermittelt werden. Vor 120 Tagen braucht keine Stelle angenommen zu werden, bei der das Entgelt nicht mindestens 80 Prozent des letzten Entgelts der vorhergehenden Beschäftigung entspricht. Bis zum Ende der Arbeitslose reduziert sich der Entgeltschutz auf 75 Prozent, bei der Notstandshilfe fällt er gänzlich weg.

KundInnen strafen

Im Jahr 2015 wurde in über 102.000 Fällen das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe gesperrt. Deutlich mehr als die Hälfte der Sanktionen geht auf versäumte Termine zurück. Die zweithäufigste Ursache sind Sperren aufgrund von Selbstkündigung. 14 Prozent der Sperren fallen unter den Paragrafen „Verweigerung oder Vereitelung einer Arbeitsaufnahme bzw. Schulungsmaßnahme“. Schulungen sollen die Chancen des Arbeitssuchenden am Arbeitsmarkt verbessern. Niemand kann zu einer Schulung gezwungen werden, allerdings reicht die persönliche Einschätzung zur Ablehnung einer Maßnahme nicht aus. Vielmehr geht es um einen objektiven Maßstab. Zumutbarkeit betrifft auch Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wie die Beschäftigung in einem sozialökonomischen Betrieb oder bei einem gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlasser.
Bei gänzlicher Arbeitsunwilligkeit kann das Arbeitslosengeld gestrichen werden. Das kam 2015 in 225 Fällen vor – eine Steigerung von 14 Prozent. Mit der wachsenden Zahl von Arbeitssuchenden steigt die Zahl der Rückmeldungen der Unternehmen, die der Ausgangspunkt für Sanktionen sind. „Besonders problematisch ist, dass sofort gesperrt wird und es keine aufschiebende Wirkung gibt“, so AK-Experte Krapf: „Dahinter steht die Idee der generalpräventiven Wirkung der Sanktion.“ Für viele Arbeitslose hat der Entfall des Geldbezugs aber eine existenzbedrohende Wirkung. Hier führt sich der „KundInnen-Begriff“ ad absurdum, der in der Kommunikation mit Arbeitslosen üblich ist. Eine zentrale Forderung von Arbeitsloseninitiativen lautet daher, die Sperren gänzlich aufzuheben oder erst nachträglich durchzuführen, sobald sich ihre Richtigkeit herausgestellt hat.

Autoritäres Verhältnis

Im Vorjahr waren über 950.000 Menschen (mindestens einen Tag) von Arbeitslosigkeit betroffen. Da nimmt sich die Zahl der tatsächlich verhängten Sperren bezüglich Arbeitsverweigerung vergleichsweise gering aus: 14.260. Auch von den über 8.300 Beschwerden beim Ombudsmann des AMS betrafen nur 50 das Thema. Bedrohlich und abschreckend wirken die Zumutbarkeitsbestimmungen dennoch. Aus Angst vor Sperren werden Angebote akzeptiert, auch wenn man sie für unsinnig hält. Man bewirbt sich für eine Stelle, ohne ausreichend qualifiziert zu sein, oder besucht einen Kurs, der bereits mehrmals besucht wurde. Dazu sagt ein Teilnehmer einer unverbindlichen Informationsveranstaltung: „Das Schlusswort war: Wer jetzt gehen will, kann gehen, aber der muss damit rechnen, dass ihm das Geld gestrichen wird.“
Oder der Fall des 22-jährigen Maturanten, BMS-Bezieher und damit ohne Berufs- und Entgeltschutz, der sich am FH-Technikum beworben hatte und eine Stelle in der IT-Branche suchte. Der Berater meinte, in diesem Bereich gäbe es beim AMS kaum offene Stellen, und bot ihm eine völlig andere Arbeit bei einem Arbeitskräfteüberlasser an. Auf die Frage, ob er sich nun dort bewerben müsse, antwortete der Berater: „Sie haben nicht nur Grüß-Gott-Termine.“ Dies ist eines von 20 Beratungsgesprächen in Wien, die Karola Blaha im Zuge einer teilnehmenden Beobachtung analysiert hat. Ein Ergebnis der Studie: Wer glaubhaft seine/ihre Interessen vertreten kann, verfügt „über höhere soziale Intelligenz“ und „kann aus dem Bargaining (Verhandeln) mit der staatlichen Bürokratie mehr herausholen“.
Arbeitslosigkeit verunsichert schichtunspezifisch. Es gibt ein starkes Machtungleichgewicht. Sperren funktionieren als implizite Drohung. In Summe liefern die Eindrücke des Berichts das Bild eines autoritären Systems.

Nicht um jeden Preis

Der Arbeitslosen- bzw. Transfergeldbezug macht es möglich, Arbeit nicht zu allen Bedingungen annehmen zu müssen. Das ist für den Arbeitsmarkt und auch für die Wirtschaft gut. Wenn Menschen unter ihrer Qualifikation arbeiten, verlieren sie Kompetenzen und kommen in psychisch belastende, krank machende Situationen. „Ist es nicht sinnvoller“, fragt Jörg Flecker, „die mehrfach verschärften Zumutbarkeitsbestimmungen zu lockern, wo längst klar ist, dass das Problem der Arbeitslosigkeit nicht an der mangelnden Arbeitswilligkeit liegt?“

Linktipps:
Plattform zum Thema Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeitslosigkeit:
www.arbeitslosennetz.org
AK Wien „Offen gesagt 2013 – Dialogforum für Wiener Arbeitsuchende“:
tinyurl.com/hqum6qe
Irina Vana. Gebrauchsweisen der öffentlichen Arbeitsvermittlung. Österreich 1889–1938, Dissertation, 2013:
tinyurl.com/gkuyj4j

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Beatrix Beneder, Sozialwissenschafterin Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826869 Der Verdacht mangelnder Arbeitswilligkeit ist so alt wie die Arbeitslosenversicherung selbst. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826219 Investitionsbremse lösen Zur Person
Alois Stöger
ist seit Jänner 2016 Minister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Er absolvierte eine Lehre als Maschinenschlosser bei der VÖEST in Linz. 1982 wurde er Vorsitzender der oberösterreichischen Gewerkschaftsjugend, ab 1986 war er Sekretär der damaligen Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie. Außerdem war er von 1997 bis 2003 Gemeinderat und von 2003 bis 2008 Stadtrat in Gallneukirchen. 2005 wurde er Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse. Im Jahr 2008 wurde er Gesundheitsminister, im Herbst 2014 wechselte er an die Spitze des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie.


Arbeit&Wirtschaft: Es wird wieder über die Verschärfung der Zumutbarkeiten beim Arbeitslosengeld und der Mindestsicherung diskutiert. Wie stehen Sie dazu?


Alois Stöger: Es gibt immer ein Spannungsfeld: Was kann ich von der Gesellschaft an Unterstützung erwarten, und was ist mein individueller Beitrag, damit ich den sozialen und kollektiven Schutz bekomme? Diese Fragen sind immer in einer Verhältnismäßigkeit zu klären.
Mit dem Arbeitslosengeld unterstützen wir Menschen, damit sie ihre Marktposition am Arbeitsmarkt erhalten können, und in der Phase, in der sie keinen Arbeitsvertrag haben, mit Einkommen versorgt sind. Insofern ist das Ziel ganz klar: dass sie wieder eine Chance am Arbeitsmarkt haben. Dieses Prinzip widerspricht natürlich Arbeitsunwilligkeit. Es gibt gewisse Verpflichtungen, sich um einen Arbeitsvertrag zu bemühen. Insofern braucht es auch Instrumente, wenn jemand seine oder ihre Mitwirkungspflicht nicht ausübt.

 
Es wird argumentiert, die Leistung sei zu hoch, um die Menschen dazu zu motivieren, arbeiten zu gehen. Wie sehen Sie das?

Da gibt es immer zwei Zugänge: Das Arbeitslosengeld ist so hoch oder die angebotenen Löhne sind zu niedrig. Da bin ich eher daran orientiert, was die Gewerkschaftsbewegung bisher immer gemacht hat: sicherzustellen, dass in allen Branchen Mindestlöhne gezahlt werden. Diese liegen bei 1.500 Euro monatlich, die GPA-djp fordert jetzt den Betrag von 1.700 Euro. Da gehe ich schon davon aus, dass der Abstand zum Arbeitslosengeld ein hoher ist.
Ich glaube, wir sollten sehr aufpassen, keine Diskussion zu führen, um die sozialen Standards nach unten zu revidieren. Das führt volkswirtschaftlich zu keinen positiven Ergebnissen und verschlechtert nur die Arbeitsbedingungen schlechthin.


Man könnte auch sagen: Die eigentliche Zumutung ist die hohe Arbeitslosigkeit. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

Diese Frage ist ganz entscheidend. Hohe Arbeitslosigkeit heißt in Wirklichkeit, Ressourcen von Menschen nicht nutzen zu wollen. Eine Gesellschaft, die ihren eigenen Mitgliedern sagt, dass ihre wichtigste Ressource, nämlich die Arbeitskraft, gar nicht gebraucht wird, hat einen Konstruktionsfehler. Wenn ich in manchen Staaten zur Hälfte aller Jugendlichen sage: „Ich will gar nicht, dass ihr mitmacht“, dann hat eine Gesellschaft ein Problem. Wer mit Arbeitslosigkeit spekuliert, gefährdet letztendlich die Demokratie. Insofern ist es erstens wichtig, die Verteilung von Arbeit und Nicht-Arbeit besser zu regeln. Das zweite ist: Was wir aktuell in Europa haben, ist ja eine Investitionsbremse, und es ist dringend notwendig, diese zu lösen.


Was heißt das konkret?

Das heißt zuzulassen, dass auch der Staat Investitionen in Infrastruktur treffen kann. Heißt konkret: Die EU soll den Ausbau des Breitbandes nicht ein halbes Jahr verschieben, weil da möglicherweise eine Marktverzerrung stattfinden könnte.
Investitionen in die Bildung oder in die Forschung würden sehr viel in der Europäischen Union auslösen. Die Kommission (Jean-Claude, Anm.) Juncker hat mit dem Investitionspaket von 350 Milliarden ein richtiges Signal gesetzt, aber real noch nicht das Geld aufgetrieben.


Was tut Österreich dafür, dass sich das in der EU ändert?

In Österreich hat es viele Initiativen gegeben, um den Ausbau der staatlichen Infrastruktur voranzutreiben. Ich denke nur an die großen Infrastrukturpakete. Im letzten Jahr sind die höchsten Investitionen, die es jemals gegeben hat in der Geschichte, freigemacht worden.
Wir haben immer einen differenzierten Standpunkt eingebracht, ich erinnere nur an die Diskussion mit Griechenland: Es war Bundeskanzler Werner Faymann, der versucht hat, zu einer anderen Politik in Europa zu kommen.


Die Zeichen für das soziale Europa stehen schlecht: zu pessimistisch?

Nun ja, es gibt das soziale Protokoll für Europa, wir haben es geschafft, die Sozialrechtscharta ins Primärrecht hineinzunehmen. Da hat es schon einige Fortschritte gegeben in Europa, die durchaus Mut machen.

Selbst wenn Gewerkschaften wollten, könnten sie auf europäischer Ebene in der Lohnpolitik nicht viel machen.

Mit der Diskussion über die Entsenderichtlinie und das veränderte Sozialrecht, durch das wir bei Lohn- und Sozialdumping auch grenzüberschreitende Strafen vergeben können, gibt es schon positive Elemente. Da dürfen wir auch nicht lockerlassen. Insofern hat die Europäische Union die Chance, einiges zu bewirken. Wir haben eine global arbeitsteilige Produktionsform, deshalb braucht es auch eine grenzüberschreitende Sozialpolitik und eine grenzüberschreitende Steuerung der Arbeitsbeziehungen. Hier hat die Europäische Union eine wichtige Chance, dieses Feld aufzugreifen und zu steuern. Das halte ich für notwendig und spannend.

Der Brexit-Kompromiss ist allerdings ein Schritt in die andere Richtung.
Noch ist nichts beschlossen, sondern man hat etwas in Aussicht gestellt, wenn das Vereinigte Königreich eine Volksabstimmung macht. So lange kein Ergebnis vorliegt, ist es schwierig, das auch endgültig zu klären
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Ein Drittel der Lehrlinge leistet Überstunden, obwohl sie dies gar nicht dürften. Wie könnte man dem entgegenwirken?

Erstens dürfen Lehrlinge über 18 Überstunden machen. Zweitens ist es wichtig, dass sie bezahlt werden. Es geht immer darum, auf Folgendes achtzugeben: Was kann ich einem Jugendlichen zumuten? Da gibt es einerseits immer das Problem, dass man von einem jungen Arbeitnehmer oder einer jungen Arbeitnehmerin Tätigkeiten verlangt, die man schlechter bezahlt. Andererseits mutet man ihnen manchmal zu, dass sie ein Ausbildungsverhältnis haben, aber zu wenig ausgebildet werden. Das ist eigentlich der Widerspruch.
In einem guten Ausbildungsverhältnis ist das korrekt. Wenn ich aber in dem Ausbildungsverhältnis keine Ausbildung bekomme, nur Hilfsarbeiten mache und nur eine junge, billigere Arbeitskraft abgebe: Das ist zu viel.

31 Prozent machen ausbildungsfremde Tätigkeiten.

Es ist ganz wichtig, dass die Unternehmen erkennen, dass das Recht, Lehrlinge ausbilden zu können, eine Riesenchance für sie ist. Sie können die Qualifikationen, die sie in Zukunft brauchen, selber entwickeln. Das ist aber auch eine Verpflichtung, nämlich eine Zukunft vorwegzunehmen. Dem Lehrling die älteste Maschine zur Verfügung zu stellen ist der falsche Weg. Das Zweite ist, wenn man jemanden ausbildet, muss man sich mit ihm oder ihr auseinandersetzen, ihnen eine Chance und auch die Zeit geben, Grundqualifikationen zu entwickeln.

Eine Klage lautet, dass es nicht genug Lehrbetriebe gibt. Wie könnte man mehr Unternehmen motivieren, Lehrlinge auszubilden?

Ein guter Manager, ein gutes Unternehmen hat erkannt, dass die Auszubildenden im Betrieb wichtig sind. Wenn Neue hereinkommen, kann das sehr belebend sein und in einem Unternehmen auch eine positive Dynamik auslösen.
Wir sind gerade dabei, das Ausbildungspflichtgesetz zu machen. Wir merken, dass Jugendliche bereit sind, sich an der Gesellschaft zu beteiligen, sich einbringen, Interesse daran haben, etwas zu machen.


Flucht ist derzeit ein großes Thema. Wie stehen Sie zur Forderung, AsylwerberInnen den Zugang zur Lehre zu erleichtern?

Wenn Menschen in Österreich sind, macht es Sinn, sie in die Gesellschaft zu integrieren. Lehre ist eine Form der Integration, insofern ist das positiv.

Dem halten manche entgegen: Wenn sie dann nicht bleiben können, hat man sie umsonst ausgebildet. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, dass Ausbildung nie umsonst ist. Selbst dann, wenn jemand dann in ein anderes Land geht, hat er ein Stück Österreich mitgenommen. Wir sind ein exportorientiertes Land und wollen unsere Produkte international verkaufen.
Ich war jetzt mit vielen Wirtschaftsdelegationen im Ausland, und es sind immer jene Menschen, die in Österreich etwas gelernt, vielleicht bei uns die Uni gemacht haben, unsere Botschafterinnen und Botschafter. Sie sind jene, die die Türe öffnen, damit österreichische Unternehmen ihre Produkte verkaufen können. Ich glaube, selbst wenn man hier jemanden ausbildet, der dann woanders hingeht: Das hat für Österreich Benefits und einen wichtigen Wert.


Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für AsylwerberInnen sehr stark eingeschränkt. Ist es verantwortungsvoll, sie so lange zur Untätigkeit zu zwingen?

Wir müssen die derzeit angespannte Situation am heimischen Arbeitsmarkt bedenken. Aber grundsätzlich sage ich schon: Wenn man Integration haben will, muss man es schnell machen. Insofern ist es wichtig, Menschen, die hier leben, auch in die Gesellschaft aufzunehmen. 

Schafft man mit der Ungleichbehandlung nicht eine künstliche Konkurrenz zwischen In- und AusländerInnen, die unterm Strich alle schwächt?

Man muss unterscheiden. Das eine ist: Wie geht man mit Asyl und der Menge um? Damit muss man sorgsam umgehen, damit es in einem geordneten Rahmen funktioniert. Insofern gibt es natürlich Regelungen, die hier Grenzen ziehen. Wenn man aber integriert, sollte man gut integrieren. Ein wichtiges Integrationsprojekt ist natürlich der Zugang zu Arbeit. Menschen von der Arbeit auszuschließen ist immer ein Problem.

Es gibt den oft kritisierten Bartenstein-Erlass, der den Zugang zum Arbeitsmarkt auf bestimmte Berufe einschränkt. Gibt es Chancen, dass der fällt?

Menschen, die einen positiven Asylstatus haben, haben aus meiner Sicht völlig richtig einen Zugang. Das ist in Österreich sichergestellt und das ist richtig und gut. Es ist natürlich nicht sichergestellt, dass diese wirklich Arbeit bekommen. Dann geht es um die Frage: Wie ist der Status von Menschen in der Phase, in der sie Asylwerber sind? Hier gibt es eine Grenze von drei Monaten, die zur Abgrenzung zum Tourismus dient. Ich glaube, das macht auch Sinn, dass wir diese Abgrenzung haben. Und dann stellt sich die Frage: Wie lang dauern solche Verfahren? Diese sollten natürlich sehr kurz dauern.

In der Regel können AsylwerberInnen im Tourismus oder in der Landwirtschaft arbeiten - ohne Rücksicht auf ihre Qualifikation. Ist das sinnvoll?

Es geht schon darum, sich anzusehen: Wo gibt es ein Potenzial und wie gehe ich damit um? Aus meiner Sicht ist es viel wichtiger, kürzere Verfahren in der Feststellung zu haben: Wann bekommt jemand Asyl und wann nicht. Das ist aus meiner Sicht der richtigere Weg.

Zum Thema Pensionen: Auch da wird argumentiert, die Leute müssten dazu motiviert werden, länger zu arbeiten. Wie sehen Sie das?

Zunächst einmal: Was ist die Funktion einer Pension? Es geht darum, kollektiv zu schützen, dass Menschen im Alter Einkommen haben. Es war die Gewerkschaftsbewegung, die durchgesetzt hat, dass Menschen kollektiven Schutz im Alter haben, so sind Pensionsversicherungen an sich entstanden.
Wir haben in Österreich mit dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz vor 60 Jahren erstmals der breiten Masse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Recht auf Altersabsicherung gegeben. Dieses Recht ist schon damals kritisch hinterfragt worden. Viele haben gesagt: Das kann sich nie ausgehen. Wir haben jetzt 60 Jahre die Erfahrung, dass es sich ausgegangen ist.
Andere wollen kapitalgedeckte Pensionen und die haben in der Krise eigentlich versagt. Da hat es Länder gegeben, in denen die Menschen keine Pension mehr bekommen haben, oder es gab massive Einschnitte. In diesen Ländern hat das die wirtschaftliche Spirale nach unten sogar verstärkt. Das Umlagesystem in Österreich war in der Krise ein wichtiger Stabilisator.
2,5 Millionen Menschen, ein Viertel der österreichischen Bevölkerung, haben davon Einkommen. Und das ist etwas Gutes. Jetzt muss man darangehen, diese Form der Pension zu stärken und weiterzuentwickeln. Es ist wichtig, dass die Pensionen nicht nur aus lohnabhängigen Abgaben finanziert werden, sondern es einen Staatszuschuss gibt. Damit wird das System stabilisiert und nicht nur – wie die Wirtschaft beklagt – aus Lohnabgaben finanziert.

Was helfen Qualifizierung, Rehabilitation und andere Maßnahmen, wenn auch bei Pensionen gilt: Die Jobs fehlen?

Da geht es um zwei unterschiedliche Fragen. Die erste ist: Können wir akzeptieren, dass Menschen in der Arbeit krank werden? Da sage ich: Nein! Wenn Menschen krank werden, brauchen sie Hilfe zur Gesundung. Es hat eine Phase gegeben, in der man die Menschen eher krank gemacht hat, damit sie in Pension gehen und nicht mehr am Arbeitsmarkt aufscheinen. Ich halte das für nicht korrekt.
Wenn ich jetzt merke, dass es welche gibt, die krank sind, die Rehabilitation brauchen, dann ist es der richtige Schritt, ihnen diese auch anzubieten. Es gibt aber auch Krankheitsbilder, wo klar ist, ich bin nicht mehr in der Lage, einen Job auszuüben. Da macht es Sinn, hier eine dauernde Invaliditätspension zu vergeben.
Wenn ich eine Berufsqualifikation habe, die ich nicht mehr ausüben kann, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie sich auch technologisch überholt hat: Dann ist es wichtig, berufliche Rehabilitation zu machen. Dahinter steckt immer ein Ziel: dass die Menschen gesund in Pension gehen können.
 
Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826226 Alois Stöger: "Wir haben in Europa aktuell eine Investitionsbremse, diese muss dringend gelöst werden. Investitionen in Bildung oder Forschung würden sehr viel in der Europäischen Union auslösen" http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826197 AK: Frauen an der Unternehmensspitze: Fehlanzeige! Frauen an der Unternehmensspitze bleiben auch im Jahr 2016 die Ausnahme. Laut Frauen.Management.Report der AK Wien sind Frauen in einem Viertel der 200 größten Unternehmen weder in Geschäftsführung noch Aufsichtsrat vertreten. Der ungleiche Arbeitsmarkt der Geschlechter spitzt sich also in der Verteilung von Führungspositionen und damit in der wirtschaftlichen Einflussnahme zu. „Dabei sind Frauen bestens ausgebildet und haben beispielsweise im Abschluss des Wirtschaftsstudiums ihre männlichen Kollegen längst überholt“, merkt Studienautorin Christina Wieser an. „Qualifikation allein reicht scheinbar nicht aus, um an die Unternehmensspitze zu kommen: Je höher die Hierarchieebene, desto intransparenter die Selektionskriterien und der Auswahlprozess.“

Die Ergebnisse konkret: Der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 200 umsatzstärksten Unternehmen liegt Anfang Jänner 2016 bei lediglich 7,2 Prozent. In den börsennotierten Konzernen zeichnen sich analoge Strukturen ab: Nur in sieben von ihnen ist überhaupt ein weibliches Vorstandsmitglied bestellt. In allen untersuchten Unternehmen sind insgesamt nur fünf Frauen als Vorstandsvorsitzende (CEO) beziehungsweise alleinige Geschäftsführerin tätig. 
„Etwas besser, aber dennoch verbesserungswürdig gestaltet sich die Situation in den Aufsichtsratsgremien“, weiß AK-Expertin Wieser. Bei den Top-200-Unternehmen beträgt der Anteil von Frauen in den Kontrollgremien derzeit 17,7 Prozent. Auch in den börsennotieren Unternehmen beläuft sich der Prozentsatz mittlerweile auf 17,4 Prozent. Im Europa-Vergleich schneidet Österreich aber nach wie vor unterdurchschnittlich ab. EU-weit hat die Kommission einen Schnitt von 21 Prozent erhoben, für Österreich sind es 18 Prozent.
Studienautorin Wieser: „Der Weg zu mehr Frauen in Spitzengremien ist steinig. Akzeptanzdefizite und Vorbehalte stellen sich als wesentliche Hürden heraus. Zudem läuft etwa die Aufsichtsratsentsendung in Österreich sehr informell und unstrukturiert ab.“ Umso dringender brauche es eine Politik, die mit entsprechenden Rahmenbedingungen und Gesetzen die Karrierechancen von Frauen verbessert. Wieser fordert unter anderem die Einführung einer Geschlechterquote von 40 Prozent bei der Besetzung von Aufsichtsratsmandaten. Wird diese Quote nicht eingehalten, müssen wirksame Sanktionen gesetzt werden (z. B. Bußgelder, Konsequenzen bei öffentlicher Auftragsvergabe).

Infos unter: tinyurl.com/jakp98z

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Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826194 vida: Strengere Regeln für Airbnb & Co Online-Zimmervermieter wie Airbnb müssen bundesweit stärker kontrolliert werden, fordert Andreas Gollner. „Man schränkt internationale Konzerne nicht ein, wenn jedes Bundesland eigene Regeln hat“, so der vida-Fachsekretär für den Bereich Tourismus. „Diese Megakonzerne sind deswegen stark, weil wir falsch aufgestellt sind. Regionales Denken weist sie nicht in die Schranken. Föderalismus ist gut, aber hier nicht angebracht.“


ExpertInnen gehen davon aus, dass private Unterkunftsanbieter jährlich Hunderttausende Euro allein an Ortstaxen nicht abführen. Neben einheitlichen Meldepflichten, um Steuer- und Abgabeverpflichtungen besser kontrollieren zu können, fordert Gollner, dass die zur Vermietung angebotenen Wohnungen klar gekennzeichnet sein müssen: „Auch das wird die Kontrolle deutlich erleichtern.“ Handlungsbedarf bestehe auch im Verkehrsbereich. „Ich denke etwa an die Taxi-Alternative Uber oder den Botendienst Checkrobin. Hier sind strengere Vorgaben längst überfällig“, kritisiert Karl Delfs, vida-Fachsekretär für den Bereich Straße. Dabei gehe es auch um die Sicherheit für die KundInnen, denn bei Checkrobin gibt es keine rechtlichen Absicherungen. Zudem sind die von den Privatpersonen erzielten Einnahmen umsatzsteuerfrei und unterliegen keinerlei Abgaben. „Nicht viel besser schaut es bei Uber aus“, hält Delfs fest. „Deren Fahrer etwa erfüllen nicht die strengen Auflagen des Taxi-Gewerbes und sind nicht sozialversichert. Arbeitnehmerschutz wird mit Füßen getreten“, ärgert sich Delfs.

Infos unter: tinyurl.com/gvbzexj

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Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826186 PRO-GE: Nächste Runde im KV-Konflikt Weil sich VertreterInnen der Gewerkschaft und der Wirtschaftskammer im paritätisch besetzten Ausschuss nicht einigen konnten, geht der Konflikt um die KV-Flucht bei der Firma Miba in die nächste Runde. Der Stein des Anstoßes war, dass der Industriebetrieb Miba einen Unternehmensteil ausgegliedert und mit seinem neuen Betrieb Miba Bearings in den Kollektivvertrag Metallgewerbe gewechselt hat, was für die Beschäftigten nachteilig ist. „Für uns ein klarer Fall von Kollektivvertragsflucht“, sagt PRO-GE-Landessekretär Walter Schopf.

Die PRO-GE hat im Wirtschaftsministerium eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Wirtschaftskammer Oberösterreich wegen falscher Zuteilung der Firma Miba Bearings zur Landesinnung der Metalltechniker eingebracht. Der zur Schlichtung eingesetzte paritätische Ausschuss sollte einen Experten nominieren, der die Zuordnung überprüft. Der von der Gewerkschaftsseite vorgeschlagene Experte wurde von der Wirtschaftskammer abgelehnt. Nun geht der Fall in die nächste Instanz: Ein ebenfalls von Gewerkschaft und Wirtschaftskammer besetztes Gremium wird auf Bundesebene eingesetzt.
„Der Fall Miba zeigt ganz klar auf, wie unsinnig es ist, dass die Zuordnung von Betrieben als Industrie- oder Gewerbebetrieb bei der Interessenvertretung der Unternehmen liegt“, kritisiert Walter Schopf. Er fordert eine Gesetzesänderung, damit in Zukunft die Gewerbebehörde entscheidet, welcher Betrieb in welche Branche gehört und ob es sich um industrielle oder gewerbliche Strukturen handelt.

Infos unter tinyurl.com/zcb6l9w

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Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826159 Gemeinsam gegen Ausbeutung Wie kann der Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen geöffnet werden, ohne Lohn- und Sozialdumping zu fördern? Mit brennenden Fragen wie diesen beschäftigte sich eine Tagung der UNDOK-Anlaufstelle Ende Februar. „Menschen werden in die undokumentierte Arbeit und in die Scheinselbstständigkeit gedrängt, solange sie über keinen freien Arbeitsmarktzugang verfügen“, hielt Karin Jović von UNDOK fest. „Arbeitgeber können Lohn- und Sozialdumping betreiben, und das schadet allen Beschäftigten. Daher brauchen diese KollegInnen unsere Unterstützung.“ Die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung UNDOKumentiert Arbeitender engagiert sich genau dafür. Neben der direkten Beratung veranstalten ihre MitarbeiterInnen Workshops, um die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren.

Die Schweizer Gewerkschafterin Aurora García (Unia, vergleichbar mit der Bau-Holz) plädierte für ein Umdenken: „Die Menschen müssen spüren, dass die Organisation für sie einsteht, daher sind auch politische Kampagnen wichtig.“ Ihr Slogan sei „Die Stärke ist unsere Einheit“: „Das heißt wir müssen als ArbeitnehmerInnen zusammenhalten, unabhängig vom Pass.“
Dies bestätigte Othmar Danninger, Vize-Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz: „Wenn wir als Gewerkschaft bestimmte Branchen erfolgreich organisieren wollen, dann müssen wir ArbeitnehmerInnen ohne österreichischen Pass als Mitglieder gewinnen und uns gemeinsam organisieren.“

Mehr Infos unter: www.undok.at

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Arbeit&Wirtschaft 2/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826172 Zoheir Sameri war selbst Asylwerber, heute ist er Mitarbeiter bei UNDOK: "Man darf nur in der Saisonarbeit arbeiten und die Grundversorgung ist sehr niedrig. In einer solchen Situation nimmt man jeden Job." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1457578826177 "Die schwierige wirtschaftliche Situation wird von Arbeitgebern ausgenutzt", schilderte Susanne Haslinger von der Gewerkschaft PRO-GE die Zwickmühle. "Diese Form der Arbeitsausbeutung geht uns alle an." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Mar 2016 00:00:00 +0100 1457578826151 Standpunkt | Gerechte Verteilung ist zumutbar Obergrenzen scheinen in Österreich im Moment in Mode zu sein. Eine solche wurde kürzlich nicht nur für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen beschlossen, auch um die Mindestsicherung hat sich eine Obergrenzen-Debatte entsponnen. Wenn es nach dem Willen der ÖVP geht, sollen BezieherInnen in Zukunft maximal 1.500 Euro bekommen. Kürzlich ließ mich die Aussage einer Juristin auf Ö1 aufhorchen. Diese erklärte nämlich: Bei den Mindesthilfe-BezieherInnen handelt es sich um sozial schwache Menschen, weshalb an das Menschenwürdegebot zu denken sei. Dieses gebietet, dass niemand unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden darf. Vom Namen sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen, denn auch wenn es sich Gebot nennt, so handelt es sich dabei um nichts weniger als um ein Grundrecht.

Statistin Menschenwürde?

In der politischen Debatte spielt die Menschenwürde leider nur eine StatistInnen-Rolle. Das ist einigermaßen erstaunlich, handelt es sich doch dabei um einen jener Werte, die so gerne angerufen werden, um sich von MigrantInnen abzugrenzen. Am Beispiel der Debatten über die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitssuchende oder die Mindestsicherung wird deutlich, dass es damit nicht weit her ist. Ein Kern dieser Menschenwürde ist nämlich, dass sie alle Menschen haben, und zwar unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion, Sprache, sozialer Stellung, sexueller Orientierung, Staatsbürgerschaft, politischen und sonstigen Anschauungen. Diese Formulierung stammt im Übrigen aus der Lernunterlage für jene, die österreichische StaatsbürgerInnen werden wollen.
Nun mag man einwenden, dass ein Staat sehr wohl das Recht hat, zu kontrollieren, wer seine Grenzen überschreitet bzw. wer von welchen sozialen Leistungen unter welchen Bedingungen profitiert. Gekauft! Die Debatten über Flüchtlinge und Sozialleistungen haben eines gemeinsam: Welche Regelung auch immer man schafft, sie betrifft Menschen in einer denkbar schwierigen Situation. Dass es nicht selbstverständlich ist, dass man bei dieser Diskussion die Menschenwürde im Auge hat, macht diese Debatten so schwer erträglich. Zur Zumutung werden diese, wenn man bedenkt, dass Vermögende in Österreich weiterhin nicht ausreichend besteuert werden – und das, obwohl diese immer Vermögender werden.
Erst im Jänner veröffentlichte die britische NGO Oxfam neue Daten, wonach die 62 reichsten Menschen der Erde genauso viel besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Und auch in Österreich ist die Ungleichheit weiterhin hoch. Angesichts dessen mutet es umso menschenunwürdiger an, wenn über Leistungskürzungen für jene gesprochen wird, die ohnehin mit sehr wenig auskommen müssen, während weiterhin jene außen vor bleiben, die mehr als genug haben.
Zumutbarkeiten und Zumutungen: So lautet das Spannungsfeld, mit dem sich das Team der A&W in diesem Heft auseinandersetzt. Denn es ist eine Zumutung, wenn suggeriert wird, Arbeitslose seien zu faul, um arbeiten zu gehen, wenn das eigentliche Problem „zu wenig Arbeitsplätze“ lautet. Es ist eine Zumutung, wenn versucht wird, Flüchtlinge zum Vorwand zu nehmen, um Sozialabbau voranzutreiben.

Gerechtigkeit statt Sozialabbau

Sehr wohl zumutbar ist es, dass eine Debatte darüber geführt wird, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Es ist zumutbar, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie Zumutbarkeitsregeln bei Arbeitslosigkeit so umgestaltet werden können, dass die Arbeitssuchenden gefördert werden. Es ist zumutbar, dass Sozialleistungen wie die Mindestsicherung darauf überprüft werden, ob sie den Menschen tatsächlich diese mindeste Sicherung gewähren – die Daten zum Thema Armutsgefährdung in Österreich lassen daran nämlich zweifeln. Vor allem ist die Diskussion über die gerechte Verteilung in unserer Gesellschaft zumutbar – und zwar bevor weitere Einschnitte in den Sozialstaat diskutiert werden.

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Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159633307 Standpunkt | Stärker mit Mitgliedern Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein besserer Tag. (...) Zu Ende sei: dass kleine Leute schuften für die Großen. Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen.“ Es sind dies Zeilen aus einem Lied von US-amerikanischen Textilarbeiterinnen. Es entstand Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge eines Streiks gegen Hungerlöhne und Kinderarbeit. Längst überwundene Missstände? Der Schein trügt, wie sich durch Berichte über unmenschliche Wohn- und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen eines Versandhandels oder die von der UNDOK-Stelle vertretenen Fälle von ErntehelferInnen in Österreich zeigt.

Druck auf Sozialstaat und Arbeitende

Seit vielen Jahren schon wird der Sozialstaat angegriffen. Momentane Zielscheibe ist die Mindestsicherung, die manche als viel zu hoch brandmarken. Dass vielmehr die Löhne und Gehälter zu niedrig sind: Das lässt man lieber unter den Tisch fallen. Zwar wird derweil „nur“ über Einschränkungen für Flüchtlinge diskutiert – schlimm genug, immerhin müssen sie in der gleichen (teuren) Welt leben wie ÖsterreicherInnen – doch die Erfahrung zeigt: Ist erst einmal ein Loch im Damm, dauert es meist nicht mehr lange, bis er bricht, sprich auch weitere Kürzungen auf der Tagesordnung stehen.
Gleiches gilt für Arbeitsbeziehungen. Diese mögen zwar heute nicht so ausbeuterisch sein wie jene der US-Textilarbeiterinnen anno 1912. Am System aber hat sich wenig verändert. An die Stelle der  FließbandarbeiterInnen traten für viele Roboter und Computer. Ob durch Auslagerungen oder die digitale Wirtschaft: Arbeiten ist für viele ArbeitnehmerInnen mit Vereinzelung verbunden. Das wiederum sind ideale Voraussetzungen dafür, dass Arbeitgeber – zumindest jene, denen nicht am Wohlergehen ihrer MitarbeiterInnen gelegen ist – die ArbeitnehmerInnen gegeneinander ausspielen und letztlich auch ausbeuten können.
Alles also fürchterlich? Nur dann, wenn man sich mit all dem abfindet, denn nichts davon ist in Stein gemeißelt. Um auf das historische Beispiel zurückzukommen: Auch die Textilarbeiterinnen mussten sich unter den damaligen Bedingungen erst organisieren, was damals alles andere als einfach oder ungefährlich war. Es liegt also an jedem und jeder Einzelnen, den Kontakt zu anderen zu suchen, sich zu vernetzen und eine Plattform zu finden, über die man gemeinsam für Verbesserungen kämpfen kann. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man sich nicht zurücklehnt und sich nicht mit dem Status quo abfindet.
Die Bedingungen sind heute zwar auch schwierig, denn der Druck auf ArbeitnehmerInnen ist groß – und selbst die gewerkschaftliche Organisierung wird von manchen Unternehmen erschwert. Umgekehrt aber ist es mithilfe sozialer Medien sogar leichter geworden, sich zu vernetzen. Damals wie heute spielen Gewerkschaften in der Hinsicht eine entscheidende Rolle. Sie sind große Organisationen, die Erfahrung in der Organisierung haben, Ressourcen zur Verfügung stellen und den ArbeitnehmerInnen rechtlich zur Seite stehen können. Noch dazu können sie in Österreich auf Gesetze Einfluss nehmen, und zwar im Sinne der ArbeitnehmerInnen.

Stärker als Mitglied

Aber auch das ist nicht in Stein gemeißelt, denn Gewerkschaften sind umso stärker, je mehr Mitglieder sie haben. Dies bedeutet nicht nur mehr Geld, mit dem all diese Leistungen finanziert werden können, mit denen Gewerkschaften die ArbeitnehmerInnen in ihren Bemühungen für bessere Arbeitsbedingungen unterstützen. Vor allem bedeutet es eine größere Legitimität – gegenüber den Arbeitgebern, aber auch gegenüber der Politik. Heute geht es zwar nicht mehr um Brot und Rosen, aber die Logik bleibt die Gleiche: Gemeinsam ist man stärker. Kurz: Gewerkschaften sind umso stärker, je mehr Mitglieder sie haben, aber auch ArbeitnehmerInnen sind stärker, wenn sie Gewerkschaftsmitglied sind.

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Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632802 "Nicht zuletzt" ... Wer keinen goldenen Löffel hat ... Beitrag zum Wohlstand

Es waren die Gewerkschaften, die den Wirtschaftseliten in einem jahrzehntelangen und mühsamen Kampf  jenen sozialen Fortschritt abgerungen haben, der zur Zivilisierung des Kapitalismus und zur Humanisierung der Arbeit geführt hat.
Aber weder der 8-Stunden-Tag noch ArbeitnehmerInnenschutz, Kollektivverträge oder Urlaub sind in Stein gemeißelt. Sie müssen – besonders in Krisenzeiten – immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Neoliberale Kräfte streben nach einer Marktwirtschaft ohne jeden staatlichen Einfluss und ohne Mindeststandards.  Nur der solidarische Zusammenschluss von ArbeitnehmerInnen ermächtigt die Gewerkschaften  dazu, auf Augenhöhe mit der Wirtschaft faire Löhne und Gehälter zu verhandeln.

Wem gehört die Welt?

Der wirtschaftliche Druck auf die Menschen wächst – genauso wie die Ungleichheit. Laut OECD bezieht das einkommensstärkste Zehntel der Haushalte etwa ein Viertel aller Haushaltseinkommen.  Die internationale Organisation Oxfam hat diesen Befund weiter zugespitzt und erhoben, dass die reichsten 62 Menschen der Welt zusammen genauso viel Vermögen besitzen wie die 3,5 Milliarden ärmsten Menschen.
Umso zynischer mutet es an, wenn etwa der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, in einem „Kurier“-Interview behauptet: „Ich glaube schon, dass es etwas mehr Leistungsdruck braucht. Dieser Druck verteilt sich auf immer weniger Menschen. Das sind dann auch die, die hohe Steuern zahlen.“ Das ist Unfug – in Wahrheit ist es so, dass Klein- und MittelverdienerInnen den Löwenanteil der Steuerlast tragen. Gewerkschaften stehen auf der Seite jener Menschen, die hart arbeiten müssen, um ihr Leben bestreiten zu können, während Konzerne häufig in Steueroasen anzutreffen sind.

Wo ist da die Leistung?

Jüngstes – und tragisches – Beispiel ist die Zielpunkt-Pleite: Es ist sicher nicht die Familie Pfeiffer (mit einem geschätzten Vermögen von 770 Millionen Euro), um die man sich Sorgen machen müsste. Die Leistung des Managements, eine Handelskette in den Bankrott zu manövrieren, ist hier kritisch zu hinterfragen. Die Zeche dafür bezahlen aber Beschäftigte, die tagtäglich ihre volle Leistung erbracht haben.
Und es waren die MitarbeiterInnen der Gewerkschaften und des Insolvenzbüros von ÖGB und AK, die in den Wochen nach der Insolvenz rund um die Uhr im Einsatz waren, um den Betroffenen zu ihrem Recht und zu ihrem Geld zu verhelfen.

Ein Bollwerk gegen Ungerechtigkeit

Gewerkschaften sind im Gegensatz zu den Lobbyisten finanzkräftiger Konzerne nur den Interessen der ArbeitnehmerInnen verpflichtet.
So unterschiedlich deren Anliegen auch sind – sie alle haben etwas gemeinsam: Sie fordern einen gerechten Anteil an dem Wohlstand, den sie jeden Tag erarbeiten, faire Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit.
Die Gewerkschaftsbewegung versteht sich deshalb auch weiterhin als Bollwerk gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit – national und international.
Wer Forderungen wie „mehr Flexibilität“ stellt, in Wirklichkeit aber weniger Geld für mehr Arbeit meint, wird auf die Ablehnung der Gewerkschaften stoßen. Wer nach Reformen schreit, um damit den Abbau des Sozialstaates zu forcieren, beschreitet einen gefährlichen Weg.
Denn Sozialstaat und Demokratie sind eng verbunden. Wer den Sozialstaat und die Interessenvertretungen der arbeitenden Menschen demontieren will, der sägt am Ast der Demokratie.

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Erich Foglar, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632794 Frisch gebloggt blog.arbeit-wirtschaft.at.]]> Webtipps der Woche

Wir legen Ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Steuertricks von Konzernen: OECD hält an irreparablem Steuersystem fest (Martina Neuwirth & David Walch)
  • Abbau des Kündigungsschutzes in Europa: Politischer Konsens auf schwachem Fundament (Daniel Unterweger)
  • Geschlechterungleichheit bei der Verteilung der Arbeitszeit in Österreich (Judith Derndorfer)

Lücken und tricksen 
Das Bild ging um die virtuelle Welt: 12,5 gegen 1.000 Milliarden Euro. Es war die Gegenüberstellung der jährlichen Kosten für die Versorgung einer Million Flüchtlinge und jenen der Steuerflucht von Konzernen und Vermögenden. Neuwirth und Walch sehen es daher als dringend notwendig, endlich zu verhindern, dass sich ausgerechnet die Vermögendsten vor ihrem Beitrag zum Gemeinwohl davonstehlen. Allein bei den Steuertricks von multinationalen Konzernen schätzt die OECD den Verlust auf 100 bis 240 Milliarden US-Dollar – pro Jahr. Die Rechnung dafür bezahlt die breite Bevölkerung mit höheren Steuern auf Arbeit und Konsum. Aber auch kleine und mittlere Unternehmen werden benachteiligt. Nun hat die OECD im Auftrag der G20 – nach Jahren völliger Ignoranz gegenüber den Forderungen der Zivilgesellschaft – vor zwei Jahren einen Prozess gestartet, mit dem man den Steuertricks von Konzernen Einhalt gebieten will. Die Ergebnisse wurden Anfang Oktober präsentiert und von den G20 beschlossen. Auch wenn es dabei Fortschritte gibt: Es bleiben noch immer wesentliche Lücken bestehen. Die einzig sinnvolle Lösung wäre eine Gesamtbesteuerung für Konzerne, bei der sie als globale Einheit behandelt werden. Das Tricksen der Konzerne hätte dann ein Ende.

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Ein bisschen weniger von allem 
Ein starker Kündigungsschutz wurde in den letzten Jahren oft als schädlich gegenüber Beschäftigung und wirtschaftlichem Wachstum dargestellt. Während der Wirtschaftskrise wurde die Aufweichung bestehender Regelungen daher als Teil der Strukturreformen in Gegenleistung für Finanzhilfen der Europäischen Institutionen verlangt (z. B. in Griechenland oder Portugal). Zudem gibt es allgemein einen europäischen Trend zu einer Schwächung des Kündigungsschutzes. Die wissenschaftlichen Grundlagen dafür sind allerdings sehr wackelig, wie Unterweger in seinem Beitrag darstellt. Neuere Forschungsergebnisse zeigen nämlich eindeutig, dass ein aufgeweichter Kündigungsschutz keine positiven Effekte auf die Beschäftigung hat. Im Gegenteil: In den meisten Ländern nahm die Arbeitslosigkeit für Problemgruppen weiter zu. Österreich zählt zu den Ländern mit einem ohnehin wenig ausgeprägten Kündigungsschutz – Verschlechterungen könnten hier besonders negative Auswirkungen haben.

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Arbeit, nicht bezahlt
In Österreich sind die klassischen Geschlechterrollen noch immer weit verbreitet. Besonders deutlich wird das bei der Verteilung der Arbeitszeit, wie der Artikel von Derndorfer zeigt. Während 2014 laut Statistik Austria 60,5 Prozent des gesamten Volumens bezahlter Erwerbsarbeit von Männern geleistet wurde, belief sich der von Frauen geleistete Anteil auf 39,5 Prozent. Bei der unbezahlten Arbeit war das Verhältnis genau umgekehrt. Besonders stark wirken sich Kinder auf die Arbeitsverteilung aus. So waren 2014 67,2 Prozent der Frauen mit Kindern erwerbstätig, bei Frauen ohne Kinder waren es mit 84,7 Prozent deutlich mehr. Bei Männern lässt sich der umgekehrte Trend feststellen: Mit Kindern sind mehr Männer erwerbs-tätig (92,6 Prozent) als ohne Kinder (83,6 Prozent). Diese ungleiche Arbeitsteilung wird durch die Familienpolitik unterstützt.

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Und noch zwei Tipps: Die weitere Liberalisierung der Kapitalmärkte ist genau die falsche Richtung, wie Stockhammer und Reissl analysieren. Sie fordern, dass endlich eine Bankenreform angegangen wird, die das „Too big to fail“ wirksam bekämpft (tinyurl.com/hjz3knh). Und wer lieber schauen als lesen mag, für den/die erklärt FORBA-Expertin Annika Schönauer in einem Video-Blog, vor welchen Herausforderungen die Arbeitswelt aufgrund des digitalen Wandels steht (tinyurl.com/gsxlxb9).

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Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632785 Das Mach-mit-Prinzip Organisation ist ein Mittel, die Kräfte des Einzelnen zu vervielfältigen“, sagte bereits der österreichstämmige amerikanische Managementlehrer Peter Drucker. Dies haben sich die angelsächsischen Gewerkschaftsbewegungen zu Herzen genommen und das Prinzip des „Organizing“ geschaffen. Mit diesem Ausdruck ist die Beteiligung und Mobilisierung von ArbeitnehmerInnen gemeint, um betriebsrätliche und gewerkschaftliche Strukturen zu stärken und infolgedessen neue Mitglieder zu gewinnen. Der Aufbau der Struktur ist dabei mit der Entwicklung einer Handlungsstrategie, einer detaillierten Kampagne, eng verflochten. Die im Organizing entwickelten Methoden werden in aufeinander abgestimmten Schritten zu einer Kampagne mit einer strategischen Zielsetzung zusammengefasst.

Erfolgreich erprobt

Ein weiteres Ziel ist auch, Belegschaftsvertretungen in Unternehmen zu gründen, in denen bisher keine ArbeitnehmerInnenvertretung installiert war, sowie neue Kollektiv- bzw. Tarifverträge zu verhandeln. In den USA und Großbritannien, aus denen das Organizing hervorgeht, konnten Gewerkschaften mit diesem Prinzip vor allem im Dienstleistungssektor Erfolge feiern und unter schwierigen Bedingungen neue Mitglieder gewinnen. Deutsche Gewerkschaften, allen voran die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, setzten das Organizing-Konzept erstmals 2005 ein und gewannen beispielsweise in Hamburg Hunderte neue Mitglieder im Sicherheitsgewerbe. In jüngster Zeit wurden Kampagnen gegen Lidl und Schlecker geführt, auch in Österreich. Zur bisher am erfolgreichsten geführten Kampagne in Deutschland zählt das Organizing in zwei Lagerhäusern eines großen Online-Versandhändlers. Dort gelang es ver.di nicht nur, einen erfolgreichen Arbeitskampf zu führen und eine Belegschaftsvertretung zu installieren, sondern gleichzeitig auch, den Organisationgrad der rund 4.000 MitarbeiterInnen um 50 Prozent zu steigern.
Auch im Rahmen der SOZAK wurde das Prinzip des Organizing im Rahmen einer Projektgruppe behandelt. Dem Thema widmeten sich Mona Badran, Martin Bramato, Petra Gege und Michael Huber ausführlich und kreierten eine eigene Homepage zu diesem Thema. Auf www.letsorganize.at erläutern die TeilnehmerInnen die Wichtigkeit des Organizing, stellen die verschiedensten Möglichkeiten vor, Kampagnen umzusetzen, und erklären die Vorteile von organisierten Betrieben. Das Ziel des Organizing ist eine Belegschaft in Betrieben, die sich dem Organizing anschließt und letztendlich dem Betriebsrat im Unternehmen den Rücken stärkt, da sie selbst eine starke Kraft geworden ist. Da das Organizing nur durch eine starke Gemeinschaft und Zusammenhalt funktioniert, werden EinzelkämpferInnen zur Mach-mit-Strategie motiviert. Sie sollen begeistert werden, überzeugt für ihre Ideale einstehen können, ihre Probleme aufzeigen und selbst Lösungen dafür entwickeln – und wenn es notwendig ist, auch dafür kämpfen.

Beteiligungsmodell

Das österreichische System der Belegschaftsvertretung ist so aufgebaut, dass jeder einzelne Arbeitnehmer und jede einzelne Arbeitnehmerin seine/ihre Vertretung wählt, von der die ArbeitnehmerInnen anschließend repräsentiert werden. Dieses StellvertreterInnenmodell ist vielleicht aufgrund der Sozialpartnerschaft in Österreich effizient, schließt jedoch die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen bei täglichen Entscheidungen völlig aus. Dieses Szenario ist weder für die BetriebsrätInnen noch für die Beschäftigten ideal, da ArbeitnehmerInnen bei Entscheidungen des Betriebsrates bisweilen vor vollendete Tatsachen gestellt werden. BetriebsrätInnen wiederum können sowohl bei Verhandlungen mit der Geschäftsführung als auch bei verhandelten Kompromissen bei der Belegschaft in Erklärungsnot kommen. Dies ist weder für das Vertrauensverhältnis zwischen Beschäftigten und BetriebsrätInnen förderlich noch für die ArbeitnehmerInnen selbst, die oft das Gefühl haben, missverstanden zu werden. Beides kann für Konflikte zwischen den beiden Parteien sorgen.
Das Organizing hingegen zielt auf ein Beteiligungsmodell hin, um alle ArbeitnehmerInnen ins Boot zu holen, in den Vertretungsprozess miteinzubeziehen und gemeinsam Lösungen zu finden. Mit bestimmten Werkzeugen lässt sich eine Struktur aufbauen, in der Informationen schnell und persönlich weitergeleitet werden können. So können die Meinungen der Belegschaft eingeholt, gesammelt und an den Betriebsrat weitergegeben werden, wenn dieser beispielswese in Verhandlungen mit der Geschäftsführung steht. Damit stärkt die Belegschaft nicht nur den Rücken der BetriebsrätInnen, die auf absolute Unterstützung der KollegInnen zählen dürfen, sondern sie können auch schnell und in kürzester Zeit Druck ausüben. Ein weiterer Vorteil des Organizing ist die Tatsache, dass wenn ArbeitnehmerInnen eines Betriebes in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden, sie sich mit Inhalten und Zielen besser identifizieren können – daher wird es manchmal auch das „Mach-mit-Prinzip“ genannt. Zudem bekommt für die Belegschaft die Gewerkschaft auch ein Gesicht und ist nicht mehr nur ein Konstrukt, das vom Betriebsrat vertreten wird.
Wird das Organizing angewendet, ist es wichtig, dass man die Belegschaft stets mit ausreichend Informationen versorgt und sich im Klaren darüber ist, dass nichts mehr rückgängig gemacht werden kann, wenn die KollegInnen erst einmal mobilisiert sind. Dann steht die nächste Herausforderung an: den Prozess kontrolliert steuern zu können. Auch dürfen die BetriebsrätInnen über gewisse Dinge nicht eigenmächtig entscheiden, sondern müssen die Belegschaft miteinbeziehen, deren Erwartungshaltung punkto Entscheidungsprozesse und Mitbeteiligung steigt. Es verbergen sich einige Risiken hinter diesem Modell, die jedoch durch bestimmte Vorteile und Chancen wettgemacht werden. Dass der gewerkschaftliche Organisationgrad im eigenen Betrieb wächst, stärkt nicht nur den Betriebsrat, sondern auch die Gewerkschaft. Der Informationsfluss in beide Richtungen wird schneller und leichter, frühzeitiges Erkennen von Fragen, Problemen und Konflikten ist leichter möglich, und so können Lösungen umso eher gefunden werden. Wenn sich die Situation im Betrieb zuspitzt, ist bei einer gut organisierten Belegschaft die Möglichkeit der Durchführung einer Mobilisierungskampagne und/oder einer Druckkampagne höher.

Mobilisieren und informieren

Im Organizing werden drei Kampagnen unterschieden, die eine Struktur eines nach diesem Prinzip aufgebauten Betriebs ermöglichen. Das Trio – die Organisierungskampagne, Mobilisierungskampagne und die Druckkampagne – funktioniert nur aufbauend in ebendieser Reihenfolge. Während man in der Organisierungskampagne zunächst nur gewerkschaftliche Mitkämpfer sucht, um eine erste Informationsstruktur im Betrieb aufzubauen, werden im zweiten Schritt, der Mobilisierungskampagne, die aktiven Mitglieder zum Handeln befähigt. Am Ende steht dann die Druckkampagne, die sich mit einem klar definierten Ziel an die Geschäftsleitung richtet. Je besser sie im Betrieb verankert werden kann, je mehr die MitarbeiterInnen mobilisiert sind, desto stärker die Auswirkungen.

Klare Strategie

Dabei ist es wichtig, eine klare Strategie vorzubereiten und einen Aktionsplan im Fall einer Eskalierung zu erstellen. Auch spielt die ständige Information der MitarbeiterInnen über den Status quo eine wesentliche Rolle. Denn bekanntlich nährt mangelhafte Information Unwissenheit und Unsicherheit und diese wiederum facht die Gerüchteküche an. Und die dadurch folgende Gefahr, den Zusammenhalt zu gefährden, würde das Organizing wieder ad absurdum führen.
Wendet man das Organizing korrekt an, können mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: In Betrieben können nachhaltig aktive Gewerkschaftsstrukturen geschaffen und aufgebaut werden, damit gewinnt man im gleichen Atemzug neue Mitglieder. Die Durchsetzungsfähigkeit wird gestärkt und Gewerkschaftspolitik wird von und mit den Mitgliedern gestaltet.

Info&news
Die TeilnehmerInnen der Sozialakademie der Arbeiterkammer (SOZAK) arbeiten im Zuge des Lehrgangs jedes Jahr in Kleingruppen an von den Gewerkschaften beauftragten Projektarbeiten zu unterschiedlichen gewerkschaftspolitisch relevanten Themen. BetriebsrätInnen, GewerkschaftssekretärInnen sowie Interessierte können diese Projektarbeiten unter www.ichwardabei.at downloaden oder im ÖGB-Verlag bestellen (Michael Musser, +43 1 662 32 96-39732, michael.musser@oegbverlag.at). In unserer neuen Serie stellen wir ausgewählte Projektarbeiten vor.


Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at 

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159635568 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633298 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632782 Die Zukunft wird von uns geschrieben Vor allem die letzten zwei Dekaden waren geprägt von großen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Mit dem Aufkommen der Informationstechnologie hat die rasante Digitalisierung der Wirtschaft und Arbeitswelt eingesetzt. Wir befinden uns inmitten dieses Umbruchs. Doch die Gewerkschaft ist eine Bewegung, die es seit Beginn an mit wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen zu tun hatte beziehungsweise den Wandel mit gestaltet hat.

Konstruktiver Dialog

Die digitale Arbeitswelt hat bereits Einzug gehalten, wird uns aber in den nächsten Jahren noch massiv beschäftigen. ÖGB, Gewerkschaften und Arbeiterkammer beschäftigen sich schon intensiv mit den potenziellen Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnen. Unter Einbindung von nationalen wie internationalen ExpertInnen aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik wollen wir ein gemeinsames Bild zeichnen, welche Folgen der technologische Wandel für ArbeitnehmerInnen hat.
Dabei suchen wir auch den konstruktiven Dialog mit den Sozialpartnern auf nationaler wie europäischer und internationaler Ebene. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der jährlich stattfindende Sozialpartner-Dialog in Bad Ischl hervorzuheben, der sich im vergangenen Jahr dem Thema „Digitale Wirtschaft und Arbeitswelt“ widmete. Dieser Austausch der Sozialpartner mit internationalen ExpertInnen hilft, gemeinsame Sichtweisen und Strategien zu entwickeln.
Eine Kernaufgabe der Gewerkschaftsbewegung ist es, immer wieder konsequent die Verteilungsfrage zu stellen: Wer profitiert vom erwirtschafteten Reichtum und wie kann dieser Profit fair verteilt werden? Diese Frage wird sich in Zukunft noch dringlicher stellen und sicherlich zu intensiven politischen Auseinandersetzungen führen. Die Verteilungsdebatte betrifft aber nicht nur den gerechten Anteil am Produktivitätsfortschritt, sie beinhaltet auch eine Machtfrage: Wer wird die neuen Technologien besitzen und diese für welche Zwecke nützen?
Die Digitalisierung der Wirtschaft und Arbeitswelt unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von vorherigen technologischen Entwicklungen: Die erhöhte Produktivität führt nicht zwangsweise zu mehr Beschäftigung. Es werden vermutlich verstärkt Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor verschwinden. Roboter mit künstlicher Intelligenz, neue Generationen von Algorithmen und die unendlichen Möglichkeiten des Internets ersetzen die menschliche Arbeitskraft also nicht mehr nur in der Landwirtschaft und im industriellen Sektor. Das führt uns auch wieder zu Fragen der gerechten Verteilung von Arbeit(szeit).
Wir wollen als Gewerkschaft in Zeiten dieser großen Veränderungen jene Bewegung sein, die technologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen frühzeitig erkennt und aktiv mitgestaltet. Ziel ist, die technologischen Entwicklungen zu nutzen – nicht zur Profitmaximierung, sondern für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem, in dem sowohl auf Mensch wie Umwelt Rücksicht genommen und dementsprechend ressourcenschonend produziert und konsumiert wird.
Ein wesentliches Element ist der Erhalt und Ausbau der sozialen Sicherheit. Diese wurden bisher über die Besteuerung kollektivvertraglich geregelter Erwerbsarbeit finanziert. Wenn aber im Zuge der Digitalisierung der klassische Arbeitsvertrag an Bedeutung verlieren sollte, dann müssen wir für die neuen Arbeitsformen (z. B. Crowdworking) und Produktionsformen (z. B. Roboterisierung) alternative Regelungsmodelle entwickeln. Ebenso wird es notwendig sein, über andere Finanzierungsmodelle unserer sozialen Sicherheitsnetze nachzudenken. Und es braucht arbeitsrechtliche Regelungen für diese neuen Beschäftigungsarten, um der zunehmenden Prekarisierung von Erwerbsarbeit entgegenzuwirken.

Zukunft mitbestimmen

Ein weiteres wichtiges Feld wird in Zukunft auch die Frage der Mitbestimmung sein. ArbeitnehmerInnen können ihre Interessen nicht ohne ausreichende Partizipationsmöglichkeiten durchsetzen. Wo wir funktionierende Mitbestimmungsmechanismen haben, müssen wir diese weiter ausbauen. Aber neue Formen von Arbeit werden auch neue Partizipationsformen brauchen. Digitale Medien können dabei von Gewerkschaften kreativ für neue Mitbestimmungstools genutzt werden. Ein Beispiel dafür ist etwa die Organisierung von CrowdworkerInnen, die von der deutschen Gewerkschaft IG Metall gerade versuchsweise angegangen wird.
Mit Big Data müssen wir die Mitbestimmung über die Verwendung von Daten neu regeln. Die auf europäischer Ebene nun beschlossene Datenschutzverordnung ist schon ein erster Schritt in die richtige Richtung. Für Gewerkschaften entscheidend und leider auf europäischer Ebene zu kurz gekommen ist aber der Umgang mit personenbezogenen Daten von ArbeitnehmerInnen. Dabei ist vor allem entscheidend, welche Daten während der Arbeit aufgezeichnet und wie diese ausgewertet werden.

Schlüssel = Qualifikationen

Es wird davon ausgegangen, dass durch die Digitalisierung vor allem Routinearbeiten aller Art (manuelle und kognitive) von intelligenten Systemen übernommen werden können. Wir müssen uns jetzt schon darüber Gedanken machen, welche Fähigkeiten wichtig sind, um sich am Arbeitsmarkt der Zukunft zurechtzufinden. Die Frage wird sein, welcher Bildungsauftrag vor uns liegt und wie wir möglichst allen Menschen im Sinne der Chancengleichheit den Zugang zu Bildung gewährleisten können. Dabei darf die Bildungsfrage natürlich nicht auf Fragen des Schulwesens beschränkt bleiben. Auch der dualen Ausbildung und jeglicher Form der lebensbegleitenden Aus- und Weiterbildung wird eine große Bedeutung zukommen.
Der demografische Wandel ist gewissermaßen bereits ein „alter Hut“. Die Gewerkschaften und Sozialpartner befassen sich mit diesem Thema schon viele Jahre. Für den ÖGB ist zentral, dass wir auch in Zukunft älteren Menschen eine finanzielle Sicherheit bieten können. Wir sehen dies im umlagebasierten und solidarischen Pensionssystem gesichert, solange Menschen eine ordentliche Beschäftigung auf Basis eines gut bezahlten Arbeitsvertrags oder selbstständiger Arbeit haben. Sollte im Zuge der Digitalisierung diese solide Basis wanken, müssen auch andere Quellen der Finanzierung angedacht werden (siehe oben). Das Ziel bleibt: Die Pensionsleistung muss stimmen (lebensstandardsicherndes, leistungsorientiertes System) und darf sich nicht nur an den eingezahlten Beiträgen orientieren (beitragsorientiertes System). Denn die „Verliererin“ eines rein beitragsorientierten Systems wäre die junge Generation. Sie wäre massiv von Altersarmut betroffen. Ob und wie wir Pensionen finanzieren, ist in erster Linie eine gesellschaftspolitische Entscheidung. Dasselbe gilt für den zu erwartenden, steigenden Bedarf im Pflegebereich – auch hier werden wir nachhaltige, politische Lösungen brauchen.

Zuwanderung gestalten

Zu- und Abwanderung gehören ebenfalls zur demografischen Entwicklung. Österreich war schon immer ein Zuwanderungsland und wird es in den nächsten Jahren auch bleiben – sei es im Zuge der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit innerhalb der EU, sei es über die aktuelle Flüchtlingsbewegung, sei es über reguläre Zuwanderung aus Drittstaaten. Doch Zuwanderung in einem Land bedeutet Abwanderung in einem anderen Land. Migration ist ein globales Phänomen und bedarf internationaler Lösungen.
Zur aktuellen Flüchtlingsbewegung hat der ÖGB-Bundesvorstand in seiner Resolution vom 29. Oktober 2015 eine eindeutige Position bezogen. Asyl ist ein unteilbares Menschenrecht. Wir brauchen aber europäische Lösungen, um rasche und faire Asylverfahren zu gewähren, eine faire Verteilung der Flüchtlinge in der EU sicherzustellen und eine gute Integration zustande zu bringen. In Österreich müssen wir dafür sorgen, dass AsylwerberInnen menschenwürdig versorgt und untergebracht werden. Gleichzeitig brauchen wir flächendeckende Deutschkurse, rasche Anerkennungsverfahren der Qualifikationen und rasche Asylverfahren.
Digitalisierung der Wirtschaft und Arbeitswelt, demografischer Wandel und Migration: Egal um welches Zukunftsthema es sich handelt, die Gewerkschaft ist dafür da, den gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Damit müssen wir jetzt beginnen, indem wir die entscheidenden Fragen stellen und gemeinsam Lösungen entwickeln. Für eine gerechte Verteilung des Wohlstands, gleiche Chancen für alle, soziale Sicherheit und demokratische Strukturen, die allen Menschen Mitbestimmung ermöglichen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen karin.zimmermann@oegb.at, Jakob.Luger@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Karin Zimmermann und Jakob Luger, ÖGB-Sekretariate der Geschäftsleitung Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159635553 Eine Kernaufgabe der Gewerkschaftsbewegung ist es, immer wieder konsequent die Verteilungsfrage zu stellen: Wer profitiert vom erwirtschafteten Reichtum und wie kann dieser Profit fair verteilt werden? Dies gilt auch in der digitalen Wirtschaft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632776 Verlinken, zusammenbringen, helfen Konzerne, die ihre Gewinne in Steueroasen verschieben und die Arbeitsplätze in Dumpinglohn-Staaten. Unternehmen, die die Tochterfirmen in das kollektivvertragsarme EU-Ausland verlagern und Heere von Lobbyisten bezahlen, damit sie bei den EU-Institutionen für genehme Gesetze intervenieren. „Die großen Unternehmen sind längst international ausgerichtet. Vernetzt zu sein ist da für die Gewerkschaftsbewegung wichtig, damit ArbeitnehmerInnen innerhalb der Konzerne nicht gegeneinander ausgespielt werden können“, sagt Marcus Strohmeier, Internationaler Sekretär des ÖGB. Ein Beispiel: „Ein Dachschindelerzeuger mit Sitz in Tirol hat eine Tochterfirma in Bulgarien. Dort wurden die Beschäftigten gezwungen, jede Woche zehn Überstunden zu leisten – aber unbezahlt. Der Sekretär der zuständigen bulgarischen Gewerkschaft hat sich an mich gewandt, ich habe den Betriebsrat der Mutterfirma in Tirol angerufen, der ist zum Chef gegangen, und siehe da: Das bulgarische Management musste das abstellen.“ Davon profitieren nicht nur die Menschen in Bulgarien, die jetzt mehr Geld bekommen: „Lohndumping in anderen Ländern zu bekämpfen ist immer auch zum Schutz der ArbeitnehmerInnen in Österreich. Wer will, dass wir im internationalen Wettbewerb bestehen, muss danach trachten, dass die Löhne auch in anderen Ländern steigen“.

Auch ÖsterreicherInnen, die im Ausland arbeiten, profitieren von der internationalen Ausrichtung der Gewerkschaftsbewegung – Beispiel Rechtsschutzabkommen mit Ungarn. „ÖGB-Mitglieder, die in Ungarn arbeiten, können sich dort jederzeit an die Gewerkschaften wenden. Und auch in Ländern ohne Abkommen werden Mitglieder nicht abgewiesen, wenn sie Hilfe brauchen“, erläutert Strohmeier. 

Ostmitteleuropa als Schwerpunkt

Ein Schwerpunkt der internationalen Arbeit des ÖGB liegt auf der Nachbarschaftspolitik, auf den Reformstaaten in Ostmitteleuropa. Strohmeier: „In Serbien ist Sozialpartnerschaft inexistent und in Ungarn hat sie Ministerpräsident Orbán abgeschafft.“ Nach der Arbeitsmarktöffnung für die Menschen aus den ostmitteleuropäischen Nachbarländern im Mai 2011 hat der ÖGB in den Grenzregionen Rechtsberatung auf Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch angeboten. Agnieszka Bros, früher Rechtsberaterin und heute im internationalen Referat des ÖGB: „Tausende Fälle konnten wir positiv erledigen und Lohndumping verhindern. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort nimmt natürlich auch viel Druck von den einheimischen ArbeitnehmerInnen.“
Mit allen Ländern der Welt laufend direkten Kontakt zu halten ist kaum möglich. Deshalb gibt es den 2006 in Wien gegründeten Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB/ITUC). „Er ist unser Auge und Ohr in der Welt. Brauchen wir einen Kontakt zum Beispiel in Japan – wer sollte den für uns herstellen, wenn nicht der IGB?“, fragt Strohmeier. Ihm gehören mehr als 300 Gewerkschaften an. Zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen gehören: Gewerkschafts- und Menschenrechte; Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitsplatz; Gleichstellung und Nichtdiskriminierung und internationale Solidarität. Auch in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist der ÖGB vertreten. Dort sind ArbeitnehmerInnen, Arbeitgeber und Regierungen gleichberechtigt. Sie beschließen Kernarbeitsnormen, die dann von den Staaten ratifiziert werden und rechtsgültig sind. „Die ILO ist Sozialpartnerschaft auf Weltebene“, sagt Strohmeier, „und für viele Länder sind die Kernarbeitsnormen der einzige Schutz ihrer Rechte, etwa des Streikrechts.“

Starke Stimme in der EU

Das europäische Pendant zum IGB ist der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB/ETUC), in dem vor allem die EU-Staaten organisiert sind. Er wurde 1973 gegründet, und der ÖGB war von Anfang an dabei. „Gerade in Zeiten der Krise, von der die Menschen in den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich getroffen sind, etwa in Spanien im Vergleich zu Schweden, ist eine vereinte, starke Organisation wichtig“, sagt Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel. „Auch in den schlimmsten Krisenzeiten, als es einen Riss zwischen den einzelnen Ländern gab, hat sich dieser Riss nicht auf die Gewerkschaften übertragen. Wir haben immer mit einer starken Stimme gesprochen. Unsere Stärken sind Solidarität und Geschlossenheit.“
Erst im vergangenen Herbst hat der EGB-Kongress in Paris eine neue Führung gewählt: den Belgier Rudy De Leeuw als Präsidenten und Luca Visentini als Generalsekretär. „Der EGB muss stärker werden. Die Gewerkschaftsbewegung muss wieder wachsen“, sagte Letzterer in seiner Antrittsrede. Röpke dazu: „Von einer Sozialpartnerschaft, wie wir sie in Österreich kennen, sind wir auf EU-Ebene noch weit entfernt. Als Juncker Kommissionspräsident wurde, hat er die verstärkte Einbindung der Sozialpartner in Aussicht gestellt. Wir werden aber nur gehört, wenn der EGB stark aufgestellt ist“, so Röpke. Denn er ist jene Vertretung der ArbeitnehmerInnen, die bei den EU-Institutionen als Verhandlungs- und Sozialpartner anerkannt ist.

Soziales Fortschrittsprotokoll

„Für ein echtes soziales Europa müssen wir die Dominanz der Wirtschaft in der EU endlich beenden. Das kann nur funktionieren, wenn wir auch auf EGB-Ebene dafür mobilisieren“, so Röpke. „Das ist etwa mit der Forderung nach einem sozialen Fortschrittsprotokoll gelungen. Beim Kongress in Paris haben alle Gewerkschaften, ob christlich, kommunistisch oder sozialdemokratisch dominiert, einstimmig den entsprechenden ÖGB-Antrag beschlossen.“ Der EGB wird somit keiner Änderung der EU-Verträge zustimmen, wenn darin kein soziales Fortschrittsprotokoll enthalten ist, das den Interessen der ArbeitnehmerInnen Vorrang gibt vor den wirtschaftlichen EU-Freiheiten.
Wo es ebenfalls immer wieder gelingt, Mehrheiten für die Forderungen der ArbeitnehmerInnen zu finden, ist der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA/EESC). Er besteht aus Arbeitnehmer- und ArbeitgebervertreterInnen sowie aus sonstigen Gruppen und NGOs, zum Beispiel aus dem Umweltbereich, und berät Kommission, Parlament und Rat. Auch dort ist der ÖGB vertreten, unter anderem durch Oliver Röpke: „Auch wenn der EWSA ein rein beratendes Gremium ist, bietet er uns eine gute Möglichkeit, früh an Informationen zu kommen und Einfluss zu nehmen, denn als EWSA-Mitglied wird man in den Institutionen anders empfangen, als wenn man nur als einzelner Vertreter einer Gewerkschaft aus einem kleinen Mitgliedsland kommt.“
Die Drittelparität im EWSA ist das klare Gegenmodell zum „Brüsseler Lobbydschungel, wo auf einen Gewerkschafter 95 Unternehmensvertreter und Finanzlobbyisten kommen“, betont Röpke: „Würde es den EWSA nicht geben, wäre das für die Gewerkschaften ein massiver Nachteil – den Banken und Industriekonzernen hingegen könnte es egal sein, die wissen auch ohne EWSA, wie sie sich Gehör verschaffen können, nämlich mit Geld.“

Einfluss auf Europäisches Parlament

Der EWSA beschließt Stellungnahmen zu Vorhaben der EU-Kommission, und die werden dann oft von Abgeordneten ins EU-Parlament eingebracht. Röpke: „Ein Beispiel ist die ablehnende Stellungnahme zur Europäischen Ich-AG, die grenzüberschreitendes Lohndumping und Scheinselbstständigkeit fördern würde. Die Ablehnung konnten wir fast eins zu eins im Sozialausschuss des EU-Parlaments durchsetzen. Derzeit ist der EWSA auch ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die ‚Better Regulation‘-Strategie der EU, mit der unsere hohen Sozialstandards als ‚wettbewerbshemmend‘ angegriffen werden.“

Reich durch starke Gewerkschaften

Wichtig ist, dass die Gewerkschaften viele Mitglieder haben, denn die VertreterInnen werden von den Staaten in Absprache mit der Zivilgesellschaft entsandt. Röpke: „Schwache Gewerkschaften haben es da naturgemäß schwerer und können von gewerkschaftsfeindlichen Regierungen leichter übergangen werden. Beispiele dafür sind Ungarn, als Orbán Premier wurde, oder Italien unter Berlusconi.“ Sein Kollege aus dem Internationalen Sekretariat, Marcus Strohmeier, ergänzt: „Alle Statistiken machen deutlich: Wo die Gewerkschaften stark sind, ist das Land reich. Schwache Gewerkschaften bedeuten Armut.“
 
Linktipps:
IGB:
www.ituc-csi.org
Internationales Referat des ÖGB:
www.oegb.at/international
EGB:
www.etuc.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor florian.kraeftner@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Florian Kräftner, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633282 Die internationale Vernetzung ist nicht nur aus Gründen der Solidarität wichtig, sondern auch, um Druck von den österreichischen ArbeitnehmerInnen zu nehmen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632770 Mitbestimmen statt Lobbyieren Eine starke Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen, mit dem Rückhalt möglichst vieler Gewerkschaftsmitglieder, ist die einzige Möglichkeit, denjenigen etwas entgegenzusetzen, die sich ihren Einfluss mit anderen Mittel sichern können: den VertreterInnen von Wirtschaft, Konzernen und Finanzindustrie mit ihren bezahlten LobbyistInnen. Letztere sind in den vergangenen Jahren in Verruf geraten, vor allem durch Fälle von Bestechung und Korruption, die in manchen Fällen auch zu gerichtlichen Verurteilungen geführt haben.

Den Mitgliedern verpflichtet

Die daraus resultierende Stimmungslage haben einige politische AkteurInnen bewusst dafür benutzt, mit den unsauberen LobbyistInnen auch gleich die seriösen InteressenvertreterInnen anzupatzen, ganz ohne auf den entscheidenden Unterschied einzugehen: Während LobbyistInnen wie RechtsanwältInnen jederzeit die Fahnen wechseln und ihre Dienste dem Meistbietenden offerieren, sind die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen den gleichbleibenden Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet. Die Arbeiterkammern per Gesetz, der ÖGB als Verein mit freiwilliger Mitgliedschaft per Statut. Geschäfts- und Wahlordnungen regeln genau, wie die FunktionärInnen legitimiert werden. Die Willensbildung erfolgt also demokratisch und transparent. Wer mit InteressenvertreterInnen der ArbeitnehmerInnen zu tun hat, der weiß, für wen diese arbeiten – im Gegensatz zu den LobbyistInnen, die nicht immer offen auf den Tisch legen, in wessen Auftrag sie gerade bei der Politik vorsprechen.
Diesen wesentlichen Unterschied erkennt auch der österreichische Gesetzgeber an: Der ÖGB ist als Teil der Sozialpartnerschaft sogar in der Verfassung verankert. Er nimmt zu Gesetzesvorlagen Stellung und seine ExpertInnen bringen ihren Standpunkt regelmäßig in parlamentarische Enqueten ein. Außerdem kann er aufgrund der Kollektivvertragsfähigkeit rechtsverbindliche Regelungen für die Arbeitswelt verhandeln. Die Sozialpartner sind in zahlreichen Kommissionen, Beiräten und Ausschüssen vertreten und kümmern sich um Kartell- und Wettbewerbspolitik, die Lehrlingsausbildung, um Raumordnung und Arbeitsmarkt, um Arbeitsbedingungen und KonsumentInnenschutz.

Recht statt Almosen

Gesetzlich geregelt ist auch die Mitwirkung in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung. Der Grundgedanke dahinter: Wer an der Durchführung der Sozialversicherung ein direktes Interesse hat – sei es, weil er Beiträge dafür zahlt, vor allem aber, weil er auf die Leistungen der Versicherung angewiesen ist –, soll auch an ihrer Verwaltung mitwirken. Deshalb werden die 22 Sozialversicherungsträger (Gebietskrankenkassen, Beamten-, Bauern- und Selbstständigenversicherungen, Betriebskrankenkassen, Pensions- und Unfallversicherung) von VertreterInnen geführt, die von ArbeitnehmerInnen- und Arbeitgeberorganisationen entsendet werden. Das garantiert eine bevölkerungsnahe, transparente und demokratisch legitimierte Verwaltung, die auf regionale Besonderheiten und spezielle Bedürfnisse der einzelnen Berufsgruppen Rücksicht nimmt.

Bollwerk gegen Kürzungen

Auch wenn die Grundlagen natürlich vom Gesetzgeber vorgegeben werden, ist die Selbstverwaltung doch ein Garant dafür, dass Leistungen nicht so leicht gekürzt werden können, wie das der Fall wäre, wenn es sich bei den Sozialversicherungsanstalten um Behörden oder ausgelagerte Unternehmen mit ManagerInnen an der Spitze handeln würde, die direkt einem Ministerium unterstellt wären. Das österreichische Sozialsystem sieht Ansprüche vor, auf die die Versicherten ein Recht haben, und die Selbstverwaltung garantiert, dass dieses Recht nicht so leicht durch eine Politik des Gewährens von Almosen ersetzt werden kann.
Ihren Ursprung hat die Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Damals gründeten die ArbeiterInnen Arbeiterhilfs- und Unterstützungskassen, um der Not zu entkommen, und die waren als Vereine natürlich selbstverwaltet. Die Verwaltungsgremien wurden direkt gewählt. Diese ersten Kassen wurden später in die staatliche Sozialversicherung integriert, und logischerweise forderte die ArbeiterInnenbewegung, dass die Selbstverwaltung aufrechterhalten bleibt bzw. in der gesamten Sozialversicherung eingeführt wird.
Das erste Gesetz, in dem die Selbstverwaltung geregelt wurde, war das Arbeiter-Unfallversicherungsgesetz 1887, im Jahr darauf folgte das Arbeiter-Krankenversicherungsgesetz. Später kam die Pensionsversicherung hinzu.
Die Forderung nach Abschaffung oder Einschränkung der Selbstverwaltung ist nichts Neues. Massive Eingriffe gab es durch das austrofaschistische Regime, das Ende 1933 die Selbstverwaltung der Arbeiterkammern abschaffte und jene der Sozialversicherungsträger massiv beschränkte. 1934 wurden die sozialdemokratischen ArbeitnehmerInnenfunktionäre entfernt, 1935 die Wahlen in der Sozialversicherung abgeschafft. Es folgten drastische Leistungskürzungen: verschärfte Bezugsbedingungen beim Arbeitslosengeld, Rentenkürzungen, Verschlechterungen in der Krankenversicherung. Beim „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland wurde die Selbstverwaltung schließlich ganz abgeschafft.

Demokratisch legitimiert

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Selbstverwaltung wieder eingeführt. Die FunktionärInnen wurden allerdings nicht mehr direkt von den Versicherten gewählt, sondern von den demokratisch legitimierten Interessenvertretungen entsandt. Eingriffe gab es danach erst wieder unter der schwarz-blauen Bundesregierung: Sie ersetzte mit einem im Jahr 2001 beschlossenen Gesetz die bisherigen Mehrheitsverhältnisse an der Spitze, im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, durch ein ihr genehmeres Modell. Die VertreterInnen der Versicherten haben nun nicht mehr die Mehrheit. Die ArbeitnehmerInnen sollten ihrer Möglichkeiten beschnitten werden, ihre Interessen in die Politik einzubringen.
Die Arbeitgeber, obwohl viel weniger, dürfen seitdem gleich viele VertreterInnen entsenden. Das wird damit begründet, dass sie ja auch einen großen Teil der Beiträge einzahlen würden, im Falle der Unfallversicherung sogar sämtliche Beiträge. Doch das greift zu kurz: Immerhin ersparen sie sich durch diese Zahlungen Schadenersatzforderungen, etwa nach Arbeitsunfällen oder bei Berufskrankheiten. Jedenfalls stellen seit der schwarz-blauen Reform die Arbeitgeber den Vorsitzenden des Verbandsvorstands im Hauptverband, und ein entsprechendes Modell wünschen sie sich auch für die Gebietskrankenkassen.
Den Einfluss der ArbeitnehmerInnen auf die Sozialversicherung zu schmälern hätte aber neben den drohenden Leistungskürzungen für die Versicherten auch politische Folgen. Denn die Gebietskrankenkassen spielen auch eine wesentliche Rolle im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping und gegen falsche Einstufungen in die Kollektivverträge. Sie prüfen Unternehmen auch darauf, ob sie die Beschäftigten ordentlich als ArbeitnehmerInnen beschäftigen und nicht per Umgehungsverträgen als freie DienstnehmerInnen oder Scheinselbstständige. Wenn wieder einmal jemand die Abschaffung der Selbstverwaltung fordert, sollte man also ganz genau hinschauen, welches Interesse er am Abbau von Unternehmenskontrollen hätte.
Es kam aber in der Zweiten Republik auch zu einer Ausweitung der Selbstverwaltung, und zwar bei der Arbeitslosenversicherung. Die war zwar ursprünglich ebenso selbstverwaltet wie die anderen Sozialversicherungszweige, wurde aber 1935 auf rein staatliche Verwaltung umgestellt. Die Trendwende kam 1994 mit der Gründung des Arbeitsmarktservice (AMS): Auf Bundes-, Landes- und Regionalebene sind seitdem VertreterInnen der Sozialpartner in den Gremien.

Selbstverständliche Selbstverwaltung

Wie absurd die Forderung nach Abschaffung der Selbstverwaltung ist, zeigt ein Vergleich mit einem Bereich, wo die Autonomie von niemandem infrage gestellt wird: die Gemeinden. Ihre BürgerInnen bestimmen selbstverständlich selbst, wer GemeinderätIn und wer BürgermeisterIn wird. Hier ist die Organisationsform der Selbstverwaltung in der Bundesverfassung verankert. Und genau das sollte auch bei der Selbstverwaltung der Sozialversicherung der Fall sein.

Linktipps:
Hauptverband der Sozialversicherungsträger:
www.hauptverband.at
Arbeitsmarktservice:
www.ams.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor bernhard.achitz@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB und stv. Vorsitzender des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633265 Anders als Lobbyisten sind die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet und können von diesen auch kontrolliert werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632767 Wirtschaftlicher Erfolg und soziale Demokratie Die Stärke der österreichischen Gewerkschaften trägt wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei: Von den Lohnverhandlungen bis zur allgemeinen Sozial- und Wirtschaftspolitik schafft sie verlässliche Rahmenbedingungen für Beschäftigte und Betriebe.
2,2 Prozent: Um diesen Wert stiegen die kollektivvertraglich ausgehandelten Löhne und Gehälter 2015 im Durchschnitt. Bei einer Inflationsrate von 0,9 Prozent ist das eine kräftige Erhöhung. Sie wäre angesichts stark steigender Arbeitslosigkeit und intensiven Wettbewerbs um freie Jobs von den meisten Beschäftigten bei Einzelverhandlungen mit ihrem Arbeitgeber kaum zu erreichen gewesen. Mitgliederstarke Gewerkschaften sind eine Voraussetzung dieses Erfolgs. Eine zweite bildet das bewährte System der Kollektivvertragsverhandlungen zwischen Fachgewerkschaften und Fachverbänden der Wirtschaftskammer, das den Kern der österreichischen Sozialpartnerschaft ausmacht.

Erfolgreiches Modell

Das System der Kollektivvertragsverhandlungen ist seit Jahrzehnten fixer Bestandteil des erfolgreichen österreichischen Modells. Im europäischen Vergleich ist es fast einzigartig. Während bei uns 98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten einem Kollektivvertrag unterliegen, sind es in Ost- und teilweise auch in Südeuropa kaum noch ein Drittel. Selbst in Deutschland sind es bereits weniger als 60 Prozent. Das hat dort zum Entstehen eines großen Niedriglohnsektors geführt, dessen soziale Gefahren erst nach einem zehnjährigen mühevollen Ringen um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes wenigstens in den gröbsten Zügen gebannt werden konnten.

Vorteile kollektiver Verhandlungen

Die Voraussetzungen für kollektive Lohnverhandlungen liegen auf der Hand: einerseits starke Gewerkschaften, und zwar auf Betriebsebene, in den Branchen und in der Gesamtwirtschaft, die nicht in Fraktionen zersplittert sind, sondern eine tatkräftige Einheit bilden; andererseits ebenso gut organisierte Arbeitgeberverbände. So können die Ergebnisse ihrer Lohnverhandlungen allen Beschäftigten zugutekommen.
Dabei werden die Löhne nicht nach der Lage des einzelnen Betriebes ausgerichtet, sondern nach jener der Gesamtwirtschaft, und das erweist sich als großer Vorteil. Denn nur so können sie der Doppelrolle der Löhne gerecht werden: Löhne und Gehälter sind einerseits Kosten für die Unternehmen, und damit ist bei einem kleinen Land mit hohem Außenhandelsanteil Rücksicht auf deren Wettbewerbsfähigkeit zu nehmen. Andererseits sind sie Einkommen für die ArbeitnehmerInnen und bestimmen damit die Konsumnachfrage.
Steigen Löhne und Gehälter in der Gesamtwirtschaft im Ausmaß der Inflationsrate und des Wachstums der gesamtwirtschaftlichen Produktion je Beschäftigten/r, dann erhöhen sich die realen Lohnstückkosten nicht. Die Lohnkosten je Beschäftigten/r steigen genau gleich rasch wie die Produktion je Beschäftigten/r. Arbeit wird damit gesamtwirtschaftlich nicht teurer und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigt mit der Produktion.
Die kollektivvertraglichen Lohnverhandlungen sind also ausgewogen nach den Bedürfnissen von Wettbewerbsfähigkeit, Konsumnachfrage und Beschäftigung ausgerichtet. Es ist offensichtlich, dass die einzelnen Beschäftigten von dieser gemeinsamen Strategie profitieren. Aber auch für die Unternehmer stellen Kollektivverträge enorme Vorteile dar, deren sie sich sehr oft gar nicht bewusst sind. Dezentralisierte Verhandlungen im Betrieb oder mit einzelnen Personen haben den Nachteil, dass Unternehmen sich bezüglich der Löhne erst kundig machen müssen, was die Konkurrenz zahlt. Sie müssten Billigkonkurrenz ebenso fürchten wie einen Lohnwettlauf um Facharbeitskräfte – in jeder Richtung ein erhebliches Risiko. Sowohl die Verzerrung des Wettbewerbs als auch diese Informationskosten entfallen beim Abschluss eines Kollektivvertrages: Es gibt einheitliche Lohnstandards und die Unternehmen können sich somit auf volkswirtschaftlich vernünftige Aktivitäten konzentrieren, nämlich die Entwicklung, Erzeugung und den Verkauf hochwertiger und innovativer Güter und Dienstleistungen.

Motor sozialen Fortschritts

Kollektivverträge gehen allerdings weit über die Festlegung von Mindestlöhnen hinaus. Sie umfassen viele Regelungen der Arbeitszeit oder der Möglichkeiten von Weiterbildung und Pflege. Sehr oft wurden Erfolge wie zum Beispiel der Urlaubsanspruch zunächst in einzelnen Kollektivverträgen erreicht und erst später auf gesetzlicher Ebene für alle Menschen verwirklicht. So wurde die Praktikabilität im wirtschaftlichen Alltag sichergestellt und die Kollektivverträge wurden zu einem wichtigen Motor des sozialen Fortschritts.
In jüngster Zeit ist das vor allem im Bereich der Arbeitszeitpolitik feststellbar, wo sehr erfreuliche Innovationen gelingen. Sie betreffen die Aufteilung des Verteilungsspielraumes auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung. In den Kollektivverträgen der Elektro- und der Metallindustrie ist es gelungen, eine „Freizeitoption“ kollektivvertraglich zu verankern. Sie ermöglicht es den ArbeitnehmerInnen, Lohnerhöhungen in Form kürzerer Arbeitszeiten in Anspruch zu nehmen. Damit werden die Kollektivverträge neuerlich zum Vorreiter einer Politik für höhere Lebensqualität, bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Bildung und die Verringerung der Arbeitslosigkeit.
Mitbestimmung und Einfluss der Gewerkschaften gehen über die Lohnverhandlungen hinaus. Wie nicht zuletzt die jüngste Lohnsteuersenkung gezeigt hat, würde das Steuersystem schlimm aussehen, wenn ÖGB und AK dabei nicht mitzureden gehabt hätten. Gerade bei der Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften ist weiterer Druck von dieser Seite dringend notwendig. Die soziale Pensionsversicherung ist in Österreich – eines von ganz wenigen Ländern der EU – noch in der Lage, den Lebensstandard der Bevölkerung im Alter zu sichern und Armut vorzubeugen. Ohne die starke Stellung der Gewerkschaften würde unser Pensionssystem heute vielleicht so aussehen wie in Deutschland, wo die Ersatzrate auf unter 50 Prozent der Einkommen sinkt, die Menschen in die Fänge von Banken und Finanzmärkten getrieben werden und Altersarmut vorprogrammiert ist.

Starker ÖGB, hohe Sozialstandards

Österreichs Sozialstandards sind aufgrund der Stärke des ÖGB hoch. Die Kennzahlen beweisen, dass dies auch zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes beigetragen hat: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt um 28 Prozent über dem EU-Durchschnitt und dieser Abstand ist seit Beginn der Finanzkrise 2008 sogar um fünf Prozentpunkte gestiegen. Trotz der Erfolge wird der österreichische Weg in Brüssel kaum goutiert. Starke Gewerkschaften gelten dort als starr, inflexibel und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abträglich. Auf derartige Ideen kann man allerdings nur kommen, wenn man noch immer an das Märchen der Glückseligmachung durch freie Märkte glaubt, trotz Finanzkrise und enormer Zunahme der Ungleichheit.
Von den gescheiteren Ökonomen in den USA wird das ganz anders gesehen. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz etwa weist seit Langem darauf hin, wie die Einbindung der Beschäftigten in Entscheidungen auf betrieblicher und gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht nur die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft steigern kann, sondern auch ein unverzichtbares Element einer demokratischen Gesellschaft bildet. Der ehemalige US-Arbeitsminister und Berkeley-Professor Robert Reich zeigt in seinem jüngsten Buch „Saving Capitalism“, wie dringend der Aufbau demokratischer Gegenmacht gegen die Übernahme von Marktwirtschaft und Demokratie durch eine kleine, aber einflussreiche Kaste an Vermögenden, Finanzspekulanten und Spitzenmanagern ist. Gewerkschaften spielen in seinem Konzept für eine bessere Wirtschaft und Gesellschaft eine zentrale Rolle. Ganz so, als würde er sich Österreich zum Vorbild nehmen.

Linktipps:
Das österreichische Lohnverhandlungssystem: Überlegen, aber gefährdet?
tinyurl.com/zgpqbun
Demokratische Entwicklungen als Früchte der Arbeit(-erbewegung):
tinyurl.com/jnc2fb3

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Markus Marterbauer, Wirtschaftswissenschaft und Statistik, AK Wien Arbeit&Wirtschaft 01/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633246 Nicht nur auf politischer Ebene bewährt sich die Sozialpartnerschaft, auch im Betrieb, wie etwa Salesianer-Miettex zeigt: Es gibt wenig Fluktuation, die MitarbeiterInnen sind zufrieden, ebenso die Chefs. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633252 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632761 Unterstützung im Ehrenamt Da stand ich also. Frisch gewählt und mit jeder Menge Tatendrang. Und leider auch ohne allzu viel Ahnung von der Materie. „Jetzt machst du einmal den Grundkurs“, sagte mir mein Betriebsratsvorsitzender und erledigte für mich die Anmeldung bei unserem betreuenden Gewerkschaftssekretär. „Mitglied ist der Kollege eh?“, fragte der Sekretär mehr rhetorisch. Natürlich war ich zu diesem Zeitpunkt Gewerkschaftsmitglied. Ich war es schon lange zuvor geworden. Schon während meiner Lehrzeit. Damals kam ein Vertreter der Gewerkschaftsjugend zu uns in die Berufsschule und erklärte, wie wichtig es für uns junge Menschen ist, in die Gewerkschaft einzutreten. Es brauchte nicht viel, um mich zu überzeugen. Und nun hatte ich auch einen unmittelbaren Vorteil aus meiner Mitgliedschaft: Ich konnte den Grundkurs für Betriebsratsmitglieder besuchen.

Praxisnah

Eine Woche lang wurden mir dort die wichtigsten Grundlagen der Betriebsratstätigkeit nähergebracht, gemeinsam mit einer Gruppe anderer Betriebsratsmitglieder aus den verschiedensten Bereichen. Die meisten waren erst wenige Wochen oder Monate im Amt. Genauso wie ich. Wir lernten, dass es ein Arbeitsverfassungsgesetz gibt und welche Rechte uns daraus zustehen. Wir lernten, dass wir als Betriebsratsmitglieder die nötige Zeit für unsere Tätigkeit frei bekommen müssen. Wir lernten, dass wir einen Anspruch auf Bildungsfreistellung haben.
Und diesen Anspruch auf Bildungsfreistellung habe ich auch ausgiebig genützt. Zum Beispiel, um meine Kenntnisse im Arbeitsrecht weiter zu vertiefen. Ich absolvierte zu diesem Zweck den Aufbaukurs für Betriebsratsmitglieder meiner Fachgewerkschaft. Wieder durfte ich mich eine Woche lang fortbilden – und wurde dabei auch noch verköstigt und beherbergt. Gar nicht auszudenken, was mich das gekostet hätte, wenn ich kein Gewerkschaftsmitglied gewesen wäre und die Kosten für Kurs und Aufenthalt selbst hätte tragen müssen. Jetzt einmal ganz abgesehen davon, dass außer den Gewerkschaften niemand derartige Kurse anbietet. Und selbst wenn, hätte ich dann wohl nicht in den Genuss kommen können, dass ich von Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis unterrichtet worden wäre. Denn es waren betriebsbetreuende SekretärInnen, die den Grund- und Aufbaukurs gestaltet haben. Es gab keine Frage, auf die sie nicht eine Antwort gehabt hätten. Und alle Antworten hatten Praxisbezug. Wir haben in den Kursen das bekommen, was wir dringend gebraucht haben: die Grundlagen für unsere Tätigkeit als Betriebsratsmitglieder, verständlich erklärt und aufbereitet.

Geänderte Anliegen

Nach einigen Jahren als Betriebsratsmitglied wurde ich Vorsitzender des Gremiums. Nun änderten sich auch meine Anliegen an die Gewerkschaft. Es tauchten immer wieder Fragen auf, zu deren Beantwortung ich kompetente Unterstützung brauchte. Auch hier bekam ich Hilfe von meiner betreuenden Sekretärin. Die Problemlagen waren dabei durchaus vielfältig. Es waren im seltensten Fall reine Rechtsfragen, die wir zu klären hatten. Zumeist ging es mehr um die Frage, wie wir das Recht durchsetzen können und wie wir für die betroffenen KollegInnen das Beste herausholen. Ich glaube, ich hätte wohl lange suchen müssen, um eine Rechtsanwaltskanzlei zu finden, die mich so umfassend hätte beraten und betreuen können, wie es meine Fachgewerkschaft für mich getan hat. Die Kosten für eine derartige Betreuung und Unterstützung wage ich gar nicht erst zu schätzen.

Mehr Bildungsbedarf

Dann kamen auch noch verschiedene Verhandlungen mit der Geschäftsführung und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen: Worüber können wir Vereinbarungen abschließen? Welche Wirkung hat welche Vereinbarung? Und manchmal als wichtigster Punkt: Wie kommen wir aus einer verfahrenen Verhandlungssituation wieder heraus? In all diesen Fragen bekam ich Unterstützung von den Kolleginnen und Kollegen aus der Fachgewerkschaft und dem ÖGB.
Nachdem meine Aufgaben immer mehr und vielfältiger wurden, wurde auch mein Bildungsbedarf größer. Da bot sich mir die Möglichkeit, die Betriebsräteakademie des ÖGB und der AK (BRAK) zu besuchen. Drei Monate lang durfte ich mich ganztägig meiner Bildung widmen. Auf dem Programm standen nicht nur Arbeitsrecht, sondern auch Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Sozialpolitik und viele andere Themen, die für den betrieblichen und gewerkschaftlichen Alltag relevant sind.

Vernetzung

Eines der nachhaltigsten Ergebnisse unseres BRAK-Lehrgangs ist die Betriebsräte-Vernetzung der Jugendarbeit in Wien geblieben. Auch das ist ein Vorteil der gewerkschaftlichen Organisierung: Wir hatten die Gewerkschaft als Plattform für unseren Austausch und gleichzeitig die Möglichkeit, unsere Anliegen in die Organisation zu tragen. Somit bleiben die Themen nicht in den Betrieben. Durch die Vernetzung, auch in den Gremien der Fachgewerkschaften, kommen die Aufgabestellungen von den Belegschaften der Betriebe in die Gewerkschaften, von den Mitgliedern in die Organisation. Es sind also die Mitglieder selbst, die die Themen in die Gewerkschaften tragen.
Ich möchte auch nicht verschweigen, dass meine Aufgaben als Betriebsratsmitglied nicht immer nur erfreulich und lustig waren. Im Gegenteil, kam ich doch öfters in die Situation, Kolleginnen und Kollegen in schwierigen Situationen zu begleiten. Das konnten Wechsel innerhalb des Unternehmens sein, egal ob vom Kollegen oder der Kollegin gewünscht oder vom Arbeitgeber gewollt. Es konnte auch vorkommen, dass der Arbeitgeber das Dienstverhältnis beenden wollte und ich den Kollegen oder die Kollegin dabei begleitet habe, eine einvernehmliche Lösung zu verhandeln. Diese Fälle konnten schon schwierig und belastend sein. Wirklich schlaflose Nächte bereiteten mir aber jene Situationen, in denen ich keine Handlungsoptionen mehr gesehen habe, in denen jedes Handeln meinerseits die Situation der betroffenen Kolleginnen und Kollegen nur mehr hätte verschlechtern können. Ich war zur Untätigkeit gezwungen. Damit selbst klarzukommen und dies auch den Betroffenen zu erklären, war sehr belastend für mich und für die anderen Mitglieder meines Betriebsrats. Es waren die Kolleginnen und Kollegen aus der Gewerkschaft, die mir in solchen Situationen geholfen haben. Sie haben mir zugehört, haben mir Rückhalt gegeben. Und der Austausch mit Betriebsratsmitgliedern anderer Unternehmen hat mir dabei geholfen, zu akzeptieren, dass es eben auch Situationen geben kann, in denen auch der Betriebsrat oder die Betriebsrätin nichts mehr tun kann. 

Mehr als Service

In den Jahren meiner Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bin ich auch oft mit KollegInnen konfrontiert gewesen, die meinten, dass es toll sei, was ich mache. Nicht minder schätzten sie die Unterstützung, die mir die Gewerkschaft dabei gebe. Aber es reiche dabei ja, wenn ich Mitglied sei. Sie selbst hätten doch nicht unmittelbar etwas davon. Ich habe die Kollegin oder den Kollegen dann immer ersucht, er oder sie möge sich einmal vorstellen, dass alle bei uns im Betrieb so dächten und von den 300 Beschäftigten nur die Betriebsratsmitglieder bei der Gewerkschaft wären. Und was, wenn nicht nur unsere Belegschaft so dächte, sondern alle Beschäftigten? Dann wäre es schnell vorbei mit den Gewerkschaften. Und damit wäre es auch vorbei mit den Kollektivverträgen, mit den Bildungsangeboten, mit der politischen Vertretung unserer Interessen – kurz mit allem, was Gewerkschaft alles ausmacht. Es ist für ein Betriebsratsmitglied also nicht nur wichtig, selbst Gewerkschaftsmitglied zu sein. Es ist genauso wichtig, die Kolleginnen und Kollegen in der Belegschaft von der Bedeutung der Mitgliedschaft zu überzeugen. Gewerkschaft ist eben mehr als eine Serviceeinrichtung, mehr als eine Bildungsorganisation, mehr als Rechtsberatung. Wir sind betriebliche, überbetriebliche und politische Interessenvertretung. Wir sind das alles für und durch unsere Mitglieder. Und wir sind das auch für all jene Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht Mitglied sind.
Mit der Zeit rückten jüngere Kolleginnen und Kollegen als Mitglieder in den Betriebsrat nach. Da sagte ich dann immer: „Jetzt machst du einmal den Grundkurs“ – und nun war es auf einmal ich, der mehr rhetorisch fragte: „Gewerkschaftsmitglied bist du eh?“

Links:
www.voegb.at
www.betriebsraete.at

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Martin Müller, ÖGB Sozialpolitik Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633220 Das vielfältige Bildungsangebot der Gewerkschaft ist für BetriebsrätInnen eine wertvolle Unterstützung. Als Gewerkschaftsmitglied kann man diese kostenlos besuchen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632751 Wenn gute Argumente nicht genügen Es wird nicht viel gestreikt in Österreich, aber wenn, dann anständig! Die Wirtschaft ist sich schon bewusst, dass die Gewerkschaften hierzulande immer noch recht stark sind. Man kann daher am Verhandlungstisch etliches erreichen. Aber wenn es um wirklich entscheidende Fortschritte geht? Dann ist die Grenze der Sozial„partnerschaft“ schnell erreicht. Dann muss man den Wahrheitsbeweis antreten – und kämpfen. Ob mit Demonstrationen, Volksbegehren, Kampagnen aller Art oder Streiks: Ohne geht’s oft nicht. Und das war schon immer so.

Erkämpfte Selbstverständlichkeiten

Freiwillig geben Arbeitgeber nur Brosamen her. Abschaffung von Frauenlohngruppen? Erhöhung auch der Ist-Löhne/-Gehälter? Das scheint uns heute selbstverständlich: 1962 musste dafür in der gesamten Metallindustrie heftig gestreikt werden. 40-Stunden-Woche? Dafür hat der ÖGB im Jahr 1969 (mit der SPÖ) ein Volksbegehren initiiert und dafür 890.000 Unterschriften gesammelt. Irgendwie kommt einem die Zahl bekannt vor, Stichwort Lohnsteuer-Kampagne. Und weil dieser Tage auch Pensionen wieder ein heißes Thema sind: Erinnern Sie sich noch an die Streiktage und die „Regen-Demonstration“ im Jahr 2003? Wenn es die nicht gegeben hätte, hätten wir längst eine „Volkspension“ – und wer damit nicht auskommt, kann ja an der Börse spekulieren … Und das Frauenpensionsalter wäre 65, na klar, Herr Schüssel! Übrigens: Starke Gewerkschaften werden das auch 2016 verhindern.

Streikrecht garantiert

Kämpfen, insbesondere streiken können und dürfen nur Gewerkschaften. Ihnen garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention dieses Recht. Und ob die wirklich auch ein Streikrecht garantiert, war lange umstritten.
Da gab es die Professoren, die meinten: Ihr habt das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen, aber das ist schon alles. Dann könnt ihr ja – was eigentlich? Gemeinsam nett bitten, ob die Arbeitgeber wohl so freundlich wären, ein paar Cent abzugeben?
Aber um gefuchste Juristen-Debatten haben wir uns da nie viel gekümmert. Wenn es nötig war, haben wir gestreikt und niemanden um Erlaubnis gefragt. Zu Tode gefürchtet ist bekanntlich auch gestorben; noch dazu auf qualvolle Art. Und inzwischen hat auch der Menschenrechts-Gerichtshof mehrfach und klar entschieden: Gewerkschaften und ihre Mitglieder haben das verbriefte Recht zu kämpfen, in jeder Form, die sie für geeignet halten.
Klar ist allerdings auch: Die Arbeiterkammern sind wichtige Partnerinnen, aber keine Kampforganisationen, sie stehen unter staatlicher Aufsicht. Die Menschenrechtskonvention gilt für sie nicht. Gewerkschaften hingegen sind nur ihren Mitgliedern Rechenschaft schuldig, sie allein dürfen und sollen kämpfen. Aber dafür braucht es starke Gewerkschaften! Und was macht sie stark? Ganz einfach: Mitglieder, Mitglieder und noch einmal Mitglieder. Die Fäuste im Sack ballen bringt halt nichts. Ätzende Kommentare im Internet-Forum? Da fühlt man sich vielleicht besser, aber die Welt ändert das keinen Millimeter.
Uns hat seit jeher etwas anderes stark gemacht: Solidarität! Und das ist nicht (nur) der Name einer Zeitschrift. Solidarität ist ein politisches Konzept. Es besagt, dass wir ArbeitnehmerInnen allein zwar machtlos sind – aber gemeinsam stark. Auf jeden Einzelnen können die Arbeitgeber verzichten und die Politik auch. Aber auf uns alle nicht! Wenn wir zusammenhalten, sind wir die Stärkeren!

Vielfältige Werkzeuge

Dieses Stark-Sein kann viele verschiedene Formen annehmen. Klassisch ist der Streik, also die gemeinsame Arbeitsniederlegung. Nur: Als es 2002 um den Leiharbeiter-Kollektivvertrag ging, hätten wir nicht streiken können. Denn es gab so gut wie keinen Betriebsrat in einer Leiharbeitsfirma und auch kaum Mitglieder. Zudem sind LeiharbeiterInnen auf alle möglichen Einsatzbetriebe verstreut. Da kann eine Streikbewegung mit bestem Willen nicht in Gang kommen. Aber eine Kampforganisation findet einen Weg: eine Beratungs- und Aktivierungskampagne, die in fast 100 Klagen vor den Arbeitsgerichten mündete. Zusätzlich Druck auf jene Betriebe, die Leih-ArbeitnehmerInnen beschäftigten (und diesen Druck natürlich an die Leiharbeitsfirmen weitergaben): Nach knapp zwei Jahren hatten wir den Kollektivvertrag, der immer noch europaweit als musterhaft gilt. Und 1.500 Euro Mindestlohn haben wir in dieser schwierigen Branche inzwischen auch erreicht. Wenige Jahre später forderte die damalige Regierung die Eisenbahner heraus. Es war der vorerst längste und härteste Streik dieses jungen Jahrhunderts. Als die Metallindustrie jüngst den großen Leit-Kollektivvertrag zerschlagen wollte, genügten Protestversammlungen …

Geben und nehmen

Aber welche Aktionsform auch immer „zieht“: Immer ist es ein Geben und Nehmen! Die KollegInnen, die gerade kämpfen müssen, sind auf die Unterstützung der anderen angewiesen, bei denen es aktuell keine so großen Probleme gibt.
Das kann eine ganz einfache Hilfe sein, die Streikunterstützung zum Beispiel: Auch wenn wir meistens nicht sehr lange streiken, muss doch gesichert sein, dass wir das können. Darum erhalten alle Streikenden den Lohnausfall pauschal von ihrer Gewerkschaft ersetzt – wenn sie Gewerkschaftsmitglied sind. Das ist gelebte Solidarität: mit dem Mitgliedsbeitrag denen helfen, die aktuell streiken, damit mir auch geholfen werden kann, wenn ich das tun muss.
Oft braucht es mehr! Bei jedem Streik gibt es die Versuchung, selbst „in Deckung“ zu bleiben: Wenn die anderen Betriebe streiken, wird das schon genügen. Nur bricht dann jeder Streik nieder, denn so kommen die engagierten KollegInnen unter Druck. Wenn alle zusammenhalten, riskiert niemand etwas. Gemeinsam geht es!
Auch wer nur Unterschriften sammelt, weiß: 10.000 bekommt man leicht, das geht meist schon über Facebook. Aber gerade deshalb zählen sie auch wenig. Nur wenn es gelingt, viele engagierte Menschen zu einem Zeitpunkt für ein Ziel zu begeistern, hat man Erfolg.
Dafür braucht es die Strukturen einer starken Organisation. Intern demokratisch, aber verlässlich und gut organisiert, wenn es um das Umsetzen der Beschlüsse geht: Dann heißt es zusammenhalten, auch wenn mir irgendein Detail nicht passt. Individualismus hat seinen Platz beim Kleiderkaufen …

Stark durch viele Mitglieder

Dieser Tage spürt es jeder von uns im Geldbörsel: Zusammenhalten, gemeinsam ein Ding durchziehen, das hilft nach wie vor. Das können Kampforganisationen, die stark sind. Stark, weil sie viele Mitglieder haben, die bereit sind, mitzumachen, wenn es darauf ankommt. Die im Freundeskreis Stimmung für die gemeinsame Aktion machen, aber auch Mitglieder werben.
Stark vor allem auch, weil engagierte Betriebsrätinnen und Betriebsräte mächtig Druck machen, wenn es wirklich darauf ankommt: letztes Jahr beim Sammeln der Unterschriften für die Steuerreform, jetzt beim Sammeln der Unterschriften unter die Beitrittserklärung. Solidarität ist momentan ganz einfach – eine Unterschrift. Demnächst werden wir alle wieder mehr machen müssen, denn der nächste Konflikt kommt bestimmt, es ist noch viel zu tun.

Viele Erfolge

Aber wir haben auch viel erreicht! Obwohl die Medien wieder einmal miese Stimmung verbreiten: Gemeinsam haben wir letztes Jahr fiese Vertragsklauseln eingegrenzt, seit Langem erstmals echte Schritte gegen SteuerhinterzieherInnen durchgesetzt, und zwar auch gegen die Millionäre (Kontenregister); Strafen für Arbeitgeber, die weniger zahlen, als sie müssen, nicht nur beim Grundlohn/Gehalt, sondern auch bei Zulagen und Überstunden; und nicht zuletzt: Endlich ist die erwähnte Klarstellung erreicht, dass wir streiken dürfen und niemand deswegen in irgendeiner Form benachteiligt werden darf.
Jetzt müssen wir die Stunde nützen: Mitglieder werben und dadurch dafür sorgen, dass wir GewerkschafterInnen in der Offensive bleiben!
 
Nachlese:
„Streik: Ja dürfen die das denn?“
tinyurl.com/zebzpdz

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René Schindler, Bundessekretär der Produktionsgewerkschaft PRO-GE Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633195 Die Wirtschaft ist sich schon bewusst, dass die Gewerkschaften hierzulande immer noch recht stark sind. Wenn es um wirklich entscheidende Fortschritte geht, ist die Grenze der Sozial"partnerschaft" aber schnell erreicht und es heißt: kämpfen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632727 Bildung und Kultur für die Mitglieder Lust auf einen Konzert- oder Theaterabend? Oder ist es wieder einmal Zeit für Weiterbildung? Der Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) bietet zahlreiche Kultur- und Bildungsangebote für Gewerkschaftsmitglieder an.
Als ein wichtiges Element in der Kulturvermittlung haben sich in Wien in den letzten Jahren die KulturlotsInnen des VÖGB etabliert. Sie haben den Überblick über das vielfältige Kulturangebot der Hauptstadt und bieten unkomplizierten Zugang zu zahlreichen Veranstaltungen. Sie erstellen maßgeschneiderte Kulturangebote für ArbeitnehmerInnen und vernetzen die Betriebe mit den Wiener Kulturinstitutionen. Die KulturlotsInnen organisieren Führungen in Museen und Ausstellungen, Theaterabende, Konzertbesuche sowie KünsterInnengespräche, Workshops und Führungen hinter die Kulissen. Im Jahr 2014 nahmen über 8.000 KollegInnen die Angebote bei 537 Wiener Kulturveranstaltungen in Anspruch.

Dritter-Mann-Tour

Ziel der KulturlotsInnen ist es, den Zugang zu Kultur niederschwellig zu gestalten: Es fällt anfangs leichter, die KanalarbeiterInnen im Zuge der „Dritten-Mann-Tour“ zu ihrer Arbeit zu befragen als den Leiter der Maskenwerkstatt im Burgtheater. Ist die Hemmung, vor der ganzen Gruppe eine Frage zu stellen oder eine Kritik anzumerken, einmal überwunden, fällt es zunehmend leichter, sich aktiv an der Vermittlungsaktion zu beteiligen.

Klang der Arbeit

Die KulturlotsInnen konzipieren und organisieren auch mehrmals im Jahr Ausstellungen zu aktuellen und historischen Themen im Foyer des Catamaran. Diese Ausstellungen sind für alle Interessierten frei zugänglich. Dreimal im Jahr findet die Perfomancereihe „Klang der Arbeit“ statt. Aktuelle gesellschafts- und gewerkschaftspolitische Inhalte werden mit dem Instrumentarium neuer Kunst auch emotional spürbar gemacht. Musik verstärkt das Gefühl der Verbundenheit und drückt Wünsche nach Veränderung aus. Es geht um Besinnung und das Bewusstsein der Bedeutung und Kraft des Sozialen und der Macht der Musik. „Klang der Arbeit“ ist die Fortsetzung einer kulturpolitischen Initiative des VÖGB, in deren Rahmen schon die Themen Zivilcourage, Integration und europäische Solidarität musikalisch vermittelt wurden.
Anlässlich des Jubiläums „70 Jahre ÖGB“ wurde im Jahr 2015 ein „Stadtspaziergang durch Wien“ konzipiert. Die Route führt zu den Stätten der Gründung des ÖGB im April 1945. Darüber hinaus liegen auch zahlreiche Orte an der Strecke, die für die ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart von Bedeutung sind.
Ausgangspunkt ist der Westbahnhof, Schauplatz der ÖGB-Gründungsversammlung. Danach geht es weiter bis zum Denkmal der Republik neben dem Parlament. Der Spaziergang dauert etwa zwei Stunden. Ein Stadtplan mit den Stationen der Gründungsroute kann auf den Webseiten des VÖGB heruntergeladen oder unter kultur@oegb.at bestellt werden. Vorangemeldete Gruppen können den Rundgang auch mit sachkundigen Guides absolvieren.
Auch das Bildungsangebot des VÖGB bietet einen reichhaltigen Schatz. Interessierte Mitglieder können auf ein umfangreiches Angebot an Skripten und Broschüren zu zahlreichen, für ArbeitnehmerInnen relevanten Themen zurückgreifen. Es reicht von A wie Arbeitsrecht bis zu Z wie Zeitgeschichte. Die Skripten sind die perfekte Möglichkeit, sich auf einen Lehrgang vorzubereiten, seine soziale Kompetenz zu erhöhen und das eigene Wissen in vielen Bereichen zu vertiefen. Sie werden von ExpertInnen verfasst, didaktisch aufbereitet und laufend aktualisiert. Alle Skripten und Broschüren sind zum kostenlosen Download auf den Webseiten des VÖGB zu finden. Gewerkschaftsmitglieder können sie auch in gedruckter Form beziehen. Mit der App „VÖGB/AK Skriptenkiosk“ können die Skripten auch direkt am Smartphone oder am Tablet gelesen werden.

Gewerkschaftsschulen

In allen Bundesländern bietet der VÖGB die für alle Mitglieder offenen Gewerkschaftsschulen an. Die Gewerkschaftsschule ist ein zweijähriger Abendlehrgang. Je nach Standort findet der Unterricht ein- oder zweimal pro Woche statt, dazu kommen noch Wochenendseminare und Exkursionen sowie ein mehrtägiger EU-Workshop in Brüssel. Ziel ist es, die TeilnehmerInnen in ihrer gewerkschaftspolitischen und praktischen Betriebsarbeit zu unterstützen und sie in ihrer Handlungskompetenz zu stärken. Durch selbstverantwortliches Lernen, Diskussionen, Gruppen- und Projektarbeiten sowie Exkursionen ist die Gewerkschaftsschule ein Ort, an dem alle TeilnehmerInnen voneinander und miteinander lernen.
Regelmäßig organisiert der VÖGB Diskussionsveranstaltungen zu aktuellen gewerkschaftspolitischen Themen, zu denen alle interessierten Mitglieder eingeladen sind. Rund um den 7. Oktober, den Welttag der menschenwürdigen Arbeit, finden jährlich themenbezogene Veranstaltungen statt, welche die Öffentlichkeit für Verstöße gegen grundlegende Arbeitsnormen sensibilisieren.

Informationsquellen

Wer Interesse an den Mitgliederangeboten des VÖGB hat, kann den Newsletter mit aktuellen Infos abonnieren. Auch auf Facebook gibt es die aktuellsten Bildungs- und Kulturinformationen.

Linktipps:
Bildungsangebote:
www.voegb.at
Follow us:
www.facebook.com/voegb
Kulturangebote:
www.kulturlotsinnen.at
Lehrgänge:
www.gewerkschaftsschule.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sabine.letz@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Weitere Vorteile als Mitglied

ÖGB-Card-Angebote:
Kostenlose Rechtsberatung, Sicherheitspaket, Unterstützung bei ArbeitnehmerInnenveranlagung und bei vielem mehr: ÖGB und Gewerkschaften bieten in allen Bundesländern umfassende Serviceleistungen an. Darüber hinaus bietet die ÖGB-Card noch eine Vielzahl an anderen Vorteilen. So erhalten Sie etwa in vielen Geschäften Prozente, auch in so manchen Thermen profitieren Sie von ermäßigten Eintrittspreisen.
Mehr Informationen finden Sie unter: tinyurl.com/hkvv4fv
Informieren Sie sich unbedingt auch bei Ihrer Fachgewerkschaft, wo es meist noch weitere Vergünstigungen im Angebot gibt.

Sport- und Kultur:
Cult & Card: Im ÖGB-Magazin für Kultur, Bildung und Service finden Sie immer aktuelle Angebote über das umfangreiche und umfassende Kulturprogramm der ÖGB-Kartenstelle sowie Seminarangebote für Ihre Weiterbildung und Angebote für einen gemütlichen Besuch bei Vernissagen.
Mehr Informationen finden Sie unter: tinyurl.com/hkvv4fv

Neu: Traumurlaub buchen und 5 Prozent sparen
Stellen Sie sich vor, Sie genießen einen wunderschönen Urlaub und bekommen im Anschluss 5 Prozent vom Reisepreis zurückerstattet. Dieser Traum wird jetzt wahr: mit unserem exklusiven ÖGB-Reiseservice.
Lassen Sie sich jetzt wie im Reisebüro von den Experten unseres Partners – der Urlaubsplus GmbH – beraten. Aus den Angeboten von über 350 Reiseveranstaltern stellen Ihnen kompetente Fachleute Ihre Traumreise zusammen.
Mehr Informationen finden Sie unter: tinyurl.com/jrtb8sr

ÖGB-Veranstaltungen:
Ob zu arbeitsrelevanten Themen wie Burn-out oder politischen Fragen wie die aktuelle Flüchtlingssituation: ÖGB und Gewerkschaften organisieren übers Jahr hinweg eine Reihe von Veranstaltungen.
Die nächsten Termine finden Sie unter: tinyurl.com/zw84qfe

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Sabine Letz, ÖGB Bildung, Freizeit, Kunst, Kultur Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633206 Lust auf einen Konzert- oder Theaterabend? Oder ist es wieder einmal Zeit für Weiterbildung? Gewerkschaftsmitglieder profitieren von vielen Serviceangeboten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632715 Recht muss Recht bleiben! Für die meisten ArbeitnehmerInnen sind Regelungen über Mindestlöhne, Urlaubszuschuss oder Weihnachtsgeld eine Selbstverständlichkeit. Allerdings gab es noch Anfang der 2000er-Jahre eine Berufsgruppe, für die diese Errungenschaften nicht galten: die LeiharbeiterInnen, für die es keinen Kollektivvertrag gab.

Unnachgiebige Arbeitgeber

Die Gewerkschaft Metall-Textil (PRO-GE) versuchte damals mit den Arbeitgebern, einen Kollektivvertrag für die sogenannten überlassenen Arbeitskräfte zu verhandeln. Ein Streitpunkt war etwa der Passus im Gesetz zum Thema Mindestlohn, der einen Anspruch „auf ein ortsübliches und angemessenes Entgelt“ vorsieht. Was dies konkret zu bedeuten hat, darüber gab es bei Gewerkschaft und Arbeitgebern unterschiedliche Sichtweisen. Die Verhandlungen gestalteten sich zäh, letztlich weigerten sich die Arbeitgeber überhaupt, einen Kollektivvertrag abzuschließen.
Das Problem für die Gewerkschaft: Es gab kaum Mitglieder in dieser Branche, weshalb Kampfmaßnahmen schwer umsetzbar waren. Neben anderen Maßnahmen entschloss sich die PRO-GE, den Anspruch auf ein ortsübliches und angemessenes Entgelt im Einzelfall gerichtlich durchzusetzen. Österreichweit wurden über hundertfünfzig Klagen eingebracht, in denen für ArbeiterInnen das „gesetzliche“ Entgelt gefordert wurde. Eine Voraussetzung dafür war natürlich, dass mehr ArbeiterInnen Mitglied der Gewerkschaft wurden, was viele auch taten und dem Anliegen damit mehr Schlagkraft gaben. Neben weiteren Maßnahmen führten die Klagen dazu, dass die Arbeitgeber einsehen mussten, dass sie vor der Wahl stehen: weitere Klagen oder eine einheitliche Regelung für alle in einem Kollektivvertrag. Letztlich konnte so viel Druck aufgebaut werden, dass am 1. März 2002 der Kollektivvertrag für LeiharbeiterInnen in Kraft treten konnte. Seither gelten für diese Branche auch die für viele ArbeitnehmerInnen gewohnten kollektivvertraglichen Regelungen.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Interessen der ArbeitnehmerInnen umso schlagkräftiger vertreten werden können, je mehr von ihnen Mitglied in der Gewerkschaft sind. Neben der gemeinsamen Organisation hat dies für die Mitglieder noch einen weiteren Vorteil: Man hat Anspruch auf Rechtsberatung, gegebenenfalls zögert die Gewerkschaft auch nicht, den Weg vor Gericht zu gehen – und zwar ganz ohne dass das jeweilige Mitglied dadurch ein finanzielles Risiko hat.

Palette an Möglichkeiten

Somit können auch kostenintensive Gerichtsverfahren geführt werden. Ein solches Gerichtsverfahren ist das stärkste Mittel zur Durchsetzung der Interessen von Beschäftigten. In den meisten Fällen gibt es eine Reihe von anderen Möglichkeiten, wie die Gewerkschaft im Sinne der ArbeitnehmerInnen intervenieren kann. Ab der ersten Beitragszahlung hat jedes Gewerkschaftsmitglied Anspruch auf Rechtsberatung. Diese umfasst sowohl alle arbeits- und sozialrechtlichen Anfragen als auch die Überprüfung der Lohn- und Gehaltsunterlagen sowie gegebenenfalls die Intervention beim Arbeitgeber. Häufig wird diese Beratung und Intervention von ExpertInnen durchgeführt, welche selbst langjährige Erfahrungen aus der betrieblichen Interessenvertretung mitbringen. Die Kombination aus juristischem Fachwissen und Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis gewährleisten nicht nur eine gute Beratung, sondern auch eine realistische Einschätzung der Durchsetzungsmöglichkeiten in jedem Einzelfall.
Hat das Gewerkschaftsmitglied sechs Mitgliedsbeiträge oder mehr bezahlt, so hat es Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz. Dieser Rechtsschutz umfasst die Vertretung in arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren sowie vor Behörden und Ämtern, soweit es sich um Angelegenheiten im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit handelt.

Politisches Instrument

Gewerkschaftlicher Rechtsschutz wird aber auch als Instrument zur Durchsetzung von gewerkschaftspolitischen Forderungen eingesetzt, wie etwa im Fall der LeiharbeiterInnen. Die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Ämtern wird grundsätzlich von JuristInnen, die in den Gewerkschaften beschäftigt sind, durchgeführt. Der Vorteil dieser JuristInnen gegenüber RechtsanwältInnen ist, dass sie durch ihre Tätigkeit in engem Kontakt mit BetriebsrätInnen stehen. Dadurch bringen sie nicht nur ein hervorragendes Fachwissen ein, sondern kennen auch branchenspezifische Eigenheiten und Abläufe, die in der Vertretungstätigkeit sehr wichtig sein können. Die Einbindung der JuristInnen bei Kollektivvertragsverhandlungen trägt zudem dazu bei, dass sie umfassende Kenntnisse bezüglich der Regelungen in diesen Kollektivverträgen erwerben. Dabei geht es nicht nur um die juristische Auslegung der Bestimmungen in den Kollektivverträgen, sondern auch um das Wissen der gewerkschaftlichen Forderung zu den einzelnen Regelungen.

KollegInnen statt KundInnen

JuristInnen in den Gewerkschaften sind aber nicht nur RechtsexpertInnen, sondern vor allem und in erster Linie GewerkschafterInnen. Als solche hat der gewerkschaftliche Gedanke für sie einen hohen Stellenwert, weshalb das Mitglied nicht nur ein/eine „MandantIn“ oder „ein Kunde/eine Kundin“ ist, sondern ein Kollege/eine Kollegin, dem/der geholfen werden muss, zu seinem/ihrem Recht zu kommen.
Gewerkschaftlicher Rechtsschutz wird nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip“ gewährt. Das bedeutet, dass sämtliche Kosten des Verfahrens von der Gewerkschaft übernommen werden. Dazu zählen neben den eigenen Personalkosten auch die Kosten für mögliche Sachverständige und Gerichtsgebühren. Sollte einmal ein Verfahren nicht positiv beendet werden können, sind auch die Kosten der gegnerischen Vertretung abgedeckt. Die möglichen Kosten eines Verfahrens spielen im Übrigen bei der Entscheidung, ob Rechtsschutz gewährt wird oder nicht, keine Rolle. Nur wenn ein Verfahren aus juristischer Sicht aussichtslos ist, wird der Antrag auf Rechtsschutz abgelehnt. Dies kommt jedoch in der Praxis nur sehr selten vor. Der große Vorteil für Gewerkschaftsmitglieder: Es gibt keinen „eingeschränkten“ Rechtsschutz wie bei den Arbeiterkammern, die von den ArbeitnehmerInnen verlangen können, sich an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen.
Auch aktuell setzt sich die Gewerkschaft wieder für eine Gruppe von ArbeitnehmerInnen ein, die ähnlich wie die LeiharbeiterInnen in einer prekären Lage sind: die ErntehelferInnen. Die zuständige Gewerkschaft hat festgestellt, dass ihnen häufiger als in anderen Branchen das kollektivvertragliche Mindestentgelt nicht bezahlt wird. Auch bei dieser Kampagne wird spezielle Rechtsberatung für die ErntehelferInnen angeboten und gegebenenfalls auch Rechtsschutz gewährt. Ziel der Gewerkschaft ist unter anderem, dass die Arbeitgeber auch in dieser Branche feststellen, dass die vermeintlich schwachen ArbeiterInnen einen starken Verbündeten haben, der die Einhaltung der Mindeststandards überwacht und diese, wenn notwendig, auch einklagt.

Berufsschutz

Eine weitere Serviceleistung der Gewerkschaften ist der ÖGB-Berufsschutz: Wer mindestens sechs Monatsbeiträge bezahlt hat, ist sowohl haftpflicht- als auch rechtsschutzversichert. Diese Versicherung greift ein, wenn der/die ArbeitnehmerIn einem/einer anderen ArbeitnehmerIn in Ausübung der beruflichen Tätigkeit einen Schaden zufügt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein/eine StaplerfahrerIn durch eine kurze Unachtsamkeit einen anderen Arbeitnehmer/eine andere Arbeitnehmerin verletzt. Ist der/die StaplerfahrerIn Mitglied der Gewerkschaft, so hat er/sie eine Haftpflichtdeckung bis zu 75.000 Euro. In dieser Summe sind auch die Kosten von möglichen Gerichtsverfahren (Straf- und/oder Zivilverfahren) enthalten. Ist der/die Geschädigte Mitglied der Gewerkschaft, so hat er/sie eine Rechtsschutzdeckung bis zu 15.000 Euro. Genaue Auskünfte über die Leistungen des ÖGB-Berufsschutzes kann die zuständige Fachgewerkschaft erteilen.

Bestmögliche Unterstützung

Arbeiterkammern und Gewerkschaften sind bezüglich des angebotenen Rechtsschutzes keine Konkurrentinnen, sondern ergänzen sich vielmehr. Die Arbeiterkammern betreuen auch jene Bereiche, die kaum gewerkschaftlich organisiert sind, wie zum Beispiel ArbeitnehmerInnen aus Kleinbetrieben unter zehn Beschäftigten. Beide Organisationen haben jedenfalls bezüglich des Rechtsschutzes ein gemeinsames Ziel: die ArbeitnehmerInnen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche bestmöglich zu unterstützen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor robert.hauser@proge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Robert Hauser, Leiter der PRO-GE-Rechtsabteilung Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159634976 Wie das Beispiel der LeiharbeiterInnen zeigt: Die Interessen der ArbeitnehmerInnen können umso schlagkräftiger vertreten werden, desto mehr Mitglieder in der Gewerkschaft sind. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632690 Von der Basis bis ins Hohe Haus Mehr als 150.000 Menschen demonstrierten am 13. Mai 2003 bei strömendem Regen gegen die geplante Pensionsreform der schwarz-blauen Koalitionsregierung. Rund eine Million ArbeitnehmerInnen folgte am 3. Juni 2003 dem Streikaufruf des ÖGB und legte die Arbeit nieder. „Ein Streikbeschluss im Österreichischen Gewerkschaftsbund. Selbst für ‚alte Hasen‘ eine ungewohnte Situation. Alte, längst verstaubte und fast schon vergessene Streikhandbücher und Streikkoffer werden aus der Versenkung geholt“, beschreibt Carmen Janko, Pressereferentin des ÖGB Oberösterreich, in „Streiknachlese“ die Situation. 2003 wurde zum größten Streikjahr in der Geschichte der Zweiten Republik – mit einer Beteiligung, die in Relation das Ausmaß eines französischen Generalstreiks deutlich übertroffen hat. Auch wenn die schwarz-blaue Pensionsreform schon kurz danach tatsächlich beschlossen und 2004 dann „harmonisiert“ wurde: Damals wurde eindeutig bewiesen, dass die Menschen durch die österreichische Konsensdemokratie keineswegs so konfliktscheu geworden waren, wie oft kolportiert, und dass der ÖGB den Kontakt zur Basis nicht verloren hat.

Mehr Geld im Börsel

Die Basis war auch vor rund zwei Jahren wieder stark engagiert, als der ÖGB die Kampagne „Lohnsteuer runter!“ ausrief. Im Mai 2014 beschloss der ÖGB-Vorstand diesen Schwerpunkt zur Entlastung der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen. An der anschließenden Blitzumfrage nahmen 11.000 BelegschaftsvertreterInnen teil, fast 99 Prozent waren auch zur aktiven Mitarbeit bereit.
Der offizielle Startschuss erfolgte am 3. Juli, danach ging es Schlag auf Schlag:

  • Schon am nächsten Tag startet die Insertions- und Plakatwelle. Fünf Wochen später haben bereits 270.000 Menschen für eine Lohnsteuersenkung unterschrieben.
  • 18. September: Präsentation des konkreten Entlastungsmodells im Rahmen einer Konferenz mit mehr als 5.000 BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen. 24./25. September: Regierungsklausur in Schladming; Bundeskanzler Faymann hat schon einige Tage zuvor erklärt hat, das ÖGB/AK-Modell zu übernehmen. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl und ÖGB-Chef Erich Foglar sind als Gäste vor Ort. Die Regierung einigt sich schließlich auf das Volumen der Steuerreform (fünf Milliarden) und den Zeitplan.
  • 22. Oktober: bundesweiter Aktionstag – Hunderte GewerkschafterInnen sind unterwegs, um auf das Thema „Lohnsteuer runter!“ aufmerksam zu machen. Letztendlich haben insgesamt 882.184 Menschen unterzeichnet.
  • 18. November: ÖGB-Präsident Erich Foglar und AK-Präsident Rudi Kaske übergeben die Unterschriftenlisten der Regierung.
  • 17. März 2015: Die Regierung einigt sich auf die Steuerreform.
  • 7. Juli: Beschluss im Nationalrat; 84 Prozent des von ÖGB und AK geforderten Entlastungsvolumens wurden umgesetzt und sind seit Jänner 2016 in Kraft: Erweiterung von drei auf sechs Steuerstufen, niedrigerer Eingangssteuersatz, Erhöhung des ArbeitnehmerInnen- und Verkehrsabsetzbetrages auf 400 Euro (ÖGB/AK-Modell 450 Euro), Anhebung der Negativsteuer für NiedrigverdienerInnen von 110 auf 450 Euro, Negativsteuer auch für PensionistInnen etc.

Zur Gegenfinanzierung wurde unter anderem ein Paket zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -betrug (z. B. Registrierkassen- und Belegpflicht) beschlossen sowie eine höhere Kapitalertragsteuer auf Dividenden und die Neugestaltung der Grunderwerbssteuer („Erbschaftssteuer light“).
Bei der Steuerreform hatte Kanzler Faymann das ÖGB/AK-Modell zur Chefsache erklärt, während ÖGB und AK etwa beim Arbeitsrechtspaket, das ebenfalls mit 1. Jänner 2016 in Kraft getreten ist, bis zum Schluss direkt beteiligt waren. Nach langen Sozialpartner-Verhandlungen wurden beim Arbeitsmarktgipfel Ende Oktober 2015 mehrere Verbesserungen im Arbeitsrecht beschlossen, z. B. mehr Transparenz bei All-in-Verträgen (gegen den Widerstand der Industriellenvereinigung) oder Einschränkungen bei Konkurrenzverboten. Außerdem kam es endlich zu einer Einigung auf ein Bonus-Malus-System für die Beschäftigung Älterer, das von den VertreterInnen der Wirtschaft lang blockiert worden war. Insgesamt sollen durch die Maßnahmen in den kommenden Jahren mehr als 55.000 zusätzliche Jobs entstehen.

Viel umgesetzt

Nicht wenige der in den vergangenen zwei Jahren beschlossenen Maßnahmen (Bonus-Malus, niedrigerer Eingangssteuersatz etc.) finden sich unter den ÖGB-Forderungen anlässlich des Regierungsantritts 2013. „Wir haben das auch bei der Regierungsbildung 2008 gemacht, und viele unserer Forderungen wurden auch umgesetzt“, erinnert Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. „In Zeiten, in denen andere Länder Sozialleistungen gekürzt haben, wurde in Österreich die Mindestsicherung neu eingeführt. Egal ob in der Regierung gerade gestritten oder gekuschelt wird – der ÖGB ist in der Lage mitzubestimmen. Er hat sich mit den anderen Sozialpartnern auf viele wichtige Lösungen geeinigt, von denen die Politik einen großen Teil auch umgesetzt hat.“
Mehr (soziale) Gerechtigkeit bedeutet nach wie vor auch, für die Gleichstellung von Frauen zu kämpfen. Aktuell wurden beispielsweise mit den im Dezember 2015 beschlossenen Novellen zum Mutterschutz- und Väterkarenzgesetz (Vereinbarkeitspaket) langjährige Forderungen von AK und ÖGB umgesetzt: Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt, Karenzanspruch für Pflegeeltern ohne Adoptionsabsicht, Informationsrecht für Teilzeitbeschäftigte über im Unternehmen angebotene Vollzeit-Arbeitsplätze.
„Gibt’s jetzt nichts Wichtigeres?“, lauten nicht selten die Kommentare, wenn Frauenthemen auf der Agenda stehen. Für Ingrid Moritz, Leiterin der AK-Abteilung Frauen und Familie, sind Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Frauen enorm wichtig. „Egal ob bei eigenen Ideen und Forderungen oder bei Gesetzesstellungnahmen, dieser kontinuierliche Austausch stärkt Frauen und ihre Anliegen. So ziehen wir gemeinsam an einem Strang, können Frauenthemen nach außen und nach innen gemeinsam vertreten.“ Und die Arbeit ist noch keineswegs zu Ende, sobald Forderungen tatsächlich Realität geworden sind. Denn, so Moritz, die Gesetze und Verordnungen müssen schließlich „mit Leben erfüllt werden“. Das bedeutet beispielsweise bei den Einkommensberichten, konkrete Umsetzungspläne in den Betrieben auszuarbeiten, Informations- und Austauschveranstaltungen mit BelegschaftsvertreterInnen etc. Im direkten Austausch können auch eventuelle Schwachstellen und Verbesserungsbedarf festgestellt werden.
Parallel dazu beschäftigen sich ÖGB- und AK-Frauen derzeit auch mit den Dauerthemen Steuer- und Pensionsreform. „Die Gegenfinanzierung der Steuerreform darf nicht über das Pensionssystem erfolgen. Und ein früheres gesetzliches Pensionsantrittsalter für Frauen bringt niemandem etwas. Denn die Jobchancen für ältere Frauen sind jetzt schon schlecht.“

Gegen jegliche Kürzung

Mit Blick auf den Pensionsgipfel der Bundesregierung am 29. Februar spricht sich auch PRO-GE-Bundesvorsitzender Rainer Wimmer gegen jegliche Pensionskürzungen aus. Von den Verschärfungen in den vergangenen Jahren wären ASVG-Versicherte überproportional betroffen gewesen. „Statt die Menschen mit Debatten rund um das Pensionsantrittsalter zu verunsichern, wäre es wichtiger, arbeitsmarktpolitische Impulse zu setzen, um das Pensionssystem langfristig abzusichern. So gehen derzeit rund 17 Prozent aus der Arbeitslosigkeit in die Alterspension.“ Die PRO-GE fordert daher unter anderem eine Verschärfung des Bonus-Malus-Systems mit höheren Strafzahlungen.
 
Nachlese:
Die Österreichische Sozialpartnerschaft:
www.sozialpartner.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin office@astrid-fadler.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633183 Nicht wenige der in den vergangenen zwei Jahren beschlossenen Maßnahmen hat der ÖGB im Jahr 2013 als Forderung an die neue Koalition übergeben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633163 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632687 Hand in Hand mit Hirn und Herz Schon zur Zeit der Monarchie forderten sozialdemokratische und christliche Gewerkschaften die Errichtung von Arbeiterkammern als wissenschaftliche Institution zur Analyse gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Vorgänge. Im Jahr 1920 beschrieb Ferdinand Hanusch die Aufgabenaufteilung so: „Während die Betriebsräte auf die Gestaltung der Betriebsverhältnisse Einfluss nehmen und die Gewerkschaften die besonderen beruflichen Interessen ihrer Mitglieder vertreten, werden die Arbeiterkammern darüber hinaus zusammenfassend alle wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiter und Angestellten als produzierende und konsumierende Bürger im Staate zu verfechten haben. Damit werden die Kammern vorzugsweise praktische Gegenwartsarbeit zu verrichten haben, an deren unbedingter Notwendigkeit und Nützlichkeit kein vernünftiger Mensch zweifelt.“

Faust und Hirn

Bisweilen hört man die Erklärung: „Die Gewerkschaft ist die Faust – die AK das Hirn.“ Gemeint ist damit, dass die Gewerkschaften „Kampforganisationen“ sind und die Arbeiterkammern wissenschaftliche Einrichtungen, die in der Öffentlichkeit oft auch als „unpolitisch“, wohl in falschem Verständnis von „überparteilich“, wahrgenommen werden. Der Satz ist zwar plakativ, spiegelt die Realität aber aus meiner Erfahrung in Gremienarbeit, Sozialpartnerverhandlungen oder Gesetzwerdungs- bzw. Verhinderungsprozessen nicht zutreffend wider. Viel zitiert sind die wenigen Streiksekunden in Österreich, der sehr hohe Lebensstandard, die verlässlichen Bedingungen für den Standort und die Handschlagqualität der FunktionärInnen in den Gewerkschaften. Verhandlungskultur wird von den Gewerkschaften großgeschrieben, neue Wege der Kollektivvertragsverhandlungen tragen dort, wo sie auf ein ebenso konsensorientiertes, vernünftiges Sozialpartner-Gegenüber treffen, durchaus Früchte.
Was das Hirn, schöner formuliert die Expertise, betrifft, brauchen sich die österreichischen Gewerkschaften hinter niemandem verstecken. Als ich 2014/2015 als Expertin in der ÖGB-Rechtspolitik arbeitete, konnte ich teilweise nur staunend erleben, wie tiefgründig und breit das Wissen der MitarbeiterInnen und FunktionärInnen in den Gewerkschaften ist. Die Menschen im ÖGB bringen einen entscheidenden Vorteil mit, den man auf der besten Universität nicht lernen kann: Sie haben Haltung und sind überzeugt davon, dass es sich lohnt, gemeinsam für eine solidarische Welt zu kämpfen. Dabei ist Wissen und lebensbegleitendes Lernen in der Gewerkschaftsbewegung immer ein hohes Gut gewesen.

Enorme Erfolge

Selbstverständlich und mit großer Überzeugung würde ich als langjährige und von den Leistungen der Arbeiterkammer begeisterte Mitarbeiterin jederzeit unterschreiben, dass es tatsächlich ganz viel Hirn in der AK gibt. Die enormen Erfolge bei der Abfederung der zahlreichen Vorhaben unter Schwarz-Blau (2000–2006) zeigen, dass sich die Arbeiterkammer auch durchsetzen kann. Der politische Gegenspieler weiß und fürchtet auch genau das, was sich am deutlichsten in den immer künstlich aufgebrachten Diskussionen über die Kammerumlage beobachten lässt. Diese wie auch die Diskussion um die Pflichtmitgliedschaft kommen schließlich nicht von den Mitgliedern, sondern stets von jenen destruktiven Kräften, die genau wissen, warum ihnen eine Schwächung der Arbeiterkammer – und somit der Gewerkschaftsbewegung – sehr gelegen käme.

Hohes Gut soziale Sicherheit

Die Erfolge, die Arbeiterkammer und ÖGB gemeinsam – sozusagen im Doppelpass – seit 1945 erlangt haben, sind vielfach bekannt. Dennoch möchte ich einige wichtige Punkte anführen, die zur Grundlage unserer demokratischen Republik geworden sind und die uns auch derzeit intensiv beschäftigen. Dazu gehört etwa die soziale Sicherheit. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz wurde fast zeitgleich mit dem Neutralitätsgesetz vom Parlament beschlossen. Der jungen Republik war es überaus wichtig, ihr Haus auf dem Fundament einer starken sozialen Absicherung all jener zu bauen, die in ihm wohnen. Soziale Sicherheit ist ein hohes Gut, das zwar anscheinend den ÖsterreicherInnen als Selbstverständlichkeit erscheint, das aber in der derzeitigen Diskussion um angebliche österreichische „Werte“ recht selten zu hören ist. Insbesondere die Pensionsdebatte wird von neoliberalen Kräften immer aufs Neue aufgewärmt. Inhaltlich und strategisch muss man hier topfit sein, um in der Debatte nicht nur Paroli bieten, sondern auch Themenführerschaft übernehmen zu können.
Die AK verfügt über eine extrem hohe Expertise zur sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Dimension der Alterspension. Mit 1,2 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern, die durch eine starke Organisation mobilisierbar sind, um mit sehr lauter und deutlicher Stimme ihre Meinung kundzutun, ist es aber weitaus leichter, so mancher Regierung die Grenzen zu zeigen.

Gleichstellung

Ein gemeinsames Thema für AK und ÖGB war und bleibt die Sicherstellung einer möglichst guten Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bereits 1957 wurde das Mutterschutzgesetz beschlossen und erstmals in Europa ein Recht auf sechsmonatigen Karenzurlaub geschaffen, der auf Initiative der ÖGB-Frauen 1960 auf ein Jahr (mit Bezahlung) ausgedehnt wurde. Damals hatte Österreich eine Vorreiterrolle. Auch die Schaffung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes war ein Meilenstein für berufstätige Eltern. Das Vereinbarkeitspaket 2015 war ein Verhandlungserfolg, der viele sinnlose und unpraktikable Verschlechterungen verhindert hat. Vor allem die ÖGB-Frauen haben sich gegen sexuelle Belästigung und Gewalt – nicht nur am Arbeitsplatz – starkgemacht. Nicht selten wurde versucht, diese Forderungen ins Lächerliche zu ziehen oder verächtlich zu machen. Gleiches gilt für den Einsatz für gleiche Bezahlung unter dem Schlagwort „Ganzer Lohn statt halber Sachen. Machen wir die Schere zu!“ Müßig, darauf hinzuweisen, wer sich in unserer Gesellschaft tatsächlich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzt und wer sich das Schlagwort nur dann auf die Fahnen heftet, wenn es populistisch gerade von Nutzen ist.
Arbeitszeitverkürzung, Verteilungsgerechtigkeit, Gesundheitsschutz: So lauten weitere Stichworte. Ab 1958 wurden Verhandlungen zur Arbeitszeitverkürzung geführt. Zunächst wurde die 45-Stunden-Woche mit Generalkollektivvertrag durch den ÖGB verhandelt und später gesetzlich verankert. Heute – mit einer grundsätzlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden – ist die Frage der Verteilung der Arbeitszeit und die sogenannte Flexibilisierung auf der Tagesordnung. In Wahrheit geht es bei der „Flexibilisierung“ natürlich darum, Auslastungsschwankungen des Unternehmers möglichst kostengünstig auf die ArbeitnehmerInnen überzuwälzen. Die Arbeitszeit bleibt ein Reibepunkt – nicht zuletzt durch gemeinschaftsrechtliche Vorschriften.
Zugleich ist Arbeitszeitrecht ein Hebel zur gerechteren Verteilung von Arbeit in unserer Gesellschaft und zum Schutz vor (Selbst-)Ausbeutung. Daher setzt sich der ÖGB stark dafür ein, dass die sechste Urlaubswoche leichter erreicht werden kann. Auch der Mindesturlaub wurde durch den ÖGB zunächst als Generalkollektivvertrag verhandelt, bevor er ins Urlaubsgesetz einfloss. Die Praxis des Arbeitslebens hat sich jedoch in den letzten Jahren so verändert, dass weniger Menschen in den Genuss des erhöhten Anspruchs kommen können. Das Urlaubsgesetz knüpft das Recht auf die sechste Urlaubswoche nämlich an eine langjährige Dienstzeit beim Arbeitgeber. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens war das der Normalfall. Inzwischen haben sehr viele ArbeitnehmerInnen mehr und kürzere Arbeitsverhältnisse in ihrem ganzen Arbeitsleben. Das muss saniert werden.
Praktikable Lösungen für die kniffligen Rechtsfragen zu finden, die sich stellen, wenn man Verbesserungen verhandelt und dabei immer einen fairen Ausgleich unterschiedlicher Gruppen vor Augen haben will – das machen ExpertInnen bei AK und Gewerkschaften gemeinsam.

Gemeinsam für ArbeitnehmerInnen

BetriebsrätInnen wiederum haben die Augen auf die Arbeitsbedingungen in organisierten Betrieben. Die breite Beratungspraxis der AK zeigt frühzeitigst Probleme auch in gewerkschaftlich weniger organisierten Bereichen auf. Durch die strukturierte Bearbeitung der Fälle, z. B. auch bei Lohn- und Sozialdumping, werden kriminelle Machenschaften im Randbereich des Arbeitsrechts frühzeitig ruchbar und es können politisch notwendige Schritte formuliert und gefordert werden. Hand in Hand und mit Herz und Hirn: So setzen sich alle drei AkteurInnen gemeinsam mit ihren KollegInnen für die Interessen der ArbeitnehmerInnen ein und versuchen sie durchzusetzen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin silvia.hruska-frank@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Silvia Hruska-Frank, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633149 Es ist eine österreichische Spezialität, um die wir von vielen KollegInnen im Ausland beneidet werden: die Einheit der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Fachgewerkschaften, unter dem Dach des ÖGB vereint, flankiert von Arbeiterkammern. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632656 Erfolgreich werben Wir müssen werben“, „Mitgliederwerbung, Mitgliederwerbung, Mitgliederwerbung“, „Wer nicht wirbt, der stirbt“, „Mitgliederwerbung ist eine Kernaufgabe der Gewerkschaft“: Wer kennt sie nicht, diese wunderbaren Stehsätze, die zwar laut gesprochen, bestimmt formuliert, aber allzu oft ganz und gar kraft- und saftlos rüberkommen. Wir wissen, dass diese Sätze natürlich inhaltlich richtig sind. Aber genauso wissen wir, dass es leichter gesagt als getan ist.

Selbstbewusst

Wenn wir für die österreichische Gewerkschaftsbewegung werben, können wir das selbstbewusst angehen. Aus vielen Untersuchungen und Studien wissen wir, dass nur ein ganz kleiner Teil der ArbeitnehmerInnen die Gewerkschaf-ten grundsätzlich infrage stellt oder gar ablehnt.
Der größte Teil der Noch-Nicht-Mitglieder lehnt sie nicht ab, sondern hat andere Gründe, noch nicht beigetreten zu sein. Es wäre allerdings ein Trugschluss, dass eine positive Einschätzung der Gewerkschaft auch automatisch zur Mitgliedschaft führt. Wir kennen ja den Unterschied zwischen „theoretischer Einsicht“ und „praktischer Handlung“.
Es gibt Hunderttausende, die uns grundsätzlich positiv gegenüberstehen, aber den konkreten Schritt, die Mitgliedsanmeldung zu unterschreiben, noch nicht getan haben. Diese Lücke ist unser Potenzial. Das IFES-Institut hat in einer Untersuchung Noch-Nicht-Mitglieder gefragt, für wie wichtig sie starke Gewerkschaft halten. 35 Prozent der Noch-Nicht-Mitglieder sagen, dass sie Gewerkschaft für sehr wichtig halten. 34 Prozent halten uns für eher wichtig. In Summe halten also rund 70 Prozent der Noch-Nicht-Mitglieder die Gewerkschaften für wichtig. Einer der am häufigsten genannten Gründe, warum jemand noch nicht Mitglied ist, ist schlichtweg der, noch nie auf eine Mitgliedschaft angesprochen worden zu sein.
Wir sprechen absichtlich nicht vom Nicht-Mitglied (derzeitiger Zustand), sondern vom Noch-Nicht-Mitglied, also dem Zustand, in dem sich die Person vor unserem erfolgreichen Mitgliederwerbegespräch befindet.

Dialog statt Monolog

Wenn unsere GesprächspartnerInnen reden, haben wir genug Zeit zum Führen – und zwar zum Führen durch Fragen. Nur dann erkennen wir, was unseren GesprächspartnerInnen wichtig ist. Diejenigen, die reden, reden und reden, die GesprächspartnerInnen nicht zu Wort kommen lassen und am Ende eine Unterschrift durch rhetorischen Druck erreichen, haben zwar am Ende vielleicht eine Mitgliedsanmeldung in der Hand, werden aber wohl ein Leben lang auf die Einzahlung des ersten Mitgliedsbeitrages warten.
Wollen wir überzeugte Mitglieder oder bloß jemandem eine Mitgliedschaft aufs Auge drücken? Die Antwort ist klar: Wir brauchen nicht nur Mitglieder, sondern MitstreiterInnen! In der Vergangenheit waren die besten WerberInnen jene mit den besten Antworten. In Zukunft sind die besten WerberInnen die mit den besten Fragen!

Warum-Frage

Im politischen Kontext ermuntern wir BetriebsrätInnen, JugendvertrauensrätInnen und PeronalvertreterInnen, anderen politisch engagierten Menschen immer wieder die Frage nach dem Warum zu stellen.
Wer sich in einer politischen Debatte nie die Frage nach dem Warum stellt, wird nun an der Oberfläche dahin argumentieren und auch dahin agieren. Warum ist eine Situation, wie sie ist? Wer profitiert davon, dass sie so ist? Warum hat der Profiteur wenig Interesse, die Situation zu verändern? Und, und, und … All diese Fragen spielen in unserer politischen Arbeit eine ganz wichtige Rolle.
Wer allerdings die Frage nach dem Warum stellt, kommt auf den Grund des Problems. Allerdings ist Vorsicht geboten, denn in mancher Situation kann sich die Frage nach dem Warum zu einem Bumerang entwickeln. Wenn wir auf die Frage: „Bist du schon Gewerkschaftsmitglied?“, die Antwort bekommen: „Nein“, neigen wir dazu zurückzufragen: „Warum nicht?“ Das Problem dabei: Mit dieser Frage rufe ich bei meinem Gegenüber eine Begründungskette ab, warum es nicht Mitglied ist. Und mit jedem Argument, das dem Noch-Nicht-Mitglied einfällt, warum es noch nicht Mitglied ist, festigt sich sein oder ihr Standpunkt.

Lösungsorientiert

In Wirklichkeit argumentiert das Noch-Nicht-Mitglied nicht nur seinen Standpunkt, sondern es erklärt auch sein Verhalten.
Wenn uns ein Mensch sein Verhalten erklärt, ist es für uns umso schwieriger, ihn oder sie darauf hinzuweisen, dass dieses Verhalten aus unserer Sicht eigentlich falsch ist und dass wir es ändern wollen. Dies wird uns unter solchen Vorzeichen aber nur schwer gelingen. Wir erschweren uns damit also das Werbegespräch sogar selbst. Stattdessen brauchen wir Gründe für die Mitgliedschaft, Vorschläge für die Mitgliedschaft.
Das heißt, statt zu fragen: „Was stört dich am ÖGB?“, wäre es doch viel sinnvoller, lösungsorientiertere Fragen zu stellen: „Okay, stelle dir einmal vor, du wärst ÖGB-PräsidentIn/Vorsitzende(r) deiner Gewerkschaft/Betriebsratvorsitzende(r)/PersonalvertreterIn, was würdest du ändern?“ Auch wenn das Noch-Nicht-Mitglied hier vielleicht Widerstand aufgrund der Fragestellung versucht, bleiben wir drauf: „Was würdest du konkret ändern?“

Vorschläge

Und all das, was vorher als Vorwurf kam, wie zum Beispiel: „Ihr seid viel zu männlich orientiert“, „Ihr seid viel zu angepasst am sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs“, „Ihr seid in eurer Aktivität viel zu feige“ etc., kommt zwar jetzt auch, aber nicht mehr als Kritik, nicht mehr als Grund für eine Nicht-Mitgliedschaft, sondern es kommt jetzt als Lösungsvorschlag.

  • Wer vorher behauptet hat: „Ihr seid viel zu angepasst am sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs“, behauptet jetzt: „Ich wünsche mir kämpferische Gewerkschaften.“
  • Wer vorher behauptet hat: „Ihr seid viel zu männlich orientiert“, sagt jetzt: „Ich würde, wenn ich etwas zu reden hätte, Maßnahmen ergreifen, damit mehr Frauen sich aktiv an der Gewerkschaftsarbeit beteiligen.“
  • Wer vorher gesagt hat: „Ihr seid in eurer Aktivität viel zu feige“, sagt jetzt: „Mutiger müssten wir sein!“

Diese Beispiele zeigen, wie aus Kritik und Gründen für die Nicht-Mitgliedschaft auf einmal Lösungsvorschläge werden. Es liegt auf der Hand, dass es einfacher ist, eine Person zu werben, die sagt: „Ich wäre ja dabei, wenn …“, als jemand zu werben, der sagt: „Ich bin nicht dabei, weil …“
Nachdem wir gehört haben, welche Vorschläge das Noch-Nicht-Mitglied für eine Mitgliedschaft bei der österreichischen Gewerkschaftsbewegung hat und welche Reformen und Veränderungen es sich wünscht, gilt es ein weiteres Mal aufzupassen. Schließlich wollen wir nicht wieder in die Falle tappen, erneut zu argumentieren.

Gekonnt nachfragen

Vielmehr fragen wir hier gekonnt nach: „Was würde das bedeuten?“ Oder: „Welche konkreten Schritte würdest du dann einleiten?“ Mit jeder Frage identifiziert sich unser Noch-Nicht-Mitglied mit seiner Mitgliedschaft und mit der Möglichkeit, hier gestaltend bzw. verbessernd zu wirken. Wir erhalten mit dieser Methode tiefe Einblicke auf die Landkarte unseres Noch-Nicht-Mitglieds, aber immer lösungsorientiert statt problemzentriert. Somit steigen auch die Chancen, nicht nur ein Mitglied, sondern einen Mitstreiter oder eine Mitstreiterin zu gewinnen. Wir wünschen viel Erfolg!

Linktipp:
Audio-Hörbuch zum erfolgreichen MitarbeiterInnengespräch:
mitgliederwerbung.oegb.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor willi.mernyi@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Willi Mernyi, Kampagnenkoordinator Werbekampagne Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633137 Die besten WerberInnen sind jene mit den besten Fragen. Dies zu beherzigen macht Gespräche mit Noch-Nicht-Mitgliedern deutlich produktiver, denn man hat die Chance, dass Interessierte vielleicht sogar spannende Lösungen vorschlagen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633132 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632650 Er organisierte doch Mitgliederwerbung für die Gewerkschaftsbewegung erforderte von Anfang an viel Stehvermögen und vor allem in der Gründungsphase zu Kaisers Zeiten immer wieder den Mut zu einem Neustart. Der Widerstand der Unternehmensführungen, der ja auch noch im 21. Jahrhundert nicht ganz unbekannt ist, hatte noch keinerlei gesetzliche Schranken … und der Angst um den Job war oft nur schwer beizukommen. Manchmal ging das bis zum Auflösen eines lokalen Gewerkschaftsvereins wie bei den Fassbindern der Schwechater Brauerei.

Mit der Niederwerfung des Streiks war auch die Organisation für Jahrzehnte aus dem Königreich Dreher mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Es wurde nach Aufnahme der Arbeit eine kleine Lohnerhöhung erreicht, aber es wurde jedem einzelnen bei Androhung der sofortigen Entlassung auf das strengste verboten, dem Verein anzugehören. … Die Kollegen ließen sich bedauerlicherweise einschüchtern und mit dem war die Organisation für Schwechat besiegelt.

Besonders schwierig war die Situation in den Tabakfabriken, denen als Staatsunternehmen zusätzliche Machtmittel zur Verfügung standen. Aber nach vielen Rückschlägen gelang es doch, dort erste Mitglieder zu werben und mit ihnen Organisationskerne aufzubauen.

Gestützt auf die Bewegung und mit dem Gefühl, nicht mehr ganz allein zu stehen, unternahmen die Tabakarbeiter nochmals den Versuch, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Und dieser Versuch gelang. Trotz Warnung von Seiten der Generaldirektion musste diese zusehen, wie die Tabakarbeitervereine immer größer wurden.

Auch die Schwechater Arbeiter konnten noch in der Monarchie gewonnen werden, dank überzeugter GewerkschafterInnen, die trotz Verfolgung und Strafdrohung nicht aufgaben. Von einem solchen Mann berichtete Franz Schefzik, der es vom Bäckerlehrling zum Krankenkassendirektor in Baden bei Wien brachte.

Im September erhielten wir einen neuen Helfer (Ofenarbeiter) namens Anton Ruhittel, welcher im Jahre 1884 unter dem Ausnahmezustand nach Mähren abgeschoben und gegen Revers in Niederösterreich, aber nicht in Wien arbeiten durfte, jedoch unter der Bedingung, dass er in keiner Organisation eine Funktion annehmen dürfe. Letzteres hat er begreiflich gehalten, aber organisiert hatte er doch. Noch im selben Jahr entstand die 1891 aufgelöste Ortsgruppe der Bäckereiarbeiter Wiens und Niederösterreichs unter Ruhittels geistiger Leitung. Vater Ruhittel hielt während der Tafelarbeit seine Vorträge. Spannend und instruktiv wirkten diese auf uns alle. Ich sah zu ihm auf wie ein Gläubiger zu seinem Gott.
Am 26. September 1896 war Generalversammlung der Ortsgruppe Mödling … und ich bat, obwohl noch Lehrling, daran teilnehmen zu dürfen, worauf er, erstaunt über meine Bitte, einwilligte, aber gleichzeitig auch seiner Freude darüber Ausdruck gab … Vor der Wahl der Funktionäre ersuchte ich um das Wort und bat um Aufnahme in den Verband. Beifällig erfolgten diese sowie auch meine Wahl zum Bibliothekar der fünfundachtzig vorhandenen Bücher, zu deren eifrigsten Leser ich gehörte.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633112 Ohne Demokratie musste Mitgliederwerbung für die Gewerkschaft oft im Geheimen erfolgen, 2005 konnte in Österreich eine Werbekampagne von Großplakaten und Werbemitteln wie solchen Aufklebern begleitet werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632642 VÖGB: Podiumsdiskussion: Flüchtling sein in Österreich Es sind traurige Bilder, die prägen: junge Frauen und Männer, Alte, Kinder und Verletzte auf Landstraßen und Autobahnen. Sie sind aus ihrer Heimat geflohen, weil sie um ihr Leben fürchten. „Laut Schätzungen der UNHCR und der IOM sind 2015 insgesamt eine Million Menschen nach Europa gekommen“, so Lukas Neißl,  Generalsekretär der International Conference of Labour and Social History, bei der Podiumsdiskussion „Flüchtling sein in Österreich. Herausforderungen heute und morgen“ – viele von ihnen auch nach Österreich. Erich Weisz, Vizebürgermeister von Nickelsdorf und ÖBB-Betriebsrat, weiß, dass große Flüchtlingsströme auch große Herausforderungen sind: „In kürzester Zeit kamen Tausende Flüchtlinge, die versorgt werden mussten.“ Die Versorgung funktionierte aus seiner Sicht gut, weil offen kommuniziert wurde, viele Engagierte mithalfen, die Infrastruktur bereits vorhanden war, aber auch „weil alle gehandelt haben, als es notwendig war, und nicht erst um Erlaubnis gefragt haben“. Bei der Veranstaltung wurde auch versucht, zu erörtern, wie Integration konkret mitgestaltet werden kann.

„Es gibt kein Geheimrezept für gelungene Integration. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es wichtig ist, die Sprache zu erlernen, aber auch als Mensch und nicht als Flüchtling angesehen zu werden. Jeder sollte die Chance bekommen, zu zeigen, wer und was er ist“, so Amela Muratovic, die 1992 aus Bosnien nach Wien flüchtete. „In Kriegsgebieten passieren schreckliche Dinge, die Flucht ist nicht einfach. Menschen verlassen ihre Familien, ohne zu wissen, ob sie sie jemals wiedersehen, und fangen in einem fremden Land bei null an.“ Erich Fenninger, Volkshilfe-Geschäftsführer, verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass nicht die flüchtenden Menschen das Problem sind, sondern die steigende Kluft zwischen Arm und Reich: „Es ist ein Glück, in Österreich geboren zu sein, wo kein Krieg oder extreme Armut herrscht. Menschenrechte sind universell und unteilbar. Wir dürfen nicht zulassen, dass Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden, konkret Arbeitslose gegen AsylwerberInnen.“ Er schlägt finanzierte Deutschkurse und die Schaffung eines zweiten bzw. dritten Arbeitsmarktes vor. Es gäbe viele Plätze, wo Arbeitskräfte gebraucht werden.

Infos unter: www.facebook.com/voegb

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Mon, 15 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632362 Der Schlüssel zum Lohnzettel Früher landete er am Ende des Monats auf dem Schreibtisch der ArbeitnehmerInnen: der Lohnzettel. Inzwischen ist auch er digital geworden. Das spart zwar Papier, der Inhalt des Lohnzettels bleibt aber vielen ArbeitnehmerInnen weiterhin ein Rätsel. Bruttolohn, Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeitrag: Was verbirgt sich eigentlich hinter all diesen Posten?
Im Grunde ist der Lohnzettel nichts anderes als eine schriftliche Entgeltabrechnung. Damit sollen ArbeitnehmerInnen nachvollziehen können, wie sich ihre Löhne und Gehälter zusammensetzen. Flapsiger ausgedrückt: Es soll klar werden, wie aus Brutto Netto wurde.
Bislang hatten ArbeitnehmerInnen keinen rechtlichen Anspruch auf einen Lohnzettel. Wer keinen erhielt, konnte also auch nicht überprüfen, ob alles seine Richtigkeit hat. Weil allfällige Fehler nicht bewiesen werden konnten, konnte man auch nichts gegen säumige Arbeitgeber tun. Damit ist nun Schluss: ArbeitnehmerInnen haben einen Anspruch auf den Lohnzettel und können diesen notfalls vom Arbeitgeber einklagen.

Der Lohnzettel: Es gibt keinen einheitlichen Lohnzettel für alle ArbeitnehmerInnen in Österreich. Vielmehr kann dieser je nach Firma anders aufgebaut sein, auch sind manche detaillierter als andere. Jedenfalls aber müssen sie folgende Angaben beinhalten: 

1. Bruttobezüge
Der Bruttobezug ergibt sich in der Regel aus der Anzahl der Stunden, die im Monat zum vereinbarten Stundenlohn geleistet wurden.
Bestehen die Bruttobezüge aus mehreren Komponenten, z. B. weil neben dem Grundlohn bzw. -gehalt auch Überstunden ausbezahlt werden, können Arbeitgeber diese extra anführen, verpflichtet sind sie dazu aber nicht. Bei Pauschalentlohnungen (All-inclusive-Verträgen) reicht es deshalb, dass auf der Entgeltabrechnung der Gesamtbruttobezug ersichtlich ist.
Im Bruttogehalt enthalten sind auch Sachbezüge. Darunter versteht man Gegenstände oder Vor-teile, die aus dem Arbeitsverhältnis entstehen, beispielsweise ein Firmenwagen oder MitarbeiterInnenrabatte. Auch sie sind sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtig. Um sie in das Bruttogehalt einberechnen zu können, werden diese Leistungen in Geld umgerechnet. 
 
2. Bemessungsgrundlage zur Sozialversicherung
Die Bemessungsgrundlage ist der Bruttobezug – bis zu einer gewissen Grenze, der sogenannten Höchstbeitragsgrundlage: Für Bezüge über diesem Betrag (aktuell 4.860 Euro) müssen keine Beiträge bezahlt werden.
 
3. Sozialversicherungsbeiträge
Es muss angeführt werden, wie viel Geld der Arbeitgeber an die Sozialversicherung überwiesen hat. Der Betrag entspricht in der Regel 18,12 Prozent der Beitragsgrundlage.
Nicht auf dem Lohnzettel enthalten ist eine genauere Aufschlüsselung des Sozialversicherungsbeitrags (siehe unten). 
 
4. Bemessungsgrundlage zur Lohnsteuer
Auch die Lohnsteuer wird vom Arbeitgeber eingehoben und direkt an das Finanzamt überwiesen. Im Lohnzettel muss die Bemessungsgrundlage für diese Abgabe ausgewiesen sein. Hinter der dort angeführten Summe steht folgende Rechnung:

Bruttolohn/-gehalt
– Sozialversicherungsbeitrag
– etwaiger Freibetrag (z. B. Pendlerpauschale)
– Gewerkschaftsbeitrag

= Steuerbemessungsgrundlage
 
5. Lohnsteuer
Die Lohnsteuer ergibt sich nicht mit einem fixen Prozentsatz, vielmehr gibt es einen mehrstufigen Steuertarif. Seit Jänner gelten nahezu durchwegs niedrigere Steuersätze. Durch diese drastische Absenkung sparen sich nun alle ArbeitnehmerInnen einen beträchtlichen Teil der Lohnsteuer. Die Entlastung beträgt dabei im Jahr etwa ein halbes Bruttomonatsgehalt bzw. einen halben Bruttomonatslohn. 

6. und 7.
Die meisten Entgeltabrechnungen beinhalten noch weitere Angaben, in der Regel die
Nettobezüge sowie allfällige private Abzüge wie die Betriebsratsumlage oder Gewerkschaftsbeiträge.

NEU: Tarif zur Entlastung

Bruttolöhne/-gehälter  Lohnsteuer
0 bis 11.000 Euro pro Jahr  Steuerfrei
Über 11.000 Euro bis 18.000 Euro pro Jahr  25 Prozent
Über 18.000 Euro bis 31.000 Euro pro Jahr  35 Prozent
Über 31.000 Euro bis 60.000 Euro pro Jahr  42 Prozent
Über 60.000 Euro bis 90.000 Euro pro Jahr  48 Prozent
Über 90.000 Euro bis 1 Million Euro pro Jahr  50 Prozent
Über 1 Million Euro pro Jahr  55 Prozent (befristet bis 2020)

 



Hinter den Kulissen des SV-Beitrags

  • Pensionsversicherung: 10,25 %
    Die Leistungen aus der Pensionsversicherung sind die Pensionen, die den Lebensstandard auch nach der Erwerbstätigkeit sichern sollen. Die Arbeitgeber machen seit Jahren Druck für weitere „Reformen“, weil angeblich die Kosten für die Pensionen steigen. Das Gegenteil trifft zu, im Jahr 2015 musste der Staat weniger zum Pensionssystem zuschießen.
  • Krankenversicherung: 3,87 % (!NEU! Einheitlicher Beitrag für ArbeiterInnen und Angestellte)
    Die Aufgaben der Krankenversicherung reichen von der Früherkennung und Behandlung von Krankheiten bis hin zur Rehabilitation.
  • Arbeitslosenversicherung: 3 %
    Damit sichern sich ArbeitnehmerInnen für den Fall der Arbeitslosigkeit ab, sie bekommen dann monatlich Arbeitslosengeld. Zudem erhalten sie Leistungen vom AMS, das ihnen unter anderem Jobangebote zuschickt, ihnen Schulungen anbietet und sie dabei zu unterstützen versucht, einen neuen Job zu finden.
  • Wohnbauförderungsbeitrag: 0,5 %
    Dieser Beitrag fließt in das jeweilige Landesbudget. In Österreich lebt etwa jeder sechste Bewohner in einer gemeinnützig errichteten und/oder verwalteten Wohnung. Insgesamt gibt es mehr als 900.000 geförderte Wohnungen. Durchschnittlich entstehen in Österreich im geförderten Wohnbau mehr als 10.000 Wohnungen pro Jahr.
  • Arbeiterkammerumlage: 0,5 %
    Mit diesem Beitrag wird ein Anspruch auf rechtliche Beratung und Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten erworben, aber auch die interessenpolitische Arbeit finanziert.

 

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Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632262 ITUC: Auf Kosten der ArbeitnehmerInnen Eine neue Studie der International Trade Union Confederation (ITUC) führt drastisch vor Augen, wie sich Großunternehmen an den ArbeitnehmerInnen bereichern:  Die ITUC hat 50 multinationale Konzerne – darunter Samsung, Nestlé und McDonald’s – unter die Lupe genommen. Das erschütternde Ergebnis: Nur sechs Prozent jener ArbeitnehmerInnen, die Leistungen für diese Unternehmen erbringen, sind direkt angestellt. Die restliche Arbeitsleistung wird von 116 Millionen Menschen in Zulieferbetrieben erbracht, und dies oftmals unter unwürdigen Arbeitsbedingungen.

Keine soziale Absicherung, gefährliche Arbeitsbedingungen und die Behinderung von gewerkschaftlicher Organisation sind in vielen Teilen der Welt weit verbreitet. Selbst die niedrigen Mindestlöhne werden umgangen. Dabei schöpfen die Unternehmen, die sich dieser Lieferketten bedienen, Milliardengewinne ab.
„Multinationale Konzerne erwirtschaften immense Profite, während Millionen von ArbeiterInnen, die in der Zulieferkette beschäftigt sind, leiden. Damit verbunden tun die Konzerne alles, um Steuerzahlungen zu vermeiden, und tragen damit zur wachsenden Ungleichheit der Gesellschaft bei. Die Unternehmen müssen endlich zu mehr Transparenz in Bezug auf ihre Zulieferer bereit sein, sie müssen existenzsichernde Löhne zahlen, gewerkschaftliche Rechte garantieren und für sichere Arbeitsplätze sorgen“, fordert Jyrki Raina, Generalsekretär von IndustriALL Global.

Infos unter: www.ituc-csi.org

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Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632252 AK: Christoph Klein wird AK-Direktor AK-Direktor Werner Muhm geht am 1. Juli in Pension. Als Nachfolger hat der Vorstand der AK Wien Christoph Klein bestellt. Der Jurist war bis 2009 Leiter des AK-Bereichs Soziales und arbeitete dann im Hauptverband der Sozialversicherungen.

Christoph Klein ist Jahrgang 1958. Er trat 1987 in die Arbeiterkammer Wien ein und war von 2003 bis 2009 Leiter des Bereichs Soziales. Danach wechselte er als Generaldirektor-Stellvertreter in den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Im Jahr 2013 kehrte er in die AK Wien zurück. Christoph Klein ist ein erfahrener Sozialpartnerverhandler, hat Managementerfahrung und ist seit Kurzem Honorarprofessor für Arbeitsrecht an der Uni Salzburg. Er ist Fachautor in mehreren Zeitschriften, unter anderem im „Recht der Arbeit“, deren Schriftleiter er auch ist. Er wird im März auch zum Bundesarbeitskammer-Direktor bestellt.
Mit Christoph Klein wurde auch Maria Kubitschek ab 1. Juli zur stellvertretenden Direktorin der AK Wien an der Seite von Alice Kundtner bestellt. Die Leiterin des Bereichs Wirtschaft arbeitete von 1988 bis 1993 in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien, leitete danach zunächst die Abteilung Außenwirtschaft und Integrationspolitik, anschließend die Abteilung Wirtschaftspolitik. 2001 übernahm sie den Bereich Wirtschaft mit einem Zwischenspiel als Kabinettschefin im Bundesministerium für Wirtschaft, Innovation und Technologie.

Infos unter: tinyurl.com/jed6t6u

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Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632234 Sparpolitik als Krisenverstärker „Europa darf kein Synonym werden für hohe Arbeitslosigkeit und wachsende Ungleichheit“, eröffnete AK-Präsident Rudi Kaske eine AK/ÖGB/ÖGfE-Diskussionsveranstaltung.

Für Engelbert Stockhammer (Kingston University London) ist die neoliberale europäische Wirtschaftspolitik ein Grund dafür, dass die in den USA gestartete Krise erst in Europa richtig schlimm geworden ist. Die Austeritätspolitik sei „das Gegenteil von dem, was man in ökonomischen Einführungsvorlesungen lernt: In der Krise muss man investieren“. Die EU fördere eine Politik der Lohnzurückhaltung – und lasse unter den Tisch fallen, dass „Löhne nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern auch eine Quelle für Nachfrage“.

Politologin Sonja Puntscher-Riekmann (Universität Salzburg) ortete in der EU ein Demokratiedefizit und forderte eine neue Verfassungsdebatte.
Harald Waiglein (Finanzministerium) argumentierte, dass staatliche Ausgaben nur ausgeweitet werden könnten, wenn Staaten Zugang zu den Kapitalmärkten hätten.

Oliver Röpke (ÖGB-Europabüro) betonte, eine Zustimmung zu EU-Vertragsänderungen könne es nur geben, wenn ein „soziales Fortschrittsprotokoll“ verankert werde.

Lisa Mittendrein (Attac) erinnerte daran, mit welcher Vehemenz die europäischen Eliten den Abbau von Arbeitsrechten durchsetzen konnten. Hingegen werde kaum Druck ausgeübt, den Steuerwettbewerb bei Unternehmenssteuern einzudämmen.

Mehr Infos unter:
tinyurl.com/jh5acbb

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Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633101 Präsident Rudi Kaske im AK-Bildungszentrum: "Wir brauchen in Europa dringend einen wirtschafts-, sozial- und demokratiepolitischen Kurswechsel in Richtung eines neuen Wohlstands- und Verteilungsmodells." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632219 Mehr Fairness im Arbeitsrecht In Österreich gibt es schon lange Diskussionen rund um das Thema unfaire Vertragsklauseln – und den Ruf nach mehr Transparenz und Fairness im Arbeitsrecht. Dies zeigt auch die Praxis: ArbeitnehmerInnen wenden sich regelmäßig wegen schikanöser Arbeitsvertragsklauseln an Arbeiterkammer und Gewerkschaft, und in einer Studie gaben mehr als 85 Prozent der befragten ArbeitnehmerInnen an, solche Klauseln in ihren Verträgen zu haben.

Die im Jahr 2015 beschlossene Reform des Arbeitsrechts bringt nun endlich einige Verbesserungen für neu abgeschlossene Arbeitsverträge. Auf Initiative des ÖGB und der Arbeiterkammer ist es gelungen, viele unfaire Vereinbarungen zu verbieten oder einzuschränken.

Mehr Transparenz bei All-in

Ab jetzt gibt es mehr Transparenz bei All-in-Verträgen. Ursprünglich waren All-in-Verträge, also Pauschalentlohnungen, mit denen sämtliche Arbeitsleistungen abgegolten werden sollen, nur für Führungskräfte üblich. Das ist aber schon lange nicht mehr so. Mittlerweile sind auch regelmäßig NiedrigverdienerInnen betroffen: Sogar in der niedrigsten Einkommensgruppe bis 1.300 Euro brutto haben fast 20 Prozent der Beschäftigten eine All-in-Regelung oder eine Überstundenpauschale.
Ein Problem dabei zeigt sich zusätzlich oft erst im Nachhinein. Auf den ersten Blick wirkt der All-in-Gesamtbetrag vielleicht hoch: ArbeitnehmerInnen werden damit von den Unternehmen geködert. Viele Firmen nützen aber diese All-in-Klauseln dafür, ihre Beschäftigten rund um die Uhr verfügbar zu halten. Allein im Jahr 2014 leisteten die ArbeitnehmerInnen in Österreich 269 Millionen Überstunden, ganze 57 Millionen davon wurden jedoch nicht bezahlt, also fast ein Fünftel. Für die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung wird somit de facto wenig – oft zu wenig – bezahlt. Die ArbeitnehmerInnen selbst bemerken erst später, wie viel Arbeit für so wenig Geld geleistet werden muss.
Neu ist nun, dass bei All-in-Verträgen der Grundlohn bzw. das Grundgehalt für die Normalarbeitszeit (also z. B. 40 Stunden) im Arbeitsvertrag oder auf dem Dienstzettel klar ausgewiesen sein muss. Damit sehen ArbeitnehmerInnen nun, wie viel sie tatsächlich für ihre Normalarbeitszeit ohne Überstunden bezahlt bekommen. Wenn der Arbeitgeber gegen diese Regel verstößt, gilt der angemessene branchen- und ortsübliche Ist-Grundlohn als vereinbart und nicht der – in der Regel niedrigere – kollektivvertragliche Mindestlohn. Was nun dieser branchen- und ortsübliche Ist-Grundlohn im konkreten Fall ist, ist letztendlich von berufskundlichen Sachverständigen zu ermitteln.

Recht auf die Lohnabrechnung

Einen weiteren wichtiger Beitrag zu mehr Transparenz schafft die Neuregelung, dass ArbeitnehmerInnen die schriftliche monatliche Lohnabrechnung nun einklagen können. ArbeitnehmerInnen bekommen mit dieser Regelung einen Anspruch auf eine übersichtliche, nachvollziehbare und vollständige Abrechnung – und können so überprüfen, ob sie auch richtig entlohnt werden.
Außerdem haben ArbeitnehmerInnen nun auch die Möglichkeit, die Aushändigung ihrer Anmeldung zur Sozialversicherung einzuklagen. Ob ein/e ArbeitnehmerIn korrekt angemeldet ist, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, hat dies doch auf alle daran anknüpfenden Versicherungsleistungen wie z. B. Arbeitslosengeld, Pension usw. Einfluss. Diese neuen gesetzlichen Verpflichtungen für die Arbeitgeber sind ein wichtiger Schritt für mehr Transparenz und damit eine Basis für gerechtere Entlohnung, die für Hunderttausende Beschäftigte in Österreich Verbesserungen bringen wird.

Mobilität von ArbeitnehmerInnen

In der Praxis sind in Arbeitsverträgen auch regelmäßig Klauseln zu finden, die es ArbeitnehmerInnen erschweren, ihren Job zu wechseln. Auch hier gibt es Verbesserungen, die diese Klauseln beschränken und die selbstbestimmte Mobilität von ArbeitnehmerInnen stärken sollen. Das betrifft im Wesentlichen Konkurrenzklauseln, die in immer mehr Arbeitsverträgen enthalten sind.
Konkurrenzklauseln verpflichten ArbeitnehmerInnen, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zu einem Jahr lang nicht in der Branche des ehemaligen Arbeitgebers tätig zu werden. Falls der/die ArbeitnehmerIn dagegen verstößt, ist er/sie in vielen Fällen mit hohen Vertragsstrafen („Konventionalstrafen“) bedroht. Dies ist in der Praxis leider nicht mehr nur bei Spitzenpositionen üblich, sondern vermehrt etwa auch bei Lehrberufen (bspw. FriseurIn).
Durch die Neuerungen wurde die prinzipielle Gültigkeit von Konkurrenzklauseln auf ArbeitnehmerInnen mit einem Brutto-Monatsentgelt von über 3.240 Euro beschränkt. Für ArbeitnehmerInnen, die weniger verdienen, gilt diese Klausel schlichtweg nicht mehr. Außerdem wurde die Höhe einer prinzipiell zulässigen Strafsanktion bei der Verletzung der Konkurrenzklausel mit höchstens sechs Nettomonatsentgelten begrenzt.
Zusätzlich gilt weiterhin das richterliche Mäßigungsrecht, das die Gerichte verpflichtet, die persönliche Situation des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin bei der Festsetzung der Höhe der Konventionalstrafe zu berücksichtigen.

Bitte Ausbildungskosten zurückzahlen?

Eine andere Art der Klausel, die einen Arbeitsplatzwechsel erschwert, betrifft die Rückzahlung von Ausbildungskosten. Wenn Arbeitgeber die Ausbildung einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers finanzieren, dann haben sie die Möglichkeit, im Falle eines Jobwechsels bestimmte Ausbildungskosten von den ArbeitnehmerInnen zurückzuverlangen.
Die Rückforderung der Kosten ist jedoch nur für eine bestimmte Zeit nach der Ausbildung möglich. Dieser Zeitraum ist mit der Novelle nun auf maximal vier Jahre verkürzt worden. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei besonders aufwendigen und teuren Ausbildungen, ist die Ausdehnung auf bis zu acht Jahre weiterhin möglich. Außerdem konnte durchgesetzt werden, dass die Geldsumme, die der Arbeitgeber zurückfordern kann, sich monatlich stetig reduzieren muss – ansonsten ist die gesamte Klausel unwirksam. All diese Verbesserungen gelten grundsätzlich für alle Verträge, die ab 2016 abgeschlossen werden.

Recht auf Information

Für Arbeitnehmerinnen ist Teilzeit mittlerweile gang und gäbe: Fast die Hälfte aller unselbstständig beschäftigten Frauen hat ein Beschäftigungsverhältnis in Teilzeit. Viele von ihnen würden jedoch gerne in einem höheren Stundenausmaß arbeiten.
Ein guter erster Schritt für diese ArbeitnehmerInnen ist das neue Informationsrecht für Teilzeitbeschäftigte über freie Vollzeitstellen. Wenn ArbeitnehmerInnen über längere Zeit Teilzeit arbeiten, ist es oft schwer, wieder Stunden aufzustocken oder Vollzeit zu arbeiten. Nun wurde eine Informationspflicht des Arbeitgebers geschaffen: Wenn im Betrieb eine Stelle mit höherem Arbeitszeitausmaß oder eine Vollzeitstelle ausgeschrieben wird, müssen die Teilzeitbeschäftigten vorher darüber informiert werden. Wenn ArbeitgeberInnen diese Informationspflicht verletzen, droht ihnen eine Geldstrafe.
Mit der Novelle im Arbeitsrecht gibt es auch Änderungen für die tägliche Normalarbeitszeit: Die tägliche Arbeitszeit darf nun bei aktiver Reisezeit auf bis zu 12 Stunden ausgedehnt werden. Die eigentliche Arbeitsleistung inklusive Überstunden darf aber weiterhin höchstens 10 Stunden betragen. Für Lehrlinge kann ab Vollendung des 16. Lebensjahres die höchstzulässige Tagesarbeitszeit bei passiver Reisezeit bis zu 10 Stunden ausgedehnt werden. Aber auch hier gelten für die Arbeitszeit im engeren Sinne jedenfalls weiterhin die bisherigen Höchstgrenzen.
Hier wird sich in der Praxis weisen, ob diese neuen Regelungen unternehmensseitig dazu ausgenutzt werden, die Höchstarbeitszeitgrenzen zu umgehen. Arbeiterkammer und Gewerkschaft werden das genau beobachten.

Dranbleiben

Das Arbeitsrechtspaket bringt einige wichtige Verbesserungen bei Vertragsklauseln wie z. B. All-in-Vereinbarungen, Konkurrenzklauseln und der Rückzahlung von Ausbildungskosten und trägt somit zu mehr Transparenz und Fairness in der Arbeitswelt bei. Inwieweit sich die neuen Regelungen bezüglich Reisezeiten im Hinblick auf die tägliche Normalarbeitszeit auswirken, wird sich weisen. Wir bleiben jedenfalls dran!

Linktipp:
Studie „Das Kleingedruckte im Arbeitsvertrag“:
tinyurl.com/gvr6tv9

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin ruth.ettl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Ruth Ettl, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159632543 Mehr als 85 Prozent der ArbeitnehmerInnen gaben in einer Umfrage an, schikanöse Klauseln in ihren Arbeitsverträgen zu haben. Die Reform des Arbeitsrechts bringt etliche Verbesserungen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632213 Geld oder Leben? Beides natürlich! Wie lange dauern Verhandlungen? Was gab es zu essen? Wie „hart“ wurde verhandelt? Fragen wie diese werden GewerkschafterInnen rund um die Kollektivverhandlungen leider allzu oft gestellt. Dabei geht es bei diesen Verhandlungen um etwas sehr Handfestes, nämlich um fundamentale Fragen der Verteilung von Geld und Zeit. Unsere Arbeitszeit ist Lebenszeit. Sie ist somit Eigentum und wichtigstes Tauschmittel der Beschäftigten, das sie gegen Lohn oder Gehalt hergeben. Genau das ist jedes Jahr aufs Neue Thema der Kollektivvertragsverhandlungen.

Gerechte Verteilung der Ernte

Gewerkschaften versuchen in diesen Verhandlungen mehrere Interessen der ArbeitnehmerInnen durchzusetzen. Dazu gehört etwa der Inflationsausgleich: Die Beschäftigten sollen sich mit den von ihnen erarbeiteten Löhnen und Gehältern nicht weniger leisten können, nur weil die Lebenshaltungskosten steigen. Ein weiteres Thema ist die gerechte Verteilung der Produktivitätssteigerungen, sodass diese nicht nur Arbeitgebern zugutekommen, sondern auch die ArbeitnehmerInnen für ihre Mehrleistung entsprechend mehr Geld oder bezahlte Freizeit erhalten. So wurde etwa im Kollektivvertrag der Metaller erreicht, dass der 31. Dezember nun bei Fortzahlung des Entgelts arbeitsfrei ist. Eine innovative Möglichkeit trägt den Titel „Freizeitoption“. Das bedeutet, dass Beschäftigte in zahlreichen Kollektivverträgen ihre Ist-Lohn-Erhöhung in freie Tage tauschen können. Das ist uns deshalb wichtig, weil in Österreich pro Jahr über 270 Millionen Überstunden geleistet werden. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt dabei bei rund 42 Stunden. Damit gehört Österreich zu den Ländern mit den längsten Arbeitszeiten in Europa. Während viele Beschäftigte unter langen Arbeitszeiten leiden, steigt gleichzeitig die Arbeitslosigkeit auf neue Rekordhöhen. Deshalb setzen wir uns für kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitszeitkontrolle ein. In Sachen Gleichstellung der Geschlechter wiederum haben wir erreicht, dass in vielen Kollektivverträgen die Vordienstzeiten angerechnet werden. Dies bringt für Frauen in Verbindung mit Kinderbetreuungszeiten Vorteile. Ein anderer wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung war die Einführung eines Mindestgehalts von 1.700 Euro.
Wie kämpferisch laufen Kollektivvertragsverhandlungen nun eigentlich ab? Meistens lässt sich die Atmosphäre mit „höflich im Ton, aber in der Sache hart“ charakterisieren. Bei Respektlosigkeiten wie etwa im Jahr 2010, als bei den Kollektivvertragsverhandlungen Metall die Arbeitgeber vom erhöhten Podium aus den GewerkschafterInnen (weiter unten sitzend) die „Wirtschaftswelt“ erklären wollten, stehen wir auch gelegentlich einmal auf. Verhandelt wird auf Augenhöhe!
Während wir mit unseren Sozialpartnern an der fairen Entlohnung der ArbeitnehmerInnen und an fairen Arbeitsbedingungen arbeiten, versuchen „WirtschaftsversteherInnen“ aus Politik und einschlägigen Institutionen, Gewerkschaften öffentlich unter Druck zu setzen. Eines der beliebtesten Schlagworte dabei ist die Wettbewerbsfähigkeit. Sie scheint für Unternehmen und die EU-Kommission eine fundamentale Glaubensfrage zu sein, der sich alles und alle unterzuordnen haben. Für die Beschäftigten allerdings bedeutet es oft den Verkauf der eigenen Lebens- bzw. Arbeitszeit um nahezu jeden Preis – ohne garantierte Gegenleistung.
Das Thema „Wettbewerbsfähigkeit“ wird GewerkschafterInnen gerne bei Verhandlungen als Argument „aufgetischt“. Da sind wir gerne dabei, wenn es um „fairen Mitbewerb“ geht, der nachhaltig ist und nicht auf Kosten von Beschäftigten und Umwelt geht. Hingegen haben wir kein Verständnis für die Unzahl an UnternehmensberaterInnen und WirtschaftsanwältInnen, die sich meist auf Kosten der Beschäftigten eine „goldene Nase“ verdienen und Unternehmen zu Outsourcing, Verlagerungen oder Umstrukturierungen raten. Fragt man einige Jahre später nach den Ergebnissen, wird man selten fündig. Ein Schelm, wer dahinter Böses vermutet! BetriebsrätInnen und GewerkschaftssekretärInnen könnten allein mit Geschichten über absurde Folgen von Verlagerungen ganze Bücher füllen. So wurde beispielsweise Beschäftigten angeboten, nach China zu übersiedeln, um die KollegInnen in China bei der – ausgelagerten – Arbeit zu unterstützen. 

Fragwürdige Druckmittel

Auch mit „Standortrankings“ wird versucht, Forderungen der ArbeitnehmerInnen in die Schranken zu weisen. Das WEF (World Economic Forum) erstellt jedes Jahr einen Bericht, der vorgibt, die Wettbewerbsfähigkeit verschiedener Staaten zu analysieren und zu reihen (Global Competitiveness Report). Ende September 2015 wurde das neue Standortranking veröffentlicht, bei dem sich Österreichs Position um zwei Plätze auf den 23. Platz verschlechtert hat. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen all jener, die seit Jahren neoliberale Reformen predigen und in diesen den Ausweg aus der wirtschaftlichen Stagnation sehen. Dabei basieren Rankings auf willkürlichen Annahmen, einer intransparenten Auswahl sowie Gewichtung der Maßzahlen und auf einer mangelhaften statistischen Methodologie. So besteht das Ranking beispielsweise zu 60 Prozent aus Befragungen von ManagerInnen.
In seinem aktuellen Ranking bewertet das WEF das System der Lohnverhandlungen (Kollektivvertrag) selbst als negativ – und zwar nicht, weil das erwiesenermaßen zu einer schlechteren wirtschaftlichen Performance führen würde, sondern weil es vorab als negatives Kriterium konstruiert wurde. Dies wird in den Medien leider nicht hinterfragt, sondern es wird nur über ein Aufholen oder Zurückfallen in der Rangliste berichtet. Die mitgelieferte Ideologie wird oft unhinterfragt übernommen, womit zumindest unbewusst, wenn nicht gar absichtlich neoliberale Stimmungsmache gemacht wird. Fazit: Wenn das Ranking den Umsetzungsgrad neoliberaler Politik ausdrückt, dann sollte einem/einer ein Spitzenplatz nicht wirklich ein Anliegen sein. Nicht nur private Institutionen wie das WEF haben die Wettbewerbsfähigkeit ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Die EU-Kommission etwa will „Wettbewerbsfähigkeitsräte“ einsetzen. Die brauchen wir so sehr wie Zahnschmerzen, denn diese Räte sollen auch gleich die Entwicklung der Lohnpolitik (z. B. in Verbindung mit Kollektivvertragsverhandlungen) überwachen. Wichtiger wären da etwa „Räte für soziale Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit“ – als Korrektiv für neoliberale Auswüchse in Politik und Wirtschaft.

Flexible Arbeit?

„Arbeit, wenn Arbeit da ist!“, meinen VertreterInnen der Wirtschaft und versuchen damit, Stimmung für eine weitere Flexibilisierung der Arbeit zu machen. Klingt gut, gäbe es da nicht dieses kleine Detail: Für die Arbeitsbeschaffung sind nicht die Beschäftigten, sondern die Unternehmen verantwortlich. Und: Arbeitszeitflexibilisierung ist keine Einbahnstraße. Wer in Kollektivverträgen dazu Regelungen will, muss mit uns als Gewerkschaften einen fairen Interessenausgleich für die Beschäftigten schaffen. Denn die Beschäftigten „haben nichts zu verschenken“.
Kollektivvertragsverhandlungen folgen im Übrigen sehr einfachen Regeln: Je mehr Mitglieder Gewerkschaften haben, desto mehr können sie die Interessen ihrer Mitglieder durchsetzen. Jede/r einzelne Beschäftigte hat es daher selbst in der Hand, „ihre/seine“ Gewerkschaft bei Kollektivvertragsverhandlungen zu unterstützen: als Gewerkschaftsmitglied!
 
Info&news
Kollektivverträge sind überbetriebliche schriftliche Vereinbarungen, die in der Regel zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden abgeschlossen werden. Regelungen in Kollektivverträgen dürfen durch Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge nicht verschlechtert werden.
Im KV sind alle wichtigen wechselseitigen Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis geregelt. Es geht vor allem um Entlohnung (Mindestgehälter bzw. Mindestlöhne), Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) und Arbeitszeit.
Der Zweck des Kollektivvertrags ist, für eine möglichst große Anzahl von ArbeitnehmerInnen sowie für alle Branchen und Regionen sachgerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen festzulegen.


Linktipps:
FALTER Ökonomie:
tinyurl.com/hykezql
Kollektivvertrags-Plattform:
www.kollektivvertrag.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor rudolf.wagner@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Rudolf Wagner, Wirtschaftsbereichssekretär in der GPA-djp und Verhandlungsleiter der Angestellten bei den KV-Verhandlungen der Metallindustrie Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159632534 Jeder und jede einzelne Beschäftigte hat es selbst in der Hand, eine bessere Durchsetzung seiner/ihrer Interessen bei den KV-Verhandlungen zu erreichen: als Gewerkschaftsmitglied! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159633338 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 16 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159632164 Gemeinsam anpacken Mit dem Chef hitzige Debatten führen, ein offenes Ohr für die Probleme der MitarbeiterInnen haben, sich um die korrekte Einstufung und neue Stühle für die KollegInnen kümmern – das sind nur einige Aufgaben, die den Arbeitsalltag einer Betriebsrätin oder eines Betriebsrates kennzeichnen. Für viele österreichische ArbeitnehmerInnen sind sie so selbstverständlich wie die Betriebskantine. Bei Unklarheiten werden einfach BetriebsrätInnen um Rat und Hilfe gefragt. Selbstverständlich ist auch, dass sie bei gröberen Auseinandersetzungen, aber auch bei drohenden Betriebsschließungen an vorderster Front stehen und die KollegInnen bei Protesten und Demonstrationen anführen. Genau das tat auch Snjezana Brajinovic, Betriebsratsvorsitzende der mittlerweile insolventen Supermarktkette Zielpunkt.

Kampf für KollegInnen

Im Dezember vergangenen Jahres meldete Zielpunkt Insolvenz an, und das verfrühte „Weihnachtsgeschenk“ – kein Gehalt, kein Weihnachtsgeld – schockierte nicht nur die betroffenen MitarbeiterInnen, sondern stieß auch auf große Empörung in der Bevölkerung. Brajinovic kümmerte sich um ihre KollegInnen, kämpfte um ihre Ansprüche und ließ kein gutes Haar an der Geschäftsführung und Zielpunkt-Eigentümer Pfeiffer. Zumindest gab es eine gute Nachricht für die Zielpunkt-Beschäftigten: Der Insolvenz-Entgeltfonds konnte bis Weihnachten die offenen November-Gehälter sowie das Weihnachtsgeld auszahlen. Der ÖGB und die Arbeiterkammer brachten Forderungen in der Höhe von 5,4 Millionen Euro für die Betroffenen ein, der Masseverwalter hatte alle Ansprüche anerkannt. Ebenso bekamen Zielpunkt-Lehrlinge die Zusage, dass sie ihre Ausbildung bei einer der anderen Supermarktketten Österreichs fortsetzen können.

Gemeinsam mehr erreichen

Wie man an der Zielpunkt-Pleite sieht, kann ein Betriebsrat die Situation der Beschäftigten eines Betriebes verbessern oder so gut wie möglich erleichtern. Trotzdem gibt es immer wieder Stimmen, die behaupten, BetriebsrätInnen seien unnötig, sie würden doch nur mit dem Chef herumsitzen und viel zu viel Kaffee trinken.
Es gibt auch diejenigen, die meinen, sie bräuchten keinen Betriebsrat, weil sie alles allein regeln können. So ähnlich dachte auch viele Jahre Michael Schnabel, seit 1981 bei Siemens beschäftigt. „Ich bin doch nicht auf den Mund gefallen. Ich brauche niemanden, der mich unterstützt“, schildert er seine frühere Einstellung. Mittlerweile ist Schnabel seit rund 15 Jahren selbst Betriebsrat und im Einsatz für seine KollegInnen – vor allem für die jüngsten unter ihnen. „Ich wurde immer wieder um Hilfe gebeten, und so kam es einige Zeit später, dass ich in diese Funktion hineinstolperte“, so der 50-jährige Elektroenergietechniker. Siemens bildet österreichweit rund 400 Lehrlinge aus, davon rund 180 Lehrlinge in Wien, die Schnabel gemeinsam mit dem Jugendvertrauensrat-Team betreut. Sie vermitteln zwischen Lehrlingen, wenn es zu Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen kommt, unterstützen sie bei arbeitsrechtlichen, lerntechnischen, aber auch privaten Problemen. „Wenn es Schwierigkeiten in der Ausbildung, bei der Matura oder auch in der Berufsschule gibt, versuchen wir, eine akzeptable Lösung für alle Betroffenen zu finden“, berichtet der Lehrlingsbetreuer. Besonders wichtig ist für ihn, dass junge ArbeitnehmerInnen kurz vor der FacharbeiterInnen-Prüfung diverse Dienststellen durchlaufen und in den Lehrwerkstätten gut vorbereitet werden. „Es ist nicht immer einfach, alle Aufgaben zu erfüllen. Manchmal ist es echt ein hartes Brot, aber gemeinsam schaffen wir es immer“, betont Schnabel die gute Zusammenarbeit mit seinen jungen KollegInnen.  

Keine billige Arbeitskraft

Dass es Lehrlingen im Betrieb gut geht und sie eine ordentliche Ausbildung bekommen, das liegt auch Berend Tusch am Herzen. „Beginnend mit dem ersten Tag in der Arbeitswelt stehe ich diesen als Support zur Verfügung“, sagt der Betriebsratsvorsitzende der Austria Trend Hotels. Oft werden Jugendliche als unfähig oder nicht engagiert bezeichnet. Tusch versucht die Lehrlinge zu coachen, aber auch mit dem Management Maßnahmen zu setzen, damit Strukturen geschaffen werden, um Lehrlingen das Berufsbild als Ganzes zu vermitteln.
„Ich schaue darauf, dass genügend AusbildnerInnen vor Ort sind, die den Lehrlingen alles beibringen, was sie für ihre Ausbildung brauchen. Ich zeige auf, dass Lehrlinge nicht als billige Arbeitskraft ausgenutzt werden dürfen“, erzählt er aus seiner Tätigkeit. Unter anderem hat er gemeinsam mit dem Unternehmen eine Lehrlingsakademie ins Leben gerufen, die die sozialen Kompetenzen schult und fördert. „Ich wache mit Argusaugen darüber, dass Gesetze und Vereinbarungen auf beiden Seiten eingehalten werden. Kontrolle und Sanktionen sind das Um und Auf“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende.

Nach Lösungen suchen

Vor allem junge ArbeitnehmerInnen kennen sich häufig nicht aus oder trauen sich nicht, ihre Rechte beim Arbeitgeber einzufordern. Der Betriebsrat kann die Interessen der ArbeitnehmerInnen gegenüber dem Arbeitgeber besser durchsetzen, als der oder die einzelne ArbeitnehmerIn es könnte.
In Betrieben mit Betriebsrat werden Beschäftigte besser in betriebliche Prozesse miteinbezogen. Die Mitbestimmung von BetriebsrätInnen reicht von der Gestaltung der Arbeitsplätze und -zeiten bis zur Einstellung und Versetzung. „Junge ArbeitnehmerInnen machen oft Fehler, die unnötig sind und sie in Schwierigkeiten bringen können. Sie kommen zum Beispiel zu spät zur Arbeit, haben Schwierigkeiten in der Berufsschule oder vergessen die Krankenstandsbestätigung“, erzählt Tamara Punz, Jugendvertrauensrätin bei der Mediaprint. In solchen Situationen versucht Punz zuerst in Gesprächen mit Betroffenen zu erfahren, was passiert ist und wieso. Danach wird mit den LehrausbildnerInnen und der Personalabteilung nach einer gemeinsamen Lösung gesucht. Mit dem Betriebsrat sorgt die Jugendvertrauensrätin dafür, dass bei Problemen immer jemand zur Stelle ist und man die Lehrlinge nicht sich selbst überlässt.

Auf der sicheren Seite

Nicht nur in der Lehrlingsbetreuung sind BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen ein zuverlässiger Partner in der Arbeitswelt. Sie stehen ArbeitnehmerInnen immer beratend zur Stelle: sowohl bei Dienstantritt, wenn es um die korrekte Einstufung geht, als auch während der Beschäftigung, wenn Seminare für alle MitarbeiterInnen ausgearbeitet werden sollen. Und wenn ArbeitnehmerInnen wünschen, das Dienstverhältnis aufzulösen, klären sie über Möglichkeiten, Fristen, offene Abrechnungen und Dienstzeugnis auf.
„Als Betriebsrat weiß auch ich nicht alles. Eine gut funktionierende Rechtsabteilung ist für meine Arbeit sehr wichtig. Meine Kollegen erwarten sich nicht Halbwissen, sondern seriöse Auskünfte“, so Tusch. „Gewerkschaften und Arbeiterkammer bieten viele Angebote, wie etwa Informationsmaterial zu Belastung am Arbeitsplatz und präventive Maßnahmen, an, die ich meinen KollegInnen im Betrieb zur Verfügung stellen kann.“ Er fügt hinzu, dass Gewerkschaften und Arbeiterkammer ihn dabei unterstützen, sein Wissen auf dem laufenden Stand zu halten, ihm die Möglichkeit geben, sich mittels Plattformen mit KollegInnen seiner Branche, aber auch mit anderen auszutauschen und deren Ressourchen zu nutzen. „Wenn ich nicht helfen kann, dann weiß ich, wer es kann. Unsere Lehrlinge wissen, dass sie sich auch an die Gewerkschaftsjugend wenden können. Die ÖGJ bietet diverse Unterstützung an, wie etwa bei der Führerscheinprüfung“, sagt Schnabel. 
Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig ein Betriebsrat ist. Debatten um Schichtpläne, Pausenzeiten, Beginn und Ende der Arbeitszeit, Urlaubspläne, Ausbildung, Freizeitgestaltung oder gar umfassende Fragen wie die Einführung von flexibler Arbeitszeit und Altersteilzeit: Mit BetriebsrätInnen im Rücken sind die ArbeitnehmerInnen in einer deutlich stärkeren Position, um ihre Interessen gegenüber den Arbeitgebern zu vertreten und unterschiedlichste Probleme zu lösen.

Linktipps:
Österreichischer Gewerkschaftsbund:
www.oegb.at
Portal der Arbeiterkammern:
www.arbeiterkammer.at
Österreichische Gewerkschaftsjugend:
www.oegj.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159632194 Mit BetriebsrätInnen im Rücken sind die ArbeitnehmerInnen in einer deutlich stärkeren Position, um ihre Interessen gegenüber den Arbeitgebern zu vertreten und unterschiedlichste Probleme zu lösen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Feb 2016 00:00:00 +0100 1455159631299 Notwendiger denn je Zur Person
Susanne Pernicka ist Vorständin des Instituts für Soziologie und leitet die Abteilung für Wirtschafts- und Organisationssoziologie an der Uni Linz. Sie studierte Betriebswirtschaft an der WU Wien, Politikwissenschaft am IHS und habilitierte im Fach Wirtschaftssoziologie an der Uni Graz. Sie war Postdoc-Visitor an der London School of Economics sowie an der University of California, Berkeley.
Ihre Forschungsinteressen: Arbeitsbeziehungen aus internationaler und transnationaler Perspektive. Unter anderem untersuchte sie Mitgliedergewinnungsstrategien österreichischer Gewerkschaften, beschäftigte sich mit der Organisierung atypisch Beschäftigter sowie mit den Bemühungen der Gewerkschaften zu einer europäischen Lohnkoordinierung.

 

Arbeit&Wirtschaft: Lohnt es sich in Österreich, Gewerkschaftsmitglied zu sein? Immerhin gibt es eine starke Sozialpartnerschaft.

Susanne Pernicka: Die Frage müsste man von zwei Seiten stellen. Erstens: Lohnt es sich für die Gewerkschaft, Mitglieder zu haben? Zweitens: Lohnt es sich für den Einzelnen und die Einzelne, Gewerkschaftsmitglied zu sein?

Fangen wir bei den Mitgliedern an.

Da würde ich drei Argumente ins Feld führen. Mitglied in der Gewerkschaft zu sein ist heute wichtiger geworden, als es vielleicht noch vor zwei, drei Jahrzehnten war. Der Grund ist die Veränderung der Arbeitswelt, die sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit vollzieht und durch zahlreiche Entgrenzungsphänomene sichtbar wird. Es ist also notwendiger denn je, denn Arbeitsverhältnisse werden ja nicht besser, sondern eher schlechter. Es kommt zur Flexibilisierung, manchmal zum Vorteil, aber sehr häufig zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen.
Dazu kommt, dass sich das Kräftegleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital ganz massiv zulasten der ArbeitnehmerInnenseite verschoben hat. Grund dafür sind Prozesse der Internationalisierung und der Europäisierung. Die Europäische Union wird hauptsächlich als wirtschaftliche Union verstanden. In der Arbeits- und Sozialpolitik sowie in Bezug auf die Lohnpolitik sind die Kompetenzen primär auf der nationalstaatlichen Ebene verblieben. 
Diese Machtverschiebung führt dazu, dass sich die Arbeitgeber sehr viel mehr trauen. Zum Beispiel, dass man einen Arbeitsvertrag vergibt und keinen freien Dienstvertrag. Das ist einerseits Ausdruck dieser Machtverschiebung, andererseits  einer Veränderung in der normativ-kulturellen Vorstellung, was gut und richtig ist: Wie darf oder soll Arbeit organisiert werden? Und das hat sich stark in Richtung Flexibilisierung und Prekarisierung verschoben.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist eine kollektive Organisierung der Interessen von ArbeitnehmerInnen notwendig, weil ja immer ein Ungleichgewicht zwischen der individuellen Arbeitskraft und dem Unternehmen besteht. Da ist schon grundsätzlich ein Machtungleichgewicht angelegt, und je geringer der Organisationsgrad und die Gegenmacht in kollektiver Hinsicht sind, desto größer ist die Macht der Arbeitgeberseite. Das ist das dritte Argument, warum es in kapitalistischen Gesellschaften nach wie vor Sinn macht, in die Gewerkschaft einzutreten.

Österreichs Gewerkschaften gelten als wenig kämpferisch. Ein Vorurteil?

Wenn man es sich im Zeitverlauf ansieht: Es gab unter Schwarz-Blau Streiks – und dann wieder 2011/2012. Das waren ganz massive Metallarbeiterstreiks. Hintergrund war der, dass die Arbeitgeberseite nicht nur angedroht hat, sondern es letztlich durchgesetzt hat, dass der Metall-Kollektivvertrag – der wichtigste Kollektivvertrag in Österreich – nicht mehr von allen Arbeitgebern als Kollektiv verhandelt wird, sondern dass es fünf Einzel-Kollektivverträge gibt. Das hat zu massivem Widerstand geführt und zu Streiks in der Metallindustrie. Den Gewerkschaften ist es bis heute allerdings gelungen, einheitliche Lohn- und Gehaltssteigerungen in allen fünf Teilbereichen durchzusetzen. 

Wie steht es um die Organisierung atypisch Beschäftiger?

Die Gewerkschaften sind hier sehr unterschiedlich aufgestellt. Manche bewegen sich so gar nicht in Richtung der prekarisierten, flexibilisierten ArbeitnehmerInnen, andere mehr. Dann ist es natürlich eine Frage der Wahrnehmung: Wenn ich nie Kontakt zu einer Gewerkschaft hatte und in meinem Betrieb keinen Betriebsrat habe und vielleicht über andere Medien zu wenig Werbung gemacht wird, und die Medien berichten über bestimmte Themen nicht, sie berichten selten über Arbeitskämpfe, sondern eher über Skandale in der Wirtschaft – da tut man sich als Gewerkschaft ein bisschen schwer, überhaupt darzustellen, was man macht.
Es wird also immer schwieriger, diese Gruppen zu organisieren, weil sich die Arbeitswelt verändert hat. Die Arbeitszusammenhänge werden immer fragmentierter und individualisierter. Das heißt, man sieht vielleicht weniger Gemeinsamkeiten als früher. Der Industriearbeiter hatte mit seinem Kollegen relativ klare Gemeinsamkeiten. Da hat man auch als Gewerkschaft klar sehen können, wo die Stellschrauben sind, um etwas zu verändern. Nur durch die Pluralisierung der Arbeitsverhältnisse vor allem im Dienstleistungsbereich, der ja massiv zugenommen hat, wird es immer schwieriger, Gemeinsamkeiten zu definieren und Interessen zu konstruieren.

Dabei soll es durch die sozialen Medien doch leichter geworden sein, an Menschen heranzutreten.

Da spielt diese Unverbindlichkeit eine Rolle, die auch in den sozialen Medien verbreitet ist. Man möchte zwar viel wissen, man möchte verlinkt sein – aber beitreten und monatlich den Mitgliedsbeitrag zahlen? Diese Verpflichtungsfähigkeit hat stark nachgelassen.

Welche vielversprechenden Lösungen haben Gewerkschaften in anderen Ländern verfolgt?

Länder, die das Organizing-Modell verfolgen, versuchen viel offensiver, über die neuen Medien zu gehen. Und sie setzen auf sogenannte Organizer. Das sind GewerkschafterInnen, die von außen in die Betriebe gehen und versuchen, Vertrauen aufzubauen und ArbeitnehmerInnen zu mobilisieren, ihre Interessen selbst zu vertreten. Über diesen Weg versuchen sie, durch Multiplikatoreffekte eine kritische Masse und Gegenmacht zu erzeugen.
Dieses Aktivierungselement ist zentral – und das kann man in Österreich eher schlecht. Die Gewerkschaften und die BetriebrätInnen nehmen die ArbeitnehmerInnen eher als passiv wahr, und auch die ArbeitnehmerInnen selbst äußern auf Anfrage, dass die Gewerkschaften ihre Interessen vertreten sollen. 
Ich höre das irrsinnig oft, dass Personen, die prekär beschäftigt sind, sagen: Die Gewerkschaft tut nichts für mich. Wo ist mein Vertreter? Wer steht für mich ein? Wer repräsentiert mich?
Das ist ja auch Ausdruck dessen, dass man erwartet, dass jemand etwas für eine/n macht. In Österreich mangelt es an dieser Bereitschaft zur Selbstorganisation.
Es hängt außerdem immer auch vom politisch-institutionellen Kontext ab, ob bestimmte Strategien Erfolg haben oder nicht. Das muss man immer ins Kalkül ziehen.

Und welche Rolle spielen die Mitglieder für die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften haben seit den 1960er-Jahren mit massiven Mitgliederrückgängen zu kämpfen. Darauf hat man lange nicht reagiert, was erstaunlich ist. Hintergrund dafür sind die institutionellen Machtressourcen, die die Gewerkschaften haben. Sie waren seit dem Zweiten Weltkrieg ja ganz stark in die sozialpartnerschaftlichen, korporatistischen Strukturen eingebettet und sind es zum Teil immer noch. Das bedeutet, dass die Gewerkschaften bisher relativ unabhängig von ihren Mitgliederzahlen auf verschiedenen Ebenen Einfluss ausüben konnten, sowohl in der Kollektivvertragspolitik als auch in der Makropolitik – sie konnten maßgeblichen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess ausüben. In die Betriebe hinein wiederum können sie indirekt über den Betriebsrat Einfluss ausüben.
Tálos (der Politikwissenschafter Emmerich, Anm.) sagt, dass es einen Trend in Richtung Einflusslogik gibt. Das heißt, dass sich die Gewerkschaften an ihren hauptsächlichen Einflusspartnern orientierten und ihre Mitglieder mehr oder weniger vernachlässigten.

Was ließ die Gewerkschaften umdenken?

Der Bawag-Skandal war sicherlich ein Grund, noch viel stärker wirkte die schwarz-blaue Koalition. Der heutige Präsidentschaftskandidat Andreas Khol (damals ÖVP-Klubchef, Anm.) beispielsweise ist ja mit seinem Ausspruch „Speed kills“ recht bekannt geworden. Er hat die Gesetzgebungsverfahren so rasch vonstatten gehen lassen, dass den Gewerkschaften und der Arbeiterkammer de facto eine Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren, wie das traditionell üblich ist, kaum noch möglich war.
Zur Verteidigung der Gewerkschaften muss man aber sagen, dass bereits Anfang der 2000er-Jahre vor allem eine Gewerkschaft massive Restrukturierungsprozesse durchgemacht hat: die GPA-djp, damals nur GPA. Damals hat man Plattformen und Interessengemeinschaften eingerichtet. Die erste war work@flex, die direkt auf atypisch Beschäftigte, LeiharbeitnehmerInnen und freie Dienstverträge abgestellt hat. Die zweite war work@education, die Beschäftigte im Bildungswesen als Zielgruppe hatte. Man hat versucht, Personen relativ niederschwellig über verschiedene Kommunikationskanäle anzusprechen und zur Mitgliedschaft zu bewegen, auch über das Internet oder andere Beteiligungsmöglichkeiten. Da war die GPA sicherlich eine der fortschrittlichsten Gewerkschaften.
Die anderen Gewerkschaften haben eher etwas später nachgezogen. Auch kleinere Gewerkschaften, wie die Gewerkschaft Bau-Holz, haben vor einigen Jahren begonnen, sich stärker um neue Mitgliedergruppen zu bemühen. Aber es ist natürlich aus verschiedenen Gründen nicht so einfach und vor allem sehr ressourcenintensiv, das umzusetzen.

Sie haben unterschiedliche Strategien zur Mitgliedergewinnung untersucht. Welche anderen Varianten gab es?

Man hat Partizipationsangebote an besonders engagierte Mitglieder gemacht. Zum Beispiel hat man versucht, Personen, die über die Interessengemeinschaften als FunktionärInnen tätig geworden sind, in die Entscheidungsstrukturen des ehrenamtlichen Apparats der Gewerkschaften zu integrieren.
Das war natürlich nicht immer so einfach und friktionslos, weil bisher die Strategie war, nur Personen in die ehrenamtliche Struktur zu integrieren, die vormals BetriebsrätInnen oder PersonalrätInnen waren, sich also im Betrieb verdient gemacht haben. Den Vorsitzenden der Interessengemeinschaften hat man das aber relativ bald angeboten.
Dann gab es Kampagnen, relativ bekannt geworden ist die Schlecker-Kampagne, wo man direkt an die Filial-MitarbeiterInnen mit Informationsmaterialien herangetreten ist, um darüber aufzuklären, was die Vorteile einer betriebsrätlichen Vertretung und einer Gewerkschaftsmitgliedschaft sind.
Diesen Zugang hat man Mitte der 2000er-Jahre entwickelt und sich das quasi aus der US-amerikanischen und britischen Gewerkschaftslandschaft abgeschaut. Das wird oft unter dem Begriff des Organizing zusammengefasst, wobei das ein sehr komplexer Begriff ist, der viel umfasst. Das Campaigning würde ich gar nicht so darunter fassen, weil Organizing an und für sich als Bottom-up-Prozess gedacht ist – und in Österreich geht es eher Top-down.
Eine sehr starke Tradition der Gewerkschaft in Österreich ist dieses Repräsentationsverständnis: Wir sind diejenigen, die die ArbeitnehmerInnen vertreten, daher sind auch wir diejenigen, die die Kampagnen vorschlagen, an denen sich die anderen beteiligen sollen.
Das basiert auf der Vorstellung, dass man die Beschäftigten bis zu einem gewissen Grad kontrollieren muss – was ja auch notwendig ist, etwa um die Friedenspflicht, die man bei Kollektivvertragsverhandlungen hat, aufrechtzuerhalten.
Das ist ja der Deal der Sozialpartnerschaft bzw. jener mit den Arbeitgebern: Ihr setzt euch mit uns an den Verhandlungstisch, und wir sorgen dafür, dass es keine Streiks gibt. Das wird auch von beiden Seiten als Vorteil betrachtet, weil die Wirtschaftsseite sonst wenig Interesse daran hätte, sich jährlich zu Kollektivvertragsverhandlungen zusammenzusetzen.

Noch einmal zurück zum Organizing: Da geht es also darum, Voraussetzungen zu schaffen, damit sich die ArbeitnehmerInnen organisieren können?

Das wäre die Grundidee. In den USA ist es ja aus einem Ressourcenmangel heraus entstanden, weil es gar nicht so viele Personen gab, die in der Gewerkschaft gearbeitet haben und die für die ArbeitnehmerInnen eintreten hätten können. Deshalb sind sie es umgekehrt angegangen. Es ging darum, ArbeitnehmerInnen in die Lage zu versetzen bzw. sie darin zu unterstützen, sich selbst zu organisieren.
Natürlich wird dieses System angepasst, wenn man es auf Österreich überträgt. Und das macht ja durchaus Sinn, weil sozialpartnerschaftliche Strukturen hierzulande zum Teil noch intakt sind. Insofern wurden hier Hybride eingesetzt, also Kombinationen aus sozialpartnerschaftlichen und partizipationsorientierten Elementen.

In Österreich hält man am System der Kollektivverträge fest. Haben die Vertretungen der ArbeitnehmerInnen also doch noch ein großes Gewicht?

Das hat unter anderem einen ganz spezifischen Grund, der international auch immer wieder bewundert wird: Wir haben in der Wirtschaftskammer die Pflichtmitgliedschaft. Dadurch gilt in den Bereichen, wo die Wirtschaftskammer auf der Arbeitgeberseite verhandelt – und das ist in den meisten Bereichen so –, automatisch der Branchenkollektivvertrag für alle Mitglieder, sprich alle Unternehmen. Das heißt, selbst wenn Unternehmen sich nicht an den Verhandlungstisch setzen, müssen sie mit dem Ergebnis leben. Das ist also durchaus ein Anreiz – und es ist eine wichtige institutionelle Machtressource, die Gewerkschaften in Österreich haben.
Genau hier hat die schwarz-blaue Regierung versucht, Druck zu machen. Sie hat damit argumentiert, dass die Legitimität der Pflichtmitgliedschaft fehlt, nicht nur in der Wirtschaftskammer, sondern vor allem in der Arbeiterkammer. Die einfache Erklärung war: Wozu brauchen wir zwei Strukturen? Es gibt ja die Gewerkschaften als freiwillige Mitgliederorganisationen. Das Problem ist nur, dass die wenigsten wissen, was damit verbunden wäre, wenn man die Wirtschaftskammer tatsächlich in dieser Pflichtmitgliedschaftsstruktur abschafft. Dann würde man mittelfristig nämlich das Kollektivvertragssystem massiv schwächen. Weil die Wirtschaftsseite dann wenig Anreiz hat, sich mit den ArbeitnehmerInnen zu Kollektivvertragsverhandlungen zu treffen.
Das wurde dann als so gravierende Folge angesehen, dass man im Jahr 2007 die Pflichtmitgliedschaft in den Verfassungsrang gehoben hat. Ob das jetzt viel bringt, ist eine andere Frage, aber es ist natürlich ein Symbol: Das ist uns wichtig, das ist ein Teil der österreichischen Kultur.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 1/16 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1455159632094 Susanne Pernicka: "Die Arbeitswelt verändert sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit, was durch zahlreiche Entgrenzungsphänomene sichtbar wird." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
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