Zwischenparken beim AMS
Denn laut Handelsverband wollen viele ihrer Angestellten gar nicht arbeiten. Es würden immer häufiger Fälle von Missbrauch von Arbeitslosengeldern auftreten. Die Arbeitnehmer:innen würden nur kurzfristig bei einem Unternehmen anheuern, um damit eine Grundlage auf Arbeitslosengeld zu erwirken. So ist in einer Aussendung zu lesen. Die Leittragenden seien die aktiven Arbeitnehmer:innen und die mittelständischen Unternehmen, wie der HV schlussfolgert.
„Diese Anschuldigung entbehrt jeder Grundlage, denn man bekommt nicht einfach so Arbeitslosengeld, wenn man sich als Arbeitnehmer:in kurz bei einem Unternehmen anmeldet“, erklärt Silvia Hofbauer. Sie ist Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration bei der Arbeiterkammer Wien (AK). Es gibt unterschiedliche Voraussetzungen, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Abhängig davon, wie alt man ist, beziehungsweise ob man schon einmal Arbeitslosengeld bezogen hat. Für den erstmaligen Anspruch auf Arbeitslosengeld benötigt man innerhalb von zwei Jahren ein Jahr Beschäftigung. Es sei denn, man ist unter 25 Jahren, dann braucht man innerhalb eines Jahres 26 Wochen (oder 28 Wochen, wenn man schon einmal Arbeitslosengeld bezogen hat).
Auf der anderen Seite gibt es aber viele Dienstverhältnisse, die vom Handel nur für einen kurzen Zeitraum angeboten werden. Speziell wenn es um Saisonarbeit geht – also das Weihnachtsgeschäft oder Urlaubsvertretung im Sommer. „Somit wären diese Formen der Anstellung auch missbräuchlich, wenn man der Argumentation des Handelsverbandes folgt“, so Hofbauer.
Zwischenparken beim AMS als gängige Praxis
Denn was die Aussendung vom Handelsverband verschweigt ist, dass es fast immer die Unternehmen sind, die kurzfristige Anstellungen ausnutzen. Nur um die Beschäftigten im Anschluss beim AMS zwischenzuparken. Diese Taktik wird vielfach von Unternehmen aus den Branchen Hotellerie, Gastronomie, Bau oder Leiharbeit angewendet. Sie wollen Arbeitnehmer:innen in der Zeit, in der weniger Arbeit anfällt, nicht weiterbezahlen.
Die negativen Folgen vom Zwischenparken beim AMS sind vielfältig und treffen Arbeitnehmer:innen stark. Außerdem wälzen die Unternehmen so Kosten auf die Allgemeinheit ab. Diese temporären Kündigungen kosten den Staat jährlich bis zu 500 Millionen Euro für die Arbeitslosenversicherung, wie das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) berechnet hat.
„Die Kosten, die Unternehmen hier für die Allgemeinheit verursachen, sollten von den Unternehmen auch getragen werden. Das könnte in Form eines Experience-Rating-Modells sein. Dabei zahlt ein Unternehmen höhere Arbeitslosenbeiträge, wenn dieses auch mehr Arbeitslosigkeit verursacht. Aber es kann auch sein, dass für die Zeit, in der die Mitarbeiter:innen beim AMS sind, die Arbeitslosenversicherung die Unternehmen übernehmen müssen“, meint Hofbauer von der AK.
Diesen Schaden richtet das Zwischenparken an
Zwischenparken beim AMS schadet nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch die Arbeitnehmer:innen. Denn für die Beschäftigten ist eine vorübergehende Kündigung in mehrerlei Hinsicht negativ. Zum einen verlieren die betroffenen Personen für Wochen und oft Monate ihr Einkommen und müssen von niedrigen 55 Prozent Arbeitslosengeld leben. Auch das 13. und 14. Gehalt reduziert sich durch das Zwischenparken erheblich. Zum anderen wirken sich häufige Phasen der Arbeitslosigkeit negativ auf die Pensionsansprüche aus.
„Man muss natürlich darüber diskutieren, wie man die Lohn- und Gehaltsverluste der Arbeitnehmer:innen ausgleichen kann“, sagt Hofbauer. Ein weiterer Grund, weshalb das Zwischenparken schädlich für die Arbeitnehmer:innen ist, sind die Lücken im Lebenslauf, die potenzielle Arbeitgeber:innen möglicherweise abschrecken. Die Beschäftigten akzeptieren diese Methoden oft stillschweigend, obwohl sie die negativen Konsequenzen kennen. Viele sagen sich: „Lieber eine Arbeit mit Phasen beim AMS, als keine Arbeit.“ Tatsächlich scheiterte Anfang des Jahres 2023 eine Reform, die mit dieser Praxis eigentlich Schluss machen wollte.
Chancen bieten, nicht verhindern
Gerade der Handelsverband und seine Mitglieder (rund 4.000 Handelsunternehmen) haben die Aufgabe, die Arbeit im Einzelhandel attraktiver zu gestalten. Auch das wird in der Aussendung nicht erwähnt. „Neben einer guten Bezahlung gehören zu guten Arbeitsbedingungen im Handel auch keine geteilten Dienstzeiten oder die Möglichkeit auf Vollzeitstellen, die der Handel nicht immer anbietet. Dazu gehören vorhersehbare und planbare Arbeitszeiten“, spricht Hofbauer zentrale Punkte an. Auch bei den KV-Verhandlungen im Handel 2023 zeigen sich die Unternehmen wenig kompromissbereit.
1% d #Arbeitslosenrate durch „Recalls“, also d Zwischenparken beim #AMS durch Unternehmer, kosten Arbeitnehmer:innen durch ihre Beiträge zur #Arbeitslosenversicherung eine halben Milliarde Euro pro Jahr. Über die #Vollkaskomentalität Wirtschaftstreibender: https://t.co/aeIQwCDD6c
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) November 5, 2022
Ganz generell, über alle Branchen hinweg, sieht Hofbauer die Unternehmen gefordert, Chancen für die unterschiedlichsten Menschen zu schaffen. So könnten sie Probleme bei der Besetzung von Stellen besser lösen. „Unternehmen müssen sich überlegen, dass sie Älteren, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Menschen mit Migrationsbiografie sowie Jugendlichen, die vielleicht nicht das beste Abschlusszeugnis haben, eine Chance auf einen Arbeitsplatz oder Lehrstelle geben.“ Chancen zu bieten und sie nicht durch das Zwischenparken beim AMS zu verhindern, das könnte eine Anregung für Unternehmen sein.