Stürmisch eben, wie Marianne Novotny-Kargl über ein Jahr Pandemie zusammenfasst. Dabei wirkt sie selbst wie ein Wirbelwind, energisch, optimistisch, entgegenkommend und ein kleines bisschen schrullig, wie man sich studierte Restaurator*innen ja irgendwie vorstellt. Wenn es im Kuratorium der Museen – ein Gremium, das mit einem Aufsichtsrat vergleichbar ist und dem sie als Betriebsrätin angehört – um Verschlechterungen für ihre 750 Kolleg*innen geht, wird sie aber zum Orkan.
Tiefe Einblicke
Betriebsratsmitglieder in Aufsichtsgremien wie Kurator*innen sind nicht unüblich, in Aufsichtsräten sind sie in Österreich sogar eine Selbstverständlichkeit – aber nur, weil es gesetzlich im Arbeitsverfassungsgesetz so festgelegt ist. Ein Drittel der Aufsichtsratsposten von Aktiengesellschaften und größeren GmbHs muss mit Betriebsrät*innen besetzt werden.
Das hat seine Vorteile: Im Aufsichtsrat kommt der Betriebsrat zu Informationen, die ganz wesentlich für die Interessenvertretung im Unternehmen sind. „Das betrifft insbesondere Details zu Unternehmensentscheidungen, die Auswirkungen auf Mitarbeiter*innen haben oder den Status und die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation“, erklärt Julia Böhm, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Erste Bank, und ergänzt: „Die Mitwirkungsmöglichkeit im Aufsichtsrat für den Betriebsrat ist essenziell, ganz unabhängig von der Pandemie.“ Ihr Pendant bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien, Eva Tatschl, sieht das ähnlich: „Wir bekommen so tiefe Einblicke in die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung des Unternehmens, die wir sonst nicht hätten.“
Besondere Verantwortung
In Österreich gibt es etwa 3.000 Betriebsrät*innen, die wie Julia Böhm und Eva Tatschl in den Aufsichtsrat, in ihrem Fall der der jeweiligen Bank, bestellt wurden. In der Natur der Sache liegt, dass es sich dabei um größere Unternehmen und Konzerne handelt. Etwa die Hälfte der Unternehmen, bei denen Betriebsrät*innen im Aufsichtsrat sitzen, hat mehr als 500 Beschäftigte, jedes zehnte sogar mehr als 5.000. Eine weitere dieser 3.000 Auserwählten ist Olivia Janisch im Aufsichtsrat der ÖBB-Holding AG. Die ÖBB wurden im vergangenen Pandemie-Jahr hart getroffen, wie sie zusammenfasst: „Die ÖBB hatten im Jahr 2020 einen Umsatzeinbruch von 700 Millionen Euro – hier gegenzusteuern und dabei das Wohl und den Schutz der Belegschaft immer im Fokus zu haben war eine besondere Verantwortung.“
Der Strukturwandelbarometer, der laufend von der Arbeiterkammer erhoben wird, zeigt etwas genauer, womit sich die Betriebsrät*innen im vergangenen Jahr herumschlagen mussten. Das mit Abstand häufigste Thema waren Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. In beinahe allen Unternehmen ging es notgedrungen um Homeoffice, aber auch um den Abbau von Urlaub und Gutstunden zur Reduktion von Rückstellungen in den Bilanzen. Kurzarbeit gab es in zwei von drei Unternehmen mit Betriebsrat.
„Im ersten Lockdown stellte sich die Frage, ob die ausgegliederten Bundesinstitutionen wie unsere Museen überhaupt Kurzarbeit beantragen können. Hier wurde vonseiten des Betriebsrates als auch von der Geschäftsführung bei den zuständigen Politiker*innen, nämlich bei der damaligen Staatssekretärin Ulrike Lunacek und Eva Blimlinger von den Grünen, interveniert. Die Arbeiterkammer und die GÖD standen uns dabei ständig beratend zur Seite“, erzählt Marianne Novotny-Kargl vom KHM-Museumsverband. Schließlich waren von Anfang April bis Ende Juni 2020 die Hälfte der 750 Beschäftigten ihrer Museen in Kurzarbeit.
Von Kurzarbeit in großem Ausmaß kann auch Olivia Janisch ein Lied singen: „Bei den ÖBB waren über 6.000 Kolleg*innen in Kurzarbeit. Hier hat die Belegschaft starken Zusammenhalt bewiesen, da auch jene Kolleg*innen in die Kurzarbeit gingen, die dies aufgrund ihrer vertraglichen Stellung nicht hätten tun müssen. Das nennt man gelebte Solidarität!“ Und sie ergänzt: „Die Kurzarbeit ist ein hervorragendes Beispiel dafür, warum die Sozialpartnerschaft Österreich erfolgreich gemacht hat.“
Sozialpartnerschaft reloaded
Im Prinzip bilden Betriebsrat und Management in ihrem Unternehmen so etwas wie eine „kleine Sozialpartnerschaft“. Eine Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2019 zeigt, dass diese Zusammenarbeit in der Regel sehr gut funktioniert. Jede*r fünfte der darin befragten Betriebsrät*innen gibt an, dass Beschlussfassungen im Aufsichtsrat „immer“ einstimmig erfolgen. Bei beinahe allen anderen gibt es Einstimmigkeit „fast immer“ oder zumindest „meistens“.
Dabei ist die Ausgangslage für die Betriebsrät*innen alles andere als einfach: Sie bestellen ein Drittel des Aufsichtsrats – und stehen damit einer Mehrheit von Kapitalvertreter*innen gegenüber. Häufig müssen sie entscheiden, ob sie ambivalente Auswirkungen von Unternehmensstrategien mittragen oder verhindern müssen, selbst wenn zu dem Zeitpunkt noch gar nicht klar sein kann, wie die Mitarbeiter*innen konkret betroffen sein könnten.
Ein korrektes Arbeitsverhältnis zwischen Betriebsrat und Management ist daher kein Nachteil – schließlich ist die Zusammenarbeit nicht auf etwa vier Aufsichtsratssitzungen reduziert, sondern viele Entscheidungen müssen in Vorbesprechungen abgestimmt werden. Die AK-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Fünftel der befragten Betriebsrät*innen die Zusammenarbeit als „sehr gut“ bewerten, über die Hälfte immerhin „gut“. Aber hat sich das im Laufe der Pandemie verändert?
Zusammenhalt stärker als Konflikte
Marianne Novotny-Kargl befindet: „Am Anfang der Pandemie war der Informationsaustausch zwischen Management und Betriebsrat sehr gut. Allerdings mussten wir des Öfteren die Geschäftsführung daran erinnern, Kolleg*innen im Homeoffice oder in der Kurzarbeit mehr Informationen zukommen zu lassen.“ Aber nicht nur das: „Manche E-Mails der Geschäftsführung mussten von uns auch extra erklärt werden.“ Im Großen und Ganzen habe die Krise aber einen Zusammenhalt bewirkt. Dem stimmen auch Julia Böhm von der Erste Bank und Eva Tatschl von der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien zu. Das Verhältnis zum Management und die Zusammenarbeit seien unverändert gut – auch der Umstieg auf Videokonferenzen habe dem keinen Abbruch getan.
Olivia Janisch von den ÖBB beschreibt ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein zwischen Management und Betriebsrat für alle Mitarbeiter*innen: „Die Kolleg*innen halten das Land auch in der Krise am Laufen und bringen Menschen und Güter sicher ans Ziel. Maßnahmen zum Schutz der Belegschaft haben immer oberste Priorität.“ Dazu gehört eine Taskforce mit einem Konzernkoordinator für das Krisenmanagement, eine eigene ÖBB-Corona-Ampel, eine Betriebsvereinbarung zur Durchführung von COVID-Tests und auch Homeoffice. Was nicht bedeutet, dass nicht da und dort hart verhandelt wurde und weiterhin wird: „Natürlich gab es im Aufsichtsrat auch intensive Debatten, die auch dieses Jahr zu führen sind. Die Folgen der Krise beschäftigen uns ja weiterhin, und die Herausforderungen insbesondere im Schienengüterverkehr sind groß.“
Schutz der Beschäftigten im Fokus
Banken als systemrelevante Betriebe mit intensivem persönlichem Kundenkontakt waren besonders herausgefordert, ihre Beschäftigten vor Infektionen zu schützen. Die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien richtete unter maßgeblicher Einbindung des Betriebsrats eine Taskforce namens „Team Gesundheit“ ein. Diese entschied alle erforderlichen Maßnahmen und koordinierte deren Umsetzung, vom Ankauf und der Verteilung von MNS- und FFP2-Masken über Luftreinigungsgeräte, kostenlose Selbsttests bis hin zur Umstellung auf Homeoffice. Nicht nur auf die körperliche Gesundheit wurde dabei geachtet – auch Betriebspsycholog*innen wurden verstärkt eingebunden.
Die Kurzarbeit ist ein hervorragendes
Beispiel dafür, warum die Sozialpartnerschaft Österreich erfolgreich gemacht hat.
Olivia Janisch, BR-Vorsitzende ÖBB
In den Museen hingegen war anfangs überhaupt nicht klar, ob und, wenn ja, welche Bereiche als sicherheits- und systemrelevant gelten. Kunstgegenstände kann man schließlich nicht mehrere Monate lang verstauben lassen. „Hier durchzusetzen, dass nicht nur der Sicherheitsdienst, sondern auch Restaurator*innen systemrelevant sind, war nicht so einfach“, berichtet Marianne Novotny-Kargl. Auch die Kurzarbeit war hart umkämpft – so gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen, bei denen zunächst nicht klar war, ob sie im Homeoffice weiterarbeiten können oder in Kurzarbeit geschickt werden. Der finanzielle Druck war groß, denn geschlossene Museen bedeuten einen starken Verlust an Einnahmen durch Tickets: „Es wurde hier entschieden, allgemein so viele Mitarbeiter*innen wie möglich in Kurzarbeit zu schicken. Die Geschäftsführung hatte zum damaligen Zeitpunkt keine klare Zusage, ob es eine Verlustabgeltung für den finanziellen Schaden durch die Pandemie geben wird.“
Strukturelle Veränderungen meistern
Der Strukturwandelbarometer der Arbeiterkammer zeigt, dass die Reaktionen der Unternehmen auf die Pandemie über kurzfristige Maßnahmen weit hinausgehen. Über die Hälfte der darin befragten Betriebsrät*innen berichtet von Umstrukturierungen und Einsparungsprogrammen. Als ein ebenso großes Thema wird aber auch die soziale Verantwortung gegenüber Mitarbeiter*innen gesehen. Ein Drittel der Unternehmen nutzt die Krise, um sich in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Ebenso viele versuchen Teile ihres Absatzes in das Internet zu verlagern.
Bisher steht fest: Um die Banken muss man sich wegen der Pandemie wenig Sorgen machen. Bei systemrelevanten Verkehrsbetrieben wie den ÖBB sieht das schon anders aus. Der ÖBB-Konzern musste ein 350 Millionen Euro schweres Sparpaket zur Schließung der krisenbedingten Finanzlücke schnüren. Olivia Janisch erklärt die Hintergründe, die über den augenscheinlichen Einbruch von Fahrgastzahlen und dem Güterverkehr hinausreichen: „Wesentliche Instrumente zur Stützung des Bahnsektors waren das Aussetzen des Infrastrukturbenützungsentgelts für alle Eisenbahnunternehmen und die Notvergabe auf der Westbahnstrecke.“ Gegengesteuert wurde bei den ÖBB zusätzlich mit Einsparungen beim Personal. COVID-bedingte Kündigungen konnten allerdings dank Kurzarbeit vermieden werden.
Es bleibt stürmisch
Was Kündigungen betrifft, deutet der Strukturwandelbarometer allerdings eine negative Entwicklung an. Während im September 2020 nur jede*r elfte Befragte von Kündigungen berichtete, war es im Jänner 2021 bereits jede*r sechste. Maßgeblich dürfte – selbstredend – das Infektionsgeschehen und vor allem der Fortschritt bei den Impfungen sein, was sich wiederum auf die Weiterführung der Kurzarbeit auswirken wird. Der Ökonom Gabriel Felbermayr, designierter Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO mit wirtschaftsliberaler Schlagseite, hat bereits durchklingen lassen: Seine Empfehlung laute, die Kurzarbeit bald auslaufen zu lassen. Arbeiterkammer und ÖGB warnen davor.
Der Sturm der Pandemie wird sich also so schnell nicht legen, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen werden uns noch lange beschäftigen. Vielleicht werden die Betriebsrät*innen in den Aufsichtsräten sogar noch stärker darin gefordert sein, „ihre Leute“ zu schützen. Als Fazit appelliert Marianne Novotny-Kargl dabei an die Unternehmer*innen: „Wenn es den Mitarbeiter*innen gut geht, dann wird es wohl auch dem Unternehmen gut gehen.“