Die Regierung legt nun die Sozialversicherung der ArbeitnehmerInnen in die Hände des Wirtschaftsbundes. Durch die paritätische Besetzung (gleiches Stimmenverhältnis von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern) des Verwaltungsrates der Österreichischen Gesundheitskasse bestimmen 100.000 Wirtschaftstreibende über die Gesundheitsversorgung von rund 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen und ihren Angehörigen, insgesamt rund sieben Millionen Versicherte.
Auf das Wohlwollen angewiesen
Das ist ein Rückschritt ins 18. Jahrhundert, als das Wohlwollen der „Diensthälter“, „Fabrikanten“ und „Gewerbetreibenden“ die Krankenversorgung der „Dienstnehmer“ bestimmte.
Es war immer schon für das Selbstverständnis der ArbeitnehmerInnen wichtig, sich von Abhängigkeiten vom Arbeitgeber und dessen Bevormundungen zu befreien. Bis zum Spätmittelalter war es „traditioneller Brauch“ und „alte Gewohnheit“, dass Dienstherren für ihre kranken Dienstpersonen zu sorgen hatten.
Dieser Grundsatz entsprach dem sogenannten Schutz-Treue-Verhältnis zwischen Vater und Kind, Herr und Diener im patriarchalischen Hausverband, egal, ob es sich bei den Dienstherren um Fürsten, Grundherren, Beamte, Kaufmänner, Handwerker oder Bauern handelte.
Bereits im 14. und 15. Jahrhundert emanzipierten sich die Handwerksdiener aus dieser „Schutzgewalt“ des Meisters und wurden mehr und mehr als selbstständige Arbeiter angesehen. Sie waren unter der Bezeichnung „Geselle“ gegen Lohn bei der Ausführung eines Werkes behilflich und nicht mehr im patriarchalisch-häuslichen Sinn dienstbar.
Selbst zu unterhalten
Demzufolge war beispielsweise in der General-Handwerksordnung aus 1527 für Niederösterreich festgelegt, dass sich der Handwerksgeselle im Krankheitsfall selbst zu unterhalten habe.
Damit die Gesellen in diesem Fall nicht vor dem Nichts standen, errichteten Handwerker unter anderem sogenannte „Gesellenbüchsen“, in die sie einzahlten, um im Krankheitsfall daraus versorgt zu werden. Das ist nichts anderes als eine selbstorganisierte Krankenversicherung.
Im 17. und 18. Jahrhundert kam es allgemein in der ständischen Gesellschaft zu einem Rückfall in patriarchalische Ge-pflogenheiten. In der Zeit des „Vormärzes“ bis zur Revolution von 1848 kam die Gesetzgebung generell zum Stillstand. Ins-besondere die Untätigkeit und Gleichgültigkeit des „absoluten“ Staates gegenüber der „sozialen Frage“, die durch die sich auch in Österreich ausbreitende industrielle Revolution immer drängender wurde, forderte die Selbsthilfefähigkeiten der ArbeiterInnen heraus.
Noch im Juni 1848 wurde der „Allgemeine Arbeiterverein“ gegründet, der ein Arbeiterparlament und die Errichtung von Kranken- und Invalidenkassen mit Beihilfe des Staates forderte.