Traditionell dominieren bei der sozialen Gerechtigkeit in der EU die nordischen Länder das Spitzenfeld.
Traditionell dominieren bei der sozialen Gerechtigkeit in der EU die nordischen Länder das Spitzenfeld: In Dänemark, Schweden und Finnland liegt der hochgerechnete Index (Daten aus 2017) zwischen 7,14 und 7,39.
Verschiedene Geschwindigkeiten
Die Hälfte beträgt er beim unveränderten Schlusslicht Griechenland (3,70). Auch Länder wie Rumänien, Bulgarien und der EU-Gründerstaat Italien schneiden schlecht ab (3,99 bis 4,84). Der EU-Durchschnitt wird mit 5,85 angegeben, Österreich erreicht 6,69. Bemerkenswert ist, dass sich Tschechien als Teil des seinerzeitigen kommunistischen Blocks auf Rang vier vorgearbeitet hat (6,84).
2019 greifen die alten EU-Länder gerne auf günstige Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten zurück.
Eine EU verschiedener Geschwindigkeiten ist längst Realität: Den Euro haben (noch) nicht alle Mitgliedstaaten eingeführt, am Schengen-Abkommen über den Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen haben einige nie teilgenommen – manche, darunter Österreich, haben es derzeit ausgesetzt. Hinzu kommt, dass die EU-Erweiterung um Ostdeutschland und die anderen ehemaligen kommunistischen Länder Ost- und Südosteuropas dort mitunter als eine Form von „Wirtschaftskolonialismus“ empfunden wurden. Demgegenüber greifen 2019 die alten EU-Länder, aber auch Österreich gerne auf günstige Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten zurück, seien es Handwerker oder vor allem die Pflegerinnen aus Bulgarien, Rumänien oder der Slowakei. Diese lassen ihre Kinder wochen- oder monatelang als (Halb-)Waisen in einer trost- und empathielosen Umgebung zurück – ein Problem, das „der Westen“ jedoch ausblendet.
Rechte Lügen
Die SPÖ-EU-Delegationsleiterin Evelyn Regner geht ebenfalls hart mit den Schreihälsen ins Gericht: „Es sind die Lügen der Rechten und Populisten, die Europa spalten. Und das Brexit-Chaos führt uns momentan jeden Tag vor Augen, was passiert, wenn diese Taktik der Europa-Zerstörer Erfolg hat.“ Auch die Gewerkschafterin, seit zehn Jahren Europaparlamentarierin, unterstreicht den Gemeinschaftsgedanken. „Wir müssen ganz deutlich aufzeigen, dass wir den aktuellen Herausforderungen nur gemeinsam begegnen können. Kein Zaun und keine Mauer wird den Klimawandel aufhalten. Das Versprechen, das die EU den Menschen macht, ist ein Leben in Frieden und Demokratie in einem vereinten Europa. Dafür werden wir auf der ganzen Welt beneidet. Und darauf müssen sich alle EU-BürgerInnen verlassen können“, so Regner. „Wenn manche PolitikerInnen und Regierungen das heute nicht mehr so sehen, dann sollte man sie daran erinnern, dass jeder Mitgliedstaat sich mit dem Beitritt zur wirtschaftlichen und politischen Integration verpflichtet hat.“
Kein Zaun und keine Mauer wird den Klimawandel aufhalten.
Auch Grünen-Kandidatin Monika Vana möchte eine weitere Legislaturperiode im EU-Parlament arbeiten. Sie sieht die EU im Moment durch zwei Trennlinien politisch gespalten: Auf der einen Seite durch das Erstarken von rechtspopulistischen Parteien. Auf der anderen Seite nimmt sie die EU-Kommission genauso wie einzelne Regierungen in die Pflicht, die unverändert dem Credo der „Liberalisierungs-, Privatisierungs- und Handelsabkommen ohne Beschränkungen huldigen“. „Marktliberale Wirtschaftsdogmen und eine verheerende Kaputtsparpolitik machen die EU in den Augen vieler Menschen zum Vehikel des Neoliberalismus statt zum Instrument, die europäische Integration aktiv zu gestalten.“ Europa sei dann stark, „wenn es für die Schwächsten da ist“. Deshalb müsse die EU zu einer Sozial- und Klima-Union werden.
Dass es in der EU keineswegs nur Kräfte gibt, die die politische Einigung vorantreiben wollen, zeigt das Beispiel der FPÖ. Spitzenkandidat und FP-Generalsekretär Harald Vilimsky will generell „weniger Europa“. Ähnlich wie die Protagonisten des Brexit setzt auch er sich dafür ein, dass sich die Länder Macht „zurückholen“. Im Europäischen Parlament setzt er auf die Zusammenarbeit mit anderen rechtsnationalen Parteien. Die FPÖ schloss sich im Wahlkampf der von Italiens Vize-Premier Matteo Salvini (Lega) initiierten „Allianz der europäischen Völker und Nationen“ an, in der etwa die Alternative für Deutschland (AfD), der Rassemblement National (RN, früher: Front National) von Marine Le Pen oder die niederländische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders vertreten sind.
Top-Player
Doch zurück zu den Ungleichgewichten in der Europäischen Union. Hier gibt es – jedenfalls aus Sicht von ArbeitnehmerInnen – einiges zu beheben. Aber spielt das Europäische Parlament hier überhaupt eine Rolle? „In den letzten Jahrzehnten ist das Europäische Parlament zu einem Top-Player in der EU-Gesetzgebung aufgestiegen“, hält AK-Experte Frank Ey fest, der selbst jahrelang im Brüsseler Büro der ArbeitnehmerInnen-Vertretung gearbeitet hat. „Bei den allermeisten Legislativvorhaben entscheidet das europäische Hohe Haus gleichrangig mit Rat und Europäischer Kommission über neue Gesetze mit.“
Bedeutende Mitsprache
So bestimmt es bei folgenden Themen mit, die für ArbeitnehmerInnen von Bedeutung sind: in der Sozial- und Beschäftigungspolitik, worunter unter anderem ArbeitnehmerInnenschutz oder Förderprogramme gegen Jugendarbeitslosigkeit fallen. Auch im KonsumentInnenschutz spielt es eine wichtige Rolle, bei Wirtschaftsthemen, dem Klimawandel, dem EU-Budget, der Agrarpolitik oder der Gesundheitspolitik. Auch gelang es dem Europäischen Parlament, seinen Einfluss auszuweiten. So war es in Steuerfragen nicht in Entscheidungen eingebunden. Angesichts der Steuerskandale ist es den ParlamentarierInnen gelungen, so viel politischen Druck aufzubauen, dass das Parlament nun ein Wörtchen mitzureden hat.
Angesichts der Steuerskandale ist es den ParlamentarierInnen gelungen, so viel politischen Druck aufzubauen, dass das Parlament nun ein Wörtchen mitzureden hat.
„In fast allen Bereichen ist die Verabschiedung von neuen EU-Gesetzen damit nur unter Mitwirkung des Europäischen Parlaments möglich“, so Ey. Es lohnt sich deshalb für die ArbeitnehmerInnen, sich die Wahlprogramme genau anzusehen und zu überprüfen, welche Auswirkungen sie haben. Jedenfalls sollten die WählerInnen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. AK-Experte Ey: „Wer darauf verzichtet, am 26. Mai wählen zu gehen, überlässt anderen die Entscheidung, wie künftig im Europäischen Parlament Politik gemacht wird – und gibt damit die Möglichkeit, darüber selbst zu bestimmen, aus der Hand.“
Tipp:
Im Online-Magazin der A&W erscheint
Mitte Mai ein EU-Schwerpunkt:
www.arbeit-wirtschaft.at
Analyse von Frank Ey im AK-infobrief eu und
internationales Nr. 1/2019
wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief
Heike Hausensteiner
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/19.
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