Zeitdruck und konstanter Stress

5.500 Frauen arbeiten derzeit in Wiens Industriebetrieben. Eine AK-Studie zeigt, dass sie besonders unter Zeitdruck sowie der Doppelbelastung leiden.
So leben wir heute. Wiener Indus­triearbeiterinnen berichten über ihr Leben: So lautet der Titel einer aktuellen Studie der Arbeiterkammer Wien. Als Vorbild dafür diente jene von Käthe Leichter aus dem Jahr 1932. Leichter war eine der ersten Sozialwissenschafterinnen Österreichs und erste Leiterin des Frauenreferats der AK Wien. Leichter rückte mit ihrer bahnbrechenden Forschungsarbeit mit dem Titel „So leben wir … 1.320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“ erstmals die Arbeiterinnen ins Zentrum der Forschung. Die aktuelle Studie, die von der AK Wien in Kooperation mit der Stadt Wien (MA 57 und MA 23) in Auftrag gegeben wurde, begibt sich auf diese Spuren.

85 Jahre nach der ersten Studie über Industriearbeiterinnen hat sich wenig verändert.
55.000 Industriearbeiterinnen arbeiteten im Jahr 1931 in Wien. Heute sind es noch 5.500. Die AK wollte wissen, wie diese Arbeiterinnen leben, wie sich ihr Arbeitstag gestaltet und wie sich der rasante Wandel auf ihre Arbeitsbedingungen auswirkt. Für die Untersuchung wurden mehr als 300 Arbeiterinnen befragt. Dabei zeigt sich: 85 Jahre nach der ersten Studie über Industriearbeiterinnen hat sich wenig verändert. Zeitdruck und Doppelbelastung durch Job und Haushalt bestehen nach wie vor.

Große Branchenunterschiede

Die Arbeitsbedingungen sind je nach Branche und Tätigkeitsbereich sehr unterschiedlich.
Die meisten Industriearbeiterinnen sind heute in der Nahrungsmittelproduktion tätig, gefolgt von „Herstellung sonstiger Waren“, wie zum Beispiel Schmuck oder medizinischen Apparaten, dann Elektro-, Pharma- und Metallindustrie. Die Arbeitsbedingungen sind je nach Branche und Tätigkeitsbereich sehr unterschiedlich. Wenige, gutverdienende Arbeiterinnen in männerdominierten Industriezweigen stehen einer Vielzahl von Arbeiterinnen mit sehr geringen Einkommen in frauendominierten Niedriglohnbranchen gegenüber. So verdienen 55 Prozent der befragten Arbeiterinnen trotz Vollzeit unter 1.500 Euro netto.

Bei Arbeiterinnen, die nicht in Österreich geboren sind, beträgt dieser Anteil sogar 70 Prozent. Nur circa elf Prozent verdienen 2.000 Euro netto oder mehr. Kein Wunder also, dass fünf von zehn Frauen angeben, mit ihrem Einkommen gerade so auszukommen. 10 Prozent sagen sogar, dass es nicht reicht. Und sechs von zehn geben wiederum an, Schulden zu haben.

Takt von der Maschine vorgegeben

Häufig klagen die Arbeiterinnen über großen Zeitdruck und konstanten Stress.
Während sich die Wohnsituation der Arbeiterinnen im Vergleich zu 1932 deutlich verbesserte und die Arbeitssituation heute weniger prekär ist, klagen die Arbeiterinnen sehr häufig über großen Zeitdruck und konstanten Stress. „Der Takt wird von der Maschine vorgegeben“, so beschreiben und kritisieren viele Arbeiterinnen die Produktionsabläufe.

Der Großteil der Befragten ist ständigem Arbeitsdruck ohne Zeit zum Verschnaufen ausgesetzt. Ganz besonders schwer haben es jene Frauen, die neben der Erwerbsarbeit auch noch Betreuungspflichten zu schultern haben. „Noch immer wird ein Großteil der Haushalts- und Betreuungsarbeiten von Frauen geleistet, der Zeitdruck durch Vollzeitbeschäftigung und Reproduktionsarbeit ist enorm, Erschöpfung und Zeitnot sind ein Kennzeichen der Arbeiterinnen damals wie heute“, heißt es in der Studie.

Weitere Belastungsthemen, die in den einzelnen Branchen nach wie vor bestehen, sind in erster Linie Hitze und Kälte. Dazu kommen starke Temperaturschwankungen, Lärm und Staub sowie einseitige körperliche Belastungen, wie etwa langes Stehen.

Weiterbildung und Digitalisierung

Großen Handlungsbedarf gibt es bei den Themen Weiterbildung und Digitalisierung.
Großen Handlungsbedarf gibt es bei den Themen Weiterbildung und Digitalisierung. Vier von zehn Arbeiterinnen geben an, dass sie mit den Weiterbildungsmöglichkeiten unzufrieden sind. So berichtet der Großteil der Befragten, dass ihnen zumeist nur vor Ort gezeigt wird, was zu tun ist, eine Aus- oder Weiterbildung im eigentlichen Sinne wird nicht angeboten. Auch in Bezug auf die Digitalisierung schildern die Industriearbeiterinnen, dass sie nicht eingebunden werden – obwohl die damit verbundenen Veränderungen der Arbeitsprozesse gerade auch Arbeiterinnen stark betreffen.

Die Studie:
tinyurl.com/yanuvdca

Von
Amela Muratovic

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/19.

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Über den/die Autor:in

Amela Muratovic

Amela Muratovic, geboren 1983 in Bosnien und Herzegowina, seit 2009 Redakteurin in der ÖGB-Kommunikation. Zuständig unter anderem für die ÖGB-Mitgliederzeitschrift Solidarität und die Bereiche Frauen, Gleichstellung und Anti-Diskriminierung. Regelmäßige Beiträge für die Arbeit&Wirtschaft.

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