Inflation, Übergewinne, Lohnrunden: Wolfgang Katzian im Interview
Arbeit&Wirtschaft: Wie vergangene Woche von der Statistik Austria bekanntgegeben, beträgt die Inflationsrate für Juli 9,3 Prozent. Der Miniwarenkorb, also der Messwert für die Wocheneinkäufe 19 Prozent. Und laut Expert:innen ist sie weiter am Steigen. Was beunruhigt Sie dabei am meisten?
Wolfgang Katzian: Am meisten beunruhigt mich, dass die Inflationsrate Monat für Monat weiter steigt und jeder Prozentpunkt mehr an Inflation einen weiteren Kaufkraftverlust für die Leute bedeutet. Wir haben bereits im März Alarm geschlagen und davor gewarnt, dass die Inflation Dimensionen annehmen wird, die gewaltig sind. Das hat sogar dazu geführt, dass es zu einem gemeinsamen 9-Punkte-Antiteuerungs-Maßnahmenkatalog der Sozialpartner und der IV gekommen ist. Und seit dem – wir waren damals bei fünf Prozent Inflation, jetzt sind wir bei über neun Prozent und mehrere Ökonomen sprechen von einer zweistelligen Inflationsrate für die kommenden Monate – zieht sich alles wie ein Strudelteig.
Was sind Ihre Eindrücke aus den Gesprächen mit der Regierung. Was hat Sie bisher positiv überrascht und wo gibt es aus gewerkschaftlicher Sicht Luft nach oben?
Das erste Positive ist, dass die aktuelle Regierung immer wieder mit uns spricht. Denn die vorherige türkis-blaue Regierung hat eher selten bis gar nicht mit uns gesprochen. Das zweite Positive ist, dass sie sich auch Zeit genommen haben, die Vorschläge der Sozialpartner mit uns zu diskutieren und auch sagen, sie rechnen die durch. Was mich dann doch enttäuscht hat, ist, dass alles so langsam geht und es zu keiner politischen Entscheidung kommt. Wir Gewerkschafter ticken da anders. Denn ich denke mir, wenn ich von JEMANDEM was will, dann gehe ich zu IHM hin und sage, setzen wir uns zusammen und reden wir darüber. Wenn er nein sagt, dann ist es ein nein und ich muss mir überlegen, wie ich Druck machen kann, dass ich doch was erhalte.
Wie lange sollte die Regierung angemessener Weise noch beobachten?
Damit das Beobachten beschleunigt und das Fernglas schärfer gestellt wird, machen ÖGB und alle Gewerkschaften am 17.9.2022 eine große Demonstration. Wir gehen in allen Bundesländern auf die Straße machen deutlich, wie wichtig es uns ist, dass mehr Maßnahmen gesetzt werden als die bisherigen und vor allem, dass es schneller gehen muss.
Das WIFO berechnete für Juni, dass Österreich der höchste Reallohnverlusts seit 1955 drohe und bezifferte den Rückgang um 2,3 Prozent. Das bedeutet einen großen Kaufkraftverlust? Was heißt das für die kommende Herbst-Lohnrunde?
Das ist eine große Herausforderung für die Gewerkschaften. Aber die Lohnpolitik alleine kann diesen Kaufkraftverlust nicht kompensieren. Daher brauchen wir neben Lohnerhöhungen auch Maßnahmen, um die Inflation zu dämpfen. Wie gesagt, der ÖGB macht seit März regelmäßig Vorschläge. Mit der weiter steigenden Inflation sind der Strompreis- und der Energiepreisdeckel entscheidend. Darüber hinaus müssen wir was bei den Lebensmitteln und den Gütern des täglichen Bedarfs, also von der Zahnpasta bis zum Brot, sowie beim Wohnen tun. Denn mittlerweile ist vielen die Miete bereits zwei Mal in diesem Jahr erhöht worden und wenn es so weiter geht, wird sie noch ein drittes Mal erhöht. Das werden sich nicht mehr viele leisten können.
Ziel muss es sein, dass die Kaufkraft erhalten bleibt. Um das langfristig zu sichern, muss sich auch an den Rahmenbedingungen etwas ändern. Das heißt konkret, ich muss die Löhne und die Steuern auf Vermögen nachhaltig verändern. Sonst können die Leute auf Dauer nicht mehr von ihrer Arbeit leben. Geschweige denn gut von ihrer Arbeit leben. Gelingt das nicht, dann wird auch die Wirtschaft keine Freude mehr haben. Wenn die Leute kein Geld haben, dann kann auch niemand die Dinge mehr kaufen. Daher müsste die Wirtschaft selbst größtes Interesse daran haben, die Kaufkraft zu erhalten und sogar auszubauen.
Wir haben bereits im März Alarm geschlagen und davor gewarnt, dass die Inflation Dimensionen annehmen wird, die gewaltig sind.
Was heißt das konkret für die kommenden Lohnverhandlungen?
Da sind wir bei der Frage, wie Löhne zustande kommen. Die Gewerkschaften verhandeln seit vielen Jahren nach einem bestimmten Grundmuster. Grundlage ist die rollierende Inflation der letzten zwölf Monate. Diesen Wert stellen wir vor Beginn der Verhandlungen mit den Arbeitgebern außer Streit. Dazu kommen dann noch die Produktivitäts- sowie Gewinnentwicklung, die Wachstumsentwicklung in einer Branche und viele weitere Paramater. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die es dann gibt, sind Verhandlungssache und auch die Frage der Stärke der jeweiligen Partner, die sich gegenübersitzen (Anm.: Die Machtfrage stellt sich akut bei den Metaller KV-Verhandlungen 2022.)
Warum wird die rückwirkende, also die rollierende Inflation, für die Berechnung der Lohnerhöhungen herangezogen und nicht beispielsweise die aktuelle Inflation oder die Inflationsprognose für dieses oder nächstes Jahr?
Basis für die Verhandlungen ist nach wie vor die sogenannte Benya-Formel. Die rollierende Inflation ist ein ganz wichtiger Aspekt dabei. Würden wir beispielsweise die aktuelle Monats-Inflation zum Zeitpunkt des Verhandlungsstarts als Grundlage wählen, wäre der Betrachtungszeitraum zu kurz. Da würden die Arbeitnehmer:innen dann leicht einmal um viel Geld umfallen, wenn in dem Monat die Inflation niedriger wäre als in den Monaten davor oder danach. Würde man die Inflationsprognosen als Verhandlungsbasis nehmen, müsste man sich zuerst drüber streiten, welche Prognose man für die Verhandlungen heranzieht. Wenn die Prognosen zu niedrig sind, fallen die Arbeitnehmer:innen wieder um ihr Geld um. Die zurückliegenden zwölf Monate sind hingegen gesichert. Die Inflation hat stattgefunden und um diesen Wert mindestens muss der Lohn angepasst werden.
Mit der rollierenden Inflation als Basis für die Lohnverhandlungen ist auch die Behauptung widerlegt, wir hätten eine Lohn-Preis-Spirale. In Österreich haben wir nie eine Lohn-Preis-Spirale gehabt. Wer das behauptet, redet im wahrsten Sinne des Wortes Humbug. Wenn man die letzten 12 Monate der Preisentwicklung als Grundlage nimmt, dann folgen die Löhne den Preisen und nicht die Preise den Löhnen, wie manche gerne behaupten. Aber natürlich ist der Nachteil dieser Vorgehensweise, dass es bei den aktuellen Inflationshöhen in diesem Jahr zu einem Reallohnverlust kommt, der erst im nächsten Jahr mit der dann 12 Monate zurückliegenden Inflation wieder ausgeglichen wird.
Gibt es da konkrete Beispiele?
Nehmen wir etwa die diesjährige Frühjahrslohnrunde der Papierindustrie. In der Papierindustrie ist im April 2022 ein Abschluss von 4,9 Prozent erreicht worden. Die zurückliegende rollierende Inflation war 3,5 Prozent. Das heißt, der Abschluss war 1,4 Prozent real über der Inflationsrate. Also ein Reallohnzuwachs in diesem Bereich. Wenn in dem Monat, in der wir 4,9 Prozent ausverhandeln, die Inflation bei 7,2 Prozent liegt, scheint das nicht zufriedenstellend. Deshalb ist es wichtig, immer wieder auf den Unterschied zur aktuellen und rollierenden Inflation hinzuweisen.
Das Preisniveau wird nicht mehr sinken, nur die Teuerungsrate wird prozentuell irgendwann zurückgehen. Bei den vorgestellten Maßnahmen der Regierung handelt es sich zum großen Teil um Einmalzahlungen. Wird das reichen?
Das Problem einer Einmalzahlung ist das Wort „einmal“ und das heißt, das gibt es genau einmal. Einmalzahlungen wirken, wenn ich weiß, dass die Preise in ein bis zwei Monaten wieder sinken. Dann kann ich sagen, ok, du kriegst eine Einmalzahlung und nachher ist alles wieder gut. Nur so ist es nicht. Die Preise bleiben hoch. Die Frage wäre daher, wann gibt es die nächste Einmalzahlung und das ist nicht nachhaltig. Wir bevorzugen hingegen Lösungen, die nachhaltig sind. Daher sind nachhaltige Lohnerhöhungen auch in der Kollektivvertragspolitik wichtiger als Einmalzahlungen.
Eine weitere Forderung ist die Aktivierung der Preiskommission. Dazu hat die AK mitgeteilt, eine Aufforderung an Minister Kocher zur Einberufung zu senden. Warum?
Als Sozialpartner haben wir bereits im März gesagt, es braucht eine Kommission mit Zähnen, die auch in der Lage ist, konkret etwas zu tun. Denn wenn wir von einer Preiskommission oder wie wir sagen „Anti-Teuerungskommission“ sprechen, dann meinen wir eine Kommission, die auch eine Gestaltungsmöglichkeit hat. Gemacht hat die Regierung hingegen eine Arbeitsgruppe, wo neben vielen anderen auch wir vertreten sind. Das Resultat war ein Katalog mit 200 Punkten und dann war nichts. Es gab in drei Monaten zwei Sitzungen.
Wann hat aus Ihrer Sicht die Anti-Teuerungkommission Biss?
Ich sehe sie wie die begleitende Kommission bei der Einführung des Euros. Die ist eingeschritten, wenn einzelne Unternehmen etwa probiert haben, den Preis gleich 1:1 von Schilling in Euro zu ändern. Und so eine Möglichkeit wünschen wir uns jetzt auch. Konkret geht es darum, dass die Antiteuerungskommission in der Lage sein soll, Preiskontrollen durchzuführen. Und zwar echte, vor Ort und auch Betriebsprüfungen. Sie soll prüfen, ob die Angaben, die gemacht wurden, auch tatsächlich stimmen. Und sie muss in der Lage sein, Beschwerden aus der Bevölkerung aufzunehmen, Maßnahmen vorzuschlagen und mit entsprechendem Druck an die Öffentlichkeit gehen, damit sie auch umgesetzt werden. Das wäre zehnmal gescheiter als ein Arbeitskreis und aus unserer Sicht sehr dringend.
Woran machen Sie die Dringlichkeit fest?
Wie dringend das ist, haben wir bei der Untersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde zu den Tankstellenpreisen gesehen. Da wurde nachgewiesen, dass die Preissteigerungen teilweise über der Entwicklung des Rohölpreises gelegen sind und sich viele einfach ein Körberlgeld gemacht haben. Es ist daher ganz wichtig zu zeigen, dass die Treiber heute andere sind als jene, die für die Inflation in den 70iger Jahren.
Welche sind die heutigen Treiber?
Neben den Energiepreisen mit knapp 40% Anteil, sind mit 50% Gewinne die Haupttreiber der steigenden Inflationsrate. Der Anteil der Löhne beträgt nicht einmal sieben Prozent. Da muss man sagen, dass es offensichtlich eine Reihe von Unternehmen und teilweise Branchen gibt, die die Verwerfungen aus der Corona Krise gemeinsam mit dem Krieg und der Energiekrise nutzen, um richtig, richtig gut zu verdienen. Also wenn jemand sagt wir haben eine Preisspirale, dann reden wir von einer Gewinn-Preis-Spirale und nicht über eine Lohn-Preis-Spirale. Eine Antiteuerungskommission wäre in der Lage genau dort hinzusehen und die entsprechenden Vorschläge zu machen.
Sind die Preiserhöhungen in unterschiedlichen Sektoren verhältnismäßig oder verdient da nicht jemand enorm mit, wenn etwa die Ladung eines Flüssiggastankers beim Befüllen in den USA etwa 59 Mio. Dollar wert ist und bei Ankunft in Europa knapp über 270 Mio Dollar?
Das Beispiel und viele andere, wo Preise wundersam steigen, zeigen, dass der Markt nicht nur auf Angebot und Nachfrage reagiert, sondern dabei auch Gewinnerwartung und die Gewinnaussicht eine ganz, ganz große Rolle bei der Preisentwicklung spielen. Da werden die Marktliberalen wieder sagen, aber das ist ja der Sinn und Zweck des Marktes. Darauf antworte ich: Ja eh, aber nicht am Rücken der Leute. Und genau das passiert gerade.
Da werden die Marktliberalen wieder sagen, aber das ist ja der Sinn und Zweck des Marktes. Darauf antworte ich: Ja eh, aber nicht am Rücken der Leute. Und genau das passiert gerade.
Da sind wir beim Thema Übergewinne und der Forderung nach Besteuerung von Übergewinnen. Wie kann eine Abschöpfung der Übergewinne aussehen?
Wie im Detail die Lösung aussehen kann, da gibt es unterschiedliche Modelle. Ich bin für alles offen, wenn es eine gerechte Geschichte ist und wenn diejenigen, die nichts für den Gewinn geleistet haben, ihren Beitrag in der aktuellen Situation leisten. Denn Übergewinn heißt ja, dass ich nichts dazu beigetragen habe, aber dennoch einen Gewinn mache, mit dem ich nicht gerechnet habe, wie etwa die Energieunternehmen. Weder Sonne, Wind noch Wasser sind teurer geworden und dennoch explodieren die Preise auf Grund des Merit-Order-Prinzips. So ist der Gaspreis heute um 450 Prozent höher als vor Beginn des Ukraine Krieg. Da steckt keine großartige Leistung irgendeins Unternehmens dahinter. Da war genau null Leistung.
Was soll mit den Einnahmen aus der Besteuerung passieren?
Sie müssen zur Finanzierung des Strompreis- und Gaspreisdeckel verwendet werden. Unser Vorschlag funktioniert folgendermaßen: Es gibt einen bestimmten Durchschnitt im Energieverbrauch für einen 2-Personen-Haushalt. Das sind etwa 3.500 Kilowattstunden pro Jahr. Dieser Grundbedarf, den man braucht, damit man existieren kann in unserer entwickelten Gesellschaft, ist zu deckeln. Hat jemand zwei Teslas und lädt sie zu Hause auf, dann soll er den Marktpreis dafür bezahlen. Das bedeutet, das Energieunternehmen kann für 3.500 Kilowattstunden Grundbedarf von seinen Kund:innen nicht mehr verlangen. Da die Energieunternehmen dennoch zum Marktpreis einkaufen, muss die Differenz jemand zahlen. Da ist unser Vorschlag, dass wir die Übergewinne, die da sind, genau dafür verwenden, um die Maßnahmen zu finanzieren.
Gibt es Zahlen, wie hoch die Übergewinne sind?
Die Europäische Energieagentur hat berechnet, dass die Übergewinne in etwa 200 Milliarden Euro betragen. Wenn 100 Milliarden Euro, also die Hälfte der Übergewinn verwendet werden, um den Menschen einen Teil dessen, was die Preissteigerungen bei Strom und Gas ausmachen zurückgeben, dann wäre das schon eine gewaltige Geschichte. Die andere 100 Milliarden Euro können Energieunternehmen für Investitionen in Erneuerbare Energie verwenden. Im Übrigen bin ich dagegen, dass die Energieunternehmen doppelt gefördert werden, weil die können das sowieso absetzen und ein „doppelt gemoppelt“, das brauchen wir nicht.
Der IV-Chefökonom Christian Pochtler meinte, dass man in Bezug auf die Abschöpfung von Übergewinnen mit Sommernachtsträumereien aufhören sollte, da man damit den Boden der Marktwirtschaft verlässt. Wie passt das vor dem Hintergrund der Förderungen der COFAG zusammen? Wie ist das den Lohnsteuerzahler:innen zu erklären?
Das kann man gar nicht erklären. Immer wenn es darum geht, dass der Markt nicht funktioniert und es Eingriffe gibt, damit die Gesellschaft keinen Schaden nimmt, wird gerufen: Um Gottes willen, man darf doch nicht in den Markt eingreifen, man brauche nichts tun, denn der Markt löst eh alle Probleme alleine. Wenn wir das als Arbeiterbewegung geglaubt hätten, dann hätten wir heute beispielsweise keinen einzigen Kollektivvertrag. Das Ziel des Markts ist es, Kohle zu machen, Geld zu verdienen und zu vermehren, aber nicht, dass soziale Strukturen sich entwickeln können und die Leute eine gute Basis zum Leben haben. Genau das ist aber unsere Zielsetzung, ein gutes Leben für alle. Das geht mit dem Markt alleine nicht. Da braucht es auch andere Dinge, wie den Sozialstaat. Und der Markt braucht Spielregeln und Grenzen. Das ist wie bei einem Fußballmatch ohne Regeln. Da würde es zugehen. Es braucht einen Schiri, der auch einmal hineinpfeift und es braucht gelbe Karten.
Abschließend Ihre Prognose, wann wird die Inflationsrate nachhaltig sinken?
In Friedenszeiten gibt es weniger Inflation. Also den Krieg zu beenden, das wäre schon eine gute Sache. Daher steht auf der Agenda aller Gewerkschaften, weltweit, ganz oben: Frieden.