Wohlstandsverlust: Abschwung und Stagflation
In Deutschland orten Experten wie Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung bereits einen makroökonomischen Schock, der im Zuge der Ukraine-Invasion gesät wurde und sich nun ausbreitet. In Österreich zeichnet sich für 2023 eine Stagflation ab. Höhere Energiekosten für die Betriebe führen zu weniger Investitionen und dazu, dass weniger Mitarbeiter:innen eingestellt werden. Und die Haushalte haben immer weniger Geld, um zu konsumieren. Das führt zu einem Wohlstandverlust. „Wir haben heuer vier Prozent Kaufkraftverlust. Wir verfügen über Zahlen seit 1960, und das ist seit damals der bei weitem größte Kaufkraftverlust“, betont Picek. Haupttreiber der Teuerung sind die Energiepreise; dazu kommen noch die Lebensmittelpreise. Ein Beispiel von vielen: Ein einziger Paprika kostet aktuell im Supermarkt 1,49 Euro.
Wer kann, greift auf Ersparnisse zurück, um die Auswirkungen der Inflation ein wenig abzufedern. Doch viele Österreicher:innen können das nicht – sie haben keine Ersparnisse. Der Fiskalrat – ein zur Überwachung der Fiskaldisziplin Österreichs bestelltes Gremium – warnte vor kurzem, dass ein Drittel aller Haushalte im Land keine Rücklagen hat, um mit den rasant steigenden Preisen Schritt zu halten. In Wien zahlt ein Durchschnittshaushalt an die Energiemärkte 430 Euro pro Jahr mehr für Strom. Für Gas müsse er im Schnitt gar 720 Euro mehr ausgeben. Das kann selbst durch ambitioniertes Energiesparen nicht wettgemacht werden.
Haushalte ohne Reserven fangen die Belastungen nur dadurch auf, indem sie ihren Konsum, wo es geht, zurückfahren. Vor der Teuerungskrise war es rund ein Viertel der Menschen in Österreich, das seine Ausgaben nicht durchs eigene Einkommen, sondern nur mithilfe von staatlichen Transferzahlungen stemmen konnte. Im Sog der Teuerungswelle können, so Picek, 35 Prozent der Menschen im Land Konsumausgaben nicht mehr durch ihr Einkommen decken.
Lifestyle war gestern
Armut ist nicht allein ein individuelles Problem, sondern es schadet der gesamten Volkswirtschaft, wenn die Nachfrage kollabiert. Laut Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands Österreich, sehen sich angesichts galoppierender Kosten immer mehr Haushalte gezwungen, bei den Einkäufen zu sparen. Eine aktuelle Befragung des Handelsverbands ergab, dass schon jetzt 19 Prozent der Menschen in Österreich selbst die notwendigsten Ausgaben reduzieren, drei Viertel setzen dabei auf günstige Lebensmittel.
Und die spürbare Verschlechterung der Lebensbedingungen trifft nicht nur, wie so oft, das untere Drittel der Gesellschaft, sie trübt bereits weite Teile der sogenannten Mittelschicht. Nach Berechnungen des Momentum Instituts können in der unteren Mittelschicht 40 Prozent die Teuerung nicht durch die staatlichen Ausgleichszahlungen kompensieren.
Inflation treibt den Wohlstandsverlust
„Das Wichtigste ist jetzt, gegen die Teuerung beim Wohnen, Heizen und Essen zu steuern“, betont Picek. Denn steigende Preise werden uns auch 2023 ein Loch in die Tasche reißen. „Zurzeit herrscht die Einschätzung, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr bei sieben bis acht Prozent liegen wird. Damit bleibt die Inflation hoch“, so der Experte. Und der Wohlstandsverlust geht weiter.
Die Voraussetzungen, dagegen anzusteuern, sind nicht schlecht, denn Steuern und Einnahmen sprudelten zuletzt munter. Das zeigen jüngst veröffentlichte Zahlen der Statistik Austria: „Im ersten Halbjahr 2022 haben sich Österreichs Staatseinnahmen von 94,5 Milliarden 2021 auf 105,9 Milliarden erhöht“, betont der AK-Ökonom Feigl. Österreich geht also finanziell gut aufgestellt in die sich abschwächende Konjunktur.
Wobei nicht alle Probleme übers Budget zu lösen sind – zum Beispiel die Mieten: Dass die Inflation automatisch in die Mieten eingepreist wird, ist eine Fehlkonstruktion, die laut Experten repariert werden muss. „Das ist eine eingebaute Preisspirale und durch Mehrkosten nicht schlüssig zu argumentieren, zumal die ohnehin mit den Betriebskosten weitergegeben werden“, betont Feigl. Eine rasche Übergangslösung wäre eine Mietdeckelung. „Spanien und Schottland haben bereits in die Mieten eingegriffen. Die Schotten haben gesagt: Für ein halbes Jahr darf es in dieser schwierigen Situation keine Erhöhung geben. Und die Spanier erlauben maximal zwei Prozent pro Jahr. In Österreich tut die Politik das bisher nicht“, sagt Picek.
Besteuerung von Übergewinnen
Beim Posten Energie sei ein Preisdeckel für Gas und Fernwärme insbesondere für einkommensschwache Haushalte gefragt, um diese warm durch den Winter zu bringen. Hier werden zusätzliche Budgetmittel gebraucht. „Mittelfristig muss auch der Mechanismus für die Strompreisbildung repariert werden“, sagt Feigl. Hereinkommen könnten die dafür nötigen Geldmittel zunächst durch eine Besteuerung von Übergewinnen. „Hier verzichtet man zumindest auf einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag, den man in dieser angespannten Lage etwa in Form von Sozialleistungen ausbezahlen könnte“, sagt Picek. Gerade das Budget des Sozialministeriums gestaltet sich komplex.
Zur Abfederung der gestiegenen Lebensmittelpreise und um den Wohlstandsverlust abzuschwächen, schlägt das Momentum Institut die Aussetzung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel vor. „Also für Mischbrot, nicht fürs Feta-Oliven-Stangerl, wohlgemerkt“, sagt Picek. „Brot, Milch, Eier, Tiefkühlgemüse. Man muss sich anschauen, was das unterste Fünftel der Einkommensbezieher tatsächlich einkauft, und das macht man eben billiger.“
KöSt-Senkung verhindern
Ein Dorn im Auge ist den Budgetexperten die geplante Senkung der Körperschaftsteuer (KöSt) von 25 auf 24 Prozent 2023 sowie von 24 auf 23 Prozent bis 2024. „Das kostet im kommenden Jahr rund 500 Millionen und geht 2024 Richtung eine Milliarde“, rechnet Picek vor. Die Budgetverhandlungen werden diesmal besonders aufmerksam verfolgt werden. Ist es realistisch, dass das Projekt KöSt-Senkung abgeblasen oder zumindest verschoben wird? „Ich erwarte mir schon eine Diskussion darüber, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt für diese Steuersenkung ist“, sagt Feigl.
Der Experte verweist darauf, dass die Unternehmen im Bundeshaushalt ausgabenseitig gut bedient wurden – zuletzt mit den Energie-Ausgleichszahlungen – und folglich nicht zugleich einnahmenseitig bevorzugt werden sollten. Zumal das Geld im Staatssäckel dringend gebraucht wird. Feigl rechnet überdies mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit: „Wenn Menschen, die sonst Steuern zahlen, Arbeitslosengeld benötigen, wird’s teuer. Kaum eine andere Maßnahme gegen die Teuerung kostet mehr als das.“