Der Baustopp ist eine Notmaßnahme. Denn der Ramsau geht es wie beinahe allen Touristengegenden, Städten und Speckgürteln – die Immobilienpreise schießen durch die Decke. In der Stadt fängt es an. Daher flüchten sich viele in die Speckgürtel, und die Preise steigen in bisher unbekanntem Ausmaß. Und Touristengebiete sind bei Investor:innen immer beliebt.
Investor:innen sorgen für Mietpreissprünge
Zwischen 2010 und 2020 stiegen die privaten Hauptmieten um die Hälfte. Selbst Genossenschafts- (+38 Prozent) und Gemeindewohnungen (+35,3 Prozent) legten deutlich zu. An der allgemeinen Inflation lag das nicht. Die lag über die gesamten zehn Jahre gerechnet bei 19,7 Prozent. Der Grund für den Mietanstieg ist überall in Österreich der gleiche, erklärt Oliver Picek, Ökonom beim Momentum Institut, gegenüber Arbeit&Wirtschaft. „In Österreich gibt es das neue Phänomen, dass Investor:innen ganze Wohnblöcke aufkaufen. Neu ist auch, dass diese Investor:innen aus dem Ausland kommen.“ So kamen 2021 erstmals mehr Investor:innen von Neubauprojekten aus dem Ausland als aus Österreich. Bisher seien diese Spekulant:innen eher im Luxusbereich tätig gewesen. Jetzt verlegen sie ihre Geschäftstätigkeit.
Anlegen in Betongold
Der Hintergrund ist der Finanzmarkt. Zwar steigen aktuell die Leitzinsen wieder, doch Geld ist bei Banken seit Jahren sehr günstig zu bekommen. Gleichzeitig bringen Aktien und Anleihen nicht immer die üppigen Renditen, die am Markt verlangt werden. Also investieren Unternehmer:innen das Geld in Wohnungen und Häuser. Theoretisch müsste das Angebot steigen, und die Preise müssten sinken. Das passiert aber nicht. „Es wird nicht geplant, welche Art von Wohnungen wirklich gebraucht wird. Es wird nicht für Familien gebaut, die eine leistbare Wohnung brauchen, sondern für Investoren, die ihr Geld anlegen wollen“, bewertet Picek die Situation.
Also Wohnungen mit zwei oder drei Zimmern, gelegen in großen Türmen. Kostenpunkt: 600.000 oder 700.000 Euro. Viele dieser Objekte würden sogar leer stehen oder nur als Wochenenddomizil genutzt werden, da die Wertsteigerung ausreichend Gewinne abwirft, ohne dass man sich mit Mieter:innen herumärgern muss.
Die Liberalisierung des Wohnungsmarktes
ist zu einem Problem geworden.
Der Wohnungsmarkt muss vor dem Ansturm von Vermögen geschützt werden.
Oliver Picek, Senior Economist, Momentum Institut
Ob Salzburg, Wien oder Ramsau, spielt dabei keine Rolle. „Bei uns wird sehr viel Geld geparkt, weil man von der Bank keine Zinsen bekommt. Und weil wir als Tourismusziel sehr beliebt sind“, fasst Fischbacher die Situation vor Ort zusammen. „Für ein Gebäude, das fünfzig Jahre alt und vielleicht 300.000 Euro wert ist, wird doppelt so viel bezahlt. Einheimische können sich das nicht mehr leisten. Momentan gibt es kein Grundstück und kein Gebäude mehr, das für unsere Einheimischen leistbar wäre. Das ist eine Situation, die es vor zehn Jahren noch nicht gegeben hat.“
Wohnungen als Anlageobjekte, deren Rendite aus einer Wertsteigerung kommt und nicht aus den Mieteinnahmen: Das führt zu Leerstand. Darauf reagieren jetzt die ersten Bundesländer mit einer entsprechenden Abgabe. Steiermark, Tirol und Salzburg haben bereits eine. Wird eine Wohnung mehr als sechs Monate im Jahr nicht bewohnt, werden in Salzburg – abhängig von der Wohnungsgröße – bis zu 5.000 Euro pro Jahr fällig. In Tirol sind es bis zu 215 Euro pro Monat, also etwa die Hälfte. In der Steiermark sind es zehn Euro pro Jahr und Quadratmeter.
Zahnlose Leerstandsabgabe
In Österreich stehen im Durchschnitt zwischen 2,5 und 4 Prozent der Wohnungen leer, wie das Momentum Institut berechnet hat. Gäbe es eine bundesweite Leerstandsabgabe nach steirischem Vorbild, würde das zwischen 111 und 178 Millionen Euro in die Gemeindekassen spülen. Eine lenkende Wirkung hätte das allerdings nicht. Eine durchschnittliche Wohnung mit 70 Quadratmetern gewann in den vergangenen sechs Jahren insgesamt 83.000 Euro an Wert. Besagte Leerstandsabgabe hätte im gleichen Zeitraum gerade einmal 4.200 Euro ausgemacht.
Doch eine drastisch höhere Leerstandsabgabe scheitert am rechtlichen Rahmen. Der müsste von der Regierung in Wien geändert werden. Deswegen fordern viele Bundesländer eine Lösung auf Bundesebene. Nur so kann eine Leerstandsabgabe eingeführt werden, die hoch genug ist, um einen spürbaren Lenkungseffekt zu haben.
Auch die Bürger:innen haben von leeren Wohnungen auf der einen Seite und explodierenden Mietpreisen auf der anderen Seite langsam genug. Im Frühjahr besetzten Aktivist:innen in Salzburg das leer stehende Haus des ehemaligen Ski-Superstars Marcel Hirscher. Zwar verließen sie die Immobilie nach wenigen Stunden friedlich, aber die Botschaft war deutlich.
Unkonventionelle Art mit Leerstand umzugehen
Auch Fischbacher geht das Problem des Leerstands in der Ramsau etwas handfester an. Oder „unkonventionell“, wie es eine Lokalzeitung nannte. Vor einem vermeintlich illegalen Zweitwohnsitz ließ er Kameras aufbauen. Ein Jahr lang nimmt das Gerät jeden Tag Fotos auf. Sie sollen beweisen, ob das Gebäude widmungskonform genutzt wird oder nicht. Denn es bestehen Zweifel.
Wegen der hartnäckigen Art und dem bedingungslosen Bestehen auf geltendem Recht sei es schon zu Wiederverkäufen gekommen, berichtet der Bürgermeister. Die ständige Post und die Strafzahlungen seien eben enervierend. Auch Spekulant:innen hätten schon Projekte abgeblasen. Dazu kommt, dass andere Gemeinden sehr genau beobachten, was in der Ramsau passiert. Ein Vorbild sei er nicht, darauf besteht er. Er behandle das Thema nur eben etwas intensiver.
Wohn-Insel der Seligen
Trotz allem sind Mieter:innen aus München, Berlin oder Hamburg neidisch auf Österreichs Wohnungsmarkt. Picek weiß auch, warum. „Es gibt eine Insel der Seligen, und das sind die Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. Die Insel wird aber kleiner. Denn in den vergangenen Jahren wurde zwar mehr gebaut, aber hauptsächlich im privaten Bereich, nicht im gemeinnützigen.“
Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung, fasst diese Bautätigkeit in Zahlen zusammen. „Im Moment werden rund zwei Drittel der rund 20.000 Wohnungen in Wien, die derzeit neu errichtet werden, frei finanziert, und circa 7.000, also rund ein Drittel, gefördert. Geförderte Wohnungen dienen rund 80 Prozent der Bevölkerung zum Wohnen. Das bedeutet, dass zwei Drittel aller Wohnungen nur für 20 Prozent der Bevölkerung gebaut werden. Und das nicht nur zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses, sondern auch zur Vermögenssicherung.“
Das bedeutet, dass eben keine Wohnungen für Familien mit geringem Einkommen gebaut werden, bringt es Picek auf den Punkt. „In Kärnten und Salzburg sieht man, dass viele Grundstücksbesitzer von außerhalb kommen. Dort werden immer häufiger Chalets gebaut und die lokale Bevölkerung kann sich keine Grundstücke mehr leisten, um ein Eigenheim draufzustellen. Das Problem gibt es in unterschiedlicher Form in ganz Österreich.“
Wohnungen und Grundstücke: Der Bedarf ist da
Aktuell arbeite die Wohnbauvereinigung am Bau von 300 Wohnungen, rechnet Gehbauer vor. Für die gäbe es aber bereits zwischen 5.000 und 6.000 Vormerkungen. Der Bedarf ist also da, der Wille auch. Gehbauer möchte mehr günstigen Wohnraum schaffen. Das Problem sind die Grundstücke. Natürlich auch in Wien. Immerhin schreibt die Hauptstadt mittlerweile vor, dass zwei Drittel eines Baulands für geförderten Wohnbau benutzt werden müssen. Kaufen Investor:innen den Grund, dürfen nur auf einem Drittel Luxuswohnungen entstehen.
Das hilft enorm. Vor allem den Projekten, die für die Jahre 2023 und 2024 in Planung sind. Es kommen sogar Investor:innen mit Grund auf die Wohnbauvereinigung zu. Eine finale Lösung für die Immobilienpreisproblematik ist es aber dennoch nicht, wie Gehbauer betont. „Es gibt derzeit keine leistbaren Grundstücke. Die werden von anderen Marktteilnehmer:innen, die frei finanzieren, weggekauft. Im geförderten Bereich ist die Höhe des Grundstückspreises aber begrenzt. Der Anteil der Grundkosten darf maximal 300 Euro pro Quadratmeter betragen.“
Baugrund wird knapp
Ein Preis, der bei einem Bieterwettstreit mit frei finanzierenden Investor:innen schnell überschritten wird. In Wien vergibt der Wohnfonds der Stadt die Grundstücke. Der profitiert vor allem davon, dass die Stadt in den 1980er-Jahren massiv Grundstücke erworben hat. Mittlerweile stehen die Häuser aber dicht an dicht, und Baugrund wird knapp. Und eine Umwidmung ist nicht so leicht. Theoretisch könnte die Wohnbauvereinigung um ausgewählte Grundstücke ansuchen.
Das ist im ersten Schritt einmal so einfach, wie es sich anhört. Ein:e Mitarbeiter:in fährt durch die Stadt oder über das Land und begutachtet brachliegende Gewerbeflächen oder geeigneten Baugrund. Wurden passende Objekte gefunden, werden sie notiert. Die Probleme kommen im zweiten Schritt. Handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen, muss die Wohnbauvereinigung Ausweichgebiete für die Tiere suchen, die auf dem Grundstück leben. Ist es eine betriebliche Fläche, muss die Wirtschaftskammer zustimmen und möchte ebenfalls eine Ersatzfläche haben. Kurzum: Es wird um jeden Quadratmeter gerungen.
Es wird schlimmer
„Dieser Druck auf dem Immobilienmarkt zieht auch die Mieten für Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen nach oben. Auch die sind deutlich über der Inflationsrate gestiegen. Weil für jede, die neu errichtet wird, wegen der hohen Grundstückspreise eine höhere Miete verlangt werden muss“, fasst Picek die Lage auf dem Immobilienmarkt zusammen.
Und es dürfte erst einmal noch schlimmer werden. Denn die Berechnung der eingangs erwähnten Mietsteigerung zwischen 35 und 50 Prozent innerhalb der vergangenen zehn Jahre stammt aus dem Jahr 2020. Im Juli 2022 betrug die Inflation 9,3 Prozent. Für Mieter:innen kann das zu einem Problem werden. Grund dafür sind die Kategoriemieten. Denn steigen die Verbraucherpreise um fünf Prozent oder mehr im Vergleich zur vorigen Mieterhöhung, dürfen Vermieter:innen die Wohnkosten erneut anheben. Sie müssen nicht, aber sie dürfen. Das passierte im April und im Juni 2022. Spätestens im Winter ist eine dritte Mieterhöhung fällig.
Nicht nur, dass damit die Inflation noch weiter angeheizt wird, sondern es fehlt den Mieterhöhungen eine Begründung. Denn Haupttreiber der aktuellen Preissteigerung sind die Energiekosten. Diese sind für Vermieter:innen aber nur Durchlaufposten und werden von den Mieter:innen ohnehin selbst getragen.
Davon profitiert in erster Linie die absolute Oberschicht. In kaum einer Branche wird die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen so deutlich wie im Immobiliensektor. Allgemein gilt, dass die reichsten zehn Prozent der Österreicher:innen unglaubliche 54 Prozent des Gesamtvermögens besitzen. Darunter natürlich auch Immobilien. Mit diesen Häusern und Wohnungen generieren sie 80 Prozent aller privaten Mieteinnahmen in Österreich. Das bedeutet, dass jede Mieterhöhung – vor allem derart umfangreiche und systematisierte wie aktuell – enorm zur Umverteilung von unten nach oben beiträgt und die Ungleichverteilung noch verstärkt.
Das Problem wird durch die aktuelle Situation des billigen Geldes und des volatilen Finanzmarktes verstärkt, schätzt Picek. „Die Liberalisierung des Wohnungsmarktes ist zu einem Problem geworden. Jeder mit Geld kann sagen, dass er sich nicht nur eine Wohnung kauft, sondern eine zweite oder dritte. Viele verkaufen ihre Aktien und Anleihen und kaufen sich Wohnungen. Der Wohnungsmarkt muss vor diesem Ansturm von Vermögen geschützt werden.“
Politischer Wille gesucht
Doch das ist nicht so leicht. Picek schlägt vor, die Renditen, die mit österreichischen Immobilien zu machen sind, zu torpedieren. „Wenn man einen Mietpreisdeckel einführt, wird der Markt für Investoren, die nur auf Mieteinnahmen schielen, unrentabel, weil sie dann in anderen Bereichen höhere Renditen erwirtschaften können.“
Gehbauer sieht die Verantwortung zwar auch bei der Regierung, verweist aber darauf, dass es in der Vergangenheit bereits besser ging. Darauf müsse sie sich besinnen. „Österreich hat noch in den 1990er-Jahren rund 1,2 Prozent seines BIP für die Wohnbauförderung ausgegeben. Das waren damals drei Milliarden Euro. Jetzt sind es noch 0,4 Prozent – rund zwei Milliarden Euro.“ Den Bau günstiger Wohnungen könne die Regierung sehr leicht mit den entsprechenden Förderungen nach oben treiben. Dafür bräuchte es nur den politischen Willen. Der zweite Punkt sei die Widmungspolitik. Grund und Boden müssten unkomplizierter vergeben werden.
Baustopp für Spekulationsobjekte
Dass es diesen politischen Willen gibt, beweist Fischbacher. Er ist parteilos und tritt mit der Liste Ernst Fischbacher an. Damit er seine Freiheit hat, sagt er gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Damit er das tun kann, was in der Ramsau beschlossen wird, ohne einen Anruf aus einer Parteizentrale fürchten zu müssen. Schlaflose Nächte kenne er nicht, sagt er. Dabei hätte er Grund dazu. „Wenn Investoren in die Ramsau kommen, dann führt deren erster Weg immer zu mir. Oft sind schon zwei oder drei Anwälte dabei, die mir drohen, dass es zu einem Verfahren kommt, wenn ich etwas verzögere oder behindere.“ Doch er verkörpert eben auch den politischen Willen und die entsprechende Kompetenz, um etwas zu bewirken. „Ich bin kein Anwalt und kein Jurist, aber ich kenne die Gesetze hier sehr genau und weiß, was als Baubehörde meine Aufgaben sind und in welchem rechtlichen Rahmen ich mich bewege.“
Der Baustopp gilt übrigens nur für Spekulationsobjekte. Einheimische, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollen, sind davon nicht betroffen. Auch Gastronom:innen, die ein nachhaltiges und langfristiges Konzept präsentieren, werden keine Knüppel zwischen die Beine geworfen. „Ich habe nichts gegen Investoren. Jeder soll sein Geld verdienen. Aber nicht mit unserer Landschaft, unseren Grundstücken und mit unseren Wohnungen. Wenn wir wertvollen Boden haben, dann sollte der für Menschen sein, die dauerhaft hier wohnen und sich in die Gemeinde und die Vereine einbringen“, schließt Fischbacher.