Wo der Kies sprießt und blüht

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
Flächenversiegelung und Monokultur verdrängen Lebensraum – statt Gras wachsen Steine. Was für manche vordergründig praktisch wirkt, ist fürs Klima gefährlich.
Land unter Baustoff. In Österreich werden täglich rund 20 Hektar an Äckern und Wiesen für Baumaßnahmen zerstört. Das entspricht gut 30 Fußballfeldern pro Tag. Viele Gegenden sind dementsprechend zersiedelt – das Ergebnis einer verfehlten Raumplanung. Einfamilienhäuser liegen wild in der Landschaft verstreut, Shoppingcenter werden im Niemandsland an den Gemeindegrenzen kleiner Ortschaften – bei gleichzeitig verödenden Ortskernen – errichtet. Siedlungen, die vor allem für die Autonutzung gebaut wurden und ohne Pkw äußerst unattraktiv sind, überwiegen.

Ideen allein genügen nicht mehr

Gegenmaßnahmen, die schon gut 20 Jahre bekannt sind: der sorgsame Umgang mit Grund und Boden, effizientere und widmungskonforme Nutzung von Flächen, Mobilisierung von Bauland, flächensparendes Bauen, Revitalisierungs- und Recyclingmaßnahmen von Flächen wie baulichen Strukturen – diese Ideen sind als Ziele in der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes formuliert, die schon im Jahr 2002 vom Ministerrat beschlossen wurde. Festgehalten wird darin auch die ungebremste Entwicklung des Bodenverbrauchs. Der Zuwachs dauerhaft versiegelter Flächen sollte deshalb auf täglich 2,5 Hektar begrenzt werden – das ist ein Achtel des derzeit pro Tag planierten Bodens. Doch Österreich ist von den Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie sehr weit entfernt.

Österreich ist von den Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie sehr weit entfernt.

Das liegt auch an den lokalen Kommunen. Die Bürgermeister wirken dort als Baubehörde in erster Instanz und haben großen Einfluss auf die Bebauung der Gemeinde. Besonders in kleinen Ortschaften ist die Beziehung zu den Bürgern eng. „Je kleiner der Ort, desto näher stehen sich die Personen, und desto schwieriger ist es, unpopuläre Maßnahmen wie etwa strenge Bauvorschriften durchzusetzen“, weiß Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien. Wer einer Familie die Bebauung verweigert, verliert unter Umständen wichtige WählerInnen. „Außerdem haben BürgermeisterInnen in kleineren Gemeinden keine eigene Planungsabteilung“, erklärt der AK-Experte. Deshalb fordert er eine bessere fachliche Unterstützung für die EntscheidungsträgerInnen im ländlichen Raum. „Strikte Vorgaben, die von den Bundesländern formuliert werden, könnten den BürgermeisterInnen helfen.“ Problematisch wirken sich die am Dorfrand angesiedelten Supermärkte mit ihren riesigen Parkplatzflächen aus. „Wenn ein Ort auf das Einkaufszentrum verzichtet, dann bewilligt es die Nachbargemeinde – es wird dann an der gegenüberliegenden Seite der Ortsgrenze gebaut“, gibt Ritt zu bedenken. Hier sollte es übergeordnete Regelungen und mehr regio­nale Zusammenarbeit geben.

Keine Laune der Natur

Freilich, die Bodenversiegelung ist nicht das einzige Problem, vermerken Experten. Thomas Ritt: „Da gibt es eine scheinheilige Argumentation: ,Um Gottes willen, in Österreich wird so viel Agrarland versiegelt.‘“ Eine Klage, die von der Landwirtschaftslobby immer wieder gerne vorgetragen wird. Doch gerade die Monokultur trägt viel zur Klimaerwärmung bei. Dass es weniger Insekten und Artenvielfalt gibt, dafür trägt die Landwirtschaft durchaus Verantwortung. „Die ,Schweinchen-Babe-Idylle‘, wo es kleine Felder mit verschiedenen Pflanzen gibt und nicht gespritzt wird, entspricht nicht der Realität der österreichischen Landwirtschaft“, weiß Thomas Ritt.

Gerade die Monokultur trägt viel zur Klimaerwärmung bei.

Eine Einfamilienhaus-Siedlung bietet trotz aller ökologischer Nachteile doch mehr Lebensräume für Tiere als etwa eine Monokultur mit Rapsfeldern. „In einer Siedlung finden sich unterschiedliche Baum­arten, Sträucher und Hecken, es wird gegossen und dadurch Feuchtigkeit abgegeben.“ Keine Laune der Natur, aber eine vom Menschen gemachte Entwicklung: Die Vielfalt der Arten ist in städtischen Gebieten mittlerweile höher als in intensiv landwirtschaftlich bearbeiteten Gebieten, in Wien ist sie etwa größer als im Marchfeld. Experte Ritt sagt es deutlich: „Nur betonierte Parkplätze sind ökologisch schlechter als etwa ein Maisfeld.“

Die Auswirkungen spüren wir alle.

Die Auswirkungen spüren wir alle. Durch den Wegfall des natürlichen Bodens als wichtiger CO2- und Wasserspeicher werden Wetterextreme wie Hitzewellen, Dürre, aber auch Überschwemmungen weiter zunehmen. Die Artenvielfalt leidet, die Landschaften werden zerschnitten und die Ausbreitung sowie Wanderung von Pflanzen und Tieren wird unterbunden.

Betonierte Steingärten

Aber auch die Gestaltung der Einfamilienhausidylle trägt ihren Teil zur Klimaerwärmung bei. Abgesehen davon, dass Eigenheime einen großen Teil eines Grundstücks versiegeln, wackeln die Haus- und Gartenträume auch an anderen Stellen. „Dort, wo früher Holzzäune und Hecken als Begrenzung standen, hat sich ein neues ,gartenarchitektonisches Statement‘ breitgemacht: die Gabionenwand“, stellt Christian Pichler, Referent für Raumplanung und Raumordnung in der Arbeiterkammer Wien, fest und hält mit seiner Verwunderung über diese Entwicklung nicht hinter dem Berg: Drahtkörbe, die mit Steinen befüllt und im Stecksystem beliebig erweiterbar sind. Bekannt sind die „Steine im Käfig“ vor allem aus der Hangsicherung in Weinbergen oder als Lärmschutz an Autobahnen.

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In Deutschland werden die Drahtkorbmauern bei privaten Einfriedungen zunehmend verboten – nicht allein, weil sie sich mit ihrem martialischen Auftritt zu wuchtig ins Ortsbild drängen. Die Gabionenwände, deren Steine die Hitze speichern, heizen die Siedlungen auch auf – in Zeiten der steigenden Klimaerwärmung keine nützliche Begleiterscheinung. Wenig hilfreich sind auch Gestaltungsmoden, die mit Gärten nur wenig gemein haben. Waren es früher Rasen und Thujenhecken, die pflegeleicht erschienen, werden heute praktische Schotterflächen angelegt. Beliebt ist der weiße Zierkies. „Den schüttest du hin und brauchst nichts weiter zu tun“, zeigt sich Experte Pichler eher entsetzt. „Ab und zu wird noch ein Unkrautmittel gespritzt, dann wächst dort nichts, und es schaut ,gepflegt‘ aus.“

Lästige Bäume werden gefällt, denn sie lassen Laub fallen und stehlen Licht. Dafür wird eine Garage im hintersten Eck des Grundstücks errichtet – damit ist die Fläche beinahe durchgehend asphaltiert. „Viele Hausbesitzer finden das praktisch, da kann schnell ,durchgekärchert‘ werden und das macht wenig Arbeit“, ist sich Pichler sicher. Das Ergebnis hat sich auch in diesem Sommer wieder gezeigt: „Viele Gärten waren heuer in der Sommerhitze nicht mehr nutzbar.“

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Interessant: Im Burgenland wird beispielsweise ähnlich wie in Oberösterreich gebaut – und das, obwohl es unterschiedliche klimatische Voraussetzungen gibt. Ebenso sind die erworbenen Grundstücksgrößen gleich groß – ungeachtet dessen, dass Bauland in manch burgenländischer Region weitaus günstiger ist als etwa in den Speckgürteln der Städte.

Asphaltierte (Alb-)Träume

Planiert wird der Lebensraum etwa auch für den Ausbau von Schnellstraßen – ein gutes Beispiel dafür ist die Verlängerung der S31 im Burgenland an die ungarische Grenze bei Rattersdorf. Und es wird weiter gerodet und gebaut, denn die Bahn fährt schon lange nicht mehr. Die Verbindung von Friedberg nach Oberwart wurde 2011 eingestellt, jene von Oberwart in die Gemeinde Rechnitz bereits 1982. Außer Bussen gibt es keinen öffentlichen Verkehr – die BewohnerInnen sind daher aufs Auto angewiesen. Öffentlicher Verkehr funktioniert nur, wenn er regelmäßig und in kurzen Intervallen fährt, denn sonst fehlt die Akzeptanz. „Am Land funktionieren die Öffis, wenn die Schüler in die Schule fahren, sonst sind sie eine mittlere Katastrophe – darum haben die meisten Familien auch zwei Autos“, erklärt Thomas Ritt. Um öffentlichen Verkehr sinnvoll betreiben zu können, ist eine gewisse Besiedlungsdichte Voraussetzung. Zersiedelung wirkt sich daher auch hier negativ auf den Klimaschutz aus.

Um öffentlichen Verkehr sinnvoll betreiben zu können, ist eine gewisse Besiedlungsdichte Voraussetzung. Zersiedelung wirkt sich daher auch hier negativ auf den Klimaschutz aus.

Andererseits stößt der öffentliche Verkehr auf einigen Strecken längst an seine Kapazitätsgrenzen: Für die Fahrt zwischen Wiener Neustadt und Wien nutzen 80 Prozent der Menschen das Auto. Gleichzeitig fahren Züge bereits in engem Takt und sind zu den Stoßzeiten überfüllt. Würde die Südbahn nach dem Vorbild der Westbahn viergleisig ausgebaut, könnten etwa weitere 20 Prozent als Gäste für die Bahn gewonnen werden. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Blechlawine nach Wien wohl weiterhin nicht abreißen würde. Sprich: Um eine Änderung im Sinne des Klimaschutzes zu erreichen, muss auf vielen Ebenen gedacht und angesetzt werden. Denn nur dann kann es auch wirklich funktionieren.

Von
Sophia Fielhauer und Christian Resei
Freie JournalistInnen

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/19.

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