Kein Garant für Objektivität
Nachdem eine externe Prüfungskommission Einflüsse seitens des Ministeriums bestätigt hatte, kündigte der Rektor der Universität Wien an, die Erarbeitung von Richtlinien für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik einzuleiten. Ein solches Regelwerk wäre zu begrüßen, um direkte Einflussnahmen künftig zu unterbinden, es wäre aber trotzdem kein Garant für wissenschaftliche Objektivität. Mit der Frage, ob eine solche überhaupt möglich ist, hat sich die Wissenschaftstheoretikerin Ulrike Felt intensiv auseinandergesetzt. In einer historischen Betrachtung zeichnet sie nach, dass ab der Jahrhundertwende, insbesondere in der sozialdemokratischen Bewegung, die Idee von einer Wissenschaft existierte, „die als wertfrei, objektiv, universell und einer internen Logik folgend gedacht war“. Eine solche Wissenschaft wurde „als ideales Grundprinzip für das gute Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft“ betrachtet. Laut Felt existierte die Vision, der Sieg der Sozialdemokratie würde sich von allein einstellen, „wenn sich nur ein wissenschaftlicher Geist in der Gesellschaft durchsetzte“.
Wie illusionär die Vorstellung von einer objektiven Wissenschaft ist, wird bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien besonders sichtbar. Denn ForscherInnen agieren keineswegs unabhängig von ihrer Person. So formulieren sie Forschungsfragen von ihrem spezifischen Standpunkt aus und gehen dabei von Annahmen aus, die auf bestimmten Werten und Anschauungen basieren. Als Mitglieder der Gesellschaft werden selbstverständlich auch sie von gesellschaftspolitischen Diskursen beeinflusst und geprägt. Hinzu kommt, dass EntscheidungsträgerInnen bei der Auswahl der ExpertInnen für gewöhnlich auf jene Personen und Institutionen zurückgreifen, die mit ihren Wertesystemen und Weltanschauungen kompatibel sind. Im Fall der Kindergarten-Studie hätte also ein anderer Auftragnehmer bzw. eine andere Auftragnehmerin vielleicht die Analysekategorie „Islam-Kindergarten“ gar nicht erst unhinterfragt übernommen. Vielmehr hätte er oder sie ihre Verwendung im politischen Diskurs vielleicht kritisch analysiert, um sodann gänzlich andere Forschungsfragen vorzuschlagen. Bei aller Kritik, die in den Medien an der Studie geäußert wurde, fiel auf, wie erstaunlich selten die Diskussion darauf gelenkt wurde, auf welche wirkmächtigen Narrative die Studie aufbaute und wegen welcher politischen Wirkungen sie überhaupt durchgeführt werden sollte.
Wissenschaft wird von politischen EntscheidungsträgerInnen also vielfach dazu verwendet, die eigenen Interessen zu legitimieren und letztlich durchzusetzen. Wissenschaft und Politik sind weitaus enger miteinander verknüpft, als es auf den ersten Blick erscheint. Die politischen Kräfteverhältnisse bestimmen nicht nur, wie wissenschaftliche Stellen besetzt und an wen Forschungsaufträge vergeben werden. Sie beeinflussen auch, welche Denktraditionen und Sichtweisen sich innerhalb eines Wissenschaftsfeldes gegenüber anderen durchsetzen. Der Philosoph Michel Foucault gelangte zum Ergebnis, dass es kein Wissen gibt, das neutral von Macht ist, und keine Macht, die sich nicht in das Wissen einlässt. Aus der Einsicht, dass kein Wissen frei von Machtbeziehungen ist, folgerte Foucault, dass nicht Wissen als solches, sondern eine kritische Haltung als zentrales Mittel von Emanzipation angesehen werden müsste.
Im Zeichen der Kritik
Umgelegt auf die Tätigkeit der ArbeitnehmerInnenvertretung könnte dies bedeuten, dass unsere Expertise zwar unabdingbar ist, um interessengeleitete Forschungsergebnisse zu erschüttern und daraus abgeleitete politische Forderungen zu delegitimieren. Es bedeutet jedoch auch, dass wir es dabei nicht belassen dürfen. Wissenschaft wird vor allem dann zu einer echten Chance für unsere Anliegen, wenn sie im Zeichen der Kritik steht. Kritik würde in diesem Zusammenhang bedeuten, das Selbstverständliche, das allgemein Anerkannte zu hinterfragen. Hinter unseren Alltagsannahmen stehen vielfältige Machtmechanismen. Diese gilt es sichtbar zu machen, um so den Weg für Alternativen zu ebnen.
Lena Karasz
Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.
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