Inflation treibt auch Kinder in die Armut
Die Studie förderte zudem einen besonders besorgniserregenden Befund zutage, wie Ilkim Erdost, Bereichsleiterin Bildung und Konsument:innen in der AK Wien, betont. „Mehr als 20 Prozent der Familien sagen, dass sie sich die Nachmittagsbetreuung für das Kind nicht mehr leisten können. Gleichzeitig sagen die Eltern, dass sie mehr Stunden als bisher arbeiten müssen. Wir müssen also damit rechnen, dass viele Kinder unter zwölf Jahren am Nachmittag allein daheim sein werden. Dort haben sie niemanden, der ihnen ein Mittagessen warm macht oder mit ihnen lernt.“ Gleichzeitig hätten die Gemeinden aufgrund der hohen Energiekosten keinen Spielraum, um hier einzuspringen. Die Pandemie habe die in Österreich ohnehin schon herrschende Chancenungleichheit, wenn es um Bildung gehe, bereits vergrößert. Jetzt würden durch die Inflation – im Jahr 2022 lag sie in Österreich bei 8,6 Prozent – noch mehr Kinder schulisch den Anschluss verlieren, befürchtet Erdost.
Elke Larcher, Referentin für Schulpolitik in der AK Wien, gibt zudem zu bedenken, dass sich die Arbeitswelt von morgen ständig verändert. „Wir brauchen vor allem eines: selbstbewusste Arbeitnehmer:innen, die gefestigt sind.“ Wenn sich nun Eltern teuerungsbedingt gezwungen sehen, auch Ausgaben im Freizeitbereich zurückzufahren, „werden Kindern Möglichkeiten genommen, einen guten Selbstwert zu entwickeln“. Hier spitze sich also eine bereits im Gang befindliche Bildungsverengung weiter zu.
Armut und Bildung: Inflation verstärkt Probleme der Kinder
Marcus Franz, Bezirksvorsteher in Wien-Favoriten, weiß, womit ökonomisch schwache Familien zu kämpfen haben. Von den 212.000 Favoritner:innen sind an die 34.000 zwischen null und 14 Jahre alt. 50 Schulen gibt es in dem Bezirk, 40 davon sind Pflichtschulen. In der Covid-Krise habe man gesehen, dass vielen Kindern Distance Learning schon deshalb nicht möglich war, weil sie über keinen Laptop oder kein Smartphone verfügten. Hier habe er über einen Aufruf daher Geräte sponsern lassen. Doch Kindern fehle es auch an ganz anderen Basics – wie etwa gesundem Essen. Die Stadt Wien liefere inzwischen an jede Volksschulklasse einmal wöchentlich einen Obstkorb. „Und da wird von den Kindern sehr gerne zugegriffen.“
Vonseiten der Schuldirektor:innen höre Franz aber nun auch verstärkt, dass Eltern ihre Kinder von Schulstandorten mit Nachmittagsbetreuung abmelden wollen und sich nach einem Platz an einer Ganztagsschule umsehen. Solche Plätze gibt es zwar immer mehr – etwa durch die Errichtung der Campus-Schulen –, doch insgesamt sind es viel zu wenige. Der Unterschied zwischen diesen beiden Modellen: Für die Betreuung ist zu zahlen, die Ganztagsschule ist kostenfrei und auch das Mittagessen ist dort gratis.
Zum Erblühen bringen
Theodor Tsiagas ist Direktor der Löwenschule, einer Volksschule in der Laimäckergasse in Favoriten. „Die Kinder kommen durch die Bank aus eher ärmlichen Verhältnissen“, erzählt er. „Es war mir daher wichtig, eine Nachmittagsbetreuung aufzubauen.“ 217 von rund 600 Schüler:innen besuchen diese derzeit. Eltern zahlen dafür etwas mehr als 200 Euro im Monat, können aber bei Bedürftigkeit um Unterstützung ansuchen. Dies sei allerdings für Familien, in denen eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, sprachlich oft eine Herausforderung.
Grundsätzlich ist Tsiagas zwar dafür, dass Eltern eine Wahlmöglichkeit zwischen halb- und ganztägigen Schulformen haben. An seinem Standort würde es aber allen Kindern guttun, länger als nur den Vormittag über in der Schule zu verbringen. „Zu Hause sind die Wohnverhältnisse oft beengt, die Kinder haben keinen Platz, um zu lernen, oder ein kleines Geschwisterchen stört die Konzentration.“ Jene Kinder aber, die auch den Nachmittag in der Schule verbringen, „blühen richtig auf“, erzählt der Schuldirektor. Er habe zwar noch nicht erlebt, dass ein Kind „verhungert dreingeschaut“ habe. Aber das Essen zu Hause sei oft billig und von gesunder Küche weit entfernt. „In der Schule gibt es ein Mittagessen mit Bioanteil.“ Vor allem aber hätten die Kinder hier einen Tisch, an dem sie die Aufgaben erledigen können. Und dabei auch Unterstützung bekommen.
Kostenfrei und flächendeckend
Seit zwei Jahren gibt es in der Löwenschule jeweils zwei Klassen pro Jahrgang, die in einer verschränkten Ganztagsform geführt werden. Es wechseln einander also Unterricht und Freizeiteinheiten ab. Und die Eltern müssen für diese Form der Ganztagsbetreuung nichts zahlen. „Ich würde mir wirklich wünschen, dass meine Schüler:innen alle diese Gratischancen bekommen.“ Ein früherer Schüler habe einmal gesagt: „Wenn man hier im zehnten Bezirk wohnt, hat man im Vorhinein sowieso keine Chance.“ Das dürfe nicht sein.
Zeit, Geld u #Bildung d Eltern – 3 Komponenten f schulischen Erfolg i Ö. Auswirkungen d Teuerung schlagen bereits auf Leistbarkeit v Schulkosten & Nachhilfe durch. Wird Schule i gewissem Maße privatisiert? Studien @arbeiterkammer & @aklinz zur Situation.https://t.co/01i1NvN9MW
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) September 29, 2022
Den kostenfreien und flächendeckenden Zugang zu ganztägigen Schulen nennt auch Erdost als eine Voraussetzung, um Kindern im Heute einen sorgenfreieren Alltag zu ermöglichen. Und auch, um ihre Bildungschancen zu erhöhen und damit ihre Zukunft zu sichern. Larcher ergänzt, dass die Bildungspolitik mehr auf die Qualität von Ganztagsschulen und deren Freizeitangebote achten muss. In einem ersten Schritt plädiert Erdost an den Bund, den Gemeinden Mittel zukommen zu lassen. Damit alle Kinder, die diese benötigen, weiterhin Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen können. Eine Schulfinanzierung nach dem AK-Chancen-Index würde zudem dafür sorgen, dass Schulen umso mehr Mittel bekommen, je mehr Schüler:innen mit Unterstützungsbedarf sie haben.