Wie die Klimakrise arme Menschen trifft

Zwei Kinder in Regenmantel stehen im Hochwasser.
Kinder in Armut leiden besonders unter der Klimakrise | © Sven Hoppe / dpa / picturedesk.com
Die sozialen Folgen der Klimakrise werden immer sichtbarer. Inmitten von Starkregen und Hitzewellen kämpfen auch Österreicher:innen ums Überleben. Zwei Betroffene erzählen, wie Wetterereignisse zur täglichen Herausforderung werden.
Juni 2024, nach tagelangem Starkregen: „Mein Haus schwimmt im Wasser, ich kann mich leider nicht für ein Interview freimachen“, schreibt die 47-jährige Barbara aus Kärnten. Sie ist Alleinerzieherin von drei Kindern und aufgrund gesundheitlicher Probleme arbeitsunfähig. Im Vorjahr hat ihr Haus enorme Sturmschäden abbekommen. Aus finanziellen Gründen und Hürden in Bezug auf Versicherung und Baufirma hat sie es noch nicht geschafft, diese zu beheben. Die sozialen Folgen der Klimakrise werden immer sichtbarer.

Jetzt bangt sie erneut wegen Hochwasserschäden um ihr Zuhause. Barbara ist verzweifelt. „Ich weiß nicht, wie ich das finanziell stemmen soll. Ich habe keine Möglichkeit, das Haus zu sanieren. Wie soll ich all das schaffen, wenn es immer mehr Stürme, Wetterkatastrophen und Hagel gibt? Mit all diesen Fragen muss ich mich beschäftigen – neben meiner Verantwortung gegenüber den Kindern und als Alleinerziehende.“

Die sozialen Folgen der Klimakrise

Die Ängste von Barbara – die lieber anonym bleibt – sind im Jahr 2024 vielen vertraut. Die sozialen Auswirkungen der Klimakrise werden spürbarer. Im Mai traf es bereits Österreichs mit Starkregen und Überschwemmungen, die viele hilflos zurückließen. Jetzt ist es wieder so weit. In den letzten Jahren kommt es immer häufiger zu extremen Wetterereignissen, die große Schäden verursachen. Während die Soforthilfe durch Katastrophenschutz, freiwillige Feuerwehr und Bundesheer in Österreich besser als in vielen anderen Ländern funktioniert, bleibt für viele Betroffene die Frage, wie sie die langfristigen Kosten und Mühen des Wiederaufbaus tragen können. Förder- und Versicherungsanträge sind oft zu kompliziert und aufwendig für Menschen wie Barbara. Die Klimakrise fühlt sich für viele aussichtslos an.

Wir werden um klare, verbindliche
Regeln für alle nicht herumkommen.
Es wird nicht ausreichen, nur finanzielle
Anreize zu schaffen. Doch jede Konsum-
steuer wird die unteren Einkommens-
schichten stärker treffen. 

Sebastian Seebauer, Joanneum Research

Die Folgen treffen dabei weniger jene, die es sich leisten können, Maßnahmen zu setzen. Für die oberen Einkommensschichten gibt es kaum Hindernisse, eine Klimaanlage einzubauen, auf ein E-Auto umzusteigen oder sich in der Förderlandschaft zurechtzufinden. Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Alleinerziehende, Menschen in Armut oder mit Behinderung sind häufig nicht nur stärker von der Klimakrise betroffen, sondern auch von klimapolitischen Maßnahmen. Sebastian Seebauer beschäftigt sich an der Joanneum Research mit dem Thema Klimakrise und weiß: „Die sozialen Folgen der Klimapolitik sind unausgewogen. Die Höhe des Einkommens und ob man mietet oder im Eigentum lebt, entscheiden signifikant darüber, wie gut man auf den Klimawandel reagieren kann.“

Klare, verbindliche Regeln für alle

Für Sebastian Seebauer steht fest: Ohne Verpflichtungen und Einschränkungen lasse sich das Ruder nicht mehr herumreißen. Der Markt dürfe sich nicht selbst regulieren. „Wir werden um klare, verbindliche Regeln für alle nicht herumkommen. Es wird nicht ausreichen, nur finanzielle Anreize zu schaffen. Doch jede Konsumsteuer wird die unteren Einkommensschichten stärker treffen.“ Im Oktober 2022 wurde beispielsweise als Klimaschutzmaßnahme in Österreich die CO₂-Steuer beschlossen. Produkte, für deren Herstellung viel CO₂ ausgestoßen wird, werden dadurch teurer. Der Steuersatz steigt bis 2025 jährlich an. Diese Abgabe trifft vor allem jene Personen, die weniger Geld zur Verfügung haben und einen höheren Anteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben. Vermögende bleiben weitestgehend verschont.

Die sozialen Folgen der Klimakrise treffen vor allem diejenigen, die weniger Ressourcen haben, um sich anzupassen, erklärt Sebastian Seebauer von der Joanneum Research. | © Markus Zahradnik

„Die österreichische Tendenz ist zu fördern: ein E-Auto, eine Photovoltaik-Anlage oder eine neue Heizung. Das erreicht aber nur eine Gruppe mit einem gewissen Wissensstand und Eigenkapital. Diese Hilfeleistungen schließen viele aus.“ Dabei bestünde gerade jetzt eine Chance, sozial gerechtere Maßnahmen zu setzen, und damit sogar die aktuellen finanziellen Ungleichheiten zu entschärfen. Dass dies passiert, glaubt Sebastian Seebauer aber nicht: „Wir haben in Österreich akzeptiert, dass es eine gewisse Ungleichheit gibt. Aktuell möchte die Politik zwar niemanden in eine noch schlechtere Position bringen, aber auch nicht die umfassenden Klimaschutzmaßnahmen nützen, um Armut und Einkommensunterschiede zu verringern.“ Oft sind es aber gerade Menschen mit weniger Einkommen, die auf kleinerem Fuß leben und weniger CO2 ausstoßen.

Leben ohne Klimaanlage

Sabrina ist 52 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern in Graz. Auch sie möchte anonym bleiben. Im Rahmen ihrer kleinen Familie, so sagt sie, setzt sie so viele Maßnahmen für das Klima und die Natur, wie sie kann: Kleidung kauft sie nur im Second-Hand-Geschäft. Shirts, die nicht mehr getragen werden, verarbeitet sie zu Putzfetzen. Sie achtet darauf, keine Lebensmittel zu verschwenden. Sie putzt vor allem mit Essig, verwendet Plastiksäcke wieder.

Die extreme Hitze trifft sie und ihre Kinder hart, aber sie hat Möglichkeiten gefunden, damit umzugehen. „Es ist inzwischen in der Wohnung kaum aushaltbar, wenn man keine Klimaanlage hat, und die können wir uns nicht leisten. Wir haben ein paar Vorhänge zusammengenäht, die wir auf der Sonnenseite der Wohnung zur Beschattung verwenden, da die Jalousien kaputt sind. Der Vermieter weigert sich, sie zu reparieren.“ Wechselt die Sonne dann die Seite, werden die Vorhänge umgehängt.

Suche nach kostenlosem Hitzeschutz

Tagsüber sind sie und ihre Kinder fast nur in Unterwäsche in der Wohnung. Sobald es möglich ist, flüchten sie in die Natur: „Wir sind im Sommer viel im Wald oder an einem kühlen Fluss in der Steiermark. Dort picknicken wir oder vertreiben uns einfach die Zeit. Es wäre für uns nicht leistbar, jeden Tag in ein öffentliches Bad zu gehen, also suchen wir Möglichkeiten, die kostenlos sind.“ Im Sommer kocht Sabrina kaum warm, damit sie sich nicht durch die Mahlzeit noch zusätzlich aufheizen. Sorgen wegen ihrer Zukunft macht sie sich natürlich, doch sie weiß, dass es nichts bringt: „Wir haben die letzten Sommer geschafft, also werden wir auch die nächsten irgendwie schaffen. Am meisten tut mir weh, wenn ich sehe, wie die Natur und die Tiere darunter leiden, was wir tun.“

Unmittelbar nach Hitzewellen
steigt das Risiko von häuslicher Gewalt
und Femiziden. 

Carina Altreiter, AK-Frauenabteilung

Sabrina wird finanziell durch das Projekt „Mut schaffen“ unterstützt. Lange wusste sie von dieser Möglichkeit nichts und hatte keine Ahnung, wo sie Hilfe bekommen könnte. „Ich habe während Corona jede Menge Geld liegen gelassen, weil ich nicht wusste, wo es Hilfe geben könnte, oder die Anträge auch so unglaublich kompliziert waren. Das finde ich sehr schade!“

Mehr Mitsprache in der Klimapolitik

Carina Altreiter beschäftigt sich in der Arbeiterkammer mit den Auswirkungen der Klimakrise auf die Lebensrealitäten von Frauen. Studien zeigen, dass die Hitze gerade für die vulnerabelsten Gruppen die größten Schwierigkeiten mit sich bringt. Dazu zählen unter anderem Alleinerziehende wie Sabrina, Personen mit geringem Einkommen oder Menschen, die im Alter allein leben. In all diesen Gruppen sind Frauen überrepräsentiert. Gerade die Frage, was Hitze in Frauenberufen bedeutet, beschäftigt Carina Altreiter. „Wenn es um Hitzebelastung im Beruf geht, denken wir zunächst an männliche Bauarbeiter. Doch Hitze ist auch in anderen Berufen ein Problem, vor allem auch dort, wo mit anderen Menschen gearbeitet wird, also in den Gesundheits- und Sozialberufen oder im Kindergarten. Dort arbeiten überwiegend Frauen.“

Carina Altreiter beschäftigt sich in der Arbeiterkammer mit den Auswirkungen
der Klimakrise auf die Lebensrealitäten von Frauen. | © Markus Zahradnik

Bei großer Hitze steigen die Belastungen für die Beschäftigten zusätzlich, weil es auch den betreuten Kindern, Patient:innen oder älteren Menschen mit zunehmender Hitze schlechter geht. Zusätzlich beanspruchen die höheren Temperaturen das Gesundheitssystem – mehr Menschen brauchen medizinische Hilfe, was zu zusätzlicher Belastung der Mitarbeitenden führt. Studien aus Spanien zeigen, dass es während Hitzewellen zu einem Anstieg häuslicher Gewalt kommt. Hohe Temperaturen führen zu erhöhtem Stresslevel, was auch das Aggressionspotenzial erhöht. Altreiter erklärt: „Gerade in Beziehungen, wo bereits Schwierigkeiten bestehen, können anhaltende Hitzebelastungen die Situation eskalieren. Unmittelbar nach Hitzewellen steigt das Risiko von häuslicher Gewalt und Femiziden.“

Dass es gerade für Betroffene zusätzliche Maßnahmen braucht, davon ist Carina Altreiter überzeugt. „Bei der Entwicklung von Maßnahmen müssen die Arbeits- und Lebensrealitäten von Frauen berücksichtigt werden. Aber Frauen müssen auch bei allen klimapolitischen Entscheidungen mitbestimmen können.“ Dem stimmt auch Sebastian Seebauer zu: „Gerade vulnerablere Gruppen haben ganz andere Sorgen, als ihre Stimme politisch laut zu machen und im politischen Diskurs gehört zu werden. Armut ist auch in dieser Weise ausschließend. Deshalb müssen diese Gruppen von uns allen mitgedacht werden.“

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Über den/die Autor:in

Sandra Gloning

Sandra Gloning ist freie Online- und Print-Journalistin in Wien mit einem breiten Themenfeld rund um Frauen, Lifestyle und Minderheiten und dem Ziel, Geschichten aus dem echten Leben zu erzählen.

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