Diese Empfehlung entspricht weder den Bedürfnissen der Menschen, noch ist sie besonders innovativ. Schon gar nicht aber ist sie sachlich nachvollziehbar: Die Europäische Kommission selbst weist darauf hin, dass sich entsprechend der Prognosen der Altersquotient, also die Relation der 65-Jährigen und Älteren zu den 15- bis 64-Jährigen, bis 2070 nahezu verdoppeln wird – und entsprechend die relativen Pensionsausgaben in Österreich voraussichtlich um bloß 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen werden (siehe Grafik „Basisszenario“).
Absurd: Tadel statt Lob!
Der österreichische Reformweg in der Alterssicherung bietet eigentlich ein sehr gutes Beispiel dafür, dass sich die – angeblich auch nach Auffassung der EU-Kommission – zentralen pensionspolitischen Zielsetzungen „Angemessenheit und Nachhaltigkeit“ gleichermaßen erreichen lassen, wenn man das auch wirklich will und dementsprechend die richtigen Schwerpunkte setzt. Denn das österreichische System ist nicht nur langfristig finanziell stabil, sondern es bietet mit seiner starken öffentlichen Säule auch weiterhin eine im internationalen Vergleich sehr gute Absicherung.
Fragwürdige Gebetsmühle
Der nur sehr moderate Zuwachs öffentlicher Pensionsausgaben trotz künftig guten Sicherungsniveaus hat mehrere Gründe. Dazu zählen vor allem der Fokus auf eine verbesserte Erwerbsintegration, die Anpassung der Leistungszusagen – im Durchschnitt gute Pensionen bei späterem (faktischen) Pensionsantritt – und die schrittweise Angleichung der großzügigeren Sondersysteme an die Pensionsversicherung.
Anstatt jedoch diese Perspektive als Beleg für eine nachhaltige soziale und finanzielle Entwicklung zu werten, empfiehlt die EU-Kommission gebetsmühlenartig eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters, bis vor kurzem zumeist in Form einer Koppelung an die Lebenserwartung. Damit sollen die relativen öffentlichen Pensionsausgaben zukünftig sogar deutlich unter (!) das aktuelle Niveau gedrückt werden, obwohl es dann wesentlich mehr Ältere geben wird (siehe Grafik „Szenario 2“). Es ist nicht nur ziemlich zynisch, mit welcher Gelassenheit über die damit einhergehenden finanziellen Einschränkungen der heute Jüngeren im Alter – und damit auch über die Entwertung ihrer Lebensleistung – hinweggesehen wird. Letztlich offenbart sich, welche Bedeutung die EU-Kommission einer angemessenen Alterssicherung tatsächlich einräumt: offensichtlich eine sehr geringe. Die eigentliche Zielsetzung scheint das Zurückdrängen öffentlicher Sicherungssysteme zu sein.
Jeden auch noch so moderaten Anstieg öffentlicher Pensionsausgaben als Ausdruck mangelnder „finanzieller Nachhaltigkeit“ zu diskreditieren, belegt letztlich nichts anderes als eine politische Werthaltung, die angesichts des Ausmaßes der demografischen Verschiebungen nur als widersinnig bezeichnet werden kann.
Vorgefertigtes Mindset
Die eigene Unbeirrbarkeit der EU-Kommission zeigt sich auch bei den diversen – oft eher künstlich wirkenden – Konsultations- und Einbeziehungsversuchen der heimischen Sozialpartner, wenn es um den Austausch über den Status quo in Österreich und die möglichen Politik- und Reformempfehlungen geht. Verstörend ist erfahrungsgemäß weniger, „was“ besprochen wird, sondern vielmehr die selektive Akzeptanz und Perzeption geäußerter Standpunkte: AK und ÖGB argumentieren stets mit offiziellen Statistiken – etwa von der EU-Kommission selbst oder vom Finanzministerium –, diese werden jedoch geflissentlich ignoriert. IV und WKO hingegen werden mit ihrem unangebrachten Alarmismus und ihrem Ruf zu massiven Einschnitten ins österreichische Pensionssystem „erhört“.