Warum sollen die Mindestlöhne erhöht werden?
Jede Arbeit muss 10 Euro in der Stunde wert sein!
Mindestlöhne sind nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine moralische Frage. Wir finden: Mit Vollzeitarbeit muss man auch genug zum Leben verdienen. Jede Arbeit muss uns mindestens 10 Euro in der Stunde wert sein. Das bedeutet bei Vollzeitbeschäftigung 1.700 Euro brutto im Monat.
Der ÖGB fordert höhere Mindestlöhne. Und was ist mit den Gehältern?
Mehr für alle ArbeitnehmerInnen!
ArbeiterInnen beziehen Löhne, Angestellte Gehälter. In bestimmten Zusammenhängen (Lohnpolitik, Lohnrunden …) hat sich aber der „Lohn“ als Namensgeber durchgesetzt, zum Beispiel eben auch in der politischen Diskussion um den Mindestlohn. Wenn der ÖGB also „1.700 Euro Mindestlohn“ sagt, ist immer auch „1.700 Euro Mindestgehalt“ gemeint.
Was bedeutet „Mindestlohn“?
Es gibt viele Mindestlöhne
Der Begriff „Mindestlohn“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch für verschiedene Dinge verwendet. Einerseits ist mit Mindestlohn in der politischen Diskussion jener Betrag gemeint, den jede Vollzeitarbeit mindestens wert sein muss. Es ist also der Lohn, den zu unterschreiten unmoralisch wäre und der daher verhindert werden muss. Vor allem in Deutschland wird dafür manchmal auch der Begriff „Lohnuntergrenze“ verwendet. Auf der anderen Seite gibt es in den Kollektivverträgen unterschiedliche Mindestlöhne für die Beschäftigten in den unterschiedlichen Verwendungsgruppen. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist in Österreich kein Thema.
Was ist mit 1.700 Euro Mindestlohn gemeint?
1.700 Euro brutto pro Monat 14-mal im Jahr für Vollzeitarbeit
Mit 1.700 Euro sind 1.700 Euro brutto Monatslohn/-gehalt für Vollzeitarbeit gemeint, also für die gesetzliche bzw. kollektivvertragliche Normalarbeitszeit. Diese liegt bei 40 Wochenstunden bzw. darunter, oft sind es 38,5 Stunden. Ausbezahlt wird 14-mal im Jahr, darin enthalten sind also Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Überstunden, Zulagen, Zuschläge, Diäten usw. dürfen nicht eingerechnet werden.
Und was ist mit den Teilzeitbeschäftigten?
Auch Teilzeitbeschäftigte profitieren
Von höheren Vollzeit-Mindestlöhnen profitieren natürlich auch Teilzeitbeschäftigte, die gerade in Niedriglohnbranchen häufig anzutreffen sind. Denn steigende Monatslöhne bedeuten auch steigende Stundenlöhne. Notwendig sind aber auch bessere Rahmenbedingungen für den Wechsel auf Vollzeit-Erwerbstätigkeit, denn prekäre Beschäftigung und Teilzeit sind Hauptursachen für Erwerbsarmut und langfristig durch niedrige Pensionen auch für Altersarmut.
Was bedeutet das für den Stundenlohn?
1.700 Euro brutto pro Monat entsprechen etwa 10 Euro pro Stunde
Der exakte Stundenlohn, der sich aus 1.700 Euro brutto im Monat ergibt, hängt vom Wochenstundenausmaß laut jeweiligem Kollektivvertrag ab. Bei 40 Wochenstunden macht der Stundenlohn 9,80 Euro brutto aus, bei 38,5 Stunden 10,18 Euro.
Warum verhandelt der ÖGB nicht gleich einen Netto-Mindestlohn?
Netto-Mindestlohn brächte Gefahren mit sich
Immer wieder heißt es: „Warum fordert der ÖGB einen Brutto-Mindestlohn und nicht einen bestimmten Netto-Betrag? Immerhin wissen die meisten ArbeitnehmerInnen ja eher, was sie jeden Monat netto herausbekommen, und nicht, auf welchem Bruttolohn das beruht. Schließlich müssten sie ja auch mit dem Nettolohn Miete zahlen und einkaufen gehen.“ Nun, das hätte zwar tatsächlich praktische Vorteile, würde aber die gesamte Logik der Kollektivvertragsverhandlungen gefährden: Dort werden immer Brutto-Mindestlöhne ausgehandelt, sowohl für die unteren als auch für die höheren Lohngruppen. Würde man ausschließlich die Mindestlöhne auf Netto umstellen, wäre die Vergleichbarkeit innerhalb des einzelnen Kollektivvertrags nicht mehr gegeben.
Seriös wäre das Verhandeln von Netto-Löhnen auch kaum möglich, denn wie viel Netto vom Brutto bleibt, ist immer abhängig von persönlichen Abzügen wie Steuern und Abgaben, die individuell unterschiedlich sein können.
Und auch eine große Gefahr bestünde, würde ein Netto-Mindestlohn festgelegt werden: Die Arbeitgeber würden versuchen, hier auch Dinge wie Diäten, Schmutzzulagen oder gar Trinkgelder einzurechnen, um brutto weniger zahlen zu müssen.
Wer würde von 1.500 bzw. 1.700 Euro Mindestlohn profitieren?
420.000 ArbeitnehmerInnen noch unter 1.700 Euro brutto
Anfang 2017 verdienten rund 420.000 Menschen weniger als 1.700 Euro im Monat, und davon lagen noch ungefähr 300.000 unter 1.500 Euro brutto, davon zwei Drittel Frauen. Durch die heuer bereits abgeschlossenen Lohnrunden, zum Beispiel im Hotel- und Gastgewerbe, werden es aber laufend weniger.
Betroffen: Ca. 10 Prozent der ArbeitnehmerInnen
Es gibt derzeit noch um die 200 Kollektivverträge (von mehr als 450) mit Lohngruppen unter 1.500 Euro Mindestlohn. Das klingt aber schlimmer, als die tatsächliche Situation in den meisten Branchen ist.
Denn viele Kollektivverträge haben zwar noch eine unterste Lohngruppe mit Löhnen unter 1.500 Euro, aber oft sind so gut wie keine Beschäftigten in diese Lohngruppen eingeordnet. Insgesamt verdienen acht bis zehn Prozent der Beschäftigten weniger als 1.500 Euro.
Wie will der ÖGB die höheren Mindestlöhne durchsetzen?
Generalvereinbarung für schrittweise höhere Mindestlöhne
Der ÖGB möchte eine Generalvereinbarung mit der Wirtschaftskammer über die schnelle Erreichung von 1.500 Euro Mindestlohn/-gehalt in allen Kollektivverträgen abschließen. Die einzelnen Branchen hätten dann eine bestimmte Zeit für die Umsetzung. Mit einer solchen Vereinbarung wurde auch schon der Mindestlohn von 1.000 Euro durchgesetzt.
Seit Jahresbeginn wurde der Mindestlohn von 1.500 Euro bereits in einigen Kollektivvertragsverhandlungen umgesetzt. Parallel dazu werden die Gewerkschaften aber in einzelnen Kollektivvertragsverhandlungen weiter das Ziel eines Mindestlohns von 1.700 Euro verfolgen.
Damit sich auch alle Unternehmen an die Mindestlohnregelungen halten, fordert der ÖGB verschärfte Kontrollen und strengere Strafen bei Unterentlohnung, aufbauend auf dem Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping.
Würden alle Beschäftigten von der Generalvereinbarung profitieren?
Der ÖGB fordert gesetzliche Verbesserungen für Menschen ohne Kollektivvertrag
In Österreich gilt für 98 Prozent aller ArbeitnehmerInnen ein Kollektivvertrag – und somit auch ein Mindestlohn.
Es gibt aber auch einige wenige Bereiche ohne Kollektivvertrag, entweder weil sich der jeweilige Arbeitgeberverband weigert, einen abzuschließen, oder weil es für diesen Bereich gar keinen Arbeitgeberverband gibt.
Der ÖGB fordert gesetzliche Verbesserungen etwa für ArbeitnehmerInnen, für die überhaupt kein KV gilt. Vorstellbar wäre etwa eine Passage, wonach die ortsübliche angemessene Bezahlung nicht per Arbeitsvertrag unterschritten werden darf. Auch für freie DienstnehmerInnen fordert der ÖGB besseren Schutz, damit es sich für Arbeitgeber nicht mehr auszahlt, aus dem KV zu flüchten, indem sie ArbeitnehmerInnen durch freie DienstnehmerInnen ersetzen.
Soll der Mindestlohn auch für Selbstständige gelten?
Scheinselbstständigkeit verhindern – Mindestlohn für echte Selbstständige nicht möglich
Es ist zweifellos so, dass viele Menschen in die (Schein-)Selbstständigkeit gedrängt werden, obwohl ihre Tätigkeit eher der von Angestellten entspricht. Hier wurden mittlerweile Verbesserungen bei der Abgrenzung beschlossen. Langfristig ist aber die Neudefinition des ArbeitnehmerInnenbegriffs notwendig: Wer von einem einzigen Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig ist, muss als ArbeitnehmerIn gelten, nicht als Selbstständige/r.
Für echte Selbstständige, die freie UnternehmerInnen mit mehreren KundInnen und freier Preisgestaltung sind, wären „Mindestlöhne“ technisch nicht durchführbar und außerdem vermutlich wettbewerbs- und kartellrechtlich nicht haltbar.
Können sich die Unternehmen 1.700 Euro Mindestlohn leisten?
Die Gewinne der Unternehmen steigen
Da kommt es natürlich auf das einzelne Unternehmen an. Quer über die Branchen muss man aber sagen: Während die Lohnquote sinkt, steigen die Gewinne.
Vor allem ab den 1990er-Jahren bis zur Finanzkrise 2008 ging die Lohnquote stark zurück. Der Gewinneinbruch in der Krise trug zwar zu einer kleinen Gegenbewegung bei. Doch während sich die Gewinne seither wieder erholt bzw. zu neuen Höhen aufgeschwungen haben, verharrt die Lohnquote auf einem deutlich niedrigeren Niveau als noch vor 40 Jahren.
Unternehmen profitieren von höherer Kaufkraft
Löhne und Gehälter sind zwar auch Kosten für die Unternehmen. Andererseits sind Löhne und Gehälter Einkommen für die ArbeitnehmerInnen und bestimmen damit deren Konsumnachfrage.
Beim unteren Einkommensdrittel wandern 80 Prozent der zusätzlichen Einkünfte sofort in den Konsum. Das wiederum kurbelt die Wirtschaft an.
Führen Mindestlöhne zu höherer Arbeitslosigkeit?
Arbeitsplätze entstehen auch, wenn Mindestlöhne erhöht werden
Höhere Mindestlöhne schützen vor Armut und steigern die Kaufkraft. Mindestlöhne führen klar nachweisbar zu höheren Löhnen im Niedriglohnbereich, haben aber einen sehr schwachen bzw. keinen Effekt auf die Anzahl der Beschäftigten. Mindestlöhne sorgen also nicht dafür, dass die Arbeitslosigkeit steigt.
Das zeigen die Erfahrungen aus vielen Ländern, darunter die USA, Großbritannien, Portugal, Deutschland und Tschechien. (tinyurl.com/lfkmeor)
Werden Unternehmen ins Ausland abwandern?
Die betroffenen Branchen können nicht abwandern
Wenn man sich anschaut, welche Branchen hauptsächlich Niedriglöhne zahlen, wird klar: Die können gar nicht abwandern, weil sie überwiegend im Dienstleistungssektor zu finden sind und in Österreich bleiben werden, weil hier ihre KundInnen sind. Beispiele sind TaxifahrerInnen, FußpflegerInnen, FriseurInnen oder Beschäftigte in Pflege- und Kureinrichtungen.
Profitiert vor allem der Staat von höheren Mindestlöhnen?
Beschäftigte profitieren von mehr Netto und höherer Pension
Unternehmer, die keine höheren Mindestlöhne zahlen wollen, argumentieren so: Steigt der Lohn von 1.350 Euro auf 1.500 Euro brutto, also um 150 Euro, dann bleibt der oder dem Beschäftigten unterm Strich ein Netto-Plus von gerade einmal 83 Euro. Profitieren würde also hauptsächlich der Staat.
Sie dürften sich nur schwer vorstellen können, wie wichtig es für Menschen mit so niedrigen Einkommen ist, „nur“ 83 Euro mehr zu bekommen bzw. knapp 1.200 Euro mehr pro Jahr.
Und: Was davon abgezogen wird, bekommt nicht „der Staat“, sondern zum Beispiel die Sozialversicherung. Und von höheren Sozialversicherungsbeiträgen profitieren die Beschäftigten selbst: durch höhere Pension und falls nötig durch höheres Arbeitslosengeld.
Warum fordern Gewerkschaften in anderen EU-Ländern gesetzliche Mindestlöhne?
Beispiel Deutschland: Gesetzlicher Mindestlohn wegen niedriger KV-Abdeckung notwendig
In Deutschland hat der DGB erfolgreich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes gefordert. Dort ist die Situation aber grundlegend anders als in Österreich: Tarifverträge gelten (im Gegensatz zu den österreichischen Kollektivverträgen) nur in Betrieben, deren Arbeitgeber Mitglied in derjenigen Organisation ist, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat.
Will also ein deutsches Unternehmen den tarifvertraglichen Mindestlohn nicht mehr bezahlen, braucht er nur aus der Organisation auszutreten. Dies ist in Österreich dank der automatischen Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer nicht möglich. Folglich gelten die Tarifverträge in Deutschland nur für weniger als 60 Prozent der ArbeitnehmerInnen.
Es hat sich ein ausufernder Niedriglohnsektor entwickelt. Ein gesetzlicher Mindestlohn war daher notwendig, um die Flucht aus dem Tarifvertrag für die Unternehmer weniger lukrativ zu machen.
Linktipp
Nützliche Infos der Arbeiterkammer: „So viel Lohn steht mir zu“:
tinyurl.com/leh7dpe
Florian Kräftner
ÖGB Kommunikation
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/17.
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