Rechnet man diese drei Beträge zusammen, sprechen wir von 8,1 Milliarden Euro, die im Bereich der Sozialversicherung fehlen, so Florian Burger, Referent der Abteilung Sozialversicherung der Arbeiterkammer Wien. Es stellt sich natürlich die Frage, wo dieses Geld künftig herkommen soll und wie sich das und die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge auf die Leistungen aus der Sozialversicherung auswirkt.
Wie wirkt sich das auf die Sozialversicherungsleistungen aus?
Florian Burger verweist darauf, dass die Versicherten zunächst nichts spüren werden. Denn der Fehlbetrag, der durch die Beitragssenkung der SV Beiträge für GeringverdienerInnen entsteht, soll zunächst durch Steuergelder finanziert werden. Zudem haben die Krankenkassen Rücklagen, einen finanziellen Polster also, auf den nach der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge in erster Konsequenz zurückgegriffen werden kann.
Doch spätestens wenn diese Reserven aufgebraucht sind, der Wirtschaftsaufschwung abebbt und dadurch die Steuergelder für eine Finanzierung fehlen, kippt das System. Die Vermutung liegt nahe, dass dann in Bezug auf die Krankenversicherung ein Sparkurs gefahren werden muss, wenn das Geld nach der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge knapp wird.
Was bedeutet die Senkung der SV Beiträge für die Krankenkassen?
Wenn die Krankenkassenleistungen weniger von Sozialversicherungsbeiträgen und mehr von Steuergeldern finanziert werden, bedeutet das für die Krankenkassen, dass sie abhängig vom Finanzminister sind. Sie werden also zu Bittstellern und verlieren einen Teil ihrer Unabhängigkeit. Damit hätten wir ein System wie jenes in England. Dort wird das National Health System (kurz NHS) nicht durch SV Beiträge, sondern durch Steuern finanziert. Wichtig wäre es hingegen jedoch, dass die Krankenkassen durch die Beitragsfinanzierung unabhängig vom Steuersystem agieren können, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Denn müssen Kürzungen der Leistungen vorgenommen werden, stellt sich die Frage, in welchem Bereich man dies tut.
Etwa bei den ÄrztInnen? Das würde jedenfalls den Anreiz schaffen, dass mehr ÄrztInnen ihre Dienste als Wahlärztin/Wahlarzt bzw. Privatärztin/Privatarzt anbieten und zwar ohne Vertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen. Denn dadurch sind sie nicht an die vorgegebene Honorierung gebunden.
Oder möchte man bei Medikamenten sparen? Momentan ist von den Versicherten bei verschreibungspflichtigen Medikamenten nur die Rezeptgebühr zu bezahlen – ganz egal, wie viel das Medikament eigentlich kostet. Wird hier eingespart, werden die Kosten auf die PatientInnen umgewälzt.
Eine dritte Möglichkeit der Kürzung wäre im Bezug der Geldleistungen möglich, also beim Krankengeld. Das würde jedoch die wichtige Existenzsicherung der Betroffenen gefährden.
Das kommt einer Strafe fürs Kranksein gleich.
Florian Burger, AK Wien
Wie man es dreht und wendet: Kommt es zu Kürzungen der Krankenversicherungsleistungen, sind Kranke und einkommensschwache Personen die Leidtragenden, die das besonders zu spüren bekommen. „Das kommt einer Strafe fürs Kranksein gleich“, warnt Florian Burger.
Müssen wir die Reform langfristig selbst bezahlen?
Florian Burger gibt zu bedenken, dass im ArbeitnehmerInnenanteil an der Sozialversicherung ein großer Versicherungswert steckt. So wirkt das Konzept einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge bei GeringverdienerInnen zunächst positiv, hat aber bei genauerer Betrachtung schwerwiegende Folgen. Denn was ist die Alternative zu einem staatlichen Versicherungssystem?
Müssen wir die Versicherungsleistungen irgendwann aus der eigenen Tasche bezahlen, steht schnell fest: Der private Markt hat deutlich höhere Preise als jene Beiträge, die durch die Krankenkassen eingehoben werden. So zahlt man beispielsweise allein für eine Pflegeversicherung bei privaten Versicherungen rund 100 Euro monatlich, falls man als Pflegefall Leistungen in Anspruch nehmen möchte. Für Personen, deren monatliches Einkommen beispielsweise 1.200 oder 1.300 Euro beträgt, eine stolze Summe – und das lediglich für einen Teilbereich des Krankenversicherungsspektrums. Vor allem wenn man bedenkt, dass der ArbeitnehmerInnenanteil der gesamten Krankenversicherung lediglich 3,87 Prozent des Gehalts ausmacht.
Das Problem ist eigentlich ein ganz anderes
Das Problem ist eigentlich ein anderes: „Die Sozialversicherung wird oft als Belastung dargestellt, ist aber vielmehr ein Vermögenswert“, so Florian Burger. Denn jede/r Versicherte profitiert von den Leistungen, die von der Sozialversicherung abgedeckt werden.
Die Sozialversicherung wird oft als Belastung dargestellt, ist aber vielmehr ein Vermögenswert.
Florian Burger, AK Wien
Und im Endeffekt ist eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge lediglich eine Umverteilung der Belastungen. Denn verringern sich die Beitragszahlungen bei GeringverdienerInnen, steigt dadurch auch die Steuerbemessungsgrundlage, was ein erhöhtes Lohn- und Einkommensteueraufkommen verursacht. So bedeutet das zwar eine jährliche „Entlastung“ aller Betroffenen von 700 Mio. Euro, bewirkt aber – je nach genauer Ausformulierung der Steuerreform – auch Steuerrückflüsse in Höhe von etwa 140 Millionen Euro jährlich an den Staat.
Die „Entlastung“ der Versicherten verringert sich also trotz einer Senkung der SV-Beiträge gleich wieder um einen Großteil des Betrages, und das Versicherungssystem hat mit einer Schwächung durch die angegriffene Unabhängigkeit und Selbstverwaltung zu kämpfen, um weiterhin die bestmögliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Einzigen, die langfristig von den Reformen profitieren, werden also die privaten Versicherungsanbieter sein.