Leistungen vereinheitlichen
Der Verwaltungsaufwand also ist nicht das Problem. Das bedeutet aber nicht, dass es im österreichischen Sozialstaat keinen Verbesserungsbedarf gäbe. So stehen die meisten Leistungen im Gesundheitswesen allen Versicherten gleichermaßen zu, das betrifft etwa den Zugang zu Spitälern oder Medikamente. Dennoch gibt es auch Unterschiede. Wenn PatientInnen mit privater Zusatzversicherung in einem öffentlichen Spital frühere Operationstermine bekommen, ist das inakzeptabel.
Auch innerhalb der öffentlichen Sozialversicherung besteht Handlungsbedarf. Nach wie vor erhalten Menschen in manchen Bereichen unterschiedliche Leistungen, und zwar je nach Krankenkasse, zu der sie gehören. Dies betrifft etwa die Zahnversorgung (Zahnersatz), die Hilfsmittel und Heilbehelfe (Rollstühle, Kontaktlinsen …) und die Bereiche der Physiotherapie, Psychotherapie, Logotherapie und Ergotherapie. Diese Leistungsunterschiede müssen behoben werden. Es darf aber nicht darauf hinauslaufen, dass sich alles auf niedrigerem Niveau einpendelt. Vielmehr sollten Leistungen, wo es sinnvoll ist, nach oben angepasst werden.
Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits gesetzt. So haben die Sozialversicherungsträger im Juni 2017 beschlossen, bestimmte Leistungen zu vereinheitlichen. Das betrifft zum Beispiel die FSME-Impfung, den PSA-Test, die Kostenanteile der Versicherten bei Transportkosten, die endovaginale Sonografie, Rollstühle, Windeln, kieferorthopädische Leistungen oder Familienzuschläge beim Krankengeld.
Dass es hier bisher Unterschiede gab, ist darauf zurückzuführen, dass Krankenversicherungsträger mit einer besseren Finanzlage ihren Versicherten höhere Leistungen zahlen können. Hintergrund dafür ist vor allem die Struktur der Versicherten. Manche Träger haben vor allem stabil Beschäftigte oder befinden sich in wirtschaftlich dynamischeren Regionen. Bei anderen Trägern gibt es viele PensionistInnen, Arbeitslose, Armutsgefährdete oder viele Versicherte mit sozialen und gesundheitlichen Problemen.
Ein Beispiel: 99,7 Prozent der arbeitslosen Menschen sind in den Gebietskrankenkassen versichert. Diese erhalten für Arbeitslose im Schnitt viel weniger Beiträge als für Beschäftigte. Daher sind die Einnahmen je Versicherten oder Versicherte sehr unterschiedlich. Die Versicherung der öffentlich Bediensteten oder die Betriebskrankenkassen wiederum haben pro Kopf deutlich höhere Einnahmen als die Krankenversicherung im Durchschnitt: Hier bedarf es eines Ausgleichs. Dazu kommt, dass kleine, aber wohlhabende Träger mehr VertragsärztInnen haben als die Gebietskrankenkassen in Summe. Die Versorgung der Menschen muss aber von ihren Bedürfnissen abhängig sein und nicht von der Finanzlage der jeweiligen Krankenversicherung.
Aber auch bei der Sozialversicherung selbst kann einiges verbessert werden. So sollte die Effizienz dadurch erhöht werden, dass keine Tätigkeiten parallel durchgeführt werden, wenn das kostengünstiger einmal für alle gemacht werden könnte. Man kann durch vermehrte Arbeitsteilung und Kooperation auch die Effizienz steigern. Wer eine wirkliche Reform der Sozialversicherung im Kopf hat, muss die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen – nicht die Struktur. Es geht darum, das System fairer zu machen, statt durch schnelle Ad-hoc-Reformen ein bewährtes System zu gefährden.
David Mum
im Kabinett des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz für den Bereich „Soziales“ zuständig
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.
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