Diese Erfahrung machte auch Susanne Buchner-Sabathy, Expertin für digitale Barrierefreiheit, als sie vor 20 Jahren erblindete. Als plötzlich das Lesen von Büchern und Durchblättern von Magazinen nicht mehr möglich war, musste sie neue Wege finden und entdeckte den digitalen Raum für sich. Die Erfahrung, auch im Internet Zeitungen lesen zu können, war für sie eine enorme Erleichterung. „Da ging plötzlich eine neue Türe für mich auf“, erzählt sie. Doch sie musste auch feststellen, dass es auf vielen Websites Stolperfallen gab. Auf manchen funktionierte das Lesen sehr gut, auf manchen aber gar nicht. Buchner-Sabathy beschloss, sich näher mit der Thematik auseinanderzusetzen und hinter die Kulissen zu blicken. Heute ist sie Expertin für digitale Barrierefreiheit und berät Firmen und Institutionen in Bezug auf barrierefreies Webdesign.
Digitale Barrierefreiheit für Arbeitnehmer:innen
Bei digitaler Barrierefreiheit denkt man schnell an Websites, die barrierefrei gestaltet sein sollten. Dabei ist Barrierefreiheit im Unternehmen mehr als das. Um die Teilhabe aller Menschen im Betrieb zu gewährleisten, müssen auch Apps und Softwarelösungen, PDFs oder in Zukunft KI-Anwendungen barrierefrei sein.
Stellt ein Betrieb Menschen mit einer Sehbehinderung oder blinde Mitarbeiter:innen ein, wird die nötige Ausstattung wie beispielsweise Screenreader, die den Text vorlesen, finanziert. Dem Betrieb entstehen keine zusätzlichen Kosten. Was dabei oft vergessen: „Auch die Programme, die intern verwendet werden, müssen barrierefrei sein“, gibt Buchner-Sabathy zu bedenken. Nutzt das Unternehmen etwa Programme, bei denen User:innen nur mit der Maus den Cursor steuern, statt mit der Tastatur, sind sie für Menschen, die nicht oder nur sehr erschwert sehen können, nicht nutzbar. Firmen müssen also hinterfragen, welche Software sie verwenden und ob diese für alle Mitarbeiter:innen inklusiv ist.
Digitale Barrierefreiheit im Außenauftritt
Ein wichtiger Teil der digitalen Barrierefreiheit ist der Webauftritt des Unternehmens. „Die Barrierefreiheit nützt allen etwas“, betont Buchner-Sabathy. Sie hilft nicht nur den Nutzer:innen oder potenziellen Kund:innen und Auftraggeber:innen, die sich durch die Website navigieren. Viele Maßnahmen zur digitalen Barrierefreiheit tragen zur Suchmaschinenoptimierung bei und helfen dem Unternehmen im Netz besser gefunden zu werden. Eine echte Win-Win-Situation. Jedoch nur, wenn frühzeitig daran gedacht wird. Änderungen im Nachhinein bedeuten gerade bei umfangreichen Websites einen enormen Mehraufwand. Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig mit dem neuen Barrierefreiheitsgesetz auseinanderzusetzen und bereits bei der Entwicklung auf digitale Barrierefreiheit zu achten.
Das größte Problem für Buchner-Sabathy ist aber, dass das Wissen über Barrierefreiheit viel zu gering ist. Die Wertigkeit von Barrierefreiheit wird im Management oft unterschätz und das Knowhow in der Web-Entwicklung ist oft gering. Die meisten Web-Entwickler:innen und Programmierer:innen wissen nicht, welch weitreichende Konsequenzen selbst kleine Entscheidungen haben können. „Umfassende Informationen über barrierefreies Webdesign müssen vermehrt in die Ausbildung von Web-Entwickler:innen einfließen“, fordert die Expertin Susanne Buchner Sabaty. Nur das schafft bereits zu Beginn der beruflichen Laufbahn ein Bewusstsein dafür.
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Digitale Barrierefreiheit bedeutet Teilhabe für alle
Der digitale Raum muss endlich allen zugänglich werden. Susanne Buchner-Sabathy hat selbst erlebt, wie viele Türen sich ihr dadurch geöffnet haben. Und sie weiß auch, dass noch so viel mehr möglich ist, wenn Barrierefreiheit schon bei der Entwicklung mitgedacht wird. Statt die neue Richtlinie als nervige Pflichtaufgabe zu sehen, sollte sie als Anlass dienen, ganzheitlicher zu denken. Denn in der Barrierefreiheit liegen enorme Chancen für alle.
- Schlechter Kontrast: Eine blasse Schrift auf hellem Hintergrund erschwert das Lesen. Für Personen mit einer Sehbehinderung kann das fatal sein, aber auch bei Sonneneinfall ergeben sich erschwerte Bedingungen beim Lesen solcher Websites. Nicht zu vergessen: Im Alter entwickeln viele Menschen, die von der sogenannten Alterssichtigkeit (Presbyopie) betroffen sind, einer altersbedingten Fehlsichtigkeit. Hier ist es besonders wichtig, auf einen optimalen Kontrast der Website zu achten, um eine gute Lesbarkeit zu garantieren.
- Schaltflächen, die nur mit der Maus anklickbar sind: Blinde Personen navigieren auf einer Website nicht mit der Maus. Sie verwenden hierfür die Tastatur und navigieren mit der Tabulator- und Enter-Taste. Daher ist es wichtig, dass Schaltflächen nicht nur mit der Maus anklickbar sind, um auch von ihnen bedient werden zu können.
- Überschriften, die nicht als Überschriften ausgewiesen sind: Wer einen Screenreader verwendet, um sich die Inhalte einer Website vorlesen zu lassen, ist auf eine akkurate Website-Struktur angewiesen. Es ist möglich, sich beispielsweise nur die Überschriften vorlesen zu lassen, um leichter auf der Seite zu navigieren. Werden die Überschriften aber im Quelltext der Website nicht als solche ausgegeben (zum Beispiel H1, H2, H3, …), kann der Screenreader diese nicht erkennen.
- Fehlende Button-Beschriftungen: Zu einem weiteren Problem kommt es, wenn Buttons nicht beschriftet sind. Es ist zwar ersichtlich, dass es sich um einen Button handelt, der angeklickt werden kann, doch ohne zu sehen, welches Symbol sich darauf befindet, hat eine blinde Person keine Möglichkeit zu wissen, welche Funktion der Button hat. Stimme ich damit den AGBs zu? Kaufe ich damit etwas? Gebe ich mein Einverständnis zu etwas? Nicht zu wissen, was ein Button macht, ist eine sehr unsichere Situation, in die sich niemand gerne begibt.
- Fehlende Formular-Überschriften: Ein ähnliches Problem wie die fehlenden Button-Beschriftungen sind in Formularen gegeben, wenn die einzelnen Felder nicht beschriftet sind. So kann ein Screenreader zwar sagen, dass da ein leeres Feld ist, nicht aber, was darin ausgefüllt werden sollte.
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