Auf gesamtstaatlicher Ebene folgte dem Beispiel Österreich bisher nur das Großherzogtum Luxemburg. 1924 wurde eine Arbeiterkammer und getrennt davon eine Kammer für Privatangestellte gegründet. Als Beratungsorgan der Regierung ist die 2008 fusionierte Chambre des salariés unmittelbar in die Gesetzgebungsprozesse des Landes eingebunden und mit 496.000 Mitgliedern die größte Berufskammer in Luxemburg.
Was Arbeitern dienlich ist
In Deutschland war es vor allem der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, der sich Anfang des 19. Jahrhunderts vehement für die Schaffung von Arbeiterkammern einsetzte. Deren Sinn und Zweck beschrieb er damals wie folgt: „Ihre Aufgabe ist die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter. Sie ist berufen, auf alles, was der Arbeiterklasse dienlich sein kann, fortwährend ihr Augenmerk zu richten […]. Über alle, die Arbeiterverhältnisse betreffenden Gesetze, wird vor deren Erlaß die Arbeiterkammer zu einer Begutachtung veranlaßt.“
Von Mitgliedern finanziert
Trotz Initiativen in mehreren Bundesländern Deutschlands wurde vorerst lediglich in Bremen (1921) eine Arbeiterkammer (und eine davon unabhängige Angestelltenkammer) eingeführt. Im Jahr 2000 kam es zur Zusammenlegung in eine Arbeitnehmerkammer mit heute rund 360.000 Mitgliedern.
Neben Bremen gibt es in Deutschland noch die Arbeitskammer des Saarlandes. Sie wurde 1951 als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet, um für die saarländische Arbeitnehmerschaft eine Einrichtung zur Vertretung ihrer Interessen in Wirtschaft und Politik zu schaffen. Wie in Bremen wird auch sie aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, die der Arbeitgeber direkt vom Gehalt abzieht (0,15 Prozent des Bruttolohns).
„Wir haben ebenso wie in Österreich den gesetzlichen Auftrag, die Interessen von abhängig Beschäftigten gegenüber der Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu vertreten“, erläutert Peer Rosenthal, Referent der Geschäftsführung in der Arbeitnehmerkammer Bremen, die Aufgaben seiner AK. Die Vorteile, die Werktätige in Ländern mit gesetzlicher Interessenvertretung im Vergleich mit den 14 anderen deutschen Bundesländern haben, liegen für ihn auf der Hand: Mit den Arbeiterkammern gibt es neben den Gewerkschaften einen zusätzlichen Akteur, „die abhängig Beschäftigten erhalten dadurch ein größeres Gewicht in der Wahrnehmung ihrer Interessen“, so Rosenthal. Darüber hinaus bieten die AKs auch ein ausgefächertes Dienstleistungsangebot für ihre Mitglieder.
Positives Beispiel Österreich
Aufgrund dieser Vorteile gibt es in Deutschland immer wieder Ansätze, die Einführung von Arbeiterkammern in anderen Bundesländern und landesweit in die Wege zu leiten, zum Beispiel in Hessen und Brandenburg. „Es ist aber bisher bedauerlicherweise nicht dazu gekommen, das tatsächlich umzusetzen“, erzählt Rosenthal. „Wir werben für das Kammermodell in allen Gesprächen, die wir jenseits der Landesgrenzen führen, auch mit den saarländischen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Unser positives Beispiel ist dabei Österreich, weil mit einer flächendeckenden Abdeckung und einer Bundesarbeitskammer die Interessenvertretung noch einmal ein ganz anderes Gewicht hätte. Österreich ist für uns das Vorbild einer funktionierenden Interessenvertretung im Zusammenspiel von Gewerkschaften und Arbeiterkammern“, so Rosenthal.
Um sich grenzüberschreitend zu vernetzen, findet alle zwei Jahre in einer der jeweiligen Dependancen in Deutschland, Luxemburg oder Österreich der Internationale Arbeiterkammertag (IAKT) statt. Ziel des Treffens ist es, sich über aktuelle politische Fragen, die in allen drei Ländern für ArbeitnehmerInnen von Bedeutung sind, auszutauschen, Schnittstellen zu identifizieren und dann konkret an Themen zu arbeiten.
Südkorea plant Arbeiterkammer
Internationale Delegationen zeigten in den letzten Jahren immer wieder Interesse am österreichischen Modell, erzählt Valentin Wedl, Leiter der Abteilung „EU und Internationales“ in der AK Wien, doch bisher gab es noch keine konkreten Initiativen, auch in anderen Ländern Arbeiterkammern einzuführen – bis auf Südkorea. Seit den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 stellt dort die sozialliberale Minju-Partei den Präsidenten.
Außenpolitisch setzt sie auf Diplomatie mit Nordkorea mit dem Ziel einer Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten. Innenpolitisch ist die Einführung eines sozialen Sicherungssystems geplant. Denn in Südkorea gibt es einen extrem hohen Anteil an prekär Beschäftigten. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Gutteil der Erwerbstätigen über keinen unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrag verfügt.
Eines der Ziele der Regierung ist deshalb die Regularisierung der Privatwirtschaft und die Stärkung von Arbeitsrechten. In diesem Zusammenhang steht auch die geplante Einführung von Arbeiterkammern nach österreichischem Vorbild.
Insang Han vom wissenschaftlichen Dienst des südkoreanischen Parlaments hielt sich deshalb von Juli bis September dieses Jahres in der AK Wien auf, um das österreichische Modell zu studieren. Der Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit lag dabei auf der Rolle der AK in der Gesetzgebung und ihrem Einfluss auf den Arbeitsmarkt. „Wir stehen noch am Anfang des Prozesses“, so Han. „Bevor wir in Südkorea ein AK- und Betriebsratssystem einführen können, muss noch studiert werden, wie das hier in Österreich funktioniert.“ Die geplante Einführung bis 2022 hält er deshalb für schwierig: „Es wird vermutlich länger dauern. Das ist nicht so einfach. Korea ist anders.“
Problematische Rivalität
Hindernisse auf dem Weg zur Einführung einer südkoreanischen Arbeiterkammer sieht auch Valentin Wedl. Während sich die dialogorientierte Federation of Korean Trade Unions (FKTU) für eine südkoreanische AK starkmacht, spricht sich der zweite Gewerkschaftsdachverband, die kämpferische Korean Confederation of Trade Unions (KCTU), dagegen aus. „Dies muss man aus der Rivalität der beiden Dachverbände verstehen, aber auch aus einer grundsätzlichen Positionierung, was das Wechselverhältnis von Gewerkschaften und Arbeiterkammern betrifft. Während in Österreich die politische Führung der AK in Händen der Gewerkschaften ist, hätte man in Korea diese Garantie nicht. Insofern fürchtet die KCTU nicht zu Unrecht, dass eine Arbeiterkammer völlig gegen ihre Interessen agieren könnte“, erläutert Wedl. „Im schlimmsten Fall wäre die südkoreanische AK ein trojanisches Pferd, mit dem (zukünftige) Machthaber Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen kontrollieren könnten. Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern“, betont Wedl.
Kooperation zentral
Das sieht auch Peer Rosenthal von der AK Bremen so: „Ich unterstreiche den Aspekt, dass es absolut notwendig ist, die Arbeiterkammern in einem Kooperationsverhältnis zu den Gewerkschaften zu etablieren. Arbeiterkammern dürfen nicht installiert werden, um ein Konkurrenzverhältnis zu den Gewerkschaften zu schaffen.“ Grundsätzlich zeigt sich Wedl aber erfreut, dass das österreichische System der Arbeiterkammern in Südkorea Nachahmer findet.
Linktipps
Arbeitnehmerkammer Bremen
www.arbeitnehmerkammer.de
www.akhb.de
Arbeitskammer des Saarlandes
www.arbeitskammer.de
Arbeiterkammer Luxemburg
www.csl.lu
Michael Wögerer
weltumspannend arbeiten
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.
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