Von Japan bis Tansania: So geht gutes Generationenmanagement

Eine Frau im Jogginganzug lehnt sich auf ein Kind, das einen Pullunder und Krawatte trägt. Symbolbild für Generationenmanagement.
Generationenkonflikt oder Chance? Länder wie Tansania oder Japan sind uns im Generationenmanagement weit voraus. | © Markus Zahradnik
Während das Thema Generationenmanagement in Europa immer akuter wird, ist es in Tansania und Japan schon lange gelebte Praxis. Über den Umgang mit demografischen Herausforderungen in zwei sehr unterschiedlichen Gesellschaften.
In Japan hat der „Tod durch Überarbeitung“ einen eigenen Namen: „karōshi“. Japan ist bekannt als eines der Länder mit der höchsten Überstundenzahl: 80 oder mehr zusätzliche Stunden monatlich sind Teil der Arbeitskultur. Die Folgen sind Erschöpfung, permanenter Stress, Herzinfarkt oder Suizid. „Die Situation hat sich etwas gebessert“, sagt Hifumi Okunuki, Vorsitzende der japanischen Gewerkschaft Zenkoku Ippan Tokyo General Union, kurz Tozen. „Junge Mitarbeitende tendieren dazu, nach Hause zu gehen, wenn die offizielle Arbeitszeit zu Ende ist. Hingegen bleiben die älteren Kolleg:innen weiterhin länger im Büro.“ Okunuki spricht von einem Wandel durch die junge Generation. Während breit angelegtes Generationenmanagement in Österreich angesichts der Pensionierungen der geburtenstarken Jahrgänge akut wird, gibt es in anderen Ländern damit bereits Erfahrungen. So hadert Japan mit dem hohen Alter der Bevölkerung, Tansania mit deren Jugend. Was können wir von den Gewerkschaften dieser Länder lernen?

Unsichere Zukunft

Aus Gesprächen mit Studierenden schlussfolgert Okunuki, dass die sinkende Bereitschaft, für den Job alles aufzugeben, in Japan auch an einem pessimistischen Blick in die Zukunft liegt. „Die jungen Japaner:innen sind verunsichert“, sagt die Tozen-Vorsitzende, die Arbeitsrecht an der Frauen-Universität Sagami in der Stadt Sagamihara lehrt, etwa 40 Kilometer von Tokio entfernt. „Sie haben Angst, dass sie später keine Pension erhalten werden. Sie glauben nicht, dass sich die Politik um ihre Anliegen kümmert.“ Laut Okunuki vertritt die Regierung mehr die Interessen großer Unternehmen als die der Bevölkerung.

Und Letztere zählt immerhin zu den ältesten weltweit. Fast 30 Prozent der Menschen in Japan sind 65 Jahre oder älter, gleichzeitig sinkt die Geburtenrate. Die hohen Lebenshaltungskosten und geringen Pensionen – zwischen 360 und 1.100 Euro monatlich – bedeuten für Ältere, dass sie länger arbeiten müssen. Eine Pensionistin, die bei einer Fastfood-Kette arbeitet, sei kein Einzelfall.

„Früher war es üblich, das ganze Arbeitsleben lang in derselben Firma zu bleiben, und mit den Jahren stieg auch das Gehalt“, sagt Tozen-Vorsitzende Okunuki. „Das hat sich geändert.“ Mitarbeiter:innen leisten bis zum Alter von 59 Jahren Pensionsbeiträge, ausbezahlt werden sie jedoch erst ab 65. Bis dahin arbeiten sie weiterhin in den Unternehmen, allerdings oft prekär und mit Gehaltskürzungen von bis zu 70 Prozent.

Resignation statt Organisation

Widerstand regt sich allerdings wenig. Die Menschen resignieren, bedauert Okunuki. Nur 16 Prozent der Arbeiter:innen engagieren sich in Gewerkschaften. In Japan werden diese üblicherweise nicht nach Branchen, sondern innerhalb einzelner Unternehmen gegründet und gelten daher als nicht besonders kämpferisch. Was eine aktive unabhängige Gewerkschaft bringen kann, zeigt Tozen, deren Mitglieder mittels Streiks, Protesten und vor Gericht ihre Forderungen vorantreiben. Dazu gehören bessere Bezahlung und fixe Anstellungen. Louis Carlet hat Tozen im Jahr 2010 gegründet und setzt sich gegen die Diskriminierung von ausländischen Staatsbürger:innen am Arbeitsplatz ein. Er ist selbst in den 1990er-Jahren von den USA nach Japan gezogen, um als Übersetzer zu arbeiten.

Angesichts der schrumpfenden Bevölkerung ist Japan zunehmend auf Personal aus dem Ausland angewiesen. Vor allem im Gesundheitswesen und in der Pflege, wo es immer mehr Beschäftigte aus Indonesien, den Philippinen und Vietnam gibt. Der Anteil der Migrant:innen beträgt mittlerweile 2,5 Prozent. „Für Japan ist das viel“, sagt Tozen-Vorsitzende Okunuki. Carlet ergänzt: „Es werden Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutiert, aber sehr schlecht behandelt.“ Die derzeit 500 Mitglieder von Tozen kommen aus 40 Nationen. Neue Mitglieder zu gewinnen sei herausfordernd. Auch Arbeitnehmer:innen aus dem Ausland würden wenig an Verbesserungen glauben. Dennoch, so betont Carlet, feierten andere lokale Gewerkschaften Erfolge, etwa Lohnerhöhungen oder mehr Jobsicherheit.

Hifumi Okunuki, Vorsitzende der Gewerkschaft Tozen, beobachtet einen Generationenwandel in Japan: Junge Menschen würden Überstunden nicht mehr selbstverständlich in Kauf nehmen. | © Tozen Union

Vorurteile gegenüber Jungen

Die Suche nach neuen Mitgliedern ist Carlet mit einem Gleichgesinnten am anderen Ende der Welt gemein: Baraka Issa möchte vor allem junge Arbeiter:innen für seine Gewerkschaft gewinnen. Er ist Sprecher des Nationalen Jugendkomitees von TUCTA (Trade Union Congress of Tanzania), einem Gewerkschaftsbund mit Sitz in Daressalam, der größten Stadt Tansanias. „Wenn wir junge Menschen nicht ansprechen, wird die Mitgliederzahl von Tag zu Tag sinken“, sagt Issa.

Nur 19 Prozent der Arbeiter:innenschaft in dem ostafrikanischen Land sind organisiert. Das liege auch an den Gewerkschaften selbst: „Junge Arbeiter:innen sind dort unterrepräsentiert, weil sie von einigen älteren Funktionär:innen als Bedrohung gesehen werden. Sie fürchten um ihre Posten und wollen keine Veränderung.“ An jungen Menschen führe aber in einer Gesellschaft, in der über 60 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt sind, kein Weg vorbei. Speziell im Bildungssektor gebe es viele Absolvent:innen und wenige Jobs: Auf derzeit 11.000 freie Stellen für Lehrberufe kommen 176.000 Bewerbungen.

Informell beschäftigt, arbeitsrechtlich ungeschützt

Tansania hat in der Vergangenheit viel in Bildung investiert. Für Lehramtsstudierende gab es Stipendien, und Absolvent:innen wurden direkt von staatlichen Institutionen übernommen. Seit einigen Jahren ist das nicht mehr der Fall. „Mit diesem Ansturm auf die Universitäten hat man nicht gerechnet“, so Issa. Damit hat Tansania viele gut ausgebildete junge Menschen, deren Qualifikationen aber auf dem Arbeitsmarkt nicht benötigt werden. Dort sei vor allem Erfahrung gefragt. „Unser Bildungssystem ist zu wenig praxisorientiert“, kritisiert Issa. „Die Älteren verdienen mehr als Junge, weil sie mehr Erfahrung und praktische Fähigkeiten mitbringen.“

Junge Menschen seien aber auch weniger bereit, eine Stelle anzunehmen, die nicht ihrer Ausbildung entspricht. Einige betrachten Arbeitsmigration zwar als Option, laut Issa spielt sie dennoch eine geringe Rolle, da es international in Bezug auf Qualifikationen viel Konkurrenz gebe. Wichtiger sei der informelle Sektor in Tansania, wo die jungen Menschen mehr verdienen könnten als auf dem offiziellen Arbeitsmarkt: als selbstständige Händler:innen oder in der Landwirtschaft. „Junge Menschen wollen ein Haus, ein schönes Auto, ein gutes Leben“, sagt Issa. Auf dem offiziellen Arbeitsmarkt würden sie dafür nicht genug verdienen. Fast 65 Prozent der Beschäftigten sind im informellen Sektor tätig. Arbeitsrechtlich geschützt sind sie dabei nicht. Issa sieht eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften darin, sich auf den informellen Sektor zu konzentrieren und die Menschen über ihre Rechte aufzuklären.

In Tansania drängen viele junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, doch es gibt nur begrenzt Arbeitsplätze für sie. Viele würden im informellen Sektor landen, kritisiert Baraka Issa vom Gewerkschaftsbund TUCTA. | © ATE Association of Tanzania Employers

Solidarität gefragt

Mehr Bewusstsein für die Rechte von Arbeiter:innen fordert Issa außerdem bei den Unternehmen ein. „Sie sollen uns nicht als Gegner:innen sehen, sondern als Verbündete, die für mehr Zufriedenheit in den Betrieben sorgen“, sagt er. „Das steigert die Produktivität und wäre damit auch im wirtschaftlichen Interesse.“ Innerhalb von TUCTA möchte Issa mehr Strukturen für die Repräsentation junger Arbeiter:innen schaffen. Zudem versucht das Jugendkomitee bei Veranstaltungen, junge Menschen von den Vorteilen einer Gewerkschaft zu überzeugen.

Issa selbst setzt sich seit 2015 für jene ein, die am wenigsten geschützt sind: junge Menschen und Beschäftigte im informellen Sektor. Ebenso kämpfen in Japan Hifumi Okunuki und Louis Carlet von Tozen für die Rechte jener, die auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden: Ältere, irregulär Beschäftigte und ausländische Arbeitskräfte. Solidarität brauche es sowohl unter den Arbeiter:innen als auch zwischen den Generationen, betont Okunuki: „Wir Erwachsene tragen die Verantwortung sicherzustellen, dass die jungen Menschen würdige Arbeitsbedingungen vorfinden.“

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