Während die Armen der Gesellschaft ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse teils auf den Cent genau offenlegen müssen, schafft es die materielle Elite in vielerlei Hinsicht, „unsichtbar“ zu bleiben.
BesserverdienerInnen profitieren
Die sozialstaatliche Umverteilung – etwa durch öffentliche Schulen, kostenlose Gesundheitsversorgung oder das Sozialversicherungssystem – ermöglicht die Teilhabe aller Schichten am gesellschaftlichen Leben. Sie ist zugleich Voraussetzung für die Aufstiegschancen der nächsten Generation.
Niedrige und mittlere Einkommen profitieren stärker von der sozialstaatlichen Schutzfunktion, da sie eher von Arbeitslosigkeit, Invalidität oder auch Niedriglöhnen, die nicht zum Leben reichen, betroffen sind. Öffentliche Leistungen, die in diesen Problemfeldern Abhilfe schaffen, sind etwa die bedarfsorientierte Mindestsicherung oder Ausgleichszulagen. Es sind aber oft gerade diese Leistungen, bei denen verlangt wird, dass die (meist einkommensschwachen) Betroffenen alle Einkommensbezüge und Besitzgegenstände vor den Behörden offenlegen.
Höhere Einkommen profitieren hingegen stärker von öffentlichen Leistungen, die an gewisse Lebenslagen wie etwa Krankheit, aber auch den Bezug von öffentlicher Bildung, gebunden sind. Denn neben der sozialen Schutzfunktion investiert der Sozialstaat beträchtliche Summen in Bereiche wie etwa Bildung und Forschung, um damit die zukünftige Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt zu fördern.
Ein Beispiel: Im Jahr 2015 wurden für Universitäten und Fachhochschulen rund 3,5 Milliarden Euro ausgegeben. Doch nur sechs Prozent der Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss gehen auch auf die Universität, während es bei den Kindern von AkademikerInnen 54 Prozent sind. Von den Hochschulausgaben profitieren also überwiegend wohlhabendere Schichten. Ein weiterer Unterschied zu Leistungen, die einen Schutzeffekt haben: Hochschulausgaben haben zudem einen Sprungbrett-Effekt, denn ein höherer Bildungsabschluss führt später meist auch zu einem höheren Einkommen.
Eine Frage des Systems
Österreich – wie auch Deutschland, allerdings auf niedrigerem Niveau – hat sich historisch eher für ein Sozialstaatsmodell „konservativer“ Prägung entschieden, in dem Sozialversicherungsprinzipien dominieren. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) aller Geldleistungen im österreichischen Sozialsystem – etwa Arbeitslosenversicherung oder Pensionsversicherung – sind sozialversicherungsrechtliche Leistungen. Hier herrscht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Höhe der einbezahlten Beiträge und den Leistungsansprüchen. Kurz gesagt: Hohe Beiträge führen auch zu hohen Leistungen.
Die berechtigte Zuschreibung an das heimische System, dass die soziale Absicherung oft ein klares Spiegelbild des Erwerbsstatus der Menschen ist, verheißt damit für bestimmte Gesellschaftsgruppen nichts Gutes: So fallen zum Beispiel die Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte mit niedrigem Stundenausmaß, für Personen mit fragmentierten Erwerbskarrieren oder für Menschen, die geringe Chancen haben, am Arbeitsmarkt nachhaltig Fuß zu fassen, mitunter sehr niedrig und damit kaum existenzsichernd aus.
Hohe Leistungen, geförderte Extras
Im Umkehrschluss ermöglicht der österreichische Wohlfahrtsstaat gerade bei stabilen Erwerbsbiografien im gehobenen Einkommensbereich – das sind Bereiche rund um die Höchstbeitragsgrundlage und deutlich darüber – auch Leistungsstandards, die lange ein „gutes Leben“ sichern.
Es stellt sich aber die Frage, ob es für ohnedies Bevorteilte Sondervorteile im System gibt? Die Antwort „Ja“ ist jedenfalls zulässig, wenn exemplarisch folgende Argumente herangezogen werden: Akademiker (mit guten Pensionsaussichten) leben im Schnitt sieben Jahre länger als Männer mit Pflichtschulabschluss. Dazu kommt, dass sogenannte Sonderpensionsrechte verfassungsrechtlich besser geschützt sind als Grundversorgungsleistungen. Private und damit für die breite Masse eher unleistbare „Extra-Pakete“ in den Bereichen Gesundheit, Vorsorge, Bildung und Kinderbetreuung werden direkt oder indirekt gefördert, etwa weil sie von der Steuer abgesetzt werden können oder es eine öffentliche Sparförderung gibt.
Österreich als Good Practice
Es gibt also durchaus Verbesserungspotenziale in der sozialen Absicherung, insbesondere im unteren Bereich der Einkommensverteilung. Und doch zählt Österreich stets zu den besten und erfolgreichsten Ländern, und zwar europa- und weltweit: Die Standards sind überdurchschnittlich hoch und insgesamt profitiert eine „breite Mitte“ der Gesellschaft vom Sozialstaat.
Strapaziert man das kurze historische Gedächtnis, so ist augenscheinlich, dass etwa für Bankenpakete (als Stützungsmaßnahmen für Finanzinstitutionen) in kurzer Zeit sehr große Budgets mobilisiert wurden: netto 13,6 Milliarden Euro zwischen 2009 und 2015. Legitimiert wurden die Rettungen der Banken mit dem Argument der viel zitierten „Systemrelevanz“.
Wünschenswert wäre es nun, den Blick wieder mehr auf die Menschen und den auf Solidarität aufbauenden Gesellschaftsvertrag zu richten. Konkret müssten dabei – mit vergleichbaren Budgets! – die Bekämpfung der Armut und Arbeitslosigkeit stehen, die Förderung der sozialen Mobilität und der Abbau bzw Ausgleich der strukturellen Ungleichgewichte in der Gesellschaft zwischen benachteiligten und bevorteilten Gruppen. Und dies müsste auch in entsprechenden Budgets seinen Ausdruck finden.
Es sind oft international agierende Unternehmen und Vermögende, die durch Steuerhinterziehung und -vermeidung jenen Staat, von dessen Leistungen sie sonst gerne Gebrauch machen (z. B. Infrastruktur, ausgebildete Fachkräfte, Rechtsstaat), um seine Finanzierung prellen.
Die EU-Kommission schätzt, dass den europäischen Staaten durch die Tricksereien multinationaler Unternehmen und reicher Privatpersonen jährlich 1.000 Milliarden Euro an Steuergeld entgehen. Während Sozialbetrug in den öffentlichen Debatten oft einen prominenteren Stellenwert einnimmt, verursachen SteuerhinterzieherInnen und durch Steueroasen ermöglichte Vermeidungsstrategien den größeren Schaden. Eine Berechnung der Universität Linz ergab für Österreich, dass der Verlust aus Steuerbetrug (ohne Steuervermeidung) doppelt so hoch ist wie die entgangene Summe aus Sozialbetrug.
Sozialstaat für alle ist wünschenswert
Im österreichischen Sozialstaat profitieren Menschen aller Einkommenshöhen. Die breite Ausrichtung der sozialstaatlichen Leistungen fördert die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates, von dem alle – je nach Lebenslage – einen Nutzen haben.
In diesem System ist der Finanzierungsbeitrag von Besserverdienenden und Vermögenden zum Sozialstaat kein Geschenk an ärmere Schichten, sondern ihr Anteil für die Bereitstellung von unterschiedlichen öffentlichen Leistungen, die auch von ihnen selbst in Anspruch genommen werden. Dies hat den vorteilhaften Nebeneffekt, dass unterschiedliche soziale Gruppen – etwa im öffentlichen Bildungssystem – miteinander in Kontakt kommen und Parallelgesellschaften der reichen Eliten verhindert werden können.
Steuerbetrug ist unsolidarisch
Durch die Taktiken der Steuerhinterziehung und -vermeidung von großen Konzernen und reichen Privatpersonen gerät das System eines breiten Wohlfahrtsstaats jedoch ins Wanken, denn dadurch werden die eigentlich monetär leistungsfähigsten SteuerzahlerInnen zu großen Belastungen für den Staatshaushalt.
Linktipp:
Studie der Uni Linz zu den Auswirkungen der Schattenwirtschaft
Romana Brait und Adi Buxbaum
Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien und Abteilung Sozialpolitik der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.
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