Von Angebot und Nachfrage

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  1. Seite 1 - Fachkräftemangel?
  2. Seite 2 - Es braucht einen stärkeren Fokus auf Ausbildung!
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Der Tourismus beklagt einen Mangel an Fachkräften und will im Ausland Arbeitskräfte rekrutieren können. Sinnvoller wäre es, die Jobs deutlich attraktiver zu machen.
Jedes Jahr vor Beginn der Wintersaison wird der Ruf der Tourismusbetriebe nach qualifiziertem Fachpersonal laut – besonders jener aus den Betrieben im Westen Österreichs. Schon seit Jahren beklagt vor allem diese Branche, nicht ausreichend Personal zu bekommen, was ihrer Meinung nach ganz leicht erklärt ist: Die Arbeitslosen (vor allem die im Osten Österreichs) sind zu unflexibel, um auch in einem anderen Bundesland einen Job anzunehmen. Neuerdings wird ihnen „Durchschummeln“ unterstellt.

Darum fordern Vertreter der Wirtschaft, dass erstens die KöchInnen endlich auch auf die „Mangelberufsliste“ kommen und diese zweitens „regionalisiert“ wird. Denn dann könnten Stellen als Koch oder Köchin, beispielsweise in Tirol oder Vorarlberg, plötzlich die Voraussetzungen erfüllen, um als Mangelberuf anerkannt zu werden. Dies wiederum würde es den Arbeitgebern ermöglichen, KöchInnen aus Drittstaaten zu engagieren.

In der Fachkräfte-Verordnung aus dem Jahr 2012 ist definiert, was die Voraussetzungen für Fachkräfte aus Drittstaaten sind, um auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zugelassen zu werden. Eine davon ist die „Mangelberufsliste“, die es ermöglicht, mit der Rot-Weiß-Rot-Karte eine Beschäftigung in Österreich aufzunehmen. Und hier wird klar festgehalten, dass diese Fachkräfte ihre abgeschlossene Berufsausbildung im jeweiligen Mangelberuf nachweisen müssen.

Josef Muchitsch, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, meinte dazu vor Kurzem in einem Interview: „Wir haben alleine in der Bauwirtschaft 60.000 arbeitsuchende Menschen in Österreich. In den handwerklichen Berufen sieht es ähnlich aus. Die Wirtschaft will einfach ältere Arbeitnehmer durch jüngere und billigere aus Drittstaaten ersetzen. Niemand kann mir erklären, dass es in den EU-Ländern keine Maurer, Zimmerer oder Fliesenleger gibt!“

Fragwürdig

Um dies zu illustrieren, lohnt ein Blick auf die Statistik. So wurde die Bevölkerung der Europäischen Union (EU) am 1. Jänner 2017 auf 511,8 Millionen Menschen geschätzt. Rund 235 Millionen von ihnen stellten 2016 das sogenannte Arbeitskräftepotenzial innerhalb der EU dar. Das bedeutet, sie waren entweder in Beschäftigung (rund 214 Millionen) oder sind arbeitsuchend (rund 21 Millionen). All diese 235 Millionen ArbeitnehmerInnen sind potenzielle zukünftige Beschäftigte in Österreich (natürlich theoretisch!), denn für sie gilt der Grundsatz der ArbeitnehmerInnen-Freizügigkeit für EU-BürgerInnen. Da sei schon die Frage erlaubt, wieso es Arbeitgebern nicht gelingt, auf einem so großen Arbeitsmarkt, wie es der europäische ist, Arbeitskräfte zu rekrutieren?

Regionalisierung?

Die Wirtschaft fordert nicht nur, dass KöchInnen auf die Mangelberufsliste gesetzt werden. Sie will auch eine Regionalisierung dieser Liste. Eine solche gibt es etwa in Deutschland. Es lohnt sich, einen Blick auf die Situation im Nachbarland zu werfen, denn das dortige System hat dem österreichischen einiges voraus.

Auch dort fordert die Wirtschaft seit vielen Jahren die Zulassung von Drittstaatsangehörigen für den deutschen Arbeitsmarkt. Auch in Deutschland gibt es so etwas wie die Mangelberufsliste, sie wird dort Positivliste genannt. Zur Ermittlung des Mangels dient in Deutschland die sogenannte Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit. Die Engpassanalyse basiert auf Statistikdaten wie den gemeldeten Stellen und registrierten Arbeitslosen. Für das Bundesgebiet hält die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Bericht vom Dezember 2017 fest: „Es zeigt sich kein flächendeckender Fachkräftemangel in Deutschland.“

Bei der österreichischen Mangelberufsliste hingegen wird für jeden Beruf der Stellenandrang berücksichtigt. Wenn einer offenen Stelle weniger als 1,5 Arbeitsuchende gegenüberstehen, wird von einem Mangel gesprochen. Eine Herausforderung sind die Arbeitsvermittler, denn meldet ein Betrieb fünf solcher Agenturen einen freien Job, sind dies beim AMS gleich fünf offene Stellen – auch wenn sich tatsächlich nur einer dahinter verbirgt. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wurde ein zehnprozentiger Abschlag vereinbart, das heißt, zehn Prozent der offenen Stellen werden nicht in die Berechnung einbezogen, um Doppel- oder Mehrfachmeldungen durch Arbeitskräfteüberlasser auszugleichen. In Deutschland werden solche offenen Stellen überhaupt nicht in die Berechnung einbezogen.

Die deutsche Engpassanalyse ist diffiziler und beinhaltet zusätzliche Parameter. Sie definiert ganz genau, wer als Fachkraft gilt (abgeschlossene Berufsausbildung) und unterscheidet weiters nach SpezialistInnen (MeisterInnen oder TechnikerInnen) und ExpertInnen (mindestens vierjährige Hochschulausbildung). Nicht berücksichtigt werden offene Stellen für Hilfskräfte. Neben der Definition eines bundesweiten Engpasses können auch regionale Engpässe definiert werden, in diesem Fall steht regional für ein Bundesland.

In einem ersten Schritt wird dafür überprüft, ob im betroffenen Bundesland mindestens 15 Prozent der bundesweit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem jeweiligen Beruf beschäftigt sind. Erst dann wird überhaupt erst darüber nachgedacht, ob dieser Beruf zum Mangelberuf auf Bundesländerebene erklärt wird. So soll gewährleistet werden, dass erst das heimische Arbeitskräftepotenzial ausgeschöpft wird. Um dies anhand eines Beispiels zu illustrieren: Deutschland hat 16 Bundesländer. Bei bundesweit 500.000 ArbeitnehmerInnen im Handel bedeutet dies, dass in einem Bundesland in dieser Branche mindestens 75.000 ArbeitnehmerInnen beschäftigt sein müssen, damit der Handel überhaupt in der Berechnung berücksichtigt wird. Relevant ist auch, wie lange eine offene Stelle unbesetzt ist. Um als regionaler Mangelberuf zu gelten, muss diese mindestens zehn Tage länger unbesetzt bleiben als im Bundesdurchschnitt. Auch die Altersstruktur der Beschäftigten bzw. Erwerbstätigen wird beachtet.

Nicht zuletzt wird die Situation am Arbeitsmarkt betrachtet, beispielsweise die Vergütungsstruktur. Ein Beispiel: FriseurInnen könnten (statistisch errechnet) als Mangelberuf gelten. Ein genauer Blick zeigt aber vielleicht, dass es genug vorhandene FriseurInnen gibt, diese aber – aufgrund der Arbeitsbedingungen und des Lohnniveaus – nicht bereit sind, ihre Arbeitskraft in diesem Beruf weiter zur Verfügung zu stellen. Dann landet dieser Beruf nicht in der Engpassanalyse, da mithilfe der qualitativen Kriterien andere Schlussfolgerungen gezogen wurden. In diesem Fall gibt es nicht zu wenige qualifizierte FriseurInnen, sondern die Arbeitsbedingungen sind einfach nicht lukrativ genug – und genau dort muss angesetzt werden!

Aber zurück nach Österreich. Bei Durchsicht der Juli-Ausgabe 2017 von „Rolling Pin“, einem Gastromagazin, zeigt ein Vergleich der Jobangebote die Bandbreite der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung im Tourismus sehr gut auf. So wurden etwa in einem Hotel in der Salzburger Gemeinde Anif für die Funktion des „Chef de Rang“ 1.800 Euro brutto angeboten. In einem Hotel in Lech wiederum waren es 2.300 Euro, dazu kamen freie Kost und Logis sowie ein gratis Saisonskipass.

Angebot und Nachfrage

Solche Unterschiede bzw. die vielfach unattraktiven Bedingungen im Tourismus werden aber in Österreich bei der Mangelberufsliste nicht berücksichtigt. Nicht nur das: Sie spielen auch in der öffentlichen Diskussion eine sehr geringe Rolle. Bevor man aber den Arbeitsmarkt öffnet, müssen Arbeitsbedingungen drastisch verbessert werden. Dass dies geht, zeigen Initiativen des AMS, bei denen Betriebe im Tourismusbereich, die Rekrutierungsprobleme hatten, gezielt angesprochen wurden und ihnen empfohlen wurde, ihre Angebote zu verbessern – und diese daraufhin erfolgreich Personal rekrutieren konnten. Dies sollte den Vertretern der Wirtschaft einleuchten, immerhin geht es um ein zentrales wirtschaftliches Prinzip: Angebot und Nachfrage nämlich.

Das allerbeste Rezept, um Fachkräftemangel vorzubeugen, ist aber: ausbilden, ausbilden, ausbilden! Auch hier ist die Wirtschaft sehr „zurückhaltend“, die Österreichische Gewerkschaftsjugend beklagt regelmäßig den Rückgang an Lehrstellenplätzen.

Lesetipp: „Das Märchen vom Fachkräftemangel“, Jakob Osman

Von
Sylvia Ledwinka

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.

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