Sozialstaat sei Dank: Vier Menschen erzählen ihre Geschichte

Inhalt

  1. Seite 1 - Dorathy Ujunwa wünscht sich einen Job mit Zukunft
  2. Seite 2 - Jasmine Walters möchte sich persönlich weiterentwickeln
  3. Seite 3 - Alexander Greiner fordert mehr Respekt gegenüber Patient:innen
  4. Seite 4 - Elmar Drabek rät anderen Vätern zur Karenz
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Von der Ausbildung zur Krankenschwester bis hin zur Elternkarenz: Die persönlichen Geschichten von Menschen im österreichischen Sozialstaat sind vielfältig. Vier Menschen erzählen von Mut, Durchhaltevermögen und dem Streben nach Veränderung.

Nicht allein gelassen

„Der Sozialstaat bedeutet für mich, dass ich nicht immer nur für mich selbst sorgen muss, sondern dass mir in einer Krise angemessen geholfen wird“, sagt Alexander Greiner. Der 43-jährige Wiener hat im Zuge einer lebensbedrohlichen Erkrankung die Unterstützung des Sozialstaates erlebt, ist aber auch an Grenzen gestoßen. In seiner Altbauwohnung hängt ein Fahrrad an der Decke. Lenker und Sattel sind mittels Seilzug fixiert. „Ich bin echt froh über diesen platzsparenden Fahrradaufzug“, sagt er. Fahrradfahren bedeutet für ihn ein Gefühl von Freiheit. Beim Radfahren war es auch, als er 2015 erstmals eine körperliche Veränderung spürte. „Zuerst habe ich mich männlicher gefühlt – dicke Eier und so –, aber dann habe ich beim Abtasten gemerkt, dass der eine Hoden sehr viel dicker war.“

Er suchte einen Urologen auf, der machte einen Ultraschall. Mit Verdacht auf Hodenkrebs wurde er in ein Spital überwiesen, wo ihm nur zwei Tage später der tumorbefallene Hoden entfernt wurde. Die nachfolgenden Untersuchungen zeigten, dass sein Körper frei von Metastasen war. Greiner atmete auf: „Für mich war der Krebs damit bis auf die Nachsorge erledigt.“ Nur acht Wochen nach der Operation startete der gelernte Nachrichtentechniker in einen neuen Job: Nach 15 Jahren in der IT- und Unternehmensberatung arbeitete er nun als Barista und hegte Pläne, sich im Kaffee-Business selbstständig zu machen.

„Wie eine Nummer“

Die Nachsorgeuntersuchungen fanden in einem anderen Spital statt. „Dort bin ich mir vorgekommen wie eine Nummer“, sagt Greiner. Wie die Untersuchungen getaktet sind, welche Formulare und Laborzuweisungen nötig sind, musste er weitgehend selbst herausfinden. Ab Frühling 2016 verspürte er Schmerzen in der rechten Schulter, und die Tumormarker stiegen. Rad fahren und klettern konnte er nicht mehr. „Niemand hat eins plus eins zusammengezählt, bis die Tumormarker durch die Decke schossen.“

Porträt Alexander Greiner.
„Der Sozialstaat bedeutet für mich, dass mir in einer Krise angemessen geholfen wird“, erklärt Alexander Greiner. | © Markus Zahradnik

Im Frühling 2017 erfuhr er, dass der Hodenkrebs gestreut hatte. „Sie haben einen Tumor im Oberarmknochen“, teilte ihm der Radiologe mit. „Das zog mir den Boden unter den Füßen weg“, erinnert er sich. Mit der Therapie hätte er prompt starten können: Als er sich eine zweite Meinung einholen wollte, fuhr sein Arzt ihn an: „Wozu denn?“ „Ich glaube, wir haben verglichen mit anderen Ländern ein gutes Gesundheitssystem. Was ich mir wünschen würde, ist, dass es sich mehr an den psychosozialen Bedürfnissen der Patient:innen orientiert“, sagt Greiner. Erst bei Wahlärzt:innen fühlte er sich als mündiger Patient. „Ich wurde respektvoll behandelt und konnte Fragen stellen, was anscheinend nur geht, wenn du privat zahlst.“ Das sei in einem Sozialstaat wie Österreich unangebracht.

Neustart mit Krankheit

Zwei Wochen nach seiner neuerlichen Krebsdiagnose wurde Alexander Greiner ins AMS-Gründungsprogramm aufgenommen. Davon hatte der damals 37-Jährige geträumt. Das Programm unterstützt bei der Ausarbeitung der Geschäftsidee und übernimmt Kosten für Weiterbildungen. Während der sechsmonatigen Laufzeit und zwei Monate danach erhalten die Teilnehmer:innen ein erhöhtes Arbeitslosengeld. „Damals dachte ich, ich könnte das Programm und die Krebstherapie durchhalten“, schüttelt er heute den Kopf. „Ab dem 3. Chemo-Zyklus fehlte mir jegliche Energie.“ Für Bestrahlung und Chemotherapie wechselte er in ein Spital, wo er sich gut aufgehoben fühlte.

Greiner wusste, dass Hodenkrebs als gut therapierbar gilt, hatte aber finanzielle Sorgen: Seinen Job als Barista hatte er kurz vor der 2. Diagnose gekündigt, das Gründungsprogramm musste er unterbrechen. Damit entfiel auch die Förderung. Krankengeld und Notstandshilfe – Leistungen des Sozialstaats – waren in dieser Zeit wichtig. Doch das Auskommen war schwierig. Apothekenrechnungen, Arztkosten und Therapien ließen die Ersparnisse schrumpfen. Mehr als einmal wünschte er sich ein bedingungsloses Grundeinkommen.

„Damals dachte ich, ich könnte das Programm und die Krebstherapie durchhalten. Ab dem 3. Chemo-Zyklus fehlte mir jegliche Energie.“ | © Markus Zahradnik

Seit fünf Jahren gilt Alexander Greiner als krebsfrei, nun arbeitet er unter anderem im Auftrag der Krebshilfe und als Autor: Die Erfahrungen mit dem Krebs, dem Ärzt:innen-Marathon und der beruflichen Neuorientierung verarbeitete er 2019 in seinem Buch „Als ich dem Tod in die Eier trat“. Inzwischen hat er das AMS-Gründungsprogramm abgeschlossen und startet 2024 mit einem neuen Konzept durch. Seine Arbeit dreht sich nicht mehr um Kaffee, sondern um Gesundheit. Er will als Journalist, Podcaster, Moderator und Buchautor Fuß fassen und Männer für ein gesundheitsbewusstes Leben sensibilisieren. Dazu gehört es auch, auf Vorsorgeprogramme aufmerksam zu machen.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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