Vida in der Herbstlohnrunde: Faire Löhne gegen Katerstimmung

Eine Reinigungskraft verlässt den Flur und betritt ein Zimmer. Die Herbstlohnrunde und KV-Verhandlungen im Niedriglohnsektor hat begonnen.
Die Gewerkschaft vida hat die Herbstlohnrunde für die Reinigungskräfte eingeläutet. | © Adobestock/mtrlin
Eisenbahner:innen, Arbeiter:innen im Handel, Lkw- und Busfahrer:innen und Reinigungskräfte: Die Gewerkschaft vida eröffnet für rund 250.000 Beschäftigte die Herbstlohnrunde 2024.
Die Gewerkschaft vida startet selbstbewusst in die Herbstlohnrunde 2024. Sie hat auf einer Pressekonferenz die wichtigsten Eckdaten für die Eisenbahner:innen, die Arbeiter:innen im Handel, Lkw- und Busfahrer:innen und Reinigungskräfte präsentiert. Noch immer wirkt die enorme Inflation der vergangenen Jahre nach und noch immer gibt es – gerade in diesen Bereichen – eine hohe Nachfrage an Arbeitskräften. Faire Abschlüsse bei den KV-Verhandlungen würden außerdem das Vertrauen der Menschen in unsere Wirtschaft wieder herstellen können, zum Konsum animieren und so die prophezeite Rezession zumindest abmildern, erklärt Roman Hebenstreit, Vorsitzender Gewerkschaft vida.

KV-Verhandlungen als Hoffnung im Niedriglohnsektor

Die Branchen, für die die Gewerkschaft vida den Startschuss für die Herbstlohnrunde gegeben hat, machen schon deutlich, dass es um Menschen im Niedriglohnsektor geht. Zwar habe sich die Inflation eingedämmt, so Hebenstreit, doch das bedeute nicht, dass das Leben billiger würde. Im Gegenteil. Die Kosten bleiben hoch, sie steigen nur langsamer. Gerade die Ausgaben für Miete und Lebensmittel würden die Menschen dabei besonders belasten. „Die rollierende Inflation muss ausgeglichen werden. Alles andere wäre ein Zugeständnis dafür, dass die Menschen in diesem Land ärmer werden“, macht Hebenstreit die Ziele für die Verhandlungen der Kollektivverträge deutlich.

Portrait Roman Hebenstreit im Vorfeld der KV-Verhandlungen während der Herbstlohnrunde 2024.
Faire Abschlüsse bei den anstehenden KV-Verhandlungen könnten den Menschen wieder das Vertrauen in die Wirtschaft zurückgeben, macht Roman Hebenstreit Mut. | © Markus Zahradnik

Die rollierende Inflation ist die Teuerung der vergangenen zwölf Monate. Das bedeutet, dass die Gewerkschaft ihre Forderung auf wirtschaftlichen Daten der Vergangenheit aufbaut. Die Beschäftigten haben ihre Arbeit schon abgeliefert, die Unternehmen ihre Gewinne schon eingefahren. Jetzt seien die Unternehmen an der Reihe, für diese geleistete Arbeit angemessene Löhne zu zahlen.

Diese Orientierung an der bereits erbrachten Leistung kann jedoch ein wichtiges Signal für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung sein. Denn sowohl das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) als auch das Institut für Höhere Studien (IHS) haben ihre Konjunkturprognose nach unten korrigiert. Beide Institute gehen in diesem Jahr von einem Rückgang der realen Wirtschaftsleistung von 0,6 Prozent aus. „Unsere Wirtschaft braucht Menschen, die konsumieren. Und die brauchen Zuversicht, sonst sind sie dazu nicht bereit. Die bekommen sie, wenn sie mehr haben, als sie zum bloßen Überleben brauchen“, gibt Hebenstreit Richtung vor.

KV-Verhandlungen der Reinigungskräfte und Arbeiter:innen im Handel

Den Auftakt der Herbstlohnrunde machen bereits am Dienstag, 8. Oktober 2024, die Reinigungskräfte. Dabei geht es um einen Abschluss für rund 54.000 Beschäftigte. Für Olivia Janisch, stellvertretende Vorsitzende Gewerkschaft vida, geht es bei diesen KV-Verhandlungen um zwei zentrale Punkte: Zum einen muss der Lohn angehoben werden. Das Einstiegsgehalt in dieser Branche liegt bei einer 40-Stunden-Woche immer noch bei nur 2.000 Euro brutto. Das muss sich ändern. Zum anderen gelte es , die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Der wichtigste Aspekt dabei ist Arbeitszeit. Zum einen müssen die Arbeitgeber:innen laut Gewerkschaft die Dienstpläne früher bekanntgeben, damit Beschäftigte Arbeits- und Freizeit besser abstimmen können. Das betreffe auch den „geteilten Dienst“: Dabei gehen Arbeiter:innen morgens zum Job, haben dann einige Stunden Pause, und rücken anschließend wieder aus. Doch in dieser Zwangspause lassen sich kaum Dinge erledigen. Zudem sind viele (vor allem weiblich) Angestellte in Teilzeit beschäftigt, obwohl sie Vollzeit arbeiten wollen. Gleichzeitig klagen viele Vollzeitangestellte über Überstunden. „Da sind wir gemeinsam gefordert, Lösungen zu finden. In der Reinigung muss sich Leistung lohnen und die Kaufkraft gestärkt werden“, so Janisch.

Für die Arbeiter:innen im Handel – also die Menschen in der Logistik oder im Lager – starten die KV-Verhandlungen erst am 25. November. Hier verlassen sich 150.000 Beschäftigte auf ein konstruktives Ergebnis. Auch hier gehe es, so Janisch, vor allem um eine Anhebung des Lohns und eine planbare Freizeit. Denn die Branche hat eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften, bei der vor allem durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen helfen. Die Menschen hier arbeiten häufig im Schichtdienst und unter sehr belastenden Bedingungen – beispielsweise extremer Kälte im Kühllager. Dabei ist auch das Verletzungsrisiko höher.

Kampf um Mobilität der Zukunft

Auf die Branche der Eisenbahner:innen kommt eine Herkulesaufgabe zu. Die rund 55.000 Beschäftigten müssen die ökologische Verkehrswende stemmen und dabei den demografischen Wandel organisieren (in den kommenden fünf Jahren werden 10.000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen). Allein im vergangenen Jahr sind so 4,5 Millionen Überstunden angefallen und 400.000 Urlaubstage konnten nicht genommen werden. Laut einer Umfrage, die die Gewerkschaft vor der Herbstlohnrunde 2024 unter ihren Mitgliedern durchgeführt hat, fordern die Beschäftigten, dass die Branche zukunftsfit gemacht wird. Mit besser planbarer Freizeit und einer fairen Bezahlung von Sonn- und Feiertagsarbeit. Am 23. Oktober starten hier die KV-Verhandlungen. Dann wird Gerhard Tauchner, Vorsitzender vida-Fachbereich Eisenbahn, auch die konkreten Forderungen mit den Sozialpartner:innen absprechen.

Auch im Straßensektor muss der Verkehr arbeitnehmer:innenfreundlicher werden, wie Anna Daimler, Generalsekretärin der vida, fordert. So ist in dieser Herbstlohnrunde auch bei den Busfahrer:innen das Problem der geteilten Dienste Thema. „Sie haben dabei das Gefühl, 15 Stunden in der Arbeit zu sein, aber nur 10 bezahlt zu bekommen“, formuliert Daimler die Probleme der Beschäftigten. Auch bei Lkw-Fahrer:innen fehle es an der Wertschätzung für ihren Beruf. Geradezu berüchtigt sei dabei die Pinkelflasche, die Arbeitgeber:innen ihren Beschäftigten empfehlen würden, damit sie während der Arbeitszeit „aufs Klo“ gehen könnten, sagt Daimler.

Fachkräfte durch Ausbildung

Die Frage nach einer Ausbildungsoffensive wird die Herbstlohnrunde 2024 ebenfalls begleiten. „Es ist an der Zeit, in Ausbildung zu investieren. Es ist eine enorm besorgniserregende Entwicklung, dass die Lehrlingszahlen zurückgehen. Wer Fachkräfte braucht, muss sie auch ausbilden“, wird Hebenstreit deutlich. Besonders klar wird das am Beispiel der Busfahrer:innen. Etwa 30 Prozent seien älter als 55 Jahre. Es stehe ein Generationenwechsel bevor, sagt Daimler. Gleichzeitig sei der Ausbildungsberuf „in Wahrheit totes Recht“, weil die Möglichkeit kaum genutzt werde.

Dabei geht es angesichts steigender Arbeitslosigkeit, die vor allem die Jugend hart trifft, auch darum, Zukunftsperspektiven zu schaffen. Eine Rezession ist kein Naturgesetz. Unternehmen und Politik haben Möglichkeiten, hier zu reagieren. Die KV-Verhandlungen sind dazu eine gute Chance.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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