Vertrauen verspielt

Eine Frau liest mit verzweifeltem Blick eine Zeitung. Symbolbild für das sinkende Vertrauen in die Politik.
Nur noch 34 Prozent vertrauen dem politischen System |© Adobestock/JENOCHE
Ein demokratiepolitischer Auffahrunfall: Die Krisen der vergangenen Jahre haben tiefe Schrammen am Vertrauen in die Demokratie hinterlassen. Was ist passiert und wie kommen wir da wieder raus? Eine Reparaturanleitung
Seit 2018 untersuchen wir von SORA einmal pro Jahr, wie es den Menschen mit der Demokratie in Österreich geht. Vor fünf Jahren schien die Welt noch in Ordnung. Dass unser politisches System gut funktioniert, dachten zwei Drittel der Bevölkerung. Eine Pandemie, eine Teuerungskrise und zahlreiche Korruptionsaffären später hat sich dieser Wert praktisch halbiert. Derzeit haben nur noch 34 Prozent Vertrauen in die Politik. Dabei sticht hervor, dass der Vertrauenseinbruch nicht das gesamte System erfasst hat. Betroffen sind ausschließlich demokratisch gewählte Vertretungsorgane wie das Parlament, der Bundespräsident oder die Bundesregierung. Anderen Teile der demokratischen Infrastruktur vertrauen die Menschen immer noch im selben Ausmaß wie vor fünf Jahren. Die Vertrauenskrise ist also in erster Linie eine Krise der Repräsentation. Dies bestätigt ein Blick auf die politischen Parteien. 2018 haben nur 13 Prozent der Menschen keine Partei gefunden, die ihre politischen Anliegen vertritt, sind es inzwischen 38 Prozent.

Das österreichische Parlament. Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Politik.
Das Vertrauen sinkt, das Misstrauen steigt: Die österreichische Politik ist in der Krise. | © Markus Zahradnik

Erschwerend kommt hinzu, dass die Vertrauenskrise inzwischen die gesamte Bevölkerung erfasst hat. Es gibt keine Gruppe, in der das Vertrauen innerhalb der letzten fünf Jahre nicht massiv zurückgegangen ist. Auffallend sind jedoch unterschiedliche Entwicklungen entlang der finanziellen Lage der Menschen. Im unteren Einkommensdrittel fällt das Vertrauen über die Zeit hinweg gering aus und schwankt auch weniger. So waren bereits 2018 nur 49 Prozent davon überzeugt, dass das politische System gut funktioniert, aktuell sind es 29 Prozent. Im Gegensatz dazu ist das Vertrauen in die Politik in den mittleren und oberen Etagen der Gesellschaft von deutlich höheren Ausgangswerten in die Tiefe gerasselt (von 66 Prozent auf 34 Prozent im mittleren und von 85 Prozent auf 45 Prozent im oberen Einkommensdrittel).

Vertrauen in die Politik: Versprochen, nicht gehalten!

Für die Menschen im unteren Einkommensdrittel hält die Demokratie ihre zentralen Versprechen nicht. Über die Jahre hinweg berichten die Menschen im unteren Einkommensdrittel von Erfahrungen im politischen System, die mit den demokratischen Versprechen der Gleichheit und Mitbestimmung kollidieren. Das Systemvertrauen in dieser Gruppe fällt vor allem deshalb so gering aus, weil die überwiegende Mehrzahl der Menschen kontinuierlich erlebt, von der Politik als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden (73 Prozent), im Parlament nicht vertreten zu sein (68 Prozent) und mit politischer Beteiligung keinen Unterschied machen zu können (60 Prozent). Dass gerade der Ausschluss von wirksamer Mitbestimmung kein subjektiver Eindruck ist, zeigt eine Untersuchung aus Deutschland. Zwischen 1980 und 2013 sind die meisten Entscheidungen des deutschen Bundestags den politischen Anliegen der oberen Einkommensgruppen gefolgt. Egal, welche Regierung am Ruder war. Eine geringere politische Beteiligung des unteren Einkommensdrittels ist vor diesem Hintergrund eine logische Konsequenz, die wir auch in Österreich sehen. So haben bei der letzten Nationalratswahl im Herbst 2019 17 Prozent der Menschen im oberen Einkommensdrittel nicht gewählt, jedoch 41 Prozent der Menschen im unteren Einkommensdrittel. Die Zweidritteldemokratie, in der sich das untere Drittel immer weniger beteiligt bzw. beteiligen kann, ist Realität.

Krisen setzen bestehende Ungleichheiten nicht nur fort, sie verschärfen sie.

Martina Zandonella, SORA Institut

Auch in der Mitte der Gesellschaft ist politische Gleichheit und Mitbestimmung inzwischen Thema. Im Gegensatz zum unteren Einkommensdrittel geht es jedoch nicht um Abwertung. Vielmehr gewinnt die Mittelschicht den zunehmenden Eindruck, dass privilegierte Gruppen das politische System für ihre Eigeninteressen nutzen. Die Korruptionsaffären seit Ibiza haben ein ganz bestimmtes Bild von politisch Mächtigen hinterlassen. Sie verletzen zum Zweck des Machterhalts die demokratischen Spielregeln verletzen, während sich die wirtschaftlich Mächtigen der Politik bedienen. Gerade im mittleren Einkommensdrittel ist das Systemvertrauen auch deshalb so stark gesunken, weil die überwiegende Mehrzahl der Menschen davon ausgeht, dass „sich die gut Situierten untereinander ausmachen, was im Land passieren soll“.

Krisenverschärfung durch Teuerung

Hinzu kommt, dass die finanzielle Lage vieler Menschen bereits durch die Pandemie erschüttert wurde und nun durch die Teuerung weiter verschärft wird. Auch diese krisenbedingten Entwicklungen sind am Vertrauen in die Politik nicht spurlos vorübergegangen. Bei jenen Menschen, deren finanzielle Situation sich infolge der Pandemie verschlechtert hat oder die sich wegen der Preissteigerungen bereits jetzt stark einschränken müssen, fällt auch das Vertrauen in die Politik geringer aus. Entgegen wiederkehrenden Beteuerungen, dass die Folgen der Krisen alle gleich treffen, sitzen wir hier jedoch nicht im selben Boot. So müssen sich teuerungsbedingt derzeit 8 Prozent der Menschen im oberen Einkommensdrittel stark einschränken, 18 Prozent in der Mitte und 56 Prozent im unteren Einkommensdrittel. Auch an diese Stelle wird also einmal mehr deutlich: Krisen setzen bestehende Ungleichheiten nicht nur fort, sie verschärfen sie.

Die Vertrauenskrise ist nicht neu, im unteren Einkommensdrittel beobachten wir sie seit den 1990er-Jahren. Inzwischen hat sie sich aber auch in die mittleren und oberen Etagen der Gesellschaft ausgebreitet. Soll unsere Demokratie nicht noch stärker zu einer Veranstaltung der Bessergestellten werden, ist die Rückkehr der sozialen Frage auf die politische Agenda unerlässlich. Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und Wohnen treffen das untere Einkommensdrittel am härtesten. Ein Sozialstaat, der nicht nur kurzfristig bei Notlagen unterstützt, sondern mittel- und langfristig der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit entgegenwirkt, ist das Gebot der Stunde. Der Auftrag ist eindeutig, denn drei Viertel der Menschen denken, dass bei uns in Österreich Einkommen und Vermögen ungerecht verteilt sind. Und ebenso viele sehen die Politik in der Verantwortung, dies zu ändern.

Demokratie stärken

An unser Verständnis von Demokratie als gesellschaftlicher Lebensweise schließt wiederum an, dass Mitbestimmung nicht nur alle paar Jahre am Wahltag stattfinden darf. Das Leben und Erleben von Demokratie und wirksamer Mitbestimmung in der Schule und bei der Arbeit hängt eng mit der Beteiligung an Wahlen zusammen. Gerade das untere Einkommensdrittel arbeitet jedoch häufig in schlechter organisierten Branchen und in Unternehmen ohne Betriebsrat. Gelingt es, hier die betriebliche Mitbestimmung zu stärken, stärkt dies die Demokratie insgesamt.

Mit Blick auf die nicht enden wollenden Korruptionsaffären führt an der Etablierung einer Fehlerkultur aufseiten der politischen Eliten kein Weg vorbei. Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert – das kann und wird in einer Demokratie nicht funktionieren, wenn die Vielen sich auf ihre gemeinsamen Interessen verständigen und solidarisch für diese eintreten.

Martina Zandonella, geb. 1976, ist Senior Researcher am SORA Institut.

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