Vertrauen in Medien sinkt: Kommt die Krise?
Es sei vorläufig noch keine Medien-, aber eine Vertrauenskrise entstanden, betont Jörg Matthes. Er ist Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. „Die Bevölkerung muss darauf vertrauen können, dass die Berichterstattung gemäß den wichtigsten journalistischen Kriterien erfolgt. Und das sind allen voran Unabhängigkeit und Interessenfreiheit.“ Weitere Basiskriterien für qualitätvolle journalistische Arbeit sind wahrheitsgemäße Berichterstattung, Themenvielfalt, Standpunkte und die Kritikfunktion der Medien. Dass das Vertrauen in die solide Arbeit der Medien nicht zerrüttet wird, ist wichtig in einer Demokratie. „Medien gelten als die vierte Gewalt und haben große Bedeutung für die Demokratie, weil sie die öffentliche Meinung beeinflussen“, so Matthes gegenüber Arbeit&Wirtschaft.
Nicht nur – Stichwort Boulevard –, aber vor allem mit dem Aufstieg der sozialen Medien ist Medienkompetenz gefordert. Dazu zählen die Nutzungskompetenz und die Quellenprüfungskompetenz. Letzteres erfordert es zunächst, kritisch zu hinterfragen, ob eine Quelle vertrauenswürdig ist, besonders vor dem Hintergrund sich rasch verbreitender Fehlinformationen. „Die große Veränderung hat natürlich durch die sozialen Medien stattgefunden“, betont Matthes. Sie bieten Menschen die Chance, sich verstärkt in ihren eigenen Netzwerken aufzuhalten, was wiederum die Polarisierung stark befeuert. „So erscheint die Position der anderen Seite viel extremer, ja auch verabscheuungswürdiger, und die Gesellschaft bewegt sich auseinander“, betont Matthes.
Polarisierung beschädigt Vertrauen in die Medien
Das große Problem der Polarisierung sei die Gefährdung des Dialogs, weil die Verständigung gestört oder gar beendet wird, sobald Hass gegenüber der anderen Seite ins Spiel kommt. „Das sei auch für die klassischen Medien hochrelevant“, so Matthes, denn die Kommunikationswissenschaft beobachte eine Entwicklung, die auch die Qualitätsmedien in ihren Sog zieht. Um Korrektur bemüht, laufen sie Gefahr, dass die Polarisierungsspirale sie aufreibt. Dazu Matthes: „Wenn ich politische Lager habe, die gar nicht an einer Verständigung interessiert sind, kann ich es als klassisches, um Meinungsvielfalt bemühtes Medium niemandem Recht machen: Denn die einen sagen, das sei zu kritisch, die anderen, es sei zu freundlich.“ Ein aufgeheiztes Publikum ist mit ausgewogener Medienberichterstattung schwer zu bedienen, „wenn dieses Publikum Einseitigkeit erwartet“, betont Matthes.
Sich zusammenzusetzen und ein Thema mit der Einstellung „Auch wenn ich nicht deiner Meinung bin, bin ich trotzdem an deinen Argumenten interessiert“ zu diskutieren, sei ja die Essenz der Demokratie, so Matthes. Dass man sich andere Positionen zumindest anhört und kennt sowie unterschiedliche Positionen zulässt, ist eine Grundidee, die laut Matthes durch soziale Medien schwieriger umzusetzen ist. Die Gemüter seien leichter entflammbar geworden. Die Gegenseite mit immer neuen Kampfbegriffen zu belegen, macht die Verständigung schwieriger. Für die Meinungsbildung ist es wichtig, die Gegenposition auszuhalten und sie nicht reflexartig zu ersticken. Auch Altbundespräsident Heinz Fischer erklärt im großen Interview, wie wichtig die Diskussionskultur ist.
Ausgetwittert in Europa?
Wie mächtig die sozialen Medien mittlerweile sind, zeigt die Entwicklung bei Twitter seit der Übernahme der Plattform durch Multimilliardär Elon Musk. Nach einem Bericht der „Financial Times“ hat die EU Twitter zuletzt sogar mit einem Verbot gedroht. Der einzige Ausweg sei, dass Musk sich an die strengen Regeln zur Moderation von Inhalten hält. Twitter galt als die zentrale Social-Media-Plattform für politische Kommunikation. Mit dem Eigentümerwechsel hat eine Neuausrichtung stattgefunden. „Musk hat eine Agenda. Er vertritt einen libertären Ansatz für Meinungsfreiheit ganz ohne Moderation.
In der Vergangenheit wegen Fehlverhaltens gesperrte Accounts sind nun wieder zugelassen“, sagt Annie Waldherr. Die Expertin für digitalisierte Öffentlichkeiten arbeitet am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Viele haben Twitter deshalb verlassen. Wissenschafter:innen sind auf Mastodon untergekommen, andere sind noch auf der Suche. Die Frage ist vor allem, wo sich soziale Bewegungen, die mit Twitter einen Kanal in die globale Öffentlichkeit zur Verfügung hatten, in Zukunft bewegen und Gehör finden werden. „Einen Ersatz, für das alte Twitter, wird es wohl nicht geben“, erklärt Waldherr.