Die Gründung war alles andere als einfach, denn die Arbeitsweise und die inhomogene Zusammensetzung der FahrerInnen bringen einige Hindernisse mit sich. Im Gegensatz zur „klassischen“ Arbeitsstätte gibt es bei der Botentätigkeit keinen fixen Ort, an dem sich täglich alle einfinden und austauschen können. Man arbeitet komplett unabhängig von Büro bzw. Zentrale auf der Straße. Gab es bis März 2017 in Wien noch eine eigene Werkstätte, in der die privaten Fahrräder gewartet werden konnten und die FahrerInnen einen Treffpunkt hatten, wurde diese aus Kostengründen eingespart und ersatzlos geschlossen. Der persönliche Austausch beruht auf zufälligen Begegnungen auf der Straße bzw. bei Wartezeiten in Restaurants. Die Kommunikation zwischen den FahrerInnen wurde anfangs über Nachrichtendienste wie WhatsApp geführt, in denen sich auch Vorgesetzte und Geschäftsführung befinden.
Den BetriebsrätInnen ist es gelungen, sich persönlich zu vernetzen. Sie verwendeten zur weiteren Absprache getrennte Chaträume, in denen sie geheime Treffen organisierten und Informationen austauschten. Mithilfe der Gewerkschaft gelang es, die Wahlen unbemerkt vorzubereiten und die Geschäftsführung mit der Bekanntgabe zu überraschen. Als Reaktion drohte die damalige Geschäftsführung mit der Schließung der Filiale in Wien. Am Folgetag wurde zudem jemand aus Berlin eingeflogen, um die FahrerInnen wieder von der Gründung eines Betriebsrates abzubringen.
Kleiner Vorteil
Die Nichtexistenz eines örtlich fixen Arbeitsplatzes hatte auch einen kleinen Vorteil: Sie vereinfachte die Geheimhaltung der BR-Gründung, da unbemerkt Absprachen getroffen werden konnten. Allerdings waren sehr viele Einzelgespräche bei zufälligen Treffen notwendig, um InteressentInnen zu finden und ein zuverlässiges Team zu organisieren. Erschwerend kommt bei Foodora hinzu, dass bei Weitem nicht alle FahrerInnen angestellt sind, der Großteil arbeitet vielmehr als freie DienstnehmerInnen. Diese sind nicht wahlberechtigt und rechtlich nicht durch den Betriebsrat oder die Gewerkschaft vertreten. Auch bleiben viele nur wenige Wochen bis Monate im Betrieb. Die MitarbeiterInnenzahl mit echten Dienstverträgen sinkt zudem kontinuierlich – bei wachsendem Personal. Dies lässt vermuten, dass es sich um eine gezielte Maßnahme handelt, um die Organisation der ArbeitnehmerInnen zu verhindern und die Legitimität des BR infrage zu stellen.
Kontakte geknüpft
Durch die geplante Verschmelzung des deutschen Mutterkonzerns Delivery Hero AG mit seinem niederländischen Ableger zu einer Europäischen Aktiengesellschaft wurde – wie im europäischen Recht vorgesehen – im Jahr 2017 ein Verhandlungsgremium einberufen, das eine Form der ArbeitnehmerInnen-Mitbestimmung im Konzern ausverhandeln sollte. Im Rahmen dieser Verhandlungen wurden von jedem betroffenen EU-Land VertreterInnen nach nationalem Recht entsendet, in Österreich ein Mitglied des Betriebsrates. Dadurch konnten neue Kontakte geknüpft werden, da es auch aus anderen Ländern einige FahrerInnen geschafft haben, in dieses Gremium gewählt zu werden.
Aus diesem Prozess heraus schlugen die Gewerkschaft vida und die Arbeiterkammer vor, ein EU-weites Treffen von FahrerInnen und Gewerkschaften zu organisieren. Über verschiedene Kontakte gelang es, FahrerInnen und GewerkschaftsvertreterInnen aus Norwegen, Deutschland, Italien, Frankreich und den Niederlanden im April nach Wien einzuladen. Der dortige Erfahrungsaustausch war ebenso wertvoll wie aufschlussreich.
Foodoras Firmenstruktur ist streng hierarchisch organisiert, Informationen werden nur spärlich von oben nach unten kommuniziert, meist in Form von bereits gefällten Entscheidungen. In dieser Struktur stehen die BotInnen ganz unten, nach Möglichkeit sollen keine Informationen über Pläne oder Änderungen durchdringen. Diese Desinformationsstrategie wird in allen Ländern angewendet, da sich durch die kurzfristige Bekanntgabe eventuell unangenehme Entscheidungen leichter durchsetzen lassen und Argumente nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können. ArbeitnehmerInnen, die Vorgangsweisen im Unternehmen kritisch hinterfragen, werden jegliche Aufstiegschancen genommen, sie werden leicht Opfer der nächsten Einsparungs- bzw. Umstrukturierungsmaßnahmen.
Foodora versucht zu verhindern, dass sich FahrerInnen kritisch über die Arbeitsbedingungen austauschen. Probleme wie die Schichtplanung, die eigentlich die gesamte Flotte betreffen, werden individualisiert und Diskussionen abgewürgt. Die Spaltung zwischen Büro und FahrerInnen geht stellenweise so weit, dass Letztere in manchen Ländern keinerlei Zugang mehr zum Büro haben oder in einigen Fällen gar nicht wissen, wo es sich befindet.
Billigste Variante
Es ist auch zu beobachten, dass das Unternehmen in jedem Land versucht, die für sich billigste Variante von Anstellungen aufrechtzuerhalten. In Frankreich und Italien werden etwa nur „FreelancerInnen“, also selbstständige BotInnen engagiert. Sie werden nur nach Bestellung bezahlt und haben keinerlei soziale Absicherung. Wo dies rechtlich zulässig ist, wird auf „Selbstständige“ gesetzt oder auf Formen wie den Freien Dienstvertrag in Österreich. Dies geschieht entweder von Beginn an oder aber es wird sukzessive umgestellt und das unternehmerische Risiko ausgelagert – zumindest drängt sich dieser Eindruck auf.
Erschwerend kommt hinzu, dass die FahrerInnen eine äußert inhomogene Gruppe sind: von Studierenden, Drittstaatsangehörigen, AkademikerInnen über BerufseinsteigerInnen bis hin zu VollblutbotInnen. Oftmals fehlt die rechtliche Grundlage für die Organisation über Gewerkschaften oder das Wissen um die eigenen Rechte. Auch die hohe Fluktuation erschwert kollektives Handeln, da viele Prozesse viel Zeit benötigen und Betroffene oftmals bereits den Job gewechselt oder frustriert aufgegeben haben. Der Informationsmangel kommt Foodora momentan noch zugute.
Monopol aufgebrochen
Durch das Vernetzungstreffen in Wien konnte das Informationsmonopol aufgebrochen werden, es war ein Signal der Stärke an das Unternehmen. Indem sich die FahrerInnen organisierten, wurde auch auf die prekären und sich sukzessive verschlechternden Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht – und der zum Teil verklärte Blick auf Start-ups infrage gestellt. Durch den internationalen Austausch können die ArbeitnehmerInnen neuen Mut fassen und ihre Verhandlungsposition stärken, da es für das Unternehmen nicht mehr so einfach ist, den FahrerInnen Informationen oder Änderungen vorzuenthalten oder schlichtweg falsche Informationen weiterzugeben.
Über die sozialen Medien kann man direkt in Kontakt treten, um Informationen zu überprüfen oder Solidarität zu bekunden. Formen des Protests oder Verhandlungserfolge können leicht ausgetauscht werden und am eigenen Standort als Argumente verwendet werden. Das mediale Interesse ist international betrachtet ebenso wichtig, da Druck aufgebaut werden kann und den ArbeitnehmerInnen eine Stimme verliehen wird. Auch die Weitergabe von Informationen über Proteste, Organisation oder Erfolge an die eigene Belegschaft schafft Mut und zeigt den KollegInnen, dass aktiv nach positiven Veränderungen gesucht wird und der Kampf nicht allein ausgefochten wird. Für ein internationales Unternehmen braucht es internationale BetriebsrätInnen, um auf Herausforderungen gemeinsam reagieren zu können und zusammen für gerechte Arbeitsverhältnisse zu kämpfen.
Robert Walasinski
Betriebsrat bei Foodora
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/18.
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