Vergessene Jugendliche: Lehrlinge in der Corona-Pandemie

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Illustration basierend auf einem Foto von Ivan Lonan on Unsplash
Hat eigentlich mal wer an die Lehrlinge gedacht? Ein Rückblick auf das Corona-Jahr 2020 von GPA-Jugendsekretär Christian Hofmann.
Zur Person

Christian Hofmann ist Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft GPA. Er beschäftigt sich hauptberuflich mit der Lehrlingsausbildung und dem Berufseinstieg junger Menschen.

Am Anfang war ein Regierungsprogramm

Am 7.1.2020 war es so weit: Die neue Regierung aus ÖVP und Grünen wurde angelobt. Kanzler Sebastian Kurz gab das Versprechen, dass sich damit nun das Beste aus zwei Welten vereinen würde. Im Bereich der Lehrlinge wurde jedoch schnell klar, dass die neue Regierung in vielen Bereichen dort weitermachen würde, wo die alte aufgehört hatte. Zur Erinnerung: Schwarz-Blau wollte den Jugendvertrauensrat als Vertretung der Lehrlinge im Betrieb abschaffen, eine „Flexilehre“ (im Sinne einer Teilzeitlehre) einführen und kürzte Lehrlingen aus überbetrieblichen Lehrwerkstätten das Einkommen. Nebulös hatten ÖVP und FPÖ versprochen, die Lehre aufzuwerten, und ähnlich ging es auch unter ÖVP und Grünen weiter.

Betont werden muss, dass ÖVP und Grüne dem Thema Lehre und duale Berufsausbildung in ihrem Regierungsprogramm einige Forderungen widmeten. Im Detail: Die Lehre nach der Matura sollte forciert werden, die Durchlässigkeit zwischen dem akademischen Bereich und der Lehre gesteigert werden, zusätzliche „Erweiterungsmodule“ für bestehende Lehrberufe standen auf dem Plan. Konkret bekannte sich die Regierung zur Ausfinanzierung der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung und nahm die Pläne der Regierung Kurz I, was Pflegelehre und Teilzeitlehre betraf, wieder auf.

Alte Ideen wieder am Start

Mit der Einführung einer Teilzeitlehre bzw. einer Lehrlingsausbildung im Pflegebereich setzte sich die neue Regierung Ziele, die auch die vorherige verfolgt hatte, bevor sie im Ibiza-Skandal versank. Stimmen aus Gewerkschaften, Arbeiterkammer und Berufsverbänden von Pflegepersonal wurden genauso ignoriert wie zuvor. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern? ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka verkündete als Antwort auf die Forderung der Gewerkschaften nach einer 35-Stunden-Woche im Sozialbereich, dass eine Arbeitszeitverkürzung mehr als kontraproduktiv sei. Auf Zuruf der Wirtschaftskammer, mit Unterstützung von ÖVP-nahen Sozialvereinen und gegen ein breites Bündnis sollte eine Lehre etabliert werden. Politiker*innen der Grünen, wie die Abgeordnete Birgit Meinhard-Schiebel, äußerten sich eher skeptisch.

Ebenfalls auf Betreiben der ÖVP wurde die „Teilzeitlehre“ forciert. Vermutlich um beim grünen Koalitionspartner innere Streitigkeiten zu vermeiden, wurde nun von der sogenannten „Flexilehre“ gesprochen. Die Verpackung mag unterschiedlich sein, der Inhalt ist der gleiche: längere Lehrzeiten bei kürzerer Wochenarbeitszeit für Lehrlinge mit Kindern bis zum 6. Lebensjahr. Damit sollte die Vereinbarkeit von Ausbildung und Kinderbetreuung verbessert werden. Längere Lehrzeiten bedeuten aber auch eine spätere Einstufung als Fachkraft und damit einen erheblichen Einkommensverlust, nach Modellrechnungen mehrere zehntausend Euro in den unterschiedlichsten Bereichen. Teilzeit in der Ausbildung, Teilzeit in der Arbeit: Probleme wie die damit verknüpfte Altersarmut besonders von Frauen waren für keine der beiden Regierungsparteien ein besonderes Thema.

Das Corona-Chaos bricht los

Die ersten Tage der Corona-Krise, der erste Lockdown lassen sich nur als surreal beschreiben. Ständiger Begleiter: das läutende Handy. Im Sekundentakt meldeten sich Menschen via Social Media. In dieser Krise wurden die schwarzen Schafe noch schwärzer. Nicht wenige Lehrlinge berichteten von Drohungen ihrer Ausbildungsbetriebe, sofort die einvernehmliche Auflösung ihres Lehrvertrages zu unterschreiben, oder von Betrieben, die sich weigerten, das Lehrlingseinkommen auszubezahlen.

Im Chaos der ersten Monate der Corona-Krise wurde klar: Lehrlinge kommen zum Handkuss. Für diejenigen in der kritischen Infrastruktur (Handel, Apotheken, Logistik etc.) wurde die Berufsschule ausgesetzt, fünf Tage Arbeit unter teils chaotischen Bedingungen und keine Möglichkeit, am Homeschooling teilzunehmen. Lehrlinge aus anderen Branchen waren mit Problemen wie nicht besonders technikaffinen Lehrer*innen, fehlenden Laptops und schlechten Internetverbindungen konfrontiert. Auf Druck der Gewerkschaft verzichtete das Bildungsministerium schließlich nach einigen Wochen auf ein weiteres Aussetzen der Berufsschulen für Lehrlinge in den versorgungskritischen Bereichen.

Die Verschiebung von Lehrabschlussprüfungen hatte eine direkte ökonomische Auswirkung auf die angehenden Fachkräfte – ohne Lehrabschluss geringere Bezahlung. Auf Drängen der Gewerkschaft musste Ministerin Margarete Schramböck (ÖVP) handeln: Lehrlinge, die durch die Verschiebung der Lehrabschlussprüfung weniger Geld verdienten, bekamen diesen Verdienstentgang von der öffentlichen Hand ausgeglichen. Erfreulich war für viele Lehrlinge, dass der Meistertitel vonseiten der Regierung aufgewertet wurde und somit mehr Chancen bestehen, auch die beruflich-praktische Ausbildung mit akademischen Möglichkeiten zu kombinieren. „Distance Learning“ stellte auch viele Lehrlinge vor Herausforderungen, besonders die Frage fehlender Endgeräte. In mehreren Bundesländern stattete die Arbeiterkammer die Lehrlinge entsprechend mit Laptops aus.

Naht die Ausbildungskatastrophe?

Bereits mit dem Beginn des ersten Lockdowns gab es Befürchtungen, dass die Corona-Krise sich massiv auf die angebotenen Lehrstellen auswirken könnte. Wirschaftskammerpräsident Harald Mahrer, der Unternehmerverein Zukunft Lehre Österreich, der ÖGB und Forscher*innen der Universität Linz fürchteten unisono, dass in einem Worst-Case-Szenario bis zu 10.000 Lehrstellen wegbrechen könnten bzw. bis zu 30 Prozent derjenigen, die üblicherweise eine Lehre beginnen. Die Regierung reagierte auf diese Befürchtungen relativ zurückhaltend. Ab April forderte die Gewerkschaftsjugend in ihrer Kampagne „Lost Generation“ eine finanzielle Unterstützung für notleidende Ausbildungsbetriebe, mehr Ausbildungsplätze im staatlichen Bereich und mehr Plätze in der überbetrieblichen Ausbildung. Einige Landesregierungen griffen die Thematik auf, so war der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) der erste Unterstützer der gewerkschaftlichen Forderungen aus der österreichischen Spitzenpolitik: Bundesländer wie Wien oder Kärnten erhöhten die Anzahl der Lehrlinge in der öffentlichen Verwaltung, aber auch den öffentlichen Unternehmen. Die Forderung der Gewerkschaft younion und des Nationalratsabgeordneten Andreas Kollross (SPÖ) nach einer Ausbildungsoffensive für mehr Lehrlinge in Gemeinden wurde vonseiten der Bundesregierung aber ignoriert.

Kurzarbeit und Lehrlingsbonus

Im Mai verkündete die Regierung dann die Etablierung eines Lehrlingsbonus. Betriebe, die neue Lehrlinge ausbilden, erhalten bis zu 3.500 Euro an staatlichen Beihilfen. Kritik daran: Besonders Großbetriebe, die ohnehin Lehrlinge ausgebildet hätten, bekommen auch diesen Bonus als „Körberlgeld“. Außerdem ist diese Maßnahme größtenteils mit Ende Oktober ausgelaufen. Im Kontext der Corona-Krise wurde klar: Zur Sicherung der bestehenden Lehrstellen braucht es eine Kurzarbeitsmöglichkeit auch für Lehrlinge. Fast 50 Prozent aller betrieblichen Lehrlinge haben sich 2020 in Kurzarbeit befunden. Vorteil für sie: 100 Prozent ihres Lehrlingseinkommens statt nur 80 bis 90 Prozent und keine Verlängerung der Lehrzeit. Mit Dezember wurde klar: Das Worst-Case-Szenario ist nicht eingetreten, die Zahl der Lehrlinge, die 2020 ihre betriebliche Lehre begonnen haben, ist um 8,2 Prozent gesunken. Durch die verstärkte Aufnahme von Lehrplatzsuchenden in einer überbetrieblichen Ausbildung (plus 20 Prozent) ist die gesamte Zahl aller Lehrlinge im ersten Lehrjahr um 5,6 Prozent gesunken. Besonders schwer getroffen war der Tourismus mit minus 30 Prozent an neuen Lehrlingen. Aber auch in der Industrie gab es einen Einbruch von minus zwölf Prozent. Den geringsten Rückgang gab es im Bereich Gewerbe und Handwerk (minus rund sechs Prozent). Die Katastrophe ist ausgeblieben – ein Desaster aber blieb: Deutlich weniger junge Menschen haben 2020 durch eine Lehre die Chance bekommen, ins Berufsleben zu starten.

 

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