Veraltete Basis
Pauschalierung bedeutet konkret, dass nicht die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben als Grundlage genommen werden, um zu berechnen, wie viel Steuern und Sozialabgaben landwirtschaftliche Betriebe leisten müssen. Grundlage ist vielmehr der sogenannte Einheitswert. Genau dieser ist Stein des Anstoßes, blieb er doch über Jahrzehnte hinweg gleich. Das bedeutet, dass die Steuerlast der LandwirtInnen über Jahrzehnte hinweg von einer veralteten Basis aus berechnet wurde. Konkret ist der Einheitswert für die Berechnung von Einkommens-, Grund-, Grunderwerbs- und Kirchensteuer und für die fälligen Sozialversicherungsbeiträge von Bedeutung, außerdem für Sozialleistungen und Beihilfen. Der Vorwurf: Die Berechnung der Steuerlast hängt nicht davon ab, wie viel der jeweilige Betrieb tatsächlich erwirtschaftet.
Die Arbeiterkammer hat errechnet, dass die Einkommen aus der Landwirtschaft zwischen 1989, als die damals neuen Einheitswerte in Kraft getreten sind, und 2010 um 108 Prozent gestiegen sind. Im Gegenzug wuchsen aber die Einnahmen aus der Einkommenssteuer im selben Zeitraum nur um 30 Prozent. Das Fazit der AK: Die Kluft zwischen Einkommen und Steuerleistung klafft weit auseinander. Geschätzter Einnahmenausfall laut Finanzministerium: 200 Millionen Euro im Jahr. Zudem wird vermutet, dass die LandwirtInnen und ihre Kinder von höheren Sozialleistungen profitieren könnten, auch wenn ihr Einkommen dem nicht entspricht.
Doch warum gibt es dieses System überhaupt, wenn sich der Staat dabei so viele Einnahmen entgehen lässt? Die beiden Juristen Georg Kofler und Gottfried Schellmann haben im Jahr 2011 gemeinsam mit der AK eine Studie über die Steuerpauschalierung in der Landwirtschaft erstellt. Darin legen sie die historischen Hintergründe dieses Systems dar. Ursprünglich sollte es vor allem der Entlastung von LandwirtInnen dienen.
Die beiden Juristen zitieren aus einem Artikel in der „Österreichischen Steuerzeitung“ aus dem Jahr 1959: „Die Umsatz- und Gewinnermittlung stieß bei […] kleinen Landwirten seit jeher auf Schwierigkeiten, weil diese Steuerpflichtigen vielfach infolge der sonstigen Arbeitsbelastung der Führung von Aufzeichnungen nicht die nötige Aufmerksamkeit zuwendeten. Die in den Steuergesetzen vorgeschriebenen Aufzeichnungen wurden entweder nicht oder nicht vollständig geführt, so dass die Finanzbehörden in diesen Fällen gezwungen waren, den Umsatz und den Gewinn (…) zu schätzen.“ Damit ist auch der zweite Hintergrund für das System angesprochen: die Entlastung der Finanzverwaltung, die sehr viele Betriebe hätte schätzen müssen. So etablierte sich das System der Pauschalierung.
Seither ist viel Zeit vergangen und in der Landwirtschaft hat ein enormer Wandel stattgefunden. Dazu kommen die spärlichen Anpassungen der Einheitswerte, die nicht nur bei der Arbeiterkammer für Kritik sorgten. So nannte der Rechnungshof das System in seinem Bericht aus dem Jahr 1990 gar „außerordentlich ungerecht“. Es stehe „nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil bei gleich hohem wirtschaftlichen Einkommen unterschiedliche Abgabenbelastungen entstehen können.“
Weitreichende Folgen
Diese Ungleichheit bzw. die fehlende Anpassung der Einheitswerte sollte weitreichende Folgen haben. Im Jahr 2007 hob der Verfassungsgerichtshof die bis dahin geltende Erbschafts- und Schenkungssteuer auf. Die Begründung: Die latente Unterbewertung von Grund und Boden, in der das Gericht eine Gleichheitswidrigkeit bei der Besteuerung von Grundvermögen sah.
Auch die beiden Juristen Kofler und Schellmann halten das System für verfassungswidrig. Ihre Argumentation: „Der Gedanke der Pauschalierung von Steuerbemessungsgrundlagen widerspricht im Grunde den ‚steuerlichen Gerechtigkeitspostulaten, insbesondere dem Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit‘.“ Zwar könne ein gewisses Maß an Steuerungerechtigkeit akzeptiert werden, wie auch die Steuerreformkommission erläuterte – allerdings nur dann, wenn diese „in einem vertretbaren Verhältnis zu der dadurch bewirkten Verwaltungsersparnis steht“. Genau hier setzt die Kritik der beiden Juristen an.
So sei die Gruppe, die unter eine Pauschalierungsregel gefasst wird, zu groß, als dass die steuerlichen Verhältnisse der verschiedenen LandwirtInnen vergleichbar wären. Deshalb erfasse die Pauschalierung nur einen „Bruchteil der tatsächlichen Gewinne“. Ihr Fazit: „Die Wahl des Einheitswertes als Pauschalierungsmaßstab ist nicht geeignet, eine dem tatsächlichen Gewinn nahekommende Größe zu ermitteln.“ Denn er sei eine „fiktive Bezugsgröße“, die „jeden signifikanten Bezug zur Ertragsrealität der landwirtschaftlichen Betriebe verloren hat“.
Oberflächlich betrachtet wirkt das System also in der Tat unfair. Kofler und Schellmann räumen allerdings ein, dass die geringen Einkünfte vieler LandwirtInnen vermuten lassen, dass die Pauschalierung für sie tatsächlich legitim ist. Denn auch bei einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung würde bei ihnen keine substanziell höhere Steuerlast herauskommen. Allerdings sei die Bemessung auf Basis der Einheitswerte zu ungenau und würde bestimmte Betriebe „erheblich begünstigen“. Hier müsse eine Reform ansetzen, so die beiden Juristen.
Kleinere stärker belastet
Nicht zuletzt die Arbeiterkammer machte daher Druck, damit die Einheitswerte den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Im Jahr 2012 war es dann so weit: Im Parlament wurde die Reform des Einheitswerts beschlossen. Aufseiten der Landwirtschaft zeigte man sich zufrieden. Es sei eine „nachhaltige Modernisierung“ gelungen, erklärte Gerhard Wlodkowski, damaliger Präsident der Landwirtschaftskammer. Auch der damalige Bauernbund-Chef Jakob Auer zeigte sich zufrieden, er sprach von einer „praxisnahen Regelung, die mehr Gleichbehandlung bringt“. Man habe eine „Bürokratielawine für die Landwirtschaft verhindert“, sagte der damalige Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich.
Anders sehen dies die Grünen BäuerInnen. Ihren Analysen zufolge haben kleine und mittlere Betriebe negative finanzielle Auswirkungen zu befürchten. Ein Betrieb mit einem „alten“ Einheitswert von 5.000 Euro müsse bei einer Einheitswerterhöhung um 1.000 Euro 788 Euro an zusätzlichen Steuern und Abgaben zahlen. Bei einem Betrieb mit einem „alten“ Einheitswert von 15.000 Euro schlage sich dies hingegen nur mit 468 Euro zu Buche, bei einem Großbetrieb mit 130.000 Euro Einheitswert gar nur mit 19 Euro jährlich. Der kleinere Betrieb werde also bei derselben Einheitswerterhöhung fast 40-mal so stark belastet wie der Großbetrieb, so die Kritik.
Kaum Veränderung
In der AK ist man vorsichtig bis skeptisch. Noch würden entsprechende Daten fehlen, erklärt Landwirtschaftsexpertin Maria Burgstaller. Sie verweist aber auf die Aussage Hermann Peyerls von der Universität für Bodenkultur in den Salzburger Nachrichten, wonach die neuen Einheitswerte nur wenig bringen würden. So stiegen die Einheitswerte durch die Reform zwar im Schnitt um zehn Prozent. Zugleich wurde die Grenze gesenkt, bis zu der Betriebe auf die Pauschalierung zurückgreifen können: Diese liegt nunmehr bei 75.000 statt bei 100.000 Euro. Das klinge fair, werde aber faktisch keine Auswirkung haben, erklärte Peyerl. Denn mehr als 95 Prozent der LandwirtInnen haben einen Einheitswert, der unter diesen 75.000 Euro liegt – für sie ändert sich durch die Reform also nichts. Zumindest nicht, was die Steuern betrifft. Auswirkungen ortet Peyerl allerdings bei den Sozialabgaben, denn diese würden durch die Anhebung der Einheitswerte sehr wohl steigen.
Fair sei dies nicht, wie er erläutert: „Die zusätzlichen Sozialversicherungsbeiträge treffen kleine Bauern stärker als große Landwirte, die ja schon in der Höchstbemessung sind.“
AK-Studie zur Pauschalierung in der Landwirtschaft:
tinyurl.com/y8xu38ac
AK-Studie „Agrareinkommen in Österreich und in der EU“:
tinyurl.com/y9efcaqh
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/17.
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