Brandstetter arbeitete mehr als zwei Jahre für den Waldviertler Betrieb. Da sie dort nie Probleme gehabt habe, sich mit allen Kolleg:innen und der Geschäftsführung verstanden habe, ihre Leistung immer gelobt worden sei und sie erst im Dezember eine Lohnerhöhung bekommen habe, habe sie die Kündigung kalt erwischt. Angeblich habe es nicht genug Arbeit gegeben. Dabei wurde Brandstetter gerade noch wochenlang für einen besonderen Auftrag einer neuen Kundschaft angelernt, an dem sie mindestens drei Monate hätte arbeiten sollen. Die Kündigung hat aus ihrer Sicht einen anderen Grund. Sie wollte mit einem eigenen Team bei der Betriebsratswahl im Frühjahr kandidieren. „Ich habe keinen Fehler gemacht, mir nichts zu Schulden kommen lassen und bin von heute auf morgen arbeitslos, weil die Firma der Meinung ist, sie wollen keinen Betriebsrat, der wirklich etwas tut.“
Kandidatur offen dargelegt
Brandstetter hat mit ihrem Vorhaben nicht hinterm Berg gehalten. Sie hat im Vorfeld mit dem bestehenden Betriebsrat und der Geschäftsführung darüber gesprochen. Sie war im Jänner bei einem Beratungsgespräch bei Erich Macho, dem betriebsbetreuenden Sekretär der PRO-GE für die Bezirke Gmünd, Waidhofen, Horn und Zwettl. Auch diesen Termin hat sie in der Firma nicht verheimlicht – und wurde zwei Tage später gekündigt. Wenn sie Recht hat und ihr geplanter Antritt zur Betriebsratswahl der wahre Kündigungsgrund ist, handelt es sich um ein sogenanntes „verpöntes Motiv“. Beziehungsweise eine „motivwidrige Kündigung“.
Erich Macho kennt die Waldviertler Firma schon länger. Schon vor fünf Jahren wollte dort eine Gruppe einen Betriebsrat gründen. Damals haben anstatt des Kandidat:innenteams Macho und ein Gewerkschaftskollege die Wahl eingeleitet. Das ist manchmal sinnvoll, um der möglichen Verhinderung einer Betriebsratsgründung vorzugreifen. So weiß die Unternehmensleitung, dass ein Betriebsrat gegründet werden soll, aber nicht, wer sich aufstellen lässt. Leider fand die Geschäftsführung dennoch heraus, um welche Personen es sich gehandelt hat, und kündigte die beiden Listenführer. Weil die Wahl schon ausgeschrieben war, musste sie trotzdem durchgeführt werden. Laut Macho stellte die Geschäftsführung eine sogenannte „gelbe Liste“ auf, also Personen, die ihr wohlgesonnen sind. Diese bilden seither den Betriebsrat.
In der Firma was bewegen
Macho sei sich da deshalb so sicher, weil er versucht habe, „zärtlich mit ihnen Kontakt aufzubauen und ihnen Informationen anzubieten“. Leider vergeblich. Auch seien sie keine Gewerkschaftsmitglieder und nehmen daher weder an Kursen noch an Ausbildungen für Betriebsratsmitglieder teil. Selbst entsprechende Angebote der Arbeiterkammer hätten sie nie in Anspruch genommen. „Meiner Meinung nach haben sie gar kein Interesse, wirklich Leute zu vertreten.“ Auch Sylvia Brandstetter hat den Betriebsrat so erlebt. „Es ist nichts passiert: Es gab keine Betriebsversammlungen, keine Sitzungen, wirklich gar nichts. Der Betriebsrat hat sich nicht für die Arbeiter:innen interessiert und zu allem Ja und Amen gesagt.“ Brandstetter selbst wollte „in der Firma was bewegen“. Etwa Gefahren- und Schmutzzulagen durchsetzen und erkämpfen, dass die Arbeiterinnen endlich eigene Damen-Arbeitskleidung bekommen, die gut sitzt – anstatt wie bisher Herrenkleidung.
Union Busting hat Hochkonjunktur. Robert Steier, Leiter des Rechtsreferats und Mitglied der Bundesgeschäftsführung in der vida, berichtet vor allem von einem enormen Anstieg der Versuche von Arbeitgeber:innen, Betriebsräte erst gar nicht entstehen zu lassen. Eine genaue Zahl gibt es nicht – sicher sei auch die Dunkelziffer hoch. Aber Steier sagt: „Ich habe in den letzten fünf Jahren mehr Verfahren und Rechtsschutz-Anträge zu gekündigten Betriebsrats-Wahlvorständen, gekündigten Betriebsrats-Kandidat:innen oder angefochtenen Wahlen durch Arbeitgeber:innen geführt als in den 25 Jahren davor.“ Ein recht neues Phänomen sei zudem, dass dies „nicht mehr verschämt hinter dem Vorhang passiert. Man hat manchmal sogar den Eindruck, die Manager:innen sind stolz darauf zu sagen: ‚Wir haben erfolgreich einen Betriebsrat verhindert.‘“
Von Drohungen bis Kündigung
Es gibt verschiedene Formen von Union Busting. Manchmal reicht eine öffentlichkeitswirksame Drohung wie im Fall von Servus TV. Dort kündigte Dietrich Mateschitz 2016 an, den Sender einzustellen, nachdem von einem geplanten Betriebsrat die Rede gewesen war. Daraufhin unterschrieben 200 Mitarbeiter:innen des Senders einen offenen Brief. Die Kernbotschaft: „Wir wollen und brauchen keinen Betriebsrat.“ Und plötzlich war die angedrohte Senderschließung wieder aus der Welt.
Wenn ich nicht so wütend wäre,
hätte ich das alles nicht in die Wege geleitet.
Sylvia Brandstetter
(Name von der Redaktion geändert)
Ungünstig ist aus Arbeitnehmer:innen-Sicht jene Form von Union Busting, bei der Betroffene bereits vor der Bestellung oder Wahl eines Wahlvorstands gekündigt werden. Robert Steier: „Wenn der Arbeitgeber strategisch schnell ist, kündigt er schon diejenigen, die eine Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes einberufen wollen.“ In diesem Fall können die Gekündigten nur auf Wiedereinstellung klagen und müssen vor Gericht beweisen, dass ihre Kündigung motivwidrig war. Hier schüttet der:die Arbeitgeber:in meist „den Schmutzkübel über der betreffenden Person aus“ und behauptet, es sei zu Verfehlungen wie Zuspätkommen etc. gekommen. Meist sind die Kolleg:innen, die noch im Betrieb sind, dann eingeschüchtert und sehen von der Organisation eines Wahlvorstands und einer Wahl ab.
Früher Kündigungsschutz nötig
Eine weitere Art von Union Busting ist die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern bzw. Kandidat:innen, die bereits auf einer Wahlliste stehen. Diese Variante ist für die Betroffenen besser, denn dann greift schon der besondere Kündigungsschutz. In diesem Fall ist die Kündigung unwirksam, und es geht bei einer Klage nicht um Wiedereinstellung, sondern um die Feststellung, dass man nicht wirksam gekündigt wurde. Robert Steier: „Es macht einen großen Unterschied, ob ich einer Wiedereinstellung nachrenne oder argumentiere, dass die Kündigung nicht wirksam war.“ Ein weiterer Vorteil: Ein gekündigtes Wahlvorstandsmitglied, das schon besonderen Kündigungsschutz hat, kann die Wahl noch abwickeln. Hier wäre laut Robert Steier eine Änderung im Arbeitsverfassungsgesetz wichtig: Besonderer Kündigungsschutz sollte schon bestehen, wenn eine Person sich gegenüber dem:der Arbeitgeber:in dahin gehend äußert, dass er:sie einen Betriebsrat gründen will.
Negative Google-Bewertungen machen
Unternehmen viel mehr Angst,
als wenn sie mit mir im Gerichtssaal stehen.
Robert Steier, Jurist bei vida
Als Union Busting gilt auch eine Gesprächsverweigerung mit dem Betriebsrat. Aber nicht immer geht es bei Union Busting um den Betriebsrat bzw. eine Betriebsratsgründung. Oft bekommen Beschäftigte Schwierigkeiten im Unternehmen oder werden gekündigt, weil sie sich für die Gewerkschaft bzw. Gewerkschaftsrechte einsetzen oder versuchen, ihre Rechte durchzusetzen – zum Beispiel, wenn sie ihre Überstunden geltend machen wollen.
Vier Jahre Rechtsstreit
Obwohl ein Betriebsrat ab fünf Mitarbeiter:innen pro Betrieb laut Arbeitsverfassungsgesetz verpflichtend ist, haben Arbeitgeber:innen viele Möglichkeiten, einen Betriebsrat zu verhindern. Gelungen ist das zuletzt beispielsweise bei XXXLutz im Burgenland oder beim H+ Hotel und dem Fünfsternehotel Hyperion in Salzburg. Aber die Gewerkschaft erzielt auch immer wieder Erfolge, wie etwa im Fall des Essenszustellers Lieferando, wo es nach vier Jahren Rechtsstreit seit April 2023 einen österreichweiten Betriebsrat gibt. Das Beispiel zeigt, wie kreativ Unternehmen sein können, wenn ihnen eine Betriebsratsgründung ungelegen kommt. Die niederländische Lieferando-Mutter Takeaway verklagte 2019 den Betriebsrat, der in Wien gegründet wurde – das Unternehmen behauptete, es gebe in Österreich gar keinen Betrieb. Es existiere nur eine unselbstständige Zweigniederlassung, denn es gebe keine lokale IT-Infrastruktur im Land. Außerdem habe der zuständige Country-Manager nur eingeschränkte Befugnisse. Dabei beschäftigte Lieferando damals rund 300 Fahrradbot:innen in Österreich.
Der Betriebsrat verlor zwar vor Gericht, doch das Wesentliche wurde erreicht. Robert Steier sagt: „Wir sind froh, dass das Gericht entschieden hat, dass es in Österreich eine Geschäftstätigkeit gibt und es damit einen Betriebsrat geben kann. Verloren haben wir es trotzdem. Weil das Gericht zum Ergebnis gekommen ist, wir hätten nicht nur für Wien einen Betriebsrat wählen dürfen, sondern hätten für ganz Österreich wählen müssen.“ Entscheidend war aber, dass ein Betriebsrat gegründet werden durfte – und so kam es im April zur österreichweiten Wahl.
Durchhalten und eine dicke Haut
Toni Pravdic fing im Jahr 2017 – während seiner Schulzeit – als Fahrradkurier bei Lieferando an. Er hat diesen Erfolg gemeinsam mit Kolleg:innen und der vida erreicht. Dafür brauchte er Durchhaltevermögen und eine dicke Haut. Er musste sich in dieser Zeit oft anhören, durch die Mitbestimmung im Betrieb sei das Unternehmen nicht wettbewerbsfähig. Pravdic glaubt, dass er so lange durchgehalten hat, weil er sehr jung ist und noch keine familiären Verpflichtungen hat, aber auch, weil er „diesem riesigen Konzern nichts schenken wollte“. Nachdem er gute zwei Jahre Wiener und weitere neun Monate österreichweiter Betriebsratsvorsitzender gewesen war, wechselte er Anfang 2024 zur vida, wo er nun als Fachbereichssekretär für den Bereich Straße zuständig ist – Fahrradkurier:innen inklusive.
Mediale Aufmerksamkeit auf konkrete Beispiele von Union Busting helfen, ist Robert Steier überzeugt. Sie zeigen Unternehmen: „Seid euch bewusst: Ihr müsst in Kauf nehmen, dass ihr von uns in Print- und sozialen Medien an den Pranger gestellt werdet und wir dazu auffordern werden, schlechte Google-Bewertungen abzugeben. Seid euch klar: Das wird euch Kund:innen und Renommee kosten.“ Steier glaubt, dass negative Google-Bewertungen Unternehmen viel mehr Angst machen, „als wenn sie mit mir im Gerichtssaal stehen“.
Appell gegen Union Busting
Erich Macho von der PRO-GE appelliert an Wirtschaftstreibende, Betriebsräte nicht als Feinde zu sehen. Ein Betriebsrat hat nicht nur praktische Vorteile im Alltag. Weil beispielsweise nicht mit jedem:jeder Mitarbeiter:in einzeln Arbeitszeitmodelle und andere Regelungen vereinbart werden müssen, sondern dient auch der Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. „Mit einer Vertretung fühlen sich die Leute ernst genommen.“ Und Sylvia Brandstetter, die in ihrem Betrieb nicht mehr für den Betriebsrat kandidieren kann, betont, dass „jeder, dem solche Geschichten passieren, der diskriminiert und benachteiligt wird oder seinen Job verliert“, sich das nicht gefallen lassen müsse. „Es gibt Mittel und Wege, sich auf die Füße zu stellen. Die meisten sagen: Dabei kommt nix raus. Aber wenn du alles unter den Teppich kehrst, wird sich nie etwas ändern.“
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