Umkämpfter grüner Tisch

(C) Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Mehrwert für die Demokratie
  2. Seite 2 - Starke Hand zwischen Interessen
  3. Auf einer Seite lesen >
Die Sozialpartnerschaft steht für den gesellschaftlichen Ausgleich im Land. Sie wird aber immer mehr infrage gestellt.
Ein kalter, nebeliger Herbstmorgen liegt über der Stadt. Elisabeth Mayr sperrt das Büro in der Wiener Innenstadt auf und startet ihren Rechner. Heute ist sie die Erste hier. „Der Tag dauert bestimmt länger“, erklärt sie selbstbewusst und holt sich aus der Teeküche einen starken Kaffee mit Milch. Ursprünglich kommt sie aus Oberösterreich. Vor Jahren verlor sie dort ihren Job, da ihr Arbeitgeber in die Insolvenz schlitterte. Elisabeth Mayr stand von einem Tag auf den anderen ohne Arbeit und Geld da. „Ja, ich spürte dann, dass jemand für mich da ist und sich für mich einsetzt“, sagt die 37-Jährige.

Trotz der guten Erfahrungen mit der Arbeiterkammer seien die goldenen Zeiten der Sozialpartnerschaft längst vorbei, beobachtet Elisabeth Mayr. Sie erinnert sich noch gut an die Einführung des 12-Stunden-Tages im September des Vorjahres, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der türkis-blauen Bundesregierung davor beschlossen worden war. Die Sozialpartner – allen voran die ArbeitnehmervertreterInnen – wurden nicht eingebunden, sondern vielmehr vor vollendete Tatsachen gestellt. „Während die ArbeitgebervertreterInnen der türkis-blauen Regierung zujubelten, demonstrierten Angestellte, Arbeiterkammer und Gewerkschaften vergeblich vor dem Sozialministerium.“

Mehrwert für die Demokratie

Doch was ist die Sozialpartnerschaft und was bedeutet sie für Österreich? Sie ist eine Form der Verhandlungsdemokratie, bei der die „großen gesellschaftlichen Dachverbände eine zentrale Rolle spielen“, so Tobias Hinterseer und Emmerich Tálos in ihrem Buch „Sozialpartnerschaft – Ein zentraler politischer Gestaltungsfaktor der Zweiten Republik am Ende?“. Die Politikwissenschafter Emmerich Tálos von der Uni Wien und Tobias Hinterseer von der Arbeiterkammer Salzburg setzen sich darin mit der Geschichte der Sozialpartnerschaft und deren Bedeutung für Österreich auf über 180 Seiten auseinander.

AkteurInnen der Sozialpartnerschaft:

  • Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ)
  • Landwirtschaftskammer Österreich (LK)
  • Bundesarbeitskammer (BAK)
  • Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB)
Wer sind denn eigentlich die AkteurInnen der Sozialpartnerschaft? Es sind dies die vier großen Interessenverbände: die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), die Landwirtschaftskammer Österreich (LK), die Bundesarbeitskammer (BAK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB). Grundprinzip der Sozialpartner ist, dass sie sich in erster Linie um Lösungen auf dem Verhandlungsweg bemühen. Sie einigen sich in Verhandlungen auf langfristige Ziele der Einkommens-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Die Sozialpartner stehen für den gesamtgesellschaftlichen Ausgleich im Land, setzen auf das Prinzip der Freiwilligkeit, der Selbstverwaltung und der demokratischen Legitimation. Sie handeln etwa Kollektivverträge und Sozialleistungen für die Beschäftigten aus. Auch treten sie als Serviceorganisation für ihre jeweiligen Mitglieder in Erscheinung. Tobias Hinterseer ist überzeugt: „Sozialpartnerschaft ist ein Klassenkampf am grünen Tisch.“

Mehr Show als Verhandlungen

Über Jahrzehnte galt die Sozialpartnerschaft als „Aushängeschild und Erfolgsfaktor im Österreich der Zweiten Republik“, sagt Hinterseer im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft. Doch in den vergangenen beiden Jahren lösten Gesprächsforen mit Event- und Showcharakter die traditionellen Verhandlungen ab. „Vieles war von der Politik inszeniert“, konstatiert der Politikwissenschafter.

Dazu kommt, dass politische AkteurInnen der Sozialpartnerschaft kritisch gegenüberstehen oder sie gar ganz abschaffen möchten. Die FPÖ tritt nach wie vor für ein Ende der gesetzlichen Mitgliedschaft in den Kammern ein, ebenso die NEOS. Die ÖVP unter Sebastian Kurz hat einen ganz anderen Zugang zur Sozialpartnerschaft, als das bisher der Fall war.

Buchtipp: Emmerich Tálos, Tobias Hinterseer: Sozialpartnerschaft Ein zentraler politischer Gestaltungsfaktor der Zweiten Republik am Ende?

Unter der türkis-blauen Bundesregierung wurde jedenfalls der traditionelle inhaltliche Grundkonsens zerstört, so Hinterseer. So war die Wirtschaftskammer (WKO) unter ihrem neuen Präsidenten Harald Mahrer deutlich enger mit der Bundesregierung verbunden, als es noch unter Christoph Leitl der Fall war. Es entstand ein Ungleichgewicht und eine Verschiebung der Macht zugunsten der Unternehmervertretungen wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Die Vertretungen der ArbeitnehmerInnen wurden durch Strukturreformen weiter zurückgedrängt – so zum Beispiel in der neuen Gesundheitskasse (ÖGK), die die neun Gebietskrankenkassen bald ablöst und in der ArbeitnehmerInnen keine Mehrheit mehr stellen. Für Hinterseer wurde in dieser Zeit und durch Maßnahmen wie diese viel Vertrauen zerstört. Dieses lasse sich nur über einen längeren Zeitraum wieder aufbauen, ist er überzeugt. Das abrupte Ende der Bundesregierung unter Sebastian Kurz verschaffte der Sozialpartnerschaft eine vorübergehende Verschnaufpause.

Am Scheideweg der Szenarien

4 Szenarien zur Zukunft der Sozialpartnerschaft:

  • Wiederbelebung der Beziehungen
  • Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft in einer „abgeschlankten Version“
  • Reduzierung der Mitbestimmung der Sozialpartner auf Sozialpakte
  • Ausschaltung der Sozialpartnerschaft als Mitbestimmungsfaktor

Wie könnte nun die Zukunft der Sozialpartnerschaft aussehen? Dazu formulieren Tobias Hinterseer und Emmerich Tálos vier Szenarien. Das erste wäre eine Wiederbelebung der Beziehungen wie zuletzt in den 1980er- und 1990er-Jahren. Dieses Szenario schließen die beiden Autoren aber dezidiert aus. Ein zweites Szenario wäre die Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft in einer „abgeschlankten Version“ – wie unter Schwarz-Blau Anfang der 2000er-Jahre, als sich die Mitgestaltung nur auf Themen der großen Organisationen beschränkte. Ein drittes Szenario bringe eine Reduzierung der Mitbestimmung der Sozialpartner auf Sozialpakte. Dabei würde deren Einbindung nur auf zeitlich und inhaltlich definierte Themen festgelegt werden.

Am wahrscheinlichsten halten Tobias Hinterseer und Emmerich Tálos aber die Ausschaltung der Sozialpartnerschaft als Mitbestimmungsfaktor im politischen System Österreichs, wenn „die Gesprächs- und Vertrauensbasis sowie der Interessenausgleich zwischen den Akteuren noch weiter verlieren“. Doch von welchem Szenario gehen die beiden Sozialwissenschafter nach dem Ende von Türkis-Blau nun tatsächlich aus? „Es hängt stark davon ab, wie die Regierungsverhandlungen laufen und wie die neue Regierung die ArbeitnehmerInnenseite bei sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen einbindet“, so Hinterseer. Nur wenig hält der Experte von einer Pro-forma-Mitbestimmung. In zehn Jahren werde es etwa die Arbeiterkammer weiterhin geben, ist Tobias Hinterseer überzeugt. Durch die jüngsten Ereignisse und Änderungen sei die Arbeitnehmerschaft aber mehr denn je „politischer und sensibilisierter“.

Der Haussegen hängt schief

„Keine Frage, ich bin auf alle Fälle für die sofortige Rücknahme des neuen Arbeitszeitgesetzes“, gibt sich Elisabeth Mayr kämpferisch, „weil dieses Gesetz ohne Mitwirkung der ArbeitnehmerInnen zustande kam.“ Der Haussegen hänge seither schief und vergifte das Klima zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern zusätzlich, so die Angestellte. Für Elisabeth Mayr sind viele Probleme der Sozialpartner auch „hausgemacht“. Sie vermisse etwa die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen für die „breite Masse der Bevölkerung“. Wie die Sozialpartnerschaft funktioniert und wie Entscheidungen entstehen – genau das sollte ihrer Meinung nach der Bevölkerung besser vermittelt werden, findet Mayr.

Starke Hand zwischen Interessen

„Für mich halten die Sozialpartner einen Diskurs und eine Plattform offen, die einen gegenseitigen Austausch ermöglichen und garantieren“, findet die Angestellte Mayr. Für sie sind sie ein Bindeglied zwischen den „kleinen Leuten“ und der „großen Politik“. „Mit diesem Inter­essenausgleich bin ich groß geworden.“ Nach wie vor unverzichtbar seien die Sozialpartner im politischen System Österreichs. Sie müssen daher wieder gestärkt werden; mehr Bedeutung gewinnen, um den sozialen Frieden im Land zu erhalten, fordert Mayr, die optimistischer als die beiden Sozialwissenschafter klingt. „Ohne Sozialpartnerschaft kann ich mir die Zukunft nicht vorstellen.“

Von
Christopher Erben
Freier Journalist

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/19.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
christopher_erben@yahoo.de
oder an die Redaktion
aw@oegb.at

Inhalt

  1. Seite 1 - Mehrwert für die Demokratie
  2. Seite 2 - Starke Hand zwischen Interessen
  3. Auf einer Seite lesen >

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.