Übersicht: Arbeitszeitverkürzung in Österreich statt Zwang und Druck

Graffiti auf einer Holzplatte: 30 Stunden sind genug. Arbeitszeitverkürzung in Österreich jetzt.
Über die Zahl der Stunden kann gestritten werden. Aber klar ist: Eine Arbeitszeitverkürzung in Österreich ist überfällig. | ©Adobestock/Gina Sanders
Die Diskussion rund um die Bestrafung von Teilzeit-Beschäftigten lenkt davon ab, dass eine Arbeitszeitverkürzung in Österreich längst überfällig ist. Eine Übersicht.
Die Menschen in Österreich arbeiten zu viel. Vollzeitbeschäftigte leisten im Schnitt 42,1 Arbeitsstunden pro Woche. Im europäischen Vergleich müssen lediglich Griech:innen mehr arbeiten (43,8 Stunden). Im Nachbarland Deutschland (40,5 Stunden) oder beim Spitzenreiter dieser Statistik Dänemark (38,4) sind es deutlich weniger. Gleichzeitig ist Österreich eines der produktivsten Ländern der Welt. Das passt nicht zusammen. Eine Arbeitszeitverkürzung ist längst überfällig.

Arbeitszeitverkürzung in Österreich

Wie Produktivität und Arbeitszeit zusammenhängen, wird an einem praktischen Beispiel deutlich. Die letzte umfangreiche Arbeitszeitverkürzung in Österreich stammt aus dem Jahr 1975. Seitdem gilt eine Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche. Es war das Ende eine stufenweise Senkung, die im Jahr 1970 bei 43 Stunden begann. Seit 1985 gibt es Branchen mit nur 38,5 Wochenstunden. Damals mussten wichtige Dokumente per Post oder Kurier verschickt werden. Onlinemeetings und Digitalisierung gab es nicht. In einer einzelnen Arbeitsstunde kreieren Arbeitnehmer:innen heute deutlich mehr Wert in Form von Waren und Dienstleistungen.

Eine Frau schaut auf die Uhr. Symbolbild für die Arbeitszeitverkürzung in Österreich. Stechuhr.
Österreicher:innen wollen weniger arbeiten. | ©Adobestock/AustrianImages.com

Statt einer Arbeitszeitverkürzung gab es in Österreich im Jahr 2018 einen 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Woche. Das ging an Österreichs Arbeitnehmer:innen nicht spurlos vorbei. Vor der Pandemie leisteten sie rund 43 Millionen unbezahlte Überstunden. Das ist das Äquivalent von 25.000 Vollzeit-Arbeitsplätze. Dazu kamen noch einmal 212 Millionen bezahlte Überstunden. Freiwillig machen das die Arbeitnehmer:innen übrigens nicht. Mehr als die Hälfte aller Vollzeitbeschäftigen möchte weniger arbeiten. Das Arbeitsklima ist deswegen so schlecht wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Eine Arbeitszeitverkürzung könnte auch den Wohlstand in Österreich steigern, wie der Wohlstandbericht vorrechnet. Denn die Zahl der Langzeitarbeitslosen und prekär Beschäftigten hat sich in den vergangenen Jahren enorm erhöht. Modelle wie die 4-Tage-Woche in Belgien könnten eine Lösung sein. Das Ziel für Österreich ist jedenfalls klar definiert: Laut Arbeitsklimaindex wollen die Beschäftigten die durchschnittliche Arbeitszeit um 2,6 Stunden reduzieren.

Nachfrage nach Arbeitskräften und Work-Life-Balance

„Was wir auf jeden Fall sehen: Wenn die Corona-Krise und diese Sondersituation vorbei sind, werden wir nicht in derselben Welt leben wie zuvor“, prophezeite David Mum, Leiter der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA, bereits im Jahr 2021. Und er sollte Recht behalten. Dank beschleunigter Digitalisierung haben sich viele Arbeitnehmer:innen neue Routinen angewöhnt. „In der Kurzarbeit haben viele Menschen weniger Stunden gearbeitet. Viele wollen auch nach der Krise nicht mehr auf das alte Arbeitszeitniveau hochfahren. Eine Studie der Uni Wien zeigt, dass 55 Prozent der Menschen dauerhaft weniger arbeiten wollen, 30 Prozent wollen gleich viel arbeiten. Auf dieses Bedürfnis sollte man eingehen.“

Denn eine Arbeitszeitverkürzung käme auch den Unternehmen entgegen. Seit Jahren klagen Österreichs Arbeitgeber:innen über einen vermeintlichen „Fachkräftemangel“. Damit haben aber längst nicht alle Firmen zu kämpfen. Arbeitgeber:innen, die ihren Beschäftigten eine ausreichende Work-Life-Balance anbieten, haben das Problem nicht. Statt ihre Arbeitsplätze jedoch attraktiver zu gestalten, reagieren viele Unternehmen, indem sie den Arbeitsdruck erhöhen.

Die hohe Priorität der Arbeitszeitverkürzung spiegelt sich schon seit dem Jahr 2021 in den Herbstlohnrunden wider. Dass die jüngsten Verhandlungen im Schatten der Inflation standen, wollten manche Unternehmen nutzen, um die Arbeitszeit auszuweiten. Eine Forderung, die unter anderem die KV-Verhandlungen bei den Metaller:innen zum Platzen brachte.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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