Übergewinnsteuer in Österreich ist nicht hoch genug
„Viele Länder haben schon vor Monaten eine Übergewinnsteuer eingeführt“, erklärt dazu Helene Schuberth, die ÖGB-Chefökonomin. „Das AK-ÖGB-Modell, mit einem weitaus höherem Steueraufkommen, wurde Ende August vorgestellt und es wäre rechtlich möglich gewesen, dies rasch umzusetzen.“ Dominik Bernhofer, AK-Steuerexperte, stimmt zu. „Man hätte wohl mehr als das Doppelte herausholen können.“ Ein Vorbild dafür ist Spanien.
Die Regierung hat einerseits einen Price Cap für Stromerzeuger und Stromhändler von 1. Dezember 2022 bis 31. Dezember 2023 angekündigt. Die Effektivsteuerbelastung von einem Euro Übergewinn beträgt dabei zwischen 31,5 und 49,5 Prozent. Bei der Solidaritätsabgabe, die rückwirkend von 1. Juli 2022 bis 31. Dezember 2023 wirkt, beträgt die effektive Besteuerung 33 bis 40 Prozent. Das AK-ÖGB-Modell hätte den gesamten Energiesektor betroffen, von 1. Jänner 2022 bis 31. Dezember 2024. Aus einem Euro Übergewinn wären so 60 bis 90 Prozent zu holen gewesen.
Das AK-ÖGB-Modell hätte deutlich mehr an zufälligen Übergewinnen lukriert. Das Regierungsmodell fällt im Vergleich zurück, weil die effektive Steuerbelastung niedriger und die Laufzeit kürzer ist. Die niedrige effektive Belastung liegt auch daran, dass wegen der generösen Investitionsbegünstigung alle Energieunternehmen ihren Steuerbeitrag mit „grünen Investitionen“ auf das EU-Mindestniveau reduzieren können. „Das von der Regierung groß verkündete ‚Wir machen mehr als notwendig‘ ist also mehr Schein als Sein“, fasst Bernhofer zusammen. Der einzige Bereich, wo man wirklich über die EU-Verordnung hinausgeht, ist bei der Laufzeit der Erlösobergrenze. Die läuft sechs Monate länger als notwendig.
Rückwirkende Übergewinnsteuer in Österreich
Fraglich ist auch, ob eine rückwirkende Besteuerung ab 1. Juli rechtlich möglich ist. Ein von der AK beauftragtes Rechtsgutachten zur Übergewinnsteuer in Österreich stellte fest, dass diese Besteuerung sachlich begründbar wäre. „Einerseits, weil es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein kann, auch unterjährig auf Umstände zu reagieren, die sich jeder Planbarkeit entziehen. Und andererseits, weil es sich ja um ‚Zufallsgewinne‘ handelt, die ja per definitionem nicht erwartbar waren“, erklärt Schuberth gegenüber Arbeit&Wirtschaft.
Bernhofer ergänzt: „Erstens ist der Vertrauensschutz bei Übergewinnen verdünnt. Zweitens kann man den Eingriff durch die Extremsituation begründen.“ Das sei hierbei auf jeden Fall gegeben. Laut dem AK-Gutachten würde eine Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) standhalten. „Wenn jemand Beschwerde einhebt gegen die Rückwirkung und die Verletzung des Vertrauensschutzes, dann muss der VfGH abwägen. Wie schwer wiegt die Verletzung des Vertrauensschutzes und welche sachliche Begründung steht dahinter?“
Warum übererfüllen?
Ein oft gehörtes Argument in Österreich ist, dass man EU-Verordnungen in ihrer nationalen Umsetzung nicht übererfüllen solle. Die EU legt bekanntlich Mindeststandards fest, eine Übererfüllung müsste demnach nicht sein. „Die Menschen zahlen sich ihre Antiteuerungspakete gegenwärtig selbst, umgekehrt machen die Konzerne Milliardengewinne“, stellt Bernhofer klar. Eine Übererfüllung der Richtlinie sei eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den Steuerzahler:innen. Die kriegsbedingte Energiekrise und die Inflation – im Jahr 2022 lag sie in Österreich bei 8,6 Prozent – macht hohe Ausgaben notwendig, führt Schuberth ergänzend aus. Diese müssten unbedingt gegenfinanziert werden, sonst drohten Sparpakete. „Der Staat beziehungsweise der Finanzminister ist zuständig für solide Staatsfinanzen. Ein Ausgabenpaket nach dem anderen zu schnüren, ohne sich zu überlegen, wie das finanziert werden soll, ist verantwortungslos.“
Dabei gehören manche Energieversorger sogar dem Staat oder sind daran beteiligt. Aber eben nicht zur Gänze, weswegen die Mehreinnahmen nicht zu den Menschen retour kommen. Bernhofer findet das Argument wenig überzeugend. „Bei einem Großteil der Energieunternehmen hat der Staat keinen beherrschenden Einfluss zum Beispiel bei der OMV oder privaten Windparkbetreibern. Hier sind Sonderdividenden keine Lösung.“ Wo der Staat hohe Anteile hat, sind es hauptsächlich die Länder, die beteiligt sind, nicht der Bund.
1) „Eine Übergewinnsteuer ist nicht notwendig.“
Falsch. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat bei einer Untersuchung der österreichischen Kraftstoffbranche gezeigt, dass Mineralölkonzerne ihre Gewinnmargen sogar verdoppelt und verdreifacht haben.
2/6— ÖGB (@oegb_at) November 15, 2022
Geld aus der Übergewinnsteuer in Österreich muss auch ankommen
Es muss sichergestellt werden, dass das Geld aus den Einnahmen auch dort ankommt, wo es hinmuss. „Der ÖGB fordert eine Zweckwidmung der Übergewinnsteuer für die Entlastung der Bevölkerung, die sehr unter den hohen Energiekosten leidet, das heißt die Finanzierung eines Energiepreisdeckels“, macht Schuberth deutlich. Eine derartige Widmung wäre sinnvoll, denn über den Punkt hinaus, dass sich die Menschen in Österreich die Antiteuerungspakete ohnehin selber zahlen, muss das ganze Geld, das da verteilt wird, irgendwo herkommen.
Die 28 Milliarden, die das Budget bis 2026 vorsehe, könnten laut Bernhofer nicht alleine durch die Übergewinnsteuer gegenfinanziert werden, das sei eine „Illusion“. Dennoch hätte die Abschöpfung der Übergewinne höher ausfallen müssen. Übergewinnsteuer in Österreich, wie sie jetzt umgesetzt werden wird, ist in dieser Form eine vergebene Chance. Da sind sich beide einig. Es ist letztlich vor allem eines: eine österreichische Lösung.