Bezahlung an der Armutsgrenze: Plattformen in der Kritik
Noch vor ein paar Jahren war die Plattformwirtschaft ein Zukunftsversprechen. Alles sollte einfacher, billiger und digitaler gehen. Aus Start-ups wurden binnen weniger Monate milliardenschwere Einhörner. Doch die New Economy hat bis heute ein Problem damit, ihre vermeintlich zukunftsweisenden Ideen an die Realität anzupassen. Arbeitsrecht, Mindestlohn, selbst grundlegende Gesetze standen den kühnen Plänen im Weg. Lange vor Bekanntwerden der aktuellen Uber-Files, berichtete Arbeit&Wirtschaft beispielsweise über den systematischen Rechtsbruch bei Uber.
Wenig überraschendes Ergebnis einer Studie über die #Arbeitsbedingungen bei Uber, Lieferando & Co in Österreich: #Plattformarbeit ist mehrheitlich von Prekarität geprägt.
Markus Griesser, @martinrisak und Laura Vogel über @TowardsFairWork: https://t.co/mUCjuQzor1 pic.twitter.com/SaIzgdV0dX
— A&W Blog (@AundW) July 7, 2022
Auch der Essenszusteller Mjam ist in Österreich ein Dauerthema. Dort hat die Belegschaft Anfang des Jahres 2021 zwar einen Kollektivvertrag durchgesetzt, der jedoch für 90 Prozent der Angestellten bedeutungslos ist. Grund ist die hohe Zahl selbstständiger Fahrer. Eine Festanstellung gibt es nur für die wenigsten. Entsprechend leicht fällt es dem Unternehmen, über Nacht 150 Mitarbeiter:innen zu entlassen. Nicht einmal grundlegenden Anforderungen – wie die Bekanntgabe der Massenentlassung beim Arbeitsmarktservice (AMS) – kam das Unternehmen nach.
Fairwork-Studie über Plattformen in Österreich
Jetzt hat sich die Fairwork-Studie der Plattform-Ökonomie in Österreich gewidmet. „Die Ergebnisse zeigen dabei ein sehr heterogenes Bild, wobei sich insgesamt sagen lässt, dass die Plattformökonomie auch in Österreich durch die Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse und niedriger Verdienstmöglichkeiten sowie einen geringen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad gekennzeichnet ist“, fassen Markus Griesser, Martin Gruber-Risak und Laura Vogel von der Universität Wien die Studie zusammen.
Die Fairwork-Studie ist ein Projekt des Oxford Internet Institutes und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie wird in insgesamt 28 Ländern durchgeführt. In Österreich wird die Studie von der Arbeiterkammer und der Stadt Wien finanziell unterstützt. Unter der Leitung von Leonhard Plank haben Griesser, Gruber-Risak und Vogel die hiesige Situation analysiert. Sie haben alle verfügbaren Informationen zu den Unternehmen zusammengetragen, mit den Manager:innen der Firmen gesprochen und Mitarbeiter:innen interviewt.
Probleme bei Lohn, Mitbestimmung und Management
Für die Fairwork-Studie sind fünf Faktoren entscheidend. Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Verträge, Management und Mitbestimmung. Für jede Kategorie werden Punkte vergeben. Einen gibt es dafür, wenn grundlegende Bedingungen erfüllt sind. Ein zweiter Punkt kommt hinzu, wenn weitergehende Standards eingehalten werden. Jede Plattform kann also ein Maximum von zehn Punkten verdienen.
Große Probleme haben Uber, Lieferando, Mjam und andere Plattformen vor allem bei der Frage der Bezahlung. In Österreich gibt es keinen Mindestlohn. Entscheidend ist deswegen, ob der Stundenlohn reicht, um über der Armutsgefährdungsschwelle zu liegen. Das waren im Jahr 2021 genau 9,32 Euro pro Stunde oder 1.616 Euro brutto pro Monat. Nur eine einzige Plattform konnte nachweisen, dass sie allen Beschäftigten diesen Lohn auch zahlt. Nämlich Lieferando.
Lieferando ist die fairste Plattform in Österreich
Fahrer:innen bei Lieferando verdienen abzüglich der Kosten rund zehn Euro pro Stunde. Sie können den Lohn aber noch durch Trinkgeld aufbessern. Dazu kommen Weihnachts- und Urlaubszahlungen und eine Kompensation für die Benutzung des Privathandys. In Summe konnte der Essenszusteller acht von zehn Punkten bei der Studie erreichen. Einen Punkt Abzug gibt es wegen einer Klage Lieferandos vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien. Dabei geht es um die Zuständigkeit des gegründeten Betriebsrats. Einen zweiten Punkt verlor das Unternehmen, weil noch nicht klar ist, wie sich die erst neu eingeführten Maßnahmen gegen Diskriminierung und Übergriffe in der Praxis bewähren.
Mjam kündigt 150 Fahrer:innen – ohne Angabe von Gründen und Vorwarnung. Karl Delfs, @gemeinsam_vida sieht die Problematik in der #Beschäftigungsart und fordert, den Unterschied zwischen freien Dienstnehmern und Fixangestellten aufzuheben. https://t.co/C8jwXyHMKY
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) June 30, 2022
Uber unten, Lieferando oben: Ergebnisse der Fairwork Studie:
- Lieferando (8 Punkte)
- ExtraSauber (5 Punkte)
- Mjam (4 Punkte)
- Alfies (2 Punkte)
- Uber (2 Punkte)
- Bolt (1 Punkt)
Vor allem in der Coronakrise erlebten diese Plattformen einen Boom. Die Beschäftigten sind die „verkannten Leistungsträger:innen“, wie es die Studie ausdrückt. Zwar seien sie „von zentraler Bedeutung für den zeitgenössischen Kapitalismus“, würden aber nicht die ihnen zustehende Anerkennung bekommen.