Tödliche Straflust

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„Es zählt, was mein Volk sagt“, meinte Recep Erdogˇan, ­konfrontiert mit der Aussage, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe zum sofortigen Stopp der EU-Verhand- lungen führen würde.

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Der 10. Oktober ist der Tag der Todesstrafe. In der EU richtet der Staat nicht mehr über Menschenleben. Doch das Thema bleibt ein populistischer Stimmungsmacher.
Was haben Immanuel Kant, Wladimir Lenin und Konrad Adenauer mit Arnold Schwarzenegger gemeinsam? Alle vier befürwort(et)en die Todesstrafe. Der Philosoph des moralischen Imperativs begründete sie mit einer notwendigen „Befriedigung der Gerechtigkeit“ – eine Überzeugung von zeitloser Anziehungskraft, die beispielsweise Hillary Clinton teilt. Eingeschränkt soll sie nur auf besonders schlimme Verbrechen sein, wo der „Einzelne das Recht auf Leben verwirkt“. Auch in Österreich finden sich für Ausnahmefälle Befürworter, wie der Tiroler Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer oder Frank Stronach, der die „Todesstrafe für Berufskiller“ verlangte.

„Idealer“ Gegenstand

„Forderungen nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe sind dadurch vorbereitet, dass es eine legitime und sogar praktizierte Strafform weltweit ist (auch in westlichen Demokratien). Des Weiteren gehört seit den späten 1970er-Jahren ein Mehr an staatlichen Strafdrohungen zur normalen Sicherheitspolitik und ist Bestandteil von Politik-Darstellungen“, so Helga Cremer-Schäfer von der Universität Frankfurt. Die Kriminologin untersucht die Soziologie des strafenden Staates. In „Straflust und Repression“ beschreibt sie einen Prozess der „Personalisierung des Problems der Kriminalität“, der die „Krise“ als Versagen bestimmter Leute, bestimmter Kategorien der Bevölkerung“ erklärt. „Kriminalität“ ist ein idealer Gegenstand „autoritären“ Populismus: ein gemeinsamer Feind und die Kriegserklärung, in der die ganze Nation zusammengeschlossen wird, gegen innere Feinde und hereindrängende Fremde vorzugehen. „Law-and-Order-Kampagnen sind Mittel, eine klare Polarisierung von ‚Wir‘ und ‚Sie‘ durchzusetzen.“ Der langjährige Leiter des Wiener Instituts für Recht- und Kriminalsoziologie, Heinz Steinert, sagte dazu in einem Vortrag 2008: „Populistische Politik (konkret waren es Ronald Reagan und Margaret Thatcher, die damit Wahlkämpfe bestritten) und Unterhaltungsindustrie (besonders Boulevardpresse und TV) haben gemeinsam ‚Kriminalität‘ zu einem bedeutsamen Feindbild und möglichst strenge Bestrafung zum einzigen Mittel dagegen erhoben.“

Ein Musterbeispiel für das populistische Mobilisierungspotenzial brachte Viktor Orbán, der durch gezieltes Liebäugeln mit der Todesstrafe auf mediale Wirkung abzielte. „Die Todesstrafe ist kein Sonderfall, sondern ein extremes Beispiel für eine diskursive Strategie, die von der extremen Rechten verwendet wird“, analysiert Politikwissenschafter Tobias Boos. „Sie erfüllt zwei Funktionen: Der Tabubruch einer extremen Forderung erweitert das diskursive Feld und verschiebt es weiter nach rechts – auch wenn nach öffentlicher Empörung ‚zurückgerudert‘ wird.“ Diese Spirale nach (rechts) oben ist bei der AfD-Politik gut beobachtbar. Schockierte Frauke Petry noch mit der Aussage „Flüchtlinge notfalls mit Waffengewalt an den Grenzen zu stoppen“, übertraf ein AfD-Lokalpolitiker diese Aussage, indem er meinte, „die deutsche Integrationsbeauftragte in Anatolien entsorgen zu wollen“. Die Linguistin Ruth Wodak wählt das Bild des „Perpetuum mobile“, das (rechts-)populistische Parteien erzeugen, indem sie wiederkehrend provozieren, falsche Anschuldigungen machen und mit kalkulierten Ambivalenzen verschiedene WählerInnengruppen mit unterschiedlichen Botschaften zur selben Zeit ansprechen. So sind die anderen Parteien und politischen Akteure permanent damit beschäftigt, offensichtlich falsche Aussagen zu widerlegen, und kommen so zu keiner eigenständigen Themensetzung.

„Mein Volk“

„Es zählt, was mein Volk sagt“, meinte Recep Erdoğan, konfrontiert mit der Aussage, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe zum sofortigen Stopp der EU-Verhandlungen führen würde. Sprechen PolitikerInnen über die Todesstrafe, stützen sie sich gerne auf des „Volkes Stimme“. „Die Regierungen müssen mit entsprechenden Gesetzen und begleitender Bildungsarbeit mit gutem Beispiel vorangehen und tragen so dazu bei, dass sich die Einstellung in der Bevölkerung ändert. In Österreich wurde die Todesstrafe zu einer Zeit abgeschafft, in der die Mehrheit der Bevölkerung noch gegen ihre Abschaffung war“, so Manfred Nowak, wissenschaftlicher Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte. Zeitpunkt und Art der Fragestellung beeinflussen maßgeblich die Zustimmung. Fragt man: „Soll die Todesstrafe wieder eingeführt werden?“, erhält man einstellige Zustimmungsraten. Oder fragt man aus Anlass eines aktuell besonders brutalen Mordes: „Sind Sie für die Todesstrafe für Kinderschänder?“, so kann es für diese Aussage Zustimmungsraten von bis zu 25 Prozent geben. „In dem Kontext wird die Todesstrafe nicht als Strafe, sondern als ‚sozialhygienische Maßnahme‘ verstanden, um die Gesellschaft zu schützen“, analysiert Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International, die unterschiedlichen Ergebnisse. Dennoch ist er überzeugt: „Europa ist gefestigt gegen die Todesstrafe.“ Zweifel sind jedoch angebracht. Immerhin wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe in Polen im Jahr 2004 mit gerade einmal drei Stimmen verhindert. Auch scheiterte die Einführung eines EU-Tages gegen die Todesstrafe im Jahr 2007 an den Stimmen der polnischen Regierung. In der Zwischenzeit hat sich Polen endgültig von der Todesstrafe verabschiedet, indem es im Jahr 2014 jenes Protokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention ratifizierte, das die Todesstrafe verbietet. „Die Todesstrafe ist ein Auslaufmodell“, bleibt Patzelt überzeugt. „Jährlich schaffen im Schnitt drei Staaten ab, der Kampf ist in 10 bis 15 Jahren gewinnbar.“ Aber es gibt auch Rückschläge: So führte heuer auf den Philippinen Präsident Rodrigo Duterte nach elf Jahren die Todesstrafe (auf Drogendelikte) wieder ein.

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