The Working Dead: Wenn die Arbeitszufriedenheit leidet

Eine Frau schläft in einem Büro auf Aktenordnern, vor sich mehrere Tassen Kaffee. Symbolbild für den hohen Arbeitsdruck und die sinkende Arbeitszufriedenheit.
Die Dauerbelastung am Arbeitsplatz lässt viele verzweifeln. Darunter leidet nicht nur die Arbeitsqualität. | ©Adobestock/stokkete
Arbeiten bis zum Umfallen: Ein Wirtschaftssystem, das auf ständigem Wachstum beruht, produziert auch steigenden Arbeitsdruck, Stress und Überlastung. Kann das noch lange gut gehen?
Die Arbeitszufriedenheit sinkt. Das zeigt der Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer Oberösterreich (AK). Denn es gilt: Je höher der Indexwert, desto besser das Arbeitsklima – und umgekehrt. 2022 schnitt der Arbeitsklimaindex mit 102 Punkten deutlich schlechter ab als in der Dekade vor der Pandemie: In den Jahren 2009 bis 2019 lag er stets bei 106 Punkten oder darüber. Fazit: Es kracht im Gebälk.

Aber was genau stresst die Menschen in ihren Jobs? Welche sind die stärksten Faktoren? „Branchenübergreifend ist es sicher Zeit- und Termindruck. Darüber klagen fast alle Beschäftigten“, sagt Wolfgang Menz, Professor für Soziologie mit den Schwerpunkten Arbeit und Organisation an der Universität Hamburg.

Arbeitszufriedenheit: Marktzwänge und Gestaltungsräume

Die Grundsatzfrage ist ja: Geht arbeiten auch anders, ohne diesen von vielen als negativ empfundenen Stress? „Der Knackpunkt ist im Endeffekt die Höhe der Leistungsanforderung. Wie hoch sind die Ziele, die ich den Beschäftigten setze. Die Frage der Intensivierung von Arbeit müsste sich erübrigen, wenn die Ziele nicht überfordern“, betont Menz.

Lässt sich dann aber auch genug Geld verdienen? „In vielen Unternehmen geht es nur noch darum, was der Markt will, was der Kunde will, und dann erst, wie man das als Auftragnehmer bewältigt. Die Frage ist, welche die objektiven Anforderungen sind. Das sollte man sich als Unternehmen wirklich ansehen: Was sind Marktzwänge und wo haben wir Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt der Experte.

Die Beschäftigten quält das
ständige Gefühl, nicht gut genug zu sein,
sie verlieren das Vertrauen,
die Anforderungen bewältigen zu können. 

Wolfgang Menz, Uni Hamburg

Arbeitssoziolog:innen und -psycholog:innen überprüfen in sogenannten Gestaltungsprojekten etwa, welche Kund:innen ein Unternehmen oder eine Organisation über Gebühr fordern. Dabei wird klar, dass es bestimmte Kund:innen gibt, die die Organisation systematisch stressen, indem sie ständig Anforderungen stellen, die weder durch Ressourcen noch durch Vergütung gedeckt sind. Das wird systematisch analysiert, und in der Konsequenz muss sich das Unternehmen von diesen Kund:innen trennen. Damit werden schließlich die Beschäftigten entlastet, wird mehr Zeit für die anderen Kund:innen gewonnen sowie für die Akquise neuer Kund:innen. „Das machen aber die wenigsten. Die meisten Unternehmen halten die Marktanforderungen für gottgegeben“, sagt Menz.

Immer am Limit

Überschaubare Stressphasen im Unternehmen sind laut Menz nicht das große Problem. Es ist die Dauerüberlastung. Sie entsteht dann, wenn die Ausnahmesituation immer mehr zum Dauerzustand wird und dazwischen die Phasen, in denen Normalbetrieb herrscht, fehlen.

„Die dauerhafte Ausnahme ist besonders belastend, weil man da nie Boden unter die Füße bekommt“, sagt Menz. Was es mit den Beschäftigten macht, ist zerstörerisch, denn sie schreiben sich zunächst selbst die Schuld zu. Es entsteht ein Vertrauensverlust in die eigene Leistungsfähigkeit, das Gefühl, der Arbeit nicht mehr gewachsen zu sein, Aufgaben erledigen und auch abschließen zu können. „Die Beschäftigten quält dann das ständige Gefühl, nicht gut genug zu sein, sie verlieren das Vertrauen, die Anforderungen bewältigen zu können. Und das kann zu den bekannten Folgen wie Burnout, Depression und vielen anderen Krankheitssymptome führen“, sagt Menz.

Das Problem liegt oft
auch darin, dass die Organisation zu wenig
Information über sich selbst hat
und gar nicht weiß, wo es brennt. 

Wolfgang Menz, Uni Hamburg

Diese sogenannte Hustle Culture wird zwar in den letzten Jahren immer wieder hinterfragt und dennoch ist die Leistungsgesellschaft für viele so internalisiert, dass Stressphasen quasi zum Dauerzustand werden. Und die Arbeitszufriedenheit leidet.

Indirekte Steuerung

Viele Arbeitnehmer:innen erhoffen sich durch ein Immer-ans-Limit-Gehen Vorteile: In einer Studie der Arbeiterkammer, gaben 16 Prozent der 5.000 Befragten an, dass sie sich berufliche Vorteile erwarten, wenn sie immer erreichbar sind. 65 Prozent sagten, dass sie sehr viel von sich selbst in die Arbeit investieren. Für Peter Hoffmann, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologe, klare Indizien für eine Selbstausbeutung. Selbst, wenn kein direkter Druck auf Mitarbeiter:innen ausgeübt wird, erleben sie eine indirekte Steuerung.

„Mitarbeiter:innen verspüren dann häufig ein hohes Verantwortungsgefühl gegenüber der gestellten Arbeit“, so Hoffmann. Alles zu geben wird zwar nicht direkt verlangt, die hohe Identifikation mit dem Job lässt Arbeitnehmer:innen dennoch oft ihre Grenzen überschreiten. Plötzlich dominieren die Bedürfnisse und Ziele des Unternehmens, die Arbeitszufriedenheit- und qualität nimmt stark ab und Arbeitnehmer:innen können sich nach getaner Arbeit immer weniger entspannen. Das zeigt auch die Studie der Arbeiterkammer: 63 Prozent berichten davon, dass sie Schlafprobleme haben und 18 Prozent fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten.

Es ist aber nicht so, dass die indirekte Steuerung und ihre negativen Folgen von dem:der Arbeitgeber:in immer gewünscht ist. „Das Problem liegt oft auch darin, dass die Organisation zu wenig Information über sich selbst hat und gar nicht weiß, wo es brennt. Ist der Problembereich gefunden, sind Arbeitgeber:innen oft bereit, dort personell aufzustocken. Ganz wichtig ist deshalb die Partizipation der Beschäftigten, sie sollen systematisch einbezogen werden“, sagt Menz.

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