Teilzeit in Österreich in Zahlen
Wer Teilzeit arbeite, der tue das freiwillig und sei damit nicht leistungsbereit, verbreitet der Österreichische Wirtschaftsbund in einer Pressemeldung. Auch die Industriellenvereinigung spricht Teilzeitbeschäftigten in einer Aussendung die Leistungsbereitschaft ab. Die Vertretungen der Arbeitgeber:innen unterstützen damit den Vorschlag von Kocher. Wer in Teilzeit arbeite, so der Wirtschaftsbund, dürfe keinen Klima- oder Antiteuerungsbonus in der gleichen Höhe wie Vollzeitbeschäftigte bekommen. Aus unserem Sozialstaat würde so ein Leistungsstaat werden. Wobei mit „Leistung“ lediglich Lohnarbeit gemeint ist. Kinderbetreuung und Teilzeit in Handel und Pflege scheinen nicht mitgemeint.
Denn in diesen Branchen ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigung besonders hoch. Sowohl in der Pflege als auch im Handel ist aber nur jeder zweite Arbeitsplatz eine Vollzeitstelle. Damit liegen diese Bereiche deutlich über dem Durchschnitt. Im Jahr 2021 arbeiteten 29,4 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit. Wobei die Teilzeitarbeit ungleich verteilt ist. Während 49,6 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiten, sind es nur 11,6 Prozent der Männer. Und der Anteil der Teilzeit in Österreich wächst. Im Jahr 2005 waren es noch 40,4 Prozent der Frauen (und 5,7 Prozent der Männer). Damit liegt Österreich in Sachen Teilzeit deutlich über dem EU-Schnitt von 17,7 Prozent der Beschäftigten.
Nach Forderungen von Kocher: Ministerium rudert zurück
Regelungen zur Teilzeit betreffen also sehr viele Menschen. Entsprechend groß war die Resonanz nach einem Interview von Bundesminister Kocher in der Tageszeitung Kurier. Dort sagt er: „In Österreich wird bei Sozial- und Familienleistungen wenig unterschieden, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen.“ Doch Menschen mit Teilzeit-Jobs bekommen ohnehin weniger Arbeitslosengeld und Pension. Es bleiben also nur die Familienleistungen. Deren Kürzung würde vor allem Familien mit traditioneller Rollenverteilung treffen. Also die Stammwählerschaft der ÖVP.
Weswegen das Arbeitsministerium gegenüber Arbeit&Wirtschaft auch einschränkt: „Die Aussage von Bundesminister Kocher sollte als Denkanstoß dienen, weil es vor dem Hintergrund des hohen Arbeitskräftebedarfs wichtig sein wird, Aspekte der freiwilligen Teilzweitarbeit zu berücksichtigen.“ Und weiter: „Es ist wichtig hervorzuheben, dass es bei der Diskussion nicht um Kürzungen von Familien- oder Sozialleistungen geht. Es war natürlich nie die Intention, dass Frauen und Familien etwas weggenommen wird. Eltern sind tabu, wenn sie Betreuungspflichten haben und Teilzeit arbeiten, weil sie in dieser Lebensphase eben nicht Vollzeit arbeiten können.“
Eine Debatte, die Kocher (wahrscheinlich bewusst) von der falschen Seite aufzäumt. „Das Grundproblem ist, dass versucht wird, ein gesellschaftliches Problem zu individualisieren. Der Vorstoß von Minister Kocher setzt nicht bei der strukturellen Ungleichbehandlung an, sondern am Individuum“, bewertet Gerlinde Hauer im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft die Diskussion. Sie ist Mitarbeiterin der Abteilung Frauen-Familie in der Arbeiterkammer Wien. Die meisten Teilzeitbeschäftigten in Österreich arbeiten nicht freiwillig in dieser Berufsform, sondern weil es ihnen aufgrund der Lebensumstände nicht anders möglich ist. Und tatsächlich scheint beim Arbeitsministerium ein Umdenken einzusetzen. So heißt es auf Anfrage von Arbeit&Wirtschaft: „Wichtig ist zu betonen, dass es nie angedacht war, diese Personen durch die Kürzung von Sozial- oder Familienleistungen schlechter zu stellen.“
Für Frauen ist der Hauptgrund, warum sie in Teilzeit arbeiten, die unbezahlte Care-Arbeit zu Hause. Die Betreuung von Kindern, Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftigen ist für 38,4 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen der Hauptgrund, warum sie keine Vollzeitstelle haben. Dieses Motiv ist hingegen nur für 6,8 Prozent der Männer ausschlaggebend. Bei Männern sind Aus- und Weiterbildungen der wichtigste Grund (20,6 Prozent). Größtenteils, um die Qualifikation für eine Vollzeitstelle zu erhöhen.
Kinderbetreuung macht Vollzeit oft unmöglich
Dass Frauen für die Betreuung zu Hause bleiben, ist systembedingt. „Für weniger als 20 Prozent aller unter Drei-jährigen Kinder gibt es Betreuungsplätze, die sich mit zwei Elternteilen in Vollzeitberufen vereinbaren lassen. Bei den Drei- bis Fünf-Jährigen sind es nicht einmal die Hälfte. Es gibt sogar noch immer Betreuungseinrichtungen, die bieten nicht einmal Mittagessen an“, rechnet Hauer vor. Es sei unmöglich, Vollzeit zu arbeiten und Kinder zu betreuen. Ein Problem, das sich auch in den Statistiken ablesen lässt. Die Teilzeitquote von Frauen zwischen 25 und 29 Jahren liegt mit 34,3 Prozent unter dem Durchschnitt (49,6 Prozent). Bei den 35- bis 39-Jährigen liegt er mit 58,5 Prozent deutlich darüber.
- An fünf Tagen pro Woche ein Mittagessen anbietet.
- Eine wöchentliche Öffnungszeit (Montag bis Freitag) von 45 Stunden garantiert.
- An zumindest vier Tagen mindestens 9,5 Stunden geöffnet hat.
- An maximal fünf Wochen im Jahr geschlossen ist.
Kein Wunder. Österreich verfehlt seit über zehn Jahren die sogenannten Barcelona-Ziele. Darin ist geregelt, dass die Mitgliedsstaaten eine Betreuungsquote von 90 Prozent bei den Drei- bis Fünfjährigen erreichen sollen. Wobei angemerkt werden muss, dass diese Betreuung noch lange nicht bedeutet, dass damit auch ein Vollzeit-Job vereinbar wäre. Sie wären nur ein Minimalkompromiss – und selbst der wird verfehlt. Ein Problem, das sich mit Investitionen in diesem Bereich hätte lösen lassen. „Wir, als Sozialpartner:innen hätten eine Milliarde Euro mehr pro Jahr gefordert. Herausgekommen ist eine Milliarde Euro als Gesamtbudget“, zeigte sich Katharina Mader, Ökonomin und Referentin in der Abteilung Frauen der Arbeiterkammer, von der neuen 15a-Vereinbarung enttäuscht.
Arbeitsbelastung zwingt Menschen in die Teilzeit
Die Branchen, in denen Teilzeit-Jobs besonders weit verbreitet sind, machen deutlich, dass viele Beschäftigte aus gesundheitlichen Gründen weniger arbeiten müssen. „Sehr viele Beschäftigte können sich aufgrund der physischen und psychischen Belastung nur schwer eine Vollzeitstelle vorstellen. Hier muss man sich die Arbeitsbedingungen anschauen. Vollzeitbeschäftigung muss über ein ganzes Erwerbsleben gesund möglich sein“, mahnt Hauer. Ein Aspekt, den auch Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer anmahnt. Sie fordert im Interview mit dem ORF: „Schauen wir uns doch mal die Arbeitsplätze von denen an, die sagen, dass sie nicht mehr wollen.“
Zumal es vor allem die Betriebe sind, die von den Teilzeitstellen profitieren. Der Handel und die Pflege sind die besten Beispiele. Teilzeitkräfte sind flexibel einsetzbar. Fallen Kolleg:innen wegen Krankheit oder Urlaub aus, arbeiten die Teilzeitangestellten einfach mehr. Unbezahlte Überstunden sind in diesen Branchen üblich. Eine Arbeitszeitverkürzung könnte ein Ausweg sein. „Wenn Vollzeit bedeuten würde, 35 Stunden pro Woche zu arbeiten – und nicht 40 Stunden– könnten sich auch mehr Frauen eine Vollzeitstelle vorstellen“, glaubt Hauer.
Wenn wir über #Teilzeit reden, dann sollten wir über die Betriebe reden. Viele Branchen bieten nur noch Teilzeit an. Frauen werden häufig in Teilzeit gedrängt, weil sie keinen #Betreuungsplatz für ihre Kinder haben, weil sie jemanden pflegen müssen, so #AK Chefin @renate_anderl
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) February 19, 2023
Teilzeit in Österreich: Expertinnen sehen Betriebe in der Pflicht
Anders als Kocher, die Industriellenvereinigung und der Wirtschaftsbund sehen auch die Expert:innen vor allem die Betriebe in der Pflicht. Sie seien es, die auf die Teilzeit in Österreich die größten Gestaltungsmöglichkeiten hätten. Wirtschaftswissenschaftlerin Andrea Weber von der Central European University schreibt im Standard beispielsweise: „Wenn Betriebe bereit sind, höhere Löhne zu zahlen, werden Menschen bereit sein, mehr zu arbeiten.“ Und weiter: „Flexiblere Arbeitszeiten können längeres Arbeiten ebenso reizvoll machen.“
Auch Gerlinde Titelbach, die am Institut für Höhere Studien zu Arbeitsmarkt und Sozialpolitik forscht, schlägt klare Lösungen vor. „Man könnte die Ausbildung attraktivieren, die Arbeitsbedingungen verbessern oder die Löhne erhöhen. Um die Arbeitsstunden erhöhen zu können, müssen auch die Rahmenbedingungen passen, wie das Betreuungsangebot für Kinder oder für zu pflegende Angehörige.“
„Es sollten aber auch Unternehmen in der Pflicht stehen, eine erhöhte Arbeitszeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erstrebenswert zu gestalten. Innovative Arbeitszeitmodelle sind dabei essenziell“, schreibt außerdem Manuela Vollmann. Sie ist Geschäftsführerin des Organisation „Arbeit, Bildung, Zukunft – ABZ Austria“. Und auch Margit Schratzenstaller, ist Ökonomin beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), sieht die Betriebe in der Pflicht. „Eine vereinbarkeitsfreundliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen und eine größere Akzeptanz für Väter, die sich stärker bei der Kinderbetreuung engagieren, sind nötig.“