Betriebsratsarbeit: Tausendsassa sein und bleiben

Ein Mann fasst sich fragend an den Kopf. Eine Frau hat etwas verstanden, worauf eine Glühbirne hinweist. Im Hintergrund sind verschiedene Symbole, die im Arbeitskontext wichtig sind, zu sehen. Symbolbild für die Betriebsratsarbeit und wie wichtig Weiterbildung für sie ist.
Ersthelfer:innen, Seelsorger:innen und Chefverhandler:innen: Betriensrät:innen müssen so einiges können. Da helfen vor allem Weiterbildungsangebote. | © Miriam Mone
Neues Fachwissen spielt für die Betriebsratsarbeit eine genauso große Rolle wie das Feilen an den Soft Skills – besonders im Aufsichtsrat. Dank Weiterbildung verhandeln Betriebsrät:innen auf Augenhöhe mit Geschäftsführung, Vorstand und Kapitalvertreter:innen.

Manche Stürme tosen besonders heftig. Das war so, als im Jahr 2018 die damalige Koalition aus ÖVP und FPÖ eine Arbeitszeitverlängerung auf bis zu 60 Stunden in der Woche durchgedrückt hatte, und das war so, als Corona das Arbeitsleben auf den Kopf stellte. Jetzt fürchten sich Beschäftigte wegen der Digitalisierung vor Überwachung und wegen der Klimakatastrophe vor noch schlechteren Arbeitsbedingungen. Dazu kommen Sparpakete, Gleichberechtigungsthemen, Inflation, Überstunden – und des Öfteren auch Vorgesetzte, die gegen geltendes Recht verstoßen. Bei jedem dieser Themen sind Betriebsrät:innen, die Ersthelfer:innen, Seelsorger:innen und Chefverhandler:innen. All das sein zu können, ist bereits ein Mammutprojekt. Doch damit endet die Verantwortung in der Betriebsratsarbeit nicht, denn sie müssen bei all den Themen auch noch auf dem neuesten Stand sein. Weiterbildung ist für Betriebsrät:innen deshalb ein zentraler Baustein.

Betriebsratsarbeit im Wandel

Grundsätzlich neu sei das alles aber nicht, betont Dina Affenzeller-Greif. Sie leitet die Abteilung Weiterbildung für Arbeitnehmervertreter:innen in der Arbeiterkammer Wien. „Betriebsratsarbeit war immer schon umfangreich, und die Aufgaben unterliegen ständigen Veränderungen. Was aber auffällt, sind Geschwindigkeit, Wucht und Fülle des Wandels, mit denen Betriebsrät:innen konfrontiert sind.“

Früher ging es im Betriebsrat um Überstunden, Konflikte mit dem Chef oder Betriebsvereinbarungen zum Thema Arbeitszeit. Inzwischen ist das dominierende Thema elektronische Datenauswertung und Überwachung. 

Verena Spitz, Betriebsratsvorsitzende
bei der BAWAG und Mitglied im Aufsichtsrat

Das Einzige von Bestand ist die Veränderung, was auch die alltägliche Praxis der Betriebsratsarbeit prägt. „Die Arbeit hat sich verändert. Als ich angefangen habe in der Gewerkschaft, ging es in erster Linie um Dinge wie Überstunden, Konflikte mit dem Chef oder Betriebsvereinbarungen zum Thema Arbeitszeit. Inzwischen ist das dominierende Thema alles Mögliche rund um elektronische Datenauswertung und Überwachungsmöglichkeiten“, so Verena Spitz. Sie ist Vorsitzende des Betriebsrats bei der BAWAG und damit auch im Aufsichtsrat der Bank – eine Position, die noch einen weiteren Aspekt der Arbeit von Betriebsrät:innen deutlich macht: „Man muss eine Bilanz lesen können und wissen, wo man hinschauen muss. Volkswirtschaftliches Grundwissen und wirtschaftliche Kennzahlen, deren Zusammenhänge und Konsequenzen sind etwas, das man sich erarbeiten muss“ – eine Herausforderung, auf die auch Barbara Pichler, Betriebsratsvorsitzende bei der Erste Group und Mitglied des Aufsichtsrats, hinweist.

„Es ist ein großer Aufwand, bei den Themen up to date zu bleiben. Die Vorbereitung auf eine Aufsichtsratssitzung dauert mehrere Stunden“, erzählt Barbara Pichler, Betriebsratsvorsitzende der Erste Group. | © Markus Zahradnik

Beispiel Digitalisierung

Aktuell treibt die Digitalisierung viele Betriebsrät:innen um. An ihr lässt sich sehr gut erkennen, wie vielschichtig die Aufgaben sind und wie wichtig Weiterbildung: Zum einen geht es darum, neue Technologien zum eigenen Vorteil zu nutzen sowie die Meinung und Sorgen der Beschäftigten zu erfahren, die man vielleicht gar nicht mehr persönlich trifft. „Das betrifft nicht nur Büros, sondern auch Werkstätten und Läden, bei denen die Öffnungszeiten sehr ausgedehnt und nicht alle Beschäftigten gleichzeitig vor Ort sind. Dort ist es für Betriebsrät:innen wichtig, digitale Tools nutzen zu können, sonst kommen sie an die Menschen nicht mehr heran“, führt Affenzeller-Greif aus. Doch diese Tools müssen die Verantwortlichen kennen und nutzen lernen. Zum anderen ist die Kernaufgabe der Betriebsrät:innen natürlich, die Stimme der Belegschaft zu sein. Wonach diese Stimme rufen muss, weiß sie natürlich nur, wenn sie einschätzen kann, wie der digitale Wandel die Arbeitsplätze verändert. „Fehlt den Betriebsrät:innen die Kenntnis über die Digitalisierung und die Auswirkungen auf die Beschäftigten, können sie nichts fordern bzw. aushandeln“, mahnt Affenzeller-Greif. Und das sind nur die tendenziell positiven Auswirkungen des technischen Fortschritts. Stellenabbau und andere Einsparungsmaßnahmen kommen noch obendrauf.

Im Aufsichtsrat mitwirken

Betriebsrät:innen wie Pichler und Spitz haben mit ihrem Sitz im Aufsichtsrat noch einmal einen zusätzlichen Aufgabenbereich. „Es ist ein großer Aufwand, bei den Themen up to date zu bleiben. Die Vorbereitung auf eine Aufsichtsratssitzung dauert mehrere Stunden“, berichtet Pichler. Dazu kommen rechtliche und politische Themen. Seit Pichler den Posten übernommen hat, habe sich die Dauer der Sitzungen verdoppelt.

Technik, Recht, Volkswirtschaft, Politik: Expert:innen, die alle diese Themen ausreichend beherrschen, um mit ihrem Wissen für Tausende Beschäftigte einstehen zu können, gibt es schlichtweg nicht. Spitz erklärt deshalb, wie sie und ihre Kolleg:innen im Betriebsrat dieses Problem lösen: „Im Idealfall teilt man sich die Arbeit auf. Wenn es jemanden gibt, der technikaffin ist, kümmert er sich um Technologiethemen. Arbeitet jemand in der Abteilung, der oder die sich um Nachhaltigkeitsthemen kümmert, bearbeitet er bzw. sie auch im Betriebsrat diesen Bereich. Wer glaubt, alles alleine zu können, schafft die Arbeit nicht.“

„Betriebsratsarbeit war immer schon umfangreich. Was aber auffällt, sind Geschwindigkeit, Wucht und Fülle des Wandels, mit denen Betriebsrät:innen konfrontiert sind“, weiß Dina Affenzeller-Greif. Sie leitet die Abteilung Weiterbildung für Arbeitnehmervertreter:innen in der AK Wien. | © Markus Zahradnik

Unterstützung für die Betriebsratsarbeit holen

Doch natürlich gibt es zusätzlich auch externe Hilfe, etwa fachlicher Natur: „Wenn ich mir bei einer heiklen Sache nicht sicher bin, halte ich Rücksprache mit den Kolleg:innen der Arbeiterkammer, bevor wir uns bei einem Thema auf eine Rechtsauffassung festlegen, die dann auch ins Protokoll muss. Da geht es um konkrete Fälle, bei denen man sehr spezifische Rechtsauskünfte von Jurist:innen braucht“, berichtet Pichler aus ihrem Arbeitsalltag.

Dazu kommen gezielte Schulungen, wie etwa das IFAM-Seminar von AK und ÖGB. Es vermittelt rechtliches und betriebswirtschaftliches Grundwissen für die Arbeit im Aufsichtsrat. Außerdem spielen Soft Skills wie soziale und kommunikative Kompetenzen eine wichtige Rolle, denn im Aufsichtsrat treffen die Vertreter:innen der Belegschaft auf die des Kapitals. Damit diese Treffen auf Augenhöhe stattfinden, müssen die Hausaufgaben gemacht sein, das Basiswissen muss sitzen. „Die Kapitalvertreter:innen sehen uns im Aufsichtsrat häufig als Fremdkörper. Man muss freundlich im Tonfall, aber hart in der Sache sein. Und man muss sich auskennen. Wenn man Fachwissen mitbringt, gezielt nachfragt und fundierte Beiträge liefert, sehen sie, dass der Betriebsrat nicht nur den Mitarbeiter:innen nutzt, sondern auch dem Unternehmen“, erklärt Spitz.

Das beste Beispiel dafür ist der ESG-Report, der vor ein paar Jahren für große Konzerne zur Pflicht wurde. Die Abkürzung steht für „Environmental, Social and Governance“ – alles Themen, die sich nicht um die Finanzkennzahlen drehen. Ohne den Input der Betriebsrät:innen täten sich die Konzerne schwer. „Das ist eine Schlussbilanz im Non-Financial-Bereich. Vor allem für das ‚S‘ spielt der Betriebsrat eine wichtige Rolle. Die Bedeutung dieses Nachhaltigkeitsberichts nimmt zu. Denn der Unterschied zwischen den Banken liegt immer mehr im Non-Financial-Bereich“, weiß Pichler.

Ein Schwerpunkt in der Weiterbildung sind politische Themen. Das zeigte sich beispielsweise im Jahr 2018, als die schwarz-blaue Regierung das Arbeitszeitverlängerungsgesetz verabschiedete. „Da war es ganz wichtig für die Gewerkschaftsbewegung und für die Betriebsrät:innen, sich als Gegengewicht starkzumachen und gute betriebliche Vereinbarungen abzuschließen, um den Verschlechterungen im Gesetz Grenzen zu setzen“, erinnert sich Affenzeller-Greif.

Weiterbildung fördern

Unternehmen scheinen jedoch die Bedeutung eines funktionierenden Betriebsrats entdeckt zu haben. „Eine systematische Verhinderung von Bildungsfreistellungen nehmen wir so gut wie gar nicht wahr. Wir nehmen an, dass Unternehmen sehr wohl wissen, was sie von gut qualifizierten Betriebsrät:innen haben“, erzählt Affenzeller-Greif. Das liege auch daran, dass bei Weiterbildungen – anders als in Deutschland – für die Unternehmen keine Seminarkosten anfallen, da diese von Arbeiterkammern und Gewerkschaften übernommen werden.

Tatsächlich ist Zeit für Weiterbildung die viel größere Hürde. In dieselbe Kerbe schlägt auch Spitz: „Ich glaube eher nicht, dass alle Betriebsrät:innen ihren gesetzlichen Anspruch auf Bildungsfreistellung voll ausnutzen. Selbst in meinem Betriebsratsteam gehe ich regelmäßig rum und dränge darauf, dass sie sich Seminare aussuchen.“

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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