Strukturelle Benachteiligung von Frauen: Fehler im System

Illustration (C) Miriam Mone

Inhalt

  1. Seite 1 - Strukturen in einem wertkonservativen Land
  2. Seite 2 - Männerdomänen
  3. Seite 3 - Sechs benachteiligende Faktoren
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Die strukturelle Benachteiligung von Frauen ist in Österreich besonders hartnäckig, weshalb Gleichstellung noch lange auf sich warten lässt – mit verheerenden volkswirtschaftlichen Folgen.
Soll der Ausbau von Kinderbetreuung durch die öffentliche Hand torpediert werden – aus egoistischem Machtstreben von Spitzenpolitikern? Sollen Frauen „steuerbar“ sein – auch als Aufsichtsratsmitglieder? Was wie ein dystopischer Zukunftsroman mit dem Titel „Vorwärts in die Vergangenheit“ klingt, spiegelt relativ aktuelle Entwicklungen in der Innenpolitik des 21. Jahrhunderts wider.

„Österreich ist ein unfassbar wertkonservatives Land, deshalb verändern sich Strukturen so langsam“, meint Katharina Mader, Ökonomin bei der Arbeiterkammer Wien sowie am Institut für Heterodoxe (also alternative, Anm.) Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, zu spezifischer Frauenbenachteiligung hierzulande. „Wir haben die Tendenz, auf kulturelle Unterströmungen, auf patriarchale Strukturen der anderen Religionen zu schauen, aber nicht auf die eigenen. Wir sehen nicht, wie stark wir immer noch in der katholischen Religion verwurzelt sind. Wie viele Mariendarstellungen fallen uns ein, wo Maria ein kleines Kind im Arm hält? Es ist in uns tief drinnen, was angeblich gute Mutterschaft ist, und wir haben uns davon noch nicht gelöst.“

Österreich ist ein unfassbar wertkonservatives Land, deshalb verändern sich Strukturen so langsam.“

Katharina Mader, Ökonomin, Arbeiterkammer Wien

Die dominierende Strömung des Neoliberalismus ist der zweite Erklärungsansatz: „Wir schauen zu wenig auf unsere Strukturen und zu viel auf das Individuum. Das neoliberale Konstrukt haben wir alle intus, als ob Gleichstellung unsere eigene Aufgabe wäre beziehungsweise unser eigener Fehler, wenn jemand nicht gleichgestellt ist“, erläutert Mader. „Meine Aufgabe als Ökonomin ist aber zu sagen: Wenn 75 Prozent aller Mütter mit Kindern teilzeitbeschäftigt sind, kann mir doch niemand erzählen, dass das ein individuelles Problem ist – sondern wir müssen das strukturell angehen! Diese Kombination aus Wertesystem und Individualisierung macht es so schwierig, dass etwas weitergeht in Richtung Gleichstellung. Und es ist irrsinnig anstrengend, dass sich der Gender-Pay-Gap nur um 0,25 bis 0,5 Prozent im Jahr bewegt.“

Bleibt Gleichstellung eine Illusion?

Inwieweit Frauen überhaupt erwerbstätig sein können, liegt an der Verteilung der unbezahlten Arbeit wie Kinderbetreuung und Pflege, die ja zulasten der Frauen geht – wie in jeder Krise umso mehr zu sehen sei: zuletzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, jetzt in der COVID-19-Pandemie. „Die Entlastung passiert über die Erwerbsarbeit, nicht über den Partner. Es fehlen gute Instrumente, damit es zu einer Umverteilung in den Privathaushalten zwischen den Geschlechtern kommt. Und gerade in diesem konstruktiven Wertesystem ist das Private ja so gar nicht politisch, man schaut so gar nicht hin. Solange wir das nicht auflösen können, fürchte ich, dass Gleichstellung eine Illusion bleibt“, so Mader.

Der Schlüssel wäre, Gleichstellung endlich als Querschnittsmaterie zu sehen und als Maßstab anzulegen für alle politischen Maßnahmen. „Gleichstellung ist kein Luxusthema, mit dem man sich wieder beschäftigt, wenn Arbeitsmarkt oder Budget wieder besser ausschauen. Es gibt Länder, wo es völlig logisch ist, dass alle Väter in Karenz gehen, wie etwa in Island – dort mehr als 90 Prozent. Bei uns wird diskutiert, ob das überhaupt gut ist für die Kinder oder ob Väter aus dem Unternehmen wegbleiben und diese das aushalten können“, kritisiert Mader. Sie hält es für „ein Werte- und Willensthema, ob sich Gesellschaften damit auseinandersetzen wollen, was Gleichstellung für sie bedeutet und dass Gleichstellung für alle einen Vorteil bringen kann. Man muss nicht Angst davor haben wie in Österreich, weil manche ihre Privilegien verlieren könnten.“

Arbeit wird im Kontext der Steuerreform auf Erwerbsarbeit reduziert und die wertvolle Arbeit von Frauen unsichtbar gemacht. Dementsprechend fallen auch die Maßnahmen aus.“

Miriam Baghdady, Ökonomin, ÖGB

Tatsächlich ist Gender-Mainstreaming als Strategie zur Erreichung der Gleichstellung von Frauen und Männern seit dem Jahr 2000 verpflichtend in der Bundesverwaltung verankert. Ebenso wurde Gender-Budgeting mit Jänner 2009 als Staatszielbestimmung zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Haushaltswesen in die Verfassung aufgenommen. Diese Verpflichtung hat in der Ausgestaltung der jüngsten Steuerreform der ÖVP-Grünen-Regierung keine Berücksichtigung gefunden, kritisiert ÖGB-Wirtschaftsexpertin Miriam Baghdady. „Arbeit wird im Kontext der Steuerreform auf Erwerbsarbeit reduziert und die wertvolle Arbeit von Frauen unsichtbar gemacht. Dementsprechend fallen auch die Maßnahmen aus.“

Männer werden stärker steuerlich entlastet

Männer profitieren im Schnitt mit einer Entlastung von 576 Euro mehr als doppelt so stark wie Frauen, die nur mit rund 240 Euro netto im Jahr entlastet werden, geht aus Berechnungen des Momentum Instituts hervor. Es liegt wieder an der traditionellen Rollenaufteilung in Österreich: Männer arbeiten mehr in bezahlter Vollzeitbeschäftigung, Frauen übernehmen mehr unbezahlte Care-Arbeit mit Haushalt, Kindern und Familienangehörigen. Die Senkung der Einkommensteuer ab 2022 bringt vor allem der oberen Mittelschicht und hohen Einkommen hohe Entlastungen. Einkommen unter 1.800 Euro profitieren davon gar nicht.

Vor diesem Hintergrund sei es umso kritischer zu sehen, so Baghdady, dass keine Investitionen in den Ausbau sozialer Infrastruktur wie Kindergärten oder Pflege geplant sind. Diese wären notwendig, um die Erwerbstätigkeit bei Frauen zu erhöhen und vor allem ihre hohe Teilzeitrate zu reduzieren.

Der Familienbonus hilft besonders Männern

Hinzu kommt: Von der Erhöhung des Familienbonus (von 1.500 auf 2.000 Euro pro Jahr) profitieren in erster Linie Männer, weil sie meist mehr verdienen und somit mehr Lohnsteuern zahlen als Frauen. In 48 Prozent aller Partnerschaften arbeiten Männer Vollzeit und Frauen Teilzeit. „In diesen Fällen ist fast auszuschließen, dass Frauen in Teilzeit ein Einkommen erzielen, bei dem der Bonus in voller Höhe wirksam werden kann. Eine Erhöhung der Familienbeihilfe hätte zu einer gleicheren Verteilung geführt und diesen Mängeln entgegenwirken können“, erläutert Volkswirtin Baghdady.

Aus Sicht der Arbeitnehmer:innenvertretungen bleibt die Bundesregierung mit der Steuerreform schuldig, dass wichtige Investitionen in die Zukunft getätigt werden. Speziell vor dem Hintergrund, dass das Finanzministerium bereits die Rückführung der Schuldenquote im Blick hat und sich für die Anwendung der Fiskalregeln ab 2023 einsetzt. „Dann könnte Österreich wieder auf Sparpakete zusteuern“, meint Miriam Baghdady. Hierzulande tragen Arbeitnehmer:innen, Pensionist:innen und Konsument:innen 80 Prozent der Steuerlast. Damit wurden Unternehmen in der Pandemie großzügig unterstützt. Wie die Betriebe und ihre Eigentümer:innen an der Krisenfinanzierung beteiligt werden können, lasse die Regierung jedoch vermissen. „Auch nach der Reform wird unselbstständige Arbeit in Österreich zu hoch besteuert und große Vermögen zu niedrig. In kaum einem anderen Land ist die Steuerstruktur so ungerecht wie in Österreich“, erneuert Baghdady die Kritik von Arbeiterkammer und Gewerkschaft.


Pia Lichtblau, ÖGB-Expertin für gewerkschaftliche Bildungsarbeit, erhob in ihrer Studie die Gründe dafür, warum Betriebsratsmitglieder und Vorsitzende noch immer in der Mehrheit Männer sind. (C) Markus Zahradnik

An den Gremienspitzen unsichtbar

In einer Gesellschaft, die zur Hälfte aus Frauen und Männern besteht, kann angenommen werden, dass keines der Geschlechter benachteiligt ist. So weit die Theorie. In der Praxis sieht es so aus, dass Frauen in entscheidenden Gremien – vom Parlament und den politischen Parteien abwärts – auch im Jahr 2021 in Österreich unterrepräsentiert sind. Der Befund gilt für Gemeinderäte und Aufsichtsräte gleichermaßen wie für Betriebsräte.

Aus der letzten – in den Grundtendenzen bis heute gültigen – Mitbestimmungsstudie (2012) im Auftrag der AK Wien geht hervor, dass 61 Prozent der Betriebsratsmitglieder und sogar 80 Prozent der Vorsitzenden männlich sind, obwohl der Männeranteil unter den Beschäftigten nur 53 Prozent ausmacht. Im Vergleich zur Vorläuferstudie (2002) haben Frauen allerdings sowohl in der Erwerbsbeteiligung als auch in der betrieblichen Mitbestimmung leicht aufgeholt: Der Frauenanteil in den Betriebsräten betrug 2012 im Durchschnitt 30 Prozent (2002: 22 Prozent).

Die durch männliche Herrschaft geprägte vergeschlechtlichte Teilung in Produktion und Reproduktion, öffentliche und nicht-öffentliche Sphäre führt dazu, dass Frauen nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden.“

Pia Lichtblau, ÖGB-Expertin für gewerkschaftliche Bildungsarbeit

Während 62 Prozent der Männer in einem Betrieb mit betrieblicher Interessenvertretung arbeiten, gilt das nur für 52 Prozent der Frauen. Auffallend ist, dass Betriebsrätinnen tendenziell häufiger über psychischen Druck oder abfällige Bemerkungen über ihr Geschlecht berichten als ihre männlichen Kollegen, wie Pia Lichtblau in ihrer Studie „Männerdomäne betriebliche Mitbestimmung“ schreibt.

„Das politische Feld der betrieblichen Mitbestimmung ist durch vergeschlechtlichte Machtverhältnisse geprägt, die eine strukturelle Benachteiligung von Frauen darstellen. Die durch männliche Herrschaft geprägte vergeschlechtlichte Teilung in Produktion und Reproduktion, öffentliche und nicht-öffentliche Sphäre führt dazu, dass Frauen nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden: Sie erhalten bei gleicher Qualifikation schlechtere Stellen, werden deutlich schlechter bezahlt als Männer und sind überproportional oft von Teilzeit oder anderen prekären Beschäftigungsformen betroffen“, so Lichtblau. Sie plädiert dafür, „gewerkschaftliche Strategien zum Abbau der männlichen Ordnung im politischen Feld der betrieblichen Mitbestimmung zu entwickeln und dadurch die Partizipation von Frauen zu fördern“.

Schneckentempo

Wann endlich Gleichstellung erreicht sein wird und ob wir sie überhaupt noch selbst erleben werden, dazu gibt es unterschiedliche Berechnungen. Nach dem Gender-Equality-Index 2021, der jährlich vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen erstellt wird, liegen die EU-Staaten momentan bei einem Wert von 68 Prozent, wobei Österreich genau in diesem Durchschnitt liegt. Gleichstellung der Geschlechter in allen erfassten Bereichen würde 100 Prozent entsprechen. „Es geht nur im Schneckentempo voran. Wenn das so bleibt, erreichen wir eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau frühestens im Jahr 2085“, kommentiert Evelyn Regner, Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses im EU-Parlament in Brüssel.

Es geht nur im Schneckentempo voran. Wenn das so bleibt, erreichen wir eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau frühestens im Jahr 2085.“

Evelyn Regner,Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses im EU-Parlament in Brüssel

Bis dahin gilt es wohl, Sexismus im Alltag anzuprangern und sexistische Stammtischweisheiten à la „Qualität statt Quote“ zu kontern, nachzuhaken und aufzuklären. Das ist jedenfalls das erklärte Ziel des branchenübergreifenden Frauennetzwerks „Sorority“, einer Plattform zum feministischen Austausch. Ihr Credo: „Wir glauben an eine gleichberechtigte Zukunft, die wir nur gemeinsam erreichen können.“


Sechs Faktoren zur strukturellen Benachteiligung von Frauen

ÖGB und Arbeiterkammer haben ein Familienarbeitszeitmodell vorgelegt, das mehr Zeit für Väter und mehr Geld für Mütter bringen soll. ÖGB und AK erhoffen sich davon eine Hebelfunktion, um bezahlte und unbezahlte Arbeit umzuverteilen und so traditionelle Rollenverteilungen aufzubrechen.

1 / In Österreich sind 91 Prozent der Männer und 68 Prozent der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren mit betreuungspflichtigen Kindern (unter 15 Jahren) berufstätig (Zahlen aus 2020).

2 / Dabei ist allerdings die Teilzeitquote von Frauen zwischen 1994 und 2020 von 39 auf 72 Prozent gestiegen.

3 / Neben strukturellen Nachteilen wie der berufs- und branchenspezifischen Segregation – Frauen arbeiten viel häufiger in Niedriglohnbranchen – ist die geringe Zahl an Erwerbsstunden ein Hauptgrund für ihr geringeres Einkommen. Das führt zu einem hohen Pensions-Gap zwischen den Geschlechtern und einer höheren Armutsgefährdung für Frauen.

4 / Derzeit übernimmt bei acht von zehn Eltern die gesamte Karenz die Frau, das Kinderbetreuungsangebot ist unzureichend.

5 / Eltern leisten circa 60 Stunden Lohnarbeit pro Woche, wobei der höhere Anteil bei den Vätern liegt, den höheren Anteil der unbezahlten Familienarbeit leisten die Mütter.

6 / Nach dem ÖGB-AK-Modell soll es künftig einen Anreiz von monatlich 250 Euro pro Elternteil geben, wenn beide zwischen 28 und 32 Wochenstunden arbeiten, also ihre Arbeitszeit entsprechend reduzieren bzw. erhöhen (jeweils mindestens vier Monate lang, bis zum vierten Geburtstag des Kindes). Bei einer Reduktion sollen die Sozialversicherungsbeiträge weiter von der Vollarbeitszeit berechnet und den Arbeitgeber:innen vom AMS ersetzt werden. Auch Alleinerziehenden soll die Pauschale gewährt werden.

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Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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