Internationale Streikregeln
Doch zurück zum Streik: Wie ist dieser eigentlich rechtlich geregelt? In den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) ist das Recht auf Streik im Übereinkommen 87 „Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes“, das 1948 verabschiedet wurde, inkludiert. Das Übereinkommen wurde von 155 Ländern ratifiziert, darunter auch Österreich. Das Streikrecht wurde bis ins 21. Jahrhundert von Arbeitgeberseite nicht infrage gestellt. Seit 2012 – im Gefolge der globalen Krise des Kapitalismus von 2008 – versucht nun die Arbeitgeberseite, das Recht auf Streik global zu torpedieren und damit Arbeitskämpfe zu illegalisieren. Daran lässt sich der globale Trend ablesen, dass Gewerkschaftsrechte weltweit unter Druck stehen. So wurde 2018 in 87 Prozent der Länder das Streikrecht verletzt.
Streikstrategien werden je nach Ziel des Arbeitskampfes sowie der gesellschaftlichen Betroffenheit gewählt. So hat 2018 in Brasilien eine breite Bewegung einen Generalstreik unterstützt, da ein überwiegender Teil der Bevölkerung sich gegen die unzureichende Finanzierung des Gesundheits- und Bildungswesens sowie die Kürzungen im Pensionssystem aussprach. Aufgrund der breiten Betroffenheit der Bevölkerung und der sich verschärfenden Armut haben die Gewerkschaften Brasiliens zu einem Generalstreik aufgerufen, um gegen die Politik der illegitimen Regierung Brasiliens anzukämpfen.
In Lateinamerika ist der sogenannte „social movement unionism“ sehr verbreitet, der ein gewerkschaftliches Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bezeichnet. Aufgrund eines solchen starken Bündnisses, das sogar von Kirchen unterstützt wurde, konnte 1985 die Militärdiktatur Brasiliens gestürzt werden. Das Beispiel des „social movement unionism“ macht auch zunehmend in den westlichen Ländern Schule: Gewerkschaften in Europa und den USA kämpfen gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen für verpflichtende Regeln und Haftbarkeit von Konzernen (UN Treaty Alliance) gegen den Widerstand von Unternehmen und RegierungsvertreterInnen.
Obwohl es in der Vergangenheit bereits ähnliche Bemühungen für globale Konzernregeln gab, scheinen die Verhandlungen für „UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte“ aufgrund des starken Bündnisses und der Zunahme menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen nicht hoffnungslos zu sein.
Wie bereits erwähnt, ist die Anzahl der Streiktage in Europa laufend gesunken, da bereits kurze Warn- oder Intervallstreiks Wirkung zeigen. In Ländern wie Südkorea, Nigeria oder Südafrika dauern Streiks viel länger, um Wirkung zu zeigen, und sie gehen zudem oft mit Gewalt einher: In Nigeria etwa wurden 2018 Proteste gegen das Verbot von Gewerkschaftsaktivitäten im Bildungswesen von der Armee niedergeschlagen und ein Arbeitnehmer erschossen.
Für besonders viel Aufsehen hat die Verhaftung des südkoreanischen Gewerkschaftspräsidenten der KCTU Han Sangguyn gesorgt: Er wurde wegen der Organisation einer Massenkundgebung gegen geplante Arbeitsrechtsreformen 2015 verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund des breit getragenen, internationalen Solidaritätsdrucks auf die südkoreanische Regierung wurde Sangguyn frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen.
Preisdruck wird exportiert
Der Grad der internationalen Arbeitsteilung hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm erhöht. Die Macht über die Steuerung sogenannter Produktionsketten haben transnationale Konzerne aufgrund ihrer Finanzstärke. So übertragen Konzerne den Preisdruck an Zulieferfirmen weiter, wodurch sie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen forcieren.
Für weltweites Aufsehen hat der Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ 2013 in Bangladesch gesorgt: Aufgrund der Missachtung von Bauvorschriften wurden über tausend ArbeiterInnen getötet. Durch den öffentlichen Druck und die Zusammenarbeit von internationalen Branchengewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde ein rechtskräftiges Brandschutzabkommen mit multinationalen Textilfirmen vereinbart. Damit wurden nicht nur die Fabrikbetreiber zur Verantwortung gezogen, sondern auch die Textilkonzerne, die aus den menschenunwürdigen Produktionsbedingungen Profit geschlagen haben.
Internationale Solidarität
Arbeitskämpfe haben sich in ihrer Form und Strategie verändert, ihr Ziel aber ist gleichgeblieben: menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen herzustellen oder zu schützen. Die zunehmende Verflechtung der globalen Produktion erfordert eine länder- und branchenübergreifende Solidarität, um dem Profitdruck von transnationalen Firmen standzuhalten.
Auch wenn in vielen Ländern demokratische Spielräume und gewerkschaftliche Errungenschaften schwinden, zeigt die Geschichte, dass diese kollektiv wieder erkämpft werden können: „A luta continua“ – Der Kampf um menschenwürdige Arbeit global wird jedenfalls niemals enden.
Weitere Informationen:
Beverly J. Silver: Forces of Labor. Workers‘ Movements and Globalization Since 1870. Cambridge University Press
IGB-Rechtsindex:
tinyurl.com/y9bu5y9q
Friedrich Ebert Stiftung:
tinyurl.com/yc59k2qh
Sabine Stelczenmayr
Internationale Sekretärin des ÖGB
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.
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