Start-ups als Beschäftigungsmotor?

Foto (C) Uwe Zucchi / dpa / picturedesk.com
Dieses Modell einer vollautomatisierten Fabrik ist für viele eine Horrorvorstellung. Reihen sich Start-ups in diese Logik ein oder schaffen sie gar deutlich mehr Arbeitsplätze als traditionelle Firmen?

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Große Ängste, große Hoffnungen: Können Apps jene Arbeitsplätze auffangen, die etwa durch den Online-Handel verloren gehen?
Viele beschreiben die Arbeitswelt 4.0 mit apokalyptischen Bildern: fast menschenleere Fabrikshallen, in denen nur Rechner und Roboter ihre Arbeit tun. Digitalisierung steht im Verruf, ein Jobkiller zu sein. Start-ups übernehmen dabei den Part der sympathischen Seite mit spielerischen Tools und großem Vernetzungspotenzial. Mit vergleichsweise wenig finanziellem Kapital und einer zündenden Geschäftsidee lässt sich Geld verdienen, und noch dazu entstehen neue Jobs. Das klingt nach Win-win-Kapitalismus. Die Wirklichkeit sieht widersprüchlicher aus.

7,5 Arbeitsplätze nach 2,2 Jahren

Im Jahr 2016 wurde zum zweiten Mal die „European Start-up Monitor“-Studie (ESM) durchgeführt, die Start-ups in 18 Ländern vergleicht. Die österreichweite Auswertung übernahm das WU-Gründungszentrum, 134 Start-ups wurden dafür befragt. Die Kernbotschaft: In Start-ups arbeiten nach 2,2 Jahren 7,5 Menschen – inklusive der GründerInnen. Der Stoff, aus dem die Start-up-Träume sind, heißt Airbnb, Twitter, Uber oder Zalando. Es sind Konzerne mit über 10.000 MitarbeiterInnen und einem Firmenwert, der eine Milliarde Euro übersteigt.

In Österreich hat die Fitness-App Runtastic für Furore gesorgt. Sie brachte beim Verkauf an adidas 220 Millionen Euro ein. Das digitale Diabetes-Service-Management von mySugr wiederum nutzen eine Million Menschen, es beschäftigt ein Team von 40 Leuten. Der Einstieg des Pharmariesen Roche macht es zum internationalen Marktführer.

Europaweit werden Start-ups unterschiedlich definiert, weshalb sie die Statistik Austria nicht als solche erfasst. Idealerweise sollten sie in die Kategorie „Unternehmen mit dynamischem Wachstum“ fallen: Das sind Betriebe mit einer Umsatzsteigerung von zehn Prozent innerhalb eines Jahres und mehr als zehn MitarbeiterInnen. Auf den Großteil der Start-ups trifft das nicht zu. Natürlich gibt es besonders erfolgreiche Start-ups mit starkem Wachstum, etwa die Flohmarkt-App Shpock mit 120 Angestellten. Das Personal innerhalb eines Jahres zu verdoppeln gelang vielen erfolgreichen Teilnehmern der Puls4-Start-up-Show „2 Minuten 2 Millionen“. Sie sind inzwischen Arbeitgeber von jeweils 15 bis 25 Personen.

Aktuell sind das Firmen wie Parkbob, die App zum Parkplatz-Finden, der alternative Skischuh-Produzent Freemotion oder Playbrush. Letzteres ist ein Zahnbürstenaufsatz, der mit einem Smartphone verbunden ist und so Zähneputzen zum interaktiven Mini-Spiel macht, das durch die Putzbewegungen den Fortgang der Geschichte steuert, um so Karies-Monster zu bekämpfen oder die Zahnfee zu retten.

Unternehmertum als Unterhaltungsprogramm trifft den Publikumsgeschmack. Die Sendung „2 Minuten 2 Millionen“ läuft bereits in der vierten Staffel und erreichte bisher 1,8 Millionen ZuseherInnen. Allein in der vierten Staffel machten die beteiligten Investoren 6,7 Millionen Euro für insgesamt 60 Start-ups locker. Eines davon ist Hokify, angelehnt an das Wort „Hockn“ für Arbeit: ein Tool zur Jobsuche und Bewerbung am Smartphone mit dem Branchenfokus Gastgewerbe und Handwerk. Zusätzlich zu der Investment-Million erhielten sie 450.00 Euro von Business Angels, die Folge war ein rascher Anstieg auf 18 MitarbeiterInnen.

„Wie es mir gefällt“

„Ein Start-up bietet mir die Möglichkeit, mein Arbeitsumfeld so aufsetzen, wie es mir gefällt“, sagt Co-Gründer Karl Edlbauer. Er beschreibt ein zentrales Start-up-Leitmotiv: eigene Ideen durch unternehmerische Tätigkeit zu realisieren. „Ein Entrepreneur ist eine Gründerpersönlichkeit, die Lösungen auf wahrgenommene Probleme bietet; sie muss sich in der Unsicherheit wohlfühlen und bereit sein, identifizierbare Risiken vernünftig einzugehen“, definiert Rudolf Dömötör, Direktor des WU-Gründungszentrums. Diese Persönlichkeit ist in den Dreißigern, akademisch gebildet und zu 93 Prozent männlich – interessanterweise im Gegensatz zu klassischen Unternehmensgründungen, wo der Anteil der Frauen bei 60 Prozent liegt. Über diese Schieflage sind sich die Fördereinrichtungen bewusst.

Irene Fialka, CEO von INiTS, dem Gründungsservice der TU Wien, initiierte deshalb „Women investing in Women“. Hintergrund dafür sind auch Studien, wonach Kapitalinvestoren junge Frauen anders einstufen (unerfahren) als junge Männer (vielversprechend). Die Wiener Wirtschaftsagentur bietet einen speziellen Gründungsservice für Gründerinnen und unterstützt Female-Entrepreneurs-Mentoring-Programme.

Denn Role-Models gibt es: Sei es Katharina Klausberger, die Co-Gründerin von Shpock, oder Katharina Norden, die mit Three Coins ein digitales Lernumfeld bereitstellt, um den verantwortungsbewussten Umgang mit Geld zu trainieren. Oder das biopharmazeutische Unternehmen Marinomed, das mehrheitlich von Frauen geführt wird und einen antiviralen Schnupfenspray entwickelte und patentierte.

Firma als Familie

Arbeiten im Start-up ist anders: Meist gibt es lange, aber flexiblere Arbeitszeiten, flache und weniger Hierarchien, „Remote Work“ (per Laptop von zu Hause), getragen vom Spirit, gemeinsam etwas Großes zu schaffen. Die Rekrutierung des Personals erfolgt meist im Freundes- und Bekanntenkreis, öfters liest man die Metapher von der Firma als Familie. Ältere erinnert dies an die Euphorie der Nullerjahre, als das Internet noch jung und unschuldig war, es viele Werbagenturen und Dotcom-Firmen gab, die heute niemand mehr kennt. Dazu schreibt Nikolaus Franke, Leiter des WU-Instituts für Entrepreneurship and Innovation, in einem Kommentar: Ja, es gibt und es wird Misserfolge geben, es werden Fördergelder verloren gehen, weil „Risiko die andere Seite von Chance ist“. Zugleich hält er Innovation für das Wichtigste, was ein Wirtschaftssystem im Umbruch braucht – und genau dafür stehen Start-ups.

Doch wie steht es nun um das Beschäftigungspotenzial von Start-ups? Immerhin geben sieben von zehn Start-ups auf und verlieren nicht nur das investierte Geld, sondern auch die Arbeitsplätze ihrer Angestellten, so sie welche haben, gehen verloren. „Selbst wenn der Großteil der Firmen in Konkurs geht, die Menschen gibt es noch und die bringen ihre Ideen und Erfahrungen in neue Projekte ein“, betont auch Rudolf Dömötör.

An der Stelle wird gerne das Max-Levchin-Beispiel gebracht, der mit vier Firmen scheiterte, eher er PayPal gründete. Gelingen bzw. erfolgreiches Scheitern braucht ein „Start-up-Ökosystem“ mit vielfältigen privaten und öffentlichen Akteuren, die ineinandergreifen, heißt es in der Start-up-Szene. Eine Erkenntnis, die Gabi Tatzberger kennt. Sie ist Abteilungsleiterin der Start-up-Services der Wirtschaftsagentur Wien: „Wir sehen, dass es durch unsere intensive Beratung und Unterstützung gelingt, die Überlebensrate zu steigern. Eine Evaluierung hat ergeben, dass nach fünf Jahren noch rund 90 Prozent aller bei uns betreuten Start-up-Gründerinnen und -Gründer mit ihren Unternehmen aktiv sind. Die Überlebens-rate von jungen Unternehmen ist in Europa übrigens nirgendwo so hoch wie in Österreich.“ Die durchschnittliche Überlebensrate österreichischer Unternehmen liegt hingegen bei 47 Prozent. Das heißt, die Start-ups wurden gut ausgewählt, die Förderung verbessert die Kapitalsituation und die Beratungsleistungen wirken.

55 Prozent der Start-ups werden öffentlich gefördert. Sind diese Steuergelder gut investiert? Betrachtet man die Anzahl der Arbeitsplätze, dann sicher nicht. Start-ups sind keine Alternative für jene (Frauen-)Arbeitsplätze, die im Handel (u. a. durch die Online-Konkurrenz) verloren gehen. Zum Vergleich: Allein die 1.130 großen Unternehmen (ab 250 MitarbeiterInnen) geben 920.000 Menschen in Österreich Arbeit.

Neue Modelle

Große Arbeitergeber wissen um ihre Attraktivität, was meist ebenso zu Förderungen oder Vergünstigungen führt. Start-ups sind allerdings eine wirtschaftspolitische Nische, wichtig für die Innovation und Vision einer Volkswirtschaft.

„Gerade Social Entrepreneurs bieten neue Modelle unternehmerischen Wachs-tums und der Zusammenarbeit, wie sie bei Impact Hub Vienna zusammenkommen“, meint Wolfgang Michalek, Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI) Wien. „Sie zeigen ethische Alternativen auf und sind Ausdruck eines neuen Arbeitsverständnisses einer Generation, denen Sinn in der Arbeit wichtiger ist als ein Vollzeitjob.“

Linktipps:
www.derbrutkasten.com
www.femalefounders.at

Von
Beatrix Beneder
Sozialwissenschafterin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/17.

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