Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft
Finger in die Wunden
Somit ist die Arbeiterkammer eine unbequeme Akteurin für jene, die den Interessen von Wirtschaft, GroßverdienerInnen und Vermögenden den Vorrang geben wollen. Immer wieder legt die AK ihre Finger in Wunden der Gesellschaft: angefangen mit der völlig inakzeptablen sozialen Selektion im Bildungssystem über die Gestaltung des Sozialstaats bis hin zur gerechten Verteilung von Budgetmitteln.
Der harte Kurs, den die Regierung in den vergangenen Monaten durchgezogen hat, mag manche überrascht haben. Umso wichtiger ist es, dass sich ArbeiterInnen und Angestellte, aber auch atypisch Beschäftigte darauf verlassen können, dass die Arbeiterkammer dagegenhält. Bei ihren Angriffen auf die AK ziehen die Regierung und ihre Verbündeten wieder völlig verstaubte Vorwürfe aus dem Hut. Dass etwa der Vorwurf, die AK sei eine völlig verstaubte Einrichtung, jeglicher Grundlage entbehrt, weiß jeder und jede, der/die einmal bei der Beratung war, bei einer Veranstaltung, in der Bibliothek, oder der/die von der AK gegenüber Arbeitgebern, Behörden oder Gericht vertreten wurde. Die AK beweist immer und immer wieder, dass sie sich aktuellen Entwicklungen stellt und Debatten vorantreibt. Das war bei den bereits erwähnten atypischen Beschäftigungen der Fall. Das ist bei der Digitalisierung der Fall.
Und dann ist da noch ein Vorwurf: Die AK sei eine Krake, die sich ungefragt überall einmische. Ja, sie erdreiste sich gar, den Fortschritt zu hemmen. Erstens: Sie mischt sich keineswegs ungefragt ein, wie der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz in seinem sehr lesenswerten Beitrag ausführt. Zweitens: Was als Fortschritt angesehen wird, ist eine Frage der Perspektive. Die AK versteht jedenfalls nicht darunter, dass man zu allem, was die Wirtschaft will, ja und amen zu sagen hat. Von der Basis her wissen die ExpertInnen und FunktionärInnen der AK sehr gut darüber Bescheid, wo den ArbeitnehmerInnen der Schuh drückt. Auch in der A&W haben wir etwa wiederholt thematisiert, dass die Beschäftigten unter dem Druck der Arbeitswelt ächzen und bisweilen zusammenzubrechen drohen. Von der AK zu verlangen, dass sie dies ignoriert und die neuen Arbeitszeitregeln einfach so akzeptiert, hieße von ihr zu verlangen, eben jene Menschen und ihre Bedürfnisse zu ignorieren, von denen sie gewählt wurde. Und die von ihr auch legitimerweise erwarten, dass sie ihre Interessen vertritt und im Zweifel auch für sie kämpft.
Für die Menschen gut
Für mein Empfinden könnte die AK gerne einen Tick kämpferischer sein, aber vielleicht hat sie ja durchaus recht mit ihrem pragmatischeren Kurs. Immerhin ist auch Österreich in der Vergangenheit deutlich besser damit gefahren, Konflikte sozialpartnerschaftlich zu lösen. So gut sogar, dass die Sozialpartnerschaft als positiver Standortfaktor gesehen wird. Voraussetzung dafür, dass man dies auch so sieht, ist freilich, dass der Standort nicht nur für die Unternehmen gut sein soll, sondern auch für die Menschen, die tagtäglich ihre Arbeitskraft einsetzen. Dem Trend entgegenzuhalten war für die AK schon bisher nicht leicht, und es wird noch herausfordernder werden. Dranbleiben muss sie aber. Dazu wird sie von den Beschäftigten gewählt. Dazu ist sie da.
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.