Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft
Ablenkungsmanöver
Sagen wir so: Das wäre das Mindeste. Bleibt bloß die Frage: Warum beschließen die Koalitionsparteien dann eigentlich Maßnahmen, die vor allem zulasten der ArbeitnehmerInnen gehen? Warum haben sie nicht gleich dafür gesorgt, dass das Arbeitszeitgesetz ausgewogener ist? Warum sorgen eigentlich nicht sie dafür, dass alle vom gesellschaftlichen Wohlstand gleichermaßen profitieren? Allein schon mit dem Arbeitszeitgesetz lieferte die Regierung den Beweis dafür ab, dass ihr am Wohlergehen der Beschäftigten herzlich wenig liegt.
Dabei ist der Wunschzettel an die Sozialpartner zweifellos ein geschickter Schachzug. Denn damit schiebt die Regierung die Verantwortung dafür, dass auch ArbeitnehmerInnen am steigenden Wohlstand profitieren, an eine andere Instanz ab. Sollten sich die Gewerkschaften nicht durchsetzen, kann sich die Regierung einfach abputzen, nach dem Motto: Den Wunsch geäußert haben wir ja, was können wir dafür, wenn die Sozialpartner nicht liefern?
Dabei droht eins völlig in Vergessenheit zu geraten: Es gibt ein Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen. Wenn sich nun der Gesetzgeber so eindeutig auf die Seite der Arbeitgeber stellt, wie es Türkis-Blau tut, so wird das Ungleichgewicht noch größer, wird ihre Macht größer. Denkt man dies weiter, so fordert die Regierung geradezu einen Gnadenakt der Unternehmen: Sie mögen doch bitte höhere Gehaltsabschlüsse zulassen. Damit lieferte die türkis-blaue Regierung einmal mehr einen Beweis dafür, dass ihr die Interessen der ArbeitnehmerInnen egal sind. Vielmehr arbeitet sie die Wunschliste der Wirtschaft ab. Damit betreibt sie vor allem eins: Klassenkampf von oben.
Dabei existiert jetzt schon eine enorme Schieflage in Österreich. Da es keine Erbschafts- und Vermögenssteuern in nennenswertem Ausmaß gibt, haben jene einen Vorteil, deren Eltern Kapital weitervererben können – oder jene, die Vermögen haben. Denn sie leisten nur einen minimalen Beitrag für ein System, das Europa im Allgemeinen und Österreich im Besonderen enormen wirtschaftlichen Wohlstand beschert hat: der Sozialstaat. Das progressive Steuersystem soll dafür sorgen, dass die Last gerecht verteilt wird, sprich dass jene mehr beitragen, die finanziell bessergestellt sind, als jene, die weniger verdienen.
Gefahr für den Wohlfahrtsstaat
Diesem Anspruch wird das österreichische Steuersystem nicht gerecht, solange er nur für Arbeitseinkommen gilt – nicht aber für private Vermögende oder Unternehmen. Diese Schieflage hat sehr konkrete Auswirkungen. Denn damit fehlen dem Wohlfahrtsstaat die Mittel, um seine Funktion gut erfüllen zu können: den gerechten Ausgleich in einer immer ungleicher werdenden Gesellschaft zu gewährleisten. Ganz zu schweigen davon, dass es keinen Spielraum gibt, ihn so weiterzuentwickeln, dass er dieser Aufgabe angesichts der aktuellen Herausforderungen vollständig nachkommen kann.
Fragt sich also, warum die Regierung selbst nichts dagegen unternimmt, dass bestimmte Gruppierungen deutlich mehr vom wachsenden Wohlstand profitieren als andere, sondern dies an die Sozialpartner delegiert. Offensichtlich ist der Wunschzettel an die Sozialpartner nichts anderes als eine Nebelgranate. Für die Regierung relevant ist nur ein Wunschzettel: jener der Wirtschaft.
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.