Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft
Mogelpackung 1: Das angebliche Ende der Schuldenpolitik. Klingt gut, denn wer hat schon gerne Schulden? Nur steht erstens hinter diesen Schulden des Staates auch ein Vermögen – ganz so, wie es in der Privatwirtschaft auch ist, mit der die staatliche Budgetpolitik so gerne verglichen wird. Zweitens war das Erreichen des Nulldefizits im Jahr 2018 keineswegs auf die Aktivitäten der nun geplatzten türkis-blauen Regierung zurückzuführen, sondern vielmehr auf die gute Konjunktur. Nebenbei bemerkt ist der gut ausgebaute Sozialstaat dafür verantwortlich, dass es Österreichs Konjunktur trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise vergleichsweise gut geht – worüber sich im Übrigen sogar ExpertInnen mit wenig gewerkschaftlichem „Stallgeruch“ einig sind.
Ebendiesen Sozialstaat wollte Türkis-Blau beschneiden – und hört man sich die Wahlkampfankündigungen an, so hat sich an dieser Position nur wenig geändert. Mogelpackung 2 ist das Sparpotenzial der Einschnitte, die unter Türkis-Blau beschlossen wurden, denn dieses ist jedenfalls überschaubar. Die Konsequenzen für die Betroffenen aber sind tiefgreifend. Ein trauriges Beispiel dafür ist die Abschaffung der Mindestsicherung und die Einführung der Sozialhilfe, die massive Verschlechterungen für die Menschen mit sich bringt. Schlimmer noch: Es ist die Abkehr von der Armutsbekämpfung hin zur Bekämpfung der Armen.
Mogelpackung 3: Die angebliche Reform der Sozialversicherung. Auch diese wird gerne mit dem Sparargument begründet, und die Proteste von AK und Gewerkschaften wurden damit abgetan, dass sie ja nur die angeblichen Pfründen ihrer FunktionärInnen retten wollten. Wie gering das Sparpotenzial ist, zeigt folgende Zahl: 0,009 Prozent. So niedrig ist nämlich der Anteil der Kosten für die Selbstverwaltung am Gesamtaufwand für die Sozialversicherung. Was hinter der Reform steckt: die Abschaffung der Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen. Konkret gesagt: Die ArbeitnehmerInnen zahlen zwar in die Versicherung ein, können aber nicht mehr darüber entscheiden, was mit ihren Beiträgen passiert. Oder noch konkreter ausgedrückt: Die Arbeitgeber übernehmen die Macht in der Sozialversicherung der ArbeitnehmerInnen.
Mogelpackung 4 besteht in der verfehlten Annahme, Druck auf Arbeitslose sei ein wirksames Mittel gegen Arbeitslosigkeit. Man muss kein Mathe-Genie sein, um folgende Rechnung nachvollziehen zu können: Wenn es mehr Arbeitslose als freie Stellen gibt, bleibt unterm Strich eine Zahl stehen. Und hinter dieser Zahl stehen Menschen, die zum Teil schon Hunderte Bewerbungen geschrieben haben und sich redlich bemühen, wieder einen Job zu bekommen – doch ohne Erfolg. Ein Blick in die Statistik zeigt obendrein: Von Langzeitarbeitslosigkeit überdurchschnittlich betroffen sind PflichtschulabsolventInnen und ältere Menschen. Doch für sie hat Türkis-Blau keine Rezepte, vielmehr wurde die erfolgreiche „Aktion 20.000“ gestrichen. Erneut: marginales Sparpotenzial, enorme Nachteile für die Betroffenen.
Mogelpackung 5 ist der Glaube an die Leistung. An dieser Stelle ist davon schon oft die Rede gewesen, aber dennoch zur Erinnerung: Ausgerechnet das österreichische Bildungssystem ist extrem leistungsfeindlich. Denn es belohnt familiäre Herkunft, statt die SchülerInnen in die Lage zu versetzen, dass sie später am Arbeitsmarkt ihre Potenziale voll entfalten können. So produziert es systematisch Menschen, die später wenig verdienen und ein sehr hohes Risiko haben, arbeitslos zu werden.
Zukunftsgerichtet ist all das nicht, ganz im Gegenteil. In der heutigen Medienlogik ist es zudem eine enorme Herausforderung, mit sachlichen Argumenten durchzukommen. Aber wir bleiben dran.
Sonja Fercher
Chefredakteurin
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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/19.
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