Sozialversicherungsreform: Spiel mit Zahlen

Foto eines Zahlenhaufens
Die Zahlen zur Sozialversicherungsreform werfen viele Fragen auf.
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Weder der Rechnungshof noch die Arbeiterkammer können nachvollziehen, wie die Bundesregierung durch die geplante Änderung des Sozialversicherungssystems Geld einsparen will. Die Arbeiterkammer errechnete hingegen eine Belastung von weit mehr als 2,1 Milliarden Euro bis 2023.
Die Reform der Sozialversicherungen, die vor allem die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf vorsieht, soll laut Bundesregierung eine Milliarde Euro Einsparung bis 2023 bringen. Der Rechnungshof kritisiert dieses „Spiel mit Zahlen“, wie dessen Präsidentin Margit Kraker es formulierte, denn diese Milliarde sei nicht nachvollziehbar. In einer Stellungnahme des Rechnungshofs von Mitte Oktober heißt es dazu, es würden „transparente und nachvollziehbare Berechnungsgrundlagen“ fehlen. Außerdem würden die anfallenden Mehrkosten verschwiegen werden.

Die ExpertInnen der Arbeiterkammer schließen sich dieser Kritik an und haben zudem errechnet, wie sich die geplanten Änderungen im Sozialversicherungssystem auf das Budget auswirken können. Sie kommen auf eine Belastung der ArbeitnehmerInnen und SteuerzahlerInnen in der Höhe von mehr als 2,1 Milliarden Euro bis 2023. In einer Stellungnahme, die Mitte Oktober an das zuständige Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz ging, schlüsselt die Arbeiterkammer diese Berechnung auf.

Mehr Aufgaben mit gleichem Budget

Dabei fällt die geplante Beitragssenkung der AUVA-Beiträge von 1,3 auf zunächst 1,2 und ab 2023 auf ein Prozent mit 600 Millionen Euro ins Gewicht, wobei diese Senkung der Beitragszahlungen zulasten der neuen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) gehen wird. Diese soll aus der Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen entstehen. Hinzu kommen Zusatzbelastungen, weil Privatkrankenanstalten demnach rund 15 Millionen Euro pro Jahr erhalten sollen und der Pflegekostenzuschuss gesenkt wird. Die geplanten Maßnahmen werden in den kommenden fünf Jahren zu insgesamt 1,1 Milliarden Euro Belastungen führen, errechnete die Arbeiterkammer.

Kosten Beitragssenkung AUVA
bis 2023
€ 600 Mio.

Zuschuss Privatkrankenanstalten
pro Jahr
€ 15 Mio.

Die ÖGK muss also mit dem gleichen Budget, das zu einem überwiegenden Teil aus Krankenversicherungsbeiträgen besteht, mehr Dinge finanzieren und mehr Aufgaben bewältigen. 

Florian Burger, Abteilung Sozialversicherung AK Wien

Florian Burger, Referent der Abteilung Sozialversicherung der Arbeiterkammer Wien und einer der Autoren der Stellungnahme, fasst zusammen: „Die ÖGK muss also mit dem gleichen Budget, das zu einem überwiegenden Teil aus Krankenversicherungsbeiträgen besteht, mehr Dinge finanzieren und mehr Aufgaben bewältigen.“ Das entstehende Loch werde nicht durch Steuermittel gestopft, sondern es sei davon auszugehen, dass es zu Einsparungen kommen müssen wird.

Die Fusion kostet Geld

Außerdem entstehen ab 2020 durch die Zusammenlegung der Kassen sogenannte Fusionskosten, welche auf 500 Millionen Euro geschätzt werden. Florian Burger betont, dass das schon eine sehr vorsichtige Schätzung sei. Denn allein die Fusion der Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und der Angestellten beliefen sich laut Rechnungshof auf 200 Millionen Euro. Burger: „Die Fusion von zwei zu einer Anstalt hat laut Rechnungshof 200 Millionen gekostet. Also ist unsere Schätzung, dass die Fusion von neun zu einer Anstalt 500 Millionen Euro kosten wird, sehr vorsichtig.“

Fusionskosten
Kassen
€ 500 Mio.

Gesamtverträge ÄrztInnen
Neuverhandlung
€ 500 Mio.

Weiters muss die ÖGK neue Gesamtverträge mit den ÄrztInnen verhandeln. Denn bisher haben die Gebietskrankenkassen in den Bundesländern eigene Verträge mit den Landesärztekammern abgeschlossen. Das hat dazu geführt, dass ÄrztInnen in den verschiedenen Bundesländern für dieselben Leistungen unterschiedlich hohe Beiträge von ihrer jeweiligen Gebietskrankenkasse bekommen. Die Arbeiterkammer geht davon aus, dass sich die ÄrztInnen bei der Neuverhandlung nicht mit weniger Geld als bisher zufriedengeben werden und rechnet daher mit Mehrkosten von 500 Millionen Euro bis 2023.

Beitragsprüfungen durch Finanzamt

So kommen schließlich 2,1 Milliarden Euro zusammen. In diese Zahl nicht eingerechnet sind außerdem Einnahmenverluste durch die Beitragsprüfungen. Während die Prüfungen bisher von den Kassen selbst durchgeführt werden, soll das die neue ÖGK nicht mehr selbst tun, sondern das Finanzamt. Die Arbeiterkammer rechnet dadurch „mit weniger guten und weniger genauen Prüfungen“ und glaubt, dass dadurch in den kommenden fünf Jahren weitere 650 Millionen Euro verloren gehen werden.

Gesamtkosten
Sozialversicherungsreform
€ 2.100 Mio.

Einnahmenverluste Betriebsprüfungen
bis 2023
€ 650 Mio.

Florian Burger betont zudem, dass die ohnehin finanzkräftigeren Sozialversicherungsträger wie die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) und jene der Selbstständigen (SVA) von vielen Änderungen verschont bleiben, denn sie werden nicht in die ÖGK integriert und dürfen beispielsweise Beitragsprüfungen nach wie vor selbst durchführen. Dabei könnte eine gerechtere Verteilung der finanziellen Mittel auf alle Versicherungsträger zu faireren Bedingungen führen, wie Florian Burger erklärt: „Anstatt das das Geld von dort zu holen, wo es ist, wird aus der ÖGK sogar noch sehr viel mehr Geld herausgezogen.“

Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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