Was die Bevölkerung nicht will: Kürzungen im Sozialstaat
Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie haben die Bürger:innen einen zentralen Wunsch an die Regierung und den Sozialstaat: „Die wichtigste Botschaft ist, dass die Menschen dafür sind, dass es umverteilende Maßnahmen gibt, die dazu führen, dass niemand in Österreich arm sein muss. Dass der Sozialstaat ein Sicherheitsnetz bietet – vor der Krise, in der Krise, nach der Krise“, fasst Steiber eine Erkenntnis ihrer Studie zusammen. Kürzungen bei den Pensionen oder im Gesundheitswesen seien nicht gefragt. „Wenn es um die Fragen geht: Wie werden wir aus der Krise rauskommen? Wie finanzieren wir all diese unglaublich riesigen Ausgaben, die der Staat jetzt tätigt? Dann sind die Menschen eher dafür, große Unternehmen und hohe Einkommen stärker zu besteuern und nicht die Leistungen des Sozialstaats zu kürzen. Die Mehrheit der Bevölkerung hat aber auch keine großen Einkommen oder Unternehmen“, erklärt Steiber.
Fink schätzt die Situation ähnlich ein wie die von Steiber befragten Österreicher:innen: „So etwas wie eine weitere Senkung der Körperschaftsteuer ist kontraproduktiv. Was auf die Agenda gehört, ist die Frage der Besteuerung des Vermögens oder das österreichische Stiftungsrecht.“ Doch sei dies in seinen Augen eine Diskussion, die gar nicht geführt werden müsste: „Wir haben die Debatte über die Finanzierbarkeit des Sozialstaats nicht nur in Österreich, sondern international seit den 1970ern. Wir sehen empirisch, dass er finanzierbar ist. Die Frage ist in dem Zusammenhang, wie man die Mittel am effizientesten einsetzt.“
Eine zweite Debatte sei die Frage der Herkunft der Mittel, so Fink. Ein Totschlagargument sei stets, dass zu hohe Steuern und Sozialabgaben die internationale Wettbewerbsfähigkeit Österreichs einschränken würden. Doch Unternehmen würden langfristige Entscheidungen eben nicht allein von diesen Facetten eines Staates abhängig machen. Jedes Land ist schließlich mehr, als sich auf einer Steuererklärung ablesen lässt. „Wenn parallel das Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte hoch ist und sozialer Frieden und finanzielle Planbarkeit herrschen, zeigt sich, dass auch hohe Sozialabgaben mit internationalen Investitionsentscheidungen großer Unternehmen kompatibel sind.“
Wer weniger einzahlt, der bekommt auch weniger raus. Und wer mehr einzahlt, der kriegt mehr raus. Das reproduziert aber Ungleichheit.
Marcel Fink, Politologe IHS
Immer mehr atypisch Beschäftigte
Doch für die Zukunft werde die Regierung nicht um eine wirkliche Strukturreform des Sozialstaates herumkommen. Hintergrund ist der Wandel in der Arbeitswelt. Die Zahl der atypisch Beschäftigten steigt. Gab es in Österreich davon im Jahr 2004 rund 338.000, waren es im Jahr 2019 schon 474.000, wie die Statistik Austria angibt. Zwar gibt es deutlich weniger freie Mitarbeiter:innen, doch die Zahl der Arbeitsverträge mit weniger als zwölf Wochenstunden, befristete Dienstverträge und Leiharbeit haben sich verdoppelt.
Aus Sicht des Staatshaushaltes und vor allem mit Blick auf den Sozialstaat ist das bedenklich. Denn dort ist in Österreich das Äquivalenzprinzip stark verankert, wie Fink erklärt. „Ganz vereinfacht gesagt: Wer weniger einzahlt, der bekommt auch weniger raus. Und wer mehr einzahlt, der kriegt mehr raus. Das reproduziert aber Ungleichheit.“ Vor allem aber kann es dazu kommen, dass der Lohnersatz nicht ausreicht, um Menschen vor Armut zu bewahren. Genau das ist aber eine zentrale Forderung der Bürger:innen an den Sozialstaat, wie Steiber betont.
Doch den Wandel auf dem Arbeitsmarkt wird die österreichische Regierung nur schwer aufhalten können. Weil der sich aber auf das Arbeitslosengeld genauso auswirkt wie auf die spätere Pension, sind Lösungen gefragt. Und die hat Fink: „Für gewisse Leistungen würde ein universeller Basissockel Sinn ergeben. Am leichtesten umsetz- und argumentierbar wäre der bei der Altersabsicherung. Wie in Dänemark könnte man eine wohnzeitabhängige Grundpension einführen. Unabhängig vom Erwerbs- und Versicherungsverlauf wäre dann niemand im Alter armutsgefährdet.“
Dänische Grundrente
In Dänemark (und Holland) bekommen alle Einwohner:innen eine Grundrente. Deren Höhe ist an die Dauer des Wohnsitzes gekoppelt. Wer seit vierzig Jahren (fünfzig in Holland) im Land lebt, bekommt sie in voller Höhe. Wer auf weniger Jahre kommt, kriegt seine Grundrente proportional gekürzt.
Aktuell wollen die Bürger:innen eine solche tiefgreifende Reform allerdings nicht, hat Steiber herausgefunden. Den Menschen sei aktuell weniger daran gelegen, das System umzubauen. Das ginge an der Lebensrealität vorbei. Aktuell wünschen sie sich vor allem, dass der Staat sie in einer Notlage auffängt. Mehr nicht. Ob das so bleiben wird, sei unklar. „Es ist noch ein bisschen früh zu prognostizieren, ob es tatsächlich zu einem politischen Wandel kommen wird. Unabhängig von der eigenen Position im politischen Spektrum ist jetzt jeder dafür, dass der Staat eine starke Rolle einnimmt – das wird sich natürlich wieder ändern.“
Diese Zurückhaltung in der Bevölkerung sei aber genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen sei. „Es ist in einer Krise immer so, dass die Bevölkerung den handelnden Akteur:innen mehr Vertrauen entgegenbringt. Das ist ein temporärer Effekt.“