Interview: Sozialpartnerschaft als stabilisierender Faktor

Inhalt

  1. Seite 1 - Wirtschaftsstandort Österreich aus ArbeitnehmerInnensicht
  2. Seite 2 - Das Jammern über den teuren Sozialstaat
  3. Seite 3 - Investitionen in soziale Dienstleistungen
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Wie sinnvoll sind Wirtschafts-Rankings? Wie besteht der österreichische Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich und welche Rolle spielen ArbeitnehmerInnen? Robert Stehrer, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, im Interview.

Welche Rolle spielt die Sozialpartnerschaft heute noch?

Ich hoffe, dass die unterschiedlichen Interessengruppen weiterhin zusammenarbeiten können; das scheint derzeit schwieriger geworden zu sein. Als stabilisierender Faktor in sehr vielen Bereichen sollte sie weiter bestehen.

Sie haben gemeint, dass Österreich ein hohes Ausbildungsniveau hat. Gibt es Schwachstellen in Bezug auf Bildung – immerhin selektiert das heimische Schulsystem bereits sehr früh.

Die Organisation des Bildungssystems ist ein wichtiger Punkt. Meine persönliche Meinung ist, dass sich Kinder unterschiedlich schnell entwickeln und daher diese Entscheidung nach der Volksschule in NMS oder AHS wenig zielführend ist. Ein wahrscheinlich noch wichtigerer Faktor ist die Qualität und Motivation des Lehrpersonals, angefangen von der Elementarpädagogik bis hinauf zur Matura. Dazu ist natürlich auch die Ausstattung der Schulen entscheidend.

Wie steht es um die Frauenerwerbsquote Österreichs im internationalen Vergleich?

Die Erwerbsquote in Österreich ist generell relativ hoch und liegt bei 75 Prozent, also über dem EU-Durchschnitt von 71 Prozent. Auch die Frauenerwerbsquote liegt mit etwa 68 Prozent über dem Schnitt der Eurozone. Klar ist, dass es immer Potenzial nach oben gibt. Was jedoch dazukommt, ist, dass sehr viele Jobs Teilzeitarbeit oder prekär bezahlt sind. Hier ist die Politik gefordert, das Prekariat hintanzuhalten.

„Österreich könnte sich ein bisschen höheres Reallohnwachstum leisten“, meint Ökonom Robert Stehrer. Foto (C) Michael Mazohl

Wie sieht es mit der hohen Teilzeitquote vor allem bei Frauen aus?

Für Personen, die Teilzeit arbeiten wollen, ist Flexibilität gut und schön. Es gibt aber sehr viele Personen, die eben nicht Teilzeit arbeiten wollen, aber dazu gezwungen sind und bei denen das Einkommen eventuell nicht ausreicht, um eine Familie zu erhalten. Die Unterbeschäftigungsquote – also wenn man das Ausmaß der Teilzeitbeschäftigung und die nicht arbeitswilligen Arbeitslosen berücksichtigt – liegt ja wesentlich höher als die Arbeitslosenquote. Im Prinzip sollte jeder, der Vollzeit arbeiten möchte, das auch tun können. Maßnahmen sowohl von Angebots- als auch Nachfrageseite sind hier ein wichtiger Faktor.

Wie wirken sich Investitionen in soziale Dienstleistungen auf den Wirtschaftsstandort aus?

„Soziale Dienstleistungen“ umfassen viele Bereiche. Hinsichtlich des Wirtschaftsstandorts Österreich wäre ein Aspekt der Ausbau von Kinderbetreuung. Es bräuchte aber nicht nur mehr Kindergärten, sondern auch längere Öffnungszeiten, etwa von 8 bis 17 Uhr, und nicht beschränkt, wie es anscheinend in manchen ländlichen Gebieten der Fall ist, wo sie nur von 8 bis 12 Uhr geöffnet sind. Ich glaube, diese flächendeckende Öffnung und die Ganztagesbetreuung von Kindern in Kindergärten würde Jobs schaffen und gleichzeitig den Müttern ermöglichen, selbst wieder berufstätig zu werden. Das wäre auch längerfristig aufgrund der demografischen Entwicklung wichtig.

Nach dem Kindergarten müsste man an Volksschulen die Nachmittagsbetreuung ausbauen.

Die Anzahl der Arbeitskräfte im erwerbsfähigen Alter beginnt – nach den derzeitigen Prognosen – langsam zu sinken, und man muss das Potenzial aufrechterhalten. Nach dem Kindergarten müsste man an Volksschulen die Nachmittagsbetreuung ausbauen. Diesbezüglich wäre es sinnvoll, über ein größeres Angebot an Ganztagsschulen oder zumindest Ganztagesbetreuung nachzudenken.

Was müsste sich in Sachen Digitalisierung verbessern?

Das führt vielleicht wieder zurück zur Bildung. Was an den Schulen, sowohl an Gymnasien als auch NMS, zu kurz kommt, ist der Fokus auf neue Technologien, Digitalisierung oder Umgang mit neuen Medien. Es gab ja einmal den Vorschlag, jedes Schulkind mit einem Computer auszustatten. Wichtiger fände ich, dass Kinder den Umgang mit diesen neuen Technologien frühzeitig lernen. Das sind Basisfähigkeiten wie das Zehnfingersystem: der Umgang mit Gestaltungs- oder Textsoftware, einfache Programmiersprachen und so weiter. Das müsste in allen Schulen genauso Schwerpunkt sein wie andere Fächer.

Hier gibt es, glaube ich, Aufholbedarf. Derartige Grundfertigkeiten lassen sich ja dann auch in anderen Fächern einbauen und verwenden. Das setzt natürlich voraus, dass die Schulen mit entsprechender Hard- und Software ausgestattet sind. Das sehe ich als einen wichtigen Zukunftsaspekt.

Vor welchen Herausforderungen steht der österreichische Wirtschaftsstandort derzeit im internationalen Vergleich und wie kann Österreich ihnen begegnen?

Ich glaube, dass das die neuen Technologien und die Digitalisierung sind, also das „Zeitalter 4.0“. Das setzt eben entsprechende Bildung und Unterstützung der Innovationstätigkeit voraus, die Österreich braucht, um auf diesem hohen Niveau bleiben zu können. Und somit das Mantra der Ökonomen: Bildung, Bildung, Bildung.

Von
Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/19.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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