Diese Worte kommen nicht etwa von einem eingefleischten Gewerkschafter, sondern vielmehr aus dem Munde eines der wichtigsten österreichischen Wirtschaftsvertreter: Christoph Leitl. Sie entspringen auch nicht den Wunschträumen des Wirtschaftskammerpräsidenten, sondern finden ihren Beleg vielmehr in einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO.
Erfolgsmodell infrage gestellt
Dieses Erfolgsmodell wird allerdings immer wieder infrage gestellt – zuletzt tauchten im Wahlkampf erneut Forderungen nach einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern auf. Diese aber ist Kernpunkt der Sozialpartnerschaft.
Nicht umsonst also bezeichnet AK-Präsident Rudi Kaske die Forderungen nach ihrer Abschaffung als „gefährliches Spiel mit dem sozialen Frieden in Österreich“. Er mahnt: „Wer die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft abschafft, schafft die Kammern ab und damit die Sozialpartnerschaft.“
Gerade für die ArbeitnehmerInnen ist die Sozialpartnerschaft von großer Bedeutung, denn sie befinden sich im Machtgefüge am Arbeitsplatz in der schwächeren Position. Die Arbeiterkammern leisten einen wichtigen Beitrag, um hier einen Ausgleich zu schaffen.
Solidarische Mitgliedschaft
Präsident Kaske hält fest: „Grundlage, dass wir allen helfen können, ist die solidarische Mitgliedschaft aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt, der für die Sozialpartnerschaft von Bedeutung ist: Die Mitgliedschaft aller ArbeitnehmerInnen garantiert in den Worten von AK-Präsident Kaske auch, „dass wir den Interessenausgleich zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen finden und so mit einer starken Stimme für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sprechen können“. Immerhin hat die Arbeiterkammer die Kraft von 3,6 Millionen Mitgliedern und ist somit eine gewichtige Akteurin in der österreichischen Innenpolitik.
Ein Sonderfall: So wird die österreichische Sozialpartnerschaft gerne genannt. Denn in kaum einem europäischen Land werden Interessenkonflikte noch so konsensorientiert ausgetragen wie hierzulande. Weitere Beispiele sind Dänemark, Schweden oder die Niederlande.
Der Politikwissenschafter Emmerich Tálos definiert die Sozialpartnerschaft als „spezifisches Muster der Interessenvermittlung und Interessenpolitik, das von den großen Dachverbänden der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressenorganisationen sowie der Regierung getragen ist“. Damit sind denn auch drei wesentliche Akteure der Sozialpartnerschaft angesprochen. Denn in Österreich spielt die Sozialpartnerschaft nicht nur bei den Kollektivvertragsverhandlungen zwischen den VertreterInnen der Arbeitgeber- und der ArbeitnehmerInnen die Hauptrolle. Die Sozialpartner verhandeln auch in verschiedenen Politikbereichen Regelungen, die später in Gesetzesform gegossen werden. Von Bedeutung ist die Sozialpartnerschaft in erster Linie in der Einkommens-, Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Gesamtwirtschaftliche Ziele
Dass sich diese Form des Interessenausgleichs in Österreich etabliert hat, hat seine Wurzeln in der Nachkriegszeit. Wesentliche Charakteristika sind bis heute erhalten geblieben: erstens die auf Verhandlung statt auf Konfrontation ausgerichtete Form der Auseinandersetzung, zweitens dass die AkteurInnen über die Partikularinteressen der eigenen Klientel hinaus immer auch gesamtwirtschaftliche Ziele im Auge haben. Eine wesentliche Voraussetzung, damit die Sozialpartnerschaft den angesprochenen Interessenausgleich auch erfolgreich umsetzen kann, ist die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern.
In der Tat hat die Sozialpartnerschaft in Österreich einen erheblichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg des Landes, wie die bereits angesprochene WIFO-Studie belegt. Sie wurde rund um den 50. Geburtstag des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen im Jahr 2014 vorgestellt. „Das Ergebnis ist ein wahres Geburtstagsgeschenk für die Sozialpartnerschaft“, betonte WIFO-Chef Karl Aiginger: „In Ländern wie Österreich ist die Wirtschaft nach allen Kriterien besser aufgestellt.“ Ziel der Untersuchung war es, den Einfluss der Sozialpartnerschaft auf die wirtschaftliche Entwicklung zu messen.
Zu diesem Zweck hat das WIFO Länder in verschiedene Kategorien eingeteilt, und zwar nach folgenden Merkmalen: erstens der Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände, also der „Anteil der Arbeitskräfte in Unternehmen, die Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sind“; zweitens der Koordinationsgrad der Gewerkschaften. Verglichen wurden die Länder Österreich, Belgien, Dänemark, Schweden, die Niederlande, Norwegen, Italien, Griechenland, die Schweiz und Großbritannien.
Koordiniertes Handeln
Die StudienautorInnen Markus Leibrecht und Silvia Rocha-Akis halten fest: „Den Kern der österreichischen Sozialpartnerschaft bildet ein historisch gewachsenes, koordiniertes Handeln der großen wirtschaftlichen Interessenverbände – Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Bundesarbeiterkammer (BAK), Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ).“ Zu Österreich schreiben sie außerdem: Es „weist sowohl in Bezug auf den Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände als auch hinsichtlich des Koordinationsgrads von Gewerkschaften im Ländervergleich den höchsten Wert auf“.
Signifikantes politisches Gewicht
Von Bedeutung ist nicht nur die Pflichtmitgliedschaft in der Arbeiterkammer, sondern auch jene in der Wirtschaftskammer, die zu einem Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände „von nahezu 100%“ führt. Für Leibrecht und Rocha-Akis ist dieser hohe Organisationsgrad der Arbeitgeber zudem von Bedeutung, damit das Lohnverhandlungssystem makroökonomische Wirkungen entfalten kann. Nebenbei bemerkt ist es auch ein Grund dafür, dass 97 Prozent der österreichischen ArbeitnehmerInnen von einem Kollektivvertrag erfasst sind.
Auf Seiten der ArbeitnehmerInnen wiederum zeichnet sich Österreich nicht nur dadurch aus, dass es nur einen Gewerkschaftsbund gibt. „Zudem verleiht die Kooperation zwischen der gesetzlichen Interessenvertretung durch die Arbeiterkammern und der freiwilligen Interessenvertretung durch die Gewerkschaften und die Betriebsräte der Arbeitnehmerseite in Österreich signifikantes politisches Gewicht“, so die beiden WirtschaftsforscherInnen.
Nicht nur was den Arbeitsmarkt betrifft, sondern auch wirtschaftspolitisch hat das System der Sozialpartnerschaft positive Auswirkungen. Sowohl die Arbeitslosenquote im Allgemeinen als auch jene der Jugendlichen ist in Österreich niedriger als in Ländern mit einer schwachen Sozialpartnerschaft – und zwar trotz Krise. Die beiden WirtschaftsforscherInnen führen die verhältnismäßig niedrige Arbeitslosigkeit bei den Jungen auf das duale Berufsbildungssystem zurück, das wiederum eng mit der Sozialpartnerschaft verknüpft ist: „Ein solches System geht mit einer engen Kooperation von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden einher.“
Besser in Wirtschaft und Arbeitsmarkt
In konkreten Zahlen ausgedrückt: Die Arbeitslosenrate in der Gruppe der Länder mit intensiver Sozialpartnerschaft lag in den Jahren 2008 bis 2012 bei 5,4 Prozent, in den Ländern mit geringer Intensität hingegen bei 7,8 Prozent, also um mehr als 2 Prozentpunkte höher. Auch bei Jugendarbeitslosigkeit, Beschäftigungsquote, Einkommensgleichheit, Lohnzuwachs und BIP-Wachstum schneiden Länder mit intensiver Sozialpartnerschaft deutlich besser ab.
Der Wandel in Politik und Wirtschaft geht freilich auch an der Sozialpartnerschaft nicht vorbei. Allein der Wandel in der Arbeitswelt stellt sie vor neue Herausforderungen. Dazu kommen politische Veränderungen, immerhin dominierten in der Nachkriegszeit die zwei Parteien SPÖ und ÖVP das politische Geschehen – die wiederum enge Beziehungen zu den SozialpartnerInnen pflegen. Während der blau-schwarzen Regierung sah es fast so aus, als würde die Sozialpartnerschaft zum „Auslaufmodell“ werden, wie Politikwissenschafter Emmerich Tálos damals als Hypothese vertrat. Mit der Rückkehr der großen Koalition gewannen die Organisationen der ArbeitnehmerInnen wieder an Bedeutung.
Wohlstand und sozialer Friede
Politikwissenschafter Tálos führt einige Herausforderungen und Probleme an, die es von den Sozialpartnern zu bewältigen gilt. Nichtsdestotrotz steht auch für ihn fest: „Die wirtschaftliche und soziale Erfolgsgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik wurde wesentlich durch die Sozialpartnerschaft mitgetragen und mitgestaltet.“ – „Die Sozialpartnerschaft hat Österreich Wohlstand und sozialen Frieden gebracht“, fasst Rudi Kaske zusammen. Grundlage ist die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft, und die wiederum ist Grundlage für eine starke Interessenvertretung. Der AK-Präsident mahnt: „Wer sie abschaffen will, schwächt die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massiv.“
Linktipps:
Die österreichische Sozialpartnerschaft:
www.sozialpartner.at
Rocha-Akis/Leibrecht (Wifo) – „Sozialpartnerschaft und makroökonomische Performance“:
tinyurl.com/sozialpartner
Sonja Fercher
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.
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Der AK-Rechtsschutz
Eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte
Wir sind da, wenn wir gebraucht werden“: Mit diesen Worten kommentierte AK-Präsident Rudi Kaske die eindrucksvolle Rechtsschutzbilanz der AK Wien: „Knapp 100.000 Arbeitsrechtsvertretungen in den letzten 25 Jahren alleine in Wien – das zeigt, dass die Arbeiterkammer ein verlässlicher Partner für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist, die Sorgen und Probleme in ihrem Arbeitsleben haben.“ Dabei ist das nur die berühmte Spitze des Eisbergs. In noch viel mehr Fällen wurden Probleme aus dem Weg geräumt, ohne dass ein Gang vors Gericht notwendig wurde: durch Hilfe zur Selbsthilfe oder durch direkte Interventionen bei den Arbeitgebern. „Die Mitglieder brauchen uns, das beweisen mehr als zwei Millionen Beratungen im Jahr. Besonders jene, die es schwer im Arbeitsleben haben, brauchen die Unterstützung der Arbeiterkammer“, verweist Kaske auf die 800.000 AK-Mitglieder, die keinen AK-Beitrag zahlen müssen, weil sie nichts oder wenig verdienen.
Allein im Jahr 2016 haben die ExpertInnen der AK Wien 86 Millionen Euro für die Mitglieder herausgeholt, durch Rechtsschutz, durch Vertretung bei Insolvenzen und im Sozialrecht. Kaske: „Gibt es Probleme in der Arbeit, dann wissen unsere Mitglieder, wohin sie sich wenden können. Unsere Expertinnen und Experten stehen mit Rat und Tat zur Seite.“ Kaske versichert, dass „alle Beratungsleistungen in der von den Mitgliedern geforderten Qualität gewährleistet sind“. Die ersten Monate im laufenden Jahr zeigen auch, dass die Nachfrage nach Unterstützung und Hilfe der AK nicht abnimmt.
Die Inkraftsetzung des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes vor 30 Jahren bezeichnet Kaske als Meilenstein der Zivilgerichtsbarkeit. Die bis dahin bestehende Kompetenzzersplitterung konnte damit weitgehend beseitigt werden, fachlich spezialisierte RichterInnen und die Einbindung von fachkundigen LaienrichterInnen sind die stabilen Garanten für Rechtsdurchsetzung und Streitbeilegung.
Der Rechtsschutz der Arbeiterkammern ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Vor 25 Jahren waren in Wien gerade einmal etwas mehr als drei Dutzend MitarbeiterInnen in einem eher provisorisch eingerichteten Beratungsbereich die Pioniere der Rechtsschutzgeschichte. Heute sind fast ein Viertel aller AK-MitarbeiterInnen in diesem Bereich beschäftigt. Vor neun Jahren wurde im Haupthaus in der Prinz-Eugen-Straße ein neues Beratungszentrum geschaffen und alle vier Außenstellen sind der arbeitsrechtlichen Beratung und Rechtsdurchsetzung gewidmet. Kaske: „Wenn es notwendig ist, ist eine AK immer in der Nähe. Das ist auch ein erklärtes Ziel von uns: nahe bei den Mitgliedern zu sein.“
Die Arbeiterkammer ist nicht nur in der Beratung der Mitglieder führend, in der Rechtsdurchsetzung vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien hat die AK Wien „einen Marktanteil von fast zwei Dritteln und im Insolvenzbereich hat der von uns mit dem ÖGB gemeinsam betriebene Gläubigerschutzverband ISA eine nahezu vollständige Marktabdeckung inne“.
Die Expertise der ExpertInnen wird gefragt bleiben, immerhin sind ArbeitnehmerInnen weiterhin mit schwierigen Entwicklungen konfrontiert. So stehen etwa Forderungen nach noch mehr Flexibilität im Widerspruch zu den Erfordernissen eines erholsamen Familienlebens, so Kaske. Neue Formen der Arbeit wie Crowdworking gefährden das Gefüge des ausgleichenden Arbeits- und Sozialrechts, und die ständigen Angriffe auf die Pflichtmitgliedschaft oder die AK-Umlage bedrohen die Schwächsten in der Gesellschaft, so der AK-Präsident.