Keine Weihnachtsgeschichte: Frieren für das Essen

Ein Kind sitzt mit Mütze und Schal auf einem Heizkörper. Symbolbild für die Armut infolge der Teuerung, die Familien in die Armut treibt.
Arm, ärmer, am ärmsten: 20 von 100 Menschen treffen die hohen Lebensmittel- und Heizkosten. | © Adobestock/Wanja Jacob
Arm, ärmer, am ärmsten: 20 von 100 Menschen treffen die hohen Lebensmittel- und Heizkosten.
Arbeiterkammer, Caritas und Volkshilfe beraten täglich viele tausende Menschen österreichweit und das Problem der Armut wird in den Gesprächen immer häufiger thematisiert. Jede:r Fünfte ist von den hohen Kosten des Lebens aktuell überfordert.
Nach einem überaus milden Herbst ist nun die kalte Jahreszeit über Österreich anheimgefallen. Konnte man sich das Heizen bis in den November hinein noch ersparen, so müssen die Heizkörper jetzt im Dauereinsatz sein. Allerdings ist es nicht allen Menschen möglich, die Wohnung zu heizen, denn die Heizkosten sind für viele zu hoch sind. Sie müssen sich entscheiden, ob sie die Heizung aufdrehen oder sich Lebensmittel kaufen wollen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Erzählung aus ferner Vergangenheit, sondern diese dramatischen Zustände spielen sich in Österreich 2022 tagtäglich ab. „Essen oder heizen, das ist eine reale Frage, bei immer mehr Familien“, sagt AK Präsidentin Renate Anderl.

Soziale Kälte: Armut in Österreich

Die Arbeiterkammer hat von der Statistik Austria auswerten lassen, wie viele Menschen von Armut in Österreich betroffen sind. Das Ergebnis schockiert. 20 von 100 Menschen in Österreich treffen die teuren Lebensmittel, Mietkosten und Energiepreise intensiv. So intensiv, dass sie an den notwendigsten Dingen sparen müssen. Man friert, um sich Essen kaufen zu können. „Offiziell wird Armut ausschließlich anhand des Haushaltseinkommens gemessen, was dabei nicht berücksichtigt wird, ist die Frage, ob die Kosten für das tägliche Leben dadurch auch tatsächlich beglichen werden können“, so Anderl.

Familien mit zwei Kindern sind dabei besonders stark betroffen, wie die Erhebung der Statistik Austria ergab. Hier ist es jede vierte Familie armutsgefährdet, bei drei Kindern sind es gar 40 Prozent. Zwei Erwachsene und zwei Kinder benötigen 3.819 Euro im Monat, um von der Miete über die Schulkosten bis zur Kleidung alles decken zu können. Die Referenzbudgets der staatlich anerkannten Schuldnerberatung dienten als Berechnungsgrundlage und zeichnen dieses traurige Bild.

Hände mit Centmünzen. Ein Symbolbild für die Armut in Österreich.
Heizen oder Lebensmittel: Mittlerweile Realität in vielen österreichischen Haushalten. | © Adobestock/weyo

 

Armut in Österreich: Arme sind transparent, Reiche nicht

Warum weiß man über die Finanzen von ökonomisch Benachteiligten genauer Bescheid als man es über die Summen der Reichen in Österreich tut? Wenn man weniger Geld zur Verfügung hat, ist man ein:e gläserne:r Bürger:in. „Menschen, die von Armut betroffen sind, sind sehr transparent. Wenn man um einen Euro mehr verdient und damit eine gewisse Grenze überschreitet, dann fallen Sozialleistungen sehr schnell weg“, erklärt Anderl. Die Caritas merkt den Anstieg der Armutsgefährdung stark. Denn die Lebensmittelverteilungen stiegen in kurzer Zeit deutlich an. „Allein in Wien haben wir vor der großen Teuerung 17 Tonnen Lebensmittel pro Woche verteilt, im Moment verteilen wir 26 Tonnen pro Woche“, sagt Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich.Parr sieht das gesamte untere Einkommensdrittel von Armut und Armutsgefährdung betroffen.

Menschen, die von Armut betroffen sind, sind sehr transparent.

Renate Anderl, AK Präsidentin

Zahlen der Volkshilfe belegen, dass beinahe 370.000 Kinder und Jugendliche in Verhältnissen aufwachsen müssen, die bedeuten, dass sie armuts- und ausgrenzungsgefährdet sind. Eine Ausgrenzungsgefährdung besteht dann, wenn die Teilnahme am Leben nicht mehr uneingeschränkt möglich ist. Darunter können Geburtstagsfeste oder Landschulwochen fallen, an denen aufgrund der finanziellen Lage nicht teilgenommen werden kann. „Wir von der Volkshilfe haben das Modell der Kindergrundsicherung entwickelt. Sie ist eine nachhaltige und zukunftsorientierte Lösung, die eine Systemänderung bringt und nicht nur in der Krise wirken kann, sondern auch tatsächlich danach“, sagt Tanja Wehsely, Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien.

Die Kindergrundsicherung sollen laut Volkshilfe alle Kinder bis zum 18. Geburtstag bekommen. 200 Euro wären der monatliche Sockelbetrag und dann käme noch die einkommensgeprüfte Komponente dazu. Bei der Anspruchsvoraussetzung sind nochmal bis zu 425 Euro monatlich vorgesehen. „Es ist eine Gemeinheit, die nicht zu rechtfertigen ist, dass Kinder aufgrund ihrer Herkunft, also die Familie, in die sie hineingeboren werden, leiden müssen und nicht ihr volles Potenzial entfalten können“, bekräftigt Wehsely die Idee der Kindergrundsicherung, die Armut in Österreich bekämpfen soll.

Staatliche Coronahilfen waren gut, aber zu wenig

Armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind 17 Prozent (1,519 Millionen) der österreichischen Bevölkerung, wie die Zahlen der Armutskonferenz für dieses Jahr zeigen. Im Vergleich zu vor der Pandemie bedeutet das nur einen minimalen Rückgang. „Die staatlichen Hilfen im Zuge der Pandemie haben geholfen, aber wir sehen trotzdem, dass sie nicht ausgereicht haben, um eine zusätzliche Armut in Österreich zu verhindern. Die Teuerungen sind schneller als alle Einmalzahlungen, die die Regierung auf den Weg gebracht hat“, meint Parr. Laut Caritas, AK und Volkshilfe braucht es daher eine Reform der Sozialhilfe. Diese muss armutsfest gestaltet werden. Aktuell liegt sie gut 400 Euro unter der Armutsschwelle (1.371 Euro monatlich). Hier sind neue Mindeststandards notwendig, die österreichweit einheitlich gestaltet werden müssen, wie betont wird.

Die Anhebung der Grundbeträge der Ausgleichszulagenrichtsatz ist ebenfalls notwendig, gleiches gilt für die Erhöhung des Arbeitslosengeldes sowie die Anpassung der Notstandshilfe. Mehr als die Hälfte aller Arbeitslosen, die ein Jahr oder länger beim AMS gemeldet sind, sind in Österreich von Armut bedroht. Ein Antiteuerungspaket für das untere Einkommensdrittel im Jahr 2023 wird ebenfalls notwendig sein, wie die drei Organisationen deutlich machen. „Ein Sozialstaat der Armut verhindert, ist möglich.

Dafür braucht es eine einzige Sache, nämlich den politischen Willen. Die Regierung muss unter Beweis stellen, dass sie Armut in unserem Land nicht einfach hinnimmt, sondern auch das umsetzt, was ohnehin im Regierungsprogramm steht, nämlich Armut in unserem Land zu verhindern“, so Anderl. Ob es nach der gescheiterten Reform des Arbeitslosengeldes neue Ideen geben wird, ist unklar. Auch welche Hilfspakete für die Bürger:innen 2023 geschnürt werden, muss vorerst noch abgewartet werden. Doch niemand darf im reichen Österreich vor der Wahl stehen, ob geheizt oder gegessen werden soll.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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